Beiträge von Herminia Tarpa

    Papiria Occia führte Calvina aus der Regia hinaus und den kurzen Weg hinüber zum Atrium Vestae. Vor dem Eingang blieb sie stehen und wandte sich an ihre neue Schülern.


    "Ich bin Papiria Occia, wie du schon gehört hast. Ich werde dir bei alle Fragen, die dir kommen behilflich sein, insbesondere natürlich im Unterricht. Ich selbst werde dich ebenfalls unterweisen, allerdings nicht allein.


    Bist du bereit, dein neues Heim zu sehen?"


    fragte sie dann. Natürlich wusste jeder, dass es etwas ganz Besonderes war, das Atrium zu betreten: Nur die Vestalinnen hatten dort Zutritt - und vielleicht der Pontifex Maximus als ihr "Vater".

    Beinahe hätte Pomponia Pia einen etwas unfreundlichen Blick aufgesetzt, als sie die Unsicherheit des Kaisers in dessen Augen sah. Hatte dieser Caesar sich etwa nicht so eingehend mit den Regeln und Aufgaben des Oberpontifikats beschäftigt? Für die Virgo Vestalis Maxima war der Erhalt der Pax Deorum die wichtigste und vornehmste Aufgabe eines jeden Kaisers, daher hatte sie kein Verständnis für Unsicherheiten.


    "Richtig, Pontifex Maximus."


    antwortete sie dann knapp und trat zurück, während sie Sergia Calvina vor Valerianus stehen ließ. Die Vestalinnen platzierten sich rechts und links von ihrem "Vater" und warteten dort auf die neue Schwester.




    Nachdem die Sergierin vorgestellt worden war, warteten die Vestalinnen eine Weile. Pomponia Pia ging langsam auf und ab. Nachdenklich blieb sie schließlich stehen.


    "Ich denke, wir fangen an. Wir müssen die Captio ja ohnehin einzeln durchführen."


    meinte sie dann schließlich. Vielleicht war Decima Pulchra krank? Dann war es allerdings sehr unhöflich, keine Entschuldigung zu schicken - die Vestalinnen waren schließlich wichtige Priesterinnen!




    Pomponia Pia, die Virgo Vestalis Maxima, begrüßte Sergia Calvina mit einem knappen Nicken, als jedoch der Pontifex Maximus eintrat, ging sie auf ihn zu und begrüßte ihn mit einem Kuss auf die Wange, wie es sich für ein "Kind" gehörte.


    "Sei du uns gegrüßt, Pontifex Maximus. Sorge dich nicht, zwei Schwestern wachen darüber, aufdass es nicht erlösche."


    antwortete sie, wobei ihr ernsten Tonfall verriet, dass auch die Kussgeste nicht von Herzen, sondern lediglich der Tradition entsprungen war.


    "Dies ist Sergia Calvina. Sie möchte der Vesta dienen."


    stellte sie das Mädchen vor, wobei sie sich umdrehte und Calvina an der Schulter ergriff und ein wenig herbeizog.




    Am festgelegten Tag hatten sich fast alle Vestalinnen (einige hatten selbstverständlich Dienst am ewigen Herdfeuer) in der Regia zusammengefunden, um der Captio zweier neuer Jungfrauen beizuwohnen, die ihr neuer Vater - zumindest rein rechtlich gesehen - vollziehen würde.

    Die Vestalin nahm das Schreiben und überflog es kurz. Tatsächlich gab es nichts auszusetzen. Sie nickte und fixierte Pulchra wieder.


    "Gut, sobald Valerianus zum Pontifex Maximus gemacht ist, wird er über dein Ansuchen informiert werden. Sollen wir dich informieren, wenn er sich entschieden hat?"

    Ein toter Vater aus Ägypten? Das war ja interessant...dennoch meinte die Vestalin nur


    "Das muss der Pontifex Maximus entscheiden. In Kürze wird Aelianus Valerianus in Rom erscheinen und die Würde auf sich nehmen. So lange wirst du, so fürchte ich, noch warten müssen.


    Sollen wir dich anschreiben, wenn der Pontifex Maximus sich entschieden hat?"


    Mamilia Vitula ärgerte sich sehr, dass sie dem jungen Mädchen keine klarere Auskunft geben konnte, aber die Regeln bei den Vestalinnen waren streng und ihre Einhaltung für die Frieden mit den Göttern von entscheidender Wichtigkeit!

    Wie üblich, wenn junge Mädchen mit diesem Anliegen bei ihr auftauchten, stimmte dies die ältere Vestalin nicht freundlicher - eher kritischer! Wie viele Mädchen waren schon für diesen Weg geeignet?


    "Hast du dir das auch gut überlegt? Und vor allem hat sich das dein Vater gut überlegt?"


    Eine Vestalin als Tochter zu haben war prestige-trächtig, dennoch bevorzugten es viele Väter, ihre Töchter zur Besieglung von Familienbündnissen zu verheiraten.

    Sim-Off:

    Verzeihung, ich habe das total übersehen!


    Kaum hatte Calvina das zweite Mal geklopft, da wurde die Tür auch schon aufgerissen und die Vestalin Mamilia Vitula, deren Haar nur halb von dem traditionellen Kopftuch bedeckt war - offensichtlich hatte sie es rasch aufgesetzt, um die Tür zu öffnen - stand da. Sie musterte die Sergierin etwas misstrauisch, dann fragte sie


    "Was willst du?"

    Mamilia reckte den Hals, um festzustellen, ob das Mädchen ihren Vater mitgebracht hatte. Irgendjemand musste sie schließlich aus seiner Patria Potestas entlassen. Da sie jedoch niemanden entdeckte, fragte sie gleich weiter.


    "Und wie heißt du? Und hast du auch eine Einverständniserklärung deines Vaters?"


    Manch reicher Senator entließ seine Tochter nicht gern aus der eigenen Macht - konnte er sie so doch nicht mehr mit politischen Freunden verheiraten!

    Die Vestalin blickte Pulchra kritisch an. Diese jungen Mädchen...Mamilia beneidete sie um ihre Jugend! Sie hatten noch so viel Zeit vor sich, während sie schon langsam alt wurde...


    "Hast du dir das auch gut überlegt?"


    fragte sie sicherheitshalber nach. Nicht, dass sie da wo hineingeriet, wo sie nicht hinwollte...

    Pomponia Pias Blick ruhte auf dem Haruspex, der extra persönlich vom Haruspex Primus für dieses Opfer eingeteilt worden war. Doch dieser schien auch nach ausführlicher Überprüfung der Vitalia keine Ungewöhnlichkeiten feststellen zu können.


    Daher blickte er zur Virgo Vestalis Maxima und nickte langsam, woraufhin diese ihren Blick zum Himmel hob und laut


    "Litatio!"


    ausrief. Damit begannen die Opferhelfer, die Ziegen zu zerlegen und Pomponia Pia sich zu ärgern, dass es heute Ziegenfleisch geben würde. Sie hasste Ziegen!


    Die Leute hingegen konnten nun nach Hause gehen und ihr Picknick auf den Gräbern vorbereiten. Oder auch nur ein häusliches Opfer abhalten.




    Die den Regeln der Vestalinnen entsprechend ungeschminkte, über vierzigjährige Pomponia Pia ließ sich nun die Opfertiere vorzeigen. Mit Mola Salsa weihte sie die Ziegen den Manen des Staates und der Kaiser, dann ließ sie sich von einer Mitschwester das reich verzierte Culter reichen.


    Langsam zog sie es jeder der drei Ziegen über den Rücken, vom Kopf bis hin zum Schwanze. Erst so waren die Tiere rituell gereinigt und entkleidet.


    "O divi parentes, Manes Augustorum!
    Wie ihr die Res Publica schützt, den Lenkern des Staates Weisheit schenkt, wie ihr seid Menschengedenken das römische Volk der Quiriten, eure Söhne und Töchter begünstigt,
    so bitten wir, wie wir durch das Opfer von Getreide, Salz, Brot und Wein gut gebeten haben, auch durch das Opfer dieser makellosen Ziegen um unser Wohl und euren Schutz für das Werdendende, aufdass wir die Bitten im folgenden Jahr erneut an Euch richten können, verbunden mit dem gleichen Opfer."


    Nun folgte ein kurzes Trankopfer, ehe die drei Opferdiener die Ziegen packten und ihre Messer blank zogen. Die Tiere blökten kläglich, doch unbarmherzig hielten die jungen Männer sie in eisernem Griff und der mittlere hob die Augen zur Virgo Vestalis Maxima.


    "Agone?"


    "Age!"


    befahl Pomponia Pia und hoffte damit, ihrem Cognomen, der ihre Frömmigkeit unterstrich, gerecht zu werden.


    Fast gleichzeitig stießen die drei Messer in die Kehlen der Ziegen und so erschlafften auch alle drei Tiere nahezu in der gleichen Sekunde und hauchten ihr Leben aus. Rasch fingen weitere Helfer das Blut der Tiere auf, doch die drei Opfermetzger ließen ihre Opfer fallen und begannen damit, sie noch auf dem Tempelplatz auszuweiden. Schleimig wirkende Innereien wurden in wunderbar goldene Schalen gelegt, sodass das Blut aus ihnen herausströmte und einer Suppe gleich in der Schale schwappte.


    Nun war der Augenblick des Haruspex gekommen. Vorsichtig nahm er die erste Schale entgegen, hob etwas heraus, das ein Kenner als Herz identifizieren würde, kontrollierte es, legte es zurück und griff zur Leber, dem wohl aussagekräftigsten Organ...




    Der Herold der Vestalinnen trat hervor und eindringlich erklang sein Ruf über das Forum.


    "Favete linguis!"


    Das fröhliche Gemurmel, das zwischen manchen aufeinandertreffenden Bekannten und Freunden entstanden war, erstarb und Pomponia Pia trat hervor. Mit eisigem Blick musterte sie die erste Reihe der Zuschauer, dann trat sie an den Foculus heran.


    Die Opferdiener zogen die drei Ziegen in den Kreis. Zwei folgten behäbig, die dritte jedoch musste mit sanfter Gewalt herbeigebracht werden. Die vergoldeten Hörner funkelten dennoch beachtlich in der matten Februar-Sonne.


    Langsam umschritt die Virgo Vestalis Maxima die drei Tiere, ihre gesenkten Augen auf das Finden jedes noch so kleinen Makels fixiert. Doch offensichtlich war nichts zu finden, denn sie nickte fast unmerklich den Dienern zu und diese zogen sich mit den Tieren zurück.


    Die Obervestalin jedoch begann mit dem Voropfer. Da sie den Manen opferte, gab es keine Statue. Stattdessen wurden die Opfer einfach vor dem Tempel präsentiert.
    Doch zuerst wurde ein wenig Weihrauch auf dem Foculus verbrannt, sodass sich der angenehme Duft über das Forum verbreitete (beziehungsweise über die ersten Reihen).


    "O divi parentes, Manes Augustorum! Wie ihr die Res Publica schützt und begünstigt seit alters her, so bitte ich euch durch dieses wie durch all jene jährlichen Opfer von Getreide für die Zukunft um Euren Schutz."


    Sie nahm eine goldene Schale, in der Getreidekörner aufbewahrt wurden, und hielt sie hoch. Dann wandte sie sich um und stellte sie auf einen kleinen, tragbaren Altar.


    "O divi parentes, Manes Augustorum! Wie ihr die Res Publica schützt und begünstigt seit alters her, so bitte ich euch durch dieses wie durch all jene jährlichen Opfer von Salz für die Zukunft um Euren Schutz."


    Nun ließ sie sich eine zweite Schale mit feinem, weißen Salz reichen. Erneut widerholte sich das Ritual und stellte sie neben das Korn. Auch ein Stück Brot, das mit Wein getränkt wurde, fand so seinen Platz auf dem Tisch.


    Zuletzt ließ sich Pomponia Pia die Hände waschen, dann war sie bereit für das blutige Opfer.




    Am Mittag der Iden des Februar sollte das große Opfer, das die Parentalia, jene uralten Feiertage zu Ehren der göttlichen Ahnen einleitete, beginnen. Der Platz vor dem Tempel der Vesta, in dem das heilige Herdfeuer bewahrt wurde, war von den Amatae des Vestakultes gereinigt worden und reichlich mit Veilchen und Girlanden geschmückt worden.


    Die Ziegen, die heute den Ahnen (und nicht zuletzt dem jüngst verstorbenen Kaiser Iulianus) geopfert werden sollten, standen unter der strengen Aufsicht eines Minister in der Ecke und drängten sich angesichts der vielen Menschen eng zusammen.


    Die neu erwählte Virgo Vestalis Maxima Pomponia Pia, eine recht alte Vestalis Aeterna aus nobilitärem Hause, erschien gemeinsam mit ihren Vestalinnen. Langsam schritt die Schwesternschaft aus dem Atrium Vestae und bildete schließlich einen Halbkreis vor dem Tempel, sodass ein Foculus das Zentrum des Kreises bildete.




    Die Vestalin ließ sich nicht von der Höflichkeit der jungen Männer beeindrucken, sondern nahm wieder wortlos die Liste und verschwand (nicht ohne ohne Vorwarnung die Tür zuzuschlagen). Es dauerte geraume Zeit, ehe sie zurückkehrte und die Tür öffnete.


    "Keine Testamente. Scheinbar versteckt man seine Testamente heutzutage lieber bei seinem Bankier...die Götter sind wohl nicht vertrauenswürdig genug..."


    murmelte sie mehr zu sich selbst und gab die Liste zurück. Als letzte Freundlichkeit hatte sie dann noch ein


    "Valete."


    zu bieten, ehe sie die Tür wieder zuknallte und die beiden Männer in der Wintersonne stehen ließ.

    Eine Vestalin öffnete - die gleiche Alte, wie beim letzten Besuch. Mürrisch blickte sie die jungen Herren an.


    "Was wollt ihr? Testamente?"


    Sie schien sich an Ursus zu erinnern.

    Die Alte packte die Liste und schloss einfach wieder die Tür, dass es knallte. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, ehe sie zurückkehrte und sich die Tür wieder öffnete.


    Sie schüttelte nur den Kopf.


    "Keine Testamente hinterlegt. Vale!"


    Dann schlug sie die Tür wieder zu und die beiden Beamten standen allein da.