Beiträge von Lucius Decimus Maximian

    Kaum hatte er es verlassen, wollte er sein Cubiculum wieder betreten. Er mochte Besuch gern, aber bei einer Person machte er da inzwischen eine Ausnahme. Und diese Person stand unten im Atrium und rief ihm hinterher, nein - flehte ihn an mit ihr zu reden. Ja, er hatte sie noch gehört.
    Einen Moment lang verharrte er vor der Tür seines Cubiculums, dann öffnete er sie und ging wieder hinein. Hinter sich zog er sie ins Schloss. Er wollte nicht mit Valeria reden. Es gab nichts zu bereden.


    Nachdenklich vor sich hinstarrend setzte er sich auf sein Lager. Marcus hatte seine Anweisungen. Er würde Valeria wieder nach draußen begleiten und damit wäre sie wieder weg. Dann würde er auch nicht mehr an sie und das Geschehene denken.


    Er wartete.

    Es war also tatsächlich Valeria, die sich hierher verirrt hatte. Maximian schluckte kaum merklich, denn augenblicklich hatte sich ein Kloß in seinem Hals gebildet. Sie grüßte ihn und ihre Stimme löste eine Gänsehaut bei ihm aus. Aber er rührte sich nicht, sondern starrte sie geradezu an. Seine sonst meerblauen Augen waren dunkel und gar nicht lebendig.


    "Du bist umsonst gekommen.", antwortete er mit völlig neutraler Stimme. Ohne sich zu rühren, sprach er an den Ianitor gerichtet: "Marcus, bring sie wieder vor die Tür, wenn sie nichts weiter hier zu tun hat. Ich möchte nicht wieder gestört werden."


    Und damit wandte Maximian sich auf der Treppe wieder herum, sah Valeria kein weiters mal an, sondern ging wieder hinauf in sein Cubiculum.

    Maximians Cubiculum lag im 1. Stock des Domus Legati Augusti und so musste er eine Treppe herabsteigen, um ins Atrium zu gelangen. An diesem Tage tat er es wie an den Tagen davor, nämlich steif und langweilig. Daheim in Tarraco hatte der junge Mann sonst immer gleich zwei Stufen auf einmal genommen oder war wild heruntergesprungen - je nachdem, wie gut seine gute Laune gewesen war.


    Marcus lief hinter ihm und kratzte sich wieder verdächtig nachdenklich an der Schläfe, als Maximian Einblick in das Atrium erhielt und somit auch seinen Besucher sah. Seine Besucherin, musste das heißen, das erkannte er sofort, denn auch wenn diejenige einen Umhang trug, war ihre Gestalt von zierlicher Natur.
    Unvermittelt aber nicht ruckartig blieb Maximian stehen, sodass der in Gedanken verlorene Marcus auf ihn auflief, den jungen Herrn verdutzt ansah und sich murmelnd entschuldigte.


    Maximian deutete ihm mit einem Wink der linken Hand an, dass er schweigen und stehen bleiben sollte. Sein Blick war starr auf die Person dort unten gerichtet, sein Blick ernst. Auch wenn er nicht viel von ihr sehen konnte, so ahnte er, wer sie war. Und eigentlich konnte sie nur Valeria heißen.

    Der Sklave Marcus klopfte an die Zimmertür Maximians, er hatte ihm auszurichten, dass jemand im Atrium auf ihn wartete.


    Maximian, gerade vertieft in ein Buch, das sein Vater ihm mit dem Auftrag es gründlich durchzulesen und sich eine Meinung dazu zu bilden gegeben hatte, sah nicht gleich auf, als es klopfte. Gemütlich las er noch bis zum nächsten Absatz und bat den Klopfer dann mit einem einfachen "Ja?" hinein, sah jedoch nicht auf, sondern las doch wieder weiter.


    Der Ianitor trat unter den Türrahmen und sah den jungen Decima mit wässrigen Augen an. "Der junge Herr hat Besuch, er wartet jemand m Atrium. Möchte er ihn empfangen?"


    Er hatte zwar nur die Hälft des Gesagten wirklich wahrgenommen, sah jedoch auf und ließ das Buch sinken. "Wer ist es denn?"


    Der alte Mann druckste herum und faltete die Hände. "Nun... man bat mich keinen Namen zu nennen, Herr."


    Maximian runzelte die Stirn, sah dann auf sein Buch und legte es schließlich zur Seite. "Wie spannend.", sagte er mit ironischem Tonfall und erhob sich. "Ich werde ihn empfangen."


    Der Alte nickte und der Junge ging ihm voraus ins Atrium.


    Ah ja, zum Sohn des Senators wollte sie also. Marcus nickte und hielt sich eine Hand an die Stirn. Es war ihm fast so, als hätte der junge Herr ihm einen Wunsch bezüglich seines Besuches genannt. Er fuhr sich mit einer Hand über die Schläfe und lächelte die Besucherin an.


    "Ich werde sehen, was ich tun kann. Wenn die Herrin möchte, kann sie sich ja schon einmal ins Atrium begegnen. Ich bin dann gleich zurück und kümmere mich um alles Weitere."


    Und damit ging der alte Mann, um nachzusehen, ob der junge Herr überhaupt anzutreffen war.

    Nach dem kurzen Aufenthalt in CCAA


    Pferdegetrappel hatte sich dem Domus genähert, ein Pferd hatte gewiehert und kurz darauf hatte der Pförtner den Sohn des Senators Decimus Meridius hereingelassen. Dieser war blind und stumm an ihm vorübergegangen, mit Dampf durch das Atrium marschiert und hatte direkt sein Cubiculum angesteuert, dieser eine Fleck in dieser unglückbringenden Provinz, dem er es abgewinnen konnte, ihn sein Eigen zu nennen. Niemandem - aber auch wirklich niemandem - wollte er jetzt begegnen.


    So hatte er die Tür nicht hinter sich zugeknallt, wie es seinem erregten Gemütszustand eigentlich zuzutrauen gewesen wäre, sondern hatte sie leise hinter sich geschlossen und im Anflug purer Schwäche seinen Kopf gegen sie gelehnt. Sein Kopf war so schwer, so voller Gedanken und Bilder. Und jetzt, da ihn keiner mehr sehen konnte, erlaubte er sich diesen Zusammenbruch, gegen den er sich bei Aufbringung seiner ganzen Kraft nicht verhindern konnte - und es auch nicht wollte.
    Es sollte für lange Zeit das letzte Mal sein, dass Maximian Tränen vergoss, aber bevor es dazu kam, lehnte er sich mit dem Rücken an die Tür und rutschte langsam an ihr hinab, bis er auf dem Boden ankam. Ein Bein angewinkelt, das andere abgestreckt saß er da und sah vor sich, neben sich und überall hin, aber es nützte alles nichts. Seine Augen nahmen nur Leere wahr - und das Bild Valerias, das ihm nicht mehr aus dem Kopf ging.


    Es hatte zwar eine Weile gedauert, aber schließlich hatte der junge Mann sich nach ihr gesehnt. Zu dem Zeitpunkt hatte er mit seinem Adoptivbruder gerade das Schiff bestiegen und ein Gefühl hatte ihn überkommen, das er nicht anders zu deuten wusste als schiere Vorfreude auf das Wiedersehen mit seiner Valeria, der Mutter seines ungeborenen Kindes. Ohne Umwege wäre er zu ihr gegangen, so hatte er sich vorgenommen, sie in seine Arme geschlossen und sie um Verzeihung gebeten, dass er so lange gebraucht hatte. Und dann hätte er sich vielleicht erlaubt eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen, das Valeria unter dem Herzen trug und wäre von nun an jeden Schritt mit ihr gemeinsam gegangen.
    Dann war alles so anders gekommen. Erst das Fieber, das ihn so lange aufgehalten hatte, dann die Todgeburt des Kindes und letztlich ein neuer Mann an Valerias Seite. Er hatte nicht mal die Möglichkeit gehabt in irgendeiner Weise einzugreifen. Irgendjemand hatte einen Teil seiner Lebensgeschichte einfach so ausradiert und durch einen anderen, schmerzhaften Abschnitt ersetzt - und es fühlte sich verdammt nochmal so unsagbar ungerecht an, dass man zum Spielball seiner eigenen Geschichte wurde!


    Vorbei. Er konnte keinen anderen Schuldigen nennen, als die Götter. Wahrscheinlich hatten sie ihm das Fieber geschickt, damit er zugrunde ging und nicht wieder hingegen aller Regeln und Etiquetten mit seiner vermeintlichen Cousine zusammen war, was ohnehin niemand gern gesehen hatte. Dann hatten sie dem Kind, das in ehrlicher Liebe gezeugt worden war, den Tod geschickt und damit vor allem Valeria gestraft. Und obendrein straften sie den jungen Vater noch einmal extra, (wahrscheinlich weil er das Fieber überlebt hatte) und trieben seine Valeria in die Hände eines anderen.


    Maximian war immer noch ganz und gar fassungslos. Valerias Anklage lag ihm wie ein großer Schatten schwer auf der Seele. Er hatte sie allein gelassen. In dem Moment, in dem sie ihn am meisten gebraucht hätte, hatte er ihr nicht beistehen können. Er hätte eine Nachricht schicken sollen, echote dieser eine Gedanke immer und immer wieder in seinem Kopf. Egal was es gekostet hätte. So aber hatte er sie im Stich gelassen, auch wenn er nicht einmal was dafür gekonnt hatte.


    Vorbei. Valeria hatte an ihm Verrat geübt. Was wusste er, mit was sie gerechnet hatte - vielleicht sogar damit, dass Maximian irgendwann auf der Reise ausgestiegen und davongelaufen war? Dass er den Tod gefunden hatte? Vertrauen und Liebe hatten sie nicht davon abgehalten, ihn zu vergessen, ihn aus ihren Gedanken und Gebeten zu streichen, ihn abzulieben. War der Tod mit solch einer schlagenden Gewissheit überhaupt noch zu vergleichen?


    Kälte. Er sah einen Regentropfen und rings um ihn herum Eis. Nirgends war der Schein eines Feuers auszumachen, nur dieses tiefblaue Eis. Und der Regentropfen war er. Würde er aufkommen, dann würde auch er gefrieren.


    Und das geschah in dem Moment, als Maximians Tränen versiegten. Sie hatten begonnen unaufhaltsam seine Wangen hinabzurinnen, als ihm bewusst wurde, welche Leere Valeria in ihm hinterließ. Sie hatte ihm so viel bedeutet. So viel mehr als viel. Vorbei.


    Mit ausgekühlten, schmerzenden Gließdmaßen hatte er sich dann erhoben, das Gesicht bleicher noch als das des toten Romanus, neben dem er diesen einen Tag aufgewacht war. Er hatte sich wie in Trance und mit unmenschlich schweren Armen die verschmutzte und faltige, irgendwie auch klamme Tunika ausgezogen, als wäre er der Suizidgefährdete, der abgeschlossen hatte und den Sprung tun würde. Doch er hatte sich nicht zum Fenster begeben, sondern sich auf sein Bett gelegt. Er fühlte sich schwer, wie ein taubes Stück fleisch und doch seltsam ungebunden, als wäre er gar nicht wirklich da. Die eine Hand hatte er auf seinen Bauch gelegt, die andere an seinen Kopf.


    Und so hatte er stundenlang dagelegen. Die Berührungen Valerias, die es schafften, dass sich die Haare auf seinen Armen aufstellten, wie Blüten das taten, wenn die Sonne aufging, waren irgendwann in seine Erinnerungen zurückgekehrt und nicht mehr wie ein Nachgespinst um ihn herum geschwebt - nur wusste er nicht, ob er deswegen lachen oder weinen sollte.
    Dann war er eingeschlafen, mit jenem Gefühl der Einsamkeit und Kälte in seinem Herzen. Am Morgen, nur wenige Stunden später, würde er aufwachen und verändert sein. Und er würde sich erschrecken, sich wünschen, er wäre nicht aufgewacht und würde erneut einschlafen. Aber dann, oder noch ein paar Stunden später, würde er aufstehen, sich waschen und eine neue Tunika anziehen und damit beginnen, nicht mehr an sie zu denken und sie bei sich zu spüren.


    Und er würde lange Zeit keine Träne mehr vergießen.

    Er antwortete nicht gleich, aber dann entschied er sich, die Worte einfach so auszusprechen, wie sie ihm in den Kopf kamen.


    "Als wir gerade einige Tage unterwegs waren, ist er eines schönen Morgens nicht wie sonst immer als erster wach gewesen. Als ich nach ihm sah, schlief er noch tief und fest. Ihm standen Schweißperlen auf der Stirn und seine Hände... glühten. Ein Medicus gab ihm etwas gegen das Fieber, aber Romanus behielt es nicht bei sich. Es ging ihm rasch schlechter. Immer häufiger konnte er nicht mal mehr sprechen, wenn ich ihm Mut machte und ihm sagte, er würde in Germania viele neue Dinge kennenlernen und erforschen können. Und dann... Ich weiß schon nicht mehr, der wie vielte Tag es war, denn ich hatte mich bei ihm angesteckt, reagierte er nicht mehr, als ich ihn versuchte aufzuwecken. Der Medicus kam und hörte ihn ab, aber.... Er lag... einfach da, als würde er schlafen."


    Romanus hatte die Augen nicht mehr geöffnet, er war füt tot erklärt worden. Maximian hatte neben ihm gelegen und seinen Adptivbruder angestarrt, versucht eine flache Atembewegung auszumachen, aber er hatte sich nicht mehr gerührt.
    Wieder standen Maximian die Tränen in den Augen. Er sah die Hand seiner Mutter und ergriff sie.


    "In meinen Träumen kam er zu mir und sprach mit mir. Er bat mich, euch seine Glückwünsche auszurichten und erinnerte mich daran, dass ich dafür durchhalten und das Fieber bekämpfen müsse. Aber jetzt.... jetzt spricht er nicht mehr zu mir", berichtete Maximian mit einem bitteren Lächeln und dann brachen die Tränen hervor. Der junge Mann barg das Gesicht hinter beiden Händen und weinte um seinen kleinen Bruder und einen seiner größten Schabernackkomplizen.

    Vielleicht nahm er noch ihren kläglichen Aufschrei wahr, vielleicht auch nicht mehr. Er wandte sich nicht mehr um. In vergangenen Tagen hätte ihr tränenbenetztes Gesicht bewirkt, dass er sich herumdrehte und sie solange nicht los ließ, bis die Tränen versiegt waren. Das konnte er jetzt nicht mehr.


    Seine Beine brachten ihn zurück zu seinem Pferd und sein treuer Blick schien die Gemütslage seines Herrn schnell aufgefangen zu haben, denn es rührte sich nicht, als der junge Mann nach den Zügeln griff, sich in den Sattel schwang und das Pferd ruckartig wendete, sodass es verschreckt wieherte und gleich einen Satz tat.
    Die Gesichtszüge seines Reiters waren starr, als er seine Fersen in die Seite des Pferdes rammte. Livianus! Wo steckte dieser Sohn einer Lupa?!
    "Das Domus Legatus Legionis Decimus Livianus - wo ist das?", belästigte er einen der Passanten, der befürchten musste, der junge Reiter würde ihm gleich an die Gurgel springen. Also zuckte der Passant nur schnell mit den Schultern und suchte das Weite. Maximian fluchte, ritt ein Stückchen weiter und suchte sich diesmal eine Frau aus der Menge und nicht wieder einen, der mehr wie ein betrunkener Herumtreiber wirkte.
    "Kannst du mir sagen, wie ich zum Domus Legatus Legionis Decimus Livianus komme?" Die Passantin musste ähnliches denken wie der andere Passant, hob jedoch den Arm und deutete in eine Richtung, ehe sie sich mit raschen Schritten vom aufgelösten Reiter entfernte. Alsdann gab Maximian dem Braunen die Sporen und jagde auf ihm in die angegebene Richtung.


    Der Gegenwind und immer wieder Ausweichmanöver, brachten ihn dazu nachzudenken. Was würde er tun, wenn er vor Livianus stand? Natürlich stand das nicht zu Debatte, er würde ihm ordentlich eine reinhauen, aber was dann? Würde er sich hinterher besser fühlen?


    Das Pferd verlangsamte.


    Ihm war bewusst, dass es ihm damit nicht besser gehen würde - und genau das schockierte ihn. Er konnte nichts tun. Nicht jetzt. Nichts würde ihm irgendetwas einbringen.


    Das Pferd blieb stehen.


    Das sollte es also gewesen sein? Nach einem knappen Jahr Beziehung mit Höhen und Tiefen hatte es so enden müssen? Obwohl selbst Miridius vor einigen Wochen sich damit bereit erklärt hatte, dem jungen Paar einen Weg zu weisen, wie es schlussendlich doch auch offiziell zusammensein dürfte?
    Maximian wollte und konnte es nicht verstehen. Er sah sich um und um ihn herum tobte das Leben in dieser germanischen Stadt, in der ihn nichts an die Heimat erinnerte. Germanien brachte ihm nur Unglück.


    Ruhig wendete er Nigidius noch einmal und ließ ihn dann den Weg zurücktrotten. Die Menschen sahen ihn verwundert an, als Pferd und Reiter den Tempelbezik passierten und schließlich die Stadt in Richtung Mogontiacum verießen. Und das Pferd trottete noch eine ganze Weile lang eintönig vor sich hin. Solange nämlich Maximians Kopf bis auf eines ganz leer war: Valerias Lächeln. Er sah es vor sich und es schien ihm, als müsse er nur die Hand austrecken und könne sie so erreichen.
    Es war eine Qual, die er beendete, als ihm das Herz so sehr schmerzte, dass er es am liebsten aus sich herausgeschnitten und weggeworfen hätte. Da er aber gar kein Messer zur Hand hatte, ließ er seine Wut und seinen Frust abermals am Pferd aus, das ihn so treu hierher getragen hatte.


    Das schlimmste für den jungen Decima war zu wissen, dass Valeria jetzt vielleicht schon in den Armen seines Großcousins lag, sich von ihm trösten ließ und er den beiden früher oder später entgegentreten musste. Seine Valeria. Es war einmal.

    Maximian schnaufte leise, als Valeria herumzustottern begann. Die letzten Wochen waren eine schreckliche Tragödie gewesen, die sich so nicht hätte ereignen müssen - oder zumindest nicht in ihren ganzen Ausmaßen. Dem war sich sicherlich keiner der beiden momentan schon bewusst, aber später einmal würden sie all das zusammenzählen und sich fragen, wie es so weit hatte kommen können.


    "Ich hatte all unser Reisegeld sparen müssen, um Romanus Abtransport nach Roma sicher zu stellen. Deswegen kein Brief.", antwortete Maximian und schluckte die überschäumenden Gefühle herunter. Er hatte nach Romanus' Tod ja kaum mehr genug Geld zum Überleben gehabt, so schwach wie er zu der Zeit selbst gewesen war.
    "Hätte ich einen Weg gesehen..... ich hätte euch eine Nachricht geschickt." Mehr konnte er dazu nicht sagen.


    Valeria sah ihn nicht mehr an und er ahnte, dass die Nennung desjenigen, dem sie jetzt "gehörte", einen Schalter bei ihm umlegen würde. Und dann nannte sie ihn tatsächlich. Mir seinem Vornamen konnte er wenig anfangen, es irritierte ihn nur, dass Valeria ihn extra nannte. Und dann folgte der Paukenschlag, indem sie ihm nicht irgendjemanden nannte, sondern einen, den er kannte. Einen, mit dem er verwandt war. Einen, der der Cousin seines Vaters war. Livianus.


    Nein., wollte er sagen, bekam aber kein Wort über die Lippen. Ungläubig schüttelte er kurz den Kopf, dann zogen seine Augenbrauen sich ein wenig zusammen, während er an Valerias Blick erkannte, dass sie ihm keinen Bären aufband.
    Das also war der neue Mann an Valerias Seite. Der, dem sie sich an den Hals geworfen hatte, während er ihr treu entgegenfiberte - im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Verwandter! Maximian schluckte, presste die Augenlider aufeinander und wandte sich rasch herum, weil er glaubte die Kontrolle über sich verlieren zu müssen, je länger er Valerias Blick ausgesetzt war und den Augen, denen er dereinst mehr vertraut hatte als allen anderen. Dann tat er einen Schritt, noch einen und wieder einen in die entgegengesetzte Richtung von Valeria, sodass er sich von ihr entfernte. Und doch hielt er nochmal inne und warf einen letzten Blick auf sie zurück.


    Warum nur, Valeria?


    Er wusste es da noch nicht wirklich, aber er hatte mir ihr abgeschlossen. Valeria war keine Frau, die ihre Entscheidungen ohne gründlcihe Überlegungen fällte oder sich einem Mann zur Seite stellte, den sie nicht wirklich liebte. Und das zu wissen, sagte ihm mehr als Tausend Worte und brach ihm ganz nebenbei noch das Herz.


    Sprachlos wandte er sich wieder herum und ging.

    Sie war ja so wütend auf ihn, dabei wusste sie nicht einmal die Hintergründe dafür! Ihre Wut auf ihn machte nun ihn wütend. Beinahe wäre er geplatzt, aber dass konnte er dann nochmal verhindern. Stattdessen sah er sich rasch um, weil er ungern Zuschauer haben wollte, wenn er sich mit seiner.... mit... Valeria stritt und die Beziehung damit gänzlich zerbrach. Danach sah es in diesem Moment zumindest aus.


    "Warum ich hierher gekommen bin? Mach die Augen auf, Valeria! Weshalb bin ich wohl hier? Etwa weil ich dir zu deinem neuen Glück gratulieren will?!" Er schnaubte und - ja, so konnte man es sagen - sah Valeria verärchtlich an. Jetzt bebte auch er, aber er sprach nicht sonderlich laut, sondern sehr scharf. "Kennst du mich denn nicht mehr? Ich weiß, ich habe dich in Tarraco enttäuscht. Aber im Stich gelassen habe ich dich nicht! Damals nicht und auch nicht jetzt. Und willst du wissen, weshalb nicht?", fragte er nach und hielt Valerias Blick stand. Er konnte es nicht verstehen, warum sie nicht gefragt hatte, weshalb er erst jetzt gekommen war und ihm einfach mal vorwarf, dass er treulos und feige war. "Weil ich bei deinem Bruder.... Romanus geblieben bin, als ein Fieber ihn langsam aber sicher schwächte und innerlich verbrennen ließ! Hätte ich ihn allein zurücklassen sollen, Valeria? Bei den Göttern, vielleicht hätte ich es getan, wenn ich gewusst hätte, dass unser Kind sterben sollte und du dir gleich den nächsten schnappen würdest!"


    Maximian konnte das alles nicht fassen, aber vorallem war er überrascht, dass er Valeria gegenüber so hart sein konnte. Mit starrem Blick sah er sie immer noch an, teilweise sich selber hassend, dann fuhr er sich mit der Hand über den Mund und wandte sich wieder ab, die Hände in die Seiten gestemmt und den Kopf schüttelnd.
    Was war nur aus ihnen geworden? Einst hatte sie nichts auseinander halten können. Und nun?


    "Wenn es dir so missfällt mich zu sehen, werde ich auf der Stelle zurück nach Mogontiacum reiten. Und ich hatte mir wirklich gewünscht, meine Eltern hätten sich getäuscht und du wärest in Sorge um mich beinahe krank, so wie ich das... so wie ich das an Romanus' Seite tagelang war, wenn ich an dich dachte und an all die Fehler, die ich in Tarraco gemacht habe."
    Er lächelte bitter und ließ die Arme aus den Seiten rutschen, Valeria noch einmal ansehend. Sie stand da wie ein Haufen Elend. Ein Haufen Elend, für den er immer noch so viel empfand, dass er lieber auf der Stelle gestorben wäre, als ohne ihn einmal in den Arm genommen und nochmal seinen warmen Duft gerochen zu haben davon zu reiten und sie dem zu überlassen, der ihn selbst aus ihrem Herzen verdrängt hatte.


    Beinahe hätte er sich losgerissen und wäre gegangen, da machte er noch einmal seinen Mund auf. "Wer ist es, der jetzt all das richtig machen kann, was ich dir schuldig geblieben bin?", fragte er mit schwächelnder Stimme und einem verräterischen Glitzern in den Augen, während sein Herz schneller pochte, als es das jemals zuvor getan hatte.

    Er hörte nur, was hinter sich vorging. Eine ganze Weile lang regte er sich nicht, sah nicht, wie Valeria sich auf den Altar stützte. Erst als das Schluchzen hörbar wurde, regte er sich etwas. Dabei sah er nicht gleich zu ihr, sondern verharrte nochmal einen Moment und sah dann langsam zu ihr.


    So wie sie jetzt standen, war die Situation der beiden. Zwischen ihnen lag so viel, das sie auf Distanz hielt. Da waren keine positiven Gefüle mehr, wo man hinsah, erblickte man nur Schmerz und Kälte und Verbitterung und Ablehnung und Trauer in Gestalt eines Menschen, den man liebte. Maximian liebte Valeria, aber er wusste, dass es andersrum nicht mehr der Fall sein konnte.


    Er atmete tief durch und stand auf. Ihn überkam das Bedürfnis, Valeria tröstend in die Arme zu nehmen, wie in alten Zeiten. Er ging einige Schritte auf sie zu, dann erstarb dieses Gefühl. Es war, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. So sehr er es auch wollte, er konnte Valeria nicht trösten. Sie leibte ihn nicht mehr, sondern einen anderen, wenn stimmte, was seine Eltern ihm erzählt hatten. Einfach so. Es mochten einige Monate vergangen sein, in denen Maximian und sie weit voneinander entfernt gewesen waren. Aber konnte das tatsächlich ausreichen? Waren Monate in der Liebe sonst nichts weiter als Kieselsteine?


    "Wer ist er?", fragte er unvermittelt, denn er wollte von Valeria hören, dass es da tatsächlich jemand anderen gab.

    Ihre Reaktion erschrak ihn. Er sah sie verwirrt an und war ihr einen Schritt gefolgt, als sie vor ihm zurückgewichen war, war dann jedoch stehen geblieben und hatte sie verdutzt angesehen. Ihr Blick war es, der ihm durch Mark und Bein ging. Sie sah ihn an, als wäre er bereits tot gewesen oder jemand, vor dem sie große Furcht haben müsste. Er wusste nicht welche der beiden Vorstellungen ihm mehr schmerzen konnte.


    Und dann fragte sie ihn, warum er jetzt hierher kam. So wie sie es sagte, hörte es sich jedoch an, als würde sie ihn fragen, warum er überhaupt herkam. Warum? War es um ihre Beziehung so schlecht gestellt, dass sie sich das nicht mal mehr denken konnte? War sie wütend auf ihn? Freute sie sich denn kein bisschen ihn wieder zu sehen?


    Er wusste ihre Reaktion rein gar nicht einzuschätzen und war erneut einige Augenblicke komplett sprachlos, stand wie angewurzelt auf der Stelle. Sein Kopf war während dieser Augenblicke leer, aber dann zwang er sich nachzudenken. Was konnte er ihr sagen? Er wusste es nicht. Jetzt nicht.


    Der junge Mann schluckte, ließ den Blick suchend sinken. Er suchte etwas, an dem er sich festhalten konnte, denn Valeria schien in diesem Moment alles andere als sein Fels in der Brandung.
    "Ich...", begann er und stockte sogleich wieder, schließlich doch wieder aufsehend. Er seufzte - es brachte ja alles nichts. "Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass es... dass es mir leid tut. Ich habe bereits vom Tod... unserer Kindes gehört." Wieder schluckte er und sah Valeria an, die Arme schlaff zu jeder Seite seines Körpers herunterhängen lassend. Er wurde sich bewusst, dass er Valeria jetzt nicht dazwischen sprechen lassen durfte und so redete er gleich weiter. "Es tut mir so leid. Wenn ich das geahnt hätte.... ich.... Ich wäre rechtzeitig da gewesen, das verspreche ich dir. Ich frage mich warum, aber die Götter haben mir auf der Reise zu dir einen großen Stein in den Weg gelegt. Um ein Haar wäre ich.... jetzt nicht hier, sondern bei unserem Kind."


    Maximian machte eine kurze Pause und sah Valeria an. Wie nahm sie das Gesagte auf? Sollte er jetzt von Romanus Tod berichten? Sollte er schweigen? Beides beantwortete er sich mit einem klaren Nein, wandte sich von Valeria ab und sah wieder in die untergehende Sonne. Es war an der Zeit, die Karten offen auf den Tisch zu legen. Damit wollte er gleich beginnen und ahnte, dass sie damit ohne weiteres anknüpfen würde.


    "Wie ich gehört habe, hat sich in deinem Leben aber noch etwas anderes getan." Seine Stimme war plötzlich ganz anders geworden. In DEINEM Leben. Einst war er ein Teil davon gewesen, aber jetzt war alles anders. Es war ein Stich ins Herz, als er sich dem gewahr wurde, auch wenn er hätte wissen müssen, dass es früher oder später so kommen musste. Er war in den Wochen vor Valerias Abreise nicht der gerwesen, der er eigentlich hätte sein müssen.

    Der Ort war befremdlich, auch wenn er im Tempelbezirk stand, umringt von Altaren und Götterbildern. Womöglich lag das allein daran, dass er sich hier und jetzt, mit dem, was ihm bevorstand, keineswegs wohl fühlte. Er würde Gewissheit erlangen. Gewissheit, die er zwei Tage lang auf sich hatte warten lassen. Was seine Eltern ihm erzählt hatten, hatte er nicht ohne weiteres glauben wollen oder können. Er wusste, dass sie gegen die Verbindung ihres Sohnes mit einer vermeintlichen Cousine gewesen waren. Aber traute er tatsächlich ihnen zu, dass sie ihm deshalb so übel mitspielten? Nein. Weder wäre er auf diese Idee gekommen, als Meridius ihm davon kurz nach seiner Ankunft erzählt hatte, noch als Iulia es ihm bestätigt hatte.


    Da stand er nun. Er hatte etwas abgenommen, wirkte trotz der heißen Tage, die sich dereinst über die Menschen legte wie eine dicke, warme Decke, blass. Selbst seine Haltung war eine andere geworden. Er hüllte sich in das Licht der untergehenden Sonne, sah beinahe direkt hinein und dann wieder weg.


    Endlich hörte er Schritte hinter sich, deren Art er meinte zu kennen. Jemand kam näher und blieb unweit von ihm stehen und sprach ihn mit jener Stimme an, die er auf seiner langen Reise so häufig vermisst hatte: Valerias Stimme. Ihr klang war so vertraut, dass dem Wartenden unmittelbar ein Lächeln auf die bis eben starren Gesichtszüge trat, gleichzeitig begleitet von einem eisigen Schauer, der ihm den Rücken hinunterglitt. Er wartete beide Empfindungen ab, dann wandte er sich langsam zu der Sacerdos Decima Valeria herum, den Blick anfangs noch gesenkt, dann aber anhebend und die junge Frau ansehend.


    Hunderte Male hatte er sie schon so angesehen. Nicht hier, aber daheim. Gleich wurde das befremdliche Gefühl, das ihn schon ergriffen hatte, als er den Tempelbezik betreten hatte, noch stärker. Sie hatte sich verändert. Und es waren nicht diese kleinen, unwichtigen Veränderungen wie eine neue Haarfrisur oder eine andere Farbe auf den Lippen. Natürlich hatte sie sich verändert, aber sie war immer noch so wunderschön, wie er sie zuletzt in Tarraco gesehen hatte, am Tage ihrer Abreise. Er hatte sich nicht von ihr verabschiedet, jedenfalls nicht an diesem Tag. Aber er hatte ihrer Abreise zugesehen, wo sie ihn nicht hatte entdecken können.


    "Salve, Valeria.", begrüßte er sie und lächelte, denn er freute sich sie wiederzusehen.

    Maximian nahm also auf dem rechten der beiden Stühle platz, seufzte und fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. Der sichere Hafen war immer die Heimat, und auch wenn das, Germania, Mogontiacum, das Domus Legati Augusti, nicht die wahre Heimat war, so hatte es der Plan zu einer zweiten machen sollen. Er ließ die Hand fallen und sah seine Mutter an, lächelte.


    "In erster Linie, dass ich nicht dabei war, als meine Mutter mit meinem Vater vermählt wurde." Jetzt, da so viel Kummer auf seinem Herzen ruhte, hätte er sich gerne in dieses große Ereignis versetzt, um die Freude zu erleben. "Ich hatte euer Geschenk bei mir und hätte es mit Romanus zusammen so gern überreicht. Es hat einfach nicht sein sollen."


    Der junge Mann schluckte einen dicken Kloß herunter. Es fiel ihm schwer, angesichts einer traurigen Nachricht seinem Vater gegenüber stark zu bleiben. Aber Iulia gegenüber kam es einer Herausforderung gleich, die erstmal genommen werden wollte. Sicher hatte sie bemerkt, wie bitter und abwesend der Blick ihres Sohnes geworden war. Er hatte die Trauer um seinen Adoptivbruder bislang nicht zugelassen und doch musste die Begegnung mit dem Tod für einen noch so jungen Menschen wie ihn eine schwere Lektion gewesen sein.

    Maximian nickte dankbar und zustimmend, ein ruhiger Ort würde vielleicht auch ihm innerlich wieder etwas Ausgewogenheit zurückgeben. So hoffte er zumindest.


    "Das ist besser. Lass' uns gehen." Wie als hätte er das so schon immer getan, ließ er seine Mutter sich bei ihm einhaken. Er hatte das in Tarraco oder Roma häufiger beobachten können, wie andere Söhne einflussreicher Eltern das so und mit gestrecktem Kreuz taten. Letzlich hatte er sich diese Geste einverleibt, immerhin war er jetzt ein Mann.


    Schweigsam ließ er sich dann von Iulia zu ihrem Cubiculum führen.

    Es dauerte nicht lang, da hörte er leise Schritte näher kommen und wandte sich seiner Mutter zu. Er lächelte ebenfalls und ging zu ihr, um sie in die Arme zu schließen.


    "Salve, Mutter. Ich bin ja so froh dich wieder zu sehen.", sagte er, löste die Umarmung und legte je eine Hand auf die Schultern Iulias. Recht deutlich überragte er sie um ein gutes Stückchen an Köperlänge. "Gut siehst du aus", sagte er nach einer Weile, in der er sie genaustens gemustert hatte, ganz charmant und ließ dann die Hände wieder sinken, den Kopf schüttelnd.


    "Nein, kein Hunger. Später vielleicht." Wie verdächtig! Er lächelte auch schon nicht mehr ganz so fröhlich, das Herz war ihm schwer. "Wollen wir uns setzen? Ich möchte dir gerne erzählen, weshalb ich erst so spät ankomme und... ich möchte einfach mit dir reden. Hast du ein wenig Zeit für mich?"

    Die Hochzeit seiner Eltern hatte er verpasst. Und nicht nur dieses wichtige Ereignis, sondern dazu anscheinend auch noch eine ganze Reihe anderer Geschehnisse, über die ihn Meridius informiert und die den jungen Mann in ferne Gedanken gestürzt hatten. Über sie hatte er sich auf dem Weg vom Officum des LAPP zum Domus verlaufen, sodass er noch eine Idee länger unterwegs gewesen war, als er vorgehabt hatte sich Zeit zu lassen.


    Aber dann hatte er schließlich zurück auf den rechten Weg gefunden, das Domus erreicht und angeklopft, woraufhin er eingelassen wurde. Er bat darum, dass man seine Mutter herholte und verbrachte die Wartezeit, indem er nachdenklich durch das Atrium lief und in die abgehenden Zimmer sah, sofern das möglich war, um sich ein erstes, einfaches Bild des neuen Zuhauses seiner Eltern zu machen.

    Zitat

    Original von Maximus Decimus Meridius
    Meridius nickte. Im Moment wusste er sowieso nicht, was er seinem Sohn noch sagen sollte und aufhalten war wohl die schlechteste aller Lösungen. Sollte er ersteinmal ein wenig Luft schnappen und dann bei seiner Mutter vorbei sehen. Vielleicht wüsste diese einen Rat.



    Maximian war seinem Vater dankbar dafür, dass er nicht irgendetwas Unnützes sagte, wie es wohl viele andere getan hätten. Der Jüngere nickte dem Älteren zu und wandte sich mit einem "Bis später", herum, um an die Luft zu treten.


    Sie hatte überlebt. Er wollte schon erleichtert aufatmen, aber dann folgte schon der nächste Schock. Etwas in ihm weigerte sich das alles zu glauben. Es hörte sich ja fast so an, als hätte sie ihn einfach fortgewischt. Augenblicklich war er ganz durcheinander.


    "Ich werde sie besuchen.", stellte er fest und stand auf, als wolle er gleich aufbrechen. Wollte er nicht, aber er konnte einfach nicht mehr still sitzen. "Ja, das werde ich. Und jetzt.... werde ich zu Mutter gehen, wenn du nichts dagegen hast."


    Maximian sah seinen Vater kaum mehr an, aber das lag nicht an ihm, sondern viel mehr daran, dass der junge Mann frische Luft brauchte.