Wie sie sich vor ihn stellte, schluckte er schwer. Zuerst hatte er auf ihre Hand gesehen, die im Begriff gewesen war, nach ihm zu greifen, auf halbem Wege jedoch inne hielt und ganz langsam wieder sank. Wie gut er sich an die warmen Berührungen erinnern konnte, wenn sie ihm mit den Fingern über die Hände gestreichelt hatte. Wie weich ihre Haut immer gewesen war, wenn ihre Hand in seinen geborgen lag. Er wollte sie bitten, sie nicht zurückzuziehen, sie an seine Wange zu legen und ihm dann zu sagen, dass sie ihn nicht mehr liebte.
Das Rauschen des Regens wurde leiser und sein Blickfeld schränkte sich ein, als er langsam den Kopf hob und direkt in Valerias Augen sehen konnte. Sie waren gefüllt mir Tränen, aber das tat ihrer Schönheit keine Markel. Wie leicht er sich in ihnen verloren hatte, wo auch immer sie gewesen waren. Das Blau ihrer Augen war ihm immer besonders vorgekommen, tiefer als jedes andere Blau. Er wäre so gern in ihre Augen eingetaucht, denn dann würde er ihr auf ewig nahe bleiben können.
Ihre Stimme. Wie lieblich sie ihn morgens geweckt hatte. Sie hatte ihn so häufig geärgert, weil er länger als sie zu schlafen pflegte, aber hatte sie ihm seinen Namen inst Ohr geflüstert, war das überfrühte Aufwachen gleich zu einem wunderschönen Morgen geworden.
Als er wieder klar sehen konnte, aus seinen Erinnerungen zurückgeholt ins Hier und jetzt, da er ein Schluchzen hörte, stand Valeria schon halb abgewendet von ihm, hielt sich eine Hand locker vor das Gesicht, das schmerzverzerrt war. Die Schultern der zierlichen Frau bebten und wenn er sich eingestand, dann tat ihm ihr Anblick trotz allem, was sie ihm angetan hatte, in der Sehle weh.
Wieder schluckte er und holte aus einer Falte seiner Tunika einen kleinen Gegenstand hervor. Sie hatte ihn ihm einmal geschenkt. Kein sonderlich wertvolles Geschenk war es gewesen, aber ein bedeutendes. Zumindest für Maximian. Er hielt ihn umschlossen mit der Faust, die er allmählich öffnete. Zum Vorschein kam ein Ring, der sogleich vom Regen umspielt wurde, als wäre er wie Valeria und Lucius eine tragende Rolle in diesem Stück des Leids. Die letzten Tage hatte er nicht mehr auf einem der Finger des jungen Decimas gesteckt und würde das wohl auch nie mehr tun.
Langsam schloss sich Maximians Hand wieder um das kleine Ding, das sie und ihn lange Zeit als verbunden gekennzeichnet hatte, dann fuhr seine Hand nach Valerias aus. Wie in Zeitlupe kam er ihr näher, bis ihre Finger sich kaum merklich berührten. Beinahe zärtlich fuhr seine Hand um ihre herum, bis ihre kalte Hand an seiner lag und er einen dicken Kloß in seinem Hals aufkommen spürte. Zögerlich schloss sich seine Hand um ihre, dann zog er sie wie in Zeitlupe zusammen auf Brusthöhe zwischen sie und sich selbst.
Ihre Blicke begegneten sich, aber diesmal tat der Blickkontakt mehr weh als alles andere. In seinen Augen stand Traurigkeit und Leere, die als nächstes Valieras Handfläche ansahen, die auf seiner ruhte. Nur seinen Daumen hatte er halb um ihr Handgelenk gelegt, wagte jedoch nicht, ihn zu bewegen.
Und dann legte er seine zweite Hand auf ihre, den Gegenstand darin an die Person zurückgebend, die ihn ihm einst geschenkt hatte. Der Berührung eines Schmetterlinges ähnlich, strich seine Hand noch einmal über ihre, noch einmal sah er ihr in die Augen und fragte sie, warum er das nun hatte tun müssen, dann schloss er ihre Finger um den wertlos gewordenen Ring und ließ seine und ihre Hände sinken.
So war dann alles gesagt, was hatte gesagt werden müssen. Er fühlte sich schlecht, aber er trat einen Schritt zurück, wandte sich herum und ging. Er öffnete die Tür, schlüpfte durch sie hindurch und verschloss sie hinter sich. Im Haus angelangt atmete er ganz langgezogen aus.