Beiträge von Vibius Valerius Victor

    Der Tempel des Mars Ultor ist Victor längst vertrauter als die Falten in seiner Toga und trotzdem ist er immer wieder beeindruckend. Das Gefühl wird vielleicht dadurch verstärkt, dass Vic schon einige Tage lang nicht mehr hier gewesen ist. Gemächlich geht er die Stufen zum Tempel rauf und bleibt zwischen den Säulen stehen. Er berührt den geriffelten Stein und grinst zufrieden vor sich hin. Mit oder ohne Renovierung, diese Säulen würde noch in tausend Jahren stehen.


    Mit seiner kleinen Kiste unter dem Arm tritt der Septemvir an die große Tempeltür und schiebt sie ein Stück auf. Zu seinen Zeiten als Sacerdos waren die Türflügel schon am frühen Morgen geöffnet worden, doch der neue zuständige Sacerdos hält das anscheinend anders. Vic geht ins Tempelinnere, bleibt hinter der Tür stehen und zieht den unverkennbaren Duft von verbrannter Räuchermischung ein. Sein Blick wandert nach oben, zur fernen Decke und augenblicklich überkommt ihn das Gefühl unproportionaler Bedeutungslosigkeit. Zu der Zeit, als Victor noch nicht täglich in Tempeln unterwegs war, hatte er sich oft gefragt, warum die meisten aedes im Vergleich zur Höhe eher schmal und wenig tief sind. Später dann hat er die Wirkung immer wieder an sich selbst erlebt. In der Aula Regia, der gewaltigen Audienzhalle des Kaisers, kommt man sich nur klein und verloren vor. In einem Tempel dagegen ist man der Kultstatue und der durch sie repräsentierten Gottheit aufgrund der geringen Bodenfläche immer nahe, obwohl man sich auch hier durch die enorme Höhe klein vorkommt, aber eben unproportional klein. Dazu kommen dann sicherlich auch noch praktische Erwägungen, denn die Kultstatuen sind nunmal, egal ob sitzend oder stehend, eher hoch, als tief und breit.


    In seine Gedanken versunken reinigt sich Victor die Hände am Becken neben der Tür und wendet sich anschließend der Statue des Mars Ultor zu. Er stellt seine Kiste auf den Boden und öffnet sie. Dann zieht er einen Zipfel seiner Toga über den Kopf, nimmt etwas Aloeholz und streut es über die Räucherkohle.


    "Hoi, Mars." Vic wartet, bis sich der Rauch etwa in Höhe der Hüfte des Mars verteilt und unsichtbarer Bestandteil der Luft wird. "Ich hab heut nur ein paar kleinere Bitten. Zuerst mal," er holt zwei Opferkekse aus der Kiste hervor, "das Übliche in Bezug auf Sev und Al. Mut, Stärke, Kampfkraft, Sieg und so weiter." Die Kekse wandern auf die mensa. "Jo, und dann... also, es geht um meinen Cousin Decius." Vic zögert, nimmt aber doch zwei weitere Kekse. "Nuja, wie soll ich das sagen... also ich glaub mit ihm stimmt was nicht. Er hat noch nie mit ner Lupa, und... also anscheinend noch nichtmal sonst und denkt nichtmal dran, obwohl er schon weit über das Jungenalter hinaus ist." Stille breitet sich im Tempel aus, nur unterbrochen vom leisen Knistern der Räucherkohle. Die ganze Sache ist Vic ziemlich peinlich, denn so ein Cousin ist sogar vor den Göttern peinlich. Er legt hastig die Kekse auf den Gabentisch. "Also um was ich Dich bitten will ist Folgendes: ich denk, dem Jungen fehlt es vielleicht nen bisschen an der sprichwörtlichen Manneskraft und eventuell könntest Du da ein bisschen nachhelfen. Nur nen Schubs in die richtige Richtung, nen kleiner Anstoß, dat würd sicher schon genügen." Wieder breitet sich Stille aus, dieses mal durchbricht sie Vic mit einem Räuspern. "Jo, und dann... also, dann hab ich noch ne persönliche Bitte. Ich werd demnächst meinen ersten Bericht vor dem Collegium vorbringen müssen. Nuja, und du weißt ja, ich werd nicht still halten können. Ich hab mein Leben Dir gewidmet und ich werd nicht aufhörn zu Kämpfen, auch nicht als Septemvir. Ich weiß zwar, das mit den Worten is nicht so Deins, aber vielleicht kannst du mir trotzdem irgendwie nen bisschen beistehen. Ich werd mich auch bemühen, moderat zu bleiben."


    Bevor sich wieder Stille ausbreiten kann, legt Victor drei weitere Kekse auf den Tisch und holt schließlich eine kleine Amphore aus der Kiste. Er öffnet sie gekonnt und gießt den Inhalt in eine Opferschale. "Auf Dich, Mamarce! Du kannst Dir gar nicht vorstelln, wie öde so ein Officium ist, und wie klein. Genauso hoch wie breit, wie tief."

    "Ein Attentat auf der Rostra, das wird ja immer schlimmer." Vic hat anscheinend doch mehr verpasst, als zuerst vermutet. Er schüttelt traurig den Kopf. "Wenns schon soweit kommt, dann ist es nicht mehr weit her mit dem großartigen römischen Volk. Ich hoffe sehr, dass das kein Akt des Wahlkampfes war und wenn doch, dann hoffe ich, dass die Drahtzieher ihre gerechte Strafe ereilt." Wenn keine weltliche, dann könnte sie immer noch ein Blitz des Mars Ultor, des Rächers, auf der Latrine treffen.


    Die Erwähnung des Tribunus Plebis verwundert Victor jedoch noch mehr. Florus ist tatsächlich in Rom und nun der Mann des Volkes. Vic fragt sich, was er sich davon verspricht, soweit er sich erinnert, hatte Florus irgendwann selbst mal als Peregrinus bei der Ala angefangen, ein zukünftiger Sitz im Senat ist also eher fragwürdig. Aber vielleicht ist Florus wirklich einfach ein Mann des Volkes, vorstellen kann Vic sich seinen ehemaligen Kommandanten in der Position zumindest ziemlich gut und die Menge auf seiner Seite zu wissen kann in keiner Position schlecht sein, Senat hin oder her. Die Gedanken des Septemvir in Bezug auf das Volk werden jäh vom Volk unterbrochen, als einer davon sich kurz darauf neben ihm seinen Wein nochmal durch den Kopf gehen lässt. "Ououou, da war Fortuna wohl nicht hold." murmelt Vic und tritt ein Stück zur Seite.


    Als sich der Mann mit gequälter Mine wieder aufrichtet, schaut Victor ihn vorwurfsvoll an. Mit einer mahnenden Stimme, die es sowohl gewohnt ist, bei großen Opfern das Gebet zu sprechen, als auch Discipuli zu tadeln, wendet er sich an den Betrunkenen. "Schäm dich, zu dieser frühen Stunde schon so viel in sich aufgenommen zu haben, dass es schon wieder raus muss! Du solltest lieber erstmal ausgiebig opfern, statt dich zu besaufen, heute feiern wir Fortuna und nicht Bacchus, da sollte man es mindestens bis Mittag aushalten!"

    Mit energischem Schritt tritt der Septemvir Valerius Victor auf die Nebenräume des Mars Ultor-Tempels zu, denn hier wartet noch eine Sache, die es abzuschließen gilt: die Ausbildung des Flavius Gracchus. Vic hatte das in der letzten Zeit etwas vernachlässigt, das Collegium füllte neben Helena seine Gedanken voll aus, doch vom Personal des Tempels ist ihm zugetragen worden, dass der Commentarius seine Pflichten auch ohne die wachsamen Augen seines Ausbilders gut erledigt hat. Und zwar nicht nur die im Tempel des Mars Ultor, wie man Vic berichtet hat, immer öfter hat man Gracchus auch im Tempel auf dem Capitol gesehen. Vic kann es ihm nicht verdenken, denn er weiß, wie sowas gehen kann, auch wenn er das dem Flavier nicht auf die Nase binden würde.


    Er öffnet die Tür zum Unterrichtsraum und legt einige Wachstafeln in zwei Stapeln auf den Tisch. Dann nimmt er mit einer weiteren Tafel Platz und wartet auf das Eintreffen des Commentarius.

    Zitat

    Original von Titus Flavius Milo
    "Tatsächlich habe ich dem Wahlkampf aus Interesse beigewohnt und konnte so einiges beobachten. Das größte Spektakel gaben in diesem Jahr die Kandidaten zur Wahl des Aedilis Curulis ab. Auf der einen Seite stand Aurelius Antoninus mit seinen Bestrebungen die Frauen auf den öffentlichen Ämtern herauszuhalten und auf der anderen Seite gab es Tiberia Honoria, die selbstverständlich das Gegenteil anstrebte. Doch nicht genug dessen, dass dieser eine Wahlkampf dadurch völlig von denen das Amt betreffenden Inhalten abwich, wurden auch die anderen Kandidaturen primär von diesem einen Thema dominiert. Allein das tatsächliche Wahlergebnis zu erfahren brachte mir eine gewisse Befriedigung." lächelte Milo sichtlich erheitert. "Beide Kandidaten wurden nicht gewählt. Über das weitere Vorgehen von Seiten des Staates ist allerdings noch nichts bekannt..."
    Er winkte seinen Sklaven herbei, um sich von dem Wein nachschenken zu lassen. Ebenso bedeutete er diesem, den Becher seines Gegenübers falls notwendig aufzufüllen.


    Dass der Flavier ein Scriba ist, stört Victor nicht im Geringsten. In dieser Hinsicht hat er noch nie irgendwelche Unterschiede gemacht, schon eher fällt ihm auf, dass es sich um einen Patrizier handelt. Egal wie weit sich Vic nach oben durchkämpfen würde, der natürliche Respekt vor Respektspersonen und auch vor Patriziern, Respektperson oder nicht, bleibt vorerst. Natürlich gibt es auch Patrizier, über die Victor nur den Kopf schütteln kann und dazu zählen Schlammschlacht-führende Wahlkandidaten. "Aurelius gegen Tiberia, na das kann ich mir bildlich vorstellen, dass da die Fetzen geflogen sind. Das war ja bei der letzen Wahl schon keine Diskussion mehr, wie es eine sein sollte, wenn sie auf der Rostra geführt wird. Soetwas sollen sie im Theater aufführen, oder bei sich zuhause, wo keiner zuschauen muss." Er beeilt sich seinen warmes Wein-Wasser zu trinken und lässt sich mit einem dankbaren Nicken von dem Sklaven auffüllen.


    "Diese Frauen-Frage scheint wirklich noch das einzige zu sein, was die Welt bewegt. Dabei gibt es wichtigere und dringendere Angelegenheiten, wenn du mich fragst. Ganz ehrlich, da es sonst keiner macht, wenn die dann eine Frau in die Hand nimmt, dann solls mir auch recht sein. Dieses Thema hat den Staat langsam genug vergiftet." Die Befriedigung des Flaviers über den Wahlsieg kann Vic nachvollziehen, das Wahlergebnis ist durchaus komisch. "Gibts nun eine Nachwahl? Oder wird es keinen Aedilis Curulis geben? Wie sind den die übrigen Ergebnisse ausgefallen?" Er nippt an dem neuen Wein und nickt anerkennend. Gegen das Gesöff von der Straße ist das ein ziemlich edles Getränk, das wahrscheinlich auch den Vergleich mit besseren Weinen Stand halten würde. "Ein guter Tropfen." Aus dem Augenwinkel bemerkt Vic einen Mann, der ihnen mit seinem Becher zuprostet und reflexartig hebt er seinen Becher und prostet grinsend zurück.

    Saccus schlurft langsam, ganz langsam zu einem Stuhl und setzt sich. "Mann, Mann, Mann, Flaccus. Haste schon bemerkt, wer da in der Casa del Saccus residiert?"
    "Bitte? Wo?"
    "Na hier im Haus."
    "Heißt es nicht Casa del Severus et Victor?"
    "Jo, is doch piepegal. Sind dir noch nich die zwei Typen aufgefallen, die hier rumlungern?"
    "Severus und Victor?"
    "Penner! Die lungern hier doch schon immer rum! Ne, die anderen zwei Typen."
    "Andere Typen?"
    "Jo, Mann, dat sind die Söhne vom Severus."
    "Söhne? Ach du Schreck! Hat Severus etwa noch einen Sohn adoptiert? Oder gar endlich eine Frau gefunden? Es wird Latinus gut tun, einen Bruder zu haben."
    "Wat? Lati? Wat faselst du da? Doch nich die Söhne vom Sev! Die Söhne vom Severus, Mann! Von deim Sohn!"
    "Aber Severus ist mein Enkel, Saccus."
    "Oh, Junge, dein Sohn! Severus! Vom dem die Casa hier is!"
    "Ah, du meinst Severus, meinen Jungen? Sag das doch gleich."
    "Hrhr, dat is ja schlimmer als bei Victor und Vic."
    "Wie meinen?"
    "Na mein Sohn Victor und..."
    "Aber Victor ist dein Enkel, Saccus."
    "Oh, Junge! Mein Sohn! Der Victor, der Vater vom Vic."
    "Victors Vater heißt Victor?"
    "Mann, wie oft hab ich dir dat schon erzählt?"
    "Hmm. Das ist aber verwirrend. Schlimmer, als bei Severus und Severus, meinem Sohn und seinem Neffen, meinem Enkel, musst du wissen."
    "Boah, du machst mich fertig, Alter. Aber auf jeden Fall sind die Söhne von deinem Sohn Severus eingezogen, Octavianus und Decius."
    "Oh, tatsächlich? Wie wundervoll. Die beiden kommen mehr nach ihrer Mutter und beide... hatten kein sonderlich gutes Verhältnis zu ihrem Vater, wenn ich mich recht erinnere. Nun, wie dem auch sei, sie sind sicher mittlerweile große Schriftsteller und Redner. Rhetorisch konnten sie schon als angehende Männer den Mund nicht halten und eiferten mir nach. Ich könnte dir Geschichten erzählen, aus Zeiten, da waren..."
    "Wat? Ououou, na dat können wir hier ja noch brauchen. Hauptsache, sie können ordentlich wat weghauen, sonst seh ich schwarz für sie, hrhr."

    Die ersten beiden Worte seines Gegenüber genügen um ihn Vic einigermaßen sympathisch zu machen, denn Menschen die warmen Wein trinken sind ihm von vorneherein suspekt. Die nächsten Worte dann machen ihn neugierig. Er hat nur die Anfänge des Wahlkampfs mitbekommen, den Rest der Tage hat er mit einer Erkältung im Bett verbracht. Auf seinem Weg zur Regia wollte er sich noch irgendwo die letzte Ausgabe der Acta bersorgen. Allerdings ist er sich nicht sicher, ob da schon was über die Wahl drinsteht, also bietet es sich an, die neuesten Neuigkeiten direkt auf der Straße aufzusammeln. Vor allem an Festen wie diesem sind die Menschen redselig, also wäre das sicher der einfachste Weg.


    "Schlammschlachten?" echot er darum einfach mal zurück. "Die Anfänge waren doch ganz friedlich. Ich muss aber leider sagen, dass ich wohl den größten Teil des Wahlkampfs verpasst habe. Warst du dabei, wer ist denn noch gegen wen in die Schlacht gezogen? Ou, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Kaum fängt man mit dem Feinern an, vergisst man schon wieder seine Manieren." Vic grinst schief. "Septemvir Vibius Valerius Victor."

    Fors Fortuna, die Göttin des Glücks und des Zufalls hat wohl ihre Finger im Spiel, dass Victor ausgerechnet am heutigen Tag wieder die Casa verlässt. Bis zu dem Moment, als er am Tiber vorbei kommt, hat er keine Ahnung, was für ein Tag es ist, er hat nichteinmal darüber nachgedacht. Doch ein Blick auf den Tiber hinab lässt keinen Zweifel und da man die Feste feiern muss wie sie fallen und Victor sich natürlich nicht den Zorn der Göttin zuziehen will, verschiebt er den Gang zur Regia und reiht sich in die Feier ein. Es bleibt ihm auch nicht viel übrig, denn fast unfreiwillig, aber nur fast, hat er ziemlich schnell einen Becher Wein in der Hand. Denn es ist eine ungeschriebene Weisheit, dass wenn man den Arm etwas anhebt um in der Hand einen Becher zu halten, dann hält sich auch die Toga besser auf der Schulter und das hat Vic dringend nötig. Er bleibt an auf einer Brücke stehen und schaut sich die darunter vorbeiziehenden Bote an. Ein Schluck aus dem Becher lässt ihn das Gesicht verziehen. "Warmer Wein, na ein Glück feiern wir kein Fest zu Ehren des Bacchus, das wär schon schief gegangen." murmelt er halblaut vor sich hin, trinkt aber noch einen Schluck.

    Einige Tage nach seinem Rauchopfer steht Victor in seinem Cubiculum und lässt sich von Saeva die Togafalten richten.


    Nach der Nacht auf dem kalten Boden hatte ihn eine heftige Erkältung erwischt und einige Tage von der Arbeit abgehalten. Am liebsten hätte er sich unter der Decke verkrochen und einfach alles verschlafen, doch Hulc war schlimmer als seine Mutter gewesen und hatte sich wie eine Glucke um ihn gekümmert. Ständig war er mit heißen Lappen, heißer Hühnerbrühe oder heißem Kräutersud gekommen. Dazu waren regelmäßig Saccus und Flaccus hereingeschneit und gaben ihre dämlichen heißen Tips zum Besten. Dabei hätten Vic in seinem Zustand nichtmal heiße Bräute interessiert, einzig den heißen Mulsum hat er ohne Murren hingenommen und runtergeschluckt, bevor er sich wieder umgedreht und weiter geschlafen hat. Er hatte von Helena geträumt und von Vio. Beides hatte ihm den Schweiß auf die Stirn getrieben, was Hulc hocherfreut zur Kenntnis genommen hatte, denn dies war seiner Ansicht nach immer noch die beste Medizin gegen Erkältung - schwitzen, nicht von Frauen träumen, schon gar nicht von fremden. Doch Hulc meckerte nicht, denn er hatte den Schweiß auf seine heißen Mittel zurückgeführt.


    Zum Glück für Victor ist das nun alles vorbei. Erkältung im Sommer, das würde ihm auch keiner glauben. "Nu mach schon hinne." schnauzt er die Sklavin an. Er hat schlechte Laune, denn seine Arbeit ist sicher in seinem Büro aufgelaufen. Wer hätte sie auch sonst machen sollen? Saeva fummelt noch etwas an ihm herum und tritt dann unterwürfig zurück. "Na endlich. Sag Hulc, er soll für heut Abend wat gescheites kochen, ich hab jetzt schon Kohldamf nach dem flüssigen Fraß der letzten Tage." Er geht an der Sklavin vorbei, nicht schnell, das lässt die Toga nicht zu, aber keinen Zweifel daran lassend, dass er endlich mal wieder raus muss.

    "Manchmal verschafft sie einem Erleichterung, hrhrhr." Vic lacht in sich hinein, obwohl er Decius Gedankengang nicht nachvollziehen kann. Er ist sich mittlerweile sicher, dass der Junge seinem Vater nur untergeschoben worden ist. Wer weiß mit was für einem Philosophen seine Mutter Onkel Sev betrogen hatte. Aber das wär nicht mehr ihr Problem, denn Onkel Sev ist nicht mehr und Decius trotzdem ein Valerius. "Aber wenn du meinst, früher oder später wirste schon verstehen, wie der Hase, oder besser dat Häschen, läuft." Er unterdrückt ein Gähnen. "Bis du soweit bist, dass de dich mit eigenen Mitteln durch Rom schlagen kannst, kannste das Zimmer da als dein eigenes betrachten." Vic weist auf eine Tür. "Und du," er schaut Marcus an. "...brauchst auch nich aufm Wagen vor der Tür zu pennen, nimm einfach dat Zimmer nebendran, das is momentan sowieso nur nen Gästezimmer."

    Ein dumpfes Pochen reißt Victor aus dem Schlaf. "Arghhh." Er fasst sich an den Kopf, um ihn herum dreht sich alles. Mit einem lauten Kreischen schabt die Tür über den Boden, als sie geöffnet wird. "Ahhh!"
    "Herr?"
    Hulc schaut unschlüssig, als er Victor auf dem Fußboden vorfindet. Doch der beißende Geruch, der ihm entgegenschlägt erklärt einiges. "Ich werde die Tür offen lassen, damit hier frische Luft reinkommt. Möchtest du etwas zu Essen, bevor du in die Regia aufbrichst? Die Sonne steht schon weit am Horizont."
    "Argh!"
    Victor setzt sich langsam auf und sinkt gegen das Bett. "Mach die Tür wieder zu! Dieses Licht, die Frischluft, das unerträgliche Gebrüll der Vögel! Lass das draußen!"
    Hulc beeilt sich, in den Raum zu treten und die Tür zu schließen, auch wenn die Luft im Raum kaum atembar ist.
    "Boah, is mir schlecht... Hilf mir auf." Hulc hebt eine Augenbraue und hilft Victor, sich aufs Bett zu setzen. Dieser kippt aber gleich wieder stöhnend zur Seite und schaut dumpf die gegenüberliegende Wand an. "Ich geh heut nirgendwohin... ich sterbe..."
    Die Augen verdrehend schüttelt Hulc den Kopf. "Das kommt vom vielen... Opfern. Die Luft hier drin ist so dick, dass man sie mit einem Gladius schneiden könnte. Ich werde durchlüften und dir etwas zu trinken bringen, Herr. Dann wird es dir bald wieder besser gehen."
    "Mir schnuppe... lass mich nur einfach in Ruhe... sterben..."

    Wenn der Mensch in der Lage wäre, die Augen einmal um 360° zu drehen, so würde Hulc das in diesem Augenblick tun. So beschränkt er sich darauf, sie so weit wie möglich nach oben zu drehen und verlässt das Zimmer. Victor zieht die Füße aufs Bett, dreht sich zur Wand hin und ist wenig später wieder eingeschlafen.

    Eine hohe Mauer türmt sich vor Victor auf, er spürt die Kälte des Steins, als er seine Hand dagegen legt. "Vic..." Es ist nur ein Flüstern, so, als wär es direkt hinter seiner Schulter, doch als sich Vic umdreht, ist da niemand. "Vio?" Victor schaut angestrengt durch die weißen Nebelschwaden. Unsicher streckt er seine Hand aus und geht langsam vorwärts. Der Nebel lichtet sich nach einigen Meter, doch Victor steht schon wieder vor einer Wand. Aber dort gibt es zwei Türen. Auf der einen steht in großen blauen Lettern 'Eingang', auf der anderen in gleicher Schrift 'Ausgang'. "Hmm." Victor nimmt den Ausgang, denn er will aus dieser Situation heraus. Er tritt durch die Tür und steht im Circus Maximus, vor den Mauern ist das Rauschen des Meeeres zu hören, denn der Circus steht am Strand von Malaca. Der Sand unter seinen Füßen ist heiß und Vic bohrt seine Zehen hinein. "Vic..." Er kennt nur eine Person, die seinen Namen auf diese Weise aussprechen kann, dass ihm ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Er dreht seinen Kopf und sieht Vio auf sich zukommen, ihr Lächeln ist so verführerisch wie eh und jeh und ihre Figur eine Wucht. "Hrhr. Was hälste von nem Ritt draußen am Strand?" Vic legt seine Arme um ihre Hüfte und küsst sie lang und innig. "Immer noch wie..." Er hält erschrocken inne, reißt die Augen weit auf und schiebt die Frau vor sich hastig von sich fort. "Iulia!" Er stolpert verwirrt rückwärts, fällt und schlägt hart auf dem Boden auf...



    Als Victor die Augen öffnet, sieht er Helenas Gesicht über sich. Sie bewegt ihre Lippen, schaut ihn eindringlich an, doch Vic kann nicht verstehen, was sie sagt. Sie scheint so nah und doch so weit entfernt. Er versucht seine Hand zu heben, um ihr Gesicht zu berühren, doch sein Körper ist so furchtbar schwer, dass er sich nicht rühren kann. Helena lächelt, streicht ihm über die Stirn und geht von ihm weg. Nach einigen Schritten dreht sie sich nochmal um, winkt ihm zu, dann wird sie vom Nebel verschluckt.



    Vic setzt sich benebelt auf. Von irgendwoher dringt Musik zu ihm durch. Er blickt sich um und sieht einen bärtigen Mann auf sich zukommen, singend und swingend:

    ~ Und jetzt, kurz vor dem Ende,
    und bevor der letzte Vorhang fällt,
    ich sage es dir deutlich, mein Freund,
    ich werde meine Prinzipien offenlegen,
    von denen ich überzeugt bin. ~


    Er tanzt in einem Dreischritt, wie ihn der archaische Kriegstanz vorschreibt, auf Victor zu, der perplex sitzen bleibt.

    ~ Ich lebte ein erfülltes Leben,
    ich reiste und fuhr auf allen Straßen,
    aber vor allem, was viel wichtiger ist,
    ich blieb auf meinen Weg. ~


    Der Mann dreht sich, doch statt sich von hinten zeigt er ein zweites Gesicht, welches weitersingt:

    ~ Bereut habe ich Einiges,
    aber es wäre zu wenig es zu erwähnen.
    Ich tat, was ich tun mußte
    und zog es ohne Ausnahme durch,
    ich plante jeden vorgezeichneten Weg,
    jeden vorsichtigen Schritt auch auf Nebenwegen.
    Aber vor allem, was viel wichtiger ist,
    blieb ich auf meinen Weg. ~


    Von der Musik angetrieben, steht Victor langsam auf. Der Mann dreht sich wieder, immer wieder, doch egal, welches Gesicht er zeigt, er singt unbeirrt weiter:

    ~ Sicherlich gab es Zeiten, die du sicher auch kennst,
    wo man mehr abbeißt, als man kauen kann.
    Aber immer wenn es Zweifel gab,
    aß ich sie auf und spuckte sie aus.
    Ich trotzte allem, blieb standhaft
    und ging meinen Weg.
    Ich habe geliebt, gelacht und geweint,
    ich war meistens der Verlierer
    und jetzt wo die Tränen verflogen sind,
    kann ich nur noch darüber lachen.
    Wenn ich über das was ich tat nachdenke
    darf ich ohne Hemmungen sagen,
    oh, nein, nein nicht ich: Ich ging meinen Weg! ~


    Eine unglaubliche Kraft durchströmt Victor, er kannt nicht anders, als in das Lied des Gottes einzustimmen:

    "Was ist ein Mann, was hat er erreicht?
    Wenn er nicht er selbst ist, ist er ein Niemand.
    Sagen was man wirklich fühlt,
    und von Anderen keine Befehle annehmen,
    die Vergangenheit zeigt es,
    ich steckte die Schläge ein!
    Und ging meinen Weg!
    Und gehe meinen Weg, und gehe meine Weeeeg."

    Nachdenklich versenkt Vic seinen Blick im Weinbecher. Vielleicht liegt es an den Ereignissen des Tages, vielleicht ist es eine Nachwirkung von Sevs Schlag, aber irgendwie hat er den Übergang zum nächsten Thema verpasst. Plötzlich ist die halbe Factio in die Planung eines Fests verwickelt und Victor hat keine Ahnung, ob das nun zum Training mit der Russata, zu den Ludi Apollonaris oder einfach so stattfinden soll. Aber Fest ist immer gut, viel Wein noch besser und einige schöne Frauen sowieso. Bei den meisten Sodales ist er sich auch sicher, dass ihnen sowas gefallen würde, einige hat er auf dem Gaius-Fest schon beim Feiern erlebt, obwohl ein offizielles Fest der Veneta natürlich nicht ganz so schlimm wie ein Gaius-Fest werden dürfte. "Ja,... eine ausgezeichnete Idee."


    Langsam aber sicher merkt Victor, wie das Pochen in seinem Schädel etwas heftiger wird. Er fasst sich kurz an die in der Entstehung begriffenen Beule an der Schläfe, stellt seinen Becher ab und wendet sich an die beiden Iulier. "Ich werde mit dem Princeps noch über eure Aufname sprechen, aber das ist nur eine Formalität, damit ihr offiziell in das Register aufgenommen werdet. Habt ihr sonst noch irgendwelche Fragen zur Factio?" Sein Blick bleibt einen Moment auf Helena hängen, geht aber eilig weiter zu Constantius.

    Nachdem Victor sein Büro in der Regia verlassen hat, ist er über einen kleinen Umweg bei einem speziellen Händler zur Casa del Sev et Vic zurückgekehrt. Das Atrium lässt er zur großen Verwunderung der Hunde links liegen und geht zielstrebig in sein Cubiculum. Razor und Blade folgen ihrem Herrn neugierig, schaffen es aber nicht schnell genug in das Zimmer, bevor die Tür zu geht. Victor bleibt mitten im Raum stehen und zieht die Augenbrauen zusammen. Als wäre er zum ersten mal in diesem Zimmer schaut er sich um und stellt fest, dass es fast genauso leer ist, wie sein Officium. Ein Schrank, von dem er weiß, dass nicht viel drin ist, ein Bett welches er nur selten nutzt, und ein Altartisch mit einer Marsstatue, einem Bacchusrelief und einem Ianuskopf, davor eine Opferschale, einige Kerzen, eine Räucherschale und ein Kästchen mit besonders gutem Weihrauch.


    Vic tritt an den Altar und entzündet die Kerzen und die Kohle im Räucherbecken, dann holt er den kleinen Beutel hervor, den er samt Inhalt gekauft hat. Seufzend sinkt er auf die Knie nieder, holt etwas Weihrauch aus dem Beutel und legt ihn Vorsichtig auf die Kohle. "Anfang und Ende." Heller Rauch steigt aus der Schale auf, zieht hoch bis unter die Decke des Raums. Victor pustet und schaut dabei zu, wie der Rauch verwirbelt, dann legt er noch mehr von der Räuchermischung aus Ladanum, Cannabis, Styrax, Opium und Lorbeer auf die Kohlen. "Ianus, Anfang und Ende aller Dinge, du kennst die Zwiespältigkeit wie kein anderer, die Zerrissenheit und Entzweiung. Zwei Seiten, Anfang und Ende, Eingang und Ausgang, du kennst es genau. Darum frage ich dich, Herrscher aller Dinge, ob es ein Anfang ist und zugleich ein Ende, oder ob es nur die eine Seite der anderen ist? Weise mir eine Tür, deus deorum, möge sie Anfang oder Ende sein, oder beides." Eine weitere Hand voll Räucherung landet in der Schale. Dicke Schwaden hängen unter der Decke des Cubiculums und nebeln langsam den ganzen Raum ein. Wieder und wieder legt Vic einige Körner und Blätter auf die Kohlen, bis schließlich der ganze Beutel leer und das Zimmer eingeräuchert ist. Victor lässt sich zurücksinken, bleibt vor dem Altar auf dem Boden sitzen und atmet den Rauch tief ein.

    "Mögen die Götter dich leiten, Iulia Helena." flüster Vic ihr nach als sich die Tür schließt, dann lässt er seinen Kopf auf die Tischplatte sinken, schließt die Augen und lässt die Stille eine Weile auf sich wirken. "Mann, Mann, Mann, wat tu ich hier?" Er zieht scharf die Luft ein und richtet sich wieder auf. Sein Blick geht zu Mars hin. "Mars und Venus, ja? Aber doch die Götter, nich die Priester, verdammt! Dabei bin ich nichmal mehr Sacerdos Martialis!"


    Er steht ruckartig auf und klappt die noch immer offen rumliegende Wachstafel zu. "Ich muss hier raus. Schluss für heute. Ich brauch was zum in die Birne ziehen. Ein Krautopfer. Ein großes Krautopfer." Er verlässt fluchtartig sein Büro um so schnell wie möglich aus der Regia zu kommen. Beinahe rennt er einen Scriba um, der ziemlich irritiert schaut. "Wat glotzt du so, Junge, hast du nix zu tun?" Der Scriba duckt sich instinktiv und macht, dass er weiterkommt. Victor grummelt vor sich hin und geht gezwungenermaßen langsamer um die nächste Ecke. Es kommt schließlich nicht allzu oft vor, dass ein Septemvir durch das Gebäude eilt, und das liegt nicht nur am durchschnittlich hohen Alter der Septemviri. 8)

    Victor nimmt die Tafeln in Empfang und schlägt die erste auf. "Wenn du es nicht eilig hast, dann werde ich sie direkt korrigieren." Er nimmt den Griffel zur Hand, liest die Antworten des Popa ganz genau und kritzelt ab und zu etwas in das weiche Wachs. Zwischenrein ist ein Hmm., dann ein Mmm., ein andermal ein Puh. und später ein Tja. zu vernehmen.


    Als Vic den Griffel weglegt und zu Flaccus aufschaut, liegt ein zufriedener Ausdruck auf seinem Gesicht. "Gratuliere, Sacerdos Tiberius Flaccus. Im Tempel des Apollo Sosiamus wird zukünftig ein äußerst fähiger Priester seinen Dienst tun."

    Victor nickt. Und nickt nochmal. Er kann sie voll und ganz verstehen, denn er weiß im Moment auch nicht, was er möchte. Zum einen will er sie. Jetzt. Hier. Auf diesem Schreibtisch, der für einen Schreibtisch sowieso viel zu leer ist. Andererseits würde er sie am liebsten weit weg wissen. Dann würde er sie vielleicht weniger wollen. So wie Violentilla. Manchmal träumt er von seiner Frau, doch in anderen Nächten träumt er eben von anderen Frauen. Liebt er sie noch? Diese Frage beschäftigt ihn manchmal, wenn er zu viel Wein getrunken hat. Doch eine Antwort findet er nie und im Grunde war es auch nie nötig eine zu finden. Ist es jetzt nötig? Würde es etwas ändern? Würde er etwas ändern wollen? Er weiß auch das nicht.


    "Es muss dir nicht leid tun." Seine Stimme klingt schwermütig. Die Ereignisse, oder besser die Gefühle, überschlagen sich zu schnell, als dass er noch einen klaren Kopf hätte. "Lass dir Zeit bei deiner Entscheidung, etwas zu Überstürzen bringt nur Unglück." Was Vic sagt, gilt nicht nur für die Entscheidung, ob sie aus der Verwaltung zum Cultus Deorum wechseln soll. Doch das muss er nicht erwähnen, sie würde das wissen. "Wenn du wieder eine Frage hast... du kannst jederzeit hierher kommen." Es klingt zu deutlich in seinen Ohren. "Wenn ich hier bin, hab ich meist sowieso nur langweiliges Schreibzeugs zu tun." Er zieht einen Mundwinkel hoch und hofft, dass sie ihm wenigstens das abkaufen würde.

    "Boah ne! Mit Plato? Dat is ja unglaublich!" Auf diesen Schreck hin trinkt Vic erstmal seinen ganzen Becher leer und schenkt sich gleich nach. "Junge, Junge." Ob nicht doch ein Missverständnis vorliegt? Womöglich gibt es noch einen Valerius Severus, einen der nur sehr weitläufig mit Sev und Onkel Sev verwandt ist.


    "Auf die Richtige um was zu tun, wartest du? Um sie ranzunehmen? Oder um sie zu heiraten? Mann, Deci, was kann an einer Lupa falsch sein mit der du in die Kiste willst? Wenn sie ne Frau ist, dann is sie ne Frau, fertig. Wat sollte sie mehr sein?" Er zieht eine Augenbraue hoch. "Und zum Heiraten? Junge, was gibts da lang zu überlegen. Wenn sie genug mitbringt, dann ist es egal, wie du sie findest. Hrhr, vielleicht finden wir für dich eine mit nem Senatorenvatter, dat wär doch was. Dann hättste jemanden, der dich da voranbringen könnt." Er überlegt, ob er einen Senator kennt, der noch eine freie Tochter hat, aber einfallen will ihm keiner. "Oder eine mit Senatorenbruder? Muss man sich halt ma umhören."