Beiträge von Herius Claudius Menecrates

    "Ich bin mir insofern sicher, dass die reinen Fakten zunächst erst einmal dafür sprechen, dass Optio Furius Cerretanus der mutmaßliche Auftraggeber der beiden Brände ist", antwortete Menecrates. "Wir haben das Geständnis der Brandstifterin und unsere Ermittlungen bestätigen die Sklavin Eireann als mutmaßliche Täterin. Wir haben ihre Aussage, dass sie im Auftrag ihres Herrn gehandelt hat. Die Eigentumsverhältnisse weisen Optio Furius als Eigentümer aus. Daran ist nichts zu rütteln und das lässt sich auch nicht anders auslegen. Unübersichtlich wird die Sachlage, weil die Sklavin kurz nach den Bränden den Eigentümer wechselte. Strittig ist, ob der neue Herr Anis von Alexandria oder der alte Dominus Optio Furius die Sklavin beauftragt hat, die eigenen Spuren am Tatort Garymed zu verwischen. Das ist das Problem, Petronius", er rieb sich die Stirn, als könne er dadurch dem überfüllten Kopf Entlastung verschaffen, "diese zentralen Fakten sind eingebettet in ein Wirrwarr von Unzulänglichkeiten, konfusen Ereignissen, undurchsichtigen Personenkonstellationen und ja, auch unprofessionellem Verhalten unserer Offiziere und Mannschaften am Tatort. Die katastrophalste Entgleisung stellt der Fausthieb des Optio Furius Cerretanus in den Magen des Geschäftsführers des abgebrannten Ganymed dar, der in diesem Augenblick von einem unserer Männer als Zeuge angehört wurde."


    Er faltete die Hände zusammen und legte sie auf sein Haupt. Sein Blick suchte irgendeinen Punkt jenseits des Fensters und in Gedanken verweilte er für Momente zwischen Zeugenaussagen und Beweismaterial, sowie seinem Idealbild der Cohortes Urbanae. Als er einsah, auf diese Weise nicht voranzukommen, nahm er die Hände vom Kopf und öffnete sie in einer teils hilflosen, teils resignierten Geste.

    "Wir geben ein trauriges Bild ab, aber nach meiner Auffassung müssen wir uns dem Unvermeidlichen stellen, wollen wir unsere Arbeit machen und diese Brandfälle restlos aufklären. Das sind wir Rom, den Opfern und uns selbst schuldig." Er würde sich wünschen, dass nicht alles zur Sprache käme, weil hier nicht die Einheit im Kreuzverhör stehen sollte, sondern nur der mutmaßliche Auftraggeber.

    "Ich denke, die Beweise sind ausreichend, um Optio Furius vor ein Militärgericht zu stellen", resümierte er müde. "Denkst du, eine zwanglose Befragung genügt vorerst? Rechnest du mit Fluchtgefahr?" Vielleicht kannte sein Tribun den Optio besser. Theoretisch sah Menecrates Fluchtgefahr.

    "Das Motiv lässt sich noch nicht sauber vom Wirrwarr lösen. Vieles deutet darauf hin, dass der Optio ein Mitglied der Krähenbande war, die Sklavin Eireannn höchstwahrscheinlich auch. Das Ziel dieser Bande - die ja inzwischen ausgelöscht ist - könnten Schutzgelderpressungen gewesen sein, denen der Geschäftsführer vom Ganymed möglicherweise nicht nachkam. Die Statio störte bei den Geschäften, das ist wohl weitgehend gesichert, aber ansonsten erfordert diese Brandserie noch einiges an Ermittlerarbeit." Es standen noch Befragungen und Durchsuchungen aus.

    Die Momente, in denen Menecrates vor Augen geführt wurde, wie gutgläubig, naiv oder schlicht dämlich er doch war, schätzte er nicht. In jedem lernte er zwar dazu, allerdings verhalf es ihm nicht generell zu einer realistischeren Einschätzung seiner Mitmenschen. Sachlagen zu bewerten oder Zusammenhänge zu erfassen konnte er hingegen gut. Sein analytischer Verstand versagte einzig bei Menschen, weil ihr Reden und Tun häufig genug im Gegensatz zueinander stand. Besonders kompliziert wurde es, wenn das Reden auch noch vom Denken differierte. Priester hatte er bis heute nicht hinterfragt. Ein Armutszeugnis für jemand, der sich Stadtpräfekt nannte. Die Betroffenheit über die eigene Einfältigkeit wich aus diesem Grund nicht, obwohl Flavius freundlich lächelte. Da er den jungen Magistraten aber seit Jahren untadelig erlebte und zudem das Gespräch zu einem Ergebnis kommen musste, riss sich Menecrates zusammen.


    Dankbar für die nunmehr verständliche Erläuterung nickte er. "Gut, gehen wir schrittweise vor und somit die Auspizien an. Welche Form wirst du vornehmen? Eventuell die ex tripudiis, weil es sich um ein militärisches Vorhaben handelt?" Alles, was militärische Belange streifte, kannte er. Es gab aber außer den Hühnern und dem Vogelflug noch mehr, wie er einmal vom Augur Iulius Centho erklärt bekam. Während seiner Amtszeiten im Cursus Honorum wurde derlei Bitten nicht an ihn herangetragen. Er hatte sich also nie in das Thema knien müssen. Seine Spezialstrecken lagen wo anders.

    "Alles, was du schon jetzt sicher benennen kannst, nehme ich gern zur Kenntnis, aber es reicht natürlich auch, wenn du mir in einem Schreiben Ort und Methode mitteilst. Ich gehe davon aus, dass - wenn wir den Verletzten die Teilnahme versagen - Militärangehörige zugegen sein dürfen." Ein fragender Blick bat um Aufklärung. Innerhalb vom Pomerium, am liebsten auf dem Capitol, könnte eine besondere Aussagekraft ergeben, aber Fachkundige wusste diesbezüglich mehr als er.


    "Im Hinblick auf den Wiederaufbau der Statio I lehne ich mich einmal so weit aus dem Fenster, dass ich behaupte, eine erneute Bewilligung des Princeps würde nicht vonnöten sein. Selbstverständlich erfolgte der Bau mit dessen Wissen und letztendlich auch Zustimmung, auch wenn es DCCCLXVIII A.U.C. (2018/115 n.Chr.) extrem schwer war, von irgendjemand eine Meinungsäußerung zu erhalten. Der Senat verwies an den Kaiser - man wolle nicht entscheiden, ohne dessen Meinung zu kennen. Der Kaiser wollte hingegen den Senat nicht übergehen. Es war anstrengend."

    Die zügige Akzeptanz seitens des Tribuns, die Vorgabe seines Vorgesetzten betreffend, erstaunten Menecrates nicht minder als zuvor die unerwartet lasche Handhabung bei der Vergabe von Phalerae. Er hatte mit mehr Widerstand gerechnet, weil Petronius zwar Befehlsempfänger war, aber gleichzeitig auch dem Beraterstab des Praefectus Urbi angehörte. Diesen Offizieren war es explizit gestattet, eine gegenteilige Meinung zu vertreten und sie zu begründen. Menecrates suchte in wichtigen Angelegenheiten immer den Rat seines Stabes, um sicher zu gehen, dass er keinen Aspekt übersah. Petronius lag ihm zäher in Erinnerung. Er gehörte nicht zu den Offizieren, die schnell aufgaben.

    Noch immer verweilte Menecrates' Blick auf seinem Tribun. Langsam nickte er. Er hätte seine Meinung in Bezug auf die Phalerae nicht geändert, vermutlich erkannte das Petronius.


    Es folgten Erläuterungen über den Dienstweg bei der Phaleravergabe. "Natürlich", stimmte Menecrates zu. Es erleichterte ihn zu hören, dass Petronius offensichtlich wenig bis keine Kenntnis über den Diensteifer des besagten Optio besaß. Er angelte nach dem Bericht und legte ihn an die chronologisch richtige Stelle. Anschließend klappte er die Akte zu und legte die flache Hand darauf. Es bedurfte keiner zusätzlichen Berichte. Sie waren - zwar etwas holprig - zu einer Einigung gelangt. Die Schwierigkeiten begannen allerdings erst jetzt. Die bisherige Thematik zählte bestenfalls zum Vorgeplänkel.


    Der Praefectus atmete einmal durch, bevor er wieder Blickkontakt suchte. "Petronius, wir haben ein Problem und dagegen ist die Phaleravergabe ein Klacks." Nicht nur die Aussage, auch die Stimmfarbe und die eher unübliche private Anrede im Dienst läuteten den problematischen Teil der Besprechung ein. "Die Sachlage ist komplex. Ich versuche, sie auf eine Kurzfassung herunterzubrechen: Für die Brandanschläge auf die Statio I Urbana und ein angrenzendes Geschäft gibt es einen geständigen und überführten Brandstifter. Es handelt sich um eine Sklavin namens Eireann, die gestand, im Auftrag ihres Herrn gehandelt zu haben. Eigentümer zum Zeitpunkt der Brandanschläge war Optio Furius Cerretanus." Er strich sich über die Stirn, bevor er weitersprach. "Frage: Möchtest du in Ruhe die gesamte Ermittlungsakte studieren, oder reicht es dir, wenn ich dir diejenigen Fakten, Zeugenaussagen, Vernehmungsprotokolle usw. vorlege, die im Ergebnis zur Verdächtigung geführt haben?" Nach einem Atemzug Pause fuhr er fort. "Ich möchte zum einen die Beweislast gegen Optio Furius als Auftraggeber für die Brandanschläge auf den Prüfstand stellen und zum anderen - wenn du zum gleichen Ergebnis gelangst - mit dir die weitere Vorgehensweise besprechen."


    Um die volle Aufmerksamkeit des Tribuns zu erhalten, fügte er an: "Die Aufnahme der Zeugenaussagen und die Fertigung der Protokolle aus den Vernehmungen usw. mögen auf den beschränkten Horizont irgendwelcher Milites zurückzuführen sein", er benutzte mit Absicht die Worte des Tribuns, die nicht sonderlich gut bei ihm angekommen waren, "aber die Rückschlüsse daraus habe ich überprüft bzw. selbst gezogen. Ich lasse mich der Einheit zuliebe gern eines Besseren belehren, aber dafür müsstest du stichhaltige Argumente auffahren."

    Die Möglichkeit, dass sich Petronius angegriffen fühlte, bestand von vorn herein, aber dessen Ausführungen fielen umfangreicher als erwartet aus. Am Ende wusste Menecrates nicht einzuschätzen, ob es sich um ein Großaufgebot an Verteidigung handelte oder der Tribun eine Grundsatzdiskussion anstrebte.

    "Das ist der Zweck von Auszeichnungen", knurrte der Preafectus. "Sie sollen motivieren und zwar zu mehr Leistung als nur einer durchschnittlichen." Da Menecrates wegen einem anderen Thema die Besprechung einberufen hatte, störte es ihn, dass er sich mit einer Diskussion über die Vergabe von Phalerae aufhalten musste, zumal sein Zeitplan wenig Spielraum zuließ.

    "Wie ich bereits sagte: Es wird keine Phalera mehr für einen Dienst nach Vorschrift geben. Es ist im Imperium seit Jahrzehnten bekannt, dass die Auszeichnungen bei uns erheblich weniger wert sind als die aus anderen Einheiten. Das liegt AUCH daran, dass ein Soldat im Feld - insbesondere in fremden Provinzen - sich natürlich schneller auszeichnen kann. Er erhält dort mehr Möglichkeiten. Das weiß natürlich ein Legat, könnte es auch berücksichtigen, aber umso mehr belächelt er eine Phalea für - wie sagtest du so schön? - die Ableistung einer Dienstzeit ohne Beanstandungen. Das ist ein Witz, Tribun Petronius Crispus!" Zum witzeln war Menecrates allerdings nicht zumute. Dass der Anspruch des Tribuns, auf den er große Stücke hielt, derart gering ausfiel, bestürzte ihn.


    "Aber auch ein Miles kann sich auszeichnen und darauf werden wir zukünftig unser Augenmerk bei der Vergabe von Auszeichnungen, auch den Phalerae, richten. Jeder, der sich aus seiner Mannschaft herausheben möchte, kann das durch augenfälligen Einsatz im Rahmen seines Dienstes tun. Die Betonung liegt auf 'augenfällig'. Die bloße Teilnahme an Operationen genügt nicht. Luft nach oben gibt es immer und dann auch im Einzelfall eine höhere Auszeichnung."


    Das Stichwort 'augenfällig' stellte eine geniale Überleitung zum eigentlichen Thema dar. Menecrates zog die neben ihm liegende Akte heran, schob sie ein Stück an sich vorbei, sodass sie zwischen ihm und Petronius zum liegen kam, und tippte darauf.

    "Appius Furius Cerretanus - der Optio ist sogar augenfällig geworden, aber anders als angedacht."


    Menecrates rieb sich die Augenbraue, während er überlegte, bei welchem der Sachverhalte, den Optio betreffend, er beginnen sollte: dem für heute vorgesehenen Tagesordnungspunkt oder dem unfreiwillig hinzugekommenen Thema 'Phalera für eine Dienstzeit ohne Beanstandung'. Er entschied sich für Letzteres und blätterte die Papyri durch, bis er eine von Lurcos Aussagen fand. Das Protokoll legte er separat auf den Tisch und schob es unmittelbar vor Petronius. Er hatte sich vorbereitet, daher konnte er das Relevante finden und trotz erschwertem Blickwinkel vorlesen.


    "Es liegen mehrere Aussagen über die Ausübung des Dienstes jenes Optio vor. Beginnen wir mit dieser. Sie bezieht sich auf seinen Einsatz am Brandtag unserer Station und stammt vom Hauptermittler der Sonderkommission 'Statio I Urbana', von Purgitius Lurco. Du kennst ihn." Er sparte sich die Bezeichnung des Dienstgrades, sie hatte inzwischen zweimal geändert.

    "Zitat: Als die Statio brannte, rannte er hinein um einige Kollegen zu retten. Löblich.

    Was tat er um die Schuldigen zu verfolgen? Nichts.

    Welche Befehle gab er zur Ermittlung der Schuldigen aus? Keinen.

    Welche sonstigen Maßnahmen hat er ergriffen, um die Ermittlungen aufzunehmen? Keine.

    Hat er einen Bericht für unseren Centurio gefertigt ihn über die Sachlage oder über Eireanns Zusammenhang mit den Krähen informiert? Nein.

    Warum reagierte dieser Mann nicht?

    Warum tat er nicht dass, was von ihm erwartet wird - sprich warum erledigte er nicht seine Pflicht?"


    Menecrates musterte Petronius und wartete auf dessen Reaktion. Er sparte sich die Frage, ob der Tribun dies als Dienst ohne Beanstandung wertete, zumal dies nur der Anfang der Misere um Optio Cerretanus war.

    Das Leuchten aus Menecrates' Augen verblasste in dem Maße, wie die Hoffnung schwand, es könne eine unkomplizierte Abwicklung geben. Fast schien es, als würde Flavius beim Vorschlag zum Einholen von Auspizien zurückrudern. Möglicherweise verknüpfte der Claudier aber auch falsch, daher fragte er nach.

    "Worauf bezieht sich die von dir im Vorfeld empfohlene Ratsuche bei den Pontifices? Auf die Idee einer Prozession, auf die Entwicklung einer Entsühnungsformel, auf die grundsätzliche Frage, ob weiteres Militär Einzug in das Pomerium halten darf, oder", er schüttelte kurz als Zeichen von Ratlosigkeit den Kopf, "auf das Einholen von Auspizien?" Menecrates hielt sich für intelligent, aber die ungebräuchliche Redeweise, die bereits dem älteren Gracchus anhaftete, erschwerte ihm das Verständnis. Selbst wenn die Aussage schriftlich vor ihm liegen würde, hätte er sie mehrmals lesen und am Ende feststellen müssen, dass er sie nur teilweise begriff.

    Abgesehen davon, konnte Menecrates zum jetzigen Zeitpunkt nicht alle erforderlichen Daten liefern, weil zwar die Statio I Urbana klar umrissen, die Kombistation hingegen noch nicht einmal genehmigt war. Hier biss sich die Katze in den Schwanz. Auf der anderen Seite wäre eine Klärung für die Statio I bereits ein wichtiger Teilschritt. Dagegen sprach, dass die Prozession ursprünglich und einzig für die neue Kombistation vorgesehen war.


    Besonders ernüchterte ihn aber die Erkenntnis, dass nicht er die Stadt verwaltete, sondern in den entscheidenden Dingen nur eine Marionette von Priestern war. Er solle Daten einreichen und die Priesterschaft erteilt dann den Bescheid, an den er sich halten müsste, wollte er nicht als Ungläubiger abgestempelt werden. Momente vorher hatte Gracchus Minor erst eingeräumt, dass die Deutung des Götterurteils nicht nur schwierig, sondern auch dem Irrtum unterliegen konnte. Was aber, wenn ein Priester mutwillig Gottvater spielte und das deutete, was er deuten wollte? Allein der Gedanke ließ die gesunde Gesichtsfarbe des Praefectus' weichen. Gerade im Falle des Pomeriums und der Frage, ob bewaffnete Männer einziehen durften, lag eine neutrale Bewertung seitens der Priesterschaft kaum im Bereich des Denkbaren. Menecrates würde daher sehr viel lieber eine Götterantwort erhalten wollen, die jeder Anwesende deuten konnte, wie es zum Beispiel eine aufsteigende Rauchsäule ermöglichte. Einem Priesterurteil ausgeliefert zu sein, zeigte ihm die unermessliche Macht dieser Collegia. Sie erschien ihm in diesem Moment sogar größer als die des Kaisers.

    Menecrates schluckte und wirkte in sich gekehrt. Ein Sturm fegte durch sein Preafectusbild, der vieles auf den Kopf stellte und weniges an Ort und Stelle ließ.


    "Ja, dann sag ich schon einmal Danke für deine Hinweise", erwiderte er schleppend. Man hätte auch Nachdenklichkeit hineininterpretieren können. Der Absturz von Begeisterung zu Ernüchterung kam abrupt. Das Thema dominierte die Gedanken und ließ kein weiteres zu. Menecrates fragte sich, wie es seine Vorgänger gehandhabt hatten, denn dass sie irgendwann alle an diesem Punkt standen, setzte er voraus. Hatten sie sich von Priestern durch das Amt dirigieren lassen? Hatten sie an ihnen vorbeiagiert? Waren sie derart angepasst, dass sie keinerlei Konfliktpotential auf den Tisch warfen? Das Thema würde ihn weiterhin beschäftigen, so viel stand fest.

    Eigentlich hegte Menecrates selbst einen Fluchtplan, aber nachdem Faustus floh, konnte er unmöglich hinterherlaufen. Er ließ sich also wieder auf der Bank nieder und atmete einmal durch. Er fand es zuweilen schwer, die Logik von Menschen zu verstehen, weil sie oft Dinge taten, die der Verstand gebot. Dinge des Herzens standen zurück, wenn sie nicht zufällig mit dem Verstand einhergingen. Auf Faustus traf beides nur zum Teil zu, denn Menecrates wusste seit Jahren, dass sich der Freund nicht dabei wohlfühlte, kostenlose Logis in der Villa Claudia zu haben. Er wünschte sich ein eigenes Heim und eine eigene Familie, auch wenn er hier ein stets gern gesehener Gast war. Wahrscheinlich lag hierin das Problem: Er wollte Hausherr und kein Gast mehr sein. Warum aber ausgerechnet Germanien erstrebenswert erschien, konnte sich Menecrates nicht erklären. Das Klima und die einheimische Bevölkerung passten nicht zu Faustus‘ Gemüt. Außerdem würden sie einander schwerlich besuchen können, denn zumindest für ihn als Senator und Praefectus Urbi gab es gleich zwei Gründe, die ihn an Rom banden - abgesehen von seiner Heimatliebe.

    Der Claudier ließ den Blick über sein Anwesen streifen. Er lebte hier fast allein, wenn man Sisenna nicht mitzählte. Sein Sohn Gallus befand sich oft auf Reisen. Immens viel Platz für eine Person, während sich in der Subura die Bewohner stapelten. An diesem Tag wurde ihm bewusst, was für ein Luxus ihn umgab und mit welchem Glück ihn die Götter bedachten. Ohne dass er es wollte, gelangte mit dieser Erkenntnis eine Spur Zufriedenheit in die augenblickliche Trauer und machte sie erträglicher.

    Er versuchte, sich auf den Vogelgesang zu konzentrieren, aber sie zwitscherten scheinbar nicht so fröhlich wie vorher.

    Da hatte Menecrates doch genau das Passende im Gepäck, um seine ihm anhaftende Führungsmethode zu untermauern. Nur wenige Augenblicke nach Petronius betrat Menecrates den Raum und als Hinzukommender grüßte er zuerst, auch wenn er der Ranghöhere war. "Salve Tribunus Petronius."

    Er wies mit der Hand zum Tisch und nahm Platz. Nachdem Petronius ebenfalls saß, eröffnete Menecrates die Sitzung.

    "Ich habe dich zu einer kleinen Stabsbesprechung geladen, weil das Thema der heutigen Besprechung ein ehemaliger Optio aus deiner Cohors ist. Sein Name ist Appius Furius Cerretanus. Er wurde auf eigenen Antrag hin ID DEC DCCCLXX A.U.C. (13.12.2020/117 n.Chr.) zur Legio XV Apollinaris versetzt und hat im Zuge dessen eine Phalera bekommen." Menecrates betrachtete Petronius, bevor er weitersprach. Auf menschlicher Basis verstand er sich gut mit dem Tribun, aber dessen Ansichten teilte er nicht immer. So auch in diesem Fall.

    "Tribunus Petronius, das ist zwar nicht unser heutiges Thema, aber bei dieser Gelegenheit möchte ich es erwähnen: Für den Dienst nach Vorschrift wird es zukünftig keine Auszeichnungen bei den Cohortes Urbanae mehr geben. Die Ableistung einer gewissen Dienstzeit stellt keine besondere Leistung dar und soweit ich das beurteilen kann, hat Optio Furius auch keine anderweitige besonderen Leistungen über die normale Treue hinaus erbracht." Eher im Gegenteil, aber darauf kaum er im Anschluss erst zu sprechen.

    "Mir ist bewusst, dass die Phalera keine hochdotierte Auszeichnung ist. Trotzdem habe ich zum Beispiel meine Phalera nur durch eine individuelle Sonderleistung erhalten. Wenigstens irgendetwas Besonderes möchte ich als Grund für die Vergabe einer Auszeichnung erkennen können. Nimm es als Handlungsanweisung und weniger als Kritik."

    Was Lepidus erzählte, klang nicht nach einer fröhlichen Kindheit. Menecrates wusste nicht, ob er darauf eingehen sollte, weil möglicherweise Redebedarf bestand, oder ob er das Thema lieber übergehen sollte, um die Erinnerungen nicht aufzufrischen. Er entschied sich für Letzteres und hörte weiter zu. Als das Wort 'Sadismus' fiel, hob er erstaunt die Brauen. Er konnte sich nie erklären, wie Menschen zu solch abstoßendem Charakterzug kamen, fasste sich ein Herz und fragte nach.

    "Wenn es dir unangenehm ist, sag es frei heraus. Wenn nicht, würde ich zu gerne wissen, was du als Ursache für die Ausprägung von Sadismus siehst. Dafür muss es doch Auslöser geben, meinst du nicht? Ich hatte auch einen anstrengenden Bruder. Nichts Vergleichbares, aber schwer zu bändigen, machte immer nervige Sachen, wollte Gutes und schuf Chaos. Seltsam finde ich, dass die einen so und die anderen anders werden - trotz gleicher Eltern." Hatte Lepidus nicht Ähnliches bei den eigenen Kindern berichtet?


    "Mhhh", erwiderte er, als Lepidus auf Pferde zu sprechen kam. "Ich hege für Pferde gar keine so große Leidenschaft. Das Gestüt habe ich geerbt, die Leitung der Praesina sah ich als meine Pflicht zu einer Zeit, wo der Rennsport in Gänze am Boden lag, und für das Wohl der Tiere sorgt meine Nichte. Wenn etwas anstrengend ist, dann sie." Menecrates handelte weitgehend tiergrecht, aber nicht aus eigenem Antrieb, sondern weil Sisenna in seinem Rücken saß. Ein Wunder, dass sie noch nicht aufgekreuzt war und sich in das Gespräch mischte.


    "Du hast ein Herz für Tiere entwickelt", resümierte er mit Blick auf Lepidus' Gesichtsausdruck. "Das ist kein so schlechter Charakterzug, aber er hindert dich, einer Factio beizutreten?"


    Zuerst verstand Menecrates nicht, was es mit dieser Papyrusrolle auf sich hatte, dann wurde er noch in die Seite geknufft. "Hey!" Er musste lachen. "Was hat es mit dieser Rolle auf sich? Klingt spannend!" Menecrates konnte sich keinen Reim drauf machen, blieb stehen und wollte es wissen. "Ja, du bist ein alter Knochen. Ich auch", bestätigte er. "Und jetzt lass mich nicht unwissend sterben."

    Die Nachfrage veranlasste Menecrates, sich noch einmal umzuwenden. Sein Eindruck hatte ihn demnach nicht getäuscht - in der Einheit herrschte zumindest Unsicherheit darüber, wie gegrüßt werden soll. Dabei störte sich Menecrates viel mehr an der Ausführung des militärischen Grußes als an den begleitenden Grußworten.

    "Also, mit Praefectus Claudius Menecrates macht man grundsätzlich nichts falsch. Von den Mannschaftsdienstgraden erwarte ich diesen Gruß - immer. Ein Optio zählt dazu, solange er nicht zu den Principales zählt. Ab Centurio reicht mir ein Praefectus Claudius. Vor allem die Stabsoffiziere treffe ich häufiger, man kennt sich besser und je näher man sich steht, wirkt sich das auch auf die Umgangsweise miteinander aus.

    Nun zu dir." Er bemühte sich, ernst zu bleiben, obwohl er innerlich schmunzeln musste. Er würde Frugi nicht bremsen, solange in der Einheit noch der Feinschliff fehlte. "Haltung gehört zu jedem Gruß. Haltung wird natürlich auch eingenommen, wenn direkt der Befehl dazu ergeht. Es gibt darüber hinaus aber auch die Situation wie eben, wo ein Befehlsempfänger bestätigt, dass er verstanden hat oder wenn er abtritt - natürlich nur nach Aufforderung. Auch dann ist Haltung und ein Gruß angebracht.

    Den ersten Gruß am Morgen erwarte ich von dir - wie von jedem anderen - vollständig, also Praefectus Claudius in deinem Fall. Während des Tages und wenn du mich ansprichst, reicht ein Praefectus, weil wir uns ständig begegnen. Es gibt also eine Richtschnur, aber zuweilen regelt man das Auftreten auch individuell. Es könnte sich ja ergeben, dass ich mit einem Centurio auf das Engste befreundet bin. Ist man in Fällen wie diesen unter sich, dann fallen Dienstrang und Haltung völlig weg."

    Menecrates dachte an Verus. Er glaubte zudem, alles gesagt zu haben, daher drehte er ab und ging in sein Officium. Er hoffte, demnächst halbwegs vernünftige militärische Grüße zu sehen zu bekommen.

    Er wiegte den Kopf, weil es sich nicht um die mögliche Verwirrung einzelner Menschen handelte, sondern um eine ganze Bande. Natürlich besaß die Bande einen Kopf und vielen Menschen ist blindes Folgen zu eigen - analog einer Schafherde. Menecrates störte sich aber vor allem an einer anderen scheinbaren Plausibilität.

    "Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass römische Götter auf der Seite von Fremdländern und Kriminellen stehen, die Roms Ordnung und Friede stören; solche, die Tempel schänden und Römer töten. Bei solchen Göttern müsste ich die eigene Gefolgschaft überprüfen." Er schüttelte den Kopf. "Das kann nicht sein. Das darf nicht sein!"

    Menecrates stutzte, als der junge Flavius Fehler bei einer Leberschau nicht ausschloss. Um für sich selbst eine falsche Vorgehensweise auszuschließen, ging Menecrates auf das Thema Bauplatzweihe ein.

    "Wenn ich mich recht erinnere, wurde kein blutiges Opfer erbracht. Ich wollte die auf dem Bauplatz lebenden Genii Loki besänftigen und um Vergebung bitten, weil wir ihre Ruhe stören und auf ihrem Grund eine Station für die Sicherheit Roms bauen. Den Geister der hier ehemals Lebenden und auch den Götter, die uns betrachteten, wurden ausschließlich Früchte des Bodens gereicht. Die Rauchsäule stieg vor den Augen vieler Anwesender auf und wurde entsprechend bewertet. Sie strebte weitgehend ungestört gen Himmel. Das konnte auch der Laie kaum falsch deuten. Dein Vater nahm übrigens auch an der Weihe teil."

    Er harrte mit Spannung der Antwort, weil er seinem Gesprächspartner Kompetenz über das normale Maß hinaus zutraute. Auch der nachfolgende Gedanke, bei dem Flavius eine jährliche Entsühnung vorschlug, begeisterte Menecrates. Der Präfekt strebte einen Gleichklang zwischen seiner Überzeugung als Amtsinhaber und einem bedeutenden Teil seiner selbst an. Das eine forderte militärische Präsenz in der Subura, das andere erwies den römischen Göttern auf ganz privater Ebene Wertschätzung. Seine Augen leuchteten, weil der Vorschlag genial und zudem einfach umsetzbar war.

    "Hervorragend, Flavius Gracchus Minor. Hervorragend!" Trotz der Begeisterung stutzte er. Die Hemmschwelle, die ihn oft dazu zwang, auf das Penibelste Höflichkeitsregeln einzuhalten, kam ihm in diesem Moment wie gestelzter Ballast vor. "Ähm, ich möchte dir gern anbieten, in privaten Gesprächen mich zukünftig Menecrates zu nennen. Ich denke, das wird unserem Verhältnis zueinander besser gerecht, denn auch heute sind wir recht schnell vom Förmlichen abgerückt und in das miteinander vertraute Fahrwasser geraten." Er als der Ältere brachte den Vorschlag, so hatte er es gelernt.


    Menecrates genierte sich nicht, auf das Urteil des Jüngeren zurückzugreifen. "Denkst du, eine Entsühnungsformel müsste von Priestern entwickelt sein, um bestmögliche Wirkung zu erzielen?"

    Ein weiterer, sehr hilfreicher Vorschlag folgte. Menecrates nahm auch diesen ohne zu zögern an. "Ich probiere sehr gern mit deiner Unterstützung zunächst das Einholen von Auspicia, bevor ich Suburabewohner ins Umland umsiedeln lasse." Er schmunzelte und wirkte zufrieden. Bisher gab es keinen Grund bei diesem Thema zu lachen, eher standen ihm die Haare zu Berge, aber das Witzeln tat gut und solange es in diesen Räumlichkeiten blieb und nicht in die Subura schwappte, sollte es ungefährlich sein.

    Während er noch schmunzelte, wurde ihm bewusst, dass mittlerweile doch recht viele kultische Maßnahmen im Raum standen.

    "Ich bin gerade nicht sicher, ob ich nicht doch übertreibe: Prozession, Auspicia, Entsühungsformel …" Er runzelte die Stirn.

    Wahrscheinlich wusste es Faustus nicht, aber Menecrates fürchtete sich seit Jahren vor diesem Gespräch. Seit dem Ende seines Consulats war das Thema 'Veränderung' immer wieder aufgekommen. Bisher konnte er es stets abwenden, aber heute spürte er, dass die Entscheidung stand. Er richtete den Blick in den Park, ohne wahrzunehmen, was er sah, seufzte einmal und hörte zu, was Faustus zu sagen hatte.

    Er sparte sich den Widerspruch, dass er als Legat der Secunda die Provinz Germanien näher kennengelernt hatte. Abgesehen vom knappen Zeitbudget wehrte sich dagegen sein Innerstes und Interesse besaß er ebenfalls nicht. Als gebürtiger Römer verspürte er weder Reiselust noch den Drang, niedere Kulturen kennenzulernen.


    Wie gut, dass Sisenna gegangen war. Er schwächelte genau dort, wo er von ihr Haltung verlangte. Stets bemühte er sich, Vorbild zu sein, aber hinter dem trittsicheren Auftreten verbarg sich auch nur ein Mensch.

    Als Faustus schwieg, brauchte er Momente, um sich zu sammeln. Nach Argumenten musste er nicht mehr suchen. Die Würfel lagen auf dem imaginären Tisch und nichts würde Faustus umstimmen können. Menecrates blieb nur, die Fassade zu wahren.


    "Ja, die Jahreszeit ist gut", bestätigte er mit rauer Stimme. "Ich darf nicht nur an mich denken", fügte er leise an. Der Rat galt ihm selbst. Wieder starrte er Momente in die Parkanlage. "Wir haben viel zusammen durchgestanden, weißt du noch? Die Zeit kommt niemals zurück, aber auch niemand kann sie uns nehmen." Er seufzte wieder.

    "Wann brichst du auf?" Mit diesen Worten erhob er sich, es wirkte schwerfälliger als sonst. Er legte die Hand auf Faustus' Schulter und drückte sie kurz. "Pass auf dich auf und melde dich zwischendurch mal kurz. Die Götter mit dir!"

    Er sah noch einmal in Faustus' Gesicht, bevor er die Hand fortnahm. Objektiv betrachtet hatte er tatsächlich sehr wenig Zeit und über Militärisches konnte er sich nicht mit Faustus austauschen. Subjektiv betrachtet, verließ ihn ein weiterer Freund. Die Zeit dafür empfand er weniger günstig, aber er musste zugeben - er selbst hatte seine Pläne auch nie seinen Freunden angepasst.

    Gedankenanstöße gleich welcher Art begrüßte Menecrates. Sie sicherten ab, dass ihm kein notwendiger Gesichtspunkt durch die Maschen fiel, denn der eigene Blickwinkel konnte niemals allumfänglich sein. Flavius' Hinweis, die Götter nicht durch die Errichtung einer militärischen Einrichtung im Pomerium zu erzürnen - der ein wenig die Anmutung einer Belehrung besaß - half ihm durchaus. Er betrachtete erstmalig die Zerstörung der Statio unter dem Gesichtspunkt eines möglichen Göttereinflusses.

    "Die niedergebrannte Statio stand im Pomerium, wenn auch in Randnähe", erklärte er zunächst. "Sie wird auch an genau derselben Stelle wiederaufgebaut." Daran ließ er keinen Zweifel, aber er beantwortete sich wie Minor erstmalig die Frage, inwieweit die Götter Einfluss genommen haben könnten.

    "Die Bauplatzweihe verlief damals reibungslos. Nichts deutete auf eine Missbilligung des Bauvorhabens seitens der Götter hin. Gleichzeitig ist die Zerstörung ausnahmslos dem Tun einer kriminellen Bande zuzuschreiben, die sicherlich nicht von Götterhand geleitet wurde. Das haben die Ermittlungen zweifelsfreie ergeben." Zufrieden darüber, diesen neuen Gesichtspunkt betrachtet zu haben, fuhr er fort.

    "Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass wir in der Subura die Kontrolle an Banden und Kriminelle abgegeben haben. Als Quittung dafür gab es den Sklavenaufstand, die Zerstörung der Station, bei der viele meiner Männer gefallen sind, und dabei wird es nicht bleiben. Diese Entwicklung muss gestoppt werden und dafür braucht es Soldaten vor Ort. Wenn sich der Staat nicht weiterhin von Banden und Aufständischen die Geschicke diktieren lassen möchte, müssen Soldaten ins Pomerium hinein und Präsenz zeigen, oder", er breitete die Hände aus, "wir müssen alternativ alle Fremdländer, Armen und Gesetzesbrecher aus dem Pomerium hinausschaffen." Die Unmöglichkeit dessen, leuchtete ein, auch wenn dieser Gedanke etwas Verlockendes besaß.

    "Nichts zu tun, ist jedenfalls auch nicht länger möglich." Ob Minor das ebenfalls so sah, blieb abzuwarten. Menecrates meinte, eine gegenteilige Meinung herausgehört zu haben. Wüsste der Claudier von dem Vergleich zu Germanien, würde er widersprechen. Alleine die Ausgangslage fand er gänzlich konträr. Während in Germania die Römer einzogen, um Ordnung zu schaffen, zogen in Rom Fremdländer ein, um die bestehende Ordnung zu stören - ob nun frei zugewandert oder versklavt und anschließend freigelassen. Nicht zu vergessen natürlich die ganzen Armen und Gescheiterten im Viertel. Letztendlich spielte die Zusammensetzung der Suburabevölkerung keine Rolle. Sie durfte nicht auf Roms Nase herumtanzen, denn tat sie es unmittelbar vor des Kaisers Augen, wieso sollten dann andere Provinzen den Respekt vor Rom wahren?


    Sie kamen zum nächsten Thema, das im Grunde nichts mit Flavius' Amt zu tun hatte. Einzig der kurze Draht zu Flavius Maior verlockte Menecrates, der sich im Zeitnotstand befand. "Es geht weniger um die Initiative an sich", erklärte er auf das Angebot hin, Minor könne ihm zur Seite stehen. "Die Idee besitzt aktuell nichts mehr als einen Namen. Sie muss noch mit Inhalt gefüllt werden. Hierbei wäre Hilfe sehr erwünscht, da mein Tiro Fori Annaeus Vindex krankheitsbedingt ausgefallen ist. Die Planung und die Absprache mit dem Pontifex wollte er übernehmen." Er blickte den jungen Flavius nachdenklich an und gestand sich ein, dass er zu ihm einen weitaus besseren Draht besaß als zu dessen Vater. Gleichzeitig hatte er auch noch keinerlei Überlegungen angestellt, ob ein anderer Tempeldiener für Vindex einspringen könnte. Ratlosigkeit machte sich breit, denn bei aller erfreulichen Hilfsbereitschaft wollte Menecrates nicht riskieren, dass Minors Amtsbeleidung darunter litt.

    Er schwieg, denn was anderes als Erschütterung hätte er nicht ausdrücken können. Sisenna ging und er bemerkte es kaum. Was sie sagte, rauschte an ihm vorbei. Erst als er sich gefasst hatte, blickte er Faustus an. "Warum?" Er bemühte sich nicht, die Anklage zu verschleiern. Verständnislosigkeit lag in seinem Blick. Erst Tage zuvor hatten sie festgestellt, dass Faustus der Einzige war, der Menecrates als Vertrauter geblieben war. Der Claudier verschenkte äußert selten sein Vertrauen und aktuell stand niemand in den Startlöchern, um nachrücken zu können.

    Als der Verweis auf die Geheimhaltung kam, beschloss Menecrates - obwohl Heius' Worte an ihn gerichtet waren - nicht zu reagieren. Stattdessen blickte er zu Annaeus Vindex und forderte ihn mittels Blick und leichtem Nicken auf, selbst zu bestätigen, dass ihm die Erklärung zur Schweigepflicht in dieser Angelegenheit bereits abgenommen wurde. In andere militärische Angelegenheiten würde er nicht einbezogen werden.

    Sim-Off:

    Vindex ist erkrankt und schreibt derzeit nicht.


    Der Bericht aus Sicht des Praefectus Praetorio interessierte Menecrates sehr, daher folgte er ihm aufmerksam. Er konnte das Problem mit den Christen nachvollziehen, das offensichtlich andere Conventusteilnehmer anführten, und er teilte absolut Heius' eigene Ansicht. Er nickte mehrmals, als der Praefectus sprach. Ähnliches hatte er an anderer Stelle auch angeführt und wiederholte sich gern noch einmal hier. "Rom zieht Fremdländer an und Rom nahm sie leider auch in Massen auf. Selbst wenn jetzt ein Einreisestop für Fremdländer eingeführt werden würde, bringt es nichts, denn es sind schon viel zu viele hier. Die strafrechtlich relevanten Delikte finden wir in vielfach höherem Ausmaß in Stadtvierteln mit hohem Fremdländeranteil als in anderen. Handeln müssen wir, das steht außer Frage." Natürlich wohnten in diesen Stadtteilen auch die Armen und Perspektivlosen, bei denen sich etwas machen ließe. An eine erfolgreiche Sozialisierung von Fremdländern glaubte Menecrates allerdings nicht.


    "Von der anvisierten Aufstockung habe ich gehört, aber nicht, dass sie tatsächlich bewilligt wurde." Während er grübelte, fuhren seine Fingerkuppen mehrmals über die Stirn. Er versuchte sich an Petronius' Bericht zu erinnern. Die Aussage des Kaisers ihm persönlich gegenüber ließ jedenfalls noch nicht auf eine Bewilligung schließen. "Du bist an der Quelle, du wirst es wissen", erwiderte er schließlich, während der Praefectus Preatorio bereits die abgebrannte Station thematisierte.

    Menecrates nichte. "Auch hier sind wir uns einig. Allein schon um ein Zeichen zu setzen und Roms Unnachgiebigkeit zu demonstrieren, MUSS die Statio Urbana wieder aufgebaut werden. Wir kapitulieren gewiss nicht vor diesen kriminellen Strukturen, wir treten ihnen entgegen."


    Dann allerdings stockte Menecrates der Atem. Um die Contenance zu wahren, setzte er mutwillig einige Atemzüge aus.

    "Es wäre nicht meine erste Hinrichtungsreihe", erwiderte er zögerlich. Er versuchte gleichzeitig, die Gedanken zu sortieren, die wild durcheinander purzelten, bevor er weitersprach. "Schuldige des Brandanschlags habe ich leider nicht mehr parat. Sie sind bereits gerichtet." Vom Grundsatz her befürwortete er Hinrichtungen, die der Abschreckung dienten. Er plante ohnehin größere Geschütze in der Subura aufzufahren, demzufolge suchte er nicht nach einem Entschluss, sondern nach passenden Worten.


    "Ich nehme dein Angebot gerne an. Für ein saftiges Exempel, wie du es nennst, benötigt es natürlich eine größere Menge an zum Tode verurteilten und wenn nicht das, dann wenigstens eine eindrucksvolle Hinrichtung. Gibt dein Carcer genug rechtskräftig Verurteilte her? Meiner nicht."

    Obwohl er mit großem Interesse der Antwort harrte, folgte er den weiteren Ausführungen.


    "Meinst du mit Siedlungen Eingemeinden, dass das Pomerium vergrößert werden soll?" Vielleicht hatte er die Worte auch falsch interpretiert, aber der überdimensionale Gedanke fesselte ihn für den Moment. "Straßen und Latrinen, alles hübsch. Gleichzeitig besagt meine Erfahrung bei der Statio I Urbana, dass der integrierte soziale Aspekt sie auch nicht vor der Zerstörung gerettet hat. Ich fahre zukünftig keine soziale Linie mehr, höre mir aber gerne Decimus' Ideen an." Er blickte zu Serapio. Er kannte ihn seit langem und er wertschätzte ihn. Ansonsten wäre er nicht zu dessen Hochzeit gegangen.


    Bevor der Tribun Redezeit erhielt, unterbreitete der Gardepräfekt seine Baupläne. Menecrates beugte sich ein Stück vor, um die vorgezeigten Pläne, besser studieren und den Erklärungen bildlich folgen zu können. Der Cornicularius schien bemüht, dass beide Präfekten gleichzeitig Einblick erhielten.

    "Jaa…", stimmte Menecrates dem Grundgedanken zu, nachdem Heius geendet hatte. "Das Vorgehen als solches für eine Erweiterung der Castra Praetoria heiße ich gut: eine Erweiterung Richtung der Felder. Hier kommen allerdings meine Pläne mit ins Spiel. Sofern der Kaiser zustimmt, plane ich zwei kleine Castella - eins im Norden, eins im Osten - zu errichten, die meine beiden neuen Cohorten aufnehmen sollen. Außerdem ziehe ich eine Cohorte für die Besetzung von Stationes ab. Das bedeutet, du hättest mehr Platz in der Castra und die Erweiterung müsste nicht ganz so groß ausfallen. Auf einen entsprechend großen Exerzierplatz möchte ich allerdings weiterhin in der Castra zurückgreifen können. In den kleineren Castella ist keiner geplant."


    Eine weitere Frage beschäftigte ihn und er fügte sie sogleich an.

    "In Palastnähe beabsichtigst du nicht aufzustocken?" Der Tonfall ließ die Frage neutral erscheinen. Es steckte auch keinerlei Verwunderung darin. Menecrates musste das Gesamtkonzept erfragen, um es später dem Kaiser präsentieren zu können.

    Faustus führte also etwas im Schilde, resümierte Menecrates und spekulierte sogleich, um was es sich wohl handeln könne. Plante er ein Fest? Brauchte er Rat in Lebensfragen? Bedrückt wirkte er nicht, was ein flüchtiger Seitenblick ergab. Seine Überlegungen wurde abrupt gestört und die Aufmerksamkeit wandte sich seiner Nichte zu. Sie grüßte zwar höflich und trat wohlerzogen auf, aber zufrieden wirkte Menecrates nicht. Obwohl Erziehen nicht Herumnörgeln bedeutete, störte ihn doch immer irgendetwas.


    "Guten Abend, Sisenna." Er wirkte ernst und sprach ohne Pause weiter. "Darf sich ein Kind in das Gespräch zweier Erwachsener mischen, ohne vorher zu fragen?" Just in diesem Moment drängte sich die Parallele zu seiner Einheit auf, wo er zeitgleich auch erzieherisch tätig wurde. Der Gedanke, dass er selbst ausgewachsene Männer erziehen musste, stimmte ihn gegenüber seiner kleinen Nichte milder. Sie konnte noch nicht alles wissen.

    "Ich weiß nicht, ob Faustus in deinem Beisein sprechen möchte. Frag also bitte nach und folge, wenn er dich fortschicken möchte."


    Ein fragender Blick traf Faustus, danach stellte Menecrates Überlegungen an, um was für Zukunftspläne es sich wohl handelte.

    Als Erstes fiel ihm eine neue Anstellung ein, die er sich gesucht haben könnte. Bei der Suche nach einer Alternativerklärung scheiterte er schnell, weil sie zwar häufig über das Thema der sinnvollen Zeitverwendung gesprochen, aber außer einer Beschäftigung keine weitere Lösung gefunden hatten. Es gab auch keine. Ein Mann ging einer Arbeit nach und darüber definierte er sich.

    Als Lurco den Raum verließ, um seinen Aufgaben nachzugehen, lag Menecrates' Blick auf dessen Rücken. Erst als sich die Tür schloss, sah er zu Octavius.

    "Das war, und ich schwöre es bei allen mir heiligen Göttern, der erste vernünftige Gruß, den ich seit meinem Amtsantritt vor Jahren je von einem Soldaten oder Offizier dieser Einheit gesehen habe." Dass er damit auch ein wenig Frugi brüskierte, war ihm bei seiner Aussage nicht bewusst, fiel ihm aber sofort nach Ende des Satzes auf. Er trat auf das andere Bein und fügte an: "Wobei ich deine Haltung eben und dein 'verstanden' auch sehr ordentlich fand."

    Er legte drei Schritte in Richtung seines Officium zurück, dann drehte er sich noch einmal um.

    "Cornicularius Octavius, für den Feinschliff dieser Einheit teile ich dich jetzt ein. Ich möchte ein korrekteres Auftreten gegenüber Vorgesetzten. Dazu gehört Haltung, ein korrekter und möglichst zackiger Gruß, die korrekte Anrede des Vorgesetzten, also nicht nur der Name, sondern auch der Rang, Wegtreten und Rühren erst nach Aufforderung. Normalerweise lernt das ein Tiro in der Ausbildung und mir ist nicht klar, ob die Ausbildung bei uns seit Jahren dürftig ist oder sich in der gesamten Castra eine lasche Ausführung zur Gewohnheit gemacht hat. Fakt ist, bei der Garde geht das anders zu." Er erinnerte sich an den Gruß des Gardetribuns Serapio, der ja ihm gegenüber nicht nur Konkurrenzverhalten zeigen, sondern auch den hohen Rang hätte heraushängen lassen können, zumal Menecrates damals Zivilist und nicht Praefectus Urbi war. Stattdessen grüßte er akkurat und mit Respekt.


    "Wenn wir", sein Zeigefinger wies von sich auf Octavius und wieder auf sich selbst, "uns am Tag hier mehrmals sehen, müssen wir nicht jedes mal einen Gruß zelebrieren, und ist man sich vertraut, darf man unter sich natürlich auch die vertraute Anrede benutzen. Mir geht es um das Auftreten vor den Augen Dritter und beim ersten Gruß." Er wartete ab, ob Frugi eine Rückfrage haben würde.

    Vor Frugis Kommando tauchten noch Fragen auf, die Menecrates natürlich beantwortete. Er stand nicht regelmäßig für Rückfragen zur Verfügung, also nutzte Lurco verständlicherweise die Chance.

    "Es bleibt alles, wie vorher besprochen. Du hast bei den Ermittlungen generell den Helm auf und kannst auch deine Untergebenen nach bestem Gewissen einteilen. " Die Redewendung 'nach Gutdünken' vermied Menecrates. Sie hätte falsch verstanden werden können. "Sobald du bei deinen Entscheidungen eine Absicherung nach oben brauchst, hol sie dir! Ansonsten bekommst du alles auf den Deckel, was auf Missfallen stößt. Das heißt, du trägst ansonsten allein die Verantwortung." Es blieb abzuwarten, ob Purgitius ein gutes Mittelmaß zwischen Eigenverantwortung und Befehlstreue fand.


    Die Rückfrage nach Annaeus' Ersatz war berechtigt. Menecrates nickte. "An dieser Stelle bedarf es keiner Anordnung meinerseits. Wer dir für die Zuarbeit geeignet erscheint, den kannst du verpflichten. Sollte es ein Zivilist sein, dann müsstest du ihm allerdings vorher eine Schweigepflichtserklärung abnehmen, am besten schriftlich, denn du weißt ja, zuerst soll der Kaiser das komplett ausgearbeitete Konzept präsentiert bekommen, bevor es der Öffentlichkeit vorgestellt wird." Annaeus Vindex musste damals nichts schriftlich bestätigen, weil er als Menecrates' Klient zur Loyalität verpflichtet war. Ob Purgitius über Klienten verfügte, blieb nicht nur fraglich, sondern hielt der Claudier für eher unwahrscheinlich.


    "Und nur, dass wir uns nicht missverstehen...", sein Zeigefinger wies kurz in Richtung Purgitius, bevor er die Hand wieder senkte, "den Rapport erwarte ich von dir persönlich, nicht in Schriftform." Vorbeugen fand er an dieser Stelle besser als das Nachsehen haben.

    "Und noch was: Wenn du mit den Latrinen und allen anderen Aufträgen deines Vorgestetzten fertig bist", Menecrates blickte zu Frugi, dann wieder zurück, "komm zu mir ins Officium - direkt. Wir müssen uns noch um Cerretanus kümmern." Er verschränkte die Arme und beobachtete genau, in welcher Art und Weise sowie Haltung Purgitius Befehle annahm, wegtrat, späterhin auch grüßte.

    Weitgehend entspannt, denn die zu tragende Last hatte sich in den letzten Tagen verringert und er sah ein kleines Licht am Ende des Subura-Tunnels, schlenderte Menecrates heran. Er lüftete gern den Kopf nach einem arbeitsreichen Tag auf dem claudischen Anwesen aus, weil er hier - anders als in kleineren Gärten - ein viel höheren Aufkommen an Singvögeln gab. Das Zwitschern entspannte ihn, ebenso das Zirpen der Grillen. Er ließ sich gern die Luft über die Haut streichen und atmete sie genussvoll ein, denn sie trug keinerlei Stadtgerüche, nur natürliche Düfte.


    Von weitem schon sah er, dass seine Lieblingsbank besetzt war. er schmunzelte, als er näher trat und nahm mit einem Seufzer Platz.

    "Du gestattest?" Der rhetorischen Frage fügte er eine sinnvollere Bemerkung an: "Ich hoffe, du hattest einen angenehmen Tag, Faustus."

    Das Thema der Spiele empfand Menecrates als ausreichend erörtert, ebenso das der Lex Mercatus, wäre da nicht eine Anmerkung gewesen, die ihn an den am Anfang seiner Laufbahn stehenden Minor erinnerte, der zuweilen Selbstzweifel zeigte. Er lächelte wohlwollend.

    "Bescheidenheit ist eine Tugend und sie beeindruckt mich sehr viel mehr als Großspurigkeit." Die Fältchen um seine Augen traten deutlicher hervor je mehr sich Warmherzigkeit in seinen Blick mischte. "Dabei kann ich mich nicht erinnern, je eine ungenügende Auskunft von dir als damaligem Quaestor Consulum erhalten zu haben. Im Gegenteil: Du verfügst über ein umfangreiches und tiefgreifendes Wissen, sodass ich ganz sicher bin, dass du jeden schwulstigen Prahler in einen Beutel stecken und den Gesetzesentwurf auch vortrefflich vorstellen wirst. Notfalls hast du Unterstützer an deiner Seite." Menecrates ging der Annahme, dass Gracchus Maior immer zu Hilfe eilen würde und gleiches konnte er von sich behaupten.


    Flugs waren sie vom Dienstlichen in eine private Unterhaltung gerutscht, was sich möglicherweise zwischen ihnen nie ganz vermeiden lassen würde, aber definitiv nicht beabsichtigt war. Einmal dabei, ging es auch schon weiter, denn der Part der Straßeninspektion galt ebenfalls als abgearbeitet. Wie erwartet, beschäftigte sie die beiderseitige Tempelschändung.

    "Die Wichtigkeit der beiden Tempel geht über die unserer Familien hinaus, ohne Frage", bestätigte Menecrates. "Der Verdruss der Götter spielte schon vor Jahren eine Rolle und mir scheint, es wurde trotz aller Bemühungen nicht deutlich besser." Er dachte an sein Consulat und den Opfermarathon zurück. Was hatte er letztlich gebracht? Er atmete einmal durch und sprach weiter.

    "Wo wir einmal bei dem Thema sind, die Statio I Urbana wurde zerstört und ehe ich sie wieder aufbauen lasse, möchte ich eine erneute Weihe. Die letzte Bauplatzweihung hat offensichtlich nicht gereicht. Daher ist aktuell eine Prozession samt Weihe im Gespräch. Eigentlich wollte mein Tiro Annaeus diesbezüglich mit deinem Vater sprechen, aber Krankheiten fragen nicht nach der Zweckmäßigkeit ihres Eintreffens, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Wäre es möglich, dass du bei passender Gelegenheit deinen Vater auch in dieser Hinsicht ansprechen könntest? Wenn eine Prozession unter seiner Obhut stattfinden könnte, wäre das von immenser Wirkung."

    Er fühlte sich verpflichtet, eine Erklärung abzugeben. "Bei meinem Amtsantritt hatte ich das Augenmerk vor allem auf die Cura Urbis richten wollen, doch mittlerweile beschäftige ich mich fast ausschließlich mit der gleichen Problematik wie damals beim Consulat: Der Subura und ihren Abgründen. Ich fürchte, ich komme auch nicht so schnell zu anderem, bis ich dort nicht eine Art Grundordnung manifestiert habe."