Original von Tiberia Lucia
Die Sonne war schon seit einigen Stunden untergegangen und Lucia spürte eine bleierne Müdigkeit in sich aufsteigen. „Wie lange noch?“, fragte sie ungeduldig und nicht zum ersten mal. Ihr Ärger war alles was siench wach hielt, also klammerte sie sich eisern daran fest und ihre Sklaven bekamen das deutlich zu spüren. „Nur noch einen Moment, Domina. Man kann noch die letzte Spitze der Sichel erkennen.“, brachte Sekunda sie auf den neusten Stand. Lucia nickte grimmig.
Vor ihr lag alles bereit. Die tabellae defixionum war in drei Teile gebrochen worden. Drei Teile des gemeinsamen Fluches. Der Griffel, mit dem Lucia gleich die Schriftzeichen in das weiche Metall ritzen würde, waren zugespitze Hühnerknochen, um die das Blei auch anschließend gewickelt werden würden. Die einzelne Kerze, die allein lichtspenden sollte, stand noch unangezündet am anderen Ende des Tisches. Die Dunkelheit war Lucias Verbündete bei diesem Vorhaben. Aktuell herrschte fast absolute Dunkelheit, nur durch das Fenster aus dem Sekunda blickte fiel ein wenig Licht von den Nachbarn herein. Lucia wappnete sich innerlich. Sie hatte keine Angst, sie war bereit, mehr als bereit! Ihr Bruder hatte sie einmal zu oft herausgefordert!
„Es ist so weit, Kind.“, flüsterte Sekunda und zog einen schweren Stoff vor das Fenster. Jetzt war es absolut dunkel. Noch einmal atmete Lucia tief durch, dann entfachte sie einen Glimmspan an einer abgedunkelten Laterne, die sie sofort darauf ausblies. Die Kerze zischte, als das Feuer den Docht berührte, flackerte und wäre beinahe verloschen. Dann fing sie sich jedoch und erzeugte eine kleine gleichmäßige Flamme, welche den Raum mit sanftem Licht erhellte.
Lucia griff nach dem ersten Hühnerknochen und dem ersten dünnen Bleistück. „Ich bin Tiberia Lucia, Tochter der Horatia Priscilla und des Decius Tiberius Metellus“, stellte sie sich der Nacht mit leiser, aber entschlossener Stimme vor. „Ich verfluche meinen leiblichen Bruder, Lucius Tiberius Lepidus.“ Die Spitze des Kochen wurde ins Metall gerammt und kratze in ungleichmäßigen Zügen die ersten Buchstaben hinein. „Ich rufe Dius Fidus und verfluche Lucius Tiberius Lepidus! Ich raube ihm seine Verbindung zu Minerva!! Keines seiner Opfer soll sie erreichen. Die Göttin soll ihm ihre Gunst entziehen und nie wieder gewähren! Ich binde Lucius Tiberius Lepidus vor Minerva! Ich zerstöre seine Bindung zu Tiberinus! Keins seiner Opfer soll ihn erreichen! Der Gott soll vergessen, dass er existiert! Ich binde Lucius Tiberius Lepidus vor Tiberinus!“ Lucia widerholte die Worte wieder und wieder, so lange wie sie brauchte die Worte niederzuschreiben. „Defigo!“ Zum Abschluss stach sie den Hühnerknochen nocheinmal so fest in das Blei, dass ein Loch zurück blieb. Hastig wickelte sie den Fluchtext um den Knochen und sicherte ihn mit einem bleiernen Ring.
Anschließend holte sie einmal tief Luft und griff zum nächsten Griffel. „Ich rufe Dius Fidus und verfluche Lucius Tiberius Lepidus! Aradia vernebele ihm die Sinne! Lass ihn nicht mehr klar denken! Furien verdreht seine Gedanken! Zerreißt sie in Stücke! Summanus verdunkele seinen Geist! Ich verfluche Lucius Tiberius Lepidus, sein Verstand soll schwinden!“ Wieder wiederholte sie die Worte so oft wie es nötig war den Flzch niederzuschreiben und beendete ihre Arbeit mit einem noch entschiedeneren „Defigo!“ Auch dieses Bleistück wurde um den Hühnerknochen gewickelt und mit einem Ring gesichert.
Ein letztes Mal sammelte Lucia alle negativen Emotionen, die sie mit ihrem Bruder verband. Wut, Enttäuschung, Zorn, Bitterkeit, Frust und der so tief sitzende Groll. „Ich rufe Dius Fidus und verfluche Lucius Tiberius Lepidus! Bona Dea gewähre ihm nur Töchter! Lass jedes seiner Kinder ein Mädchen sein! Panacea lass einen männlichen Samen verdorren! Ihm soll kein Erbe geboren werden! Perfica versage ihm deine Gunst! Lass ihn nie Vater eines Sohnes werden! Ich verfluche Lucius Tiberius Lepidus aus seinen Lenden soll kein Sohn entspringen!“ Die Worte wiederholten sich und wurden mit einem weiteren „Defigo!“ besiegelt. Der letzte Teil des Fluches wurde ebenfalls um sein Entstehungswerkzeug gewickelt und mit einem dritten Ring verschlossen.