Beiträge von Narrator Italiae

    Wer so energisch klopfte, mußte wohl wichtig sein. Sofort erscholl die Aufforderung zum Eintreten. Die Füße waren bis dahin vom Tisch und alles sah nach schwerer Beschäftigung aus. Vom gerade noch gemachten angenehmen Schläfchen war nichts mehr zu merken.

    Nachdem der Kaiser geendet hatte, gab der Chor noch ein weiteres Lied zum Besten, dann zog der Trauerzug in gewohnter Ordnung weiter. Die verblichenen Kaiser ließen ihre Sellae Curules zusammenklappen, die Repräsentanten der getöteten kaiserlichen Familie bestiegen ihre Bigae und die gesamte Gemeinde machte sich auf den Weg.


    Der Zug führte nochmals durch die halbe Stadt, vorbei an der Baustelle des Ulpianums, wo Valerianus eigentlich hätte bestattet werden sollen, vorbei am Forum Traiani, dem Adoptiv-Großvater des Verstorbenen und schließlich hinaus zum weitaus bescheideneren Familiengrab der Ulpier. Hier ließ sich noch erkennen, dass die Familie einst aus Hispania hierher übergesiedelt war, denn auch die Bestattung von Divus Iulianus hatte hier keine Änderung herbeigeführt. Das Mausoleum war nicht einmal zu einem Tempel für die beiden divinisierten Ulpier umfunktioniert worden.


    Da alle drei Leichname bereits verbrannt worden waren, hatte man auf einen Scheiterhaufen verzichtet. Stattdessen standen Praetorianer bereit, die trotz des Tageslichts brennende Fackeln hielten. Das schmiedeeiserne Gitter vor dem Eingang der Gruft stand weit offen, sodass der Kaiser direkt eintreten konnte.

    Fast ein bisschen amüsiert verfolgte der Duumvir, wie der junge Mann einen doch recht erstaunlichen Wandel zur Schau stellte und nun den braven, angepassten und lernwilligen Jungpolitiker gab, der folgsam durch die Anschauung der Älteren lernen wollte.


    "Schön, dass du es genauso siehst wie ich. Ich werde mit meinem Amtskollegen und den älteren Decurionen sprechen und ein gutes Wort für dich einlegen. Dann werden wir sehen, was sich ergibt."

    Dass der Iulier nicht so schnell aufgab, rechnete der Duumvir ihm durchaus hoch an. Noch hatte er ja auch gar nicht gesagt, wie nahe er selber eben jener Strömung ablehnend gestimmter Senatoren stand, die er eben beschrieben hatte.


    "Eben, genau das hat sich herumgesprochen und eben deshalb ist den meisten klar, dass du uns nicht ewig erhalten bleiben wirst. Und zweifellos ist es eine Ehre für die ganze Stadt, wenn einer unserer Decuriones in die Reihen des Senates aufgenommen wird, das ist gar keine Frage. Aber du musste es eben auch aus der Perspektive derjenigen sehen, die genau dies nicht schaffen. Schafft es an ihrer Stelle ein anderer Sohn der Stadt, dann können sie sich trotzdem mit freuen, denn Ostia und damit auch sie selber hatten einen Anteil daran. Ist es aber ein - überspitzt gesagt - dahergelaufener Jüngling, der ohnehin in den Senat kommen würde auf dem einen oder anderen Weg und für den Ostia ein austauschbarer Zwischenschritt ist, der genausogut in jeder anderen Stadt hätte stattfinden können, dann hat Ostia an diesem Erfolg eben keinen Anteil und es gibt keinen Grund, dich besonders zu unterstützen."


    Der Duumvir hätte es auch noch drastischer ausdrücken können, aber er verzichtete aus Höflichkeit darauf. Außerdem hielt er den Iulier keineswegs für dumm, so dass dieser sich die ablehnende Einstellung sicher selber noch schillernder ausmalen konnte.


    "Was am ehesten überzeugen wird sind Dinge wie Respekt, Selbstlosigkeit im Einsatz für Ostia und Demut, schätze ich. Wenn du jedem unter die Nase reibst, dass du eigentlich in den Senat willst und dich nach einem Jahr als Quaestor für fähig genug hältst, hier als Duumvir das Kommando zu übernehmen, dann trägt das sicher nicht dazu bei, dass du an Achtung gewinnst. Machst du aber deutlich, dass du hier bist, um zu lernen, Erfahrungen zu sammeln und Dinge zu leisten, für die du eben keine große Anerkennung auf dem Forum bekommst, dann wirst du dir Respekt erarbeiten können. Nicht umsonst ist nicht nur Tatkraft eine Tugend, sondern auch Bescheidenheit."

    Nach dem Erwachen erwartete ihn zunächst einmal der Unteroffizier, der die Männer zum zügigen Antreten beim Morgenappell anhielt, bevor es Frühstück gab und sich die Tirones dann wieder zum Fortsetzen der Grundausbildung auf dem Innenhof einzufinden hatten.

    Der Duumvir hörte aufmerksam zu und seine verzögerte Antwort lag vor allem daran, dass er seine Argumentation sorgfältig abwägt, ging es doch eben um das Wohl der Stadt, die ihm am Herzen lag.


    "Nun, deine Frage nach dem Urheber der Lex Municipialis ist vermutlich sogar die Antwort auf die anderen Fragen. Und deine Ausführungen widerlegen selbst, dass es sich bei der Abneigung in der Curia gegen deine Person nur um billige Vorurteile handelt. Es gab sie tatsächlich, die Fälle junger Männer, die sich einst für die Stadt einsetzten, weil sie dies als lukratives Sprungbrett für eine weitere Karriere betrachteten, die dann aber die sich bietenden Chancen und Verlockerungen nutzten, um irgendwo im Imperium unterwegs zu sein, wie du es ausdrücktest. Du wirst verstehen, dass dies bei jenen Männern, die Ostia und nur Ostia als ihre Heimat betrachten, ein mieses Gefühl hinterlässt und es daher Strömungen gibt, die verhindern wollen, dass junge Männer hier einfach nur für ein paar Jahre ein Gastspiel geben und dann wieder verschwinden. Es hinterlässt nämlich einfach ein schlechtes Gefühl, wenn ein Mann von nicht einmal 20 Jahren, der vor wenigen Jahren noch nicht einen einzigen Schritt in dieser Stadt gemacht hatte, in der Curia Sitz und Stimme hat und damit genauso viel zu sagen hat wie andere, die seit Generationen am Wohl dieser Stadt beteiligt sind. Noch dazu, wenn diese jungen Männer dann nach wenigen Jahren wieder verschwinden und ihr Wirken in Ostia nur als kleinen, unbedeutenden Schritt in ihrem Leben betrachten werden. Das ist für manche mit der Leidenschaft, die sie selber dieser Stadt entgegen bringen, einfach nicht vereinbar."

    Von der Porta Capena schob sich der Leichenzug durch die ganze Stadt bis zum Forum Romanum, vorbei am Circus Maximus und um den Palatin herum. Die Straßen waren gesäumt vom Volk, das sich teils trauernd, teils neugierig oder schlichtweg gierig auf eventuelle Geschenke hinter der Absperrung durch die Cohortes Urbanae drängte.


    Auf dem Forum teilte sich der Zug schließlich rund um die Rostra: Vor ihr nahmen die Darsteller der vergöttlichten Kaiser auf Sellae Curules Platz, während die Magistrate und Senatoren die Laudatio Funebris stehend hören mussten. Nur für die Frauen der Senatoren und angesehenen Equites hatte man eine Tribüne errichtet, während zur Linken ein Chor aus Sprösslingen angesehener Familien ein Trauerlied zum Besten gab.

    Natürlich hatte man den Leichnam des Valerianus und seiner Familie eingeäschert, als nach dessen Ermordung lange Wochen der Verwirrung dazu geführt hatten, dass die Verwesung nach den Körpern der kaiserlichen Toten griffen. Zwar wäre damit immer noch eine ähnliche Beisetzung wie bei Iulianus möglich gewesen, doch hatte der neue Princeps sich für eine Modifikation der traditionellen Pompa Funebris entschieden, die ihm selbst eine wichtigere Rolle zusprach:


    Angeführt von Liktoren, einer Eskorte und Musikanten folgten zwar ebenfalls maskierte Schauspieler, die die verstorbenen Vorgänger des Valerianus darstellten: Iulianus, Trajan, Nerva, Titus, Vespasian bis hin zu einem jugendlichen Augustus, darüber hinaus berühmte Generäle wie Divus Iulius, Pompeius, Marius oder Scipio Africanus. Dann aber wurde die getötete kaiserliche Familie nicht wie üblich auf Totenbetten getragen, sondern zwei Schauspieler mit Masken des getöteten Maioranus und der Livilla Ulpia Lucilla hielten, jeweils auf einer Biga stehend, die goldenen Urnen in ihrem Arm. Dann folgte eine prächtige Quadriga mit vier nachtschwarzen Pferden, auf der aber nicht ein Schauspieler, sondern der amtierende Kaiser Potitus Vescularius Salinator selbst fuhr und die mit Rubinen besetzte Urne von Valerianus im Arm hielt!

    Ein langsames Nicken des Duumvirs begleitete die Antwort, aber es war nicht unbedingt ein zustimmendes Nicken. Bei einer Antwort, die gleichzeitig ein Ja und ein Nein war, war das aber auch nicht verwunderlich.


    "Also kein langfristiges Bekenntnis zu Ostia als deiner Wirkungsstätte. Ich will ehrlich sein: Diese Antwort überrascht mich nicht und sie wird sicher auch viele andere Männer in der Curia nicht überraschen. Lass' es mich so ausdrücken: Dass einige Männer jede sich bietende Chance genutzt haben, deine Vorschläge zu kritisieren und lächerlich zu machen, hat auch damit zu tun, dass ihnen eben jenes Bekenntnis fehlte. Wie soll man einen Mann ernst nehmen, der Gesetze für eine Stadt erfindet, in der er gar nicht langfristig zu leben gedenkt? Wie willst du der Verantwortung gerecht werden, die du gegenüber Ostia nach einer Aufnahme in die Curia hättest, wenn deine Gedanken bei deiner Karriere in Rom sind? Diese Frage stelle nicht nur ich mir, sondern diese Frage haben sich viele gestellt. Und an ihren Reaktionen kannst du erkennen, wie sie sie beantwortet haben."

    Die nebulösen Antworten beantworteten zwar nicht wirklich die gestellte Frage, machen den Decurio aber zumindest neugierig. "Das sagt mir zwar gar nichts, aber das kann der Senator mir dann ja persönlich genauer erklären. Richte ihm also meine Grüße und meine Zusage aus. Ich freue mich, sein Gast in Rom sein zu dürfen."

    Die Antwort des Iuliers fiel nicht ganz so eloquent aus, wie der Duumvir sich erhofft hatte. Daher hakte er noch einmal nach, zumal er dem jungen Mann einiges an Alter und Lebenserfahrung voraus hatte und sich daher zu solchen Gesprächen nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet fühlte.


    "Und welche Lehren hast du demnach aus den eben genannten Tiefschlägen gezogen, um es in Zukunft besser zu machen?"

    Sehr tragisch. Die Familie war also der Seuche zum Opfer gefallen. Konnte kein großer Verlust sein, der Name sagte dem Scriba so gar nichts. Er aß noch eins von diesen köstlichen Stückchen und ließ sich Zeit dabei. Erst danach beantwortete er die ungeduldigen Fragen der jungen Frau. „Die Gebühren sind wöchentlich zu entrichten. Die Genehmigung kannst Du in drei Tagen abholen. Und ja, ich denke monatlich reicht durchaus aus. Gib die Proben einfach bei mir hier ab.“

    Auch wenn der Duumvir noch mit seinen Notizen beschäftigt wirkte, hörte er doch zu, was der Iulier ihm antwortete. Immerhin war schon gesagt, worum es ging und die Aufnahme eines neuen Decurio war in den Augen des Duumvirs keine Formsache, die einfach so abgehandelt wurde.


    "Ja, solange man aus Rückschlägen auch seine Lehren zieht und nicht nur stur weiter an dieselbe Stelle gegen die Wand rennt, sollte man sich von ihnen nicht entmutigen lassen, das ist wahr. Du siehst also nun keine notwendige Phase der Sammlung, sondern möchtest möglichst bald wieder in der Curia erscheinen, diesmal in den Reihen der Decuriones?"

    Jetzt war der Decurio aber doch richtig überrascht. "Eine Einladung nach Rom? Zu Senator Iulius Centho?" Er konnte sich nicht erinnern, dass er den Mann überhaupt schon einmal getroffen hatte oder in einer sonstige engeren Beziehung zu ihm stand. "Wie komme ich denn zu dieser Ehre? Ein größeres Geschäft, sagst du? Weisst du genauer, worum es geht?"