Aufmerksam hatte Medeia Plautius angeschaut. Dass er von ihrer kleinen ‚Eröffnung’ und ihrer Antwort nicht sehr begeistert sein würde, war ihr natürlich klar. Mit der folgenden Reaktion hatte jedoch auch Medeia nicht im Mindesten gerechnet. Als Plautius sie von sich schob, bewegte sich Medeia auch rückwärts und lehnte sich gegen die Rückenlehne der Kline, sah Plautius unverwandt und ernst an. Erstaunt verfolgte sie seinen ersten Abgang. Still lag das Triclinium da und Medeia sah auf die offene Tür und schüttelte verwirrt den Kopf. Gerade, als sie schon glaubte, Plautius wäre einfach aus der Casa weggegangen und sie sich ebenfalls anschickte das zu tun, kam er schon wieder zurück. Medeias Augen weiteten sich leicht als sie die Waffen erblickten, die mit einem lauten Poltern auf dem Boden landete. Ihre Hand griff fester in den Stoff hinein und einen Moment fragte sie sich, ob Plautius gedachte ihr etwas anzutun. Ihr Herz schlug einen Augenblick schneller bei dieser Sorge, sie hatte unbewusst den Atem angehalten, doch die einzige Schärfe, derer sie erdulden musste war die in der Stimme von Plautius.
Zwar missfiel Medeia der Tonfall von Plautius durchaus, doch die ersten Worte nahm sie ihm noch nicht übel. Doch je weiter er sprach, desto fassungsloser wurde Medeia. Ihr Blick haftete sich fest auf die Mappe, ihre Lippen pressten sich zusammen und ihre Mundwinkel zuckten, zeigten durchaus ihren aufsteigenden Ärger. Kostenintensive Nachforschungen? In dem Moment war Medeia mehr als versucht aufzustehen, ihr Palla von der Büste zu ergreifen und eisigem Blick aus der Casa zu entschwinden. Wenn Medeia auf etwas Wert legte, dann ihre Privatsphäre zu wahren, das war oft ihr einziger Rettungsanker in Athen während ihrer schlimmsten Zeit. Ihre Miene wurde vollends ausdruckslos, ihre Augen wandten sich von Plautius ab und sie musterte die Kirschen auf dem Tisch, um dem Aufruhr keine Gelegenheit zu geben, Risse in ihrer Fassade zu verursachen. Dass er die ‚Erkenntnisse’ relativierte, sie als unwichtig erachtete, vernahm Medeia nur noch mit halben Ohr, konnte dies doch das Nachspionieren nicht mehr aufwiegen.
Über die Ermordung der Griechin in ihrem Haus zuckte Medeia doch ein wenig zusammen, sie sah mit gerunzelter Stirn kurz zu Plautius und wollte ihm widersprechen, doch zu Wort kam sie nicht. Stumm lauschte Medeia auch den folgenden Sätzen, ließ sich erstmal keine Reaktion anmerken. Erst als er sich vor ihr auszog, schien Medeia aus ihrer statuenhaften Starre sich zu lösen. Ihre Augen wanderten an Plautius hoch und runter, sie kannte bereits alle großen und kleinen Narben, befand jedoch, daß Plautius sie durchaus wirksam zu präsentieren wusste, fast schon reif für die Rostra. (8) )
Einen weiteren Moment saß Medeia stumm im Raum nachdem Plautius ihn bereits verlassen hatte. Raschelnden Stoffes stand Medeia auf und trat von der Kline weg. Langsam bückte sich Medeia und hob die lederne Mappe auf, sah schweigend auf sie hinab und legte sie auf den Tisch mit den verschiedensten Süßdelikatessen.
Ohne einen näheren Blick dort hinein zu werfen, wandte sich Medeia um und schritt auf ein Fenster zu, blieb neben einer Messinggearbeiteten Vase stehen, die mit vielen kleinen Messerdurchstochenen Punkten ein kompliziertes Muster trug. Das Licht einer Öllampe spiegelte sich auf Medeias Gesicht wieder und warf ihr Abbild auf die Vase. Von den funkelnden Reflexionen angezogen sah Medeia auf ihr eigenes Spiegelbild.
Selbst Jahre nach dem Tod ihrer Mutter hatten manche älteren Männer immer wieder davon gesprochen, wie ähnlich Medeia ihrer Mutter doch vom Antlitz schien. Davon hatte Medeia, in der Zeit ihrer Taberna in Athen stets profitiert, war doch ihre Mutter viel begnadeter gewesen mit Männern umzugehen als sie es je konnte, was sich als schlagenden Beweis die vorigen Momente mit Plautius abermals offenbarte. In ihren Gedanken gefangen hob Medeia die Hand und spielte mit einer ihrer roten Locken, die ihr ins Gesicht fielen.
Sie sah auf die grünen Augen der Vase, die sie ernst musterten, mit dem Hauch von Melancholie gepaart. „Nun, Mutter, was hättest Du getan?“ fragte Medeia das Spiegelbild, was ihrer Mutter von Jahr zu Jahr immer ähnlicher sah. Es erinnerte Medeia schon an ihre Kinderjahre, als sie noch bedeutend kleiner war und zu ihrer Mutter hinaufschaute, die ihre ausgestreckten Hände ergriff und sie mit einem ehrlichen Lächeln, was Medeia nur bei wenigen Menschen schaffte, erwiderte. Ja oder Nein? Medeia wollte sich gerade abwenden, sich die schmerzenden Schläfen reiben.
„Liebst Du ihn?“ Erstaunt verharrte Medeia und sah wieder zu dem Spiegelbild. Der Ausdruck der Frau hatte sich gewandelt, ihre Gesichtzüge nur unmerklich verändert, einige mehr Falten erschienen um ihre Augen. Als Medeia ihre Mutter das letzte Mal sah, war sie zehn Jahre älter als sie nun gewesen. Ob ich auch mal so aussehen werde?, fragte sich Medeia. „Warum fragst Du das?“ Es erstaunte Medeia schon seit längerem nicht mehr, dass Stimmen sie scheinbar aus dem Nichts ansprachen, mittlerweile hatte sie sich schon fast daran gewöhnt. „Wenn Du ihn liebst, ist die Antwort doch klar!“ Stumm sah Medeia in die grünen Augen, die ihr so sehr glichen und dann doch anders waren. „Nein, das ist es nicht.“ , erwiderte Medeia und wandte sich vom Anblick ab. „Geh zurück, Du hast mir früher auch nie einen guten Rat geben können!“ erwiderte Medeia bitter, wandte sich von der Vase gänzlich ab und schritt zur Büste, ergriff ihre Palla und schlang sie sich um die Schultern.
Unschlüssig sah Medeia auf die Mappe herab und hielt sich gleich darauf an der marmornen Büste, die sie darstellte, fest als schwarze Punkte vor ihre Augen traten. Schwer atmend holte Medeia tief Luft und schloss die Augen. „Nachspioniert…“ murmelte Medeia zornig, aber auch traurig. „Habe ich es Dir nicht gleich gesagt, Medeia!“ Abrupt öffnete Medeia ihre Augen und sah über die Kline hinweg zu Quintus. Den konnte sie in dem Moment noch viel weniger ertragen als ihre Mutter. „Verschwinde!“ murmelte Medeia auch zu diesem Geist ihrer Vergangenheit. Quintus schüttelt mit einem spöttischen Lächeln den Kopf. „Du wirst mich nicht los, Medeia. Das ist doch nur zu Deinem Besten.“ Doch als Medeia die Augen schloss und sie abermals öffnete, war auch er gegangen. Erneut wurde Medeia schummrig und der Schmerz pochte durch ihre Schläfen.
Als Plautius dann jedoch wieder zurück kehrte, saß Medeia auf der Kline, so als ob sie sie nicht zwischenzeitlich verlassen hätte, nur die Palla um ihre Schultern und der Hauch von Blässe auf ihren Wangen zeigten, dass sie es wohl doch getan hatte. Stumm sah sie Plautius an, ließ das Schweigen noch einen längeren Moment über sie ruhen ehe auch Medeia ansetzte zu sprechen. Einige Schlücke Wein hatten ihr in der Pause die Kraft verliehen ohne ein Zittern oder Zorn in der Stimme zu sprechen.
„Camillus, ehe ich Dir eine Antwort auf Deine Frage gebe, möchte ich auch einige Dinge klar stellen.“ , begann Medeia und richtete sich unmerklich auf. „Zu allererst, ich bin keiner Deiner Soldaten, ich bin kein Sklave, noch ein sonstiger Befehlsempfänger. Sprich nie, wirklich niemals, noch einmal in diesem Ton mit mir. Solch ein derartiges Benehmen lasse ich mir von niemanden, im Höchstfall vom Kaiser, bieten und dieser hat zu gute Manieren, um jemals in einen solchen Ton gegenüber einer Römerin zu verfallen.“ Nur kurz erbebten Medeias Nasenflügel, was Ausdruck ihres Aufruhrs über diese, für sie, Dreistigkeit ihr gegenüber war. „Da ich jedoch denke, dass Du nur sehr aufgebracht wegen meinen Worten warst, verzeihe ich den Ton Dir dieses eine Mal.“ Ein leichtes Lächeln huschte über Medeias Lippen, doch schon sprach sie weiter, wenn sie auch eigentlich hasste Reden zu halten, selbst und gerade auf der Rostra, aber auch im Privaten.
„Was Krysia angeht, so ist sie sacrosanctum, sie ist eine Priesterin, verfügt über große Macht, derer ich schon mehrfach Zeuge geworden bin. Und wenn Du nicht die Geister der Unterwelt gegen Dich aufbringen möchtest, solltest Du es lieber unterlassen, ihr etwas anzutun.“ Auch in dieser Hinsicht sprachen Medeias Augen von dem Ernst in ihrer Worte und dass sie damit nicht scherzte.
„Und da kommen wir nun zu mir. Ich sehe zwar Geister, wie ich es schon erwähnt habe, aber ich bin keine Hexe, oder wie Du mich bezeichnet hast. Ich trage zwar den Namen Medeia und im Griechischen Medea, wie die verrückte Frau des Jason, aber ich schlage nicht nach ihr. Zumindest solltest Du das hoffen, mein lieber Camillus!“ Jetzt lächelte Medeia doch, aber nur kurz. Eine Erwähnung auf das Verrückt gedachte Medeia nicht zu geben, wäre sie doch niemals auf den Gedanken gekommen, sie wäre irr im Geiste, nein, das war völlig ausgeschlossen!! 
„Und nun zu den trivialeren Angelegenheiten, Dein Schreibtisch. Sicherlich, Chaoten behaupten immer dass ihre Unordnung ein System hat, ich glaube und weiß das in dieser Hinsicht anders, aber gut. Das ist sicherlich Deine Angelegenheit. Deine Betriebe werde ich aber sicherlich nicht führen, ich kann wenig mit Kühen anfangen. Was die Kinder angeht…“ Ihre Augenbrauen wanderten hoch. „…wie lange führst Du ein Lupanar? Ich glaube, dass ich Dir mit meinen Erfahrung in dieser Hinsicht durchaus um viele Jahre voraus bin. Wenn ich keine Kinder haben will, werde ich auch keine bekommen. Und ich kann Kinder wirklich nicht ausstehen.“ , sprach Medeia nun doch freimütig heraus. Denn das war nun mal so. Und das Austragen eines Kindes, wie eine fette Kuh herumzutrampeln und launische Anwandlungen, schlimmere als sie jetzt schon hatte, zu haben, würde ihr wahrlich nicht behagen.
„Aber ich muss Dir noch etwas anderes gestehen, Camillus!“ sprach Medeia und jegliches Lächeln, was vielleicht noch wegen dem Schreibtisch auf ihrem Gesicht zu erahnen war, verschwand. „Ich bin sehr enttäuscht, von Dir, Camillus. Du sprichst von Vertrauen und von Treue, beweist sie jedoch von Anfang an nicht. Hinter meinem Rücken und ohne mit mir ein Wort darüber zu wechseln hast Du in meinem Leben herumspioniert und, bei den Göttern, eine Mappe angelegt mit meinen Geheimnissen und meiner Vergangenheit.“ Mit einer Hand deutete Medeia auf die Mappe, in der sie keinen einzigen Blick geworfen hatte, sie musste es nicht, wenn Plautius ihr so offen gestanden hatte, sich erkundigt zu haben nach dem Früheren in ihrer Vita. „Ich weiß doch schon längstens, dass Du schon längere Zeit darauf erpicht bist, eine solche Verbindung einzugehen. Meinst Du nicht, es wäre mir nicht schön früher aufgefallen? Sicherlich kann ich verstehen, dass Du wissen wolltest, wen Du fragst für eine Ehe und doch ist es ein großer Bruch des Vertrauens. Und das enttäuscht mich sehr, Camillus.“
Medeia holte tief Luft und bemühte sich schnell weiter zu sprechen, wenn es auch wider ihre Natur war. Aber sie wusste, würde sie Plautius einmal wieder zu Wort kommen lassen, würde sie erstmal eine lange Zeit nichts mehr sagen können. (
) „Natürlich möchte ich Dich nicht mit dem, was ich tue verletzen, Camillus. Auch das liegt mir fern, da Du mir doch nicht gleichgültig bist, ganz und gar nicht. Sonst wäre ich schon längstens nicht mehr hier, ebenso Deine Mappe hier nicht.“ Abermals deutete Medeia auf den Grund ihres Zornes. „Aber in einem irrst Du Dich ebenfalls gewaltig, Camillus. Mir macht es nichts aus, wenn Du Dich mit anderen Frauen einlässt, ob Sklavinnen oder…Lupae. Außerdem bin ich mir sicher, daß Du das irgendwann bestimmt tun würdest. Aber das ist normal und für mich kein großes Ärgernis.“ Medeia war mit jedem und jedem Wort mehr versucht, schnell zu verstummen, denn es gab weniges was sie genauso wenig mochte, wie plappernden Menschen und mit dieser Unsitte wollte sie erst gar nicht anfangen. Sie hatte nun mal nicht das Talent, wie Plautius alles auf den Punkt zu bringen.
„Aber eigentlich ist wenig, von dem wir eben ausgetauscht habe wirklich wichtig. Es geht doch nur letztendlich, wie Du es schon mal anklingen gelassen hast, darum, ob wir es miteinander überhaupt länger als einen Monat aushalten könnten. Kann ich mir das vorstellen?“ Medeia sah Plautius prüfend an und nickte schließlich. „Doch, das kann, wenn Du auch einige Unsitten ablegen solltest. Doch das wird schon mit der Zeit passieren. Sei jedoch gewiss, ich werde niemals Dir gehören. Selbst ein Bündnis der Ehe wird mich nicht halten können, wenn es zu unerträglich wird und die schlechten Momente, die guten Zeiten weit überschatten. Nun, zu Deiner letzten Frage…“
Einen Moment schwieg Medeia, was sehr froh darum, denn so viel Reden empfand sie als recht anstrengend, sah ihn ernst an, seufzte leise und meinte schließlich:
„Ja!“