Nach dem kurzen Aufenthalt in CCAA
Pferdegetrappel hatte sich dem Domus genähert, ein Pferd hatte gewiehert und kurz darauf hatte der Pförtner den Sohn des Senators Decimus Meridius hereingelassen. Dieser war blind und stumm an ihm vorübergegangen, mit Dampf durch das Atrium marschiert und hatte direkt sein Cubiculum angesteuert, dieser eine Fleck in dieser unglückbringenden Provinz, dem er es abgewinnen konnte, ihn sein Eigen zu nennen. Niemandem - aber auch wirklich niemandem - wollte er jetzt begegnen.
So hatte er die Tür nicht hinter sich zugeknallt, wie es seinem erregten Gemütszustand eigentlich zuzutrauen gewesen wäre, sondern hatte sie leise hinter sich geschlossen und im Anflug purer Schwäche seinen Kopf gegen sie gelehnt. Sein Kopf war so schwer, so voller Gedanken und Bilder. Und jetzt, da ihn keiner mehr sehen konnte, erlaubte er sich diesen Zusammenbruch, gegen den er sich bei Aufbringung seiner ganzen Kraft nicht verhindern konnte - und es auch nicht wollte.
Es sollte für lange Zeit das letzte Mal sein, dass Maximian Tränen vergoss, aber bevor es dazu kam, lehnte er sich mit dem Rücken an die Tür und rutschte langsam an ihr hinab, bis er auf dem Boden ankam. Ein Bein angewinkelt, das andere abgestreckt saß er da und sah vor sich, neben sich und überall hin, aber es nützte alles nichts. Seine Augen nahmen nur Leere wahr - und das Bild Valerias, das ihm nicht mehr aus dem Kopf ging.
Es hatte zwar eine Weile gedauert, aber schließlich hatte der junge Mann sich nach ihr gesehnt. Zu dem Zeitpunkt hatte er mit seinem Adoptivbruder gerade das Schiff bestiegen und ein Gefühl hatte ihn überkommen, das er nicht anders zu deuten wusste als schiere Vorfreude auf das Wiedersehen mit seiner Valeria, der Mutter seines ungeborenen Kindes. Ohne Umwege wäre er zu ihr gegangen, so hatte er sich vorgenommen, sie in seine Arme geschlossen und sie um Verzeihung gebeten, dass er so lange gebraucht hatte. Und dann hätte er sich vielleicht erlaubt eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen, das Valeria unter dem Herzen trug und wäre von nun an jeden Schritt mit ihr gemeinsam gegangen.
Dann war alles so anders gekommen. Erst das Fieber, das ihn so lange aufgehalten hatte, dann die Todgeburt des Kindes und letztlich ein neuer Mann an Valerias Seite. Er hatte nicht mal die Möglichkeit gehabt in irgendeiner Weise einzugreifen. Irgendjemand hatte einen Teil seiner Lebensgeschichte einfach so ausradiert und durch einen anderen, schmerzhaften Abschnitt ersetzt - und es fühlte sich verdammt nochmal so unsagbar ungerecht an, dass man zum Spielball seiner eigenen Geschichte wurde!
Vorbei. Er konnte keinen anderen Schuldigen nennen, als die Götter. Wahrscheinlich hatten sie ihm das Fieber geschickt, damit er zugrunde ging und nicht wieder hingegen aller Regeln und Etiquetten mit seiner vermeintlichen Cousine zusammen war, was ohnehin niemand gern gesehen hatte. Dann hatten sie dem Kind, das in ehrlicher Liebe gezeugt worden war, den Tod geschickt und damit vor allem Valeria gestraft. Und obendrein straften sie den jungen Vater noch einmal extra, (wahrscheinlich weil er das Fieber überlebt hatte) und trieben seine Valeria in die Hände eines anderen.
Maximian war immer noch ganz und gar fassungslos. Valerias Anklage lag ihm wie ein großer Schatten schwer auf der Seele. Er hatte sie allein gelassen. In dem Moment, in dem sie ihn am meisten gebraucht hätte, hatte er ihr nicht beistehen können. Er hätte eine Nachricht schicken sollen, echote dieser eine Gedanke immer und immer wieder in seinem Kopf. Egal was es gekostet hätte. So aber hatte er sie im Stich gelassen, auch wenn er nicht einmal was dafür gekonnt hatte.
Vorbei. Valeria hatte an ihm Verrat geübt. Was wusste er, mit was sie gerechnet hatte - vielleicht sogar damit, dass Maximian irgendwann auf der Reise ausgestiegen und davongelaufen war? Dass er den Tod gefunden hatte? Vertrauen und Liebe hatten sie nicht davon abgehalten, ihn zu vergessen, ihn aus ihren Gedanken und Gebeten zu streichen, ihn abzulieben. War der Tod mit solch einer schlagenden Gewissheit überhaupt noch zu vergleichen?
Kälte. Er sah einen Regentropfen und rings um ihn herum Eis. Nirgends war der Schein eines Feuers auszumachen, nur dieses tiefblaue Eis. Und der Regentropfen war er. Würde er aufkommen, dann würde auch er gefrieren.
Und das geschah in dem Moment, als Maximians Tränen versiegten. Sie hatten begonnen unaufhaltsam seine Wangen hinabzurinnen, als ihm bewusst wurde, welche Leere Valeria in ihm hinterließ. Sie hatte ihm so viel bedeutet. So viel mehr als viel. Vorbei.
Mit ausgekühlten, schmerzenden Gließdmaßen hatte er sich dann erhoben, das Gesicht bleicher noch als das des toten Romanus, neben dem er diesen einen Tag aufgewacht war. Er hatte sich wie in Trance und mit unmenschlich schweren Armen die verschmutzte und faltige, irgendwie auch klamme Tunika ausgezogen, als wäre er der Suizidgefährdete, der abgeschlossen hatte und den Sprung tun würde. Doch er hatte sich nicht zum Fenster begeben, sondern sich auf sein Bett gelegt. Er fühlte sich schwer, wie ein taubes Stück fleisch und doch seltsam ungebunden, als wäre er gar nicht wirklich da. Die eine Hand hatte er auf seinen Bauch gelegt, die andere an seinen Kopf.
Und so hatte er stundenlang dagelegen. Die Berührungen Valerias, die es schafften, dass sich die Haare auf seinen Armen aufstellten, wie Blüten das taten, wenn die Sonne aufging, waren irgendwann in seine Erinnerungen zurückgekehrt und nicht mehr wie ein Nachgespinst um ihn herum geschwebt - nur wusste er nicht, ob er deswegen lachen oder weinen sollte.
Dann war er eingeschlafen, mit jenem Gefühl der Einsamkeit und Kälte in seinem Herzen. Am Morgen, nur wenige Stunden später, würde er aufwachen und verändert sein. Und er würde sich erschrecken, sich wünschen, er wäre nicht aufgewacht und würde erneut einschlafen. Aber dann, oder noch ein paar Stunden später, würde er aufstehen, sich waschen und eine neue Tunika anziehen und damit beginnen, nicht mehr an sie zu denken und sie bei sich zu spüren.
Und er würde lange Zeit keine Träne mehr vergießen.