Die Feierlichkeiten auf der Cena Libera wurden immer ausgelassener. Die Gladiatoren immer enthemmter. Aber warum sollten sie sich auch gesittet benehmen? So manch einer von ihnen, wer wusste natürlich jetzt noch keiner, sollte am nächsten Tag in der Arena sterben. Der Wein floss reichlich und das Essen wurde in großen Portionen verschlungen. Doch nicht alle waren so begierig darauf, sich zu betrinken oder voll zu stopfen. So manche verbrachten den Abend dort mit trüben Gedanken vor sich hinstarrend oder sie hielten sich wegen den kommenden Kämpfen zurück. Briseis gehörte wohl nicht zu den Gladiatoren, die sich sinnlos betrinken wollte. Recht zurückhaltend nippte sie an dem Becher mit Wein, der mit wenig Wasser, dafür mit reichlich Honig und Gewürzen gemischt war. Über den Rand des Bechers hinweg musterte sie Sergius Curio neugierig und interessiert. Die Spuren ihrer Tränen waren mittlerweile fast vollständig aus ihrem Antlitz verschwunden.
Ihre dunkeln Augen funkelten jetzt auch wieder mit der Lebenslust, die diese Frau eigentlich durchfloss, trotz ihrer Arbeit und ihrem Schicksal als Gladiatorin oder Amazone. “Sergius Curio! Gab es nicht mal einen berühmten Sergier, einen Berühmtberüchtigten in der Republik?“ Sie zwinkerte mit Schalk in den Augen. „Führt Dich die Neugier hier auf die Cena Libera? Oder möchtest Du Dir die Männer und Gladiatoren ansehen, die morgen sterben?“ Briseis lächelte und deutete über ihren schlanken und trainierten Körper hinweg. Nur eine leichte helle und kurze Tunika verbarg ihre Konturen. „Dann sieh gut her!“ Einerseits schienen ihre Worte recht makaber zu sein, aber sie sprach sie mehr lasziv aus. Stumm trank sie einen Schluck als Plautius Curio grüßte. Und dann begann auch schon die Prügelei bei den Einrichtungen für die Notdurft.
An ganz anderer Stelle, im Stall der Elefanten, war es jedoch weit ruhiger. Nur das Rascheln der Elefanten im Stroh, das Rasseln der Kette und ein seltsames leises Grunzen von dem kleinen Pumilus, der sich dem großen Germanen Rutger gegenüberstand, war zu hören. Er schniefte leicht und spuckte in den Sand neben sich. „Albe? Was ist denn das?“ fragte er mürrisch. Irgendwie war er wegen dem ganzen Respekterweisungen doch verwirrt. So etwas erlebte er selten. Aber heute Abend schon mehrfach. Er musterte den Germanen eine Weile lang durchdringend. Der kannte ihn, aber kannte Pumilus ihn auch? Ausgiebig kratzte sich Pumilus am Schritt und da fiel es ihm ein. Nein, es war natürlich nicht die Geste, aber das mit dem Alben brachte ihm die Erinnerung zurück. „Du bist doch der Anhang von meinem Dominus auf der Vinalia Rustica, oder?“ Und dann fiel es Pumilus noch viel schlimmer ein. „Du hast Dich doch an Olympia rangemacht? Du kleiner...ähm...öh...ja, ich bin ein Albe!“ Pumilus war zwar selbstgefällig, arrogant und größenwahnsinnig. Aber er war durchaus mit einer gewissen Bauernschläue beschenkt worden als es zu den großen Gaben der Götter ging. Ansonsten hatten sie dem kleinen Mann auch nicht viel mehr mitgegeben.
Hochmütig kletterte Pumilus auf eine Kiste hinauf, um etwas näher der Augenhöhe von Rutger zu sein. Dort verschränkte er die Arme und tat so als ob er eine ganz wichtige Person sei. Das gefiel dem kleinen Pumilus durchaus. „Das ist ein Eee---leee--- faaaant! Elefant! Diese Tiere entstammen dem wilden Land, was man auch Africa nennt. Dort leben schwarze Männer, es gibt dort Schlösser aus Gold und Bäche aus purem Silber. Und aus den Zähnen dieser Tiere macht man den schönsten Schmuck. Es ist weißes Gold. Und es gibt dort Ungeheuer, Katzen mit Menschenköpfen und Vögel, so groß wie Menschen, die jedoch nicht fliegen können. Und natürlich Löwen. Hast Du schon mal einen Löwen gesehen...ähm...wie heißt Du eigentlich?“ Dabei fiel ihm wieder Olympia ein. Er trat auf Rutger einen Schritt näher. „Und dass wir uns recht verstehen, Olympia gehört mir. Rühr sie ja nicht an, sonst trifft Dich mein Alben...äh...fähigkeiten...jawohl.. meine Albenfähigkeiten!“
Wieder im Bereich des Amphitheaters, dort wo eigentlich jeden Tag die Gladiatoren trainierten, hatte man auch noch nichts von der kleinen Prügelei bei den Latrinen bemerkt. Dort wurde noch heiter gefeiert, gelacht und getanzt. So erschien zumindest die bröckelige Fassade, die sich die Männer des Ludus Magnus aufgebaut hatten. Doch an dem Abend sollte keiner versuchen an dieser zu rütteln. Und so war es vielleicht gut, dass nur wenige oder sogar keiner sonst etwas von den Gesprächen zwischen Medeia und Aquilius erfuhren. Medeia ruhte gelassen auf der Kline und lauschte aufmerksam den Worten ihres Gesprächspartners und ehemaligen Gast ihrer alten Taberna in Athen. Ein rätselhaftes Lächeln umspielte ihre Lippen als er über Macht und die Erringung dieser sprach. „Die Gier nach Macht?“ Sie lachte leise. „Du hast Dir Deine erfrischende Angewohnheit bewahrt, den Dingen einen schonungslosen Namen zu verleihen, dem corpus naturalis das Fleisch zu entreißen und die blanken und bleichen Knochen der Natur der Menschen zu zeigen.“
Sie schmunzelte leicht und riss etwas von dem Flamingofleisch ab. „Verzeih, wenn meine Worte etwas makaber klingen. Aber vielleicht macht es die Umgebung? So viele Menschen, die morgen sterben werden. Und wofür? Du hast schon Recht, die Römer sind, wie im Übrigen die meisten Menschen, von niederen und primitiven Trieben gesteuert. Doch sind nicht auch die schönen und hehren Dinge des Lebens auf diese niederen Gelüste zurück zu führen. Wie die Liebe zum Beispiel? Oder ist die Liebe nicht nur der Ausdruck, sich fleischlich vereinen zu wollen? Ein Trug des Körpers, der einen in einen Wahn verfallen lässt und vorgaukelt es wäre etwas Großes, etwas Sphärisches?“
Medeia sah ihn unverwandt an, ihre grünen Augen funkelten und nur ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Ihr Becher wurde aus ihrer Hand geschlagen als Plautius gegen ihre Kline schlug. Verblüfft sah sie auf ihn herunter. „Centurio...?“ fragte sie ihn nur. Einen Moment schien sie tatsächlich von Sprachlosigkeit ergriffen zu sein. Schon war Plautius wieder von dannen. Sie sah ihm erstaunt hinter her, als er so gewandt die silberne Karaffe als Kampfwerkzeug einsetzte. Als die drei Soldaten auf sie zu traten, hob Medeia ihre Augenbrauen und sah sie allesamt recht streng an. Nicht, dass noch einer wagen würde, sie heute so an zu rühren wie Rutger es getan hatte. Doch ihre Idee mit der Klinenverschiebung erleichterte auch Medeia die Wahl, ob sie erneut zu ihrem Haarstilett greifen sollte. Sie tat es trotzdem. Schließlich tobte der Kampf immer noch. Sie setzte sich auf und zog schnell ihr Gewand zurecht. In dem Moment war schon der Aufprall zu sehen. Medeias Mund öffnete sich ein wenig erstaunt und dann stand sie auf...