Beiträge von Decima Valeria

    Valerias Gedanken ähnelten jenen, die Maximian hegte. Irgendwie war es seltsam, was mit ihnen geschah, und Valeria fragte sich allen Ernstes, ob das nun wirklich Zufall war, oder ob die Parzen einfach nur spielen wollten und deswegen ihrer beide Schicksalsfäden wieder einander angenähert, vielleicht sogar miteinander verwoben hatten. Sie schüttelte den Kopf bei diesen Gedanken. Purer Blödsinn. Insgeheim hielt sie nach Livianus Ausschau, entdeckte ihn aber nicht.


    Maximian nahm bald seine urtypische Haltung wieder ein, mit auf dem Rücken verschränkten Armen, und Valeria schritt weiter neben ihm aus. Es war ein seltsames Bild, das sie da boten. Valeria sah wohl sein Schmunzeln und fragte sich nach dem Grund, wandte aber nicht den Kopf, um Maximian selbst zu fragen. Kaum hatten sie die letzten Leute des Zuges erreicht, setzte sie eine einigermaßen fröhliche Miene auf und hoffte, dass man ihre Masquerade nicht durchschauen würde.


    Inzwischen waren die Gäste beim Castellum angekommen und bewegten sich die Via Praetorue entlang. Dort war auch schon das Praetorium zu sehen, und Magnus, der nun gleich die häuslichen Pflichten symbolisch an Venusia übergeben würde. Valeria sah genau zu.


    "Spannend, nicht?" fragte sie einfach irgendjemanden, der in ihrer Nähe stand.

    Als Valeria Maxens Hände auf ihren Oberarmen fühlte und spürte, wie sie herumgedreht wurde, fürchtete sie schon, dass er nun ganz arg enttäuscht sein und das auch überdeutlich zeigen würde. Aber alles, was er sagte war, dass er ihr Zeit lassen würde. valeria häte beinahe aufgelacht. Sie hatte die letzten drei Monate Zeit gehabt und konnte sich trotzdem nicht entscheiden, wenn sie niemandem wehtun wollte!


    Sie blickte ihn auf großen, sanften Augen an, sagte nichts, sondern nickte nur. Was gab es da auch schon zu sagen? Valeria drängte das aufkeimende Schwindelgefühl fort und ließ ihren Blick kurz über Maximians Gesicht wandern, schenkte ihm dann ein flüchtiges, aber liebevolles Lächeln und nickte abermals. Ein Wort kam nicht über ihre Lippen.


    Maximian musste sich ebenso durcheinander fühlen wie sie sich selbst fühlte.
    "Wir sollten gehen", drängte Valeria noch einmal mit leiser Stimme, ehe einer von ihnen beiden abermals etwas Dummes tun würde, sei es vorsätzlich oder im Reflex.

    Er dachte, sie hatte geküsst werden wollen. Irgendetwas an dieser Aussage war falsch, auf eine so unerklärliche Weise, dass Valeria nicht sagen konnte, was genau daran falsch war. Vielleicht der Umstand, dass Maximian es getan hatte? Oder der, dass er ihre Gedanken gelesen hatte? Oder der, dass er, nach allem was passiert war, sie trotzdem noch, hm, mochte? Vielleicht sogar liebte? Verwirrt sah sie ihn an, als er schon wieder damit beschäftigt war, ihren Mantel zurecht zu ziehen. Eine Geste der Unsicherheit. Er tat das, weil er vermutlich einfach etwas tun musste, egal was.


    Zeitgleich mit ihm, hob auch Valeria den Blick, sodass sie sich trafen. In Maximians hellen Augen konnte sie einen Hoffnungsschimmer erkennen. Das machte es nicht leichter. Sie hatte das nicht gewollt. Und doch...


    Maximian ließ sie schließlich los und wechselte das Thema. Valeria hätte froh darüber sein sollen, aber das Thema an sich behagte ihr auch nicht ganz, so schüttelte sie kurz den Kopf und sah zur Seite. Es schwindelte sich besser so.


    "Nein. Das ist nichts. Es war nur ein bisschen viel Wein heute abend..."
    Sie wandte sich rasch um und deutete auf den Zug, der in weiter Ferne noch immer dahinschritt.
    "Wollen wir....hmm...?"

    Sie dachte nicht mehr nach. Der winzigen Funken Verstand, den sie noch zu haben schien, war ohnehin vom Wein ausgelöscht worden. Sie und Maximian standen am Ende des Brautzuges, nahe den anderen und doch allein da, denn sie teilten etwas, was sie mit keinem anderen hätten teilen können. Valeria bemerkte Livianus nicht, wie er sich scheinbar unbemerkt von der Gruppe abgesondert hatte, die schon so weit entfernt war, und nun da stand und seine eigene kleine Welt untergehen sah, weil Valeria sich an Maximian lehnte.


    Seine Worte klangen besorgt und aufrichtig, Valeria seufzte leise in der Annahme, dass nun alles besser werden würde, dass sie den Tiefpunkt überwunden hatte und Maximian ihr endlich das verziehen hatte, was sie ihm angetan hatte. Er machte sich Vorwürfe, dass er nicht in ihrer Nähe gewesen war. Die machte sich Livianus vielleicht auch, aber er zeigte es nicht. Valeria kam die ganze Welt so ungerecht vor in diesem winzigen Moment. Nun fühlte sie auch seinen Atem an ihrer Wange, wo er so warm über die feinen Härchen strich. In diesem Augenblick manifestierte sich eine Vermutung in ihr. Sie hätte sich abwenden sollen, wäre noch ein einziger Funken Logik in ihrem Kopf gewesen. Zu Valerias Verteidigung muss man sagen, dass sie wenigstens kurz daran dachte, aber die Situation verschwamm vor ihren Augen mit den Worten Maximians, der ankündigte, etwas Dummes zu tun, der sie indirekt warnte, sie gleich zu küssen.


    Du lässt mir keine andere Wahl...
    Er mochte sie nicht haben, doch sie hatte sie. Ihr Herz pochte hart und schnell gegen ihre Rippen. Maximians Lippen kamen näher, er stupste sie zärtlich mit der Nase an, Valeria konnte sich nicht bewegen, gefangen in einem Bann. Ihr Hände wurden kalt. Sie zwang sich, Maximian loszulassen, einen winzigen Moment nachdem sich ihre Lippen berührt hatten. Wie mechanisch und unter größter Anstrengung drehte sie unendlich langsam den Kopf fort und blickte geschlagene zwanzig Sekunden auf irgendeinen Punkt am Boden. In ihr brannte ein Feuer. Sie wusste nur nicht, wie sie es deuten sollte. Waren es Schuldgefühle? War es die Entscheidung? Das Verlangen, dem Wunsch nachzugeben, ihn zu küssen? Sie fühlte sich mies. Sie hatte Livianus gemein hintergangen und schämte sich trotzdem nicht für ihre Gefühle.


    Das Schicksal wollte es, dass Livianus Maximian und sie in genau jenem Moment gesehen hatte, in dem sie in eindeutiger Pose dastanden. Von dem Aufruhr in ihrem Inneren wusste er nichts, ebensowenig wusste er, wie sie sich fühlte und dass sie den Kuss aus eigener Kraft abbrach. Sie wandte den Kopf wieder Maximian zu und hatte das Gefühl, dass er sie vorwurfsvoll ansah.


    "Lucius, ich...bitte... Ich, ich.... Es ist zu viel. Lass mir noch etwas Zeit zum Nachdenken, ich...es ist alles so wirr... Ich habe das Gefühl, ich verbrenne obwohl es kalt ist", flüsterte sie und faltete die Hände fest ineinander, den Kopf gesenkt. Sie wollte ihn nicht diskreditieren, ebensowenig wie Livianus. Deswegen war es auch gut, dass niemand sie gesehen hatte. Vielleicht war es besser, wenn Valeria nach Britannia reiste. Nach Cyprus. Irgendwo hin, nur fort von diesem Durcheinander, das in letzter Zeit ihr Leben bestimmte.

    Skurril. So war die Situation. Und unwirklich war es, wie Valeria sich fühlte. Als sei sie mit der Einladung auf diese Hochzeit ein Stück weit in die Vergangenheit gerutscht und käme nun nicht mehr von dort weg. Sie stand dicht vor Maximian und sah zu ihm auf, wie er zu ihr heruntersah. Inzwischen wurde es immer dunkler, denn die Sonne war bereits untergegangen und die wenigen Fackeln, welche die Umgebung kurz zuvor noch etwas erhellt hatten, wurden von der Hochzeitsgesellschaft ebenso davongetragen wie die Geräusche und Laute, die eine große, feiernde Menschenmenge stets begleiteten.


    maximian hob seine Hand und strich Valeria in einer tröstlichen Geste über die Wange. Die junge Frau schloss die Augen und drehte den Kopf leicht in die BEwegung herein. Es tat so gut, nach so langer Zeit ein Stück geborgenheit geschenkt zu bekommen, noch dazu von jemandem, der ihr viel bedeutete. Sie mochte ungerecht zu Livianus gewesen sein, aber war er nicht auch um ein so vielfaches Ungerecht zu ihr selbst gewesen? Sie verschwendete keinen weiteren Gedanken mehr an die Wenns und Abers, die in ihrem Kopf herumschwirrten und diesen schönen Moment zu stören drohten. Valeria schloss die Augen und genoss die Berührung mit einem gefühl des inneren Friedens, das sie schon so lange nicht mehr verspürt hatte. Und geerade deswegen gab ihr dieser Moment so unendlich viel.


    Sie öffnete die Augen erst wieder, als Maximian sich anbot, ihr zuzuhören. Was es für Auswirkungen haben könnte.... Valeria überlegte, was genau er damit meinte, doch ihr viel nichts ein, außer... Nein. Im Grunde genommen fiel ihr nichts Negatives ein. Während Maximians Mundwinkel noch zuckten, fragte sich Valeria schon, was um Himmels Willen sie da gerade dachte. Hatten ihr die zwei Becher Wein denn so sehr die Sinne vernebelt? Doch noch ehe sie eine Antwort finden konnte auf diese selbstgestellte Frage, sprach Maximian weiter und ließ die Hand sinken. Valeria seufzte unwillkürlich und sehr leise.


    "Du warst immer da, Lucius. Immer, wenn ich jemanden gebraucht habe. Nur dieses eine Mal nicht, damals, als du im Fieber lagst und ich dachte, du hättest dich nur deinen Pflichten entziehen wollen. Ich habe versucht, mir ein neues Leben aufzubauen. Aber ich fürchte, in einer entscheidenden Sache bin ich gescheitert", begann sie und schloss im Flüsterton, ehe sie den Kopf senkte.
    "Weißt du... Ich habe genug Geld, ich habe eine Tätigkeit, die mich mit Freude erfüllt und der ich gern nachgehe. Ich bin Eques. Aber ich bin nicht glücklich."


    Valeria hob den Kopf wieder und sah Maximian an. Licht aus irgendeiner Lichtquelle spiegelte sich auf seine Gesicht in bizarrer Form wider, ließ aber seine AUgen glänzen und funkeln. Valeria unterdrückte den Impuls, etwas sehr Dummes zu tun.


    "Ich dachte, ich wäre es, aber ich habe es mir wohl nur eingeredet. Vielleicht, um mich vor mir selbst zu rechtfertigen. Jedes Mal, wenn ich dich treffe, übermannt mich eine enorme Welle der Schuld. Ich versuche, nicht darin zu ertrinken, aber wenn es nicht die Schuld ist, dann ist es deine Anwesenheit, in der ich untergehe. Verstehst du das?" fragte sie ihn und sah ihn bittend an, ließ ihm jedoch keine Möglichkeit der Intervention.
    "Es ist nicht so, wie ich immer gedacht habe. Ich bin nicht stark, Lucius. Ich bin schwach, allein und in gewisser Weise auch dumm. Ich weiß nicht, was ich denken soll, was ich tun soll. Ich weiß nur, dass ich mich selbst damit quäle, wenn ich hier vor dir stehe und dich so ansehe, als ob... Wie früher. Ich versuche, es zu verdrängen, aber es geht nicht. Ich versuche, an meine Zukunft zu denken, aber du tauchst darin nicht als Bekannter auf und nicht als Freund, sondern als etwas, das ich... Ich weiß es nicht. Ich drehe langsam durch, Lucius. Ich...vielleicht..."


    Valeria wandte sich halb ab und griff sich an den Kopf. Er schmerzte; und sie wusste wieder einmal nicht, was sie denken sollte. Weder von ihm, noch von Livianus, noch von sich selbst. War es wirklich so, wie Meridius gesagt hatte? Dass sie eine schwarze Witwe war, dass Unglück über die Decima brachte? Alles drehte sich um sie herum, es wurde dunkler und Valeria schwankte. Zu viel, das alles war zu viel für sie. Noch während sie sich wieder zu Maximian herumdrehen und ihm ein beruhigendes Lächeln zuwerfen wollte, wurde ebendieses Lächeln schon zu einer Grimasse und wie wäre beinahe in die Dunkelheit abgerutscht, die schon mit gierigen Fingern nach ihr griff uns sie umhüllen wollte. So aber hielt sie sich nur an Maximian fest, um nicht zu stürzen, keuchte angestrengt und tat sonst nichts weiter, als zu versuchen, stehen zu bleiben und nicht zu fallen. Sie hatte eben doch wieder zu wenig gegessen.


    Einen Moment später ging es wieder besser, sie stand sicher auf den eigenen Beinen, aber immer noch an Maximian gelehnt da. langsam drehte sie den Kopf schräg nach oben, um Maximian anzuschauen, zerbrechlich, wie sie wirkte. Sie kannte ihn, es würde nichts nutzen, wenn sie den kleinen Vorfall eben als Nichts abtat. Ihr Atem strich über sein Gesicht und Valeria wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus, sondern sah ihn nur an.


    In der Ferne erklangen abermals Talassio-Rufe.

    Vorbereitung? Das erklärte, dass er so sehr an Statur zugenommen hatte. Valeria nickte unmerklich. Die größere Schmach für den Sohn des Legatus Augusti wäre vermutlich, dass seine vermeintliche Cousine noch immer an ihm hing, auf irgendeine Weise. Und Valeria? Die wusste nicht, was sie tun sollte, denn ihr Leben zog Kreise, über die sie vor zwei Jahren nur belustigt den Kopf geschüttelt und sie als Spinnerei abgetan hätte. Und jetzt? Nun fand sie sich inmitten eines immer schlimmer werdenden Chaos wieder, ihre Gefühle schlugen Purzelbäume, sie zweifelte an ihrem Verstand und sie fühlte sich egoistisch. Und schrecklich allein. Irgendwo weiter vorn ging zwar Livianus, doch er musste sich nur herumdrehen und sehen, mit wem Valeria da Hand-in-Hand ging, und diese einfache, ganz normale Geste würde noch Erhebliches nach sich ziehen. Dabei wollte sie doch nur etwas Geborgenheit haben.


    Die warme Hand Maximians war wie ein Stück Normalität, das plötzlich wieder in ihrem Leben war. Sie machte ihre Hand ganz klein, dass er möglichst viel mit seiner Hand umschließen konnte. Eine kindische Geste, aber sie spendete ihr gerade den Trost, den sie brauchte. Sie begann dennoch zu zittern, nicht, weil ihr kalt war, sondern weil sie Gefahr lief, Maximian nicht nur an der Hand zu berühren, sondern eine größere Nähe zu suchen. Sie hatte das Gefühl, dass entweder sie selbst oder ihr Widerstand, der Versuchuns nachzugeben, gleich zusammenbrechen würde. Unwillkürlich wurde sie langsamer, der Abstand zu den Leuten vor ihnen vergrößerte sich immer weiter. Seine Frage und vor allem die Art, wie er sie fragte, lösten ein ungutes Gefühl in Valeria aus. Nichts war in Ordnung. Livianus machte sich mehr als rar und ließ sie im Ungewissen, eine ihrer Schülerinnen war verschwunden, ebenso wie ihre Leibsklavin, das Provinzcollegium forderte ständig Berichte, die anderen Sacerdotes schienen ihre Aufgaben langsam zu vernachlässigen und der Verwalter der Obstplantage hatte gekündigt. Dann kam noch dazu, dass die Schafe ihres Betriebes weniger Milch gaben als sonst, weil die Weiden nicht mehr so ergiebig waren und Valeria deswegen weniger Schafskäse produzieren konnte, der Kaiser hatte ihren Brief entweder nicht bekommen, nicht gelesen oder antwortete einfach nicht (vermutlich war auch alles zu diesem Thema gesagt, was gesagt werden konnte), aus Mogontiacum hörte sie kaum etwas und sie wurde vermutlich krank, weil sie kaum noch etwas aß. Trotzdem antwortete Valeria nicht mit ihren ganzen Sorgen, sondern verringerte den Abstand zu Maximian um weitere zehn Zentimeter. Ihr Umhang streifte seine Seite nun bei jedem Schritt.


    "Du hast recht. Ich bin nicht glücklich. Ich dachte, ich wäre es, aber ich bin es nicht. Und das schlimmste ist, dass es selbst Leah mit ihren Schminkkünsten nicht verbergen kann", versuchte sie einen matten Scherz, über den sie selbst aber nicht einmal schmunzeln konnte. Sie fröstelte und blieb schließlich ganz stehen, drehte sich zu Maximian herum.


    "Es geht mir schlecht, Lucius. Und ich weiß nicht, was ich daran ändern kann", murmelte sie, einem Zugeständnis gleich. Sie musterte ihn im Licht der letzten Strahlen der untergehenden Sonne, und zog einen Mundwinkel hoch, um ein Lächeln zu imitieren, was allerdings mehr als kläglich scheiterte.

    Valeria deutete ein Nicken an. Sie freute sich für ihn, dass es ihm gut ging. Als er jedoch die Gegenfrage stellte, wandte sie den Blick wieder nach vorn, augenscheinlich um den Sonnenuntergang zu beobachten.


    "Es geht", gestand sie dann und schwieg eine Weile, in der sie nur neben Maximian her ging. Sie antwortete wie gewöhnlich auf diese Frage, wenn sie denn gestellt wurde:
    "Ich habe viel Arbeit."


    Einzig Maximian, der sie von allen Anwesenden wohl am besten kennen mochte, würde diese Farce einer Ausrede sicherlich durchschauen. Sie musste schnell das Thema wechseln. Nur worüber sollten sie reden?


    "Bist du...hm, bist du schon in die Legion eingetreten? Du wirkst sehr...kräftig", fragte sie dann und sah ihn wieder an. In der Tat, er wirkte sehr muskulös.
    Mit einem Mal war sie alles satt. Sie seufzte tief und wirkte unruhig. Warum sollte sie ständig ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie ihm nahe war? Sie waren nun mal ein Paar gewesen, verdammt! Und? Sollte sie deswegen vor einer Berührung zurückschrecken?? Sie waren beinahe die Letzten, nein, sie waren die Letzten des Brautzuges.
    Valerias Herz klopfte bis zum Hals, als sie nach Maximians Hand griff und ihre in seine legte.


    "Du fehlst mir", sagte sie offen und sah dabei auf ihre und seine Hand hinab. War ja auch kein Wunder. Ihr fehlte irgendwer.

    In Gedanken versunken, registrierte sie den jungen Decimer erst, als er neben ihr lief und sie ansprach. Überrascht wollte sie den Kopf wenden, denn sie hatte Maximian bei der Feier drinnen im Haus gar nicht gesehen, doch sie unterdrückte diesen Impuls und hob stattdessen nur den Blick, um ebenfalls, gen Sonnenuntergang zu schauen. Das letzte Rest des Tages war schön anzusehen, doch ließ es seinerseits Valeria nicht schön aussehen. Die ausgemergelte Gestalt war nun deutlicher als in der Casa zu erkennen, ebenso wie die Ringe unter Valeria Augen. Aber sie sah sich glücklicherweise nicht selbst. Ihre Gedankenwelt lief ohnehin schon Amok, da wäre das nicht sonderlich gut gewesen.


    Eine ganze Weile sagte sie gar nichts, dann ging sie ebenso unverfänglich auf seine Worte ein, wie er sich angesprochen hatte.
    "Ein schöner Sonnenuntergang. Aber anders als in Hispania. Die in Tarraco haben mir besser gefallen."


    Sie ließ den Grund aus, aus dem sie ihr besser gefallen hatten, griff nach ihrer Palla und zog sie zurecht, dann erst wandte sie den Kopf und musterte Maximian. Er schien oft zum Ringen in den Thermen gewesen zu sein, denn er sah breiter gebaut aus, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Valeria konnte nicht umhin, ihm wenigstens ein kurzes Lächeln zu schenken.


    "Wie geht es dir, Lucius?" wollte sie dann wissen.

    Sie war ihr Huhn schließlich doch noch los geworden, ohne selbst eine nennenswerte Menge davon zu essen, und ging nun als einer der Letzten aus dem Haus und damit auch am Ende des Zuges. Es war nicht wirklich kalt, aber doch schon kühl. Selbst der Umhang, den sie sich um die Schultern gelegt hatte, konnte nicht wirklich die Gänsehaut vertreiben, die ihren sehr schmal gewordenen Körper überzogen hatte wie Rauhreif die Grashalme im Winter. mit um den Körper geschlungenen Armen schritt Valeria dahin, nicht sonderlich auf ihre Umgebung achtend, sondern immer weiter dem Tross folgend, der sich alsbald in Bewegung gesetzt hatte. Livianus war irgendwo in der Menge und das war ihr ganz recht so, denn sie wusste immer noch nicht, wie sie es ihm sagen sollte oder ob es überhaupt das war, was sie wollte. In tiefen Gedankenversunken ging sie so voran.

    Valeria fühlte sich nicht gut. In einer guten Woche war die Hochzeit von Venusia und Magnus - und von Livianus war noch immer keine Spur. Sie hatte keinen Brief bekommen, keine Nachricht, nichts. Was, wenn er am Ende nicht zur Hochzeit kam? Was, wenn sie daran Schuld sein würde? Nicht gut, gar nicht gut.


    Sie beschloss, sich einen entspannten Nachmittag in den Thermen zu gönnen. Die colonischen Thermen waren zwar nicht so groß und gut besucht wie die römischen, aber hier herrschte die gleiche Ordnung: Frauen und Männer getrennt. Heute schien nicht sehr viel los zu sein, denn als Valeria sich umgezogen hatte und in das Becken mit warmem Wasser glitt, konnte sie nur sehr wenige Frauen ausmachen, die hier nach Entspannung suchten.


    Sie lehnte sich seufzend zurück und schloss leicht die Augen. Vielleicht würde sie jemanden treffen, vielleicht auch nicht - obwohl es schon schön wäre.

    Kurze Zeit, nachdem der Brief dem Scriba in die Hand gedrückt worden war, hatte er auch schon den Weg in Valerias Hände gefunden. Mit sichtlicher Überraschung sah sie den Absender, dankte dem Scriba und schickte ihn fort, dann brach sie das Siegel und las die Zeilen, die Apollonius auf das Pergament gebracht hatte.


    Die ersten Zeilen riefen die Trauer in ihr wieder wach, sie seufzte und las schnell weiter. Als der Arzt von den Villen sprach und die Heuschrecke erwähnte, musste sie hingegen wieder schmunzeln. Das war typisch Apollonius, wirklich! Der zweite Teil des Briefes ließ Valeria dann besorgt die Stirn runzeln. Sie wusste, dass der Medicus gern einmal sich selbst aufs Korb nahm, aber das hörte sich nun wirklich ernst an. Wenn sie gewusst hätte, dass er noch in Mogontiacum weilte, wäre sie dort hingereist, um dem alten Freund persönlich alles Gute zu wünschen. Aber er erwähnte eine Insel der blauen Grotte bei Misenum, das konnte eigentlich nur Capri sein, dachte sie bei sich. Wer wusste, ob er schon dort war oder ob er noch in Germanien weilte? Am Ende reiste sie umsonst nach Mogontiacum. Als er anzweifelte, dass sie seine Zeilen interessieren mochten, seufzte sie langgezogen und schüttelte den Kopf. Armer Apollonius, dachte sie sich.


    Der letzte Absatz erfreute sie, aber es hörte sich so an, als würden sie sich nie wieder sehen. Der Medicus schrieb so etwas sicherlich nicht umsonst, sondern nur, weil er vielleicht selbst bezweifelte, dass sie sich noch einmal sehen würden. Valeria unterdrückte einige Tränen und las den letzten Abschnitt gleich noch einmal. Ab und an ein Stück Papyrus und Tinte verbrauchen... Valeria nickte, obwohl das niemand sehen konnte. Sie hatte sich so sehr gewünscht, dass Apollonius sie besuchen kommen würde oder anders herum. Auch schämte sie sich dafür, dass sie ihm nicht selbst berichtet hatte, was geschehen war. Da gab es keine Entschuldigung für. Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch, nahm einen frischen Bogen Pergament heraus und schraubte das Tintenfass auf. Dann griff sie zur Feder und schrieb los - sie würde Apollonius Bitte gleich in die Tat umsetzen und ihm zurückschreiben.

    Zitat

    Original von Severus Albius Scaevola
    Scaevola lehnte sich zurück und nahm erstmal einen Schluck von dem Wein. Ein viel besserer Tropfen, als er es sich für gewöhnlich leisten konnte, war das und er genoss entgegen seiner Gewohnheit den Schluck erstmal während er über eine Antwort nachdachte.
    "Ich hab das Gefühl gar nichts.", meinte er schließlich und musste grinsen. "Dabei hab ich meinem Vater bei seinem Hof ausgeholfen und die Arbeit war gar nicht mal so einfach, aber im vergleich zur ALA", er lachte. "Aber jetzt würd ich anfangen dir von der ALA vorzuschwärmen und sie gleichzeitig zu verfluchen. Ich glaub davon hast du schon genug gehört, oder? Bei der Verwandtschaft sicherlich."
    Er blickte auf das Hühnchen und meinte wie nebenher: "Also wenn du wirklich kaum Appetit hast, wäre doch schade es verkommen zu lassen, oder?"


    Valeria riss sich wieder ein kleines stück Fleisch ab und fummelte lustlos daran herum, während sie Scaevola aufmerksam betrachtete und ihm zuhörte. Die Schilderung seines Lebens kannte sie grob gesehen irgendwoher, nämlich von sich selbst. Als sie noch in Rom bei ihrer kranken Mutter gewohnt hatte, hatte sie auch kaum etwas anderes gemacht als sie zu pflegen Und nun war sie Priesterin, vielleicht nicht unbedingt eine angesehene, aber es ging ihr gut mit dem was sie machte und sie tat es von Herzen und mit Freude.


    Sie lächelte Scaevola an.
    "Ich kann sehr gut nachvollziehen, warum es dich zur Ala gezogen hat. Ein nicht unerheblicher Teil ist sicher die Nähe zu Pferden gewesen. Wenn du Duplicarius bist, kannst du bestimmt gut reiten. Ich fürchte, dass ich inzwischen alles verlernt habe, was das betrifft. Seitdem ich in Germanien bin, habe ich nicht einmal wieder auf einem Pferd gesessen - und ivh bin über ein halbes Jahr hier inzwischen", sprach sie und seufzte dann bedauernd. Valeria bemerkte den Blick nach dem Hühnchen und schob den Teller in die Mitte des kleinen Tischchens.
    "Bitte, tu dir keinen Zwang an", meinte sie.

    Valeria wartete, bis Scaevola sich gesetzt hatte, dann zupfte sie etwas Fleisch ab und sah es sich mit beinahe wissenschaftlicher Neugier an. Irgendwie kam ihr wieder eine Szene von damals in den Kopf, als Apollonius sie unterrichtet hatte. Sie fand, der Medicus könnte ruhig einen Fortsetzungskurs abhalten, das würde sie sehr interessieren. Dann wurde sie sich plötzlich bewusst, dass Scaevola ihr den Becher reichte, sie schon sich hastig das Geflügelstück in den Mund und nahm den Becher grinsend entgegen. Schnell kaute sie.


    "Danke. Und nein, es ist nicht schlecht. Ich habe nur irgendwie kaum Appetit."
    Sie überlegte, ob sie ihm noch mal anbieten sollte, wenigstens einen Teil des Huhns zu essen, wenn er schon nicht das Ganze wollte. Aber das schickte sich nicht, also ließ sie es bleiben. Stattdessen suchte sie nach einem Gesprächsthema.


    "Was hast du gemacht, ehe du zur Ala gegangen bist?" fragte sie ihn.

    Valeria schmunzelte und sprach:
    "Im Zweifelsfall gehst du einfach den Rülpsern nach..."


    Sie lächelte ihm noch einmal zu und bahnte sich dann einen Weg zum Rand, wo man offensichtlich viele Tische mit Korbsesseln aufgestellt hatte, damit die Gäste nicht im Stehen speisen mussten. Auf ihrem Weg zu einem freien Platz sah sie Meridius und winkte ihm kurz zu, dann ging sie weiter und sah Livianus und den Duccier sich unterhalten. Schließlich fand sie noch eine leere Nische nicht weit entfernt vom Platz an dem sie mit dem Albier zusammengestoßen war. Sie setzte sich und zupfte lustlos an ihrem Huhn herum, bis sie Scaevola erblickte und ihm kurz zuwinkte, damit er sie sah.

    Valeria winkte grinsend ab. Eigentlich nannten sie alle Valeria bis auf Duccius Germanicus.
    "Sag ruhig Valeria, das tun die meisten, wenn sie mich nicht gerade bei meinem Rang rufen", sagte sie freundlich. Auf ihrem proppevollen Teller blieb sie wohl sitzen. Sie seufzte theatralisch und sah sich dann um.
    "Na gut, dann werde ich mir mal ein stilles Plätzchen suchen und schauen, inwiefern ich diesem Huhn hier Herr werde. Hm....es wäre mir eine Freude, wenn du mir einen Wein mitbringen und dich dann zu mir gesellen würdest, sofern du keine anderen Verpflichtungen hast, als Duplicarius auf der Feier deines Praefectus", meinte Valeria und zwinkerte ihm zu.

    Zitat

    Original von Severus Albius Scaevola
    Er schaute sich um und achtete nicht wirklich, wohin es ging, und so war es kein Wunder, dass er mit jemandem zusammen stieß. Überrascht drehte er sich zu der Person um und erkannte ein hübsches Mädchen, naja Frau, mit nettem Lächeln.
    "Ach was, ich muss mich entschuldigen.", erwiderte er grinsend. "Ich hoffe es ist nichts verloren gegangen. Du musst einen gesegneten Appetit haben.", fügte er auf den Teller deutend frecher Weise hinzu.


    Valeria rettete sich in ein verlegenes Grinsen. Sie hatte scheinbar einen gestählten Soldaten vor sich. Ihr prall gefüllter Teller stand in krassem Gegensatz zu seinem, der blitzblank poliert war. Und er war auf dem Weg zum Buffet, hatte also vermutlich noch Hunger und wollte sich Nachschub holen, schlussfolgerte Valeria. Sie sah auf ihren eigenen Teller.


    "Hm, nein, ich habe eigentlich nicht so viel Hunger. Ich war nur etwas ungeschickt beim Auffüllen", gestand sie und sah den Fremden an.
    "Ah, verzeih mir, ich bin Decima Valeria, Sacerdos aus Colonia. Magnus ist einer meiner Onkel."


    Wieder fiel ihr Blick auf den Teller, dann kam ihr eine Idee.
    "Möchtest du vielleicht? Ich habe noch nichts angerührt, Ehrenwort", meinte sie und hob ihren Telle etwas an.