Beiträge von Tiberius Annaeus Sophus

    Der Augur lächelte.


    "Ich kann es allein übernehmen. Wenn mehr Auguren hinzugezogen werden sollen, so ist dies deine Entscheidung. Ein wichtiger Tempel mag von mehr Auguren besehen werden. Doch ist auch dies eine Frage der religiösen Einstellung und eher eine theoretische als eine praktische Frage.
    Überlege dir, was du vorziehst."


    Einen kurzen Moment lang schwieg er, dann schien ihm etwas einzufallen.


    "Und du wirst bei der Dedicatio auch den Gott benennen werden müssen, dem der Tempel letztlich geweiht werden soll. Also sollte bis dorthin dein Beschluss unumstößlich sein."

    Sophus nickte langsam.


    "Eine Reinigung des Grundstücks von Geistern wird noch erforderlich sein und du wirst die Dedicatio durchführen müssen, um dieses Grundstück als heilig zu erklären. Danach wird die effatio erfolgen, um den spezifischen Grundriss zum Tempel zu erklären. Das erste, die literatio, und die effatio wird durch einen Auguren durchgeführt.
    Ich schlage vor, alle drei im Rahmen eines Festaktes zu vollziehen, wenn du weißt, wie exakt der Tempel zu bauen ist. In jedem Fall kannst du dieses Gebiet grundsätzlich verwenden."


    Er lächelte.

    Sophus nickte langsam und begann, ruhig zu sprechen.


    "Ich sah, wie der Vogel kam und sich auf eine Stelle im Tempelbezirk niederließ. Man mag meinen, dies spräche für eine andere Platzierung, doch ist die Fragestellung hier eine andere. Es geht ebenfalls darum, zu entscheiden, ob bereits Götter diesen Platz bewohnten. Hätte sich die Taube also für exakt diesen Platz entschieden, so wäre doch der Schluss gewesen, dass eben jener Platz bereits für einen Gott bestimmt gewesen wäre.
    Vielmehr jedoch hat sich eben jenes Tier an einen anderen Ort gesetzt und mich betrachtet. Es bedeutet also, es war ein Zeichen der Götter an uns, und sie straften uns nicht mit Missachtung.
    Ob tatsächlich die Götter dich ausersehen haben, hier einen Tempel zu bauen, weiß ich noch immer nicht. Ich bin jedoch sicher, dass sie dein Tun sorgsam betrachten und keine Ablehnung dir gegenüber zeigen.
    So versuche, zu handeln, wie zu handeln ist."


    Der Alte wusste, dass dieser Spruch nicht eindeutig war und ihn sicher nicht bei jedem beliebt machte, doch war er sich ebenso sicher, dass er in seinem Alter nicht mehr darauf zu achten brauchte, wie seine politische Lage war. Es war das, was er meinte, gesehen zu haben. Nichts weiter.

    DieTaube kam näher, wenn auch nicht zu nah. Langsam verringerte sie ihre Flughöhe, bis sie hinter einem Dach verschwand. Doch Sophus wandte sich noch nicht ab. Das Tier mochte noch etwas tun.
    Ein Flügelschlag und die Taube erhob sich wieder. Sie machte eine rasche Kurve, senkte sich weiter und landete schließlich im Tempelbezirk auf dem Boden - einige Meter von Sophus entfernt, der wieder einmal seinen Kopf drehen musste.
    Das Tier pickte auf dem Boden herum, als suche es Futter, das nicht da war, und hob immer wieder den Kopf. Es schien zum templum herüber zu blicken. Doch die Augen waren weder erkennbar, noch erschien es Sophus sehr aussichtsreich, den Blick des Vogels zu lesen.
    Etwa drei Minuten dauerte es, bis die Taube wieder mit den Flügeln schlug und noch einen Moment lang auf dem Boden blieb, ehe sie wieder davonflog, über den Kopf des alten Auguren und das Grundstück hinweg. Allerdings meinte Sophus noch, ein Gurren des Tieres zu vernehmen.
    Als der Vogel verschwunden war, nickte Sophus noch einmal, murmelte eine kurze Gebetsformel und ging bedächtig und langsam zu Modestus.


    "Salve, Modestus. Es freut mich, dass du kommen konntest.
    Leider nahm es etwas Zeit in Anspruch, aber ich denke, ich kann etwas aus dem Geschehenen erkennen."


    Er lächelte freundlich und sah Modestus in die Augen, sprach aber noch nicht weiter.

    Ein Vogel.
    Darauf jedenfalls wartete der alte Augur. Er bewegte sein Gesicht kein bisschen und nur sein sanfter Blick streifte ziellos über den Himmel und suchte nach einem Vogel, einem Anhaltspunkt, einem Zeichen.
    Ein Gewitter hätte selbstverständlich auch interpretiert werden können, doch war ein solches hier nicht zu erwarten. Nicht so plötzlich.
    Doch der Himmel schien leer zu bleiben. Geradezu unheilvoll schienen sich die Wolken über dem Platz zu bewegen und die Langsamkeit ihrer Bewegung schien Sophus geradezu zu verspotten. Während sie gemächlich daherzogen lief für den Alten die Zeit.
    Er spürte, wie er mit der Zeit nervös wurde. Und er spürte, dass er schon lange nicht mehr ein wirklich wesentliches Götterurteil erfragt hatte. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und sein Blick huschte noch rascher umher.
    Etwa eine Stunde dauerte es, bis sich tatsächlich etwas regte.
    Eine Taube.
    Sie war als schwarzer Punkt in seinem Blickwinkel aufgetaucht. Sofort drehte er seinen Kopf ein winziges bisschen und folgte ihren Bewegungen am Horizont.
    Lange würde es nicht mehr dauern.

    Sophus stieg aus der Sänfte und murmelte ein "Danke."
    Dann sah er sich um.
    Er machte ein paar Schritte nach vorn, um das gesamte Umland besser überblicken zu können. Seine Augen kniff er etwas zusammen, als wollte er etwas in der Ferne erkennen. Dann wieder musterte er einen Moment lang das Unkraut auf dem Boden und einzelne Schutthaufen.
    Dem alten Mann schienen all diese Dinge etwas zu sagen. Jedenfalls reagierte er zuweilen mit einem Nicken, manchmal mit einem nachdenklichen Blick und - oftmals - mit einem Blick in den Himmel.
    Schließlich nahm er seinen Krummstab und zog die Grenzlinien des rechteckigen templums nach. Ein feiner Strich in der Erde markierte dabei diese Linien.
    Er trat in die Mitte des templums und richtete sich nach Süden aus. Ruhig sah er in den Himmel. Das konnte einige Zeit benötigen ...

    Sophus sah ein wenig belustigt dem Gerade der Träger zu, bis Chion es unterbrach. Als der Diener den Vorhand zur Seite zog, nickte der alte Augur ihm zu, trat heran und legte sich - von einem wohligen Brummen begleitet - in die Sänfte. Noch einmal nickte er Chion zu und wartete darauf, dass die kurze Reise begann.

    Sophus trat ins Peristylium und sah in den Himmel. Es war eine angenehme Wärme. Er ging langsam zwischen den Säulen umher, bis er schließlich stehen blieb und wartete. Wieder eine Beobachtung, wieder ein bedeutendes Schicksal.
    Und wieder gab es Dinge, die ihn befangen machen mochten.
    Nahmen die Götter Rücksicht oder tat er es? War sein Wort immer das der Götter?
    Wieder solche Gedanken ...

    "Sehr gut." sagte der alte Augur, aß noch ein paar Trauben, leerte seinen Weinbecher und erhob sich.


    "Gibt es noch etwas, dass du mit mir besprechen möchtest? Ansonsten werde ich mich vorerst ins Peristylium verabschieden."

    Sophus nickte auf Modestus' erste Antwort und aß noch einige Trauben, während der Duumvir sprach.


    "Ich habe in Hispania und davor in Germanien schlimmeres überstanden."


    Er schmunzelte.


    "Ich denke, dieses Essen hat mich ausreichend wiederhergestellt. Wir können uns noch heute aufmachen, ja. Auch wenn ich die Gelegenheit eines Aufenthalts im Peristylium natürlich nicht verschmähte."

    "Ich werde nichts zerstören, er muss sich also keine Sorgen machen. Vielleicht kennt er das Ritual sogar. Ich muss lediglich mit dem Krummstab die Grenzen des templums ziehen und dann nach den Zeichen Ausschau halten. Ich nehme also an, dass er sein Einverständnis geben wird. Ich kann zur Not auch selbst mit ihm sprechen."


    Er nahm sich noch eine Traube, steckte sie jedoch noch nicht in den Mund.


    "Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich weiteresse?"

    Sophus trank noch einen Schluck Wein. Dann nickte er.


    "Ja. Wenn du bereits einen Bauplatz im Auge hast, müsste ich meine Überprüfung dort durchführen. Ansonsten sollte ein freies Feld vor der Stadt ausreichen. Und dann wollen wir sehen, was die Götter mir zeigen."


    Er lächelte.


    "Alles hat eine Bedeutung."

    Sophus tat es ihm gleich und griff zum Wein.


    "Natürlich. Das ist meine Aufgabe. Ich denke, wir sollten das baldmöglichst umsetzen. Wann kannst du etwas Zeit erübrigen? Ich denke, du möchtest dabei sein."

    Während Modestus, aß der Augur weiter. Dann antwortete er:


    "Nun, bei dieser Wahl kann ich dir kaum helfen. Es sei denn, du verwendest einen Bauplatz, der bereits früher einem Gott geweiht war. Dann wirst du den Tempel entweder ihm weihen oder aber einen anderen Platz wählen müssen. Auch kann ich natürlich in Erfahrung bringen, ob die Götter im Allgemeinen deinem Vorhaben zustimmen. Aber den richtigen Gott kann ich dir nicht wählen.
    Ich gehe jedoch davon aus, dass du dich ausreichend in und mit Mantua auskennst, um die rechte Wahl zu treffen.
    In jedem Fall ist der Gedanke jedoch der richtige. Ein Tempel wird sowohl deinen Namen als auch den der Götter wieder in Erinnerung rufen - wenn dies nötig werden sollte."

    Noch bevor Sophus antwortete probierte er etwas von dem Wein und nickte zufrieden, nachdem er geschluckt hatte. Dann nahm er sich zwei Trauben und aß sie, auch hier wieder zufrieden nickend. Nachdem er das - etwas langsam - ausgeführt hatte, sprach er schließlich wieder.


    "Ja, das ist richtig. Auch ist es dem Auguren möglich, die Zustimmung der Götter zum Bau zu überprüfen. Dies gilt für jedwedes Gebäude, auch wenn bei einem Tempelbau sicherlich mehrerlei Dinge zu berücksichtigen sind. Besonders natürlich die Weihe für einen vorherigen Gott.
    Planst du, in Mantua einen neuen Tempel zu bauen?"

    Sophus nickte freundlich.


    "Das Archiv, ja ...
    Grundsätzlich besteht für jeden Auguren die Pflicht, jede seiner Entscheidungen aufzuschreiben und schriftlich zu begründen. Dies kann man sich in etwa wie eine juristische Urteilsbegründung vorstellen.
    Jedes dieser schriftlichen Urteile wird in einem Archiv gelagert. Jedoch verstauben die alten Aufzeichnungen zunehmen und ich weiß auch nicht, wie zuverlässig die Auguren inzwischen dieser Pflicht nachkommen. Auch sind sie nicht mehr sehr systematisch angelegt und ich schätze, dass bei einer gezielten Suche viele Dokumente nicht gefunden oder auch nicht verstanden werden könnte, weil ihr Aufbau sich unterscheidet.
    Diese strukturellen Missstände möchte ich beheben und das Archiv erneuern. Wenn der Prozess abgeschlossen ist, werden wir es für die Öffentlichkeit neu eröffnen - denn öffentlich war es schon immer.
    Und dann wird jeder Interessierte sich ein wenig in unsere Profession einlesen können."