Beiträge von Marcus Vinicius Hungaricus

    Die Reaktion des Decimers kam für Hungi überraschend. Eigentlich hatte er einen Gefühlsausbruch erwartet wie bei den anderen zuvor. Er bekam auch einen, nur halt einen anderen. Einen kurzen Augenblick war er sogar unschlüssig, was er nun zu tun hatte, und auch, was man von ihm erwartete.


    Niemand kann ihn zurückbringen. Vielleicht könnten es die Götter, aber sie tun es nicht. Ich danke dir aber für deine Worte.

    Als der neue Imperator eintraf, erhob sich Hungi für einen kurzen Moment, dann setzte er sich wieder, weitaus weniger zackig als in jungen Jahren. Aber die waren ohnehin schon lange her.


    Sei gegrüßt, Imperator. grüßte der Consular zurück. Der Unterschied von Sala zu Rom ist schon ein bemerkenswerter, aber ja, ich denke, ich fühle mich schon wieder heimisch. Rom hat sich nicht wirklich verändert. Was in den Provinzen vor sich geht... naja, da höre ich auch nicht mehr als die anderen. Was er schon bedauerte. Damals, als Praefectus Praetorio, ach sogar als Praefectus Urbi hatte er Zugang zu weit mehr Informationen. Jetzt hingegen...


    Von Mauretania habe ich allerdings vielleicht ein wenig mehr Ahnung als andere. Eventuell wollte der neue Kaiser mit ihm über die Situation dort sprechen?

    Und schwupps, da war die Entscheidung gefallen, doch etwas zu sagen. So schnell konnte es gehen.


    Was dein Versagen als Hausvater anbelangt, ja, da kannst auch mich dazu zählen. Und vermutlich werden noch viele andere so denken.


    Ob du zu einer Einleitung eines Neuanfanges fähig bist... wer weiß? Derzeit sieht es für mich nicht so aus. Deine schönen Worte, wie Gräben zuschütten und so weiter, die werden meinen Bruder nicht zurückbringen. Sie werden die Folter nicht rückgängig machen, die mein Bruder, ich, und viele viele andere erleiden mussten. Und dein Unwillen, die Schuld deiner Familie einzugestehen und die Konsequenzen daraus zu ziehen, macht es keinesfalls besser.


    Vielleicht ändere ich noch eines Tages meine Meinung über dich, wenn du das Chaos in deiner Familie beseitigt und deine Reputation wiederhergestellt hast, doch hier und heute entsage ich dir jegliche Unterstützung.


    Worte, die in den Augen des Viniciers ein guter Freund - oder ein guter Patron - dem Decimer wohl vor der Kandidatur gesagt hätte, privatim und nicht wie hier öffentlich. Doch Hungi war nicht sein Patron und von Freundschaft konnte man auch nicht (mehr) sprechen.

    Hungi war sich dessen natürlich im Klaren, daß während der Kandidatursdiskussion des Decimus Livianus etliche Augen auf ihn gerichtet waren, aus naheliegenden Gründen. Er hatte für sich jedoch noch nicht entschieden, ob er aufstehen und etwas sagen wollte oder nicht. Diese Entscheidung war sogar in diesem Moment noch nicht gefällt. Doch das Signal, welches er seinen Klienten und Anhängern geben wollte, das war freilich schon lange vor der Diskussion klar gewesen. Und daß der Decimer sich in die Familie des vorigen Kaisers einheiraten wollte, das setzte dem Ganzen noch die Krone auf.


    Der vinicische Konsular war daher stumm geblieben, nur die Szenerie beobachtend. Dann blickte er seine Anhänger an und schüttelte den Kopf, zum Zeichen, daß der Vinicier auf keinen Fall die Kandidatur des Decimus Livianus zum Konsul unterstützen würde.

    Nein, das ist es nicht, Iulius. Selbstverständlich hatte es Querelen gegeben zwischen ihm und einigen Decimern, allerdings war das meiste Pipifax gewesen. Einmal sogar hatten Meridius und er einen Streit gehabt, weil Meridius der Meinung war, Hungi würde sich zu sehr seiner Schwester Lucilla nähern. Das waren noch Zeiten... Ich war mit Senator Decimus nie befreundet, aber auch nicht wirklich verfeindet. Die Ereignisse in den letzten Jahren hingegen... Er machte ein kurze Atempause.


    Du stimmst mir sicher zu, Iulius, daß der Ruf eines Einzelnen immer auf die Familie zurückgeworfen wird. Ein Sohn ist zwar nicht für die Taten seines Vaters verantwortlich, doch er hat mit ihnen zu leben und muß entweder versuchen, dem guten Ruf seines Vaters bzw der seiner Ahnen gerecht zu werden oder er muß danach streben, mit seinen Taten die seines Vaters vergessen zu lassen. Es ist nicht gerecht, aber das ist die Realität. Umgekehrt ist ein Vater sehr wohl für die Taten seines Sohnes verantwortlich. Wenn ein Sohn seinem Vater gegenüber nicht gehorsam ist, welchen Wert hat die Stellung des Vaters als Familienoberhaupt dann?


    Decimus Livianus mag zwar sich ein bißchen gegen den Vescularier ausgesprochen haben, aber danach ging es ihm anscheinend gut in Hispania. Was hatte er denn zu fürchten, da sein eigener Sohn einer der höchsten Ränge im Reich bekleidete? Ich sehe daher zwei Möglichkeiten: Entweder ist die Opposition des Decimers gegenüber des Tyrannen reichlich gering gewesen, hat ihn vielleicht sogar insgeheim unterstützt, oder der Senator hat seine eigene Familie nicht im Griff. Wie soll so jemand dem Senat vorstehen? Warum soll ich so jemanden unterstützen? Und da weiß ich ja noch gar nicht, wie sehr er oder sein Sohn, dieser Serapio, in der Schädigung meiner Familie involviert war!


    Beim Stichwort "Familie" fiel ihm noch der Tiberier ein. Ahja, du sprachst den Tiberius Lepidus an. Dein Einstehen für ihn ist löblich, ebenfalls, daß du für ihn Wahlwerbung machst. Aber im Allgemeinen möchte ich doch die Kandidaten selber kennenlernen, die ich unterstützen soll.

    Mhm mhm. quittierte Hungi die Bestätigung seiner Annahme durch den Decimus. Deine Großtante ist eine sehr bemerkenswerte Frau, weißt du? Jedoch hat sie, wie die meisten Frauen, nur sehr wenig Ahnung von Politik. Ihrer Bitte, ich möge doch ein Wort für diesen Serapio einlegen, kann und werde ich sicher nicht Folge leisten. Ich nehme an, daß ich dir nicht weiter erklären muß, warum das so ist.


    Auf der anderen Seite bin ich nebst deiner Großtante auch deinem Großvater noch immer freundschaftlich verbunden. Wie du siehst, ich stehe deiner Familie gelinde gesagt sehr ambivalent gegenüber. Womit er nun dem jungen Decimer Gelegenheit gab, sich zu äußern.

    Kurz vor den Wahlen waren die Salutationes immer interessant, man konnte nie wissen, was als Patron auf einen zukam. Daher war Hungi jetzt nicht wirklich überrascht, daß sein iulischer Klient zu ihm kam, die Nachrichten die er überbrachte, waren jedoch umso bemerkenswerter.


    Es freut mich, daß du beim Consul deine Kandidatur eingebracht hast. schloss er den ersten Teil der Nachricht ab. Die anderen Nachrichten bedurften jedoch einer näheren Besprechung. Hungi stand daher auf, wie immer gestützt durch seinen Gehstock. Iulius, begleite mich ein Stück. Du kennst ja bereits den Weg. Er wies den Weg aus dem Atrium Richtung Peristylium, was für die anderen Besucher - wieder einmal - das Zeichen war, daß sie hier verbleiben sollten.


    Etliche Augenblicke später, sie hatten das Atrium verlassen und standen vor dem Garten, hielt der Consular inne. Du bist sehr eifrig, Iulius, das ist eine Tugend und ehrt einen jeden jungen Manne. Deine aufgetanen Verbindungen zu Duccius Vala, Aelius Quarto und von mir aus auch Germanicus Sedulus finden durchaus mein Wohlwollen. begann er diplomatisch seine Überlegungen auszubreiten und ließ dem Iulier Zeit und Gelegenheit für eine Antwort.

    Nachrichten von Lucilla nahm Hungi immer sehr gern entgegen, war sie doch seine Lieblingsklientin, wiewohl er das natürlich niemals laut sagen würde, weder öffentlich noch privatim, denn das würde irgendwann seine Frau rausbekommen und dann würde sich ein irdenes Gewölbe über seinem Haupte auftun oder im Norisch-Pannonischen Dialekt gesagt: er hätte den Scherm auf.


    Diese Nachricht hingegen las er mit gemischten Gefühlen, im wahrsten Sinne des Wortes. Decimus, lass uns ein paar Schritte gehen. sprach er zum jungen Besucher, während er aufstand. Ich möchte mit dir allein sprechen. sagte er laut genug, so daß alle anderen derzeit noch im Atrium verbliebenen Klienten (und natürlich Sklaven) sich auskannten und nicht auf die Idee kamen, ihnen zu folgen. Er lenkte daher seine Schritte, langsam und wie immer mit seinem Gehstock, den er wegen seines Beines benötigte, aus dem Atrium hinaus in den Gang Richtung Peristylium.


    Ein paar Augenblicke später, in denen sich genug Distanz zu den besagten anderen Personen aufgebaut hatte, damit diese nicht lauschen konnten, sprach er den Decimer mit gesenkter Stimme wieder an. Wenn ich richtig informiert bin kandidierst du jetzt für das Amt des Vigintivirs. Ich gehe daher aus, daß du hier bist, um meine Unterstützung zu gewinnen.

    Der angesprochene Consular hielt sozusagen gerade Hof, die Salutatio wurde wie jeden Morgen abgehalten. Eine Pflicht, die zermürbend und enervierend sein kann, wenn die Klienten "Probleme" haben, oder relativ kurz und schmerzlos abgehandelt, wenn sie keine haben. Man war am Ende dieser täglichen Pflicht angekommen.


    Decimus. Dein Besuch ist überraschend. Was führt dich zu mir?

    Der angesprochene Patron stand auf und genierte sich dabei nicht, seinen Gehstock als Stütze zu benutzen.


    Meine Herren! Kaum ein Kandidat kann in solch jungen Jahren bereits eine derartige politische Karriere vorweisen. Als Iulius Dives daher bei mir vorsprach und von seinem Vorhaben, den Cursus Honorum zu beschreiten, berichtete, zögerte ich keinen Augenblick, ihm meine Unterstützung zu garantieren und welche ich auch hiermit öffentlich bekunde.


    Nach dieser ungewöhnlich langen Rede setzte der Consular sich und harrte ebenfalls der Fragen, die die Senatoren an den Iulier stellen würden.

    Der Consular Vinicius Hungaricus gab sich ebenfalls die Ehre, war doch der Veranstalter und Ädil Duccius Vala sein Klient und das Platznehmen bei und Zusehen von Spielen welcher Art auch immer war doch eine sehr angenehme, weil stressfreie Aufgabe. Da seine Frau an diesem Tage unpässlich war und die Kinder noch zu jung waren, zu den Spielen zu gehen, kam der Consular alleine bzw nur in Begleitung seines Sklaven/Leibwächters. Die Verspätung war gewollt, denn an Tierhatzen fand der Consular nur mehr selten ein Vergnügen und die Hinrichtungen wollte er sich nicht mit ansehen, ein zugegeben etwas emotionaler Zug. Sie, also der Consular und der Sklave, schienen es gut getroffen zu haben, denn als sie ankamen, waren die Hinrichtungen gerade zu Ende gegangen.


    Nachdem er zu seinem Platz geführt wurde, was aufgrund seines steifen Beines natürlich länger dauerte als bei gesunden Menschen, ließ er durch seinen Sklaven etwas Wein und irgendwas zum Knabbern besorgen. Und er, also der Sklave, sollte die Quoten erfragen. Vielleicht hatte er, der Consular, Lust, etwas Geld zu verprassen.

    Der Consular hüllte sich in Schweigen, solange sein Klient erklärte, und blieb dann auch noch ein paar Momente danach stumm, sinnierend, überlegend. Er wollte noch etwas entgegnen, etwas fragen, doch dann entschied er sich anders.


    Na gut, wie dem auch sei. würgte er kurzerhand die Diskussion über die militärischen Möglichkeiten des Vesculariers ab. Lassen wir für heute den Verruchten ruhen und unterhalten wir uns über angenehmere Dinge... Also, was hast du dir für dein Ädilat vorgenommen?

    Nach dem Kennenlernen der charmanten Tiberia und ein wenig Kleinsprech mit den anderen Herren in der Runde hielt sich Hungi während der Sitzung zurück und ließ die Jungen mal machen. Es wurde ja Zeit, daß mal die nächste Generation sich die Arbeit antat. Er hatte weder die Zeit noch die Nerven mehr dazu. Das war einer der Vorteile, wenn man älter wurde.


    Er konnte sich daher zurücklehnen, mit einem Becher Wein auf einer Kline liegend die Szenerie betrachtend. Die Wahl selbst überraschte ihn jetzt nicht wirklich, aber was sein Klient da von sich gab, das konnte überraschend werden. Es war so schön, wieder in Rom zu sein, dachte er in diesem Moment, und so schön, ein Beobachter zu sein.

    Nachdem sie von der prätorianischen Wache durchgewunken wurden dauerte es eine ordentliche Zeit lang, bis der Consular mit seinem Begleiter, dem Sklaven, durch die Gänge des Palastes zu jenem Raum vordrangen, in welchem das Gespräch mit dem Imperator stattfinden sollte. Es war zur leisen Überraschung des Viniciers nicht ein offizieller Raum, sondern das Arbeitszimmer. Anscheinend, wobei er sich das eigentlich eh schon gedacht hatte, war nicht höfliches Blabla angedacht, sondern schon etwas Substantielleres. Faszinierend. Also setzte er sich hin und harrte darauf, was kommen möge.

    Etwas umständlich wegen seines steifen Beines mühte sich der Consular auf, um die Vestalin zu begrüßen. Werte Vestalin. begrüßte er sie, denn leider hatte man es verabsäumt, ihm den Namen der Jungfrau zu nennen und sie waren einander noch nicht vorgestellt worden, was aufgrund des Exils des Consulars nur wenig verwunderlich war. Als er fand, daß der Höflichkeit des Stehens Genüge getan war, setzte er sich wieder, nicht minder umständlich. Verzeih mir mein Eindringen, doch ich bin in familiärer Angelegenheit hier, wie du dir sicher vorstellen kannst.

    Eine Verlobung oder eine Hochzeit ist sogar noch besser, rief der Hausherr aus, der nun für die schwarze Katze die außerordentlich wichtige Funktion des Streicheleinheitenvergebers hatte, denn die diversen Senatoren und Konsorten sind dann aufgrund des Weines in besserer Laune als sonst. Eine Beobachtung, die er, Hungi, schon früh getan hatte. Seltsamerweise neigten Männer, die ihre Töchter verheirateten bzw jene, die bald ihre zu verheiraten hatten oder jene, die ihre vor kurzem verheiratet hatten, dazu, mit dem Wein ihren Stolz auszudrücken (selbstverständlich der politischen Verbindung wegen) und der Consular war sich dessen sehr bewußt, daß auch er in nicht mehr allzuferner Zukunft ein eben solcher Vater sein würde.


    Freunde, Verbündete oder Klienten? Hmm... Da musste er jetzt überlegen, denn die Salinatorische Herrschaft hatte seinen politischen Einfluss doch ziemlich ausgedünnt. Noch vor wenigen Jahren hätte ich dich zu Tiberius Durus geschickt, der mein Klient war. Doch du kennst ja dessen Schicksal. Wer wohl nicht, der zu diesen Zeiten nicht hinterm Mond gelebt hatte. Mein derzeit einflussreichster Klient ist Duccius Vala. Und wenn du dich in der Factio engagierst, was ich wirklich begrüßen würde, dann kannst du dir auch dort Stimmen gewiss sein.

    Der Imperator rief, also hatte man zu folgen und Hungi war keineswegs in der politischen Lage, dem Rufe Widerstand zu leisten. Auch wenn er es wollte, denn eigentlich war er schon ein wenig neugierig auf "den Neuen", wenngleich er ihn selbstverfreilich schon aus früheren Zeiten kannte. Aber wenn man die Macht hatte, konnte es sein, daß sich der Charakter veränderte, was aus psychologischer Sicht ungemein spannend war. Hungi selbst hätte jedoch freilich diese Wortwahl nicht verwendet. Dennoch war er nun hier, ließ sich zum Palatium in der Sänfte führen und während er aus eben jener ausstieg, schickte er einen Sklaven vor, der ihn beim wachhabenden Prätorianer ankündigte.


    "Der Consular Vinicius Hungaricus hat eine Einladung vom Imperator bekommen..." So oder so ähnlich sprach der Sklave, denn Hungi hatte wirklich keinen Nerv, auf den genauen Wortlaut seines Dieners zu achten. Stattdessen griff er nach seinem Gehstock und kam gemächlich zur Wache hin, dort wo er vor wenigen Augenblicken angekündigt wurde.