Wieder einmal stellte Scaevius Camerinus fest, dass das nächtliche Rom und die Aufgaben der Vigiles selbst langjährigen Bewohnern Roms nur diffus bekannt waren. Was andererseits kein Wunder war, waren das Rom bei Tage und das Rom bei Nacht doch zwei sehr unterschiedliche Welten. Aber Scaevius Camerinus war es gewohnt, das zu erklären. Interessanter Weise war das immer nur in die eine Richtung nötig, also denjenigen, die ihr Leben auf der Tag-Seite verbrachten, die Nacht zu erklären. Die nachtaktiven Bewohner Roms schienen die Tag-Seite von sich aus schon gut zu kennen.
"Ja, gemeinsame Streifen stelle ich mir schwierig vor", begann er seine Erklärung mit einer Zustimmung. "Dazu sind unsere Aufgaben einfach zu verschieden. Um mal gleich den Aspekt der rivalisierenden Banden aufzugreifen und es lapidar auszudrücken: Die sind euer Problem, nicht unseres. Und deshalb haben irgendwelche Banden auch keinen Grund, uns anzugreifen oder wir, Jagd auf sie zu machen." Da solche Aussagen für gewöhnlich auf irritierte Ohren stießen, sprach der Praefectus Vigilum gleich weiter. "Unsere primäre Aufgabe ist es, Rom vor Bränden zu schützen. Brände schaden allen. Sie zerstören jedem das Geschäft. Niemand profitiert von ihnen. Also sind alle froh, dass es uns gibt und dass wir unsere Arbeit machen, weil wir jedem helfen. Wirklich jedem. Es ist für unsere Arbeit egal, ob ein Mietshaus brennt, ein Betrieb oder ein Gaunerlager. Wir retten Menschenleben und sorgen dafür, dass das Feuer nicht größer wird. Und das sorgt für Respekt auf allen Seiten. Natürlich auch, weil jeder weiß, dass ein Vigil mit der Feueraxt sehr gewandt ist. Es ist uns egal, welchem selbsternannten Unterweltboss ein falsch geparkter Wagen gehört oder welchem armen Schlucker sein brandgefährlicher klappriger Marktstand. Wenn er im Weg ist, dann kommt er weg. Und wenn es der Eigentümer nicht erledigt, dann erledigen wir das. Ohne Ausnahme. Auch das schafft Klarheit." Der Praefectus machte eine kurze Pause. "Der Rest unserer Aufgaben ist unspektakulär. Den Karrenverkehr regeln, damit das nächtliche Chaos zumindest nicht noch größer wird, als es ohnehin schon ist. Entlaufene Sklaven einsammeln, wenn wir sie finden. Und Brandstifter jagen. Niemand mag Brandstifter. Alle sind froh, dass wir sie jagen." Es folgte eine weitere Pause. "Ich fürchte, ihr tretet mit euren Aufgaben deutlich mehr Leuten auf die Füße und macht euch unbeliebt. Da wundert es nicht, dass es Menschen gibt, die froh sind, dass die Urbaner bisher nicht nachts unterwegs sind. Wir sammeln zwar auch Diebe und Hehler und sonstiges Gesindel auf und bringen es zu euch, aber eben nur das, was uns im Rahmen unserer Aufgaben ohnehin in die Arme läuft. Wer so dumm ist, Hehlerware gerade dort herumliegen zu lassen, wo wir alle paar Tage zur Brandschutzkontrolle vorbei kommen, nun, der hat wohl auch nichts anderes verdient. Und wenn wir im Zuge einer Brandermittlung auf eine Bande stoßen, dann verschweigen wir das sicher nicht. Aber Verbrecherjagd im allgemeinen ist eben nicht unsere primäre Aufgabe und wer sich als Verbrecher nicht allzu dumm anstellt, der braucht die Vigiles nicht zu fürchten." Zumal die allermeisten Vigiles kein römisches Bürgerrecht hatte und es schon aus rein praktische Gründen einfacher war, als Ermittler primär solche Leute mit Bürgerrecht einzusetzen, wie man sie eben bei den Cohortes Urbanae fand.