Beiträge von Decima Lucilla

    Zitat

    Original von Marcus Vinicius Hungaricus
    What the Hell????? Was zum Henker habt ihr da gemacht?


    Alles fing ganz harmlos an mit einem Opfer für Mutinus Titinus (Priapus, im Bild im Vordergrund) ... dann folgte das für Bacchus (im Bildhintergrund zu sehen) und dann nahm der Abend unweigerlich seinen Lauf ... bis zu den Opfern für Mars in später Nacht ... schließlich die gemeinsame Anrufung von Apollo, Merkur und Iuno ... und dann ... nun ... das bleibt besser unter denen, die es erlebt haben ...


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    Würde Lucilla ahnen, wie nahe möglicherweise die Rettung durch die Classis ist, vielleicht würde sie einfach das wirklich delikate Essen genießen, sich zurück lehnen und ein wenig gepflegte Konversation treiben - soweit das mit einem Piraten möglich ist. Doch Lucilla hat keine Lichter an der Küste vor Augen und auch nicht die sich in der dunklen Nacht mit Wind füllenden Segel der Triere Ulpia. Sie hat nur Wochen in der Gegenwart von Kapitän Quintus Tullius vor Augen und seine fadenscheinige Erklärung will ihr einfach nicht einleuchten. Natürlich handelt sie auch manchmal aus einer Laune heraus und natürlich gibt es in ihrer gewohnten Umgebung Menschen, die sich durch ihre Launen leiten und manchmal auch verleiten lassen. Aber doch nicht wenn es um ein Menschenleben geht. Und schon gar nicht darf das sein, wenn es um ihr Leben geht. Genau genommen wäre die Vorstellung, dass Tullius einer Laune nachgibt, die in jedem Moment wieder umschlagen kann, einfach zu beängstigend. Sie mustert den Kapitän, als sie durch den Piraten unterbrochen werden, der das Essen bringt, und sie beobachtet auch den Piraten ganz genau. Dann verfolgt sie still, wie Tullius das Essen verteilt und nippt zwischendurch vorsichtig an ihrem Wein.


    "Vielleicht, könnte, vermutlich ... für dich mögen diese vagen Überlegungen ausreichen. Aber vergiss nicht, du spielst hier mit meinem Leben und ich halte es daher nicht für unsinnig herausfinden zu wollen, was genau deine Absicht ist. Wenn du dieses Leben leid bist, dann solltest du damit aufhören. Das Imperium ist groß und so schlecht das auch sein mag, aber es wäre für dich ein leichtes, dich in irgendeiner Provinz abzusetzen." Lucilla zuckt die Schultern und lacht freudlos. "Wahrscheinlich könntest du sogar mitten durch Rom spazieren, ohne dass irgend etwas geschehen würde." Der Gedanke gefällt Lucilla wirklich nicht, doch sie ist nicht so naiv, nicht zu wissen, dass es wohl tatsächlich so wäre. Sie nimmt den kleinen Löffel und löst ein bisschen von dem Hummerfleisch aus der Schale. Den ersten Bissen drückt sie mit der Zunge an den Gaumen und erfreut sich am Geschmack des weichen Fleisches. Nach dem Hummer testet sie das etwas zähere Krakenfleisch. Der Koch auf diesem Schiff versteht sein Handwerk.


    Durch den Wein schon etwas gelockert, winkt Lucilla mit dem Löffel ab. "Ich stelle dich in Frage seit mich ein rüpelhafter Seemann in eine Kajüte geschubst und mich angefleht hat, mich zu verstecken. Und dass ich es tue weißt du seit dem Zeitpunkt, seit ich dir mein Schild ... ich meine, seit ich eine Schüssel nach dir geworfen habe. Vielleicht kann ich mich bemühen, es nicht ganz so offensichtlich zu tun, immerhin erkläre ich mich bereit, dir keine weiteren Flüche um die Ohren zu werfen und ich werde mir das auch mit Schüsseln verkneifen. Aber allein meine Anwesenheit hier ist eine große Infragestellung deiner Person und das weißt du genau. Meiner Person im übrigen auch." Das klingt fast schon etwas schnippig. "Niemand außer mir garantiert dir, dass ich den Fluch lösen werde. In diesem Fall sitze ich wohl am längeren Ruder, auch wenn es das einzige ist, das ich noch in der Hand halte. Aber du kannst dir sicher sein, dass ich zurück in Rom wenig Interesse haben werde, mein Leben weiter mit dem deinen verbunden zu halten. Selbst wenn nicht, da ich nicht vor habe sehr bald zu sterben, wäre es für dich nicht einmal ein Unterschied."


    Dass Tullius Name der Classis bekannt sein soll und dass dieses Schiff einst Teil der römischen Flotte war, das erstaunt Lucilla doch und sie versucht dieses Erstaunen dadurch zu verbergen, dass sie sich intensiv mit ihrem Stück Scholle beschäftigt. Auf der einen Seite würde sie gerne glauben, dass es unmöglich ist, dass die römische Flotte nicht alle Piraten einfängt, sobals sie auf ein Schiff stößt. Auf der anderen Seite ist es auf dem Meer sicher nicht anders, als auf dem Land. Wenn das mit dem Einfangen, Einnehmen und Schlagen der feindlichen Truppen so einfach wäre, dann wäre ihre Familie längst wieder in Hispania oder Rom. "Das mit den Austern macht nichts, es werden auch wieder andere Zeiten kommen." murmelt sie beinahe gedankenverloren und meint dabei weniger ihn, als sich selbst. Sie isst einige Stücke von dem köstlichen Fisch, trinkt einen Schluck Wein und stützt ihren Kopf dann nachdenklich auf ihre Hand. Soll das tatsächlich möglich sein, dass Tullius mehr Römer ist als sie selbst? Möglicherweise hat er seinen Nomen gentile einfach ausgelöscht? So wie sie selbst in den letzten Tagen. "Hispania, ich stamme aus Hispania. Doch ich habe mindestens ebensoviel Zeit meines Lebens in Rom verbracht wie in Tarraco, wenn nicht sogar mehr." Lucilla blickt auf und mustert Tullius unverholen, doch ohne, dass ihr dies wirklich bewusst ist. "Aber um ein Römer zu sein gehört mehr dazu, als in dieser Stadt geboren zu werden. Piraten sind keine Römer."

    Es ist unfassbar. Sie verhandelt um ihr Leben, sie ergibt sich in dieses furchtbare Schicksal und er lacht einfach! Wenn es etwas gibt, das Lucilla zur Weißglut bringt, dann ist das, wenn sie nicht ernst genommen wird. Denn das hat sie schon als jüngstes Kind in der Familie viel zu oft ertragen müssen. Doch was nützt alles sich aufregen.
    "Die Starken herrschen nur über die Schwachen, weil es immer genug Männer gibt, die sich als die Starken aufspielen müssen. Es ist überall das gleiche, da hast du recht, hier auf dem Meer wie in Rom. Ich habe nie verstanden, warum. Wahrscheinlich werde ich es auch nie verstehen, denn das einzige Schicksal, das auf diese ach so starken Männer wartet ist der frühe Tod. So war es bei Alexander, bei Hannibal, bei Caesar, so war es bei allen starken Kaiser und so wird es auch bei dir sein." Und bei ihren starken Decima würde es auch so enden.


    Dass Tullius nicht dem fleischlichen Vergnügen fröhnen will, das beruhigt Lucilla etwas, auch wenn sie ihm nicht glaubt. Ein Mann der ständig auf dem Meer unterwegs ist, umgeben von Männern ... Lucillas Blick wandert zu Dardashi und sie mustert ihn neugierig. Ob er etwa ...? Immerhin würde das einiges erklären. Sie nimmt das Ei, beißt ein Stück ab und kaut. Sie kaut sehr lange und wie ihre Zähne das Essen zermahlen, mahlen auch die Gedankenmühlen in ihrem Kopf. Er will sie nicht über Bord werfen, das ist schonmal gut. Er will sie nicht wieder in den engen Käfig sperren, das ist auch gut. Er will kein Geld für ihre Freiheit, das ist schlecht. Er will nicht ihren Körper für ihre Freiheit, das ist gut. Was genau er will, das versteht Lucilla noch immer nicht, vor allem nicht, warum. Sie glaubt, dass jeder Tag, den sie länger hier an Bord bleiben würde, die Situation für sie nur noch gefährlicher machen würde. Trotzdem wäre es vielleicht gut, Zeit zu schinden. Irgendwann muss dieses Schiff in irgend einen Hafen einlaufen. Ihre Chancen wären dann größer, wenn sie mehr oder weniger frei herumlaufen könnte, als wenn sie in dem Käfig verharrten müsste.


    Sie schiebt den Rest Ei in ihren Mund und kaut weiter. Dann allerdings schluckt sie es recht schnell herunter. "Wieso? Was bringt dir das? Du willst nicht mein Geld und du willst nicht meinen Körper. Aber was soll ich hier auf deinem Schiff? Und was passiert hinterher? Du sprichst von ein paar Wochen. Und dann? Was wirst du dann mit mir tun? In ein paar Wochen werde ich viel sehen, Quintus Tullius. Du bist nicht dumm, du würdest mich nicht einfach gehen lassen. Was also hätte ich mir erkauft mit diesen Wochen?"


    Sie nippt nochmal an dem Wein. Schlecht ist der nicht. "Im Übrigen glaube ich nicht, dass du ein Römer bist. Aber es gibt ja auch außerhalb der römischen Bürgerschaft Menschen, die manierlich sind. Die Drohungen können wir uns also gerne sparen, auch die unangenehmen Begebenheiten." Diese würden eh nur sie treffen. "Und ich sehe von weiteren Flüchen ab, sie wären ja sowieso sinnlos. Allerdings werde ich den bereits gesprochenen nicht lösen. Hier auf dem Schiff geht das eh nicht. Außerdem ist er das einzige, das mein Leben soweit garantiert, du verstehst das sicher. Doch solange du deinen Teil dieses Handels einhälst, solange brauchst du dir schließlich keine Gedanken darum zu machen."

    Jede ruckhafte Bewegung schreckt Lucilla auf, so auch als Tullius aufsteht. Eigentlich ist der ganze Tag nur eine einzige Anspannung. Selbst wenn sich Lucilla nach außen hin etwas lockerer gibt, so erwartet sie im Inneren doch ständig, dass irgendetwas passiert. Dass sich Dardashi mit einem Säbel auf sie stürzt, dass Tullius ihr ein Messer in den Bauch rammt, dass ein Pirat durch die Tür stürmt und ihr den Kopf abschlägt, selbst die einfältige gallische Vorstellung dass ihr der Himmel auf den Kopf fällt scheint ihr nicht mehr so abwegig wie früher. Sie verfolgt Tullius mit ihren Blicken, die schließlich auf den Truhen voller Schätze kleben bleiben. Irgendwo hier sind vermutlich auch ihre Einkäufe aus Germania, wenn sie nicht mit dem Handelsschiff bis auf den Grund des Meeres gesunken sind. So wie Ambrosius. Armer Ambrosius. Im ersten Augenblick ist vielleicht noch mehr als Sorge und Bedauern in Lucillas Blick. Ein Hauch von Gier, ganz zart, aber doch nicht zu leugnen. Wie die Frau eines Senators oder hohen Patriziers zu leben, das ist es auch, was Lucilla immer verfolgt hat, zumindest seit den Tagen, seit sie zu Großtante Drusilla nach Rom gekommen ist und von ihr in das Spiel um Ansehen, Macht und Geld eingeführt wurde. Ist sie so viel anders als er? Was wäre geschehen, wenn die Decima nicht so viel Einfluss gewonnen hätten und ein Senator für Lucilla nur mehr als angemessen ist? Was, wenn sich keine mächtigen Männer für sie interessiert hätten? Wäre sie über Leichen gegangen, um in anderem Fall an einen heranzukommen, an Geld, an Macht, das Leben einer echten Römerin? Das Schicksal hat ihr zum Glück andere Wege bestimmt und wahrscheinlich wäre Lucilla vor Gram eingegangen, doch ein kleiner Rest von Zweifel bleibt bestehen solange man das hintergründige Glühen in ihren Augen sieht, deren Blicke über Tullius Schätze schweifen.


    'Nichts!' Das ist ziemlich wenig, was Lucilla bieten kann und die Erkenntnis ist ernüchternd. Um Zeit zu schinden widmet auch sie sich dem Ei, doch ihr Appetit rückt merklich in den Hintergrund ihrer Aufmerksamkeit. Drohen? Meridius würde Tullius bis ans Ende der Welt jagen, wenn sie ihn darum bittet. Nein, wahrscheinlich müsste sie nicht einmal darum bitten. Als wären ihre Gedanken nicht ständig völlig unpassend, wird Lucilla auf einmal klar, dass sie tatsächlich die Letzte ist, die Meridius von seinen Geschwistern geblieben ist. Würde sie nicht mehr zurückkehren und es würde auch nur der kleinste Verdacht bestehen, dass Piraten ihre dreckigen Finger im Spiel haben, dann würde er ausziehen, jeden Hafen umdrehen und das ganze Mare Internum umwühlen, bis jeder einzelne Pirat an einem Kreuz hängt. Ja, Lucilla ist davon überzeugt, dass er dazu in der Lage wäre. Doch wenn sie nun ihren Namen nenen würde, dann hätte sie jegliche Macht darüber verloren, so wie Quintus Tullius über den seinen.


    Die Entscheidung nimmt der Kapitän ihr selbst ab, indem er ihr ein Angebot unterbreitet. Als er sich etwas näher zu ihr beugt, weicht Lucilla instinktiv unmerklich zurück. Sie blickt ihn aus großen Augen an, als er von ihr die Aufhebung des Fluches verlangt. Danach ... bei den Göttern! Ist es das? Einige Wochen Gesellschaft? Einige Wochen! Lucilla erwidert Tullius Blick mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. Sie mag ein wenig einfältig sein in dieser Hinsicht, doch dumm ist sie nicht. Ihr Körper ist ihr tatsächlich neben ihrem Leben auch noch geblieben. Von ihrer Mutter schon früh zu Bescheidenheit ermahnt, hat Lucilla nie nachvollziehen können, warum dieser Körper auf Männer so anziehend wirkt. Doch dass er wirkt hat so mancher bewiesen. Sollte Quintus Tullius ebenfalls nur so einfach gestrickt sein? Womöglich gehört das zu seinem Plan? Womöglich nimmt er sich von jedem Schiff eine Frau mit, lässt sie erst tagelang in dem engen Loch darben, damit sie verzweifelt und sich ihm in seiner Güte an den Hals wirft? Und nach einigen Wochen? Wenn er mit ihr fertig ist? Dann wirft er sie doch noch über Bord zu den Fischen.


    Lucilla lächelt. Es ist das Lächeln der Verzweiflung. Der Wal würde sie nicht wieder Lebend ausspucken. Er würde sie kräftig durchkauen, durch seine Verdauung jagen und sich hinterher der ungenießbaren Reste entledigen. Ihre Stimme wird hart.
    "Wenn ich den Fluch aufhebe, was bleibt mir dann noch? Nichts. Du willst meine Gesellschaft haben? Nimm sie dir, Quintus Tullius, so wie du dir alles nimmst. Brauchst du mein Einverständnis für dein schlechtes Gewissen? Ich glaube nicht, denn ich glaube nicht, dass du überhaupt eines hast. Ich werde hier an Bord bleiben und tun, was du sagst, denn welche Wahl habe ich schon? Doch meinen freien Willen wirst du nicht bekommen. Und wenn ich am Boden liege, zerfetzt von deinem Säbel weil dir mein Anblick keinen Spaß mehr bereitet, und sich mein Leben aus dieser Welt löst um hinüber ins Elysium zu ziehen in die Arme meiner Ahnen, dann werde ich wissen, dass dein Leben sich mit mir auflöst, doch dass auf dich kein Elysium wartet, keine Ahnen, welche dich in ihren Kreis aufnehmen. Denn auf dich wartet nur endlose Qual, Quintus Tullius, bei den Göttern des Infernos, du wirst verdammt sein auf ewig an deinem Reichtum und deiner Macht zu ersticken, nur um sie wieder zu erbrechen um sie erneut zu verschlingen!"


    Lucilla greift nach dem Glas und stürzt einen großen Schluck Wein hinunter. Der Schmerz in ihrer Kehle, die Hitze, die in ihren Kopf steigt sollen ihr nur recht sein. Hatte sie auch nur einen winzigen Augenblick geglaubt, lebend aus diesem Alptraum zu entkommen, so sind alle Hoffnungen mit diesem Essen verflogen. Quintus Tullius ist genau das, was er ist, ein grausamer Priat, und vielleicht ist sie doch Decima genug um sein widerwärtiges Leben durch ihres zu beenden. Denn bleibt ihr eine andere Wahl?

    Alles Gute zum Geburtstag, Avarus!


    Eigentlich wollte ich dir Glück und Gesundheit wünschen, aber mit letzterem wird es wohl ab diesem Lebenszeitalter nichts mehr. Darum wünsche ich dir neben Glück einfach noch viele nützliche Geschenke. (Aufbewahrungsbox für die dritten Zähne, Gehstock, Notizblock gegen beginnende Vergesslichkeit, Stützkissen, Lupe zum Lesen, Rheumapflaster, ...)


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    Hehe, und den Rest gibts eh morgen.


    :D

    "Ich bedaure, Quintus Tullius, doch da irrst du dich. Flüche sind noch weitaus mächtiger, wenn sie an einen Namen gebunden sind." Sie lehnt sich nun schon ein wenig entspannter zurück und nimmt einen tiefen Schluck aus dem Weinglas. Da Lucilla jedoch sehr stark verdünnten Wein gewöhnt ist, zieht dieser tiefe Schluck ordentlich ihren Hals hinab. Ihre Augen weiten sich und da sie bemüht ist, ihren Fehler hinter dem Glas zu verstecken und den Mund geschlossen zu halten, statt wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft zu schnappen, steigt ihr das Wasser in die Augen. Blinzelnd stellt sie das Glas auf den Tisch und atmet tief durch die Nase ein. Jetzt nur nicht rot werden.


    Zum Glück sorgt der Einäugige für eine kurze Ablenkung als er das Essen hereinbringt. Lucilla spürt, wie ihr das Wasser im Mund zusammen läuft. Hat sie heute Mittag noch geglaubt, kaum etwas herunter zu bekommen, so merkt sie jetzt, wie sich ihr Appetit regt als ihr der Duft des gebratenen Fleischs in die Nase steigt. Doch die Nase und auch der Gaumen müssen warten. Und nun passiert es doch. Die edle Kette vor Augen, die nun ihren Hals zieren soll, steigt Lucilla die Röte in die Wangen und sie schlägt beschämt die Augen nieder. Was ist das nur für ein Mann, der am einen Tag Frauen wie Vieh abschlachtet und ihrer Schätze beraubt, um diese am anderen Tag an eine Gefangene weiter zu schenken? Vermutlich ist er einfach nur größenwahnsinnig, fühlt sich wie ein Gott, wie derjenige, der entscheidet wer stirbt und wer lebt, wie die griechischen Götter im Spiel um Troja. Das schlimmste daran ist, in seinem begrenzten Aktionsraum hat er damit sogar recht. Zögernd nimmt sie die Kette entgegen, darauf bedacht, die Hand des Kapitäns nicht zu berühren.
    "Die Erlaubnis sei dir gewährt, allerdings nur, weil heute Saturnalia sind." Noch immer ohne aufzuschauen legt sie sich die Kette um den Hals und kommt sich vor, als würden Pflastersteine daran hängen. Wer weiß schon, von welchem blutigen Hals er sie gerissen hat, oder welchen Kopf er abgerissen hat, um die Kette vom Hals zu nehmen. Ein leichter Schauer durchzuckt ihren Körper.


    Dardashis Spiel vertreibt die düsteren Gedanken ein wenig, denn nichts daran erinnert an das grausame Leben, das er auf diesem Schiff führt. Betont beiläufig zupft Lucilla eine Falte des Kleides zurecht und beschließt schnell zur Sache zu kommen. Wer weiß, wie lange sie noch dazu fähig ist, bevor sie entweder dem Wein erliegt oder dem Kapitän. Sie schaut auf und ihr Blick ist wieder fest. Einmal tief durchatmen.
    "Es gibt tatsächlich etwas, was ich mit dir besprechen möchte. Lass uns offen miteinander reden, Quintus Tullius. Wir haben beide ein Problem und das hängt mit meiner Person zusammen. Deine Mannschaft ist unruhig in meiner Gegenwart, sie sieht es nicht gerne, dass ich an Bord bin, nicht wahr? Sie könnten zu unruhig werden und sich zu etwas hinreißen lassen, was nicht gut für mich wäre; und damit auch nicht gut für dich, denn noch ist mein Leben an das deine gebunden." Schon will sie wieder zu dem Glas greifen, stockt aber im letzten Moment und zieht ihre Hand wieder zurück. Sie braucht einen klaren Kopf, wenn es zur Verhandlung kommen soll. Also wendet sie ihren Blick wieder auf den Kapitän.


    "Ich kann auch nicht sagen, dass ich deine Gastfreundschaft hier an Bord sehr genieße, vor allem die vergangenen Tage waren ein wenig ... nennen wir es unbequem, selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass wir uns auf einem Schiff befinden. Darum kann ich meinem Aufenthalt hier ebenfalls nicht viel abgewinnen. Es sollte also in unser beider Interesse liegen, dass ich dieses Schiff verlasse - und zwar lebend. Doch ich sehe natürlich ein, dass deine Mannschaft an deinem Leben alleine womöglich nicht genügend Interesse hat. Wer weiß, vielleicht wären sie ja sogar froh, dich los zu sein, wo sie doch nichteinmal deinen Namen ohne Furcht nennen können. Da komme ich ja eigentlich gerade recht. Mich haben sie schnell über Bord geworfen und bin ich ersteinmal erledigt beginnt der Fluch zu wirken und du gehst von Götterhand ganz wie von selbst ein." Sie stockt und schaut ihn erstaunt an. "Eigentlich wäre das ein ziemlich guter Plan, nicht wahr? Aber nun gut, mir nützt dein Tod nichts." Wobei sein Tod wahrscheinlich den von hunderten anderen Menschen verhindern würde. Doch Lucilla ist nicht Decima genug, um sich heroisch für das Wohl der Menschheit aufzuopfern. Wahrscheinlich würde eh nur der nächste Pirat kommen und Tullius Platz einnehmen und dann wäre alles umsonst. So, wie schon viel zu viele Decima völlig umsonst für eine heroische Sache gestorben sind, die Lucilla nie verstehen wird.


    "Ich bin daher bereit, für meine Freiheit aufzukommen, für die Unkosten und Mühen, die ihr mit mir hattet. Ich bin nicht gerade wohlhabend, doch es gibt viele Möglichkeiten für eine Frau an Geld zu kommen. Nenne mir deinen Preis und ich werde dafür sorgen, dass du das Geld erhälst, und ich im Gegenzug meine Freiheit und die des Jungen."

    Als die Aegypterin mit all dem Tand in Lucillas Kabine einzieht, staunt diese nicht schlecht. "Das soll ich anziehen?" Sie blickt auf das kostbare Kleid, hin und hergerissen zwischen Begeisterung, Ablehnung und böser Vorahnung. "Was wird das? Ich meine, das wird doch nicht ein ... also ... das ist doch nur ein ... oder nicht?" Sie nimmt das Kleid von Tetischeri entgegen und hält es betrachtend in den Schein der Öllampe. "Woher ...? Nein, nein, ich will es gar nicht wissen." Sie seufzt. "Gut, ich werde es anziehen." Ihr Ton wird gönnerhaft. "Was bleibt mir schon übrig?" Als hätte es Lucilla je gestört, schöne Kleider zu tragen. Eigentlich ist es eh nur angemessen. Nur weil sie auf einem Piratenschiff, umgeben von stinkenden, dreckigen, rohen Männern ist, muss das noch lange nicht an ihrem Geschmack ausgelassen werden. Hat sich Lucilla nach dem Säubern und Kämmen am früheren Tag wie ein neuer Mensch gefühlt, so fühlt sie sich wie die edelste Dame des ganzen Reiches, als sie die Kabine verlässt. Natürlich ist sie das auch, wer wollte auf diesem Schiff, ja sogar auf dem Mare Internum schon mit ihr in Konkurrenz treten?


    Sie folgte Tetischeri und hält unwillkürlich die Luft an, als die Tür vor ihr geöffnet wird. Erleichterung durchströmt sie, als Dardashi öffnet, sie würde also nicht mit dem Kapitän alleine sein, zumindest noch nicht. "Guten Abend, Dardashi." Sie lächelt formvollendet und tritt ein, als wäre dies nur ein weiteres Gastmahl in irgendeiner der edlen Villen Roms. Lucilla blickt sich neugierig in der Kajüte um, in der Höhle des Ungeheuers und sie kann nicht verhindern, dass die vielen Schätze und die zauberhafte Stimmung sie tatsächlich beindrucken. Doch ihr Blick bleibt sehr schnell an ihm hängen, an der geraden Gestalt, deren Ränder im flackernden Lich ein wenig zu verwischen scheinen. In dieser Umgebung, in seiner kostbaren Gewandung und im weichen Licht der Kerzen sieht der Kapitän gar nicht mehr so furchterregend aus. Doch Lucilla strafft die Schultern und hebt stolz den Kopf. Sie würde sich nicht von irgendwelchen Äußerlichkeiten täuschen lassen, nicht von ihm, nicht von schönen Worten oder feinem Essen. Sie ruft sich den Anblick Gavias vor Augen, deren Körper durchbohrt von einem Schwert auf die Planken fällt, die Augen in Entsetzen geweitet, den Anblick Hectors mit der großen, blutenden Wunde quer über den Oberkörper, und sie stellt sich Ambrosius am Grund des Meers vor, aufgedunsen zu einer unschönen Wasserleiche. Bei den Göttern! Das hat sie ja noch gar nicht bedacht. Ambrosius würde umkommen vor Entsetzen, wenn er seine Leiche erblickt! Nein, natürlich nicht, er ist ja schon tot. Lucilla hat sich noch nie groß Gedanken darüber gemacht, was mit den Geistern der Sklaven geschieht, doch sie ist sich sicher, dass diese ebenfalls in eine Art Elysium einziehen. Doch Ambrosius würde ganz sicher als Lemur enden und sich bis in alle Ewigkeit darüber grämen, wie sein Körper im Tod aussieht. Ein vernichtender Blick trifft Tullius. Dies ist der Mann, der Ambrosius zu einem rastlosen Wanderer zwischen den Welten verdammt hat und sie hofft, dass der Geist ihres Sklaven jede Nacht kommen würde, um ihn heimzusuchen. Würde sie auch nur den geringsten Zweifel hegen, so reicht allein das Bild von Ambrosius furchtbarer Wasserleiche, um sie in die Realität zurück zu bringen.


    Die Musterung des Kapitäns entgeht Lucilla nicht und sie erwidert seinen Blick offen. "Guten Abend, Kapitän." Sie setzt sich auf die Kline und bleibt angespannt sitzen. Als Tullius ihr den Wein einschenkt, kommt ihr der Gedanke, dass sie diesen Tag womöglich nur aufgrund der Saturnalien erleben darf. Der Herr bedient die Sklaven, oder auch die Gefangenen. "Danke, ich kann mich kaum beklagen." ... ohne den Kopf zu verlieren. Andererseits hat sie außer ihrem Kopf nicht mehr viel zu verlieren, somit ist es eh schon egal. "Gestatte mir eine Frage. Hast du auch einen Namen? Oder werde ich meinen Enkeln in ferner Zukunft Schauermärchen vom Kapitän erzählen müssen, der so grausam war, dass man nichteinmal seinen Namen nennen konnte, ohne, dass man gleich tot umfiel? Zumindest wagt es hier an Bord niemand ihn zu nennen, und das muss immerhin sein Gründe haben." Sie nimmt das Weinglas in die Hand und stellt anerkennend fest, dass es sich um ziemlich kostbares Glas handelt. Wie kommt dieser Mann nur zu solchen ... nein, eigentlich will sie es lieber nicht wissen.

    Nachdem Lucilla die Tür hinter sich geschlossen hat blickt sie auf das merkwürdige Leben herab, das ihr geblieben ist. Tetischeri hat die Schüssel mit frischem Wasser zurück gelassen, auch die Öle stehen noch aufgereiht auf dem Tisch, neben den Haarspangen liegt der Teller mit Brot, daneben steht der Krug mit verdünntem Wein. Lucilla hebt ihre Hand und streicht sich müde über die Stirn. Heute Morgen noch war sie in ihrem dunklen Käfig erwacht und heute Abend würde sie mit dem Kapitän des Schiffes speisen. Womöglich würde er sie sprichwörtlich verspeisen.


    Das Schiff unter ihr, um sie herum schwankt und Lucilla setzt sich müde auf die mit Kissen bedeckte Koje. Prüfend fährt sie über die feinen Stoffe und lächelt müde. Nichts geht über ein richtiges Bett, da helfen auch keine noch so weichen Kissen. Genausowenig, wie sie die Frau eines Legionärs werden würde, würde sie die Frau eines Seemannes werden. So schön das Reisen auch sein mag, sie würde nicht zulassen, dass Avarus sich jemals in die See verliebt. Ganz davon abgesehen, ob sie überhaupt je wieder mit dem Schiff reisen wollte. Nach der furchtbaren Übefahrt in einem Herbststurm der letzten Jahre hatte es eine ganze Weile gedauert, bis sie wieder mit ruhigem Magen über das Meer fahren und es genießen konnte. Doch dieses mal ... würde sie diese Erfahrung je vergessen können? Andererseits, wie alt ist sie nun? Auf jeden Fall schon zu alt, um es laut zu denken. Aber in all den Jahren hatte sie nie Probleme mit Piraten. Wahrscheinlich würde sie sich nicht vom Mare Internum abhalten lassen. Vorausgesetzt, sie würde überhaupt je wieder von ihm herunter kommen.
    "Ins Meer hinein, ins Meer, in seine schwerelose Tiefe, wo die Träume sich erfüllen ..."


    Sie faltet den Überwurf sorgfältig zusammen und legt ihn an das Kopfende der Koje. Dann löst sie die Bänder der Sandalen und zieht mit einem schweren Seufzen ihre Füße auf das Bett. Die Harpyia schaukelt beruhigend, der leichte Wind trägt sie sanft über die Wellen und Lucilla kommt sich vor wie in einer Nussschale im Badebecken. Wann hat sie wohl das letzte Badebecken gesehen? Wenn heute die Saturnalia sind, ganz egal welcher Tag, dann hätte sie längst Rom erreichen müssen. Doch es würde sie niemand vermissen. Die Erkenntnis trifft sie wie ein Blitz. Es würde sie niemand vermissen. Keiner erwartet sie in Rom. Es ist nicht einmal jemand da, den Meridius in einem Brief fragen würde, ob sie gut angekommen ist. Vielleicht würde er einen Brief nach Rom an sie senden, doch niemand würde es seltsam finden, dass dieser vor ihr ankommt, niemand würde ihn öffnen um zu lesen, dass ihre Ankunft in Rom erwartet wird. Und bis Meridius bemerken würde, dass keine Briefe mehr von ihr kommen, kann es lange dauern. Wer weiß schon, ob er überhaupt noch Briefe von ihr erwartet? Avarus würde bemerken, dass sie nicht angekommen ist. Natürlich, er würde seine Sklaven vermissen, Hermes und Hector die gemeinsam mit Ambrosius in Neptuns Reich das goldene Zeitalter feiern. Doch wie lange würde es dauern, bis er sich anfängt Sorgen zu machen? Und selbst wenn er feststellt, dass sie in Massilia abgefahren doch nie in Ostia angekommen ist, was sollte er schon tun? Eine Frau im Imperium Romanum zu suchen, das ist wie eine Nadel im Heuhaufen, vor allem, wenn die Nadel auf einem Boot schaukelt, das nicht gefunden werden will. Lucilla rollt sich auf der Koje zusammen und starrt an die hölzerne Wand. Sie braucht einen Plan für das Zusammentreffen mit dem Kapitän, einen möglichst guten Plan. Einen dunklen Plan, schwer, wie eine samtene Decke, oder leicht wie diffuser Nebel, der sie einhüllt, umhüllt, warm wie ein feiner Sommerregen in Tarraco und flauschig weich wie die Wolle frisch geschorener Lämmer ...


    Schwere Schritte und ein derber Fluch reißen Lucilla später aus einem traumlosen Halbschlaf. Erschrocken setzt sie sich auf und starrt in den Raum hinein. Die Erkenntnis, wo und was sie ist, überkommt sie wie all die letzten Tage mit einem Schaudern. Irgendwer hat die Öllampe in der Kajüte entzündet und es ängstigt Lucilla, das irgendwer hier ein und aus gehen kann, ohne dass sie es bemerkt. Ein Blick hinauf zu dem kleinen Fensterloch zeigt, dass es draußen bereits dämmert. Eilig steht sie auf und streicht die Tunika glatt. Ihr Plan - sie hat überhaupt keinen Plan! Unruhig reibt sie sich den Halbschlaf aus den Augen. Jetzt ist es eh zu spät. Sie greift wahllos nach einem Fläschchen mit Öl, riecht daran und reibt sich ein wenig davon zwischen Hals und Schulter. Dann steckt sie routiniert ihre Haare nach oben. Umständlich versucht sie in der Oberfläche des Wassers in der Waschschüssel ihr Spiegelbild zu erkennen, gibt allerdings bald schulterzuckend auf. Was macht es schon für einen Unterschied, ob sie aussieht wie eine Hexe? Der Kapitän erwartet immerhin eine.


    Sie greift nach dem Brot und dem Wein und blickt sich unschlüssig um. Dann kniet sie sich vor den Tisch hin. "Große Göttin, bitte halte Deine schützenden Hände über mich. Du hast mich so lange nicht aufgegeben, lass nicht zu, dass er mich nun zu sich holt. Ich weiß, dies ist wenig, doch es ist mehr, als ich momentan habe und ich bitte Dich es anzunehmen, als mein Dank. Du weißt, ich habe Dir immer meine Versprechen gehalten und ich werde Dir in Rom danken, wie es Dir gebührt." Sie gießt den Wein in die Schüssel, die noch immer voll Wasser ist und legt schließlich das Brot hinein. Beides wird so auf jeden Fall ungenießbar für die Mannschaft und geht damit hoffentlich über Bord und erreicht die Götter auf diesem Weg.

    Mit einem sehnsuchtsvollen Blick folgt Lucilla dem großen Meeresbewohner, der immer wieder in der Tiefe verschwindet, nur um dann ein Stück weiter aufzutauchen und ab und an seine Wasserfontänen in die Luft schießen zu lassen. Die Männer und ihr Kriegsgerät interessieren sie nicht, denn sie weiß, wie lange sich Männer intensiv mit so etwas beschäftigen können. Das fängt schon in der Kindheit an, bei den Decima zuhause war es genau so. Anstatt den wirklich interessanten Dingen im Leben nachzugehen, wie zum Beispiel den Stoffen auf dem Markt, ein paar neuen Schuhen oder einer neuen Puppe, so wie Lucilla, ihre Schwestern und Cousinen, gehen auch kleine römische Jungen im Spiel mit Lanzen und Holzschwertern auf, so wie ihre Brüder und Cousins. Und wie römische Damen wie Lucilla auch später den günstigsten und edelsten Stoffen nachjagen, bleiben die römischen Männer an Schwert und Lanze in der Legion hängen, wie ihre Brüder und Cousins, während nichtrömische Männer auf Piratenschiffen mit Ballisten auf Fässern schießen. Wieder kommt Lucilla der Gedanke, dass die Welt einfach überall gleich ist, egal ob in Rom, Germania oder mitten auf dem Meer.


    Lächelnd mustert sie Dardarshi. Sogar Philosophen gibt es in dieser kleinen, grausamen Welt. "Was für ein Mensch warst du, bevor du zu einem schlechten Piraten geworden bist?" Sie geht nicht näher darauf ein, ob sie den Parther damit für einen schlechten Mensch oder einen unfähigen Piraten hält, denn genau könnte sie es wahrscheinlich selbst nicht sagen.


    Hinter Lucilla surren die Seile, klatschen die Fässer und brüllt der Kapitän. Die Routine, die durch den Verlauf der Übung aufgebaut wird, ist beinahe beruhigend, auch wenn Tullius Tonfall für Lucilla wenig vertrauenserweckend ist. Ihr Kopf leert sich, bis nur noch das sanfte Schaukeln des Schiffes, das leichte Zupfen der Brise an ihrem Haar und das wunderbar weite, wogende Meer in ihren Gedanken sind. Doch der Schein trügt und schließlich holt sie Dardashis Ankündigung zurück in die Realität. "Er läd mich ein? Das hast du sehr nett ausgedrückt, auch wenn ich bezweifle, dass es so ist." Der Seemann macht auf Lucilla immer mehr den Eindruck, als wäre er ein Filter für den Kapitän. "Doch ich will nicht so sein, richte ihm aus, dass ich überaus erfreut bin und mich geehrt fühle, den Abend in seiner Anwesenheit verbringen zu dürfen." Ihre Stimme trieft vor Sarkasmus. Welche Wahl hat sie schon, als sich von diesem Wal verschlucken zu lassen? Obwohl sie lieber an Deck auf den Kapitän getroffen wäre, als ihm alleine in seiner Kajüte gegenüber zu treten. Schon die Vorstellung bereitet ihr Furcht und es würde sicher einiges an Mühe kosten, den Anschein der bösen Hexe aufrecht zu erhalten.


    Der Wind scheint ihr auf einmal kalt um die Ohren zu wehen und sie fröstelt. "Ich möchte wieder nach unten." Sie wendet sich ab und strebt der Treppe hinab zu, doch dieses mal wartet sie, bis Dardarshi ihr folgen kann. "Ich werde mich noch ein wenig ausruhen. Obwohl ich nichts getan habe in den letzten Tagen, habe ich das Gefühl, als hätte ich Steinbrocken Berge hinauf gerollt nur um dabei zuzusehen, wie sie auf der anderen Seite wieder hinabrollen." So ählich ist das Gefühl tatsächlich gewesen als sie in dem dunklen Käfig wieder und wieder von Furcht und Angst übermannt worden ist. Immer, wenn sie eingeschlafen und der grausamen Welt entkommen ist, ist sie letztenendes nur wieder in ihr erwacht. Die Aussicht auf die herrlich weich aussehenden Kissen in Dardarshis Raum ist zu verlockend, um sich nicht noch ein wenig darauf auszustrecken, da es eh nichts anderes für sie zu tun gibt.


    Bevor Lucilla am Ende des Ganges die Tür öffnet, wendet sie sich zu dem Pirat um und Besorgnis und eine Spur Furcht liegt in ihren Augen. "Hat er es überlebt? Der Mann, der vom Wal verschluckt wurde?"

    Missbilligung liegt in dem Blick, den Lucilla Tullius entgegnet, und eine kleine Spur von Erheiterung. Bei dem großen Spielzeug, das er sich da angeschafft hat, scheint er ziemlich viel kompensieren zu müssen. (:D)
    Prüfend tippt sie mit ihrem Fuß gegen die Bleikugel, wendet ihren Blick jedoch ab, als der Verletzte an ihr vorbei geht. Sein Gemurmel versteht sie trotzdem. Nur die Gewissheit, dass dies ihr momentan einziger Vorteil ist, hält sie davon ab ihm eine bissige Bemerkung hinterher zu rufen. Zum Glück taucht Dardarshi im nächsten Moment auf und bietet ein optimales Ziel für ihre Laune. "Ich habe noch nie einen Mann zu meinem Schutz gebraucht. Ich werde auch in Gefangenschaft nicht damit anfangen."


    Nach einem letzten Blick zum Kapitän hin, der schon wieder mit seinem Spielzeug beschäftigt ist, folgt Lucilla dem Piraten am Seitendeck entlang. "Ich liebe das Meer, schon immer. Nichts ist nur gut oder nur schlecht, auch das Meer nicht." Sie steigt umständlich über die Taue und an ein paar Fässern vorbei. Wie die Männer in diesem Chaos hausen und auch noch arbeiten können ist ihr schleierhaft. Aber was kann man von Piraten schon anderes erwarten? Das System und die Effizienz, mit der alles an Bord abläuft, bleibt Lucilla völlig verborgen. Und da sie auch weiterhin die Blicke der anderen Seemänner meidet, bleibt ihr auch Ambrosius verborgen. "Das, was Neptun sich nimmt, das gibt er hundert- und tausendfach zurück. Ich bin am Meer aufgewachsen, ganze Städte leben von den Reichtümern des Mare Nostrum. Rom wäre niemals so groß geworden ohne das Meer. Denn auch wenn die römische Flotte schon immer nur mäßig war, der Seeweg hat den Legionen viel Mühe erspart, mal ganz von den vielen Handelswaren abgesehen, die schnell und günstig über das Mare Internum segeln."


    Lucilla merkt nicht, dass sie anfängt gesprächig zu werden. Das ist schon immer eine ihrer größten Schwächen gewesen. "Für den Preis, für den ich fünfzig Blöcke Marmor aus Pula über den Landweg nach Rom transportieren lassen kann, kann ich die doppelte Menge einmal um ganz Italia herum schiffen lassen. Und nichts ist so dazu fähig den Geist zu beflügeln, wie das Meer. Ich habe bisher fast jede Fahrt darüber genossen." Sie blickt zu den kreischenden Möwen am Himmel. Das Festland kann nicht mehr weit sein. "Bis auf diese." murmelt sie leise und denkt an das Unwetter zurück, welches sie auf der Fahrt nach Caesarea überrascht hatte. Selbst ein Unwetter ist besser als Piraten. Ein Unwetter zieht vorbei oder es reißt einen noch am gleichen Tag in die Tiefe. Doch diese Piraten stellen sich als völlig unberechenbar heraus.


    Ihre herumschweifenden Gedanken werden durch Dardashis Entedeckung unterbrochen. Lucilla reckt sich, um mit dem Blick seiner ausgestreckten Hand zu folgen. Staunend blickt sie auf das tiefblaue Wasser hinaus, wo der Wal seine Bahnen zieht. "Ich habe noch nie einen Wal gesehen!" Ihre Augen weiten sich freudig. "Er ist so riesig!" Mit halb göffnetem Mund folgen ihre Augen der Kreatur Neptuns, dann jedoch blickt sie unschlüssig zu dem Priaten. "Sollte das Schiff nicht abdrehen? Ich meine, wird er nicht ... das Schiff angreifen?" Obwohl Lucilla natürlich weiß, dass Wale normalerweise nicht angriffslustig sind, schüchtert sie die Größe des Tieres doch ein. Es erinnert sie eher an die großen, gefräßigen Seemonster, um welche die Fischer an den Stadtfesten in Tarraco ihr Seemannsgarn spinnen.

    Ein Stück Fleisch findet noch seinen Weg in Lucillas Mund, dann wird die Tür geöffnet. Der merkwürdige Zauberer Dardarshi betritt den Raum. Noch immer weiß Lucilla nicht, was sie von ihm halten soll. Trotz seines wüsten Aussehens scheint er nicht an Bord zu passen. Die Männer bringen ihm Respekt entgegen, obwohl er kaum gegensätzlicher zu ihnen sein könnte und sie fragt sich wirklich, was es ist, das ihn tatsächlich an dieses Schiff bindet. Aufmerksam beobachtet sie die Verbundenheit, die zwischen ihm und der Sklavin herrscht, bis er sie anspricht.


    "Bona Saturnalia?" Lucillas Mund öffnet sich leicht und ihre Augen weiten sich in fragendem Entsetzen. Die Saturnalia! Erschrocken schlägt sie eine Hand vor den Mund und presst diesen fest zusammen, um dem erstickten Laut, der sich in Freiheit kämpfen will keine Chance zu lassen. Sie hat so viele Pläne für das Fest gehabt. Nachdem sie Ambrosius im letzten Jahr ein grauenhaftes Mahl zubereitet hatte, wollte sie sich in diesem Jahr helfen lassen und ihm die schönsten Saturnalien bereiten, welche er je erlebt hat. Doch es ist zu spät, er würde nie wieder Saturnalia feiern. Eine Träne kullert aus ihrem Auge, die sie eilig fort wischt. Es bleibt in der kleinen Kabine nicht viel, wohin sie ihren Blick wenden kann, darum heftet sie ihn auf das restliche Fleisch. "Bona Saturnalia, Ambrosius." flüstert sie beinahe lautlos. "Bitte verzeih mir."


    Wut steigt in Lucilla auf, unbändige Wut und sie richtet ihren herausfordernden Blick auf Dardarshi. In ihren Augen liegt ein schimmernder Glanz, hervorgerufen durch die unsichtbaren Tränen. "Der Kapitän tut gar nichts, nicht wahr? Du bist es, der all das hier erreicht." Sie umfasst den Raum, ihre Kleidung und das Essen mit einer ausladenden Handbewegung. "Er ist ein Monster, ist es nicht so? Er fürchtet mich nur, weil meine Worte ihn dorthin zurück schicken werden, woraus er hervorgekrochen ist, in die tiefsten Winkel des Orcus!"


    Energisch steht sie auf. "Ich möchte ihm ins Gesicht sagen, was für ein Scheusal er ist und ich möchte ihm die Augen auskratzen." Ihre Worte sollen das letzte sein, was er fürchten solle, oh ja, er würde die rohe Gewalt einer Decima zu spüren bekommen. Sie atmet tief durch und ballt ihre Hände zu Fäusten, um ihr unbändiges hispanisches Temperament zu mäßigen. Dardarshi trägt keine Schuld. Womöglich eine Teilschuld, doch die Wurzel allen Übels ist der Kapitän. Und selbst, wenn sie zu Tetischeri Vertrauen gefasst hat, der Pirat steht in irgendeiner Verbindung zu seinem Kapitän und es wäre besser, nicht allzu offen mit ihm zu sein. Noch einmal atmet sie tief durch und lächelt dann mehr schlecht als recht. "Entschuldige, diese Enge macht mich noch wahnsinnig. Fürs erste möchte ich tatsächlich gerne ein wenig an die frische Luft." Besser jetzt, solange die Männer noch am Essen sind, als später, wenn sie alle an Deck sind. Schon nimmt sie den Überwurf vom Bett auf und ist an der Tür. "Mein Name ist Lucilla." Da sie noch nicht sicher ist, ob ihre Gens ihr mehr Vorteile oder mehr Schwierigkeiten bringen würde, hat sie sich dafür entschieden, sie vorerst nicht zu erwähnen.


    Als sie die Tür öffnet verschwindet die beruhigende Vorstellung, ihr Quartier könnte irgendwo anders sein, als auf einem Schiff. Zielstrebig geht sie durch den dunklen Gang die Treppe hinauf, um endlich hinauf ins Tageslicht zu gelangen, als könne sie dadurch die Umgebung von sich abschütteln. Ob Dardarshi ihr folgt oder nicht ist ihr gleich. Er hat das Leben in den Eingeweiden eines Schiffes für sich gewählt, sie nicht. Lucilla achtet darauf, keinen der Piraten denen sie begegnet direkt anzusehen, dabei ihren Blick jedoch nicht abzuwenden, sondern einfach von ihnen keine Notiz zu nehmen. An Deck blickt sie über das Schiff, auf der Suche nach dem Kapitän. Der Pirat hatte immerhin gesagt, sie dürfte überall hin gehen.

    Lucilla schaudert, als die laute Stimme des Kapitäns durch das Schiff halt. Diese Stimme würde sie wahrscheinlich noch auf Monate hinaus in ihren Alpträumen verfolgen. Vorausgesetzt, sie würde noch so lange leben. Verständnislos schüttelt sie den Kopf. 'Blutschuld' - das ist wie die hochheilige Verpflichtung gegenüber dem Imperium, ein Konzept, das nur Männer in ihrer verquerten Vorstellung von Pflicht und Ehre nachvollziehen können. Lucilla hat schon lange aufgegeben, es verstehen zu wollen, doch darüber aufregen kann sie sich immer wieder, vor allem, wenn es ihre Familie betrifft. Ein wenig gleicht das Konzept dem des Fluchs, auch dieser bindet einen an ein Schicksal. Wahrscheinlich ist es sogar ein Fluch, nur dass die Männer viel zu einfältig sind, um dies zu erkennen und um auf die Idee zu kommen, ihn zu lösen. Großtante Drusilla hat immer gesagt, Flüche sind Frauensache, und hätten die Frauen Roms ein Interesse daran, so würden sie längst offen die Geschicke des Reiches lenken. Doch irgendwie muss man die Männer bei Laune halten und so geschieht es nur verborgen. Lucilla seufzt. Manchmal scheint Rom so kompliziert und dann stellt sich heraus, dass es zwischen dem Zentrum der Welt und einem Piratenschiff im Grunde gesehen keinen Unterschied gibt. Plündern, Morden, Rauben - ist es das nicht, was die Feinde Roms auch den Römern vorwerfen? Wieviele Senatoren werden wohl von Gier getrieben?


    "Africa ..." murmelt Lucilla leise und voller Sehnsucht, während der Kamm durch ihr Haar fährt. Westsüdwest, das würde sie von Massilia aus nach Mauretania führen, nach Caesarea vielleicht, die farbenprächtige, blühende Handelsstadt in deren Nähe der schönste Marmor des ganzen Reiches abgebaut wird. Dort, wo sie mit Avarus in marmornen Palästen residiert und gespeist hat. Dort, wo Africa so voller Leben, Fruchtbarkeit und Schönheit und die Wüste weit entfernt ist. Doch es ist zweifelhaft, dass dieses Schiff dort einlaufen wird. Eher in einer kleinen Bucht, abgeschieden und fern von den größeren Häfen. Dennoch, wenn es ihr gelingen würde, von dort zur Küstenstraße zu gelangen und mit irgendeinem Reisenden - wenn es sein müsste sogar auf einem Pferd oder Kamel - bis nach Caesarea ... Das Poltern des Seemannes, der das Essen bringt, reißt Lucilla aus allen Überlegungen. Unmerklich hält sie bei seinem Gestank die Luft an, bis er die Tür wieder geschlossen hat.


    Nach dem Fraß der letzten Tage kommt Lucilla das einfache Mahl wie ein Festtagsessen vor. Wahrscheinlich ist ein Stück Fleisch das für die Verhältnisse an Bord auch, doch im Normalfall würde Lucilla dieses Essen kaum anrühren. "Hast du Hunger? Iss mit mir, ich bin eh so ausgehungert, dass ich kaum die Hälfte davon runterbekommen werde." Sie bedeutet Tetischeri sich zu setzen, nimmt das Stück Brot und teilt es. Während sie auf dem ersten Bissen herum kaut, denkt sie über die Worte der Aegypterin nach.


    "Falls du mit irgendwem sprichst, dann sag ihnen, dass mein Leben mit dem des Kapitäns verbunden ist. Wenn sie mich dem Meer übergeben, so werden die Götter auch nach ihrem Kapitän verlangen und mit ihm nach dem gesamten Schiff und seiner Mannschaft. Siehst du, so einfach ist das. Die mächtigsten Zauber sind jene, die man mit seinem eigenen Leben bezahlt und derjenige, der nichts mehr außer diesem zu verlieren hat, der ist mächtiger, als alle Kaiser, Könige und Kapitäne der Welt zusammen."


    Es ist Lucilla aufgefallen, dass Tetischeri den Namen des Kapitäns nicht erwähnt, doch sie fragt nicht weiter nach. Sie würde es früh genug erfahren, wenn überhaupt. "Ich muss trotzdem mit ihm sprechen." Wenn die Situation an Bord tatsächlich so ist, wie die Aegypterin sagt, dann müsste der Kapitän daran interessiert sein, sie wieder los zu werden und zwar lebend. Diese Chance muss Lucilla nutzen, möglichst bevor die Mannschaft zu meutern beginnt oder der Kaptiän es sich anders überlegt. Die Möglichkeit zur Rache würde sie ihnen kaum bieten können, doch vielleicht würde etwas Reichtum ausreichen.

    Es ist beinahe wie zuhause. Beinahe jedoch nur, denn die Furcht sitzt Lucilla trotz allem im Nacken und sie weiß genau, dass sie wachsam und jeder Schritt gut überlegt sein muss. Als das Wasser im Raum und die Waschschüssel auf dem Tisch ist, löst Lucilla die Verschlüsse, welche ihr arg geschundenes Oberkleid an den Schultern zusammenhalten. Der Stoff flattert träge an ihrem Körper herab und legt sich um ihre Füße. Nachdem sie auch die lange Tunika ausgezogen und achtlos zu Boden fallen gelassen hat, schiebt Lucilla den Kleiderhaufen mit einem Fuß zur Tür weg und greift nach dem Schwamm. Die junge Aegypterin hat derweil Wasser in die Schüssel gegossen.


    "Du brauchst keine Furcht zu haben. Meine Flüche treffen nur bösartige Männer wie den Kapitän dieses Schiffes." Sie lässt offen, ob damit nur die Sklavin oder auch Dardarshi vor dem Zorn der Götter verschont bleiben. Mit dem Schwamm und dem herrlich heißen Wasser beginnt Lucilla ihr Gesicht zu reinigen, dann auch ihren Oberkörper. Obwohl ein heißes Bad noch viel angenehmer wäre, könnte sich Lucilla in diesem Augenblick fast nichts vorstellen, was schöner sein könnte, als das warme Wasser auf ihrer Haut. "Was hält Dardarshi hier an Bord? Ist es der Kapitän? Wie ist sein Name?" Sie streicht den Schwamm über ihre Hüften und wischt den Dreck der letzten Tage hinfort. Bis Lucilla bei ihren Füßen ankommt, hat das Wasser schon eine leicht hellbraune Färbung angenommen.


    Prüfend hält Lucilla einen Finger in den Kupferkessel. Das Wasser ist noch heiß, jedoch nicht mehr zu heiß. Kurzerhand beugt sie sich vornüber und lässt ihre Haare in den Kessel hineinfallen. Mit den Fingern zieht sie prüfend durch die Haare hindurch und nachdem sich der Dreck im Wasser gelöst hat ist es weniger schlimm, als sie vermutet hat. Mehrmals fährt sie sich durch die Haare und wringt sie immer wieder über dem Kessel aus, bis sie das Gefühl hat, dass sie zumindest einigermaßen sauber sind. Ein wenig schüchtern reicht ihr Tetischeri ein Tuch, um sich zu trocknen, in der anderen Hand noch immer unschlüssig den Kamm haltend. Ihren Körper tupft Lucilla nur kurz ab, dann reibt sie ihre Haare halbtrocken und richtet sich lächelnd auf. Es ist immer wieder erstaunlich, doch eine Schüssel mit Wasser kann tatsächlich einen neuen Menschen hervorbringen.


    Die Sklavin lässt Lucilla weiter ersteinmal unbeachtet im Raum stehen. Sie hat gelernt für sich selbst zu sorgen und die letzten Tage hatten sie gelehrt, wie wichtig das ist. Vorsichtig nimmt sie das Töpfchen Balsam in die Hand und schnuppert daran. Dann streicht sie mit ihren Fingern hindurch und reibt sich schließlich mit der weichen Masse ein. Wenn es ihr schon geboten wird, so wird sie nicht sparen. Erst als sie die Piholen nacheinander aufnimmt, öffnet und an ihnen riecht, spürt Lucilla langsam wieder die kühle Luft um sich herum. Sie stellt die Phiolen ab, nimmt die Tunika auf und schlüpft schnell hinein. Es handelt sich um einen sehr feinen Stoff und schon will sie Tetischeri fragen, wie diese Männer an solche Kleider kommen. Doch die Frage bleibt ihr im Hals stecken und ein Bild der einstigen Besitzerin steigt in ihr auf: das Bild einer bleichen Frau, umfangen von Seetang und der Strömung des Meeres, die Augen weit geöffnet und doch nie wieder sehend. Fest nimmt sich Lucilla vor, sich nicht von all dem Luxus blenden zu lassen. Dieses Schiff bleibt ein Schiff voller blutrünstiger Männer. Da sie die Aussicht der Besitzerin des Kleides zu folgen ein wenig schwindlig werden lässt, setzt sich Lucilla eilig auf den Stuhl und blickt zu der Aegypterin auf. "Wenn du mir helfen würdest." Sie deutet auf den Kamm. "Zumindest, bis die gröbsten Knoten gelöst sind ..." Sie legt ihren Kopf schief, so dass die junge Frau den Kamm leichter durch die langen Haarsträhnen bekommen würde. "Folgen diese Männer einem Ziel? Wohin fahren wir? Und was ... was hat er mit mir vor?"

    Lucilla nickt schwach, obwohl sie noch immer nicht an ihr weiteres Überleben glaubt. Wieviel Mühe hat der Kapitän schon mit ihr gehabt? Einmal hinüber aufs Schiff getragen und in ein Loch gesteckt hat er sie. Dreckigeres Wasser als den Tiber hinabfließt und einen Fraß, den in Rom nichteinmal Schweine bekommen hat er ihnen vorgesetzt. Er hat die Menschen auf dem Handelsschiff abschlachten lassen wie Vieh, wer weiß schon, was so ein krankes Hirn mit ihnen vor hat? Vielleicht hat er sie nur am Leben gelassen, um sie auf hoher See an die Kreaturen des Neptun zu verfüttern. Doch die Worte des Piraten lassen sie stutzen. Ihre Augen weiten sich für einen Moment in Erstaunen. Der Fluch, er hat tatsächlich gewirkt. Ihr Leben ist nun unweigerlich mit dem des Kapitäns verbunden und er weiß das. "Bona Dea!" Noch immer erstaunt blickt sie Aeddan hinterher, den der große Priat davon trägt.


    Auch, als sie dem hinkenden Piraten die Treppe hinauf folgt, kann sie noch immer nicht glauben, was passiert. Der Weg hinauf in die Sonne erscheint ihr trügerisch und bis an Deck erwartet sie jederzeit ein Messer in ihrem Rücken oder an ihrem Hals. Doch es passiert nichts und als sie endlich auf den Planken steht hebt sich ihr Blick sehnsuchtsvoll in den Himmel. Tief zieht Lucilla die frische Luft in ihre Lungen, die Brise spielt an ihren zerzausten Haaren und die Sonne scheint warm auf sie hinunter. Sie schließt die Augen und es scheint, als wolle sie den Kapitän imitieren, doch Lucillas Gedanken sind weit fort. Die warmen Strahlen streichen ihr über das Gesicht und machen es möglich, alles um sie herum zu vergessen. Selbst, als sie die Augen wieder öffnet scheint das Piratenschiff weit fort zu sein, denn in ihren Blick drängt sich der überaus gut gebaute nackte Körper eines Mannes. Würde noch in diesem Augenblick ein Schwert an ihrer Kehle verharren, Lucilla könnte ihre natürliche Reaktion auf dieses Bild nicht unterdrücken. So kommt es, wie es kommen muss, wie es immer kommt. Deutlich färben sich Lucillas Wangen unter den Spuren des Drecks in einem leichten Rotton. Selbst als der nackte Körper schon verschwunden ist, kann sie kaum ihren Blick vom Achterdeck abwenden während sie Dardarshi wie durch einen Traum über das Schiff folgt. Es ist nichteinmal so sehr die Nacktheit des Körpers, welche Lucilla so empört, sondern eher die Tatsache, dass der Kapitän so ungeniert auf seinem Schiff herumsteht, während Damen an Bord sind. Hat sie auch nur für einen Augenblick geglaubt, ihren Status als Gefangene verloren zu haben, so macht ihr dies deutlich, dass dem nicht so ist.


    Noch bevor Lucilla sich weiter umsehen und möglicherweise Ambrosius entdecken kann, verschwindet sie schon wieder in den Eingeweiden des Schiffes. Die ihr zur Verfügung gestellte Kajüte beeindruckt sie tatsächlich und stürzt sie wieder in Verwirrung über ihren Status an Bord. Bevor Dardarshi die Tür hinter sich schließen kann, dreht sich Lucilla eilig um und gibt ihm ein ehrliches "Danke!" mit auf den Weg.


    Dann steht sie in der Kajüte, unschlüssig und noch immer verwirrt. Sie traut sich nicht, sich irgendwo hin zu setzen, aus Sorge, dass der Dreck, der an ihr haftet alles überziehen würde. Ihre Finger berühren die Öllampe, welche weit davon entfernt ist, als einfaches Stück zu gelten. Luxus scheint auf diesem Schiff alltäglich, zumindest was die Unterkünfte der Passagiere betrifft. Sie schließt die Augen und spürt die Kühle des Metalls auf ihrer Haut und eine Träne findet den Weg aus ihrem Auge. Blinzelnd tritt Lucilla an das kleine Fenster und versucht irgendetwas in der Ferne zu erkennen. Doch weit und breit ist nur See zu sehen, wie der Pirat es gesagt hat. Obwohl ihre Familie zu den landverbundenen Pferdezüchtern Hispanias gehört kann Lucilla schwimmen. Die vielen Tage am Strand von Tarraco hatten dies mit sich gebracht. Doch es ist mehr ein Herumgepaddel im Wasser. Mit einem nicht allzu fernen Ziel vor Augen würde sie womöglich eine etwas längere Strecke durchhalten, doch hier auf dem offenen Meer gäbe es nichts was sie erwartet, außer Neptuns Land.


    Erschrocken fährt sie herum, als die Tür wieder geöffnet wird. Doch es ist kein hässlicher Pirat und auch nicht der arrogante Kapitän, der kommt um ihr den Kopf abzuschlagen, sondern eine Sklavin. Im ersten Moment will sie ihr ausreden, sie 'Herrin' zu nennen, da sie genau so eine Gefangene ist wie sie, doch Lucilla schweigt. Sie erinnert sich an den ausweichenden Blick des großen Piraten, der den gallischen Jungen davon getragen hat und an Dardarshis Worte: 'Solange der Kapitän Deine Macht fürchtet, wird er Dir auch nichts antun. Kluge Frau.' Und nun auch noch die Sklavin, welche sie für eine große Zauberin hält. Nun erst dämmert ihr das ganze Ausmaß dieser Worte.


    Mit der Erkenntnis, nicht machtlos zu sein, strafft sich Lucillas Haltung. Sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Womöglich würde der Kapitän mit sich über sein Leben verhandeln lassen und dann hätte sie eine Chance, lebend von diesem Schiff zu gelangen. "Ganz recht," antwortet sie der Sklavin mit fester Stimme, auch wenn sie keine Ahnung hat, was für ein Zauberer 'Darshi' ist. Im nächsten Moment schon wird ihr Tonfall wieder weicher. "Kannst du mir eine Schüssel mit Wasser bringen? Ich würde mir gerne das Gesicht waschen. Und gibt es hier an Bord Kämme?" Lucilla bezweifelt, dass irgendwer ihre Haare wieder richten könnte außer ihrem geliebten Ambrosius. Doch da der vermutlich irgendwo auf dem Grund des Meers liegt oder völlig aufgedunsen an irgendeinem Strand fern dieses Ortes, wird sie sich mit dem behelfen müssen, was ihr möglich ist.

    Bumm ... bumm ... das dumpfe Schlagen der Trommel hallt in Lucillas Ohren ... schwere Schritten stampfen über die Planken ... die Ruder platschen ins Wasser und hinterlassen beim Herausziehen ein schlürfendes Geräusch ... Lucillas Herz pocht im Takt ... irgendwann verschwimmt die Welt um Lucilla herum, ein unruhiger Halbschlaf, vielleicht auch ein Halbwach überkommt sie.


    Sie steht auf den Resten des Handelsschiffes. Wasser umspült ihre Füße, sie spürt sie längst nicht mehr. Unaufhaltsam sinken die Planken um sie herum tiefer und sie mit ihnen. Die See um sie herum liegt im Nebel verborgen, es ist völlig windstill, zu still. Ein Boot schiebt sich näher, das Segel aufgebläht vom Nichts, der Kapitän tritt an den Bug. Es ist ein dürrer Mann, mit weitem Umhang, dessen Gesicht unter einer Kapuze verborgen ist. "Komm in mein Boot, ein Sturm kommt auf und es wird Nacht. Wo willst du hin, so ganz allein treibst du davon, wer hält deine Hand, wenn es dich nach unten zieht?" Lucilla steht im Nebel, mit Tränen im Gesicht, das Abendlicht verjagt die Schatten, die Zeit steht still und es wird Nacht. "Wo willst du hin, so uferlos die kalte See? Komm in mein Boot, die Sehnsucht wird der Steuermann. Komm in mein Boot, der kalte Wind hält die Segel straff." Er streckt seine Hand aus und Lucilla möchte sie ergreifen. Doch als der Mann mit der anderen Hand seine Kapuze zurückstreift, blickt sie in die kalten, leblosen Augen von Quintus Tullius. Sie lässt ihre Hand sinken, die Nacht ist gnadenlos, und am Ende bleibt sie allein im Wasser stehen. Die Zeit steht still und ihr ist kalt.


    Zitternd erwacht Lucilla in dem Käfig ihrer Gefangenschaft. Auch im Wachen steht die Zeit still, auch im Wachen ist es kalt. Mal war es heller geworden im dem Gang vor der Tür, mal dunkler. Doch Lucilla hat vergessen, die Tage zu zählen. Sie hat so viel vergessen, denn ihr gesamtes Leben erscheint ihr nur noch wie eine blasse Erinnerung. Wieviele Tage war es her, seit sie Avarus über die Wange gestrichen hat? Wieviele Tage waren vergangen, seit sie geglaubt hat, dass es nach Tertias Tod nicht schlimmer kommen kann? Wieviele Tage liegt Germania hinter ihr? Und wieviele Rom, Hispania? Noch nie hat Lucilla etwas ähnliches erlebt, wie diese Situation, geschweige denn auch nur daran gedacht, dass so etwas jemals passieren könnte. Alles scheint so unwirklich, und es scheint unfassbar, dass Welten wie Rom und dieser Käfig nebeneinander existieren können. Doch da der Käfig nur allzu real ist, beginnt sie langsam an Rom zu zweifeln. Sie weißt nicht, was diese Männer mit ihr vorhaben, doch Rom steht sicher nicht auf ihrer Route. Das Fieber des kleinen Aeddan lenkt sie nur mäßig von ihren Gedanken ab. Sie kann kaum mehr tun, als bei ihm zu sein, ihm das Essen zu füttern und das stinkende Wasser einzuflößen, und versuchen ihn warm zu halten. Doch die Götter scheinen sie zu verlassen. Sie beide.


    Sie streicht dem Jungen über die glühende Stirn und das schweißnasse Haar, als sich die Götter doch noch erbarmen. In Gestalt eines ziemlich hässlichen Kerls zwar, doch es ist der erste, der sie nicht verachtend anschaut, als wäre sie Abschaum, oder mit einer Gier in den Augen, als wäre sie eine Ware. Mühsam klettert Lucilla aus dem Käfig hinaus, sie spürt jeden Knochen in ihrem Leib. Als sie endlich nach Tagen wieder steht, rauscht ihr das Blut durch die Ohren und für einen Moment wird ihr schwarz vor Augen. Dann jedoch hebt sich ihr Blick und sie schaut die Treppe entlang nach oben durch die Luke - zur Sonne. Die Erkenntnis, dass es sie noch gibt, dass es die Sonne noch gibt, ist fast zu viel für Lucilla. Aber nur fast. Sie streicht sich eine verklebte Strähne aus ihrem schmutzigen Gesicht und wendet sich an Dardarshi. "Und wohin?" Ein Blick auf den Jungen zeigt, dass dieser kaum noch selbst irgendwohin gehen wird. "An Deck, damit er uns endlich den Kopf abschlagen kann?"

    Ein erschrockener, spitzer Schrei löst sich von Lucillas Lippen, als der grobschlächtige Kerl sie sich einfach über die Schultern wirft und davon marschiert. Wehrlos, wie ein nasser Sack lässt sie sich auf das andere Schiff tragen, und für einen Moment fragt sie sich, ob der Tod nicht besser gewesen wäre, als alles, was hier folgen würde.


    Als erstes folgt die schmerzhafte Erkenntnis, dass ihr neues Quartier nur einen harten Holzboden hat. Der Wunsch nach einem Alptraum überkommt sie, der Wunsch jeden Augenblick zu erwachen, in einem weichen, warmen Bett zu liegen und die hässliche Fratze des Piratenkapitäns nur noch als geisterhaft nachhallenden Eindruck vor Augen zu haben. Doch der Schmerz in ihrer Hüfte erinnert sie daran, dass dies alles nur zu wirklich ist. Mehr, als dass sie ihn sieht, spürt Lucilla den kleinen Jungen, der schutzsuchend zu ihr kriecht. Sie legt beruhigend ihre Arme um ihn und drückt ihn an sich, während um sie herum das Schiff von den Gewalten des Meeres hin und hergeworfen wird.

    "Ich weiß es nicht." flüstert sie leise und mit einem mal stürzt die ganze absurde Situation auf Lucilla ein. Alles, was sie je gekannt hat, ist völlig unwichtig geworden. Ihre Mitreisenden sind tot, ermordert von den Piraten oder würden im kalten Meer ertrinken. Sie hat Hector an Deck liegen gesehen, eine furchtbare Wunde zog sich quer über seinen Bauch. Ambrosius und Hermes sind wahrscheinlich ebenfalls tot, wie die anderen. Sie hebt eine Hand und presst sie sich vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Tränen fließen aus ihren Augen und ihr Körper bebt unter dem unterdrückten Schluchzen. Sie drückt den Jungen an sich, als wäre er das letzte, was ihr geblieben ist. Er ist das letzte, was ihr aus einem sicheren, behüteten und zivilisierten Leben geblieben ist. Die Schreie vom anderen Schiff dringen zu ihnen in den dunklen Käfig, unverhältnismäßig laut, und bei jedem einzelnen drängt es Lucilla danach, sich die Ohren zuzuhalten.


    Dann setzt das Trommeln ein. Ein dumpfer Schlag, dann ein zweiter. Es folgt der beständige Rythmus, wie der Marsch eines Titanen über das Wasser. Das Schiff verfällt in ein leichtes Schaukeln, der Bug pflügt durch das Wasser, wird von den Wellen angehoben, um nach ihnen zurück auf die Meeresoberfläche zu klatschen. Routine kehrt auf der Harpyia ein, das Geschrei der Ertrinkenden wird immer leiser, bis es irgendwann verstummt. Die Geräusche auf dem Piratenschiff sind seltsam beruhigend, beinahe hat es den Anschein, als würde das Schiff leben. Lucillas Kopf ist an die Wand des Käfigs geleht, und das dumpfe Trommeln hallt schwer in ihren Ohren und durchdringt ihren ganzen Körper. Zeit scheint keine Bedeutung mehr zu haben, beinahe wie das Leben.

    Einen Moment lang ist Lucilla selbst erstaunt über die Wirkung ihres Fluches, doch leider hält sie nicht lange. Schon ist der widerliche Kerl bei ihr und schwingt bedrohlich den Säbel. 'Tertia!' ist alle was Lucilla denken kann. Sie würde Tertia wiedersehen; und Avarus nie wieder. Doch noch ist es nicht so weit. Nach einer Beleidigung packt Tullius sie wüst und zerrt sie hinter sich her. Sie stolpert ihm nach, erschrocken und verwirrt, weil sie längst den Säbel zwischen ihren Rippen vermutet hätte. Ganz tief in ihr dagegen keimt schon wieder die Wut auf. Noch nie im Leben hat so ein abscheulicher Kerl sie auf diese Weise beleidigt! Sie, Decima Lucilla! Sie, Decima Lucilla, die in diesem Augenblick auf die Planken gestoßen wird und wie all die anderen ein wertloses Stück Ballast für die Priaten darstellt. Wieso? Wieso verlangen sie kein Lösegeld? War nicht Caesar von Piraten gefangen genommen worden und hatte sein eigenes Lösegeld in die Höhe getrieben? Warum begnügten sich diese Piraten damit irgendwelche Sklaven zu befreien? Und warum, bei allen Göttern, hatte dieser verdammte Mistkerl sie extra mit an Deck geschleift? Noch immer zittert Lucilla am ganzen Leib, doch noch immer beißt sie die Zähne aufeinander. Die Götter haben keine Gnade, ihr eigener Tod ist nur um einige Augenblicke verschoben worden. An Deck soll er stattfinden, wie in einem Theaterstück auf den Planken die die Welt bedeuten, wahrscheinlich, damit der Rest besser zuschauen kann. Wie abscheulich.


    Als Gavia neben ihr mit einem erstickten Schrei niedersink zuckt Lucilla kurz zusammen. Starr schaut sie Tullius an, und für einen Augenblick versteht sie, was ihre Brüder und Cousins zur Legion treibt. Männer wie diese Piraten sind es, zu Land oder zu Wasser, der Abschaum der Welt, der sich an den Reichtümern anderer bedient, wie es ihnen passt. Männer, die unfähig sind, sich ihr Leben aufzubauen, die es von anderen nehmen und sich am Tod anderer ergötzen, diese Männer sind es, welche ihre Familie in den Krieg zwingt. Plötzlich spürt Lucilla den Jungen neben sich und sie legt einen Arm schützend um seinen Körper. Tullius ist der Mann, der die Befehle gibt, und keine Sekunde wendet sie ihren Blick von ihm. Sie hat keine Furcht mehr, denn der Tod ist ihr so oder so gewiss. Die einzigen Waffen, die ihr bleiben, sind ihre Worte, ihr Vestand und die Götter.


    Ein leichtes Zittern kann sie dennoch nicht aus ihrer Stimme vertreiben. "Die große Göttin wird dir deine Knochen einzeln zermalmen, für jeden Menschen, den du auf deinem Gewissen hast einen. Die Furies werden nach deinem Geist greifen, jeden Tag ein Stück mehr, bis dass du nicht mehr weißt, was Trug, was Wirklichkeit ist! Du wirst nicht sterben, noch lange nicht, du wirst qualvoll dein Leben dahinsiechen, während die Eingeweide in deinem Leib deinen Körper langsam von innen heraus verfaulen lassen werden. Du kannst nur darauf hoffen, dass meine Familie dich vorher findet und deinem wertlosen Leben ein Ende setzt, bevor du nicht mehr dazu fähig bist schnell genug auf die Latrine zu laufen, wenn sich dein Innerstes von deiner äußeren Hülle verabschiedet. Hüte dich davor, der Küste des Imperium auch nur zu nahe zu kommen, denn die Schwerter meiner Familie werden dich finden, sobald du auch nur einen Schritt auf den Boden des römischen Reiches setzt! Ich verfluche dich, im Namen der großen Göttin, mein Leben weihe ich ihr und das diese Junge, unser Blut auf dass dein Schicksal besiegelt ist!"

    Das Poltern über Lucilla nimmt und nimmt kein Ende, dazwischen das Gebrüll 'Tötet sie, tötet sie alle!'. Ein lauter Schlag zieht Lucilla in ihren Bann und führt dazu, dass sie erschrocken ihren Kopf nach oben wendet, denn sie fürchtet, dass die Planken über ihr einbrechen werden. Doch es folgt nur das dumpfe Aufschlagen eines schweren Körpers. Lucilla starrt an die Decke, die Augen weit geöffnet, nicht nur wegen der düsteren Sicht. Plötzlich fällt ein dicker Tropfen Blut von der Decke herab und klatscht mit einem Laut, der noch Lucillas Atem übertönen muss, auf ihr Gesicht. Zitternd hebt sie ihre Hand und streicht sich über die Wange, hinterlässt dabei einen roten Schlieren und blickt erschrocken auf das Blut an ihren Händen. Als ihr bewusst wird, um was es sich handelt, muss sie einen Schrei unterdrücken. Beinahe lautlos fängt sie an, vor sich hinzumurmeln. "Bona Dea, hilf mir, bitte bewahre mein Leben und schütze es. Iuno, allmächtige, halte deine schützenden Hände über mich. Spes, steh mir bei und verlasse mich nicht. Clementia, bitte schenke mir deine Gnade. Dea Tacita und Morta, nehmt eure Hände von meinem Leben, ich flehe euch an. Aera Cura, bitte verweigere meinen Einzug in dein Reich. Oblivio, lass sie vergessen, dass dieser Raum existiert. Paventia, Göttin meiner Kindheit, schenke mir bitte ein letzte Mal deinen Trost. Stimula und Strenua, gebt mir eure Kraft und lasst mich dies durchstehen. Geister meiner Ahnen, schenkt mir die Stärker unserer Familie, denn es ist noch nicht die Zeit, dass ich euch wiedersehe."


    Trotz ihrer geflüsterten Worte scheint es ihr Atem zu sein, der noch immer lauter und lauter wird und auch das Pochen ihres Herzens scheint jedes Geräusch zu übertönen. Plötzlich wird es über ihr leiser, nur noch rauhes Gebrüll ist zu hören, die Schreie verlagern sich nach unten, nicht weit von ihr entfernt, und Schritte nähern sich vom Gang her. Die dunkle Stimme 'Tötet sie!' noch in den Ohren zieht sich Lucilla eilig die Decke über den Kopf. Mit einem lauten Krachen barst die Tür und Lucilla hält die Luft an. Das mit der verriegelten Tür hat schonmal nicht geklappt.


    Die Stille wird von den Worten des Piraten durchbrochen, der sie auffordert, um Gnade zu flehen. Der Trick mit der Decke hat auch nicht geklappt. Lucillas gesamtes Schicksal hängt also an einer Holzschüssel und einem Löffel. Doch die Worte des Piraten bringen ihr hispanisches Blut in Wallung. Wütend schlägt sie die Decke zur Seite und steht langsam auf, die Schüssel schützend vor sich haltend und den Löffel im Anschlag. Ihr Haar ist zerzaust und der rote Blutstreifen über ihrer Wange gibt ihr einen Hauch von verzweifelter Verwegenheit. Sie hatte sich nie von ihren Brüdern und Cousins unterkriegen lassen, da würde sie sich jetzt nicht von irgendeinem dahergelaufenenen Kerl unterkriegen lassen. Schon gar nicht von einem widerwärtigen Piraten, und wenn er noch so viel mit seinen furchterregenden Säbel herumfuchtelt. Ihre Stimme trieft vor Hass und Wut: "Ich werde niemanden um Gnade bitte, außer die Götter!"


    In einer unbedachten Aktion beraubt sich Lucilla ihres Schildes. Sie holt mit Links aus und schleudert die Schüssel Tullius entgegen, um Zeit zu schinden. Sie hebt den Löffel vor sich und beginnt der Wut in ihr freien Lauf zu lassen, ihre Worte überschlagen sich beinahe. "Götter des Infernos, Dius Fidus, diesen Mann weihe ich euch, seinen Körper, sein Herz, seine Eingeweide. Nehmt euch seinen Kopf, seinen Bauch, seine Männlichkeit und seine Beine, nehmt seine Schultern und seine Arme und seinen Geist und seine Augen und seinen Mund. Carna, seine Leber für dich, für die Furies seine Sinne, diese Mann für euch, zerquetscht seinen Körper in euren Händen, brecht seine Rippen und seine Knochen, dieser Mann für euch, jetzt im Augenblick, Götter des Infernos, ihn offeriere ich euch für mein Leben." Da ihr die Fluchtafel fehlt um den ihr Namenlosen auf herkömmliche Weise zu verfluchen, zieht Lucilla den Löffel vor sich in der Luft über Tullius Körper.


    Sie sieht wenig Hoffnung, doch wenn sie schon sterben muss, dann würde er zumindest Leiden. Lucilla glaubt fest daran, dass Flüche funktionieren. Großtante Drusilla hat immer erzählt, dass sie einst eine ungeliebte Konkurrentin verflucht hatte und diese einige Tage später für mehrere Monate durch ein böses Fieber an ihr Bett gefesselt war. Lucilla hofft nur, dass die Götter in diesem Fall die Dirnglichkeit erkennen und sich beeilen würden. Im Fall des Piraten würde wohl nur noch ein heftiger Stoß durchs Herz oder ein sehr schnell einsetzender bösartiger Durchfall helfen. Zitternd weicht Lucilla an die Wand zurück, bis es nicht mehr weiter geht, und beißt ihre Zähne zusammen, um Tränen zurückzuhalten und zu verhindern, dass sie doch noch um Gnade flehen würde.

    "Alarm! Piraten! Alarm! Bei allen Göttern, volle Kraft voraus, auf die Küste zu! Peitscht die Sklaven an! Beeilung!"


    Plötzliche Hektik erfasst das Schiff, welche Lucilla erst nicht nachvollziehen kann. Sie schaut fragend zu Gavia, der schon alle Farbe aus dem Gesicht gewichen ist. Schon viele Male hat Lucilla das Mare Internum überquert, und obwohl sie natürlich um die Gefahren weiß, so hat sie noch nichteinmal ein Piratenschiff aus der Ferne gesehen. Gavia Minor stürzt fluchtartig davon, noch bevor Lucilla etwas sagen kann, und sie so steht sie ein wenig planlos, während um sie herum Seeleute und Passagiere wie aufgescheuchte Hühner über Deck rennen. Ein Seemann entdeckt Lucilla, packt sie wüst am Arm und zieht sie hinter sich her, bis unter Deck. Sie erinnert sich daran, dass er ihr schon den ganzen Morgen freundlich zugelächelt und immer wieder ein paar nette Worte über das schlechte Wetter gefunden hat. Doch nun schubst er sie rabiat in eine der kleinen Kajüten. "Versteck dich, schnell!"


    Lucilla will protestieren, was ihm einfällt, sie mit seinen dreckigen Fingern über das halbe Schiff zu schleifen, und dass sie gar nicht daran denkt, sich zu verstecken, doch der Blick des Mannes lässt ihr das Blut in den Adern gefrieren und jedes Wort in ihrer Kehle stecken bleiben. Plötzlich muss sie an die Geschichten denken, über reiche Senatoren, deren aufgedunsene Leichen an irgendwelchen Stränden angespült werden, und über wohlhabende Römerinnen, welche auf Märkten weit im Osten von den Piraten als Sklavinnen an die Barbarenvölker verkauft werden.


    "Komm erst wieder raus, wenn alles ruhig ist!" Der Mann zieht die Tür zu und Lucilla überkommt langsam die angemessene Panik. Eilig schiebt sie den Riegel vor die Tür, ohne zu bedenken, dass dies von Außen ein sicheres Zeichen dafür wäre, dass sich jemand in der Kammer befindet. Ängstlich lässt sie ihren Blick durch den Raum gleiten, der nur noch spärlich durch das Licht erleuchtet wird, welches durch ein winziges Fenster in der Außenwand des Schiffes hereinfällt. Ihre Augen sind auf der Suche nach irgendeiner Waffe. Jede römische Frau sollte immer eine Messer bei sich haben. Würde Lucilla dies hier überleben, so würde sie sich dafür einsetzen.


    Auf einem kleinen Tisch an der Wand liegen die Reste des Fühstücks. Eine Schüssel aus Holz und ein Löffel aus Metall. "Besser als nichts." Lucilla nimmt beides an sich, schnappt dann die Decke, die für die Nacht bereit liegt und horcht einen Moment in den Raum. Über ihr klappern Schuhe auf den Planken, Gebrüll und Geschrei von Männern ist zu Hören, einige Schreie von Frauen. Lucilla steht unsicher in der Dunkelheit und lauscht, immer wieder dringt das Wort 'Piraten' zu ihr.


    "Du bist eine Decima." flüstert sie leise. "Deine Vorfahren haben schon ganz andere Dinge überstanden." Sie kauert sich in die Ecke des Raumes und wirft die Decke über sich, so dass nur noch ihr Kopf hervor schaut. Würde irgendwer versuchen die Tür zu öffnen, so würde sie sich die Decke über den Kopf ziehen, in der Hoffnung, dass man sie übersehen würde. Gleichzeitig hält sie zitternd unter der Decke den Holznapf in der Linken und den Löffel kampfbereit in der Rechten. Schild und Schwert für einen letzten, verzweifelten Kampf. Doch Lucilla ist eine Decima - sie würde dem Feind das Herz auslöffeln, wenn es sein muss. Zumindest, wenn ihr der Löffel vor lauter Gezitter nicht vorher aus den Händen, sie nicht vorher in Ohnmacht fallen oder einfach vor lauter Angst sterben würde. Tertia! Sie würde Tertia wiedersehen, fährt es ihr mit einem mal durch den Sinn.


    Bemüht, keinen Laut von sich zu geben, harrt Lucilla im Halbschatten der Kajüte aus, sicher, dass ihr Atem sogar den Lärm übertönt, der noch immer über ihr tobt.

    Auf der Straße von Cabillonum her, die dem Verlauf des Flusses Arar folgt, rumpelt der kleine Reisewagen durch das Stadttor von Lugdunum. In der Stadt selbst verabschiedet sich Lucilla herzlich von Clodia, mit der sie sogar Einladungen ausgetauscht hat. Avarus und Lucilla wären jederzeit in Lugdunum willkommen, wie auch Clodia und Clodius in Rom eine Unterkunft erhalten würden, auch wenn sich Lucilla von Clodius Poplicola eher reserviert verabschiedet.


    Eine Übernachtung in der Stadt folgt, für den nächsten Tag findet sich schnell eine kleine Reisegesellschaft nach Massilia, erneut auf einem Transportschiff, welches sich auf der Strömung des Rhodanus bis zum Mare Internum tragen lässt und von dort aus das kurze Stück an der Küste entlang bis in den großen Handelshafen schippert. Das Wetter ist günstig für die Reise, die Sonne schafft es immer wieder, die Wolken mit ihren Strahlen zu durchbrechen und die winterliche Landschaft einzuhüllen. Die Reisegesellschaft ist recht angenehm und obwohl der Rhodanus ebenfalls ein herrlicher Fluss ist, zieht er Lucilla nicht so sehr in den Bann wie der Rhenus. Sie unterhält sich viel mit einer Dame aus Rom, Gavia Minor, welche schon für Massilia ihre Mitfahrt auf einem kleinen Handelsschiff nach Rom organisiert hat und die sich sicher ist, dass für Lucilla und ihr Gepäck an Bord ebenfalls Platz ist.


    In der Hafenstadt überlässt es Lucilla Hermes die Verhandlungen mit dem Kapitän zu führen, während sie sich selbst mit Hector, Ambrosius und zwei weiteren Sklaven in der Stadt umsieht und zu einigen kleinen Einkäufen hinreißen lässt. Die Nacht verbringt Lucilla noch einmal in einer Herberge des Cursus Publicus, am nächsten Morgen trifft sie im Hafen auf Gavia. Das Gepäck der Damen ist längst verladen und der Kapitän drängt zur Eile, so dass man mit den günstigen Winden des Morgens auslaufen kann.


    Während das Schiff ablegt, den sicheren Hafen verlässt und sich hinaus aufs Meer wagt, steht Lucilla neben Gavia und blickt auf die dem Land gegenüberliegende endlose Weite. Wenn die Winde weiterhin günstig sind, wären sie in zwei Tagen in Ostia.