Alexandria. Schmelztiegel des Ostens. Drehscheibe des Handels. Nach einer beinahe unendlichen Reise hatten sie ihr Ziel erreicht. Die zweimastige Dhow lief an jenem frühen Morgen in den Hafen der Hauptstadt der römischen Provinz Aegyptus ein. Von der Ferne erkannte man schon den alles überragenden Leuchtturm der Insel Pharos, eines der sieben Weltwunder. Ioshua ließ die tylusische Flagge, das Wappen des Königs, hießen, und darunter sein eigenes Emblem, welches Symbol eines stolzen und mächtigen Handelsimperium war, daß sich bis über das gesamte mare internum bis rauf nach Germanien erstreckte. Ihre Ankunft blieb so nicht geheim, der Termin stimmte, man hatte eine gute Fahrt hinter sich gebracht. Das Einlaufen in den großen Hafen wurde von einigen kleineren Beibooten begleitet. Fischerboote, die von ihrem Fang in der Nacht kamen, der Schiffsverkehr nahm zu und der Kapitän veranlasste das Großsegel zu reffen.
Aufeinmal war hektische Betriebsamkeit an Deck, dort, wo Ioshua noch vor einigen Tagen über die Stille der Einsamkeit sinierte. Die 20köpfige Bordmannschaft kroch aus ihren Löchern, sie zogen und zerrten an langen Seilen und Tauen und rollte die Segel der Takelage stück für stück ein. Die Fahrtgeschwindigkeit verringerte sich. Für den Steuermann bedeutete das Manöver höchste Aufmerksamkeit, daß man nicht aus versehen eines der kleineren Boote rammte. Der Kapitän einer dieser Boote winkte nun eifrig zu der Hraluch I herüber. Seinem Aussehen nach mochte jener tylusischer Abstammung sein und als er das Wappen seines Königs erkannte, gab es für ihn kein Halten mehr, die eigenen Landsleute in der Fremde zu begrüßen.
Die Anlegestelle war bereits ausgeguckt, dort am hervorragenden Pier oberhalb der Agora, wo das Timoneion an exponierter Stelle stand würde ein Ankerplatz auf sie warten. Man konnte bereits ein paar Hafenbedienstete erspähen, die darauf warteten, an Bord zu kommen und die Formalitäten der Ladung abzuklären.
Als die Hraluch I schließlich angelegt hatte und der loyale Hafenbeamte mit ein paar Bediensteten über die ausgefahrene Planke das Schiff betrat, gab Ioshua ben David seinem Diener bescheid auf dem schnellsten Weg zur Villa Tylusica zu eilen und ein entsprechendes Gefährt, eine Sänfte, für seine Ankunft herbeizuholen. Dem Tylusier war beileibe nicht danach, sich mit seinem bulligen Körper durch das Gedränge am Hafen und in den dahinterfolgenden Straßen zu drängen. Er war mit zunehmenden Alter etwas träge geworden, um nicht zu sagen dekadent. Er liebte die Annehmlichkeiten des Lebens und während er früher nicht scheute, zu Fuss die Ausmaße eines Forum Romanum zu erkundigen und seine Bediensteten vor sich her zu scheuchen, pflegte er nun den Luxus eines tylusischen Ethnarchen. Außerdem war so eine Sänftentour auch sehr viel sicherer. Er wußte ja nicht, was für einen Hinterhalt sich seine Feinde überlegt hatten oder ob sie schon informiert waren über seine Ankunft.
"Chaire, ehrenwerter Herr ! Darf ich darum bitten, sämtliche Einfuhrwahren zu declarieren, die Ihr geladen habt ?" gab der Hafen- und Zollbeamte Alexandrias im unterwürfig kriecherischen Tonfall von sich. Der Kapitän zückte darauf eine Liste, die den Warenbestand an Bord des Schiffes anzeigte. Auf ihr waren neben viele kleineren Stückzahlen an Waren - u.a. eine Statue der Venus, die Ioshua bei einem Bildhauer in Damman in Auftrag gegeben hatte - mehrere Amphoren Wein, Datteln, ein dutzend Ballen Seide und einige Töpfe Balsam verzeichnet. Nachdem der Beamte geflissentlich die daraus zu entrichtenden Zollabgaben berechnet hatte, wechselte auf wundersame Weise ein kleines Säckel gefüllt mit römischen Sesterzen den Besitzer und verschwand völlig ungerührt in den langen Gewändern des Hafenangestellten. Darauf unterzeichnete der Beamte das Papyrus mit seinem Signum und verließ wieder das Schiff.
Bald darauf kam dann auch die Sänfte und zur Überraschung Ioshuas war sein alter Freund und Geschäftspartner Rhabos mit im Gefolge. Er hatte natürlich brieflich von der Ankunft Ioshuas erfahren und wollte es sich nicht nehmen lassen, jenen persönlich am Hafen abzuholen. Die Sänfte wurde gestemmt von sechs stämmigen Sklaven, was bei dem Gewicht des Inhabers auch bitter nötig war.
"Rhabos, welch' Freude, Dich wieder zu sehen !" Ioshua schüttelte die Hand seines langjährigen Partners, worauf dieser entgegnete "Chaire Ioshua ben David, es ist auch mir gänzlich eine Freude. Wie ist Dir die Reise ergangen ?" - "Bei Gott, es war eine lange Zeit, und Alexandria hat sich kein Stück verändert. Doch halten wir uns nicht der Sentimentalitäten auf. Ich muß noch ins Hafenwärterhäuschen, einen alten Freund begrüßen. Bitte begleite mich doch !" Rhabos nickte mit dem Kopf und er setzte eine fröhliche Mine auf. Das gelang ihm dabei gar nicht so leicht, denn die Nachricht, die er Ioshua zu überbringen hatte, war alles andere als von froher Kunde. So folgte er seinem Partner und ehe sie sich versahen, waren sie auch schon um die nächste Ecke gebogen...