Lang war die Reise gewesen, und aufgrund der Herbststürme auch nicht gerade erbaulich. Die meiste Zeit hatte Valeria unter Deck verbracht, weil sie das Schwanken des Schiffes bei der Sicht auf den Horizont nur umso stärker wahrnahm als in der dunklen Abgeschiedenheit einer Kajüte. Zum Glück waren die wenigsten Leute erpicht darauf, in dieser Jahreszeit eine lustige Seereise nach Alexandrien zu unternehmen. Deswegen hatte sie eine Kajüte für sich allein gehabt und das zweite Bett war leer geblieben.
Vermutlich war ihre Reise hierher eine voreilige Idee gewesen. Sie hatte niemandem Bescheid gesagt und war einfach nach Ravenna aufgebrochen, denn von Ostia aus fuhren derzeit keine Passagierschiffe nach Alexandrien. Dort hatte sie ihre Überfahrt im Voraus bezahlt, und nun stand sie hier an Deck und betrachtete den massigen Leuchtturm, das Wahrzeichen der Stadt am Nil, der Kapitänen den Weg wies und Besucher willkommen hieß. Die Seekrankheit hatte sie immer noch fest im Griff und würde sie vermutlich erst wieder loslassen, wenn sie festen Boden unter den Füßen und nicht ständig mehr das Gefühl hatte, dass sich ihre kleine Welt auf und ab bewegte. Die See lag seit zwei Tagen erstaunlich ruhig da. Während die Mannschaft noch in der Takelage herumturnte und alles für das Anlegen bereit machte, dachte sie an zu Hause. Vielleicht sorgte man sich um sie. Immerhin war sie auf Lucillas Hochzeit schon sehr schweigsam gewesen, und seitdem hatte sie niemand mehr zu Gesicht bekommen. Vier Tage später war sie aufgebrochen. Ihr Gepäck bestand aus nichts weiter als einem kleinen Seesack, der leicht zu schultern und gerade noch zu tragen war. Darin befanden sich Kosmetika, Kleidung und Bargeld. Das war alles, was sie brauchte, sagte sie sich. Wenn sie hier unten eine Stelle fand, und wenn sie sogar das Glück haben würde, am iatreion anfangen zu dürfen, dann würde sich der Rest gewiss bald wieder anhäufen. Arm war sie schließlich nicht, sah man von fehlenden oder abgerissenen Sozialkontakten ab.
Eine gute Stunde später donnerte eine breite Planke auf den Anlegesteg. Valeria schulterte ihren Seesack und reihte sich in die kurze Reihe der Passagiere ein. Hinter einem dicken Mann mit grüner Toga verließ sie das Schiff und fand sich sogleich in regem Treiben wieder, vor allem aber auf festem Boden. Sie atmete tief die sonderbare Luft ein. Hier war es viel wärmer als in Rom, und so anders. Valeria wusste nicht, wohin sie sich zuerst wenden sollte. Da waren Verkäufer, die ihr sogleich alles mögliche andrehen wollten, kleine Kinder, die Passanten ihre Geldbeutel abschnitten und rasch davonliefen, nur wenige Sänften, die sich durch das Gewimmel kämpften. Und da war natürlich der riesige Leuchtturm, der über allem thronte und wie ein Mahnmal auf die junge Decima wirkte. Sie dachte an ihren Onkel, an ihre Familie. Schon jetzt bereute sie es, niemandem auf Wiedersehen gesagt zu haben. Aber es war zu spät. Dennoch würde sie bald die ersten Briefe lossenden, nahm sie sich vor.
Nur wo sollte sie nun hingehen? Valeria war noch nie zuvor in Aleandrien gewesen und dementsprechend hatte sie keine Ahnung, was wo zu finden war. Wahllos steuerte sie jemanden an und lächelte freundlich. "Verzeihung, ich bin gerade eben erst eingetroffen und kenne mich noch nicht aus. Könntest du mir wohl behilflich sein und mir sagen, wo ich das Museion finde?" fragte sie.