Beiträge von MERCURIUS

    Eigentlich sollte Mercurius beleidigt sein, wenn es um Leberschauen ging. Jeder Gott hatte seinen speziellen Platz auf so einer Leber, nur er nicht. Gut, und ein paar andere auch nicht, aber was sollte Subruncinator, der Gott des Unkrautjätens, auch über die Zukunft zu sagen wissen? 'Es wird immer Unkraut geben!'?


    Aber gut, Mercurius trug ja nicht umsonst den Beinamen 'der Listenreiche'. Also schummelte er sich ein wenig hier hinein und da hinein. Nachdem der Tiberius ihm als einer von ganz wenigen an seinem Ehrentag geopfert hatte, war Mercurius durchaus gewillt, ein paar positive Dinge geschehen zu lassen. Und so zeigten sich in dem Bereich, der eigentlich dem Gott des Wachstums und des Überflusses gewidmet war, etwas, das verdächtig nach drei Goldmünzen aussah.

    Heute war sein Festtag! Ihm und seiner lieben Mutter zu ehren, ein eigener Festtag mit eigenen Spielen und eigenem Opfer!
    Doch... Moment! Als Mercurius seinen Blick so schweifen ließ, sah er weder eifrige Kaufleute in seinen Tempel eilen, noch junge Redner, noch nicht einmal eifrige Diebe. Niemand. Nichts. Absolut gähnende Leere.
    Mercurius grollte. Das war geradezu eine Frechheit! Das ganze Jahr über half er bei Geschäften, legte den Händlern die passenden Argumente in den Mund, inspirierte, verlockte zu Käufen, trieb Späße, brachte kleine Kinder mit seinen Tricks zum Lachen, und als wäre das noch nicht genug, sammelte er die zahlreichen Totengeister der Verstorbenen bei, spendete Trost und überführte sie zu Pluto. Und genau da hatte er das letzte Jahr viel zu tun!


    Hatte er keinen Dank verdient? Hatte er dafür keine Opfer verdient? Dachten sie alle, er gab und gab und gab umsonst?


    Mercurius grollte, und ein eisiger Wind pfiff als Zeichen seines Unmutes durch die Straßen.


    Endlich kam ein einziger Mann zu seinem Tempel und opferte Weihrauch, Wein und süßen Kuchen. Und Münzen, heißgeliebte Münzen. Auch versprach er ihm einen Widder, wenn er ihm helfen würde.
    Wenigstens einer, ließ sich der Gott ein wenig besänftigen und besah sich die Gaben. Die Bitte kam ihm sehr bekannt vor, auch die Lobpreisung. Aber Gebete waren ja häufig standardisiert. Die Menschlein hatten furchtbare Angst, etwas falsch zu machen, so dass sie lieber ablasen und kopierten oder sich vorsagen ließen.


    Aber gut, für einen versprochenen Widder wollte er diesem einen Menschen gnädig sein. Mit dem Rest schmollte Mercurius nach wie vor, aber dieser eine Mensch sollte ein wenig Gnade bekommen.
    Er ließ die Fesseln des Mannes von einer warmen Brise umschmeicheln und gab ihm ein paar nette Ideen für seine nächste Rede ein. Kurz umschwirrte er auch die kleine Sklavin. Schade, dass sie nichts sagte, denn war er doch nur hier in Rom als Mercurius bekannt, andernorts aber durchaus auch als hermes, Ptah, Wotan, oder auch Esus. Also hätte er durchaus auch zugehört. Aber scheinbar wollte sie nicht.

    Zitat

    Original von VENUS
    "Na, wer von euch beiden hat sich diese Ausrede ausgedacht? Oder war das eine Gemeinschaftsleistung?"


    “Der Sterbliche lässt mich ja noch nicht einmal zu Wort kommen, Schwesterchen“, klärte ein vorüberhuschender Mercurius die Göttin der Liebe auf. “Und wenn er mir geopfert hätte, hätte er auch eine besser Ausrede gefunden. Übrigens, schöner Gürtel!“ Mercurius sauste schelmisch grinsend um die junge Göttin herum und trieb seinen Schabernack mit ihr. Als zweitjüngster der olympischen Götter hatte man gewisse Freiheiten, die Mercurius auch zahlreich nutzte.


    Doch dann fiel sein Blick auf den kleinen Jungen, der etwas verloren da stand. Mercurius merkte, dass seine Hilfe benötigt wurde, auch wenn das Kind nichts sagte. Alle Kinder waren enge Vertraute des Gottes der Schelmereien und Halbwahrheiten und machten von seinen Gaben mal mehr, mal weniger erfolgreich Gebrauch. Und Mercurius liebte alle Kinder und gab gerne auf sie acht. Also säuselte er als warmer Luftzug um den Knaben, sanft wie eine Umarmung, machte ihm etwas Mut; und gab ihm auch gleich zwei, drei Ideen ein, wie man diese Frage etwas kreativer beantworten könnte.

    Vom Klimpern der Münzen und dem angenehmen Duft des Weihrauches angezogen hielt der Gott innen und betrachtete das Menschlein, dass sich wirklich Mühe mit seinem Opfer gab. So verweilte der Götterbote und sein Warten wurde belohnt. Ein Widder wurde ihm geopfert und ein weiteres Opfer versprochen.
    Nun dieses Mensch hatte nicht nur die Aufmerksamkeit sondern nun auch das Wohlwollen des Gottes. Keinerlei Makel würden an den Innereien des Tieres zu finden sein. Und wenn der Mensch genau hinsah, würde er sogar einen leicht goldenen Schimmer an der Leber des Widders erkennen.

    “Mama?“ klagte die Stimme eines kleinen Kindes durch die brennende Ruine. Menschliche Ohren konnte sie nicht hören. Die meisten Menschen waren nur auf das beschränkt, was sie sehen und anfassen konnten, auf die Dinge, die ihnen begreiflich waren. Der Tod war für sie so erschreckend, so endgültig, dass sie seine wahre Bedeutung, seine wahre Größe nicht erfassen konnten. Darum hörten die wenigsten von ihnen auch das, was nach dem Tod von einem Menschen blieb.
    Aber Mercurius war ein Gott, und Mercurius hörte. “Mama? rief es nochmal. Und er kam. Wie er bei jedem Tod kam. Leise, ruhig, pflichtbewusst. Es war seine Aufgabe, die Toten zu sammeln und zu Pluto zu bringen, damit er sie in seinem Reich aufnehmen konnte. Er war der einzige Gott, der in allen Reichen wandern konnte, seien es die Gefilde der Götter, der Menschen, des Meeres oder der Unterwelt. Daher war dies seine Aufgabe, da er als einziger sie alle erreichen konnte. “Mama, ich kann dich nicht sehen!“
    Mercurius folgte dem Weinen. Das Feuer, das brannte, konnte ihm nichts anhaben. Seine Flammen schienen erstarrt, als er ruhig durch die brennende Ruine trat. Hinter einem umgestürzten Flechtkorb sah er das Mädchen, vielleicht vier Jahre alt, wie es sich versteckte und weinte. Dass seine fleischliche Hülle zu seinen Füßen lag, blutend und zerschmettert, bemerkte das Kind nicht. Mercurius, der es sonst immer so eilig hatte, ließ sich Zeit. Denn was war Zeit schon für einen Gott? Oder einen Geist? Gemessen am Leben einer Fliege war ein Augenblick eine Stunde. Was war also dieser Augenblick gemessen an der Unendlichkeit eines göttlichen Daseins? Nichts.
    “Komm mit mir, Kind“ sagte er sanft und streckte dem Kind die Hände entgegen. Das Mädchen blickte auf aus verweinten Augen, die keine Tränen mehr vergießen konnten. Ich kann meine Mama nicht finden.“ “Ich helfe dir suchen. Sie kommt auch mit auf die Reise.“
    Das Kind zögerte, einen Herzschlag, eine Unendlichkeit, und ergriff seine Hand. Sie ließen den brennenden Korb und die tote Hülle hinter sich und gingen weiter durch das Haus. “Mama hat gesagt, ich soll mich verstecken.“ “Ich weiß. Sie hat dich sehr lieb.“
    Sie kamen durch die Küche, wo Mercurius einer verwirrten Haussklavin die Hand entgegenstreckte. “Der Schmerz ist vorbei. Komm mit.“ Sie war ein wenig verwirrt, sah sich um. “Warum?“ fragte sie nur. Warum, fragten fast alle. “Weil es deine Zeit war. Weil es so Sinn macht“, antwortete Mercurius, wie immer. Und auch, wenn sie noch nicht verstand, kam auch sie mit.
    Sie gingen weiter, kamen noch an weiteren Seelen vorbei. Manche verwirrt, manche ärgerlich, manche weinend. Aber alle kamen sie mit. Im Atrium waren am meisten. Hier klagten sie am lautesten, weinten, schrien, hatten den Schrecken ihres Lebens noch mitgenommen in ihren Tod. Bis Mercurius sie berührte, einen nach dem anderen, ihnen die Ruhe wiedergab, den Frieden, die Zuversicht.
    “Mama!“ rief das kleine Mädchen und flog seiner Mutter in die Arme. Mama, ich hab dich so lieb!“ Mercurius wartete, ließ Mutter und Kind sich vereinigen, ihre gegenseitige Liebe sich berühren, und kam dann langsam zu ihnen. “Kommt mit“, sagte er nur sanft und reichte auch der Mutter seine Hand.


    Alle folgten sie ihm. Auch der Mann an der Wand, von seinen Leiden endgültig getrennt, folgte ihm. Das kleine Mädchen fragte: “Wohin gehen wir?“
    “Dahin, wo alle Seelen gehen. Zu meinem Onkel, dem reichen Vater, Dis Pater.“ antwortete Mercurius wahrheitsgemäß.
    “Ist es da schön?“ fragte das Mädchen.
    Mercurius zögerte kurz, wog seinen Kopf hin und her. War es schön in der Unterwelt? “Es ist anders als das Leben. Gerechter, als das Leben. Es ergibt Sinn. Daher, ja, es besitzt Schönheit.“
    Der Geist nickte, auch wenn er nicht verstand. Aber er würde es verstehen. “Werde ich meine Freunde wiedersehen?“
    “Wenn es ihre Zeit ist, sicher.“
    “Wann ist es ihre Zeit?“
    “Bald, Kind. Du wirst die Wartezeit nicht bemerken.“


    Ein Wind blies noch einmal über die Ruine, und dann waren Mercurius und all die Seelen, die hier auf ihn nur gewartet hatten, verschwunden.

    Konnten Götter krank werden? Diese Frage war sicherlich eine, auf die die Philosophen diverseste Antworten haben würden, nebst einer Unzahl an dazugehörigen Erklärungen. Und alle würden sich streiten, wer denn nun die einzig wahre Erklärung für seine These gefunden hatte, ohne sie je einer Überprüfung unterziehen zu können, war die göttliche Sphäre für den Mensch doch viel zu kompliziert, um sie in ihrer Gänze erfassen zu können.


    Für Mercurius in diesem Augenblick aber war die einzig richtige Antwort ein JA. Mercurius hatte einen göttlichen Schnupfen. Wo er diesen auf seinen Reisen gefunden hatte, wusste er nicht genau zu sagen. Und noch weniger, warum er ihn überhaupt mitgenommen hatte. Alles in allem war so ein Götterschnupfen auch nicht erquicklicher als der, der die Sterblichen bisweilen plagte. Darüber hinaus war Mercurius eine männliche Gottheit, und wie alle Wesenheiten dieses Geschlecht nahm er für sich das Recht in Anspruch, bei einem Schnupfen dahinzusiechen und zu leiden.


    So ergab sich der Gott der Händler, Reisenden und Diebe also der Agonie des Erkältet-Seins, als ihn die Schlangen an seinem Stab darauf aufmerksam machten, dass jemand in einem seiner Tempel herumklimperte. Etwas, das er ja eigentlich ausgesprochen mochte. Aber man konnte nicht ausgelassen sich am Geräusch des Klimperns erfreuen, wenn man gerade überlegte, ob man diesmal einen längeren Aufenthalt bei Onkel Pluto haben würde, und zwar in eigener Sache.


    "Ja, ja, ist ja gut", murrte Mercurius also missgelaunt und sah sich das Opfer an. Von einem Zusammenzucken bemerkte Mercurius nicht das geringste, allerdings bekam er auch von den Bitten im Vorfeld nur die Hälfte mit, womit sich alles wohl wieder ausglich. Alles in allem fand Mercurius also nichts zu beanstanden und nahm den Widder an. Von großartigen Zukunftsomen sah er dann aber doch ab.

    Es dauerte ein wenig, bis Mercurius diese Alpina gefunden hatte, die er im Gegenzug für ein großes Opfer ein wenig beschützen sollte. Und wo fand er sie? Natürlich im schlimmsten Sturm auf dieser Seite des Rhenus! Da musste er in seiner Rolle als germanischer Wodan wohl mal ein ernstes Wörtchen mit seinem hier als seinen Sohnemann verehrten Thor reden. So ging das ja nicht! Das eine Menschlein fing ja schon an, zu beten, so wie das hier tobte.


    “JETZT IST ABER MAL GUT HIER! ICH HAB HIER EINE AUFGABE!“, donnerte so also Mercurius-Wodan der Naturgewalt entgegen und wies sie damit in die Schranken. Blitz und Donner zuckten noch einmal protestierend auf, ehe der Regen gehorsam versiegte und nur ein missmutiges Grollen in den Wolken blieb, als diese weiterzogen.
    Jetzt waren die Straßen und Wege aber allesamt noch nass. Der Gott eben jener seufzte und erwartete für diese Schwerstarbeit hier aber mindestens einen Ziegenbock, als er von Süden einen warmen Wind heranholte, der die Natur vielleicht in den restlichen Nachtstunden nicht mehr gänzlich trocknen würde, sie aber doch zumindest befahrbar hielt.

    Hach, so wünschte man sich als Gott doch häufiger ein Opfer: Schön duftenden Weihrauch, ein wenig Wegzehrung, bis man wieder Gelegenheit hatte, ein wenig Ambrosia zu stibitzen, und natürlich Münzen! Fein klimpernde... Moment... klappernde Münzen? Mercurius schaute nochmal genauer hin, warum diese speziellen Münzen nun klapperten. Vielleicht hatte irgendein Betrüger wieder Blei ins Gold gemischt, um Kosten zu sparen! Das kam immer wieder vor, wenn man nur nicht genau aufpasste. Gut, irgendwelche Griechen erfanden durch diese Unsitte dann gleich neue Grundsätze der Physik, während sie faul in der Badewanne herumplanschten, aber hier war Germania und daher kein Grund, Blei in seine heiß geliebten Münzen zu mischen!
    Mercurius nahm die Münzen also sehr genau in Augenschein, konnte aber keinen Makel daran erkennen. Und außerdem hörte er irgendwas von einem großen Opfer als Versprechen, falls er die Bitte gewährte.
    “Hmmm... ein großes Opfer hatte ich auch schon eine Weile nicht mehr. So mit Musik und Brimborium... und noch mehr Münzen! Mal schauen, ob ich diese Alpina finden kann...“


    Ein Lufthauch fuhr also über die Opferstätte und ließ die Münzen noch einmal klappern, als Mercurius sich auf den Weg machte, seinen Teil des eben geschlossenen Vertrages auszuführen.

    Der Gott hieß es ganz und gar nicht gut, wie sich hier manche Leute in seinem Tempel verhielten. Mit immer finsterer werdender Miene sah er sich das Schauspiel hier immer verwunderter an und zog so langsam aber sicher eigene Schlüsse. Keiner dieser Gesellen hier kam ihm übermäßig bekannt vor, was nichts anderes hieß, als dass keiner der Menschlein ihm hier in letzter Zeit auch nur irgend etwas geopfert hatte. Und Mercurius gewährte seinen Schutz nur demjenigen, der ihm ausreichend und nach seinen Möglichkeiten opferte.


    Da er auch der Gott der Reisenden und Hüter der Wege war, würden wohl die Beteiligten hier in nächster Zukunft feststellen, wie beschwerlich es sein konnte, von einem Ort zu einem anderen zu gelangen. Und insbesondere, wie schwer dies mit Waren war, die einem nicht so ganz gehörten.


    Schon wieder! Schon wieder wurde ihm hier ein nicht-klimpernder Ziegenbock - ach nein, war ein Schaf, aber trotzdem! - angeboten! Und dabei hatte Mercurius es ganz genau klimpern gehört, als einer der Menschlein beim Voropfer immer hin und her gegangen war, um ihm dem Weihrauch und die Opferkuchen zu bringen. Er hatte sogar etwas von einem ganzen Säckchen Münzen die Sterblichen reden hören, ganz sicher! Aber irgendwie hatte das ältere Menschlein das wichtigste am ganzen Opfer einfach so vergessen.


    Mercurius saß in einer Ecke und schmollte. So machte das doch keinen Spaß, wenn diese Menschlein schon Sachen für ihn mitbrachten, und dann doch für sich alleine behielten. Nein, da wollte er gar nicht weiter zuschauen.
    Auch nicht, als Rosmerta dann ankam und ihm bittelnd und bettelnd ganz tief in die Augen schaute. “Dann nimm du das doch an, wenn es dir gefällt. Ich bleib hier sitzen und warte auf meine Münzen!“ schmollte er weiter. Oh ja, wenn das alte Menschlein in ein paar Jahren von ihm zum Elysium gebracht werden wollte, würde Mercurius sicher auch den ein oder anderen Weg vergessen....


    Seine Mitgöttin war da schon gnädiger und ließ daher das Opfer nicht fehlschlagen, nur weil der Handelsgott wie ein Kleinkind beleidigt war. Der Haruspex würde wohl auf der Leber eindeutig uneindeutige Zeichen finden, und etwas, das entfernt an eine Geldmünze erinnerte, auf der negativen Seite der Leber. Aber nichts ernsthaft gefährdendes.

    Hach, da waren sie ja! Die Menschlein, die ihm den nicht klimpernden Ziegenbock zugeschoben hatten. Den größten Teil der Strecke waren sie auf einem Schiff unterwegs gewesen, und Neptun hatte sich nicht einmal dazu überreden lassen, das Schiff doch ihm zuliebe wenigstens ein kleines bisschen kentern zu lassen.
    Jetzt aber waren sie auf der Straße, und hier konnte Mercurius selber dafür sorgen, dass den Menschen bewusst wurde, dass er nicht wirklich zufrieden mit dem Opfer gewesen war. Er wartete, bis sie Vienna erreicht hatten – ein hübsches Städtchen. Und die Gallier verehrten Mercurius ja auch immer brav und fleißig, so dass er sich gerne in ihren Städtchen auch aufhielt – und schritt dann zur Tat.


    “He, ihr zwei, aufwachen“, klopfte er gegen die beiden schlangen an seinem Caduceus. “Los, los!“ drängelte er noch einmal, bis sie sich bewegten und zum Leben erwachten.
    Was gibt’s?“ fragte die eine. “Warum weckst du uns?“ die andere.
    “Ich hab einen Auftrag für euch. Und hatte ich euch nicht gebeten, die S-Laute etwas langzuziehen, wenn ihr sprecht?“
    “Aber das ist diskriminierend!“ beschwerte sich die eine. “Schlangen reden nicht so!“ pflichtete die andere bei.
    Mercurius rollte mit den Augen. “Aber es klingt so viel dramatischer!“ versuchte der Gott zu erklären.
    “Dramatischer...“ schüttelte die eine Schlange den Kopf. “Götter....“ fiel die andere mit ein.
    “Seid still und führt endlich meinen Auftrag aus!“ tobte Mercurius, was die Sterblichen als eine starke Windböe wahrnahmen.
    “Ja, Meissssster“ stimmten beide Schlangen ein.
    “Gut, geht zu dem Wagen dort und brecht ihm die Achse.“


    Die Schlangen rollten mit den Augen, verließen unsichtbar den geweihten Stab. Während die Sterblichen also einen Wagen gerade mal wieder umverteilten, da die Waren darauf verrutscht waren, wickelten sich die beiden Schlangen unsichtbar um die hintere Achse. Kurze Zeit später machte es auch schon laut KRACK, und vom Wagen purzelten sowohl Menschen als auch Waren.
    “Auftrag aussssgeführt, Meissster“ vermeldete die erste Schlange. “Und ich finde die langgezogenen S-Laute trotzdem diskriminierend“, maulte die Zweite noch, während sie sich wieder um den Caduceus wickelten und zu Metall wurden.
    Und Mercurius saß da und hatte wieder beste Laune. Irgendwas von den Waren hatte beim Herunterfallen ganz herrlich geklimpert!

    “Komm schon, Rosi, die fangen schon an“, zerrte Mercurius ungeduldig die kleinere Regionalgottheit hinter sich her, damit auch sie zusah, was die Sterblichen da trieben. Weihrauch stieg zu ihnen auf und kitzelte in der Nase, verbreitete wohligen Duft. Es war angenehm und schön zu sehen, dass eine Gesandtschaft auch brav daran dachte, ihnen zu opfern, um die doch sehr lange und gefährliche Reise zu segnen.
    Und dann kam auch schon das Opfer mit... Kuchen. Verwirrt schaute Mercurius sich um. Nicht, dass er etwas gegen Kuchen hatte, aber... der klimperte nicht! Und glänzen tat er auch nicht! “Siehst du irgendwo Münzen?“ fragte er Rosmerta und kratzte sich mit dem caduceus fragend am Kopf. Aber die Göttin schüttelte nur den Kopf. Mercurius begab sich näher heran, ob vielleicht unter dem Kuchen oder darin eingebacken ein paar Münzen waren, aber auch hier Fehlanzeige.


    Etwas beleidigt grummelnd besah er sich dann den Ziegenbock. Der glänzte wenigstens ein wenig (klimperte aber natürlich auch nicht, sondern schrie nur sehr laut). Und was war das im Hintergrund? Ein Stier? “Ist das da hinten ein Stier?“ deutete Mercurius auf das gehörnte, große Tier. Rosmerta nickte ein wenig eingeschüchtert.
    Na, wer den wohl bekommen sollte? Er bekam ja wohl nur einen nicht klimpernden Ziegenbock. Nein, Mercurius war nicht mehr ganz so amüsiert. Daher würde der Opferbeschauer auch einige Knötchen auf der Leber des Tieres entdecken, die wohl doch auf die ein oder andere schlammige Straße und auf das ein oder andere lahme Bein bei einem der Begleittiere hinweisen mochte.

    Mit dem Zusammentreffen zwischen dem Helvetier und dem Duccier hatte Mercurius nun zwar nicht unbedingt etwas zu tun gehabt. Allerdings ließ er sich dennoch gern dafür danken. Vor allem, wenn der Dank in Form von Münzen dann auch so schön klimperte! Mercurius liebte dieses Geräusch einfach, dabei hätte er auch gerne den ganzen Tag zugehört.
    Auch der Weihrauch war angenehm und der Kuchen noch frisch. Da würde er sich später auf einem seiner Botengänge ein kleines Stückchen als Wegzehrung wohl gönnen.


    Mit der Versprechung auf noch mehr schöne Opfer – und damit mehr Klimperzeug! - schließlich war das Opfer beendet, und Mercurius ließ den Schritt des Helvetius beschwingt sein. Heute würde der Mann sich sicherlich keine Blasen laufen und auch keine Steinchen in seinen Schuhen finden.

    Gerade war Mercurius unterwegs über das frühsommerliche Blau des Himmels und betrachtete die Welt so unter sich, die verschlungenen Pfade, auf denen die Menschen fast wie Spielzeug unter ihm dahinwuselten. Es war faszinierend, dabei zuzuschauen, wie die Wagen von A nach B fuhren.
    Doch horch! Von fern ein leiser Klimperton! Münzen, ja, ihr seid's, euch hab ich vernommen!


    Selbstredend ließ er da den interessanten, aber doch banalen Ochsenkarren mit der gebrochenen Speiche auf dem Weg nach Cremona erst einmal unbeachtet und schaute lieber in seinem Tempel in Ostia vorbei, was da nach den herrlich klimpernden Münzen denn sonst noch so folgen mochte.
    Der Weihrauch war ja auch ganz angenehm in der Nase, aber die Lämmchen draußen... und gleich zwei davon! Mercurius erinnerte sich daran, wie er einmal seinem Bruder Apollo eine ganze Herde gestohlen hatte – allerdings Rinder und keine Schafe. Das hier war da natürlich eine kleine Herde im Vergleich, nichts desto trotz nahm Mercurius es sehr wohlwollend zur Kenntnis.
    Der Priester würde keinerlei Makel an den Innereien der beiden Tiere finden. Wenn er genau hinsah, würde er sogar einen leicht goldenen Schimmer an der Leber des einen Böckchens erkennen.

    Leichter Regen fiel auf Patavium und hinderte die verbliebenen Feuer daran, sich weiter über die Stadt auszubreiten. Auch das Schreien und Weinen wurde durch ihn überdeckt. Ebenso wie das Sterben.
    Mercurius beobachtete die Stadt und die Menschen darin. Hier im Norden waren viele Menschen keltischen Ursprungs, die ihn weit mehr verehrten als diejenigen im Süden. Er sah zu seinem Tempel. Das Feuer hatte die weißen Säulen geschwärzt. An einer Straßenkreuzung war einer seiner Schreine umgestoßen. Ärgerlich darüber fuhr eine Böe durch die Straßen und wirbelte auf der Straße liegenden Müll scheppernd auf.
    Auch seine Mitgöttin Tellus schien wenig erbaut. So viel Tod auf ihrem Land. So viel Blut auf ihrer Erde. Der Regen half nur rudimentär, es weg zu waschen. Sie grollte. “Man sollte meinen, diese Narren sind genug gestraft, dass ihnen die Nahrung versagt ist. Müssen sie nun auch die Göttin beleidigen, die ihnen neue geben könnte?“
    Mercurius umflog die große Göttin und deutete mit seinem Stab auf das Heer, das die Stadt geplündert hat. “Die ziehen bald weiter. Dein Rand wird gereinigt werden. Und wenn nicht, kannst du immer noch deinen Zorn an ihnen auslassen.“
    Tellus war nicht wirklich zufrieden. “Sie sollen sie beerdigen!“
    “Werden sie schon. Apropos, ich sammel mal eine neue Runde ein.“


    Viel suchen musste der Gott nicht, um zu finden, wonach er gesucht hatte. Diesmal fand er ein kleines Mädchen, dass verwirrt neben seiner Mutter stand und versuchte, sie zu berühren. “Du kannst sie nicht berühren, komm mit mir mit.“
    “Warum nicht? Mama weint.“
    “Du bist gestorben. Sie hat dich da in eine Decke gewickelt und mit Erde bedeckt. Und deshalb musst du jetzt mitkommen“
    “Kann ich nicht noch bleiben?“
    Mercurius sah sich in der Straße um. Da waren noch mehr Tote. Einige wollten nicht mitkommen. Viele hatten auch nicht die nötigen Opfer ihrer Verwandten erhalten. Einige würden sie auch nicht mehr erhalten und waren damit dazu verdammt, hier zu bleiben, sofern die Stadt als solches kein Sühneopfer für die Toten abhielt und ihnen so den Weg in die Unterwelt zugänglich machte. “Deine Mutter hat mich gebeten, dich auf die andere Seite zu bringen. Sie hat sich in die Hand geschnitten, weil sie nichts anderes hatte, um damit bei mir zu bitten.“
    Das Mädchen weinte. Viele weinten, wenn er zu ihnen kam. Vor allem die Kinder. Die Erwachsenen waren meist schlicht apathisch und sagten gar nichts. “Komm, ich zeig dir den Weg.“ Mercurius rückte seinen Krempenhut einmal zurecht und wies mit dem Stab nach Westen. Die schmutzige Straße mit dem Müll und der festgetretenen Erde verschwand und ein helles Band schlängelte sich nach Westen, kaum zu übersehen. “Geh diesen Weg entlang und bleib darauf.“
    “Kommst du nicht mit?“
    “Doch, ich pass auf dich auf. Aber wir werden noch mehr mitnehmen müssen.“ Er würde heute noch viele Male die Unterwelt betreten und wieder herauskommen. Sein Onkel Pluto erhielt heute sehr viel Zulauf. Und es würde in den nächsten Wochen noch weit mehr werden.

    Schon eine ganze Weile verfolgte Mercurius immer wieder den Weg der Männer aus dem Norden. Nicht nur einer hatte ihm Opfer versprochen, wenn er sie sicher hier ankommen ließ, und da konnte man schon das ein oder andere Mal vorbeischauen. Er würde wohl noch sehr viel mit ihnen zu tun hatten, sobald sich ihre Wege mit denen des anderen marschierenden Heeres kreuzten. Am besten sollte er die Leute dann Grüppchenweise ins Jenseits begleiten.
    Und so schlüpfte er auch mit ins Zelt, um sich das Voropfer anzusehen. Weihrauch, und Münzen! Mercurius liebte Münzen. Die klimperten so schön und glänzten im Licht! Der Weihestein war nur etwas spärlicher ausgefallen.
    Dafür aber waren die Böcke ganz ansehnlich, deren Blut draußen für ihn vergossen wurde. Gleich zehn Stück, alle weiß. Ein bisschen mager vielleicht und der Schmuck könnte auch mehr glänzen. Mercurius liebte glänzende Dinge!


    Kurz sah er auch mal, was die Gegenseite so trieb. So als schnellster Gott konnte man ja eben hin und her flitzen. Doch in Patavium gefiel ihm die Situation weit weniger als hier. Dort stand immerhin auch ein Tempel von ihm!
    Nein, da waren ihm die Leute hier doch lieber, und so fand sich kein Makel auf den Innereien der Tiere und eine sanfte Brise wehte von Süden den Duft des vergehenden Spätsommers heran.

    Klimperte da etwas in seinem Tempel? Mercurius war gerade dabei, sich ein wenig auszuruhen, als er ein wohlbekanntes Geräusch hörte. Klingende Münzen, der Gott der Händler und Diebe liebte ihr Geräusch.
    Die Sterbliche brachte ein kleines Dankgebet an ihn dar, ein hübscher Kuchen, etwas Wein, und da waren sie, die Münzen, die so schön geklingelt hatten. Mercurius sah sehr wohlwollend auf das Opfer herab.


    Als die Sterbliche den Tempel verließ, zog er als Windhauch kurz an ihr vorbei und streifte sie leicht. Sein Segen würde ihr heute sicher gute Dienste erweisen, sollte sie etwas kaufen wollen.

    Merkur Gott der Händler,Bettler usw. usf. war mal wieder viel unterwegs gewesen. So als Götterbote hatte man es auch nicht einfach.
    Dieses ständige hin und her. Da kam eine Pause gerade Recht und die verbrachte er in seinem Tempel in Rom.
    Neugierig begutachtete der Gott die Opfergaben und war doch sehr zufrieden. Damit konnte er sich glatt neue Schuhe kaufen. So also nahm er natürlich das Opfer an und dem opfernden Priester würde es wahrscheinlich so vorkommen als würde der aufkommende Lufthauch ihm einige Geheimnisse verraten, wie er Vescularius Salinator am besten rumkriegen würde.

    Etwas spät, als Götterbote und Gott der Händler hatte man ja immer zu tun, schlenderte Mercurius durch die Hallen und beobachtete wohlwollend wieviel Mühe sich der kleine Mensch gab.
    Also war er ebenso wohlwollend und nahm das Opfer großzügig an. Ein kleiner Windhauch, das Geräusch klimpernder Münzen und natürlich die Stellung der Eingeweide (auch sehr wohlwollend) sollten dem Mann klar machen, daß er das Opfer angenommen hatte. Und wenn er Zeit fand ihn auch weiter auf seinen Reisen beschützen würde