Beiträge von Narrator Aegypti

    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Der Philosoph nickte.
    "Ebenso gilt es im Auge zu behalten, dass Lust und Schmerz zwar die einzigen Alternativen, in ihrer Qualität aber durchaus unterschiedlich sind, wie uns die Erfahrung lehrt: Mancher Schmerz ist nicht physisch, sondern geistig und bezieht sich nicht auf die Gegenwart, sondern auf Vergangenheit - etwa die Reue - oder die Zukunft - wie die Furcht, die zu eliminieren wir ja schon in der Physik erstrebt haben.


    Doch ebenso muss die Ethik uns abwägen lehren, um Reue für die Zukunft zu vermeiden und langfristig Lust zu gewinnen. Denn schon der 9. Lehrsatz sagt uns: Wenn alle Lust in Hinsicht auf Umfang und Dauer zusammengefasst werden könnte und dies im ganzen Organismus oder wenigstens in den wichtigsten Teilen des menschlichen Körpers möglich wäre, dann unterschieden sich die Lustempfindungen niemals von einander.
    Doch leider ist dies nicht so. Verprassen wir heute unser gesamtes Geld, um mir die teuerste Hetäre von ganz Alexandria zu leisten, dann werden wir womöglich diesen Abend größte Lust empfinden, der Morgen wird aber ein fades Erwachen bringen. Stehle ich meinem Nachbarn dann sein Geld, werde ich mir ebenfalls dauerhaften Schmerz zufügen, da ich ständig fürchten muss, ertappt und bestraft zu werden.


    Daher spricht auch Epikur in seinem 5. Lehrsatz wie?"
    Er deutete auf einen ägyptisch aussehenden jungen Mann, der mit gelangweilter Stimme herunterleierte:
    "Es ist nicht möglich, lustvoll zu leben, ohne vernünftig, anständig und gerecht zu leben, und auch nicht vernünftig, anständig und gerecht, ohne lustvoll zu leben. Wem dies aber nicht möglich ist, der kann auch nicht lustvoll leben."
    Aristobulos nickte und fuhr fort:
    "Damit scheinen wir wieder bei dem zu sein, was auch die anderen Philosophen uns lehren. Aber wir müssen beachten: Anstand, Gerechtigkeit, Vernunft oder Weisheit sind nur Strategien der Schmerzvermeidung und der langfristigen Befriedigung unserer Begierden. Nur wenn wir einen langfristigen Lustgewinn erkennen können, sollten wir also Schmerz auf uns nehmen, niemals aber um seiner selbst willen!"
    Wieder gab es keine kurze Pause, um bei den Studenten das Gesagte setzen zu lassen. Erst danach ging es weiter:
    "Nehmen wir dies ernst, dann ergeben sich daraus einige Folgerungen, die einem Platoniker, einem Aristoteliker oder einem Stoiker nicht schmecken werden:
    Eine davon nennt er etwa im 14. Lehrsatz: Wenn auch die Sicherheit vor den Menschen bis zu einem gewissen Grad auf der Grundlage einer festgefügten Macht und auf der Grundlage guter wirtschaftlicher Verhältnisse gewährleistet ist, so erwächst doch die deutlichste Sicherheit aus der Ruhe und dem Rückzug vor den Leuten.
    Denn die Politik und der Staat haben in unserer Weltsicht nur einen Zweck: Damit man sicher sein konnte vor den Menschen, gab es das natürliche Gut der Herrschaft und des Königtums, mit dessen Hilfe man sich gegebenenfalls diese Sicherheit verschaffen konnte., Lehrsatz 6. Ist dies durch ein halbwegs funktionierenden Staatswesen aber gewährleistet, gibt es keinen Grund, sich an diesem schmerzbeladenen Moloch zu beteiligen. Denn welche Lust sollte ich daraus gewinnen, Unmengen an Geld und Nerven in aufreibende Wahlkämpfe zu stecken, mir endlose Stunden an Aktenstudium oder langweiligen Gastmählern mit sogenannten politischen Freunden um die Ohren schlagen?
    Viel klüger ist es also, sich zurückzuziehen, nicht leerem Ansehen und vermeintlicher Macht hinterherzurennen, sondern besser darüber nachzudenken, was mir in meinem privaten Leben, das ich weitaus besser kontrollieren kann als das öffentliche, Lust bereiten mag."

    In den Reihen der Studenten erhob sich leichtes Gemurmel. Die Mahnung zur Abstinenz von aller Politik und öffentlichem Wirken war doch ein starkes Stück - egal ob man Römer oder Grieche war. Aristobulos blickte ihnen aber nur trotzig entgegen.
    "Ja, so ist es! Und noch etwas sage ich euch: Niemals gab es absolute Gerechtigkeit, sondern nur einen Vertrag, der jeweils im gegenseitigen Austausch an beliebigen Orten darüber abgeschlossen wurde, niemanden zu schädigen oder sich schädigen zu lassen., 33. Lehrsatz!
    All die Diskussionen über die Gerechtigkeit sind also ebenfalls müßig. Denn im Grunde hat Epikur alles wichtige schon in seinem 37. Lehrsatz gesagt. Wie lautete dieser noch gleich?"

    Fragend sah er in die Runde.




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Wieder nickte der Philosoph.
    "Hierzu mag eine Erläuterung angebracht sein: Natürliche, notwendige Begierden sind wohl das einfachste - es sind die Begierden, die auch den Säugling beschäftigen: Unter Nahrung, Gesundheit und Sicherheit lassen sich die meisten subsummieren. Ihnen ist zu eigen, dass sie stets begrenzt sind - wenn ich satt bin, hat die Begierde nach Nahrung ihre Grenze erreicht."
    Er sah spöttisch zu dem dicklichen Römer, der sich unter die Studenten gemischt hatte.
    "Dann gibt es natürliche, nicht notwendige Begierden. Dies sind teils Verfeinerungen der notwendigen Begierden, etwa das Streben nach meinem Lieblingsessen, nach schöner Kleidung. Teilweise aber auch Begierden, die vergehen, auch wenn ich sie nicht befriedige. Man denke etwa an Sexualität. Bleiben noch unnatürliche und unnötige Begierden - all die Dinge, die wir glauben zu brauchen oder eingeredet bekommen, begonnen bei Macht über Luxus bis hin zum Ansehen oder auch zur Weisheit. Beide Arten zu begrenzen fällt schon schwerer - ich kann immer noch eine schönere Frau oder einen hübscheren Knaben finden, kann der angesehenste, reichste oder mächtigste Mann in meiner Straße, meiner Stadt oder in der ganzen koine ja auch darüber hinaus werden wollen und doch immer mehr Ansehen, größeren Reichtum oder absolutere Macht erstreben!"
    Jetzt sah der Philosoph eindringlich in die Augen jedes einzelnen Studenten, als wolle er in ihre Seelen blicken, wo sich all diese überflüssigen Begierden tummelten.
    "Wenn die Befriedigung von Begierden mir Lust bereitet, die mangelnde Befriedigung aber Schmerz, folgt daraus ein einfacher Imperativ: Befriedige deine Begierden! Und wenn das nicht möglich ist, dann töte sie ab!"
    Wieder wanderte Aristobulos' Zeigefinger in die Höhe.
    "Nun stellt sich die Frage, wie ich entscheide, welche Begierde zu befriedigen ist und welche nicht? Die Antwort ist wieder recht einsichtig: Es gibt Begierden, die befriedigt werden müssen, sonst endet meine Existenz - die natürlichen, notwendigen Begierden. Sie haben außerdem den Vorzug, dass sie stets begrenzt sind.
    Komplizierter ist es bei potentiell unbegrenzten Begierden. Sind sie nicht natürlich, dann gibt es keinen Grund, ihnen hinterherzueilen - sie werden immer mehr Schmerz als Lust bieten.
    Bleiben die natürlichen, nicht notwendigen Begierden. Hier gilt es für jeden einzeln abzuwägen und realistisch einzuschätzen: Was kann ich befriedigen? Wovon muss ich mich frei machen durch Übung, Askese und Selbsterziehung? Kann ich mir etwa die Austern leisten, die ich so gerne esse? Dann soll ich sie genießen, denn ihr Genuss bereitet mir immer mehr Lust. Doch bin ich ein armer Schlucker, dann sollte ich mir klar machen, wie überflüssig Austern doch sind, muss mich vielleicht an ihre unangenehme Salzigkeit oder meinen Nachbarn erinnern, der sich an schlechten Austern vergiftete, bis ich die Begierde nicht mehr verspühre."

    Auf seinen Stock gestützt ging er zu seiner Säule, drehte sich dann aber rasch um.
    "Ganz einfach? Vielleicht nicht ganz. Deshalb gibt uns der große Epikur zahlreiche Hilfsmittel auf den Weg, unsere Begierden zu beurteilen und mit ihnen umzugehen. Man denke an den 26. oder den 30. Lehrsatz."
    Er deutete stumm auf den dünnen Rhomäer in seinem Kurs, der immer so finster dreinblickte.




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Als Aristobulos heute den Unterricht begann, leuchteten seine Augen richtiggehend - man konnte allzu deutlich sehen, dass dieser Bereich ihm am meisten Spaß machte:
    "Meine Akroatoi und Gasthörer!
    Wir beginnen heute mit dem letzten und wichtigsten Kapitel in der Philosophie des großen Epikur, gewissermaßen der wichtigsten Zutat in seiner Seelen-Arznei: der Ethik.
    Wissen mag uns manche Ängste nehmen und damit den Schmerz bekämpfen, sodass auch die Physik ihre Bedeutung hat. Doch die Abwesenheit dieses Schmerzes allein ist nicht das, was wir ein glückliches Leben nennen mögen. Vielmehr müssen wir uns fragen, wie wir denn leben sollen, wenn Tugenden, Weisheit, Götter oder Ideen nicht der Maßstab sein können, dem wir folgen müssen. Was bleibt? Es ist die Lust, die das Gegenteil des Schmerzes ist. Um Lust oder Schmerz zu beurteilen, müssen wir auf unsere pathe hören, die wir schon beim kleinsten Säugling am Werke sehen: Denn was ist es, worauf ein Säugling, noch völlig unbestimmt durch die Einflüsse unserer Welt, sein Streben richtet? Auf Herrschaft? Nein. Auf ein höchstes Gut oder Wissenschaft? Nein! Er scheint einzig und allein dafür zu leben, seine Begierden zu befriedigen: Seine Nahrung zu erhalten, die Aufmerksamkeit seiner Amme oder eine saubere Windel.


    Es ist also der Umgang mit unseren Begierden, durch den wir entweder Sklaven des Schmerzes bleiben oder Lust gewinnen. Dazwischen gibt es nichts, wie uns schon der 3. Lehrsatz lehrt: Die Größe der Lust hat ihre Grenze in der Beseitigung allen Schmerzenden. So lange aber Lust empfunden wird, gibt es dort, wo sie empfunden wird, nichts, was weh tut oder traurig macht oder beides zusammen,
    Die Lust allein ist es also, der wir entgegenstreben sollen, um zu beständiger Lust oder Seelenruhe zu gelangen, die die Philosophen ataraxia nennen.



    Epikur mahnt deshalb in seinem 25. Lehrsatz:
    Wenn du nicht in jeder Situation all dein Handeln auf das Ziel beziehst, das dir die Natur vorgibt, sondern vorher abweichst, indem du Ablehnung und Zustimmung auf etwas anderes beziehst, werden bei dir die Taten nicht den Worten entsprechen.


    Anstatt also von Tugenden oder Prinzipien auszugehen, wollen wir von den Begierden des Menschen ausgehen, die wir alle aus der alltäglichen Erfahrung nur allzu gut kennen. Epikur unterteilt sie in seinem 29. Lehrsatz. Wer weiß ihn noch?"




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Aristobulos nickte zufrieden.
    "Es nützte nichts, die Sicherheit unter den Menschen herzustellen, während man noch Angst empfände vor den Vorgängen am Himmel und unter der Erde und überhaupt im unbegrenzten Universum. Mit dieser Einsicht aus dem 13. Lehrsatz also möchte ich euch für heute entlassen, damit ihr Zeit habt, die Naturphilosophie noch einmal zu meditieren und euch vorzubereiten auf den Kern der Therapie des Epikur: die Ethik!"
    Mit diesen Worten schloss Aristobulos für den heutigen Tag die Vorlesung und atmete tief durch.




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg "Na geht doch!"
    kommentierte Aristobulos zufrieden und fuhr direkt fort:
    "Haben wir somit den Tod besiegt, kommen wir auf eine weitere Furcht, die wir seit Kindesbeinen kennen und die uns immer wieder erfüllt, wenn wir den Himmel mit seinen beängstigenden Erscheinungen sehen: die Götter."
    Die Stimme des Philosophen wurde nun besonders bedeutungsschwanger:
    "Was sind die Götter? Nun, wir halten sie für übermächtige Wesen, die in den Gefilden der Seligkeit leben und unsterblich sind. Epikur erkennt all dies an - was immer seine Hasser ihm vorwerfen mögen!


    Doch er ist überzeugt: Auch sie sind Wesen aus Atomen und müssen daher irgendwo zwischen diesen unzähligen Welten leben, die es in der Unendlichkeit des Alls gibt. Leben sie dort in Seligkeit und Unsterblichkeit, stellt sich aber die Frage, warum sie in unsere Welt eingreifen sollten. Welchen Nutzen oder Lustgewinn sollten sie davon haben, uns zu quälen oder zu belohnen?"
    Aristobulos' Blick wurde wieder fragend, doch scheinbar wollte er diesmal keine Antwort hören, sondern fuhr rasch wieder fort:
    "Die Götter sind allwissend und daher so weise, dass sie wissen sollten, dass die Einmischung in fremde Angelegenheiten niemandem Glück bringen kann, wie auch wir noch lernen werden - wir können an den ersten Lehrsatz denken! Also gibt es keinen Grund, ihre Einmischung zu fürchten und somit auch in den Himmelserscheinungen oder Wechselfällen des Lebens etwas anderes am Werk zu sehen als den schnöden Zufall, der die Atome formt, wie er will.


    Damit also schließt sich der Kreis und wir können zurückdenken an den 11. oder den 12. Lehrsatz, die da hießen?"
    Der Gehstock kreiste wieder wie ein Geier über der Studentenschar und blieb schließlich an dem dicklichen Flavier hängen.




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Keine Fragen - das Publikum war heute wieder einmal recht passiv. Aber der Philosoph fuhr unbeirrt fort:
    Nun mag man sich fragen: Aber wie können diese Verbindungen so trefflich zusammenpassen, dass sie diese nützliche und gute Welt ergeben? Darauf antworten Demokrit und Epikur jedoch gleichermaßen: Der Zufall! Alles ist so gekommen, weil im unbegrenzten All auch unbegrenzte Möglichkeiten von Verbindungen realisiert werden, es also gar nicht so unwahrscheinlich ist, dass neben beinahe unendlich vielen Welten, die schlechtere Bedingungen liefern, sich auch eine mit den unseren ergibt.


    "Gut, dann könnt ihr jetzt hoffentlich auch erkennen, warum wir mit dieser Erklärung der Welt auch den Tod nicht mehr zu fürchten haben. Denken wir zurück an den 2. Lehrsatz!"
    Er blickte erwartungsvoll in die Runde.





    An den Nauarkos Dekimos Massa


    betreffend deiner Anfrage zu der Töpferei erhältst du gerne mein Einverständnis. Da dies eine vollständig ausgebaute Töpferei mit hoher Produktionskapazität ist, die neu aufzubauen dich sicherlich über tausend Drachmen kosten würde, wirst du sicherlich zustimmen, dass ich noch 900 Drachmen dafür von dir verlangen muss. Sobald du die Summe bei mir hinterlegt hast*, überschreibe ich dir gerne den Betrieb.


    ora kali


    Aison Basdekis
    Agoranomos



    Sim-Off:

    *Auf das Konto von Alexandria

    “Chaire. Und selbstverständlich“, antwortete der Schreiberling und nahm die Schriftrolle entgegen.


    Einige Stunden später, als der Agoranomos seine Post nach und nach abarbeitete, kam dann auch dieses Schreiben dabei wieder zum Vorschein. Und wieder hatte der Schreiberling eine neue Aufgabe, nämlich die, eine Antwort zu verfassen und zustellen zu lassen. So gab es immer was zu tun.

    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Keiner meldete sich. Natürlich war Aristobulos enttäuscht und schnaubte verächtlich, bevor er seine Frage selbst beantwortete:
    "Die symbebekóta sind Gestalt, Gewicht und Größe als Eigenschaften, die messbar sind. Die symptmata sind überaus vielfältig, etwa Freiheit, Armut oder dergleichen. Diese Atome aber bewegen sich auch und benötigen dafür Raum, der nicht von Atomen besetzt ist - sonst wären sie ja wie die Steine einer Mauer fest zusammengefügt und daher unbeweglich. Damit ergibt sich für Demokrit und auch für Epikur der Schluss: Es gibt nichts außer eine unendliche Zahl von Atomen und den unendlichen Raum, in dem sie sich bewegen.


    Nun ergibt sich daraus natürlich die Frage, wie aus diesen winzigen Teilen dann Materie, wie ein Tisch oder ein Mensch oder ein Berg daraus werden. Epikur setzt hier - anders als Demokrit - eine Analogie zwischen den winzigen, unbeobachtbaren Atomen und beobachtbaren Objekten: Sie fallen alle mit gleicher Geschwindigkeit nach unten. Dass dies der Fall ist, lässt sich ebenfalls aus dem sinnlich Wahrnehmbaren ableiten: Werft einen Stein von einem zehn pous hohen Turm und dann in zehn pous tiefes Wasser. Ihr werdet sehen, dass er in letzterem langsamer ist, da das Wasser ihn bremst. Woher aber sollte der Widerstand des Wassers kommen, wenn nicht von den Atomen, aus denen es besteht? Besteht aber auch die Luft aus Atomen, dann wird auch sie Widerstand leisten, nur eben geringeren, da die Atome kleiner oder leichter sind. Führen wir diesen Gedanken weiter, können wir schließlich davon ausgehen, dass in der Leere kein Widerstand herrscht und somit alle Atome gleich schnell fallen.


    Ihr Streben nach unten wird jedoch gestört durch spontane Abweichungen, die parenklisis, zusammen und bilden Verbindungen, an denen weitere Atome anstoßen und immer so fort, bis sich daraus verschiedene Objekte ergeben - ein Stein, ein Körper oder ein Berg! Je nach den Eigenschaften der Atome haben dann auch diese Objekte unterschiedliche Eigenschaften und sind weich oder fest, rot oder grün, leicht oder schwer! Doch da die Atome nicht stillstehen, auch in Verbindung, da alles sich bewegt, so unmerklich es auch sein mag, zerfallen letztlich auch wieder alle Verbindungen. Und damit verschwinden auch die Objekte wieder, die sie bilden: Der Stein wird zu Sand und zu Staub, der Körper verrottet, der Berg zerfällt zu Steinen und so weiter und so fort.


    Alles besteht also aus zufälligen Verbindungen der Atome, wird zufällig gebildet und zerfällt wieder. Dies gilt für jedes Ding - auch im menschlichen Körper: Die Organe bestehen aus Atomen, aber genauso die Seele, die uns das Denken und Wahrnehmen ermöglicht, und der Geist, der uns Macht über unseren Körper gibt. Auch unser Bewusstsein beruht somit auf nichts anderem als- Atomen!"
    Er machte eine kurze Pause, um Luft zu holen.
    "Gibt es irgendwelche Fragen?"




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Diesmal kam Aristobulos ein wenig zu spät, sodass bereits alle versammelt waren, als er mit erstaunlicher Geschwindigkeit, gestützt auf seinen Gehstock, durch die Stoa eilte. Auf dem Weg zu seiner Säule begann er bereits zu reden:
    "Chairete, meine Lieben! Ich hoffe, ihr habt die Kanonik des Epikur fleißig wiederholt, damit wir heute das erste zentrale Kapitel aufschlagen können:"
    Endlich erreichte er seinen Platz und reckte bedeutungsvoll den Zeigefinger nach oben.
    "Die Physik!"
    Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort:
    "Damit kommen wir endlich zu einem Aspekt des vierfachen Heilmittels, nämlich dem zweiten Lehrsatz - wie lautete er doch gleich?"
    Er deutete auf einen ziemlich jungen, stark geschminkten Ägypter.
    "Irgendetwas mit dem Tod... der Tod hat keine Bedeutung für uns, weil... weil..."
    Er blickte hilfesuchend in die Runde der Studenten.
    "Ah, genau! Weil was sich aufgelöst hat, empfindet nichts. Aber was nichts empfindet, ist bedeutungslos!"
    Triumphierend sah er seinen Lehrer an, der reglos stehen blieb. Ein wenig verunsichert nahm er schließlich wieder Platz.
    "Das war der Inhalt des zweiten Lehrsatzes, fürwahr. Aber ich denke doch, dass ihr die Lehrsätze des großen Epikur im Wortlaut beherrschen solltet! Das ist schließlich kein albernes Geschwätz irgendeines Marktweibes, sondern die höchste aller Philosophie!"
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
    "Aber kommen wir zur Analyse dieses Lehrsatzes, oder vielmehr zur Frage: Warum ist der Tod Auflösung? Wir werden am Ende dieser Sitzung auf diese Frage zurückkommen.


    Beginnen wir lieber mit dem 12. Lehrsatz, der uns erklärt, warum wir Physik betreiben müssen, obwohl wir doch keine Naturphilosophen sind. Und zwar sagt der Weise: Es wäre nicht möglich, die Angst in Zusammenhang mit den wichtigsten Dingen aufzulösen, wenn man nicht begriffen hätte, was die Natur des Ganzen ist, sondern in Angst vor allem lebte, was die Mythen erzählen; daher wäre es nicht möglich, ohne Naturphilosophie ungetrübte Freude zu genießen.


    Wir benötigen also die Physik, um die Angst zu besiegen. Und damit wären wir beim Kern der Philosophie des großen Epikur, der in einer sehr schlichten und einleuchtenden Maxime besteht: Du gelangst zur eudaimonia, dem Zustand echten Glücks, indem du die Lust suchst und den Schmerz meidest. Ganz einfach.
    Furcht jedoch ist einer der größten Produzenten von Schmerz, sodass du letztlich auch die Angst besiegen musst. Die Angst vor dem anderen, vor der Zukunft, vor den Göttern und schließlich - und da sind wir beim 2. Lehrsatz - sogar die Angst vor dem Tod.


    Doch welche Therapie der Seele kann uns Epikur bieten, um diese Angst zu besiegen?"
    Fragend sah er in die Runde.
    "Es ist die Einsicht, woraus die Welt besteht - die Physik! Dabei bezieht er sich auf den großen Demokrit. Er stammte aus Abdera in Thrakien und war ein weitgereister, weiser Philosoph. Seine Lehren beeinflussten nicht nur Epikur, sondern auch die großen Alten, darunter Platon und auch Aristoteles! Neben seiner Physik befasste er sich auch mit der Ethik, die - anders als bei Epikur - nicht die Lust, sondern die euthymia, die heitere Gelassenheit, ins Zentrum stellte.


    Aber diesbezüglich gibt es wiederum eigene Spezialisten an dieser Lehrstätte, die diese Lehre weitaus differenzierter und umfassender darstellen können. Also beschränken wir uns auf den Kern seiner Physik: Die Einsicht, dass alles auf dieser Welt aus winzigen Teilchen besteht. Dieser Stein-"
    Er legte die Hand auf die Säule neben sich, hob dann seinen Stock.
    -dieser Gehstock, dieses Fleisch,-
    Er zog die faltige Haut an seinem freiliegenden Unterarm ein wenig nach unten.
    "-einfach alles. Alles besteht aus Teilchen, die so klein sind, dass kein Auge sie sehen kann, ja sogar so klein, dass sie nicht mehr kleiner gedacht werden können - a-tomos, unteilbar sind. Diese winzig kleinen Atome also, die im übrigen nicht nur unteilbar, sondern wegen dieser Unteilbarkeit auch unveränderlich und unvergänglich sind, besitzen also gewisse Eigenschaften, die in wesentliche - symbebekóta - und beiläufige - symptomata unterschieden werden. Was mögen diese wohl sein?
    Fragend sah er in die Runde.




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Der Stock war offenbar nicht so genau gezielt, denn der Nachbar des dicklichen Rhomäers fühlte sich stattdessen angesprochen.
    "Nun. Ich vermute. Also ich vermute, wir bräuchten Begriffe wie Lehrer, Schüler, Museion, Philosophie... natürlich Wahrheit..."
    Der junge Grieche runzelte die glatte Stirn, aber Aristobulos nickte bereits zufrieden.
    "Sehr richtig, die meisten Vorbegriffe sind tatsächlich als sprachliche Begriffe benennbar. Jedoch besteht ein Wort eben nicht nur aus Buchstaben, sondern auch aus Vorstellungen, die wir wie ein Muster auf neue Sinneswahrnehmungen legen können. Passen sie, dann können wir eine Wahrnehmung einordnen - passen sie nicht, können wir entweder unsere Vorbegriffe verändern oder neue Begriffe bilden, wie es Philosophen ja nicht selten tun.


    Gerade für Epikur ist es in der Wahrnehmung allerdings nicht allein entscheidend, etwas einzuordnen, sondern vor allem auch, was eine Wahrnehmung in uns hervorruft. Ein dritter kanon sind schließlich pathe, die Empfindungen. Nun mag sich mancher fragen, ob gerade Gefühle nicht voller Irrtümer und überaus subjektiv sind. Doch der Meister betrachtet sie eben nur als Kriterium, ob eine Wahrnehmung Lust oder Unlust hervorruft. Dieses Kriterium ist somit durch nichts zu widerlegen und damit als wahr zu betrachten.


    Mit diesen drei Maßstäben der Erkenntnis grenzt Epikur sich deutlich von anderen Schulen ab, insbesondere von den Skeptikern. Dass er diesen überlegen ist, scheint recht klar: Denn wenn ich meinen Sinnen nicht trauen darf, wem sollte ich sonst trauen und wie Entscheidungen treffen? Wie aber soll ich leben, ohne mich zu entscheiden?"
    Kurz blickte Aristobulos in die Runde, als erwarte er tatsächlich eine Antwort. Dann jedoch machte er eine wegwerfende Handbewegung.
    "Doch da kein Skeptiker hier ist, mit dem zu diskutieren sich lohnen würde, wollen wir diese Debatte nicht vertiefen. Stattdessen wollen wir uns damit hiinsichtlich der Kanonik bescheiden und morgen zur ersten großen Arznei in der Seelentherapie des Epikur voranschreiten: Der Physik.
    Gibt es also noch Fragen zur Kanonik?"




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Diesmal schien der Philosoph mit der Antwort des Rhomäers zufrieden zu sein. Er nickte zwar nicht gerade begeistert und sparte sich auch einen Kommentar, aber es gab immerhin auch keine Kritik. Stattdessen fuhr er einfach fort:
    "Im Grunde will uns der Meister also etwas recht einfaches sagen: Traue deinen Sinnen, denn sie sind der einzige Zugriff, den wir auf die Wirklichkeit besitzen. Durch die aisthesis, die Sinneswahrnehmung, nehmen die winzigen Bildchen, die eidola auf, die alle Objekte beständig aussenden. Diese Aufnahme ist rein mechanisch und damit unfehlbar und irrtumsfrei.
    Nun mag mancher sich fragen: Irre ich mich offensichtlich auch, wenn der Hütchenspieler auf der Agora meinen Sinnen einen Streich spielt?
    Die Antwort findet sich in Lehrsatz 24: Wenn du irgendeine Wahrnehmung einfach verwirfst und nicht unterscheidest zwischen der Vermutung, die noch auf Bestätigung wartet, und dem, was bereits als Wahrnehmung und Empfindung und als ein umfassender, von einer Vorstellung geprägter Zugriff des Verstandes gegenwärtig ist, dann wirst du durch deine unbegründete Meinung auch die übrigen Wahrnehmungen durcheinander bringen und so jeden Beurteilungsmaßstab verlieren. Wenn du aber aufgrund von Mutmaßungen sogar das, was noch auf Bestätigung wartet, und was nicht, insgesamt für gewiss erklärst, wirst du dich unweigerlich einer Täuschung aussetzen; denn du wirst jeden Zweifel bei jedem Urteil über richtig und nicht richtig zwangsläufig gelten lassen."

    Erwartungsvoll blickte Aristobulos in die Runde.
    "Zur Deutung der aisthesis benötigen wir also eine weitere Kategorie, einen kanon, den Epikur prolepseis, Vorbegriffe, nennt. Sie bilden sich aus den Wahrnehmungen, die sich über Erfahrung verfestigen und dann zum Maßstab weiterer Wahrnehmungen werden. Dank unserer Vernunft lassen sie sich jedoch auch weiterentwickeln, indem wir etwa mit Hilfe der Sprache neue Allgemeinbegriffe bilden aus solchen, die wir kennen. Und hier nur kann ein Irrtum entstehen, indem ich die Wahrnehmungen in meinen Vorbegriffen falsch einordnen.
    Welche prolepsis wäre also etwa notwendig, um diese Situation hier zu deuten und wo könnten Irrtümer auftreten?"

    Wieder hob er seinen Gehstock und ging langsam über die Schar der Studenten, bis er endlich auf dem jungen Flavier hängen blieb.




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Der Rhomäer entschied sich falsch.
    "Du bist ein Idiot."
    bemerkte Aristobulos. Sein Blick löste sich von dem Petronier und übersah nun in die gesamte Studentenschar.
    "Epikur ist ein großer Philosoph! Er hat es mehr als verdient, dass ihr geistigen Zwerge in seinem Schatten ihm zumindest den Respekt erweist, seine wichtigsten Lehrsätze zu beherrschen! Niemand von euch wird diesen Kurs verlassen, bevor er nicht jeden einzelnen Wort für Wort beherrscht."
    Er sah wieder zurück zu Crispus.
    "Und lasse gefälligst dein barbarisches Gestammle zu Hause und befleißige dich einer Sprache, die dieser altehrwürdigen Institution würdig ist! Also wer kann aushelfen?"
    Er sah wieder in die Runde. Einen Moment schwiegen alle ganz betreten - dann aber meldete sich ein Grieche.
    "23. Wenn du gegen alle Wahrnehmungen kämpfst, wirst du keinen Maßstab haben, auf den du dich beziehen kannst, um jene Wahrnehmungen zu beurteilen, von denen du behauptest, dass sie falsch seien."
    Zustimmend nickte der Philosoph, blickte dann aber wieder zu dem Römer.
    "Kannst du uns zumindest erklären, was der Satz bedeutet?"




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg "Folglich müssen wir zuerst ein wenig Naturphilosophie betreiben, wofür wir hier in Alexandria ja gerade an der richtigen Stelle sind. Wie ihr zweifellos wisst, genießt gerade sie hier am Museion höchste Anerkennung und nicht wenige der Philosophoi widmen sich ihr. Wir werden jedoch nicht allzu tief in die Materie einsteigen können, denn nach der Lehre des Meisters ist sie lediglich ein Vehilkel für die Therapie der Seele, dem glücklichen Leben in eudaimonia, persönlichem Glück, nach den ethischen Maßstäben des Meisters.


    Doch besteht selbstverständlich die Möglichkeit, Vorlesungen darüber von Experten dieses Faches zu hören. Insbesondere empfehle ich dabei jene Philosophen, die die Lehre des Demokrit bieten. Wobei auch Epikur ein großer Naturphilosoph war, wie ihr wissen solltet und nicht zuletzt in seinem zentralen Buch "Über die Natur" selbst lesen könnt.


    Beginnen wir also mit den Grundlagen jeder Philosophie, der Suche nach der Wahrheit. Vor allen ethischen Überlegungen und physikalischen Hypothesen werden wir uns nämlich fragen müssen: 'Woher weiß ich, was ich weiß?' oder etwas konkreter: 'Was sind die Maßstäbe oder Kriterien meiner Erkenntnis?'"
    Wieder gab es eine kurze Pause, die den Studenten die Möglichkeit bieten sollte, sich selbst einmal mit dieser Frage zu konfrontieren.




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Am nächsten Tag erwartete Aristobulos von Tyrus seine Studenten bereits in der Stoa, wo er gehüllt in seinen Himation, an einer Säule lehnte. Nachdem die ersten Akroaten eintrafen, erhob er sich und begrüßte sie jeweils einzeln mit einem freundlichen
    "Chaire, junger Freund."


    Schließlich hatten sich alle versammelt und der Philosophos begann wieder mit der Vorlesung:
    "Seid noch einmal vielmals gegrüßt, verehrte Akroaten und Gasthörer.
    Wir beginnen heute endlich mit dem Inhalten der Lehre des großen Epikur. Ich hoffe, ihr habt seine Lehrsätze fleißig memoriert, denn heute werden wir sie benötigen! Beginnen wir also, allerdings nicht mit dem ersten Lehrsatz oder dem vierfachen Heilmittel, sondern dem 12. Lehrsatz, der da lautet?"

    Er hob seinen Stock an und deutete auf den deutlich dicklichen kleinen Römer, der immer seinen Diener zum Mitschreiben mitbrachte.




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Aristobulos begann nun, vor den Schülern auf- und abzuwandern, während er mit klarer Stimme die weiteren Lehrsätze rezitierte:
    "Es folgen:
    5. Es ist nicht möglich, lustvoll zu leben, ohne vernünftig, anständig und gerecht zu leben, und auch nicht vernünftig, anständig und gerecht, ohne lustvoll zu leben. Wem dies aber nicht möglich ist, der kann auch nicht lustvoll leben.
    6. Damit man sicher sein konnte vor den Menschen, gab es das natürliche Gut der Herrschaft und des Königtums, mit dessen Hilfe man sich gegebenenfalls diese Sicherheit verschaffen konnte.
    7. Berühmt und angesehen wollten manche Menschen werden, weil sie meinten, dass sie sich so die Sicherheit vor den Menschen verschaffen könnten. Wenn daher das Leben solcher Menschen sicher war, haben sie das natürliche Gut gewonnen. Wenn es aber nicht sicher war, besaßen sie nicht, wonach sie von Anfang an in Übereinstimmung mit ihrer eigenen Natur strebten.
    8. Keine Lust ist an sich ein Übel. Aber alles, was bestimmte Lustempfindungen hervorruft, führt zu Störungen, die die Lustempfindungen um ein Vielfaches übersteigen.
    9. Wenn alle Lust in Hinsicht auf Umfang und Dauer zusammengefasst werden könnte und dies im ganzen Organismus oder wenigstens in den wichtigsten Teilen des menschlichen Körpers möglich wäre, dann unterschieden sich die Lustempfindungen niemals von einander.
    10. Wenn das, was die Lustempfindungen der Unersättlichen hervorruft, die Ängste des Nachdenkens über die Himmelserscheinungen, den Tod und die Schmerzen auflöste und außerdem die Grenze der Begierden und der Schmerzen zeigte, dann hätten wir überhaupt keinen Anlass, sie zu tadeln, wenn sie von überall her von Lustempfindungen erfüllt wären und von nirgendwo her Schmerzhaftes oder Leidbringendes erführen, was ja das Übel ist.
    11. Wenn uns nicht die Vermutungen über die Himmelserscheinungen und die angstvollen Gedanken über den Tod, als ob er uns irgendetwas anginge, ferner die mangelnde Kenntnis der Grenzen von Schmerzen und Begierden belastete, brauchten wir keine Naturphilosophie.
    12. Es wäre nicht möglich, die Angst in Zusammenhang mit den wichtigsten Dingen aufzulösen, wenn man nicht begriffen hätte, was die Natur des Ganzen ist, sondern in Angst vor allem lebte, was die Mythen erzählen; daher wäre es nicht möglich, ohne Naturphilosophie ungetrübte Freude zu genießen.
    13. Es nützte nichts, die Sicherheit unter den Menschen herzustellen, während man noch Angst empfände vor den Vorgängen am Himmel und unter der Erde und überhaupt im unbegrenzten Universum.
    14. Wenn auch die Sicherheit vor den Menschen bis zu einem gewissen Grad auf der Grundlage einer festgefügten Macht und auf der Grundlage guter wirtschaftlicher Verhältnisse gewährleistet ist, so erwächst doch die deutlichste Sicherheit aus der Ruhe und dem Rückzug vor den Leuten.
    15. Der Reichtum unserer Natur ist begrenzt und leicht zu erwerben; aber der Reichtum an wertlosen Meinungen weitet sich aus ins Unendliche.
    16. Nur in geringfügigen Angelegenheiten überfällt den Weisen ein Zufall; die wichtigsten und bedeutendsten Dinge hat die Vernunft geordnet, ordnet sie im Lauf des Lebens und wird sie ordnen.
    17. Der Gerechte ist am wenigsten zu beunruhigen; der Ungerechte ist von größter Unruhe erfüllt.
    18. Die Lust im Fleisch wird nicht mehr größer, wenn einmal der schmerzende Mangel beseitigt ist, sondern nur vielfältiger. Das Denken hat in Bezug auf die Lust seine Grenze erreicht, wenn man alles das genau klärt, was dem Denken die größten Ängste bereitete, und was verwandt damit ist.
    19. Die unbegrenzte Zeit verschafft die gleiche Lust wie die begrenzte, wenn man die Grenzen der Lust mit der Vernunft abmisst.
    20. Das Fleisch empfand die Grenzen der Lust als unbegrenzt; und nur die unbegrenzte Zeit konnte diese Lust erzeugen. Das Denken aber, das den Einblick in das Ziel und die Grenze des Fleisches gewann und die Ängste vor der Zukunft auflöste, begründete das vollkommene Leben, und wir brauchten die unbegrenzte Zeit nicht mehr; doch weder mied das Denken die Lust noch zog es sich zurück, sobald die Umstände den Abschied vom Leben erforderlich machten, als ob ihm etwas am besten Leben gefehlt hätte.
    "

    Er machte eine kleine Pause, um seinen Schülern die Gelegenheit zu geben, seine Worte zu Ende zu notieren. Dann blieb er, gestützt auf seinen Stock stehen und baute sich vor ihnen auf, um fortzufahren:
    "Nun folgt die zweite Hälfte:
    21. Wer die Grenzen des Lebens kennt, weiß, wie leicht das zu beschaffen ist, was den schmerzenden Mangel beseitigt und das ganze Leben vollkommen macht. Daher braucht er nichts von dem, was er nicht ohne Kampf bekommen kann.
    22. Das tatsächlich existierende Ziel muss man ins Auge fassen und die ganze anschauliche Wirklichkeit, auf die wir unsere Meinungen beziehen; andernfalls wird alles voller Unsicherheit und Unruhe sein.
    23. Wenn du gegen alle Wahrnehmungen kämpfst, wirst du keinen Maßstab haben, auf den du dich beziehen kannst, um jene Wahrnehmungen zu beurteilen, von denen du behauptest, dass sie falsch seien.
    24. Wenn du irgendeine Wahrnehmung einfach verwirfst und nicht unterscheidest zwischen der Vermutung, die noch auf Bestätigung wartet, und dem, was bereits als Wahrnehmung und Empfindung und als ein umfassender, von einer Vorstellung geprägter Zugriff des Verstandes gegenwärtig ist, dann wirst du durch deine unbegründete Meinung auch die übrigen Wahrnehmungen durcheinander bringen und so jeden Beurteilungsmaßstab verlieren. Wenn du aber aufgrund von Mutmaßungen sogar das, was noch auf Bestätigung wartet, und was nicht, insgesamt für gewiss erklärst, wirst du dich unweigerlich einer Täuschung aussetzen; denn du wirst jeden Zweifel bei jedem Urteil über richtig und nicht richtig zwangsläufig gelten lassen.
    25. Wenn du nicht in jeder Situation all dein Handeln auf das Ziel beziehst, das dir die Natur vorgibt, sondern vorher abweichst, indem du Ablehnung und Zustimmung auf etwas anderes beziehst, werden bei dir die Taten nicht den Worten entsprechen.
    26. Alle Begierden, die nicht zu einer Schmerzempfindung führen, wenn sie nicht befriedigt werden, sind nicht notwendig, sondern erzeugen ein Verlangen, das leicht zu vertreiben ist, wenn es sich erweist, dass sie auf schwer Beschaffbares oder gar Schädliches zielen.
    27. Vor allem, was die Weisheit für die Glückseligkeit des ganzen Lebens bereitstellt, ist der Gewinn der Freundschaft das bei weitem Wichtigste.
    28. Dieselbe Erkenntnis brachte uns die Gewissheit, dass nichts Furchtbares ewig oder lange Zeit dauert, und ließ uns erkennen, dass die Sicherheit gerade unter schwierigen Bedingungen vor allem durch Freundschaft gewährleistet ist.
    29. Die Begierden sind teils natürlich und notwendig, teils natürlich und nicht notwendig, teils weder natürlich noch notwendig, sondern durch leere Meinung begründet.
    30. Die natürlichen Begierden, die keine Schmerzen verursachen, wenn sie nicht befriedigt werden, obwohl das angespannte Bemühen um Befriedigung erhalten bleibt, entstehen aus einer leeren Meinung; und wenn sie nicht beseitigt werden können, dann liegt es nicht an ihrer eigenen Natur, sondern an der Neigung des Menschen zu leeren Meinungen.
    31. Das der menschlichen Natur entsprechende Recht ist eine Vereinbarung über das Mittel, mit dem verhindert wird, dass sich Menschen gegenseitig schädigen oder schädigen lassen.
    32. Für alle Lebewesen, die nicht in der Lage waren, Verträge darüber abzuschließen, sich nicht gegenseitig zu schädigen oder schädigen zu lassen, gab es kein Recht und kein Unrecht. Das Gleiche gilt für die Völker, die nicht in der Lage waren oder nicht den Willen hatten, Verträge darüber abzuschließen, niemanden zu schädigen oder sich schädigen zu lassen.
    33. Niemals gab es absolute Gerechtigkeit, sondern nur einen Vertrag, der jeweils im gegenseitigen Austausch an beliebigen Orten darüber abgeschlossen wurde, niemanden zu schädigen oder sich schädigen zu lassen.
    34. Die Ungerechtigkeit ist kein Übel an sich, sondern nur aufgrund der misstrauischen Angst davor, dass sie von der Strafverfolgung nicht unentdeckt bleibt.
    35. Es ist ausgeschlossen, dass derjenige, der heimlich gegen den Vertrag darüber, niemanden zu schädigen und sich nicht schädigen zu lassen, verstößt, darauf vertrauen kann, dass er immer unentdeckt bleiben wird, auch wenn er im Augenblick tausendmal unentdeckt bleibt. Denn bis zu seinem Tode ist es ungewiss, ob er auch unentdeckt bleiben wird.
    36. Im Allgemeinen ist die Gerechtigkeit für alle dieselbe; denn sie ist ja etwas Nützliches im Umgang miteinander. Aber aus den Besonderheiten eines Landes und aus vielen anderen Gründen ergibt es sich, dass die Gerechtigkeit nicht für alle Menschen dieselbe ist.
    37. Alles, was als gerecht gilt, darf nur dann den Rang des Gerechten beanspruchen, wenn es nachweislich den Anforderungen des geregelten Umgangs miteinander entspricht, ob es nun für alle Menschen gleich oder nicht gleich ist. Wenn aber jemand ein Gesetz erlässt und es nicht der Regelung des Umgangs miteinander dienlich ist, dann hat es nicht mehr die natürliche Legitimation des Rechts. Und wenn sich der Nutzen, der vom Recht ausgeht, verändert, aber noch eine Zeit lang der ursprünglichen Vorstellung entspricht, dann war es nichtsdestoweniger zu jener Zeit gerecht für alle, die sich nicht durch leere Wort selbst verwirren, sondern einfach die Tatsachen im Auge behalten.
    38. Wo das, was als gerecht galt, ohne Veränderung der äußeren Umstände in der Praxis offensichtlich nicht mehr zu der ursprünglichen Vorstellung passte, war es nicht wirklich gerecht. Wo aber nach Veränderung der äußeren Umstände dieselben rechtlichen Vereinbarungen nicht mehr nützlich waren, waren sie doch seinerzeit gerecht, als sie zur Regelung des Umgangs der Bürger miteinander nützlich waren. Später aber waren sie nicht mehr gerecht, als sie nicht mehr nützlich waren.
    39. Wer seine Angelegenheiten am besten gegen die Bedrohungen von außen geordnet hat, machte sich mit allem, was er beeinflussen konnte, vertraut. Was er aber nicht beeinflussen konnte, blieb ihm wenigstens nicht fremd. Wo ihm aber auch dies unmöglich war, vermied er jeden Kontakt und bemühte sich darum, alles zu tun, was dazu nützlich war."

    Noch einmal hielt er inne und holte Atem.
    "Und zum Abschluss der letzte Lehrsatz:
    40. Diejenigen, die die Fähigkeit besaßen, vor allem gegenüber ihren Nachbarn Mut zu entwickeln, lebten auch auf diese Weise sehr angenehm miteinander, weil sie im Besitz des sichersten Pfandes waren, und nachdem sie ein Höchstmaß an Vertrautheit zueinander gewonnen hatten, klagten sie nicht, wenn jemand gestorben war, über seinen vorzeitigen Tod, als ob sie Mitleid erregen wollten."

    Der Philosoph setzte eine nachdenkliche Miene auf, als dächte er selbst über seine Rezitation nach. Dann aber schien er sich zu erinnern, dass er eine Schar an Akroaten vor sich hatte, schüttelte kurz den Kopf und sagte:
    "Manches, was ihr gehört habt, wird euch noch verwirren. Doch wir werden diese Lehrsätze Stück für Stück ergründen und am Ende werdet ihr hoffentlich verstanden haben, was der große Epikur mit ihnen hinterlassen hat.
    Doch davon morgen mehr. Für heute lautet eure Aufgabe, die Lehrsätze auswendig zu lernen, Wort für Wort. Wir werden immer wieder darauf zurückgreifen. Dann treffen wir uns morgen um dieselbe Stunde hier. Chairete."

    Ohne weiter auf Kommentare zu warten, wandte Aristophanes sich nach rechts und marschierte, gestützt auf seinen Stock, davon.




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg "Aus diesen Studien zog er jedoch seine eigenen Schlüsse und so wurde er bald selbst zu einem Lehrer der Weisheit. Zuerst in Mytilene auf Lesbos, später in Lampsakos in Mysien und schließlich in Athen, wo er jenes Haus mit Garten erwarb, das für seine Schule namensgebend sein sollte: Der Kepos des Epikur. Seine Lehre war dabei keineswegs rein theoretisch: Wie er lehrte, dass Freundschaft von höchster Bedeutung für das eigene Glück ist, so pflegte er auch Freundschaften und scharte einen Schülerkreis um sich, mit dem gemeinsam er lebte und offen diskutierte - ohne Hierarchien, ohne Tabus und in einer Offenheit, die noch in unseren verknöcherten Zeiten ihresgleichen sucht.


    Mit ihnen und durch ständiges Philosophieren, Meditieren über die Zusammenhänge der Welt und ständig zunehmende Weisheit gelangte er selbst zu jener Unerschütterlichkeit, die es ihm erlaubte, auch schwere Krankheit mit Leichtigkeit zu tragen, bis er endlich ihr erlag und friedlich entschlief. Zurück ließ er seinen Schülerkreis, dem er seinen ältesten Schüler, Hermachos, als seinen Nachfolger vorsetzte, zahlreiche Bücher und Briefe, die seine Lehre enthalten und explizieren, sowie ein strahlendes Vorbild, dem wir nacheifern können, um eines Tages selbst als Weise die Augen zu schließen.
    Von größter Wichtigkeit sind dabei seine vierzig Lehrsätze, die Kyriai Doxai, die ihr eifrig notieren und regelmäßig neu bedenken solltet. Ich werde sie euch jetzt aufsagen."

    Ohne auch nur auf eine Tabula sehen zu müssen, begann er:
    "1. Ein glückliches und unvergängliches Wesen hat weder selbst Schwierigkeiten noch bereitet es einem anderen Schwierigkeiten. Daher hat es weder mit Zornesausbrüchen noch mit Zuneigung zu tun; denn alle Gefühle dieser Art sind Zeichen von Schwäche.
    2. Der Tod hat keine Bedeutung für uns; denn was sich aufgelöst hat, empfindet nichts; was aber nichts empfindet, hat keine Bedeutung für uns.
    3. Die Größe der Lust hat ihre Grenze in der Beseitigung allen Schmerzenden. So lange aber Lust empfunden wird, gibt es dort, wo sie empfunden wird, nichts, was weh tut oder traurig macht oder beides zusammen.
    4. Was schmerzt, spürt man nicht ununterbrochen im Fleisch; vielmehr ist der größte Schmerz nur von kurzer Dauer; der Schmerz aber, der die Lust im Fleisch kaum übersteigt, dauert nicht viele Tage lang. Lange andauernde Krankheiten gewähren mehr Lust im Fleisch als Schmerz.*

    Dies sind die ersten vier, die wichtigsten und Summe seiner ganzen Lehre, die auch als das Vierfache Heilmittel bezeichnet werden. Sie mindestens sollte jeder von euch so lange memorieren, bis er sie auswendig beherrscht und aufsagen kann!"

    Sim-Off:

    * Zitate der Lehrsätze sind entnommen: Epikur: Kyriai Doxai [Maßgebende Sätze] nach Diogenes Laertius 10, 139-154, zit. n. Epikur: Wege zum Glück. Griechisch-lateinisch-deutsch, hrsg. u. übers. v. Rainer Nickel, Düsseldorf/Zürich 2003, S. 238-253.




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg "Lauscht mir also, was ich euch von diesem strahlenden Vorbild aller wahren Philosophen zu berichten weiß: Epikur wurde am 20. Gamelion - hier also dem 24. Parmouthi - im dritten Jahr der 108. Olympiade geboren. Und zwar auf Samos als Sohn eines attischen Kolonisten und Bruder dreier Männer - Neokles, Chairedemos und Aristobulos."
    Er sah in die Runde.
    "Natürlich widmete er sich bald der Philosophie, nicht erst in den Jahren seiner Ephebie, die er mit achtzehn Jahren als Bürger Athens in seiner Mutterstadt absolvierte. Dabei studierte er vor allem den großen Platon und den geschätzten Aristoteles, der ja auch an dieser Lehranstalt mit größter Begeisterung gelehrt wird."




    Aristobulos von Tyrus

    http://www.imperiumromanum.net…isc/ava_galerie/Sulla.jpg Fröhliches Schwatzen war zu hören, als Aristobulos von Tyrus die Stoa betrat, in der für heute der Beginn eines Kurses über den Philosophen Epikur dessen Lehre angekündigt war. Das Auftreten des Philosophen war beeindruckend, denn obwohl er von recht geringer Körpergröße war, strahlte er eine Ruhe und Autorität aus, die die Gespräche rasch ersterben ließ, als er sich durch die Reihen zu einer Säule vorgearbeitet hatte, um dort mit seinem Stock mehrfach auf den Boden zu klopfen.


    "Geschätzte Akroatoi! Verehrte Gasthörer!"
    begann er mit einer klaren, ruhigen Stimme.
    "Ich danke euch für euer zahlreiches Erscheinen. Setzt euch bitte hier zu meinen Füßen, damit mich jeder sehen und hören kann!!"
    Er sah sich ausgiebig um.
    "Wir haben uns heute in dieser schönen Stoa versammelt, und dabei wollen wir gerade eine Konkurrentin zur Stoa kennen lernen, die unsere Zeit weit stärker prägt als all die Lehren und Mystiken, die an diesem Hort des Wissens sonst so gerne vermittelt werden."
    Ein leichtes Lächeln zeigte sich auf den Lippen des Philosophen, als habe ihn das Wortspiel mit der Säulenhalle, die namensgebend für eine philosophische Schule geworden war, selbst amüsiert. Oder war es Spott für die religiös und mystisch inspirierte Philosophie der alexandrinischen Schule der Philosophie?
    "Ich werde in euren Köpfen aufräumen mit den Hirngespinsten von den übermächtigen Göttern und den Mären vom Tugend und Heroen! Ich werde euch ein vierfaches Heilmittel reichen, das euch von allem Schmerz dieser Welt heilen kann, das euch herausführt aus der Angst vor dem Tod, vor den Göttern, vor der Zukunft und euch so jene Seelenruhe schenkt, die zu wahrhaftiger Glückseligkeit führt!"
    Herausfordernd blickte er hinauf an die Decke der Stoa, als wolle er einer Gottheit trotzen, die jederzeit einen Blitz durch das Dach auf diesen verächtlichen Sterblichen schleudern würde.
    "Denn das, meine werten Schüler, war das Ziel aller Wissenschaft, die unser geschätzter Lehrer, Epikur von Samos, jemals betrieben und überliefert hat. Durch sie ist ihm gelungen, was auch wir erstreben - Freiheit von körperlichem und geistigem Schmerz und beständige, katastematische Lust im eigenen Dasein bis in den Tod!"

    Sim-Off:

    Lasset die Spiele beginnen ;)