Mattiacus kam auf das Angebot mit dem Wein zurück. "Gerne, ich nehme einen Schluck."
Dann kam er wieder auf das Gespräch zurück.
"Also... nach meiner Interpretation des betreffenden Wortlauts von § 112 I CodIur liegt eine Rechtsbeugung dann vor, wenn eine Entscheidung ergeht, die objektiv im Widerspruch zu Recht und Gesetz steht.
Im Fall von Livianus kam es also darauf an, wie man § 2 der lex Germania Servitium auslegt. Nach meiner Auslegung von § 2 lag kein Verstoß vor. Ich habe das in der Verhandlung ungefähr so gesagt wenn ich mich richtig erinnere:
Sim-Off:Hier schummele ich mal ein wenig und zitiere aus der Verhandlung. Mattiacus kann sich sehr gut erinnern
In meinen Augen umfasst die Norm des § 2 den Fall, dass ein Freigelassener nicht automatisch mit dem Akt der Freilassung ein römischer Bürger wird. Zur Zeit des Augustus war dies bekanntlich noch anders.
Aber ich möchte hier keinen Vortrag zur rechtsgeschichtlichen Vergangenheit halten, daher zurück zu unserem Fall:
Der ehemalige Sklave Marhabal wurde also per Testament freigelassen und daraufhin von Lucius Quintilius Valerian adoptiert. Und hier liegt der entscheidende Punkt. Die Adoption geschah zeitlich nach der Freilassung, und die Adoption ist gleichsam ein weiterer Umstand, der über den Fall des § 2 hinausgeht und daher nicht von ihm erfasst ist.
Dieser Umstand der Adoption führt also dazu, dass § 2 überhaupt nicht mehr angewendet werden kann. Livianus hat also mit seiner Entscheidung überhaupt gar nicht gegen Recht und Gesetz verstoßen.
Die Verleihung des Bürgerrechts nach der Adoption war sogar rechtmäßige und vom Gesetz gewollte Folge der Adoption, auf das der Adoptierte sogar ein Recht darauf hat."
Mattiacus nahm einen Schluch Wein.
"Mhm, sehr guter Tropfen.... aber nun weiter. Außerdem braucht man Vorsatz für den § 112 CodIur. Und den habe ich bei Livianus absolut nicht gesehen. Er wollte ganz sicher nicht das Imperium schaden, als er dem armen Marhabal das Bürgerrecht zusprach. Der Mann wollte unbedingt Römer werden und zur Armee. Also wenn das nicht für ihn spricht. Außerdem wollte Livianus einem alten Kameraden helfen, den letzten Wunsch zu erfüllen. Und letzte Wünsche sind bekanntlich heilig.
Auch zum zweiten Fall finde ich haben die Richter das Gesetz falsch interpretiert. Sinn und Zweck des § 11 CodIur ist das Strafrecht vor befangenen Richtern zu schützen. Bei der Adoption handelt es sich aber um Zivilrecht. Livianus trotzdem deswegen zu verurteilen, weil er Serapio adoptiert hat, ist eine verbotene Analogie."
Und noch einen Schluck.
"Also um noch mal auf deine Frage zurückzukommen. Mit dem Gesetz ist es wie mit dem Wetter. Jeder kann daraus das Lesen, was er möchte. Das Urteil entspricht nicht meiner Interpretation des Gesetzes. Man kann es anders sehen, so wie die Richter es getan haben. Aber ob das auch zwingend ist, ist eine andere Frage."