Nachdem sie die Begrüßung über sich ergehen lassen hatte und endlich ihr richtiges Zimmer beziehen konnte, atmete sie erleichtert auf. Für den restlichen Tag würde sie ihre Ruhe haben. Sie schritt durch die Tür und blickte sich um. Der Aufbau des Doppelzimmers war genauso wie das andere, doch die Einrichtung entschieden weniger karg und verbesserungswürdig. Hier würde es sich leben lassen. Auch wenn sie gewiss nicht für immer in Mantua bleiben würde. Es zog sie schon jetzt wieder gen Süden, aber zumindest eine kleine Zeit würde sie verweilen müssen. Sie griff wieder nach ihrer Laute und setzte sich aufs Bett. Ob sie wieder versuchen sollte, mit Marcus Kontakt aufzunehmen? Sie hatte vor knapp eineinhalb Jahren das letzte Mal von ihm Nachricht erhalten. Es interessierte sie, ob es ihm gut ging. Doch konnte sie ihn noch unter seiner alten Adresse erreichen?
Zart ließ sie ihre Finger über die Saiten der Laute gleiten. Die Töne die nun im Raum standen, ließen sie andächtig ihre Augen schließen. Sie sollte wieder öfter spielen und hier bot es sich sogar an. Sie würde es wie Marcus machen. Hinaus ins Grüne und dort ein wenig spielen. Nur dass sie wohl kaum durch die Lande zöge. Dafür war ihr das bequeme Leben doch zu teuer und der Zorn von Vitamalacus zu gewiss.
Bis zu jenem Tag, da wir uns wiedersehen,
jenem schönen, lang ersehnten Tag,
wird eine lange Zeit vergehen.
Doch nach dieser Zeit, so sag,
wirst du noch derselbe sein?
So lebensfroh, charmant und geschwind,
eben so, wie ich dich kenne und mag,
durch die Lande ziehend wie der Wind.
Ihre weiche Stimme, die eine seltene Sanftheit verkündete, erfüllte den Raum mit Wärme. Die leisen Klänge der Laute begleiteten das selbstgeschriebene Lied. Würde sie ihren wohl einzigen Freund wieder sehen, würde sie dann den Mut aufbringen ihm dies vorzusingen? Sie hatten zwei Tage gehabt, hatten zusammen gelacht und geweint. Ein Abenteuer durchlebt und gemeinsam gesungen. In diesen Stunden hatten sie sovieles durchlebt und gefühlt wie es andere in ein paar Monaten tun mochten. Ein Grund, weshalb sie ihn als Freund ansah. Sie sah zur Decke hinauf und stimmte eine andere Melodie an.
Nach dieser langen Zeit, da fang ich an zu fragen,
ob du dich gesehnt hast, ob du mich vermisst.
Oder ob ich aus deinem Gedächtnis verschwand in all den Tagen,
obwohl ich täglich betete, dass du mich nicht vergisst.
Doch sei dir gewiss, ich trage dich wie stets bei mir,
in meinem sehnsuchtsvollen Herzen, auf einem Stück Papier.
Du wirst immer etwas Besonderes sein, immer ein Freund.
Letzteren Satz flüsterte sie eher, denn dass sie ihn aussprach. Sie legte ihre Laute zur Seite und stand auf. Sie spürte wie ihre Worte in die Tat umschweiften und sie schwächten. Das durfte sie nicht riskieren. Vielleicht stellte sie ihn besser hin, als er eigentlich war. Aber sie wusste, sie täuschte sich nicht in ihm. Lanas Vermutung schoss ihr wieder durch den Kopf. Dass Marcus jemand anderes sei, als nur ein Freund. Aber sie selbst war nur 12 gewesen und es wäre töricht zu behaupten, sie würde ihn lieben. Vielleichht den Marcus, den sie in ihren Fantasien ausgemalt hatte, doch die Realität sah anders aus. Oder?