Beiträge von Tiberius Annaeus Sophus

    Sophus wartete, bis Modestus wieder auf seinem Platz saß und hob dann die Arme - den lituus, den Krummstab der Auguren in der rechten Hand - in die Höhe. Seinen Blick hob er, bis er senkrecht in den Himmel zu starren schien.
    Erst dann begann wieder das Geflüstere der Gebetsformeln, das Gemurmel und geradezu mystische Ausstoßen leiser, traditioneller Worte. Seine Arme fuhren sehr langsam den Raum entlang und seine ausgestreckten Finger der linken Hand und der lituus in der rechten Hand schienen Linien in die Luft zu zeichnen. Er vollzog den Aufbau des Gebäudes nun in einer metaphysischen Weise nach. Hier jetzt wurde der Gedanke des Tempels geschaffen, ohne, dass ein Stein auf dem anderen stand.
    Er drehte sich langsam und zog die Linien in der Luft weiter. Seine Hände waren dabei entgegen seines Alters erstaunlich ruhig. Er veränderte die Höhe, malte Linien und murmelte stetig weiter Formeln, die er gelernt hatte.
    Schließlich verstummten seine Gebete wieder und er ließ die Arme langsan und würdevoll sinken - obwohl sie bereits schmerzten.


    "Der Tempel des Merkur soll nun hier entstehen, wie es seine Erbauer bestimmten und wie ich es dem Gott zeigte. Dies war die effatio und das letzte Ritual, das vor Beginn dieses Baus durchzuführen ist.
    Ich danke dem Duumvirn Kaeso Annaeus Modestus für seine harte Arbeit in dieser Sache."


    Sophus' Stimme war kräftig und bestimmt. Er lächelte Modestus zu und verneigte sich in seine Richtung. Dann machte er sich auf den Weg zu den Ehrenplätzen. Seine Arbeit hier war schließlich getan.

    Sophus neigte seinen Kopf zustimmend und trat wieder in den abgegrenzten Bereich, den er für den Verlauf der Consecratio verlassen hatte. Nun war es Zeit, das Gebiet auch im Sinne der Religion den Göttern zu übergeben. Hier sollte sich im Geiste schon abzeichnen, was später hier stehen sollte - ein Tempel.


    "Nun werde ich dieses Land dem Gott Merkur übergeben. Jeder Handvoll Erde, die ich ihm nenne, soll ihm und ihm allein gehören. Jeder Grashalm stehe unter seiner Herrschaft. Alles, das sich hier befindet, gehe in sein Eigentum über."


    Er wandte sich an Modestus und wartete, bis auch er wieder an seinen Platz zurückgekehrt war, damit er beginnen konnte.

    Zuletzt führten Sophus seine Schritte wieder in die Mitte des Grundstücks. Er nickte dem Tempeldiener zu, der sich mit der Schale aus dem abgesteckten Bereich zurückzog und hob dann wieder die Arme, den Blick in den Himmel richtend.
    Es kam nun auf ein Zeichen der Götter an. War dieser Platz nun bereit? Wenn die Götter ein Zeichen sandten, war noch etwas zu tun. Es hieße, dass ein besonderes, zusätzliches Urteil fällig war. Zu diesem Zeitpunkt bedeutete ein Zeichen selten etwas Gutes. Es hätte außergewöhnliche Qualität haben müssen.
    Sophus harrte aus. Er wollte keine Ablehnung des Tempels herausfordern, aber auch nicht nur aus Ungeduld ein Zeichen der Götter ignorieren. Das konnte schreckliche Folgen haben, die wesentlicher waren als der verletzte Stolz eines Duumvirn - selbst, wenn er aus der eigenen Familie stammte, wie Sophus schmerzlich feststellte.


    Doch es geschah nichts. Nach einiger Zeit senkte er die Arme wieder und nickte Modestus zu, ehe er die Stimme hob.


    "Die literatio ist beendet, die Geister vertrieben. Dieses Land ist nun rein, um dem Gott übergeben zu werden!"


    Das war Modestus' Stichwort. Denn letztlich waren die folgenden Riten nichts weiter als genau das: Das Land zum Gebiet des Gottes zu erklären.

    Als Modestus geendet hatte, verneigte sich Sophus vor ihm und als er sich wieder aufrichtete erhob er die Stimme, um erneut zur Menge zu sprechen:


    "Der Beginn dieser Zeremonie ist die literatio, um alle Geister, denen es gehört, von diesem Land zu vertreiben. Denn dieses Land ist zukünftig Besitz Merkurs. Niemand sonst gehört es und niemand sonst darf Anspruch darauf erheben. Es ist ein Ritual der Reinheit, der Unbeflecktheit von jedem Zwist um Besitz und Wohlstand. Es wird sicherstellen, dass Merkur hier eine angemessene Heimstatt findet."


    Er begab sich in die Mitte des Bauplatzes und hob seine Arme, woraufhin ein einfacher Tempeldiener zu ihm trat und ihm eine Schale mit Weihwasser reichte.
    Der Alte breitete seine Hände in beide Richtungen aus und begann abermals, zu sprechen. Doch diesmal waren seine Worte nicht verständlich, da es sich um eine Gebetsformel der Auguren handelte, die er nur leise sprach, während er in den Himmel sah.
    Langsam senkten sich dabei seine Arme - was wohl als Teil des Rituals zu verstehen war, da sie genau dann wieder an seiner Seite lagen, als er die Worte beendet hatte. Er wandte sich zum Tempeldiener um und führte seine rechte Hand in die Schale, um das Weiwasser dann auf den Boden zu verspritzen.


    "Ihr Geister! Dies ist Merkurs neues Heim! Weicht von diesem Ort, den man einem Gott zuerkannt hat!"


    Es war mehr eine verkürzte Wiederholung des Gebets, doch es half, das Ritual für die Anwesenden verständlich zu machen. Schließlich war dies in einem begrenzten Rahmen auch ein öffentliches Ereignis.
    Langsam schritt er, vom Tempeldiener begleitet, die Ecken des Grundstücks ab und besprenkelte sie mit Weihwasser. Es galt, das gesamte Gebiet zu reinigen ...

    Der alte Augur trat ein weiteres mal vor, seinen Blick wie seine Arme würdevoll erhebend und das gesamte Ritual damit betonend. Obgleich es oftmals geschah, versuchte er, diesem Tag - ganz im Sinne der Geehrten - etwas besonderes anhaften zu lassen.
    Er hoffte, dass die Kandidaten es tatsächlich als etwas besonderes empfanden und nicht nur als irgendein Schritt auf ihrer Karriereleiter. Ehrgeiz war wichtig, doch Sophus genügte er nicht, um Hochmut zu rechtfertigen - oder Missachtung den hohen Ämtern gegenüber. Respekt war immer von Nöten.


    Er murmelte die Gebetsformel und erstarrte einen Moment lang, wie es zuvor auch geschehen war. Und auch dieses mal schien er irgendwann, zu lauschen und bewegte seinen Kopf ein winziges bisschen. Dennoch war es ein wenig anders. Es sollte nicht so wirken, als sei dies Routine - selbst in der Besonderheit der Handlung nicht. Die Bewegung war ein wenig anders, teilweise etwas schneller, teilweise etwas langsamer. Es war so, dass nicht klar war, ob es als positives oder negatives Zeichen Durus gegenüber auszulegen war. Es war auf eine seltsam würdevolle und ruhige Weise - eben so, wie der alte Mann sich hier bewegte - unberechenbar.


    Die Arme senkten sich ganz und er wandte sich lächelnd wieder an den Rex Sacrorum.


    "Kein Zweifel der Götter kann ich an eurer Entscheidung, diesen Kandidaten auszuwählen, erkennen. Die Götter halten ihre schützende Hand über diesen Mann."


    Wiederum drehte er sich ein weiteres mal, um sich diesmal vor Durus zu verbeugen. Er tat es mit einem Lächeln - das wiederum für beide galt. Es war kein verschmitztes Lächeln, als habe er dies beabsichtigt oder irgend einen Plan verfolgt. Es war schlicht freundlich - vielleicht auch erfreut darüber, hier Anteil gehabt haben zu dürfen.
    Er trat wieder zurück. Das zweite Urteil war gesprochen.

    Sophus schien plötzlich zu lauschen und führte seine Arme zusammen, den lituus - den Krummstab - vor seiner Brust haltend. Möglicherweise sprachen die Götter nun wirklich zu diesem alten Mann. Denn die Formel der Auguren genügte traditionell für die Inauguration, um ein Zeichen zu erbitten.
    Dann senkte sich sehr langsam der Kopf des Alten und seine Arme sanken würdevoll hinab, so dass er in einer normalen Position endete.
    Mit einer in ihrer Langsamkeit geradezu vorsichtig wirkenden Bewegung wandte er sich an den Rex Sacrorum und verneigte sich stumm vor ihm, ehe er endlich die Stimme erhob, um das Urteil der Götter zu verkünden:


    "Die Götter stehen eurer Entscheidung, diesen hier zu ernennen, wohlwollend gegenüber. Er übernimmt sein Amt mit dem Segen der Götter."


    Er ließ die Worte einen Moment lang wirken. Dann wandte er sich wieder zu den beiden Kandidaten um und verneigte sich vor Gracchus. Er lächelte beiden zu.
    Schließlich trat er zurück in den Kreis.
    Seine Aufgabe war getan. Für dieses mal.


    Sim-Off:

    Korrektur: Auf Einzahl umgestellt.

    Da sich nunmehr langsam eine Erwartungshaltung unter den Gästen des Zeremoniells zusammenbraute hielt Sophus die Zeit für reif, die Sache in Bewegung zu setzen.
    Er erhob seine Stimme und sprach gerade so laut, dass alle es verstehen konnten.


    "Ich bin sicher, dass der ehrenwerte Duumvir Kaeso Annaeus Modestus diese, von ihm initiierte Veranstaltung, mit seinen Worten zu beginnen verdient.
    Daher möchte ich nun vor dem eigentlichen Beginn des Rituals ihm ausdrücklich diese Gelegenheit geben."


    Er lächelte und nickte Modestus zu. Das würde sicher helfen.

    Sophus horchte gleichsam auf. Er war betroffen und war der erste, der seine Stimme erhob, um - mit ruhigen Worten zwar, allerdings mit aufgescheuchtem Geist - etwas zu erwidern:


    "Dies ist ein schwerwiegender Fall. Jeder Tempel ist doch von einem von uns bereits geprüft worden? Sollte Ostia Zweifel an dem Tempel anbringen, so ist dies auch Zweifel an dem Urteil, das damals gefällt wurde und somit ein Zweifel an einem Augur.
    Es beschämte mich, sollte einer von uns so sehr fehl gegangen sein in seinem Urteil. Sehr wohl bin ich der Auffassung, dass es eine Untersuchung dieses Falles zu geben hat, allein um unser selbst Willen."


    Er setzte sich wieder.

    Sophus schloss kurz die Augen. Natürlich, dies war beileibe kein allzu besonderes Ritual. Dennoch ging es hier um den Posten seines Herrn - um Ponfices. Es waren keine einfachen Priester, es waren Anführer. Und einen von ihnen kannte er. Möglicherweise brachte dies etwas neues mit sich - und das konnte immer auch eine Veränderung zum Schlechten sein. Beide erschienen ihm noch sehr jung ...
    Er zwang sich, seine innere Unruhe nicht nach außen dringen zu lassen. Er lächelte, als er vortrat und die beiden Anwärter erblickte.
    Seine safrangelbe Amtstoga und der Krummstab wiesen ihn eindeutig als Augur aus, eine Erklärung seines Amtes war daher nicht mehr nötig.
    Seine alten Arme hoben sich langsam und er hob den Blick, um mit ein wenig glasigen Augen über die Köpfe hinweg zu sehen. Dann begann er, die Worte zu murmeln, um die Götter zu befragen.
    Sie waren nicht - oder nur sehr schlecht - zu hören, schienen sie sich doch förmlich in seinem Bart zu verlieren. Und so blieb der Inhalt der Sätze des alten Auguren ein Rätsel. Wohl aber war die Würde seiner Haltung ein Zeichen dafür, dass der Ritus bereits im Gange war ...

    Sophus selbst ging nicht zu den Ehrenplätzen. Er begab sich bereits zum Grundstück, begann jedoch freilich noch nicht mit der Zeremonie. Es sollte lediglich klar sein, warum er hier war - und dass es ihm darum ging. Die Ehre und den Ruhm derjenigen, die dort versammelt waren, verschmähte er bewusst, um einsam und bescheiden lächelnd seinen Platz einzunehmen: Auf der Erde stehend und den Blick in den Himmel gerichtet.
    Er schmunzelte kurz. Derlei Gedanken waren möglicherweise etwas zu ernst für diesen Ort. Und sie stilisierten ihn selbst gar zu sehr zum Helden. Denn das war er nicht. Er war ein alter Mann, der einen Posten hatte, für den er dankbar sein sollte. Nichts weiter. Er war kein Patrizier, kein Ritter, sondern eben nur ein alter Mann.
    Sein Lächeln wurde etwas friedlicher und ruhiger, als er sich mit dem Gesicht zu Modestus aufstellte und darauf wartete, dass er die Zeremonie einleitete. Es war in gewissem Sinne sein Tempel. Er mochte entscheiden, wann zu beginnen war.

    Sophus genoss die für ihn lange nicht mehr bekannte Situation. Er reichte Varus die Hand, um seine zu schütteln und begrüßte ihn mit den Worten:


    "Salve, Varus. Es freut mich, dich kennen zu lernen."


    Doch blieb ihm nicht viel Zeit, diesen Anverwandten zu mustern. Zu schnell kamen andere hinzu, die seine Aufmerksamkeit verlangten. Er bemühte sich aufrichtig, jeden einzelnen von ihnen zu begrüßen, blieb jedoch zumeist stumm. Durus nickte er zu, schließlich war das einer der wenigen hier, die er halbwegs kannte.


    "Salve, Tiberius Durus. Schön, dass wir uns zu einem solch erfreulichen Anlass wiedersehen."


    Er lächelte - er lächelte so gut wie durchgehend. Er war froh, dass er hier sein durfte und dass sich einige einfanden, um diesem Zeremoniell beizuwohnen. Es fiel ihm nichts ein, was er sagen konnte - und auch nichts, was er sagen wollte. Zu lauschen, zuzuhören reichte ihm vollkommen aus.
    Es war ein schöner Tag.
    Und es sollte doch sicher noch ein großer Tag werden.

    "Ich werde mit der literatio beginnen. Die consecratio folgt danach und die effatio wird den Abschluss bilden.
    Die effatio wird etwas Zeit benötigen, daher sollten die Gäste etwas Geduld haben."


    Die Geste des Duumvirn blieb Sophus nicht verborgen, sodass er gleich zu Varus hinübersah. Das Gesicht des Mannes sagte ihm nichts. Aber möglicherweise hatte er es auch einfach vergessen und früher schon einmal gesehen. Vielleicht in dessen Kindheit.

    "Flavius Gracchus ... Ein Patrizier, wenn ich mich recht entsinne. Hat er Geld für diesen Tempel gespendet?" fragte Sophus, während er dem Blick des Duumvirn folgte.


    "Selbstverständlich ist dies keine Bedingung, um ihn hier willkommen zu heißen." fügte er noch hinzu.


    Er lächelte. Die Tatsache, dass er solchen Ereignissen beiwohnen durfte erfreute ihn immer wieder. Schließlich war er im Grunde nichts weiter als ein einfacher Bürger - wenn auch ein Bürger mit einer langen Geschichte.

    Es daurerte nicht lange, bis die Sänfte eintraf und Sophus ausstieg. Er sah lächelnd in den Himmel und ging dann auf Modestus zu, um ihm die Hand zu reichen.


    "Salve, Modestus. Es scheint, als sei alles bereits vorbereitet."


    Er lächelte wiederum und sah sich um. Die ordentliche Säuberung der Umgebung quittierte er mit einem Nicken. Er wusste ja, wie es vorher ausgesehen hatte und bemerkte daher die Arbeit der Sklaven sehr wohl.
    Noch einmal sah er in den Himmel und überprüfte den Stand der Sonne, ehe sein Blick wieder auf den Duumvirn fiel.


    "Zweifellos ein guter Tag, um diese Sache zu erledigen. Dies wird sicher ein guter Tempel."


    Er blickte sich noch einmal um und sah nach Gästen.


    "Du hast Gäste geplant. Sehr gut. Wer wird kommen?"

    "Zweifellos. Nur der gelehrte Bürger wird Aufschluss darüber erhalten können. Das liegt in der Natur der Sache.
    In dieser Sache geht es mir jedoch ebenfalls darum, unsere eigenen Aufzeichnungen konsequent einer einheitlichen Struktur zu unterwerfen, um sie auch für uns selbst - und für die Neuen unserer Profession - sowohl verständlich als auch nachvollziehbar zu machen. Wenn es uns möglich ist, jede Aufzeichnung gezielt zu durchsuchen und zu verstehen, ohne dass wir den kennen, der sie verfasste, so wird es uns gelingen, dass auch in einhundert Jahren unsere Urteile heute noch relevant bleiben.
    Wie sich die Zeit wandelt, so wandeln sich die Geister. Unseren Geist können wir nicht erhalten, die Erklärung einer solchen Struktur jedoch schon."

    Sophus nickte Durus freundlich zu.


    "Keineswegs wollte ich andeuten, dass wir allein handeln sollten. Ich spreche hiermit nicht nur die Auguren an, doch ich nehme sie auch nicht aus. Sofern wir etwas beitragen können, sollten wir es tun."


    Er befeuchtete seine Lippen, ehe er weitersprach.


    "So es mir erlaubt ist, will ich noch etwas weiteres zur Sprache bringen.
    Ich erwähnte bereits, dass ich daran denke, das Archiv unseres Collegiums neu zu eröffnen und unsere Sichtungen und Urteile gewissenhaft aufzuschreiben. Dies wirft jedoch besonders die Frage danach auf, wie denn eine Ordnung aussehen soll, nach der wir die Aufzeichnungen gestalten, damit sie für jedermann verständlich werden, der sich für sie interessiert.
    Ich fürchte, dass es uns nicht erspart bleiben wird, sollten wir uns auf diese Tradition rückbesinnen, einen Leitfaden zur Erstellung der Texte, die bekanntermaßen auch Grundlage für darauf folgende Urtiele unsererseits sein sollen, zu entwickeln."