Skurril. So war die Situation. Und unwirklich war es, wie Valeria sich fühlte. Als sei sie mit der Einladung auf diese Hochzeit ein Stück weit in die Vergangenheit gerutscht und käme nun nicht mehr von dort weg. Sie stand dicht vor Maximian und sah zu ihm auf, wie er zu ihr heruntersah. Inzwischen wurde es immer dunkler, denn die Sonne war bereits untergegangen und die wenigen Fackeln, welche die Umgebung kurz zuvor noch etwas erhellt hatten, wurden von der Hochzeitsgesellschaft ebenso davongetragen wie die Geräusche und Laute, die eine große, feiernde Menschenmenge stets begleiteten.
maximian hob seine Hand und strich Valeria in einer tröstlichen Geste über die Wange. Die junge Frau schloss die Augen und drehte den Kopf leicht in die BEwegung herein. Es tat so gut, nach so langer Zeit ein Stück geborgenheit geschenkt zu bekommen, noch dazu von jemandem, der ihr viel bedeutete. Sie mochte ungerecht zu Livianus gewesen sein, aber war er nicht auch um ein so vielfaches Ungerecht zu ihr selbst gewesen? Sie verschwendete keinen weiteren Gedanken mehr an die Wenns und Abers, die in ihrem Kopf herumschwirrten und diesen schönen Moment zu stören drohten. Valeria schloss die Augen und genoss die Berührung mit einem gefühl des inneren Friedens, das sie schon so lange nicht mehr verspürt hatte. Und geerade deswegen gab ihr dieser Moment so unendlich viel.
Sie öffnete die Augen erst wieder, als Maximian sich anbot, ihr zuzuhören. Was es für Auswirkungen haben könnte.... Valeria überlegte, was genau er damit meinte, doch ihr viel nichts ein, außer... Nein. Im Grunde genommen fiel ihr nichts Negatives ein. Während Maximians Mundwinkel noch zuckten, fragte sich Valeria schon, was um Himmels Willen sie da gerade dachte. Hatten ihr die zwei Becher Wein denn so sehr die Sinne vernebelt? Doch noch ehe sie eine Antwort finden konnte auf diese selbstgestellte Frage, sprach Maximian weiter und ließ die Hand sinken. Valeria seufzte unwillkürlich und sehr leise.
"Du warst immer da, Lucius. Immer, wenn ich jemanden gebraucht habe. Nur dieses eine Mal nicht, damals, als du im Fieber lagst und ich dachte, du hättest dich nur deinen Pflichten entziehen wollen. Ich habe versucht, mir ein neues Leben aufzubauen. Aber ich fürchte, in einer entscheidenden Sache bin ich gescheitert", begann sie und schloss im Flüsterton, ehe sie den Kopf senkte.
"Weißt du... Ich habe genug Geld, ich habe eine Tätigkeit, die mich mit Freude erfüllt und der ich gern nachgehe. Ich bin Eques. Aber ich bin nicht glücklich."
Valeria hob den Kopf wieder und sah Maximian an. Licht aus irgendeiner Lichtquelle spiegelte sich auf seine Gesicht in bizarrer Form wider, ließ aber seine AUgen glänzen und funkeln. Valeria unterdrückte den Impuls, etwas sehr Dummes zu tun.
"Ich dachte, ich wäre es, aber ich habe es mir wohl nur eingeredet. Vielleicht, um mich vor mir selbst zu rechtfertigen. Jedes Mal, wenn ich dich treffe, übermannt mich eine enorme Welle der Schuld. Ich versuche, nicht darin zu ertrinken, aber wenn es nicht die Schuld ist, dann ist es deine Anwesenheit, in der ich untergehe. Verstehst du das?" fragte sie ihn und sah ihn bittend an, ließ ihm jedoch keine Möglichkeit der Intervention.
"Es ist nicht so, wie ich immer gedacht habe. Ich bin nicht stark, Lucius. Ich bin schwach, allein und in gewisser Weise auch dumm. Ich weiß nicht, was ich denken soll, was ich tun soll. Ich weiß nur, dass ich mich selbst damit quäle, wenn ich hier vor dir stehe und dich so ansehe, als ob... Wie früher. Ich versuche, es zu verdrängen, aber es geht nicht. Ich versuche, an meine Zukunft zu denken, aber du tauchst darin nicht als Bekannter auf und nicht als Freund, sondern als etwas, das ich... Ich weiß es nicht. Ich drehe langsam durch, Lucius. Ich...vielleicht..."
Valeria wandte sich halb ab und griff sich an den Kopf. Er schmerzte; und sie wusste wieder einmal nicht, was sie denken sollte. Weder von ihm, noch von Livianus, noch von sich selbst. War es wirklich so, wie Meridius gesagt hatte? Dass sie eine schwarze Witwe war, dass Unglück über die Decima brachte? Alles drehte sich um sie herum, es wurde dunkler und Valeria schwankte. Zu viel, das alles war zu viel für sie. Noch während sie sich wieder zu Maximian herumdrehen und ihm ein beruhigendes Lächeln zuwerfen wollte, wurde ebendieses Lächeln schon zu einer Grimasse und wie wäre beinahe in die Dunkelheit abgerutscht, die schon mit gierigen Fingern nach ihr griff uns sie umhüllen wollte. So aber hielt sie sich nur an Maximian fest, um nicht zu stürzen, keuchte angestrengt und tat sonst nichts weiter, als zu versuchen, stehen zu bleiben und nicht zu fallen. Sie hatte eben doch wieder zu wenig gegessen.
Einen Moment später ging es wieder besser, sie stand sicher auf den eigenen Beinen, aber immer noch an Maximian gelehnt da. langsam drehte sie den Kopf schräg nach oben, um Maximian anzuschauen, zerbrechlich, wie sie wirkte. Sie kannte ihn, es würde nichts nutzen, wenn sie den kleinen Vorfall eben als Nichts abtat. Ihr Atem strich über sein Gesicht und Valeria wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus, sondern sah ihn nur an.
In der Ferne erklangen abermals Talassio-Rufe.