Beiträge von Lucius Decimus Maximian

    ..., als ein gebadeter, gut riechender, frisch eingekleideter Maximian von Vernunft getrieben ebenfalls die Culina betrat. Er hatte an diesem Tage nicht sehr viel gegessen, noch nennenswerten Appetit gehabt. Das Sprichwort "Liebe geht durch den Magen" konnte man also ohne weiteres auch auf Lieblosigkeit beziehen. "Frust bringt ihn zum verzagen".


    Gedankenverloren war der junge Mann zu einem Tischchen gegangen, auf dem ein Korb mit Äpfeln stand. Meridius hatte sie nicht weggegessen. Mit dem Rücken zu dem Anderen stehend, nahm er lustlos einen Apfel hoch und legte ihn wieder zurück. Genau das tat er mit einem zweiten und einem dritten. Sauer.


    Seufzend wandte er sich herum, mit der Hoffnung, dass es hier nicht umsonst so gut roch. Und gleich schrak er zusammen, weil kaum zwei Schritt vor ihm jemand Fremdes stand. Seine Gedankengänge: Der muss sich angeschlichen haben! Hm, ein Einbrecher? Und nun will er sich an den guten Speisen erquicken! Frechheit. Ein Glück war er nun hier! Moment. Er war ja auch schon vorher dagewesen. Jetzt war er verwirrt, sah so auch einen Moment drein, entschied sich dann aber endlich mal was zu sagen. ^^


    "Wer bist du?", frahte er skeptischst guckend und war schon auf einen Angriff gefasst. ^^

    "Gut.", antwortete Maximian. Der Tag würde noch einige Stunden zählen und ehe ihm die Decke drohte auf den Kopf zu fallen, würde er eben seinen Vater von der Arbeit abhalten. Das war ein Plan, ein guter Plan. Immerhin hatte er ihn schon aus dieser Starre befreit, in der er sonst vielleicht immer noch vor der Tür zum Hortus verweilt hätte.


    Das Haareverstrubbeln... wie er es vermisst hatte. :D Er ließ es tapfer über sich ergehen, seufzte theatralisch und musste dann doch schmunzeln, denn die Köchin hantierte wirklich wild, gar so als hätte sie mindestens fünf Hände. Eine Walze mit unzähligen Greifarmen.
    "Ein schlimmer Gedanke.", meinte der Sohn zum Papa, schmunzelte gar immer noch und verließ mit ihm die Culina, ohne etwas gegessen zu haben.


    Seltsam, aber scheinbar hatte die väterliche Haltung und Ruhe schon auf den jungen Mann gewirkt.

    Wie gut es war, dass jemand da war, der mit ihm trauerte. Die Zeit, in der er allein gereist war, war der reinste Albtraum gewesen. Er war nur noch vor der Trauer geflüchtet.
    Jetzt durfte sie an die Oberfläche kommen und tat es auch. Maximian konnte Romanus loslassen, denn jetzt war er bei seinen Eltern und nicht mehr allein.


    Bald schon stellte sich Linderung ein, allmählich versiegten die Tränen. Auch er hatte um seine Mutter einen Arm gelegt, den er dann zurück zog, als es ihm ein bisschen besser ging. Mit den Ärmeln wischte er seine Tränen fort und stand auf, um für seine Mutter ein Tuch zu holen. Er sah sie ja so ungern weinen.


    "Geht es?", fragte er und sah sie besorgt an, seine Trauer in den Hintergrund stellend. "Er sollte inzwischen in Rom angelangt sein. Vater sagt, er wird neben Praetorianus begraben werden. Sicherlich sind sie schon vereint." Wie die Römer eben dachten.

    Hm. Maximian hätte sich beinahe gewünscht, dass sie bald nach Hispania zurückkehren würden. Gut drei Wochen hielt er sich nun hier in Germanien auf, lebte ein Leben, das sich sehen lassen konnte, aber fühlte sich immer noch nicht heimischer als am ersten Tage. Im Moment sogar eher das Gegenteil davon.


    Er saß da wie ein nasser Sack. Genau genommen war er das ja auch. Mit dem Handtuch trocknete er den Hals, während Meridius nun bei ihm stand und auf einem Apfel herumkaute.
    "Ich....", begann er und zuckte nachdenklich mit den Schultern. "Nicht mehr viel. Ein warmes Bad nehmen, lesen vielleicht.... nachdenken."


    Sicherlich würde Meridius verstehen können. Maximian hatte mit einem Kapitel seines Lebens abzuschließen. Ein kurzes zwar, aber bestimmt eins der wichtigsten, die sein Lebensbuch bislang umfasste.

    Das Handtuch flog in hohem Bogen und traf Maximian im Gesicht, weil der zu langsam reagiert hatte. Mit beiden Händen nahm ers und tupfte sich das Gesicht trocken, dann wuschelte er sich damit durchs Haar.
    Ein Gymnasion. Er würde wohl einfach eins bauen lassen. Das meinte Maximian: Sein Vater konnte sich beinahe alles nehmen, da war es nicht selbstverständlich, dass er auch so beim Essen verfuhr. Wahrscheinlich war er einfach schlauer als die dicken Hauptstädtler.


    "Ich weiß nicht recht. Gäbe es eins, würdest du sicher jemanden finden, der mich von morgens bis abends an meiner Muskulatur arbeiten lassen würde...." Auch wenn da fast nichts verwerfliches dran war, Maximian würde schon bald bemerken, dass er wohl nicht ausreichend viel getan hatte, um körperlich fit zu sein. Vor allem nach dem Fieber nicht mehr.
    "Dann sieht es also so aus, als ob wir hier länger wohnen bleiben werden?"

    Maximian beobachtete seinen Vater, der scheinbar schon beinahe verhungerte. Naja, vielleicht etwas übertrieben, aber dennoch fand es der junge Mann komisch, seinem Vater dabei zuzusehen, wie er sich seiner Figur wegen Gedanken machte. Kurz sah er hinüber zu der dicken Sklavin, die den Kommentar betreffs der Fettleibigkeit komplett überhörte und weiter rumfuhrwerkelte.
    Maximian taten die verschiedenen Gerüche, die Wärme und das geschäftige und professionelle Treiben hier drinnen gut, sodass er auf der Stelle ein wenig lockerer wurde und sich ein Plätzchen suchte, auf dem er sich niederlassen konnte.


    "Hast du etwa Bedenken betreffs deiner Figur?", fragte Lucius nach und zog kaum mekrlich eine Augenbraue nach oben. Zu komisch, war der Gedanke, dass sein Vater noch wirklich kritisch seine Portionen abmaß. Das passte irgendwie nicht, fand Max. "Für dein Alter bist du doch noch recht gut in Schuss."
    Man konnte meinen, Maximian war im Begriff leicht zu grinsen, sah jedoch weg und schüttelte sich ein paar Tropfen vom einen Arm.

    Na ein Glück waren die Temperaturen immer noch angenehm, sodass Maximian sich nichts wegholen würde. Er nickte und stand nur noch wenige Centimeter kleiner neben seinem Vater, der am Ende die Frau bekommen hatte, die er von Anfang an gewollt hatte.
    Ihm würde das nicht passieren, dachte er, und da Valeria immer noch die Frau seines Herzens war, konnte er ob des Aufmunterungsversuches seines Vaters nur ein wenig deppert lächeln und wie einer, der nie an einen Gott glauben würde, unbehertzt nicken.


    "Ich hoffe es.", sagte er voller naiver Überzeugung, dass es bei ihm anders sein würde und atmete dann erneut tief durch. Erstmal sehen, ob er die heutige Nacht irgendwie durchstehen würde. Dafür hieß es jetzt einen Fuß vor den anderen setzen und das erste Ziel nach der "Aussprache" war die Culina. Also, dorthin. "In die Culina."

    "Ich weiß es nicht", antwortete er offen und ehrlich und fuhr sich durchs nasse Haar, die Hand hinterher lustlos fallen lassend. Seine Gedanken waren im Moment alles andere als geordnet, genau wie seine Gefühle.
    Auf die Idee, dass Meridius diese Aussage irritieren würde, kam er nicht. Den Vater hätte es wahrscheinlich mehr beruhigt zu hören, dass zumindest zwischenmenschlich alles "klarer" war als sonst irgendwann, was ihn und Valeria betraf.


    "Hm?" Maximian hatte nicht richtig zugehört, was Meridius ihm als Vorschlag unterbreitet hatte. Dann fiel es ihm doch wieder ein. "Appetit habe ich zwar keinen, aber..." Auf ihn wartete ein Cubiculum, viel Ruhe und Zeit. Diese Gewissheit machte ihm doch glatt ein bisschen Angst. Er sah zerknirscht drein und seufzte. "Ich komme gern noch etwas mit."

    Maximian hatte noch eine ganze Weile lang auf der Stelle gestanden und nachgedacht, obwohl kein Gedanke klar fassbar geworden war. Traurig war er - und wer konnte schon noch klar denken, wenn dieses kalte der Gefühl der Einsamkeit durch die Falten der Tunika kroch und sich in jede Zelle des Körpers stahl?


    Er hatte sich gerade nochmal die Nässe aus dem Gesicht wischen wollen, als jemand die Treppe herunter kam. Derjenige blieb stehen und erkundigte sich, wie es Maximian ging.
    Meridius kannte seinen Sohn, deswegen entschied Maximian sich ihm nichts vorzumachen. Er kannte die Geschichte ja.


    Er atmete tief ein und antwortete, während er wieder ausatmete, mit einem niedergeschmetterten "Nein. Valeria ist hier gewesen." Den Zusammenhang von Meridius Mantel auf das Gespräch im Garten sah er nicht.

    Wie sie sich vor ihn stellte, schluckte er schwer. Zuerst hatte er auf ihre Hand gesehen, die im Begriff gewesen war, nach ihm zu greifen, auf halbem Wege jedoch inne hielt und ganz langsam wieder sank. Wie gut er sich an die warmen Berührungen erinnern konnte, wenn sie ihm mit den Fingern über die Hände gestreichelt hatte. Wie weich ihre Haut immer gewesen war, wenn ihre Hand in seinen geborgen lag. Er wollte sie bitten, sie nicht zurückzuziehen, sie an seine Wange zu legen und ihm dann zu sagen, dass sie ihn nicht mehr liebte.


    Das Rauschen des Regens wurde leiser und sein Blickfeld schränkte sich ein, als er langsam den Kopf hob und direkt in Valerias Augen sehen konnte. Sie waren gefüllt mir Tränen, aber das tat ihrer Schönheit keine Markel. Wie leicht er sich in ihnen verloren hatte, wo auch immer sie gewesen waren. Das Blau ihrer Augen war ihm immer besonders vorgekommen, tiefer als jedes andere Blau. Er wäre so gern in ihre Augen eingetaucht, denn dann würde er ihr auf ewig nahe bleiben können.


    Ihre Stimme. Wie lieblich sie ihn morgens geweckt hatte. Sie hatte ihn so häufig geärgert, weil er länger als sie zu schlafen pflegte, aber hatte sie ihm seinen Namen inst Ohr geflüstert, war das überfrühte Aufwachen gleich zu einem wunderschönen Morgen geworden.


    Als er wieder klar sehen konnte, aus seinen Erinnerungen zurückgeholt ins Hier und jetzt, da er ein Schluchzen hörte, stand Valeria schon halb abgewendet von ihm, hielt sich eine Hand locker vor das Gesicht, das schmerzverzerrt war. Die Schultern der zierlichen Frau bebten und wenn er sich eingestand, dann tat ihm ihr Anblick trotz allem, was sie ihm angetan hatte, in der Sehle weh.


    Wieder schluckte er und holte aus einer Falte seiner Tunika einen kleinen Gegenstand hervor. Sie hatte ihn ihm einmal geschenkt. Kein sonderlich wertvolles Geschenk war es gewesen, aber ein bedeutendes. Zumindest für Maximian. Er hielt ihn umschlossen mit der Faust, die er allmählich öffnete. Zum Vorschein kam ein Ring, der sogleich vom Regen umspielt wurde, als wäre er wie Valeria und Lucius eine tragende Rolle in diesem Stück des Leids. Die letzten Tage hatte er nicht mehr auf einem der Finger des jungen Decimas gesteckt und würde das wohl auch nie mehr tun.
    Langsam schloss sich Maximians Hand wieder um das kleine Ding, das sie und ihn lange Zeit als verbunden gekennzeichnet hatte, dann fuhr seine Hand nach Valerias aus. Wie in Zeitlupe kam er ihr näher, bis ihre Finger sich kaum merklich berührten. Beinahe zärtlich fuhr seine Hand um ihre herum, bis ihre kalte Hand an seiner lag und er einen dicken Kloß in seinem Hals aufkommen spürte. Zögerlich schloss sich seine Hand um ihre, dann zog er sie wie in Zeitlupe zusammen auf Brusthöhe zwischen sie und sich selbst.


    Ihre Blicke begegneten sich, aber diesmal tat der Blickkontakt mehr weh als alles andere. In seinen Augen stand Traurigkeit und Leere, die als nächstes Valieras Handfläche ansahen, die auf seiner ruhte. Nur seinen Daumen hatte er halb um ihr Handgelenk gelegt, wagte jedoch nicht, ihn zu bewegen.
    Und dann legte er seine zweite Hand auf ihre, den Gegenstand darin an die Person zurückgebend, die ihn ihm einst geschenkt hatte. Der Berührung eines Schmetterlinges ähnlich, strich seine Hand noch einmal über ihre, noch einmal sah er ihr in die Augen und fragte sie, warum er das nun hatte tun müssen, dann schloss er ihre Finger um den wertlos gewordenen Ring und ließ seine und ihre Hände sinken.


    So war dann alles gesagt, was hatte gesagt werden müssen. Er fühlte sich schlecht, aber er trat einen Schritt zurück, wandte sich herum und ging. Er öffnete die Tür, schlüpfte durch sie hindurch und verschloss sie hinter sich. Im Haus angelangt atmete er ganz langgezogen aus.

    Lange Zeit sprach keiner von ihnen und Maximian war sich nicht sicher, ob er die Stille willkommen hieß oder ob er sie belastend fand. Auf der einen Seite hätte er sich beinahe gewünscht, dass die Ruhe, die sich immer weiter ausdehnte, Valeria verschlucken würde. Dann würde er sich herumdrehen und sich fragen, ob er vielleicht nur schlafgewandelt war. Bei den Träumen in den vergangenen Tagen hätte es ihn nicht mal überrascht.
    Und dann wiederum fragte er sich, wie lange er dem noch standhalten konnte und wann seine Fassade bröckeln würde. So oder so fühlte er sich ausgeliefert, hatte die Option des Rückzugs jedoch nicht vergessen.


    Es machte ihm rein gar nichts aus nassgeregnet zu werden. Er spürte es wahrscheinlich nicht mal wirklich, wie die Tropfen auf sein gesicht aufschlugen und die Wimpern schwer und klebrig wurden. Seinem erhitzten Gemüt tat diese Abkühlung sicherlich gut, aber dem Rest von ihm...? So, wie er im Regen stand, so fühlte er sich auch.
    Dann sprach Valeria wieder leise Worte. Sprach von Vertrauen und Freundschaft und Schmerz. Nein, er hatte sich nicht verhört. Freundschaft. Sie hatte nicht Liebe gesagt, nicht Beziehung, nicht. Und, dass sie ihm nicht hatte wehtun wollen.


    Der junge Decima neigte das Haupt und sah dem Wasser ein, zwei Meter vor seinen Füßen zu, wie es andauernd erbebte, weil Regentropfe unaufhörlich vom Himmel fielen. Was sollte er denn darauf schon erwidern? Er haderte noch eine Weile mit sich, ob er einfach gehen sollte und die Antwort in den Garten gestellt ließ - oder ob er einmal aussprach, was er einfach nicht nachvollziehen konnte.


    "Dann hättest du auf mich warten sollen.", sagte er mit ruhiger und einen Tick bitterer Stimme, den Blick wieder starr. Diesmal musste er allerdings immer wieder blinzeln, da ihm das Regenwasser in die Augen lief. Er verharrte in dieser Haltung noch einen Moment, dann wandte er Valeria sein nasses Gesicht zu. In diesem Moment war es nicht vorwurfsvoll oder versteinert, es spiegelte einzig und allein Traurigkeit und Enttäuschung wider.

    Sie hatte so leise gesprochen, dass Maximian sehr genau hatte zuhören müssen, was sie da sagte. hätte... kämst... wäre... Valeria benutzte diese Worte, als wäre die Vergangenheit, das Leben ein Frage und Antwortspiel, in dem man entweder nur mit Ja oder Nein antworten konnte. Ein Vielleicht reichte schon nicht mehr aus, ein Sicherlich war immer noch viel zu zweifelhaft.
    Maximians Augenbrauen zogen sich noch weiter zusammen. Das Stechen im Herzen wich allmählich jener Wut, die ihn vor 15 Tagen schon gepackt hatte, als er am liebsten auf der Stelle zu Livianus geritten wäre und ihm die Faust ins Gesicht geschlagen hätte.


    "Logisch....?", wiederholte er und sah Valeria mit durchdringenden, blitzenden Augen an. "Was versucht du mir damit zu sagen? Dass es logisch ist, dass man sich gleich etwas Neues sucht, wenn man einmal nicht weiß, wo der andere steckt? Dass es logisch ist, ihn mit jemand anderem zu hintergehen, obwohl du gerade erst sein Kind geboren hattest? Logisch, ihm nicht wenigsten die Möglichkeit einzuräumen, sich zu rechtfertigen? Nein, da ist er es scheinbar schon nicht mehr wert. Man stellt man ihn vor vollendete Tatsachen, lässt ihn mal so gehörig auflaufen und entschuldigt sich. Dann wird schon wieder alles in Ordnung kommen. Ist es nicht so? Ist das nicht logisch?"


    Er hatte nicht laut gesprochen, dafür aber jedes weitere Wort erregt hervorgepresst und mit aufzitterndem Körper geendet.
    Er konnte ihre unmittelbare Nähe nicht weiter ertragen und stand auf, die Arme vor der Brust verschränkt, die Begegnung ihrer Blicke mied er. Über ihr Verhalten und ihre Worte schüttelte er den Kopf und über sich selbst lachte er leise.


    "Du brauchst dir keine Mühe mehr geben, Valeria. So langsam beginne auch ich die ganze Sache mit ausreichend Logik zu sehen." Er spuckte das Wort aus, als wäre es ein äußerst übel schmeckendes Etwas und kehrte der jungen Decima seine Rückansicht zu.


    Ein Sohn, war dann sein nächster Gedanke. Es war ein trauriger Gedanke, den er zu gegebener Zeit, wenn die Wunden nicht mehr so frisch waren, weiterdenken würde.
    Ob es anders gekommen wäre, wenn er in diesen Stunden, die über das Leben ihres gemeinsames Kindes gerichtet hatten, bei Valeria gewesen wäre? Ob sie dann jetzt hier sitzen und über die Bruchstücke ihrer Beziehung streiten würden?


    Wieder tat er es. Er quälte sich mit Fragen, auf die es keine Antworten hab und die überhaupt nichts mehr ändern konnten. Er atmete tief ein, aber ein unsichtbarer Ring, der sich um seine Brust gelegt hatte, verhinderte, dass er ausreichend Luft bekam und das Brennen im Hals gelindert wurde.

    Wie konnte die Nähe eines Menschen gleichzeitig so vertraut und doch unangenehm sein? Unangenehm. Wann hatte er sich je schonmal nicht wohl gefühlt, wenn Valeria in seiner Nähe gewesen war? Das musste heute das erste mal gewesen sein.


    Sie saßen eine Weile lang stumm nebeneinander und es war wirklich so, als gäbe es einfach nichts mehr, das die Stille würde übermalen können. Maximian hätte sich nicht gewundert, wenn sie einfach aufgestanden und gegangen wäre. Dann wäre es ihr so wie ihm gewesen.


    Aber dann sagte sie doch etwas und schlug damit ein Kapitel auf, das Maximian mit vielen anderen eigentlich fest verschlossen hatte. Er konnte sich noch gut an den Ausflug zu Mummia und Aurelius erinnern. Es war wohl der ereignsreichste Ausflug seines ganzen bisherigen Lebens gewesen. Der Unfall, das Näherkommen mit Valeria.... der Käse.
    Das tat se mit Absicht. Maximian fühlte wieder dieses Stechen in der Brust und zog die Brauen ein wenig zusamen.


    "Ja.", antwortete er schlicht und ergreifend, weil ihm gar nicht mehr über die Lippen kam und er nicht mehr dazu sagen wollte.

    Sie war gekommen, um sich zu entschuldigen. Maximian schmunzelte, aber es war ein bitteres Schmunzeln. Er wollte keine Entschuldigung hören. In seinen Augen war nichts zu entschuldigen. Immerhin erwartete sie nicht, dass er ihr verzieh.
    Er fürchtete sich beinahe vor dem, was kommen würde. Am liebsten hätte er kehrt gemacht und sich wieder dem Buch gewidmet. Er wollte nicht, dass sie ihn ihretwegen leiden sah. Verstecken, ja. Er konnte seine Gefühle hinter einer steinernen Maske verstecken, darin war er so langsam geübt und es half zumindest bei anderen ganz gut. Valeria würde ihn jedoch so oder so durchschauen. Ein versteinerter Maximian war kein glaubwürdiger Maximian.


    "Da gibt es nichts mehr zu bereden", sprach er mit ruhiger, toternster Stimme und hielt den Kopf noch immer leicht gesenkt. Damit war wohl klar, dass er sie nicht aufgesucht hätte. Nun war sie allerdings hier und saß dem Wetter ausgeliefert in "seinem" Hortus. Wegschicken lassen würde sie sich nicht, dass hatten sie ja eben schon gehabt. Wieder gab Maximian sich einen Ruck, suchte sich unter dem hervorstehenden Dach der Regia eine Steinbank und ließ sich auf diese nieder. Rücken und Kopf an das Mauerwerk gelehnt, wurden seine starr ruhenden Augen Zeugen des Spießrutenlaufes dort oben am Himmel, wo die Wolken unheilvoll und in Fetzen über den Himmel zogen.


    Ein seltsamer Anblick und ein noch seltsameres Gefühl, das dort oben zu beobachten. Beinahe fühlte es sich so an, als wäre er ein Teil des Spektakels.

    Auf ihre Frage hin wusste er nichts zu erwidern. In gewisser Weise sprach sie das aus, worin all seine Gedanken und Gefühle ins Ergebnis mündeten. Seine Valeria war sicher nicht mehr da. Sie hatte einer anderen Platz gemacht. So seufzte er nur und ließ die Schultern ein wenig herabsacken, weil sie ihm gerade so schwer vorkamen.


    "Was willst du hier?", fragte er, ohne auf ihre Frage einzugehen. Was sie für ihn bedeutete, das spielte doch keine Rolle mehr.

    Ein Niesen. Er hatte gerade eine Tür öffnen wollen, als er es gehört hatte. Die Hand schon an der Tür, verharrte er nun doch nochmal und nahm schließlich die Hand zurück. Warum er nicht doch reingegangen war, wusste er nicht.


    Ähnlich wie eben stand er nun da und lauschte in den Garten. Sie sehen würde er nicht, deswegen unternahm er auch gar nicht den versuch, den Blick nochmals schweifen zu lassen. Er öffnete seine vorher zur Pfaust gehaltenen Hände und schloss sie dann wieder, ehe er sich einen Ruck gab.


    "Du.... holst dir noch den Tod, wenn du länger hier draußen sitzt."


    Sei Tonfall war ähnlich neutral gewesen wie vorhin, doch diesmal stand er da mit halb geneigtem Kopf. Der Anblick mochte etwas vortäuschen, was so gar nicht stimmte. Wenn man genau hinsah, biss er die Zähne in jenem Moment so fest aufeinander, dass die Kiefermuskeln unter der Haut zu tanzen begannen.

    Es war nicht kalt, aber es war ungemütlich hier draußen. Maximian wusste, warum er sich für diesen Tag auf sein Cubiculum hatte zurückziehen wollen. Nun stand er jedoch im Hortus, an seiner Tunika zerrte der Wind und der Regen peitschte ihm ins Gesicht, sodass sein Blick nur noch unnahbarer wurde, als er die Brauen zusammenzog.


    Er schnaufte und sah sich daraufhin um. Obwohl es noch mitten am Tag war, war das Licht schwach und überall sah man Schatten. Ja. Valeria war nicht mehr hier. Maximian hatte es gewusst. Er biss sich auf die Innenseite seiner Unterlippe, ließ den Kopf in einem schwachen Nicken wackeln und wandte sich dann wieder herum.


    Den neuerlichen Gang nach unten hätte er sich wohl sparen können.

    Auch wenn er eben noch gesagt hatte, er wolle nicht mehr gestört werden, stand Marcus schon wieder vor der Tür des Cubiculums des Decimus Maximian und klopfte an.
    Diesmal erklang von innen keine Einladung. Maximian schwieg beharrlich und sah starr auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand seines neuen Zuhauses.


    Da steckte Marcus ungebeten seinen Kopf zu ihm hinein. Man konnte dem Alten am leise rasselnden Atem anhören, dass er angestrengt war.
    "Verzeiht, dass ich nochmal störe, junger Herr, aber die junge Herrin bat mich dir auszurichten, dass sie nicht vorhat einfach so wieder abzureisen. Sie wartet im Hortus, hat sie gesagt, egal wie lang es dauert."
    Er räusperte sich und musterte den Mann, der kein Knabe war aber kaum genug Mann, um dem Knabenalter schon entwachsen zu sein. Vielleicht konnte er der halben Portion ja ein wenig auf die Sprünge helfen, das Mädchen im Garten tat ihm ja leid.
    "Es ist draußen sehr stürmisch, Herr."


    Maximian zeigte keine sichtbare Reaktion, außer einem Fingerzeichen, Marcus könne gehen. Er würde nicht zu ihr hinuntergehen, er wusste ja gar nicht warum. Wenn es ihr zu unangenehm wurde, würde sie sicher etwas besseres aufsuchen, dachte er sich und dachte dabei nicht unabsichtlich an einen gewissen Verwandten.


    Aber dann, nach einer ganzen Weile, stand er schließlich doch auf. Nicht, um zu ihr zu gehen. Nein, er ging nur ans Fenster. Er brauchte frische Luft, redete er sich ein. Dabei war der Grund dafür wohl einfach und ergreifend der, dass er sich das Unwetter ansehen wollte, das da draußen Mogontiacum umschichtete.
    Und wieder verfiel er in diese Starre, die ihn gefangen hielt. Er sah hinaus, sah wie der Wind Wolkenfetzen über den Himmel peitschte und Vögel wilde Kapriolen schlagend durch die Luft zischten.


    Dann begann es zu tröpfeln. Maximian rechnete stark damit, dass Valeria nun wutentbrannt das Weite suchen würde. Es sollte ihn "beruhigen", aber stattdessen begann er mit den Fingern auf seine Oberarme zu trommeln. Sie würde eh schon weg sein.


    Als er die Tür seines Cubiculums öffnete, stand gerade Marcus davor. Der Alte verhielt sich, was er sagen wollte und ließ seinen weisen Blick auf dem jungen Menschen ruhen. Maximian sah ihn einen Moment an und ging dann wortlos an ihm hinüber.
    Steif stieg er die Treppen hinab, aufrechter als eine marmorne Säule trat er durch die Tür und ging dorthin, wo Valeria seiner Meinung nach bis eben noch auf ihn gewartet hatte.


    Marcus hatte dem jungen Herrn bestätigend zugenickt und ihm nachgesehen, als die junge Herrin ihm nachrief, er solle doch bitte bleiben. Der Alte verstand nicht ganz, hatte dafür jedoch seine Anweisungen.
    Mit langsamen Beegungen war er die letzten Stufen herabgestiegen und hatte der verzweifelten Frau ganz sacht eine Hand auf die Schulter gelegt.


    "Nicht traurig sein, Herrin. Wenn ich dann nichts mehr für dich tun kann...."


    Fragend und mit treuen Augen sah er sie an.