Die letzten Worte von Gabriel hingen einen Moment unbeantwortet in der Luft. Medeia rührte sich immer noch nicht. Nur ihr Brustkorb hob und senkte sich schneller als normal. Doch dann löste sich ihre Starre wieder und sie wandte sich langsam Gabriel zu. Ihr Gesichtsausdruck war jedoch immer noch wie versteinert. Lange sah sie Gabriel stumm an. Ein tiefes Seufzen löste sich von ihr. Ein Zweig knakste leise unter ihrem Fuß als sie auf Gabriel zuging. Die Amsel wurde aufgescheucht und verschwand zwischen den Zweigen der Pinie. Medeia trat dicht an Gabriel heran und sah ihn wieder unverwandt an. „Gabriel!“ murmelte sie leise und tonlos. „Es tut mir auch leid. Ich glaube, ich habe mich falsch ausgedrückt von Anfang an.“ Medeia griff nach Gabriels Händen, ihre Finge waren kalt und trocken. „Gabriel, ich bin nicht gefühlskalt oder einfach nur berechnend. Es mag sein, dass ich nicht zu den Frauen gehöre, die impulsiv oder senti...enthusiastisch in der Liebe und den Gefühlen ist! Aber Menschen sind mir doch nicht gleichgültig. Es gibt Menschen in meinem Leben, die ich aufrichtig liebe. Meine Eltern und meinen Bruder...aber ein Mann...“ Medeia verstummte. Sie, die doch eloquent auf der Rostra war oder sich in solchen Situationen doch immer distanziert der „Materie“ Gefühlen widmen konnte, schien jetzt Mühe zu haben ihre Gedanken zu formulieren.
„Gabriel, ich war in dich verliebt damals. Du erschienst mir anders als die meisten Männer, mit denen ich so viel...Nähe hatte. Vertrauenswürdig, ehrlich, freundlich und sehr ehrenhaft, doch dann hörte ich davon, wegen dem Anschlag...von mehreren Leuten und dass eine Frau da eine Rolle spielen sollte. Was sollte ich davon halten?“ Einen Herzschlag schwieg Medeia. “Es ist ja jetzt auch schon viele Monate her, fast ein Jahr seit der Sache und noch mal ein Jahr, dass wir eine Nacht verbracht haben.“ Zwischenzeitlich senkte Medeia wieder den Blick und musterte Gabriels Tunika. „Wir haben eine Nacht verbracht, Gabriel. Ein einzige Nacht und uns seitdem nicht mehr wieder gesehen. Meinst Du, es ist einfach wieder zu jener Nacht zurück zu kehren?“ Sie hob wieder ihren Blick und sah Gabriel fragend an. „Habe ich Dir jedoch das Gefühl gegeben, Du bist mir nicht willkommen oder ein Störenfried in meinem Haus bist, dann tut es mir auch leid. Ich habe mich doch gefreut, dass Du gekommen bist. Dich wiederzusehen, mit Dir zu sprechen, ist sehr schön. Wenn auch viele unschöne Worte gefallen sind. Bitte, geh nicht...“ Ernst sah sie ihn an.
Es raschelte an einem Busch und die hagere Frau, die mit Medeia auf der Bank gesessen hatte, trat zwischen den Rosensträuchern hindurch. Ein dorniger Zweig verfing sich an ihrem schwarzen langen, griechischen Gewand, doch sie riss ihn nur achtlos ab und sah mit neugierigem und leicht amüsiertem Blick zu Medeia und Gabriel. „Salve, Gabriel!“ In den Augen der Frau lag eine ausgesprochene Kälte, wenn sie auch lächelte. Und jedes Wort war mit einem starken griechischen Akzent behaftet.„Verzeih, aber bei den Worten ist mir Dein Name nicht entgangen. Du bist ein Hebräer?“ Das 'Verzeih' klang aus dem Mund der fremden Griechin äußerst fahl und falsch. Vielleicht lag es an der spöttischen Betonung jenes Wortes. Sie legte den Kopf zur Seite und durchdrang Gabriel mit ihren kalten Augen. „Aber ich will nicht stören.“ Die hagere Griechin mit der Adlernase nickte Gabriel höflich zu, aber immer noch mit einer äußerst arroganten und hochmütigen Aura. Wie eine Königin schritt sie an Medeia vorbei und ins Haus hinein. Medeia sah ihr hinter her, Ärger stand in Medeias Augen geschrieben. Ärger auf diese Frau, die Beide gestört hatte. „Entschuldige! Das war Krysia. Sie ist zurzeit Gast in meinem Haus. Gabriel, möchtest Du nicht noch etwas bleiben? Lass uns doch etwas zusammen essen und in Ruhe reden. Ja?“