Beiträge von Herius Claudius Menecrates


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    Claudia Silana

    Villa Claudia

    Mantua



    Meine liebe Silana,


    dein Großvater steckt hier in Rom in Schwierigkeiten und benötigt dringend deine Hilfe.

    Ich habe die Tochter eines Freundes bei mir aufgenommen, weil sie ohne Beistand ist. Als Tutor sehe ich mich verpflichtet, ihr den rechten Weg in die Gesellschaft zu weisen, was ich zwar theoretisch kann, mir aber praktisch nur mittelprächtig gelingt. Die junge Frau bräuchte eine Freundin an ihrer Seite, die beste Erziehung genossen hat und an der sie sich orientieren kann. Tiberia Stella, du wirst sie nicht kennen, ist ein wenig vorlaut. Nicht jede junge Frau könnte ihr Kontra bieten, aber ich kenne dich, du würdest es schaffen.

    Davon abgesehen ist die Villa noch immer viel zu groß für die wenigen Bewohner. Dein Großvater würde sich sehr freuen, wenn du ihm zeitweise ein wenig Gesellschaft leistest. Keine Sorge, ich belagere dich nicht den ganzen Tag. Die meiste Zeit hält mich mein Dienst in Beschlag. Du hast hier also genug Freiraum für ein weitgehend selbstbestimmtes Leben. Ich weiß ja, ich kann mich auf dich verlassen.


    In Liebe

    Großvater Menecrates 


     

    Ein Brief musste zugestellt, aber die Adresse des Empfängers konnte nicht ermittelt werden. Um die Zeit seiner Angestellten nicht unnötig zu strapazieren, entschied der Praefectus Urbi, das Antwortschreiben beim Amtssitz abgeben zu lassen. Als der Bote aus der Praefectura Urbis in der Basilica eintraf, blickte er hilflos von einem der Stühle zum anderen, musterte die Gesichter und verfuhr im Ausschlussprinzip. Bevor er aufbrach, wurde ihm der Empfänger beschrieben und von den drei Tresviri stach nur einer exotisch heraus. Er trat näher und reichte den Brief, ohne ihn jedoch loszulassen, sollte die Antwort nicht stimmen.


    "Tresvir Seius Ravilla?"



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    G. Seius Ravilla

    Tribunal Tresviri Capitales

    Roma



    Salve Tresvir Seius,


    ich nehme Bezug auf dein Schreiben ANTE DIEM IV ID OCT DCCCLXXI A.U.C. und schlage für das erbetene Gespräch keinen festen Termin vor, da ich zwar meinen Terminkalender kenne, nicht aber deinen.

    Grundsätzlich bin ich ab der Mittagszeit bis zum Sonnenuntergang immer in der Praefectura Urbis erreichbar. Der Vormittag wäre demnach nicht empfehlenswert. Die wenigste Kollision mit anderen Besprechungen ergäbe sich direkt nach der Mittagszeit. Ich werde in den nächsten Tagen bewusst die Zeit nach dem Zenit von Terminen freihalten.


    gez. H. Claudius Menecrates 


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    Während Menecrates seit langem wieder einmal seiner ihm angetrauten und permanent abwesenden Gattin gedachte, überschlugen sich förmlich die Ereignisse in der Villa. Ursprünglich glaubte er, Stella bei Faustina aufgehoben, aber er unterlag offensichtlich einem Irrtum, weil sein Mündel überraschend seine Meinung zum Besten gab. Wieder einmal rächte es sich, dass Menecrates die Gabe fehlte, zwei Dinge gleichzeitig zu machen. 'Überzeugen' lautete daher die Devise der Zukunft, nicht darauf 'hoffen', dass etwas geschah, was sich andeutete.

    Die Verblüffung hinderte Menecrates daran einzuschreiten. Der Anstand verbot es auch, jemand anderem ins Wort zu fallen. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass er zwischen Stella und Lepidus stand - der einen war er als Tutor verbunden, dem anderen als Freund. Das Schockierende der Situation schien seine Reaktionsfähigkeit eingefroren zu haben. Er schluckte mehrmals, als er Stella und Faustina hinterherblickte. Danach sah er mit geweiteten Augen Lepidus an.

    "Ich muss mich für mein Mündel entschuldigen!"

    Er würde Stella die Erniedrigung ersparen, sie vor versammelter Familie Aemilia zurechtzuweisen. Unkommentiert stehenlassen konnte er das Auftreten seines Mündels aber auch nicht, daher nahm er die Schuld auf sich. Für Stella würde es ein Nachspiel in der Villa Claudia geben. Sie würde sich erklären müssen.

    "Ich hatte gerade ein Dejavue. Dieses Auftreten einer Frau, damals war es Sergia Fausta, respektlos gegenüber Rang, Namen und Männern hatte mich bereits vor Jahren dazu gebracht, einen Gesetzentwurf in den Senat zu bringen. Bisher dachte ich, Frauen treten derart auf, wenn ihnen nicht zustehende Titel und Positionen zu Kopf gestiegen sind, aber nein: Es scheint angesichts der soeben erlebten Vorstellung weitere Gründe zu geben." Die Worte versiegten, Menecrates schämte sich. "So darf ein Kondolenzbesuch nicht ablaufen." Er atmete schwer aus. Da sein Kopf voll ungeklärter Fragen strotzte, blieb kaum Raum, um Inhalte für die Fortsetzung der unterbrochenen Unterhaltung zu finden. Er griff zum Lemonensaft und trank den Becher leer, ohne die Säure bewusst wahrzunehmen. Ein Schütteln unterblieb, stattdessen blickte er unentwegt in den leeren Becher.

    "Senator Annaeus Florus Minor ist mein Patron Praefectus, ich könnte mich hilfesuchend an diesen wenden.

    "Na, das trifft sich doch hervorragend!" Menecrates freute sich über den Zufall. "Senator Annaeus ist dein Patron." Er schüttelte den Kopf. "Manchmal ist Rom ein Dorf. Machen wir es so: Du wendest dich an deinen Patron, schilderst den Sachverhalt. Ich bin sicher, seine Ehefrau hat Zugang zu Casa Iulia und verschafft ihn dir. Senator Annaeus hat keinen Grund, nicht zu kooperieren. Andererseits kannst du unter diesen Umständen nicht in die Casa der Iulier gewaltsam eindringen, sollte dir wider Erwarten der Zutritt verwehrt werden. In diesem Fall erstattest du mir Bericht. Dann muss ich weitersehen."

    Die Frage nach einem Officium außerhalb der Casa stellte Menecrates vor ein Problem. Die Amtszeit lag viele Jahre zurück und Caesoninus kam immer zu ihm und nicht umgekehrt. Claudius sah keine Chance, sich an mögliche Bemerkungen zu erinnern, und schüttelte den Kopf.

    "Ich weiß es nicht. Vor Jahren führten etliche Magistrate, die keinen festen Amtsstuhl bekleideten und häufig unterwegs waren, den Schriftverkehr von Zuhause aus. Irgendwo muss er ein Officium gehabt haben, suchen wir erst einmal bei ihm zu Hause. Mit zwei Officia rechne ich nicht."


    Anschließend begann die Auswertung der Disziplinarzeit. Das von Lurco aufgeführte Ausmaß an Einsicht übertraf Menecrates' Erwartungen. Angesichts dessen sparte er sich jeden Kommentar, zumal er augenfällige Veränderung längst registriert und bei sich vermerkt hatte. Er zog eine Wachstafel heran und notierte Stichpunkte für eine Bekanntmachung. Er musste sich beeilen, denn Lurco sprach weiter. Schreiben und gleichzeitig zuhören vermochte der Claudier nicht, aber anfangs zählte der Optio auch nur die Reihenfolge im weiteren Vorgehen auf.

    Trotzdem bekam Menecrates zu spüren, dass ihm der Anfang der nachfolgenden Thematik fehlte. Wollte Purgitius die Rekrutierungsquote steigern oder meinte er, die Urbaner würden nicht genügend von der Bevölkerung wahrgenommen oder wertgeschätzt? Am Ende glaubte der Präfekt zu verstehen. Purgitius übte unnötigerweise Selbstkritik.

    "Wo siehst du einen Mangel an Wertschätzung uns gegenüber?" Berechtigung als Einheit da zu sein, gab es aus Menecrates' Sicht genug, also konnte es sich bei Purgitius' Problem nur um ein von ihm empfundenes geringes Ansehen der Urbaner handeln.


    "In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage Praefectus. Ist es möglich, dass uns die Prätorianer Fälle wegschnappen? Sind sie ebenfalls mit Ermittlungsarbeiten betraut, oder nehmen diese an in einigen Fällen? Sprich greifen sie jene Fälle ab, in denen ein Erfolg schnell zu verzeichnen ist und überlassen uns jene, mit Kopfzerbrechen? Das würde mich persönlich interessieren".

    Die Überlegungen kamen unerwartet und Menecrates musste zunächst nachdenken, um keine falschen Aussagen zu tätigen, würde er spontan antworten. Nach Momenten der Stille schüttelte er langsam den Kopf und erhöhte am Ende das Tempo. "Mir sind keine Fälle bekannt, die auf unserem Tisch hätten landen müssen, es aber nie bis zu uns geschafft haben. Natürlich schließt das nicht aus, dass es Fälle gibt, die erst gar nicht für uns sichtbar an die Oberfläche treten." Er überlegte weiter. "Vielleicht hat die Garde den Vorteil, zuweilen eine Beauftragung zu erhalten, wo nur Verdachtsmomente bestehen. Sie ermitteln längst, bevor das Delikt verübt wird, und teilweise können sie es sogar verhindern, während wir immer erst dann mit unserer Arbeit beginnen, wenn wir mit einer Tat konfrontiert sind. Wir müssen uns alles erst erarbeiten: Den Täter, das Motiv, die Zusammenhänge und mögliche Hintermänner."

    Menecrates schmunzelte, als er fortfuhr: "Lassen wir der Garde den Vorsprung, offensichtlich brauchen sie ihn." Zwar schätzte der Praefectus Urbi nicht die gesamte Einheit so ein, aber wirklich viel hielt er nur von wenigen Prätorianern.

    Je länger der Optio sprach, umso erstaunter sah Menecrates ihn an. Als dieser endete, fürchtete der Präfekt, dass der Purgitier zur Szene gehörte, weil er detailliert über Insiderwissen verfügte.

    "Ja, ich denke auch, dass wir nach der Audienz miteinander sprechen müssen", erwiderte Menecrates, schob die Sorgen so gut es ging beiseite und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Kaiser. In seinem Kopf stürzten dennoch die Gedanken durcheinander.

    Wie es Seius Ravilla selbst formulierte, wirkte sein Vortrag allgemeingültig, allerdings wollte Menecrates herausfinden, was der zukünftige Magistrat an Traditionen selbst lebte und nicht, was den Alltag eines jeden Römers durchdringen sollte. Er hob daher abwehrend die Hände, als Ravilla beabsichtigte, seine Ausführungen aus Sorge zu beenden, Claudius könnte sich langweilen.

    "Nein, nein! Du langweilst mich nicht. Es gibt kaum spannendere Vorhaben, als die Ansichten eines Römers herauszufinden. Wobei ich bevorzugt die Personen an ihrem Handeln und weniger an den Worten messe. Gleichzeitig sind nur persönlichen Einstellungen aussagekräftig und nicht das Zitieren allgemeingültiger Werte."

    Sein Veto kam zu spät. Ravillas Ausführungen fanden mit der an Menecrates gestellten Frage unweigerlich ein Ende. Immerhin konnte der Claudier nun vorführen, in welchem Maße bedeckt er sich hielt, sodass Ravilla feststellen konnte, ob er Erkenntnisse über Menecrates aus der Unterhaltung zog.

    "Du hast vorhin von einem gesunden Bewusstsein gesprochen. Meine Erfahrung besagt, dass sich die Mehrzahl der Senatoren für gesund im Hinblick auf ihr Bewusstsein für die Traditionen hält. Schaut allerdings jemand, für den Traditionen nicht nur Begriffe, sondern Inhalte sind, genauer hin, sind etliche Gebrechen statt Gesundheit zu erkennen. Vor Jahren lief über die Hälfte aller Senatoren mit mehr oder minder starken Gebrechen herum, sodass sie sich nicht dazu in der Lage sahen, unsere Traditionen per weiterem Gesetz zu schützen." Menecrates warf einen Blick zu Flavius Gracchus. Er wusste nicht einzuschätzen, warum der Consular, der als besonders traditionell galt, damals nicht bereit war, jenes Gesetz zu unterstützen.


    "Selbstverständlich ziele ich auf etwas Bestimmtes ab", erwiderte Menecrates schmunzelnd, ohne sich im Detail darüber auszulassen. Er ging es langsam an. "Im ersten aller Schritte zielte meine Frage darauf ab zu erfahren, welches Lager du einmal verstärken wirst, sollte du den Senat eines Tages bereichern. Wir haben ein Lager der Meinungslosen, es gibt die Gruppe der Traditionellen, die sich trauen, zu ihren Ansichten zu stehen, und dann wäre noch das Lager der Veränderer."

    Wieder wanderte Menecrates' Blick und blieb dieses Mal bei Senator Annaeus stehen. Er schätzte ihn ähnlich traditionell wie Flavius Gracchus ein, wusste aber noch nicht einzuschätzen, ob Florus über mehr Entschlusskraft als Gracchus verfügte, um öffentlich zu seiner Haltung zu stehen. Menecrates zwinkerte Annaeus zu, damit dieser keine falschen Schlüsse aus dem Blickkontakt unmittelbar nach der Aufzählung der Veränderer zog. Er konnte es auch als Einladung auffassen, sich am Gespräch zu beteiligen.

    Menecrates machte seit Jahrzehnten keinen Hehl aus seiner Position. Sollte sich Gracchus ebenfalls ins Gespräch einbringen, würde Menecrates dies begrüßen.

    Der Kaiser bestätigte Menecrates' Erwartung, dass er sich zukünftig mehr mit den Gepflogenheiten der Christianer auseinandersetzen musste. Gleichzeitig entlastete er ihn, indem er die Nachforschungen zu den Codesymbolen der Sekte in die Hände der Prätorianer legte. Wieder einmal vermisste Menecrates Verus. Eine Zusammenarbeit mit ihm garantierte beste Ergebnisse, zumal sie in vielfältiger Hinsicht übereinstimmende Ansichten vertraten. Es war, wie es war und musste auch ohne Verus weitergehen.

    Er nickte, als der Kaiser vom Hochdruck sprach. Die Möglichkeit, irgendeine Schuldzuweisung zu präsentieren, zog er nicht in Erwägung. Ergebnisse waren für ihn entweder richtig oder falsch. Es gab kein Dazwischen und die Wertigkeit 'falsch' fand der Claudier uneingeschränkt inakzeptabel. Es hieß also, säuberlich und zügig zu ermitteln, was die zweifelsfreie Zuordnung zu - welcher Gruppierung auch immer - betraf. Er würde dies parallel zur Garde anstreben, da die Zusammenarbeit mitunter hakte.


    "Der Täter ist bereits durch die Aussage zweier Zeugen ermittelt und kann präsentiert werden, wenn auch nicht leibhaftig. Für die zweifelsfreie Zuordnung zu den Christen wären die Erkenntnisse der Prätorianer hilfreich, sofern sie zu welchen gelangen." Sein Vertrauen in die Garde hielt sich in Grenzen. Das mochte auch daran liegen, weil die Wenigsten Menecrates' Anspruch auf Gründlichkeit erfüllten. "Ich setze natürlich vor allem auf unsere Ermittlungen."

    Der Bemerkung des Kaisers hatte er darüber hinaus entnommen, dass eine offizielle Verkündung der Mordsache im Bereich des Möglichen, sogar des Wahrscheinlichen lag. Diesen Umstand speicherte er ab.


    Auf die letzte Frage hin durchforstete Menecrates im Schnelldurchlauf die anliegenden Projekte, fand aber keine Gesprächsnotwendigkeit. Er blickte zu Purgitius. "Fällt dir noch etwas ein, Optio?"

    Einzig die weitere Vorgehensweise in Bezug auf die Stationes hatten sie noch nicht eindeutig geklärt.


    "Die kommenden Abläufe, was die Stationierung von Urbanern samt weiterer Feuerwache betrifft, möchte ich gern noch besprechen. Ist es so, dass der Senat über den Umfang der Aushebung neuer Einheiten UND die Kombistation befindet? Oder anders gefragt: Sollte ich mit der Einleitung von Weihe- und Baumaßnahmen warten, bis es einen Senatsbeschluss gibt? Um ehrlich zu sein, bin ich davon ausgegangen, dass nach Feststellung der zur Verfügung stehenden Mittel allein deine Entscheidung für mich maßgeblich ist."

    In Erinnerung an die Antragstellung der ersten Station befürchtete Menecrates, dass es wieder so kam, dass der Kaiser auf den Senat verwies und der Senat auf den Kaiser, sodass nichts Handfestes zustande kam. Damals hatte Menecrates die ausbleibende Entschlussfreudigkeit ignoriert und Nägel mit Köpfen gemacht. Dieses Mal ging es jedoch um ein weit größeres Vorhaben, bei dem er unmöglich eigenständig agieren konnte. Zum Anschieben sah er sich aber allemal in der Lage.

    "So war es früher einmal", bestätigte Menecrates die Aussage, dass die Götter Rom Frieden schenkten, "aber…" Er schmunzelte nun seinerseits - nicht wegen des Themas, sondern weil er damit die Aussage bestätigte, dass es nichts ohne ein 'aber' gab. Schnell fand er zur Ernsthaftigkeit zurück.

    "Ich kann schon länger keinen ungestörten Frieden in Rom mehr erkennen, was für mich bedeutet, die Götter können die Aufgabe nicht mehr allein meistern. Das Ungleichgewicht haben die vielen Fremdländer nach Rom gebracht. Vor ihrer Aufnahme war das Wirken der Menschen und Götter austariert."

    Während Gracchus die ehemalige Funktion der sakralen Grenze aufzeigte, gab sich Menecrates Erinnerungen an selbst Erlebtes und - um ein Vielfaches mehr - an durch Schriften Erfahrenes hin. Ohne diese Vielzahl an Fremdländern und Freigelassenen konnte er sich Rom als friedliche Stadt vorstellen. Er genoss den Rückblick, während er weiter den Ausführungen lauschte. Sein Unbehagen in der Gegenwart hätte Nostalgie auslösen können, gäbe es die Möglichkeit zur Rückkehr in vergangene Zeiten, aber… Schon wieder stolperte er über dieses 'aber' und merkte auf. Gracchus hatte Recht, es gab immer ein 'aber'. Eine Wiederbelebung vergangener Zeit hielt er damit für unmöglich - zumindest im Hinblick auf den Frieden in Rom unter Beibehaltung der traditionellen Truppenstärke und Stationierung, und auch Gracchus kam zu diesem Schluss.

    .

    Weil er im Vorfeld mit einer gänzlich anderen Haltung des Pontifex gerechnet hatte und das bisherige Gespräch auch in unerwartet guter Atmosphäre verlief, blickte Menecrates - sich rückversichernd - zu dem neben ihm laufenden Senator. Er träumte nicht, es geschah. Am Ende der Aussagen folgte sogar die mündliche Zustimmung im Namen des Collegium Pontificum für Menecrates' Vorhaben.

    Bei der Ankündigung von Bedingungen winkte der Präfekt einen Sekretär heran. Sich die Dinge in etwa merken, gehörte nicht zu seinen Gepflogenheiten. Er liebte es präzise, nachlesbar und aktenkundig.

    Bedingung eins überraschte ihn. Obwohl er keine weiteren Vorstöße ins Pomerium plante, konnte er nicht von sich behaupten, in die Zukunft sehen zu können. Da er aktuell aber keine Schwierigkeit sah, sich darauf einzulassen, nickte er, weil er hoffte, die neue Statio würde den Frieden in Rom gewährleisten oder wenigstens das berüchtigte Viertel ausreichend unter Kontrolle bringen. Eine Weihung hatte er eingeplant, aber diesbezüglich gab es Nachfragen.

    Bedingung zwei bis vier überraschten ihn ebenfalls, aber dieses Mal wegen ihrer Selbstverständlichkeit. Er lachte auf und verneinte, als Gracchus von Feldern für Ackerfrüchte und Leichen sprach.


    "Zur Weihe habe ich eine Frage: Soll sie den Bauplatz betreffen, oder nach Errichtung die gesamte Station? Wer nimmt sie im Idealfall vor?" Die Bauplatzweihe der ersten Station hatte Menecrates als Bauherr selbst vorgenommen. Er vermutete, dass dieses Mal ein größerer Aufwand betrieben wurde und notwendig war.

    Über das abschließende Angebot, die Entsühnungsformel im Collegium zu thematisieren, freute sich Menecrates. Er trug die Verantwortung für die eingesetzten Soldaten. Ihr Wohlergehen lag ihm besonders am Herzen. Gracchus' Angebot entlastete ihn und er gab die Last der Bewerkstelligung gerne in kompetente Hände ab.

    Menecrates hörte zu und nickte zuweilen. Es gab keinen Grund, Einwürfe zu machen. Auf die Frage nach einem Ansprechpartner bei der Gens Iulia blies er Luft durch die Lippen.

    "Ich kenne reichlich Ansprechpartner, nämlich zwei Klienten und einen Tiro, aber leider ist keiner von ihnen in Rom. Caesoninus gehörte meiner Factio an, aber als einziger Iulier, und damit haben wir ein Problem." Ganz bestommt gab es eine Reihe weiterer Familienmitglieder, die Menecrates nicht kannte und somit nicht empfehlen konnte. Er dachte nach und erinnerte sich an eine Hochzeitsanzeige.

    "Es spielt eigentlich keine Rolle, wer dir Zutritt zur Casa Iulia verschafft. Wir setzen dort auf Kooperation. Wenn ich mich recht erinnere, hat vor einiger Zeit eine Iulia den Senator Annaeus Florus Minor geheiratet. Wenn sie auch selbst nichts weiß und bei einer Befragung nicht weiterhelfen kann, in die Casa Iulia könnte sie euch einlassen. Sicherlich wohnt sie nicht mehr dort, sondern in der Casa Annaea, aber sie wird für eigene Besuche sicherlich einen Zugang haben. Die Suche nach Hinweisen und im besten Fall das Sichern von Beweismitteln ist dort ohnehin primäres Ziel."


    Wann der angeforderte Optio eintreffen würde, wussten nur die Götter, daher zuckte Menecrates auf die Frage hin mit den Schultern. "Wir können nichts machen, außer abwarten. Auf sein Auftreten bin ich selbst sehr gespannt. Ich kann mich nicht an den Mann erinnern." Unteroffiziere mussten sich hervortun, um bemerkt zu werden. Natürlich funktionierte das Hervortun nicht nur auf löbliche Weise, sondern auch dann, wenn sie negativ auffielen. Zeit, über den ausbleibenden Mann nachzudenken, nahm sich Menecrates nicht. Es gab genügend aktuelle Dinge, die er im Kopf behalten musste.


    Die Marschroute war besprochen, es bedurfte nun der Umsetzung. Bevor Menecrates den Optio entließ, schnitt er aber ein weiteres Thema an.

    "Nächster Punkt unserer Besprechung ist deine Disziplinarstrafe. Lass uns einen Blick auf die vergangenen Wochen und Monate werfen. Wie hast du diese Zeit erlebt und was nimmst du bisher aus ihr mit?" Vielleicht klang es nach einem Abschlussgespräch, aber so genau wusste das Menecrates selbst noch nicht. Im Verlauf des Gespräches würde er sich entscheiden. Selbsteinschätzungen mochten die wenigstens, aber sie sagten viel aus. Er musterte Purgitius und beobachtete dessen Reaktion.

    Menecrates nickte, obwohl er es sehr viel lieber gesehen hätte, wenn Lepidus keine Reise gen Süden plante. Er sah angesichts des auffallend schlechten Gesundheitszustandes die Notwendigkeit ein. Alles andere wäre egoistisch gewesen. "Den Norden hätte ich versucht, dir auszureden." Angesichts des scheußlichen Wetters dort, zog man sich eher Knochenschmerzen zu, als dass man sie losbekam. Er schüttelte sich, als er an den germanischen Winter zurückdachte. Nicht einmal Frühjahr und Herbst begeisterten ihn.

    Den Folgesatz verstand Menecrates nicht und entsprechend fragend blickte er Lepidus an. "Wie meinst du das? Gibt es Krankheiten, die Frauen übertragen?" Das Leben in jungen Jahren war bei seinem Freund von Frauen geprägt gewesen, dessen war sich Menecrates sicher. Da er selbst den Focus auf Karriere und weniger auf Vergnügen legte, gab es in seinem Leben nur eine begrenzte Anzahl von Frauen, die ihm - mit Ausnahme der beiden Ehefrauen - allesamt nicht einmal Kinder anhingen. Eine weitere Erklärung für eine marode Gesundheit böte ein übermäßiger Weingenuss und wenig Schlaf, allerdings gab es davon keine Gliederschmerzen, glaubte der Claudier.

    Während er dem Rat folgte und sich für die Mischung aus Lemone und Granatapfel entschied, dachte Menecrates noch einmal über das Jenseits nach. Er fand es komisch, dass er sich gänzlich einsam sah. Versunken nahm er das Getränk entgegen, kehrte mit seiner Aufmerksamkeit zurück in das Atrium und stellte sich wegen der Worte, mit denen Lepidus den Saft beschrieb, auf eine neue Erfahrung ein.


    Der Toast traf seine Zustimmung. "Ein guter Spruch! Weise bist du bereits geworden, ob auch ich, weiß ich nicht." Er hob den Becher und nippte vorsichtig. Durch die ungewohnte Säure stellten sich die kleinsten aller Härchen auf. Seine Stimme klang daher belegt, als er fortfuhr. "Mögest auch du stets einen Freund an deiner Seite haben!" Er äußerte nicht deswegen selbiges, weil es nach Lepidus' Trinkspruch nahelag, sondern wünschte es von Herzen. Nicht jeder, der auszog, fand einen Freund. Außerdem musste Freundschaft wachsen.

    Er probierter erneut den Saft und nach dem dritten Schluck legten sich seine Härchen wieder hin. Plötzlich kam ihm ein Gedanke.

    "Die ganze Zeit grübele ich, warum ich mich auf der anderen Seite des Flusses alleine sehe, jetzt weiß ich, warum!" Seine Augen leuchteten und er lächelte. "Wir sind dann nicht mehr stofflich und deswegen kann ich die Geister der anderen nicht sehen, aber wir spüren uns. Wir sind zu dieser Zeit Kraftquellen ohne Substanz." Erleichtert und beglückt über diese plausible Erklärung nahm er einen großen Schluck, schüttelte sich anschließend und stellte den Becher lachend ab.

    "Nicht schlecht!" Er spielte auf die Geschmackserfahrung an, wollte sich aber von nichts ablenken lassen, wenn Lepidus seine Frage nach dem Bild der Frau beantwortete.

    Nichts von dem, was er hörte, missfiel ihm. Im Gegenteil: Sie teilten die gleichen Ansichten, was heutzutage keineswegs selbstverständlich war, nicht einmal in ihren Kreisen. Die Selbstverwirklichung einer Frau lag in der Familie und nicht in fragwürdigen Ämtern oder Positionen. In all den Rollen, die Lepidus aufführte und den Frauen zudachte, lag Wertschätzung - trotz dem Schelm in seinem Blick.

    "Das wäre auch mein Idealbild und ja, es ist viel." Menecrates blieb ernst, obwohl er auch gerne schöne Körper betrachtete und den Blick auf eine weibliche Zierde nicht verschmähte. Eine Heilige müsste seine Gefährtin auf alle Fälle sein, vielleicht heutzutage keine Lupina mehr.

    "Eine aufgeschlossene Bettgefährtin lässt sich zugegeben nicht einfordern", erwiderte er und jetzt musste er schmunzeln. "Leider auch nicht die Komplizin, aber bei allem anderen sehe ich Chancen. Was ich aber vor allem festschreiben möchte, wären ein Verbot zur Aufnahme von Klienten, von diversen unpassenden Tätigkeiten, sowie den Ausschluss bei bestimmten Titeln, wie dem des Ritters beispielsweise. Ich begreife nicht, warum das Absurde solcher Erhebungen bisher niemand aufgefallen ist." Er hob hilflos die Hände, ließ sie aber schnell wieder sinken, nachdem Lepidus eine Frage zu Menecrates' eigener Frau gestellt hatte.

    "Meine Frau? Ich weiß noch ungefähr, wie sie aussah." Er lachte auf und verzog den Mund. "Kein Gesetz kann eine Frau an den Haushalt ihres Mannes binden, aber der Mann sollte sich ihrer nicht schämen müssen, ganz gleich, wo sie lebt und was sie tut." Vielleicht wäre es schlau gewesen, nicht an dieser Ehe festzuhalten, aber sich das heute zu fragen, brachte nichts. Er galt als verheiratet, wie es die Tradition forderte, es ergab sich nie anderes und irgendwann hatte er aufgegeben, auf ein persönliches Glück zu hoffen.

    Menecrates applaudierte dem siegreichen Sotion, der für die befreundete Aurata den Sieg einfuhr. Er bedauerte, dass Livianus den Triumph seines Gespanns nicht miterlebten konnte. Im Normalfall hätten sie sich im Anschluss an das Rennen zusammengesetzt und in gemütlicher Runde mit erbaulichen Happen eine Auswertung vorgenommen.

    Zu kritisieren gab es bei den grünen Lenkern nichts. Das eine Gespann besaß ein neues Leitpferd, bei dem zunächst durch Rennerfahrung Harmonie mit den anderen Galoppern hergestellt werden musste. Für den aktuellen Stand konnte der Lenker mit Platz vier sehr zufrieden sein. Syennesis hingegen fehlte ein Quäntchen Glück und seinen Pferden eine Kraftreserve, dann wäre Platz zwei fast im Bereich des Möglichen gewesen.

    Der Claudier wartete die Siegerehrung ab, führte noch ein paar private Gespräche und sah sich anschließend nach den Soldaten der Stadtkohorten um. Die Auswertung würden sie allerdings später in dienstlicher Runde vornehmen.

    Seine Handbewegung hätte man übersetzen können mit: 'Ich selbst weiß es nicht, aber offensichtlich...'

    "Ich muss mich auf meine Berater verlassen, weil ich mit dem christlichen Kult nicht vertraut bin. Es ist wohl so, dass sich Christen mittels Fischen untereinander erkennen. Sie müssen eine Art Geheimcode sein." Er verstand den Zusammenhang zwischen Fischen und Christen nicht. Im Grunde verstand er aber die gesamte Religion der Christen nicht. "Leider sieht es so aus, als bin ich gezwungen, mich zukünftig mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Ihre Präsenz wird größer und zunehmend problematischer." Dass sie etwas unternehmen mussten, fand Menecrates auch. Allerdings bewertete er das Decretum Christianorum gänzlich anders.

    "Provoziert?", fragte er sicherheitshalber nach. "Um ehrlich zu sein, habe ich es mir einmal durchgelesen und anschließend nie wieder angeschaut, weil ich es", er breitete entschuldigend die Hände aus, "weitgehend nutzlos finde. Es ist viel zu lasch." Gedacht hatte er das schon lange, wollte nur niemand auf die Füße treten, solange die Christen keinen größeren Unfug anstellten. Diese Grenze hatten sie aber überschritten. Leider gab es mehrere Fronten, an denen Menecrates kämpfen müsste, aber nicht gleichzeitig konnte. Er hoffte, die Präsenz von Soldaten in Rom würde für mehr Sicherheit auch in dieser Hinsicht sorgen.

    Menecrates wunderte sich zwar ein wenig über die erneute Nachfrage, wo er doch die Variabilität der Lösung bereits herausgestellt hatte, aber er ließ es sich nicht anmerken. Stattdessen kam ihm der Verdacht, es könne sich bei der jungen Frau noch um ein Mädchen handeln.

    "Wie alt ist denn das Kind? Ist sie noch nicht zwölf, dann muss sie selbstverständlich unter eine Vormundschaft. Ist sie älter, dann hilft ein Tutor in vielerlei Hinsicht, aber wie gesagt, es gibt kein Gesetz, dass heutzutage Frauen als generell nicht geschäftsfähig betrachtet. Das ist ein Relikt der Vergangenheit, auch wenn uns nur wenige Jahre zwischen der heutigen und der traditionellen Handhabung trennen. Hängt die Familie den Traditionen an, oder will sie ein Zeichen nach außen in Richtung Wahrung der Traditionen setzen, dann bekommt eine Frau ohne Vater und ohne Ehemann auch heute noch einen Tutor. Um ehrlich zu sein, die Wahrung der traditionellen Frauenrolle ist mir an anderer Stelle sehr viel wichtiger als an dieser." Er fragte sich allerdings, ob eine Frau ohne Tutor die erste Stufe erklomm, um später ein Abbild dieser grausigen Sergia Fausta zu werden. In so einem Fall müsste eine klare Gesetzesgrundlage her. Menecrates wollte diese Thematik im Auge behalten.


    Es folgte weitere Fragen.

    "Octavius Gracchus sagt mir etwas. Das ist ein Magistrat, dessen Amtszeit wegen schlechter Amtsführung nicht anerkannt wurde. Der Mann zählt für mich als einfacher Bürger, er hat die Toga praetexta nicht verdient und sollte nach Ablauf der Aufbahrungszeit ohne viel Aufwand aus der Stadt getragen werden. Eine familiäre Prozession ist freilich gestattet. Vorher waschen und salben, aber das ist ja selbstverständlich. Vergesst die Münze nicht, damit er überfahren kann. Ihr müsst einen Verbrennungsplatz kaufen und du müsstest klären, ob deine Familie eine Parzelle oder ein Grabhaus besitzt." Menecrates wusste nur bei Kindern und Sklaven von Erdbestattungen. "Außerdem eine Urne. Natürlich gibt es auch feststehende Abläufe bei der Einäscherung." Er blickte fragend, weil er nicht annahm, dass er diese aufzählen sollte.

    Wichtig zu erwähnen, fand er aber das Folgende: "Falls du den Toten in eurer Casa beklagst, musst du dich ebenfalls reinigen, bevor du wieder in die Castra kommst. Alle gelten als unrein, die mit dem Toten in Berührung kamen."

    Bei der Nennung des Centurio Ocatvius klingelte es nicht sofort, da Menecrates aber auf geklärten Sachverhalten bestand, hielt er sich eine Weile beim Nachdenken auf und hörte anfänglich kaum zu. Nachdenken und gleichzeitig zuhören lag außerhalb seiner Möglichkeiten. Er kombinierte: Octavier gab es viele, aber gleichzeitig Centurio sicher wenige. Er vollführte einige unnötige Schlenker über Magistrate, die er verwarf, Senatoren, die ihm als Octavier sofort einfielen, bis endlich der Sesterz fiel. Er schlug sich vor die Stirn, was Frugi vielleicht verwundern mochte, weil die Reaktion sicherlich nicht zu dessen Erklärungen passte.

    "Natürlich! Maro." Er schüttelte über sich selbst den Kopf und fügte murmelnd an: "Wie konnte ich den vergessen?" Wahrscheinlich lag es daran, weil er ihn überwiegend als Optio kannte.

    Wieder fiel der Name Octavius, ein Gracchus, aber dieses Mal lieferte Frugi die Erklärung zur Person gratis mit - angefangen vom obduzierenden Miles über den Ermittler und am Ende verstand Menecrates, dass sich die Problematik um die den Toten begleitende Octavia drehte.

    "Es existiert kein Gesetz, das dich oder jemand anderen zwangsweise zum Vormund bestellt oder für eine junge Frau einfordert. Ebenso wenig gibt es eine moralische Pflicht, sich als Tutor anzubieten." Er trank einen Schluck Wasser, das über den gesamten Tag im Atrium bereitstand, und bot Frugi mit einer Geste selbiges an. "Jede Familie kann die für sie passende Regelung unabhängig von gesellschaftlichen Zwängen finden."

    Er nahm nochmals einen Schluck und dachte nach. Frugi gehörte dem Militär an und durfte als Unteroffizier nicht heiraten. Tutor zu sein, sollte ihm jedoch niemand verwehren können, sofern er wollte. Gleichzeitig fiel Menecrates kein Präzedenzfall ein.


    "Wünscht sich die junge Frau, Romana hieß sie, denn einen Tutor? Die Frage wäre auch, wofür? Sollst du ihr Vermögen verwalten? Will sie jedes Mal bei Rechtsgeschäften deine Zustimmung einholen?" Die Medaille musste auch von der anderen Seite beleuchtet werden. "Willst denn diese Verantwortung gerne übernehmen?"

    Auf die Anmerkung des Kaisers zum unüblichen Karriereverlauf nickte Menecrates - nicht übermäßig deutlich, dafür öfter. Er hieß einige Entscheidungen von Tiberiern nicht gut, aber letzten Endes ging ihn das nichts an. Damit schloss er das Thema Verus und konzentrierte sich auf die Absprachen zu seiner Einheit. Als der Kaiser auf den ausgebreiteten Plan deutete, der Roms Stadtviertel zeigte, reckte er zur besseren Sicht den Hals.

    "Ich präferiere keinen der beiden vorgeschlagenen Standorte, daher können wir gern mit der Castra im Norden anfangen. Wobei, wenn ich es genau bedenke, liefert dieser Standort wegen den dort häufig abgehaltenen Veranstaltungen, sogar einen zusätzlichen Vorteil für unsere Einsätze." Eine gute Entscheidung des Kaisers.

    Das folgende Thema würde weniger leicht abzuwickeln sein, denn eine Patentlösung gab es nicht. Wegen der komplizierten Problematik verdüsterte sich auch Menecrates' Gesicht. Er wandte sich an den Optio. "Von Octavius' Stapel die Notizen zum Fall mit der Kennzeichnung 'vertraulich'." Er hielt die Hand aufnahmebereit ausgestreckt, denn für die Namen benötigte er die Aufzeichnungen.

    "Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, mir liegen aber erste Ergebnisse vor", begann er mit Blick zum Kaiser, dann suchte er im Protokoll nach Täterin und Zeugen. "Die Tat wurde von einer Frau verübt, deren Identität noch unbekannt ist. Zeugen der Tat sind die Vestalin Valeria Maximilla und der Liktor Caius Lucceius Aterianus. Als Tatwaffe diente ein Messer." Er überflog die Notizen, fand nur noch einen weiteren Namen und gab die Unterlage Lurco zurück.

    "Der ersten Tat folgte eine weitere." Er bemühte sich um eine knappe Schilderung und vermied es, sich darüber Gedanken zu machen, wie der Bericht auf den Kaiser wirken musste. "Opfer der zweiten Tat ist die Angreiferin auf die Virgo Vestalis Maxima. Die Tatzuweisung ist noch strittig." Das bedeutete, der Täter war noch nicht zweifelsfrei festgestellt, die Befragungen dazu währten an.

    "Angesichts der Tatsache, dass die Morde am Tag stattfanden, die eine Leiche in einer Sänfte zur Casa Mammilla gebracht und die andere in einen Sack verfrachtet wurde, grenzt es an ein Wunder, dass die Kunde nicht wie ein Lauffeuer durch Rom zog."

    Er legte eine Pause ein, in der er den Kaiser betrachtete und gleichzeitig nachdachte, dann rückte er mit dem finalen Detail heraus.

    "Bei der mutmaßlichen Mörderin der Maxima wurde ein Amulett in der Form eines Fisches gefunden. Sie steht damit im Verdacht, christlichen Kreisen anzugehören. Auch hier sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen."

    Menecrates besaß eine Liste, auf der die angesprochenen Namen standen. Ohne diese Notizen würde er bei den vielen Fällen den Überblick verlieren, denn die Akten lagen im Archiv und boten keine schnelle Orientierung. Optio Purgitius nahm einen nach dem anderen durch. Bei dem ersten - Bordellbesitzer Kyriakos - nickte Menecrates mehrfach. Warum auch immer, alles, was mit dieser Person zusammenhing, hatte er sich gemerkt.

    "Das ist richtig, der Zusammenhang zwischen Kyriakos und dem Brandanschlag auf sein Lupanar sowie Optio Furius ist größer als der Magenhieb. Gleichzeitig wurde Kyriakos schon einmal befragt. Was erhoffen wir uns von einer weiteren Vernehmung?" Die Antwort würde über den Platz auf der Prioritätenliste entscheiden.


    Als nächster wurde der Sklave Tiberios durchgenommen. An dessen Bedeutung im Zusammenhang mit dem Brandanschlag erinnerte sich Menecrates nicht, daher hörte er aufmerksam zu. Dem Resümee, auf eine Aussage zu verzichten, stimmte er mittels Kopfnicken zu. Er strich den Namen auf seiner Liste und widmete sich den Ausführungen zur Gens Furia.

    Er benötigte in diesem Fall wieder die Rücksprache mit Purgitius, weil ihm nicht von selbst einleuchtete, inwiefern die Familie des Offiziers ihnen weiterhelfen konnte. Dem Resümee seines Ermittlers stimmte er zu.

    "Sie sind alle befangen. Ihre Aussagen können nicht als neutral angesehen werden, daher streiche ich sie von der Liste." Der Griffel zog eine weitere Furche in das Wachs der Tafel, dann fiel ihm etwas ein und er hob den Kopf. "Moment! War es nicht so, dass wir dort eine Hausdurchsuchung geplant hatten, in der Hoffnung, Beweise zu finden? Wir wollten zunächst versuchen, ob uns freiwillig die Türen geöffnet werden." Er glaubte, sich richtig zu erinnern. "Eine Durchsuchung müssen wir vornehmen." Er griff zu einer Wachstafel und formulierte einen schriftlichen Befehl, bevor er die Tafel zu Purgitius schob.

    "Das hat Priorität eins. Nimm dir Männer mit, bitte um den freiwilligen Zutritt und falls der verwehrt wird, oder niemand zu Hause ist, geh durch den Hintereingang - notfalls gewaltsam. Die Haupteingangstür sollten wir nicht beschädigen.

    Bliebe noch die Gens Iulia."

    Von einer Befragung versprach sich Menecrates Aufklärung über die Mordgründe. Eine Durchsuchung könnte Material zutage bringen, was ihnen bei der Bandenbekämpfung half, aber auch Hinweise über die Zusammensetzung der Krähenbande lieferte. "Wir wissen nicht, ob Iulius Caesoninus Notizen hinterlassen hat, aber das sollten wir herausfinden. In diesem Fall kein Durchsuchungsbefehl, ich erwarte Kooperation. Priorität zwei."

    Sein Blick folgte Lepidus' Handbewegung und erfasste einen der Sessel. Bevor er darauf zuging, vergewisserte er sich, dass sich Stella wohlfühlte. Nichts wäre unhöflicher, als sie wie auf verlorenem Posten stehenzulassen. Erst wenn zwischen ihr und Faustina Einvernehmen darüber herrschte, ob und wie man gemeinsam Zeit verbringen wollte, würde sich Menecrates beruhigt setzen können. Bis dahin lag ein Teil seiner Aufmerksamkeit bei seinem Mündel, obwohl er bekanntermaßen schlecht zwei Dinge auf einmal leisten konnte und immer hin und herwechseln müsste. Er bemühte sich, Lepidus' Schilderung zu folgen und vernachlässigte dabei Stella.

    "Licht", wiederholte er nachdenklich und stimmte das Bild mit der eigenen Vorstellung ab. "Licht herrscht in meiner Vorstellung ebenfalls, aber es ähnelt dem der Sonne. Ich stelle mir vor, ich fühle mich dann aller Lasten und Sorgen enthoben. Das spätere Dasein ist leicht und einzig von Freude erfüllt. Wir sind uneingeschränkt zufrieden. Allerdings sehe ich mich dabei nicht in Rom, sondern in einer Landschaft, so weit das Auge reicht." Er nickte. Andere Menschen, Verwandte, Freunde sah er dort nicht, aber das verschwieg er. Warum er sich in seiner Vorstellung einsam sah, konnte er nicht erklären. Es fühlte sich aber richtig an.

    Lepidus hatte Menecrates etwas voraus: Er konnte über die Dankbarkeit eine stille Freude empfinden. Verluste blieben für Menecrates Verluste, das konnte er drehen, wie er wollte.


    Die Weise, mit der sich Lepidus hinsetzte, ließ Menecrates stutzen. "Dich plagt mehr als einzig der Schmerz des Verlustes." Spekulation zwar, aber sehr naheliegend, zumal er von alten Verletzungen wusste. Vor Wochen sah der Zustand weniger dramatisch aus. Menecrates konnte nicht umhin und verzog das Gesicht, als handelte es sich um eigene Schmerzen.

    Lepidus jedoch eilte zum nächsten Thema.

    "Germanien? Nein, eher nicht", antwortete er. "Aber du hast Recht! Als Ort, uns unsere Besten zu entreißen, eignet sich der Norden. Vielleicht ist der Osten gnädiger mit uns. Dort lasse ich aktuell suchen." Er ließ sich ebenfalls vom Sklaven ablenken, betrachtete das Säfteangebot und sah zu Lepidus. "Welcher wäre am wenigsten süß?" Er blickte zunächst ernst, dann musste er grinsen. Er ahnte, er wurde langsam schrullig, glaubte aber, dass er sich das bei Lepidus leisten durfte.


    "Ach, Vorteile", erwiderte er in Bezug auf die angesprochene Lücke. Seine Stimme klang abwertend. "Gibt es überhaupt vorteilhafte Lücken?" Er überlegte, ihm fiel aber keine ein. "Wir haben lange gelebt ohne nennenswerte Vorteile und vermisst habe ich sie nur ab und an. Wirklich vermisst habe ich aber Freunde, sie fehlen an jeder Ecke. Ich bin froh, dass sich unsere Wege wieder gekreuzt haben!" Ein perfekter Satz, um ebenfalls den Becher zu heben, aber er wusste nicht, für welchen Inhalt er sich entscheiden sollte. Um die Zeit zu überbrücken, sann er über Lepidus' letzten Satz nach. Ein Praefectus Urbi ist ohne Zweifel ein Pfeiler in Rom, aber das zu hören, erzeugte ein wenig Unbehagen. Menecrates nahm sich selbst nie sonderlich wichtig. Er hielt sich für bescheiden, wusste aber nicht, ob andere das auch so sahen.


    Ihm lag daran, die Aufmerksamkeit auf anderes zu lenken, ohne grundsätzlich das Thema zu wechseln. Außerdem hoffte Menecrates, Lepidus abzulenken, indem er ihn beschäftigte. "Ich möchte allzu gern Rom verbessern. Auch wenn es absurd klingt, aber ich möchte dafür ein Stück in der Entwicklung zurück. Welches Bild hast du von Roms Frauen? Wie sähe deine perfekte Römerin aus?" Er bemerkte die Missverständlichkeit in seinen Worten und fügte an: "Also, die Haarfarbe interessiert mich nicht und auch nicht die Form ihrer Nase."

    Etwas Bestimmtes wollte Menecrates nicht. Er wollte vorbereitet sein, was auch immer dieses Ziel erforderte.


    "Keiner weiß, wann uns Optio Furius überstellt wird. Fakt ist, zu diesem Zeitpunkt müssen alle Ermittlungen abgeschlossen sein, weil dann die Verhandlung beginnt. Wir können dann nicht sagen, tut uns Leid, ihr müsst noch warten." Er zuckte die Schultern und strich sich anschließend über das Kinn. "Gehen wir einmal die Namen durch und legen die Priorität fest. Kyriakos war der mit dem Faustschlag im Magen. Wozu brauchten wir eine weitere Aussage von ihm? Tiberios, in welcher Angelegenheit hilft uns seine Aussage weiter? Woran scheitern die Befragungen bei der Gens Furia? Was genau erhoffen wir uns, dort zu erfahren? Und so weiter." Optio Purgitius stand als Hauptermittler mitten im Thema und konnte Menecrates das Blättern der Akten ersparen.

    Menecrates hörte den Namen und reagierte prompt. "Es sind die lächerlichsten aller Männer, die sich gegenüber Frauen aufspielen und an der eigenen Front versagen!" Er kannte als Praefectus Urbi beileibe nicht jeden Beamten in Rom, aber diesen wüsste er selbst dann einzuordnen, wenn er nicht Stadtpräfekt wäre: Fabius Torquatus gelangte im Senat zu einem Namen, wenn auch nicht zu einem ruhmreichen, und zu keinem Rang.

    Menecrates - ohnehin bereits gesättigt - erhob sich von innerer Empörung getrieben hurtig von der Kline und stapfte einige Schritte auf und ab. Er - als Verfechter, der Frauen die eingeräumten Rechte einschränken oder wieder wegnehmen wollte - verabscheute es, wenn sie unhöflich und ohne Respekt behandelt wurden. Er störte sich mehr und mehr an der aus seiner Sicht falschen Entwicklung der Gesellschaft, die immer mehr von den Traditionen abwich. Das eine zog das andere nach sich, fand er.


    "Wenn ich diesen Feigling je zu Gesicht bekomme, dann kann der sich was anhören! Schwört den Eid als Magistrat und flieht anschließend vor der Pflicht. Gegenüber Frauen plustert er sich aber auf. Vor DEM", Menecrates hielt vor Stella an, "musst du dir nichts bieten lassen. Halte ihm einfach sein Versagen vor. Aber auch von anderen brauchst du dir nichts mehr gefallen lassen. Jetzt bin ich da und werde für respektvolle Umgangsformen sorgen."

    Er atmete mehrmals durch, dann fügte er zerknirscht an: "Was du gerade erlebt hast, ist auch nicht die feine römische Art. Ein Römer beherrscht sich, zumindest vor Gästen und in der Öffentlichkeit. Manchmal ist es aber auch zum aus der Haut fahren." Er setzte sich auf seine Kline. "Du siehst, ich bin auch nicht fehlerfrei."

    Er griff zu einem Pastetchen, damit Stella sich traute weiterzuessen. Anschließend hörte er ihr beim Renovierungsbedarf zu. Er musste lächeln, als sie feststellte, sie habe nun ihn. "Die Frage ist, ob mein Geschmack deinen trifft. Wir können gern mal eine Besichtigung vornehmen und uns darin austauschen." Er überlegte, wann er dafür Zeit erübrigen könnte. "Du führst mich am besten übermorgen zur Villa Tiberia. Dann listen wir die nötigen Gewerke und Materialien auf, um die du dich anschließend samt neuer Sklaven kümmern kannst. Wir testen einmal, wie höflich und hilfsbereit die Anbieter zu dir sind."