Beiträge von Artoria Medeia

    Weiche Blätter glitten an Medeias Schulter entlang. Vogelstimmen mischten sich zu einem harmonischen Chor und die Sonne wurde durch das zahlreiche Laubdach gemildert, fiel in Flecken auf den Weg, der zum Heiligtum in der Mitte führte. Interessiert betrachtete Medeia schon von Weitem den hoch aufragenden, seltsam anmutenden Bau. Sie hätte auf den ersten Blick eher einen Wassertropfen darin erkannt. Selbst wenn Strabon wohl eine andere Figur darin gesehen hatte. Zustimmend nickte Medeia. „Ja, ein Hort der Wunder.“, wiederholte sie leise und betrachtete den Bau interessiert. Ob sie den Weg ersteigen konnte und wollte, dessen war sich Medeia jetzt noch nicht sicher. Doch die Kühle des Parkes verschafften ihr schon einige Kräfte mehr. „Dass dem göttlichen Alexander auch noch andere Helfer als nur die Menschlichen zur Verfügung stand, daran zweifel ich nicht. Wie sonst soll ein Mensch in seinem kurzen Leben derart viel erreichen?“ Ein wenig schauderte Medeia die Vorstellung, dass jener Mann nicht sehr viel älter als sie an dem Tag seines Todes war. Sie fröstelte kurz. „Nicht zweiköpfige Löwen, mein lieber Timokrates. Löwen so groß wie Vögel. Und Menschen mit zwei Köpfen. Wesen mit einem Auge, Menschen mit drei Augen und Frauen mit acht Armen und vier Brüsten. Alles gibt es dort.“ Wenn in Medeia die Lust zum Reisen vorhanden wäre, sie hätte womöglich es auf sich genommen all jene Wesen zu suchen. Aber Medeia war damit zufrieden über Jahre an einem Ort zu leben und die Dinge in den Schriften Anderer zu ergründen. Zudem ein komfortables Haus zu besitzen, zahllose Kleider und stets ein warmes Bett oder ein reinigendes Bad in ihrer Nähe. Nein, Reisen war nichts für die Griechin, die nicht mehr als Athen, Rom und nun Alexandria gesehen hatte. Selbst Reisen ins Hinterland von Ägypten wären ihr ein Greuel.


    Und somit wäre sie jedem Forscher dankbar, sollte er tatsächlich so eine Kreatur mit sich bringen und in das Paneion oder Museion zur Schau stellen. „Lass uns dies ergründen, mein lieber Timokrates.“ Die beiden Gelehrten des Museions waren entschwunden und Medeia doch erleichtert. „Meeresungeheuer?“ Medeia lächelte freundlich und mit einem wachen Ausdruck in den Augen. Nichts deutete davon, ob sich Medeia über Timokrates amüsierte oder nicht. Aber das war schon früher so gewesen bei Medeia. „Gar der Skylla persönlich?“ Medeia schenkte ihm noch ein milderes Lächeln. „Timokrates. Ich spotte nicht. Das liegt mir fern. Gänzlich unfähig bin ich eines Solchen.“ Jetzt glitt doch ein verschmitztes Lächeln um ihre Lippen. Doch schon nickte sie leicht. „Aber Du hast Recht. Es gibt Wunder, die wir nicht mit Worten erfassen können, selbst wenn wir ihnen Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen. Und wenn man sie noch nie gesehen hat, kann man auch ihre Existenz nicht abstreiten. Höchstens auf der Ebene der Gedankenkraft und mit dem Sinn danach die Rätsel der Welt auf metaphysischer Ebene zu lösen.“


    Mit jedem sehr langsamen Schritt, zu dem Medeia fähig war, näherten sie sich dem Heiligtum. Nein, einen Pinienzapfen konnte Medeia wirklich darin nicht erkennen. Sie blieb einen Moment stehen, da die Luft schwer auf ihre Brust drückte und sie kaum davon in sich einsaugen vermochte. „In der Tat. Ich war des öfteren am Museion. Und es gibt einen Park dort, der sich gänzlich mit der Chimärenforschung beschäftigt. Leider wohl noch ohne Erfolg. Aber dort gibt es auch Tiere aus dem fernen Gupta bis Kushana. Sogar Pflanzen aus dem Reich der Seide finden sich dort. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie auch noch mit Seeungeheuern von der Unterseite unserer Erdenkugel kommen würden. Manche der Gelehrten dort scheinen tollkühnen Abenteurern zu gleichen und weniger den Suchenden der Weisheit.“ Medeia konnte das nicht ganz verstehen. Am liebsten saß sie Stundenlang vor Büchern und Schriften. Oder verfasste selber ihre eigenen (mehr unnützen) Gedanken zu den gedanklichen Problemen.


    Eine Bank aus Zedernholz erschien vor ihnen. Bunt und schrill war das Holz bemalt und mit zahlreichen Mustern versehen. Doch sie kam Medeia gerade Recht. Denn ihre Beine wurden wieder ganz zittrig. „Hast Du etwas dagegen, wenn wir uns kurz setzen?“ Medeia tat es einfach und atmete erleichtert auf. „Aber Timokrates, was hindert Dich daran? Eine hübsche junge Frau in Deinem Hause würde Dir sicherlich Freude bringen. Und eine solche Frau würde Dir sicherlich nicht im Wege stehen, wenn Du auch außer Haus speisen würdest.“ Medeia lächelte amüsiert. Denn natürlich war nicht das Kulinarische damit gemeint. Ihr erster Mann in Athen hatte auch bei Medeia nichts dagegen gesagt. Wobei er auch darauf angewiesen war, lag er doch auf ihrer Tasche und Medeia war die Einzige gewesen, die nicht nur das Geld ausgegeben hatte. Im Grunde war Quintus durchaus stets von Eifersucht geprägt gewesen und ihr Streit an manchen Tagen doch heftiger. Medeia gehörte jedoch nicht zu der Sorte von Frau, die sich der Eifersucht hingab. „Ich wiederum habe in der Tat erneut geheiratet.“ Der Schatten ihrer Sklavin fiel auf Medeia. „Einen römischen Praefectus.“ Mit einem Namen, da war sich Medeia sicher, würde Timokrates gewiss nicht viel anfangen können. „Ein auf und ab war es in den letzten Jahren. Aber ich habe sie in Rom verbracht. Mal am Kaiserhof arbeitend, dann, stell Dir das vor, hab ich tatsächlich noch den Weg in die Politik geschafft. Ich war sogar Aedil in Rom. Aber letztendlich verspürte ich keinen Drang mehr weiter in die Politik dort zu dringen.“ Medeia betrachtete einige exotische Pflanzen ihr gegenüber. Sie kannte sie nicht und würde sie im Museion nachschlagen lassen. „Aber ich bin im Auftrag der Schola von Rom hier. Ich bin dort Praeceptor und soll mich um das Museion von Alexandria kümmern. So werde ich wohl noch eine Weile hier bleiben.“


    Sanft plätscherte das Wasser an ihnen vorbei, das Idyll beruhigte Medeia immer mehr. „Und Dir? Erzähle, wo hast Du die letzten Jahre verbracht? Hier in Alexandria oder auf einem Schiff, die Charybdis jagend?“ Medeia konnte sich das bei Timokrates durchaus vorstellen. Er hatte das Blut eines Abenteurers, eines Charmeurs und eines Trickbetrügers gleichermaßen. Genau das war es, was Medeia stets an jenen Mann fasziniert hatte. Nachdenklich betrachtete sie Timokrates. Womöglich könnte sie...? Doch, doch. Er könnte sicherlich damit etwas anfangen. „Sag, Timokrates, ist es Männern hier in der Politik erlaubt, jegliches Geschäft und Gewerbe nachzugehen?“

    Zum ersten Mal seit Wochen stiegen die Gerüche der Speisen nicht unangenehm in Medeias Nasen. Nachdem sie sich von dem kurzen Weg von der Sänfte zu den Tischen erholt hatte, war sie auch in der Lage die dargebotenen Speisen zu betrachten. Ihr zwergenhafter Sklave schien das als Einladung zu betrachten. Schnell nahm er einen der vielen und billig hergestellten Tonteller und packte ihn bis zum Rand voll mit den Speisen. „Hier, Domina. Der Medicus wird...“ Schnell verstummte er. Denn bei der Erwähnung des Medicus sah ihn Medeia leidig an. So goß er nur schweigend etwas Wein nach. Sinnierend betrachtete Medeia eine gefüllte Dattel, die neben einer Meeresfrucht auf dem Teller lag. Es war eine wahllose Mischung. Medeia ergriff die Dattel und steckte sie sich in den Mund. Langsam kaute sie und genoß die intensive Süße als sie des Grußes gewahr wurde. Schnell schluckte sie runter und sah auf. Ein Grieche, wie Medeia wiederum vermutete, hatte sich an sie gewandt. Was Medeia wirklich nicht unrecht war. Schließlich hatte sie Wochen lang der Einsamkeit frönen müssen. Etwas, was ihr nicht schwer fiel, aber irgendwann brauchte Medeia auch wieder Gespräche, die ihre Gedanken bereichern und inspirieren konnte. Und das vermochten ihre Sklaven nicht. Ebenso der Medicus, der in erster Linie ein Meister seines Faches war und sich mit der Philosophie mehr widerwillig in seinem Studium auseinander gesetzt hatte. So glitt ein erfreutes Lächeln über Medeias Gesicht. Denn jener Mann war gut gekleidet, offenbarte gesittetes Benehmen (seine aufrechte Haltung) und ein gepflegtes Erscheinen.


    „Chaire!“, grüßte Medeia deswegen freundlich zurück. Nur einen Moment lenkte der pompöse Einzug Medeia ab. Durchaus ein Stück entfernt war dieser und doch vermochte Medeia all die buntschillernden Gewänder auszumachen. Die Priesterschar und in allem thronend der Kaiservertreter, der teilweise schon als Gott angesehen wurde. Wie es Medeia damals bei seinem Einzug erschienen war. Erneut lächelnd wandte sie sich an Leonidas. Nun trat auch ihr attischer Akzent zu Tage. „Verzeih, Du bist doch sicherlich aus der Stadt, wenn ich das fragen darf? Wird hier bei der Opferung einer besonderen Sitte gefrönt oder gleicht sie den anderen hellenischen Städten?“ Um sie herum verstummte es etwas, wenn auch noch nicht alle Zuschauer bemerkt hatten, dass der Praefectus die Stimme an sie richten wollte. Doch einer Welle gleichend breitete sich das zumindest bis zu dem Tisch auch aus, an dem Medeia mitsaß. So erhob sie den Blick, um zu sehen, was vorne vor sich ging.

    Eine derartige Kälte überraschte Medeia nicht, wenn sie auch gehofft hatte, dieser nicht zu begegnen. Innerlich wurde sie zwar dennoch zornig, überspielte das jedoch mit einem (zugegen etwas gezwungenem) Lächeln. Adrett faltete sie ihre Hände auf dem Schoß und ließ jede Belehrung und Rüge über sich ergehen. Sie hatte stets die Erfahrung gemacht, dass man alte Männer reden lassen sollte bis sie fertig waren und sich um ihr Geschwätz nicht sonderlich zu kümmern brauchte. Die Drohung des Rauswerfens verärgerte Medeia durchaus, aber sie ließ sich davon nichts anmerken. Es würde auch nichts bringen. Immerhin hatte sie ihr Ziel bereits erreicht, sie musste nicht länger draußen warten. „Werter Epistates. Das werde ich beherzen. Doch nun möchten wir vielleicht anfangen?“ Sogar ihrer Stimme versuchte sie noch einen freundlichen und höflichen Ton abzutrotzen. Was ihr auch einigermaßen gelang. Und tatsächlich, ein vernünftiges Gespräch entstand dann doch noch. Eine Stunde später verließ Medeia den Arbeitsraum mit einigen Schriftrollen. Ein Sklave führte sie dann noch durch das Museion, gab ihr Listen der Gelehrten und Schüler und am späten Nachmittag verließ Medeia den großen Komplex.

    Abgeschiedenheit, Ruhe und das Rauschen des Meeres. Medeia hatte langsam genug davon. Schon seit Wochen hatte sie sich zurückgezogen. Als sie dann von den Spielen gehört hatte, konnte sie nicht anders. Entgegen des Rates ihres Medicus hatte sie die Sänfte bereit machen lassen und war mit ihrem kleinen Hofstaat (Pumilus, Olympia, den Sänftenträgern und zwei Leibsklaven) aufgebrochen in die Stadt. Schon früh am Morgen hatten sie die Straße außerhalb der Stadt bewandert und waren durch das große Sonnentor nach Alexandria gekommen. Durch den morgendlichen Tumult war die Sänfte gekommen und auch bis zum Hippodrom. Eilends traten die Leibsklaven vor die Sänfte und Olympia öffnete von innen die Vorhänge. Mit Hilfe von ihrer Sklavin kletterte Medeia nach draußen. Ein langes Gewand aus tiefgrünem Stoff trug sie und darüber (entgegen ihrer letzten Gewohnheit sich griechisch zu kleiden) eine moosfarbene Stola, die bauschig und faltig sich um ihren Körper goß. Blass und kalkfarben war das Gesicht von Medeia. Spröde ihre Lippen vom Durst, obwohl sie den ganzen Weg getrunken hatte. Tief lagen ihre Augen und dunkle Augenringe zierten unschön ihr Gesicht. Als ob sie in einer langen zährenden Krankheit verstrickt war, zeigten sich alle Symptome der Schwäche an ihr. Medeia straffte ihre Gestalt und atmete tief ein. „Sollen wir Dich tragen, Domina?“, hörte sie den Leibwächter fragen. Schnell schüttelte Medeia den Kopf. Nein, gerade zum Bewegen war sie auch in die Stadt gekommen. Doch es versprach wieder ein heißer Tag zu werden. Medeia war sich einen Moment unschlüssig, ob sie nicht doch umdrehen sollte. Doch die kuriose Musikmischung aus dem Inneren überzeugte sie anders. Dezent wurde Medeia von ihrer Sklavin gestützt. Sogar ihr kleiner Leibsklave Pumilus schwieg bedrückt und suchte mit Tritten, Beißen und Stoßen danach alle Menschen aus dem Weg von Medeia zu bekommen. Schon verschwand der kleine Sklave im Treiben.


    Erschöpft blieb Medeia stehen und blickte hinauf zu dem gewaltigen Bau des Hippodrom. Erstaunt sah sie es an. Mit dem Circus Maximus selber konnte sich der Bau messen. „Was soll das heißen, Du Wicht? Nein, ich habe den ganzen Morgen auf den Platz hier gewartet....Das ist mir völlig egal....Pah, das kann jeder behaupten. Scher Dich fort.“ Selbst bis zu Medeias Gedanken, die vom Fieber gedämpft wurden, drang das Geplärre eines Mannes in der Nähe. Suchend sah Medeia in die Richtung. Doch ein massiger Rücken verdeckte ihr die Sicht. „Wie...was? Sicher?...Naja gut.“ Verwirrt hob Medeia die Hand und fuhr sich damit über ihre hitzige Stirn. Eigentlich hätte sie nicht kommen sollen und sie fühlte sich gänzlich unpässlich. Doch schon marschierte Pumilus zurück. Mit jeder Faser seines Körpers drückte er Stolz aus. „Domina! Ich habe einen Platz für Dich.“ Erschöpft nickte Medeia. Kein Lob, kein Tadel für die Eigenmächtigkeit. Medeia war dafür zu schwach. So ließ sie sich zu einem der Tische führen und sank auf der Bank herunter. Doch das Treiben um sie herum tat Medeia gut. Die vollkommene Stille, nur unterbrochen vom Streit ihrer Sklaven oder das Wispern des Meeres, hatte Medeia belastet. Zudem jeden Tag an dem sie auf eine Nachricht von ihrem Ehemann wartete. Seitdem sie von dem Gefecht erfahren hatte, war ihr Schlaf noch unruhiger geworden. Doch heute suchte sie danach, das Fest zu genießen und den Tag unter Menschen zu verbringen. Bemuttert von ihren Sklaven ergriff Medeia einen Tonbecher und trank einen tiefen Schluck vom dem stark verdünnten Wein.

    Versunken betrachtete Medeia das sanfte Plätschern des Brunnens. Blau schillernd fielen die Wassertropfen dort hinein, die Nikolaos beim Waschen verspritzte. Um sie herum rauschten die Blätter der Bäume. Immer wieder und wieder bis es zu den Wogen von Meereswellen wurden. Rote Tropfen fielen in den Brunnen, Blut, was sich mit dem hellen klaren Nass vereinte, lange Fäden zog und sich auflösten. Nimm das Opfer an... Medeia schien nun doch nicht mehr unter der Hitze zu leiden, sondern zu frösteln. Sie umgriff ihre Palla und zog sie enger um sich herum. Jene Erinnerungen plagten Medeia jede Nacht seit vielen Tagen. Eigentlich sonst nicht zimperlich oder zart besaitet, bereitete ihr dieses Geschehen doch mehr Kopfzerbrechen als sie es sich eingestehen wollte. Ein Grund mehr, warum sie unbedingt den Schrein der Isis aufsuchen wollte. Viele Fragen gingen ihr im Kopf herum und sie suchte danach, diese beantwortet zu bekommen. Nes schien neben ihr zu verblassen, seine Ruhe und Stille, seine doch dezente Art ließen Medeia ihn vergessen. So nahm sie auch nicht das wohlgefällige Nicken von Nes war, der mit Zufriedenheit die Antwort von Nikolaos zur Kenntnis nahm. Nes ging einige Schritte voraus und durch ein Gewölbetor hindurch. Links und Rechts von diesem standen jene statuenhaften Tempelwächter, von denen man glauben könnte, sie hätten schon zur Zeit der Ptolomäer hier gestanden.


    Aufgeschreckt aus ihrer Gedankenwelt sah Medeia zu Nikolaos als dieser sie noch vor dem Betreten ansprach. Sie wandte sich ihm zu und sah ihn ernst aus ihren grünen Augen hervor an. Es schien für Medeia schon fast gespenstisch zu sein. Hatte der junge Mann ihre Gedanken erahnt? Doch Medeia schüttelte das von sich, ohne ihren Ausdruck zu verändern und lauschte Nikolaos Worten. Doch gänzlich konnte Medeia dem nicht folgen. Konzentriert dachte sie über seine Worte nach. Sicherlich, Nikolaos hatte nicht ganz unrecht, was er bei Medeia vermutete. Sie hatte einen Hang zu Mysterien. Im Grunde jedoch bevorzugte Medeia stets die griechischen Göttern allen Anderen gegenüber. Wenn sie sich auch nicht der Mode um Isis in Rom verwehrt hatte. Doch noch mehr war Medeia der Göttin der Unterwelt zugetan, deren Namen sie selten in den Mund nahm. Zumindest in den letzten Jahren nicht. „Dionysos? Oh.“, murmelte Medeia leise. Die Erwähnung ließ sie an ihre Jugend zurück denken. Es kam Medeia wie viele Dekaden vor, in einem anderen Leben und an einem weit entfernten Ort. Sie war damals noch nicht achtzehn Jahre alt gewesen bei einer ähnlichen Feier in Athen. „Ich muss zugeben, abgeneigt wäre ich nicht, werter Nikolaos. Darf ich denn fragen, wen Du mit 'wir' bei diesem Ritus meinst?“

    Es war immer wieder verwunderlich für Medeia, derartige Kontraste in dieser Stadt zu erfahren. In einem Moment stand man noch zwischen 'Tausenden' von Menschen, wurde schier von ihren Gerüchen, ihrer Masse und ihr Lärmen erdrückt oder von dem Elend mancher Straßenzüge ernüchtert und im nächsten Augenblick schien man sich in einer Welt zu befinden, die nicht mehr in die der Stadt Alexandria zu passen schien. Wie ein Paradies, ein Ausflug in ein fremdes Land waren die Streifzüge durch Parkanlagen oder alten Tempeln.


    Erleichtert sog Medeia die frischere Luft in sich ein. Der Bach vermochte ein wenig Kühlung zu verschaffen und das Zwitschern der Vögel die Seele zu beruhigen. Nur mit Mühe war Medeia ihrem energiereichen Begleiter gefolgt, hatte die Kurzatmigkeit verborgen und das Bedürfnis sich nach jedem dritten Schritt hinzusetzen. Doch hier im Park blieb sie kurz stehen. Über ihr in den Zweigen eines Zitronenbaumes gurrte eine Palmtaube. Interessiert betrachtete Medeia das rötliche Gefieder am Rücken und die cremigweiße Farbe am Bauch. So viele Taubenarten wie in Alexandria hatte Medeia zuvor noch nicht erblickt. Die Bewunderung für diesen wunderschönen Park und auch Heiligtum spiegelt sich in Medeias Gesicht wieder.


    „Wundervoll.“, gab sie von sich und folgte dem Deuten von Timokrates. Hinter sich vernahm sie die leisen Schritte ihrer Sklavin Olympia. Die Sänfte wartete vor dem Eingang und am Rande des üblichen Stadttrubels. „Alexandria ist ein Hort voller Wunder. Überall erscheinen diese wunderschönen Oasen.“ Ihr Schatten fiel auf einige der anderen Blüten, doch auch sie beugte sich herunter um das filigrane Kleinod zu betrachten. „Schön.“ Die Farben verschwammen in einem Wirbel als sie sich wieder erhob. Nur mit all ihrer Selbstbeherrschung vermochte sie nicht gleich wieder zu Boden zu sinken oder sich groß etwas davon anmerken zu lassen. Medeia hasste es, eine Schwäche einzugestehen. Egal, welcher Art sie war und wie reichlich sie diese auch besaß. „Ich hörte auch, es gibt dort Löwen, die so klein wie Vögel sind und Menschen mit zwei Köpfen, die Männer griechischer Herkunft besonders gerne verspeisen.“ Ein wenig Schalk war bei Medeia zu erkennen. Doch nur kurz, denn sie wandte sich ab um wieder auf den Weg zu treten. Auch Medeia wusste nicht wirklich die Bezeichnung der Orchidee. Denn die Botanik und Naturphilosophie war nicht das Feld der Wissenschaft, mit der sie sich ausgiebig beschäftigt hatte. Über mehr als die Schriften von Aristoteles war sie nicht hinaus gekommen. In Athen hatte das oft auch genügt.


    Langsam ging Medeia einige Schritte weiter und betrachtete nur kurz eine Statuette, die auf einer Säule thronte. Bunte und nicht immer zusammenpassende Farben schmückten den kleinen Gott und auch die Statue, an deren Sockel zahlreiche Reliefs von dem Leben des Gottes berichteten. Der Sockel war zudem mit auffallend viel Goldarbeit versehen. Doch um welchen Gott es sich handelte, konnte Medeia nicht erahnen. „Im Museion gibt es eine ähnliche Sammlung von Tieren und Pflanzen. Auch diese fand ich bereits überwältigend.“ Medeia blieb kurz stehen, denn ein Pfau mit glänzendblauen Gefieder, schillernd und feinfedrig, stolzierte über den Pfad. Nur seine Schwanzfedern schienen etwas kümmerlich und ausgerupft zu sein, war doch die Balzzeit bereits vorbei. Was den Vogel nicht daran hinderte sich wie ein bunter Geck aufzuführen. Und über einen anderen Pfad trat ein anderer bunter Geck entlang, dieses Mal jedoch ein Mensch. Der Mann trug seine schwarzen geölten Locken aufgetürmt, noch höher als Medeia ihre Frisur. Zahlreiche Ketten, Geschmeide und Gold bedeckten seinen Körper neben roten, blauen und goldenen Stoffen, die sich schon miteinander bissen in ihrer Farbenpracht. Dazu trug er mindestens drei Schichten an Kosmetika im Gesicht. Besonders auffällig war er noch durch seinen Begleiter, der neben ihm in seiner ernst grauen Gelehrtenrobe verblasste.


    Schnell ergriff Medeia Timokrates am Arm und lenkte ihn in eine andere Richtung. „Denen wollen wir besser nicht begegnen.“, erklärte sie und trat zwischen zwei prächtig blühenden Hibiskusbüschen hindurch.„Aber, mein lieber Timokrates, erzähl doch. Was hat Dich nach Alexandria verschlagen? Und hast Du mittlerweile gar geheiratet?“

    Melde mich vorsorglich für eine Woche ab, da ich weg fahre. Zwar nicht in einer internetfreie Zone, aber ich weiß nicht, wann, ob und wie oft ich da zum Schreiben kommen. Das gilt natürlich auch für dieses komische Anhangsgebilde in Ägypten, was ich ab und an bediene. Die betroffenen Leute wissen das ja dann. Bis dann.

    ~ ...einige Wochen später.


    Medeia hatte keine Kosten und Mühen gescheut, das Anwesen wieder her zu richten (genau genommen hatte sie zwar nicht verschwenderisch alles restaurieren lassen, aber natürlich das Geld ihres Mannes dafür großzügig verwandt). Und so erstrahlte nun das Haus in alten, glanzvollen Farben, neuen Mosaiken, einem Brunnen vor dem Haus und einen gebändigten Garten.


    ~ Auf der Viridia ~


    Sanft bauschten sich die pastellfarbenen Vorhänge vor dem Fenster zum Triklinium Cyzigenum. Im Schatten eines Sonnendaches und mit dem Blick auf das blau schäumende Meer zu ihren Füßen lag Medeia auf einer smaragdgrünen Kline, deren Rand mit Silber verziert war. Ihre rechte Hand ruhte in der eines Mannes, der seine von Leberflecken übersäte Hand um Medeias geschwollenes Handgelenk gelegt hatte. Stumm schien dieser etwas zu erlauschen. Medeia kümmerte sich nicht darum und hielt mit der anderen Hand einen silbernen Becher umgriffen, der kühles Wasser enthielt, was in den Tiefen ihres Keller gelagert wurde. Selbst für den Brunnen mussten sie Fässer aus der Stadt heran bringen, um ihn mit dem klaren Nass zu füllen. Weiße Wolken zogen in der Ferne über den tiefblauen Himmel, die salzige Brise vom Meer verschaffte Medeia zusätzlich Kühlung und doch ging es ihr wieder sehr schlecht an diesem Tag. Kaum bewegen wollte sie sich, geschweige denn für die Schola in die Stadt reisen und sich abermals mit den lästigen Gelehrten des Museion auseinander setzen. Zäh war das voran kommen im Museion und genauso machte ihr die schwache Gesundheit zu schaffen. Medeia wandte ihren Kopf zu den Gelehrten, der sie nicht mit dem arroganten Snobismus eines Griechen behandelte und sich, als Medicus, ihres Leidens angenommen hatte. „Ihr hättet schon vor Jahren zu einem Medicus deswegen gehen sollen und dann noch mit eurem Zustand schon vor Wochen insbesondere.“


    Ungnädig seufzte Medeia, denn der Medicus kam immer wieder auf ihr Versäumnis zu sprechen. „Ich weiß es nun, werter Andokines.“ Der Medicus Andokines legte ihr Hand zurück auf die Kline. „Haltet ihr die Diät ein?“ Medeia nickte stumm und mit leid geplagter Miene, denn sie hasste den Plan, der ihr aufgezwungen worden war. „Wie lange noch?“ Der Medicus, der sich einige Notizen auf einer Wachstafel machte, sah auf und runzelte seine buschigen Augenbrauen. „Die nächsten drei Monate auf jeden Fall und ich kann nicht versprechen, dass es danach besser sein wird. Wie gesagt...“ Medeia winkte ab. „Ja, ich weiß.“ Der Medicus erhob sich und steckte die Tafel weg. „Ich schicke meinen Jungen nächste Woche mit den anderen Kräutern. Ansonsten bleibt hier am Meer und weit weg von den Chiasmen der Stadt. Das wird euch hier gut tun. Und die Arbeit muss ruhen in den nächsten Wochen. Wehe, ich sehe euch am Museion.“ Medeia nickte abermals gehorsam, wenn sie auch nicht vor hatte, dem nachzukommen. Denn sie hasste die Untätigkeit ungemein. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so lange nicht gearbeitet. Die Schritte des Medicus verhallten und Medeia lehnte sich wieder auf der Kline zurück. Ihre grünen Augen sahen matt über das Meer hinweg, was sie einzulullen schien.

    Ein flaues Gefühl machte sich in ihr breit und die Hitze des Tages machte Medeia wieder zu schaffen. Am Liebsten hätte sie wieder die Sänfte bestiegen, um sich in dem Schatten der Dachbedeckung und dem Komfort der zahlreichen Kissen von dem kurzen Ausflug an die Tageshitze zu erholen. Doch die Pläne des Tages meinten es nicht ganz so gnädig mit Medeia. Ambivalenter Gefühle sah Medeia auf die dargebotene Hand. Zum einen reizte es Medeia ungemein, zu erfahren was Timokrates vor hatte. Neugier war nun mal ein kleines Laster von ihr, wenn sie sich schon seit Jahren stetig bemühte alle anderen Laster, die sie jemals hatte, los zu werden. Und dazu gehörte nun mal, höchst anständig zu leben. Und was war einer römischen Frau (so wie es Medeia stets annahm, denn im Grunde war sie doch mehr Griechin) ein Greuel? In aller Öffentlichkeit einen Mann vertraut zu berühren. Schon auf ihrer eigenen Hochzeit hatte Medeia ihrem frisch angetrauten Mann jegliche Innigkeiten über das rituelle Binden ihrer Hände hinaus auszudehnen verboten. Doch immerhin waren sie hier in Alexandria und nicht in Italia. Nach einem kurzen Zögern hob Medeia die Hand, unterdrückte ein resigniertes Seufzen. Denn scheinbar vermochten die Schatten ihrer Vergangenheit (so gut sie auch aussahen und charmant sich diese 'Schatten' ihr offenbarten) stets etwas von ihrer neuen Fassade abbröckeln zu lassen. Und ähnlich wie bei einer Mauer dauerte es stets lange, diese wieder zu restaurieren. Doch Medeia lächelte dann und sah Timokrates fragend an. „Dann führe mich und ich werde Dir für heute folgen.“ Den überraschten Ausdruck von Olympia nahm Medeia nicht wahr.

    Eine andere Welt eröffnete sich vor den beiden Besuchern der Tempelanlagen. Fern, unendlich weit weg schien nun das Elendsviertel von Alexandria zu sein. Lieblich spielt die Sonne mit der Farbenpracht, die der Garten der Anlage beherbergt. Leuchten rote Blütenkelche, vermischten sich mit zarten und dezent weißen Pflanzen. Sorgsame Hände hatten die Anlage bepflanzt und geschmückt, sorgten stets für ein harmonisches Bild. Mit jedem Schritt würde man sich weiter von der schnöden Welt entfernen können, das Elend vergessen und sich ganz den Gedanken und der Ergebenheit an die Götter hingeben können. Eine Gruppe junger Kinder, womöglich im Alter von 5 bis 7 Jahren, schritten hinter einem älteren Mann hinterher. Bereits die Kinder trugen die Gewänder von Tempeldienern. Wenn auch ihre Haltung schon einen ungewohnten kindlichen Ernst offenbarten, so tuschelten die Kinder, lachten leise miteinander. Nes neigte ernsten Gesichtes, wenn auch mit einem weiterhin gutmütigen Ausdruck auf dem Gesicht, den Kopf. „Es ist auch mir eine Freude, euch Beide kennen lernen zu dürfen.“ Er sah von Nikolaos zu Medeia, die er jedoch nicht allzu lange ansah. Scheinbar hielt er das nicht für angebracht. „Das Licht spielt insbesondere bei Sarapis eine große Rolle. Weniger bei Isis oder Harpokratis. Doch ihr werdet sicherlich das noch sehen, selbst bei den anderen Heiligtümern lässt sich eine andere Atmosphäre fühlen je nach dem Zeitpunkt der Sonnenwanderung. Wenn ich die Vermutung aussprechen darf? Dann seid ihr Beide noch nicht allzu lange in der Stadt?“


    Sein Blick, als Nikolaos auf Medeia bezüglich der Beantwortung seiner vorigen Frage verwies, ging dann doch wieder zu Medeia. Erneut musste Medeia bewundern, auf welche elegante Weise Nikolaos sie immer wieder in die ganze Angelegenheit einband und sich als sehr höflich erwies. Medeia lächelte leicht und dachte über die Wahl und die Möglichkeiten nach. Nach einem Moment antwortete sie: „Wenn es genehm wäre, würde ich gerne das Heiligtum der Isis zuerst sehen.“ Und da Medeia nicht nur wegen den Tempeln im Sarapisheiligtum war, fügte sie weiterhin an. „Stimmt es, dass ein Teil der Bibliothek des Museion hier beherbergt ist?“ Der Priester nickte darauf hin. „In der Tat, wenn man auch das Sarapeion als eine eigene Sammlung betrachten kann.“ Medeia nickte nachdenklich. Der Priester deutete zu ihrer rechten Seite. „ Dort liegt der große Tempel mit den Heiligtümern aller drei Götter. Doch zuerst führe ich euch zu der Göttin Isis.“ Als er mit dem Arm auf den Tempel deutete, waren deutlich Brandnarben auf der Haut zu erkennen und auch die Narbe einer ehemals tiefen Verletzung, die nur grob und schlecht wohl damals genäht wurde. Doch der Anblick war nur kurz zu sehen, denn der Mann ging bereits auf den Tempel zu. Medeia wandte sich zu ihren Sklaven um, die am Tor standen. „Ihr wartet hier oder sucht euch einen Platz im Schatten.“ Dann folgte Medeia auch dem Mann, natürlich abwartend, ob auch Nikolaos mitkam.


    Säulen umrundeten den großen, vieleckigen Bau in der Mitte, bewacht von zahlreichen Tempelwachen, die wie Statuen wirkten in ihrem starren Beobachten. Nur wenn sich mal einer der Wachen rührte, wurde die kleine Illusion zerbrochen. Nes trat vor einen sanft plätschernden Brunnen, der ganz aus Marmor beschaffen war. Seine Finger tauchten in das klare Element und er benässte sein Gesicht und seine Hände. Dann trat er zur Seite und deutete stumm den Beiden, seinem Beispiel zu folgen. Auch Medeia tunkte ihre Fingerspitzen in das Wasser. Herrlich erfrischend war die Kühle. Medeia hob den Schleier, der sie schützen sollte an, und benässte ihre hitzigen Wangen. Auch das fühlte sich angenehm an. Dann trat sie ebenfalls zur Seite. Nes nickte zustimmend als er das sah und fragte schließlich: „Ihr seid sicherlich mit den Göttern dieses Tempels bewandert?“

    Ein Lächeln huschte über Medeias Lippen als sie die ausgesprochen höflichen Worte vernahm, was die Hitze anging. Und erst recht als sie die Bemerkung über ihre Person aufgrund der Frage des Priesters vernahm. Der Priester derweil lauschte der Antwort des jungen Griechen und nickte zustimmend. Denn er hatte genug aus der Wahl der Worte seines Gegenübers heraus gehört, um den nötigen Respekt in ihm zu erkennen, ebenso eine Bildung, die doch oftmals mit der Hochachtung der Götter gegenüber einher ging. Leider nicht immer. Der Mann neigte den Kopf. „Dann werde ich euch mit Freuden führen.“ Er sah zu Medeia hinüber, als Nikolaos nach ihrem Einverständnis fragte. Mit einem Neigen ihres Kopfes und: „Es wäre mir auch eine außerordentliche Freude.“, stimmte Medeia dem zu. Der Mann deutete einladend auf das große Tor. „Dann folgt mir doch bitte. Mein Name ist übrigens Nes.“ Es war nicht nur die gedrungene, athletische Gestalt des Mannes, die eher einen Kämpfer vor Augen führte, nein, auch der Gang. Geschmeidig und federnd trat er durch das Tor und auf die breite Straße, die auch als Prozessionsweg dienen konnte und es auch tat, in den Komplex des Sarapeion hinein. Links und rechts säumten schlanke Sykomore den Weg. „Welches Heiligtum möchtet ihr zuerst betreten. Das der Isis, des Sarapis oder des Harpokratis?“

    Voll der Neugier in den Augen betrachtete die junge Sklavin hinter Medeia ( ihre Herrin konnte es so ja nicht sehen), denn Hellenen und Politiker der Stadt Alexandria. Olympia gefiel es in Alexandria ausgesprochen gut, denn dadurch, dass es ihrer Herrin in letzter Zeit nicht sonderlich gut ging, durfte sie immer öfter alleine in die buntschillernde und so farbenprächtige Stadt. Medeia ließ Timokrates auch nicht aus den Augen und nickte kurz. „In der Tat, ich bin das erste Mal in dieser Stadt. Ich habe aber eine formidable Reiseerzählung von Plutarch erwerben können. Somit bin ich zumindest nicht ganz unwissend, was die Stadt des Alexanders angeht.“ Was sie dennoch nicht davor beschützt hatte, sich zu verlaufen. Und ausgerechnet in das Elendsviertel. Doch aus diesem Fehler war durchaus etwas Gutes entstanden, wenn sie Medeia daran zurück entsann.

    Das kurze Vergnügen, was in Medeia aufkeimte, verlosch schnell wie ein Feuer, was ein Papyrus erfasste und nur noch Asche zurück ließ. Womöglich war es jedoch auch die Hitze, die Medeia mehr zu schaffen machte und sie das kleine Spiel um die Sklavin wieder Leid wurde. Nachdenklich betrachtete sie den Mann, der es wirklich auf die Sklavin abgesehen hatte. Noch einmal musterte Medeia die Sklavin, ob es sich doch lohnen würde sie zu kaufen. Ob 1500, 2000 oder 5000 Sestzerzen, es kümmerte Medeia wenig, seitdem sie so eine gute Partie geheiratet hatte, doch war immer noch ein kleiner Teil in ihr, den sie sich aus Athen bewahrt hatte, der nicht unnötig Geld verschwendete. Den Ägypterinnen sagte man nach, dass sie sich hervorragend mit der Schminkkunst auskannte, ebenso mit Duftölen und anderen schönen Dingen des Lebens. Doch die laszive Art...nein, Medeia würde die Sklavin zu sehr erziehen müssen. Just eilte Olympia zurück, auch einen Wedel, den sie prompt über Medeia hielt, damit die Sonne nicht zu sehr auf sie herunter stach. Medeia nahm den Becher entgegen, trank einen Schluck von dem Dattelsaft und reichte ihn an ihre Sklavin zurück. Mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen trat Medeia in die Nähe von dem Vernarrten. „Passt auf, die schönsten Schlangen sind die Gefährlichsten. Viel Vergnügen mit ihr.“ Medeia schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln, dann wandte sie sich um, um anderen Sklaven oder möglichen Käufen ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

    Langsam, aber sicher wurde Medeia das dichte Drängen auf dem Fremdenmarkt zu viel. Das Geschrei in ihren Ohren schmerzte, die Gerüche reizten ihre Nase und ließen ein Unwohlsein in ihr Aufsteigen. Außerdem drückte die Hitze wieder unerträglich auf sie herunter. Womöglich wäre das der Grund gewesen, dass sie einfach weiter gegangen wäre. Aber dann sah sie zu dem Mann, der gerade sie mit einigen Sesterzen überbot. (Scheinbar war das hier ein römischer Sklavenhändler, wenn er keine Drachmen verlangte.) Und der Ausdruck bei dem Mann, der sich stur nach vorne gedrängt hatte, war es, der sie einen Moment inne halten ließ. Sie betrachtete ihn kurz und erkannte die eindeutig närrischen Zeichen eines Mannes, der eine schöne Frau sah und glaubte von Eros getroffen worden zu sein. Dieses Leuchten in den Augen, des trottelhafte Lächeln und Medeia wußte (sie meinte es zumindest), dass solche Männer dem eigenen Begehren und den fleischlichen Gelüsten lediglich einen edleren Namen geben wollten. Medeia schmunzelte und sah amüsiert zu der Sklavin. Für Narren und Verliebte hatte Medeia selten etwas übrig. Und wenn sich der Mann schon zu einem Tor machen musste, dann sollte es ihn wenigstens teuer zu kosten kommen. „1500 Sesterzen!“, bot Medeia darum. Die Hitze besserte sich schlagartig mit dieser Vergnüglichkeit, die sich hier bot und Medeia winkte ihre Sklavin näher heran. „Geh mir etwas zu trinken kaufen. Das könnte noch einen Moment dauern. Und schicke Pumilus los, die Sänfte soll auf die andere Seite des Sklavenmarktes kommen. Ich werde nicht mehr allzu lange hier bleiben.“ Olympia nickte ergeben und drängte sich, wie auch Pumilus, durch die Menschenmenge davon. Nur der grimmig drein schauende Söldner (das konnte er nämlich am Besten) blieb mit Medeia zurück.

    Ein lakonisch vor sich hin starrender Nubier wurde von einem griechisch, pfauenhaften Sklavenhändler feil geboten. An anderer Stelle wurden Kinder verkauft, die von einem Teppichknüpfer erstanden wurden. Ketten rasselten, Jammern und Wehlaute mischten sich mit den sich übertrumpfenden Werberufen der zahlreichen Sklavenhändler, die ihr Geschäft mit der Ware Mensch machten. Nicht sonderlich von den abstoßenden Gerüchen ging Medeia an den billigen Händlern vorbei, die ihre Massenware zu Schleuderpreisen verscherbelten. Jenen Menschen, die oftmals in den Minen von Mons Claudianus oder Porphyrites landeten, auf den Feldern rund um den Nil oder gar auf den Ruderbänken ägyptischer, römischer oder griechischer Schiffe arbeiten mussten, war kein langes Leben beschieden und mussten schnell ersetzt werden. An solchen Sklaven, meist mager, schon kränklich oder wegen Verbrechen zum Sklavendasein verurteilt, war Medeia nicht interessiert, sah sie darin nur den Abschaum des Abschaums. Kühlen Blickes schritt sie an dieser Ware vorbei und deutete ihrem Leibwächter weiter den Weg zu bahnen.


    Die Gerüche wurden auch besser als sie den Elendsteil des Sklavenmarktes hinter sich gelassen hatten und nun zu der Luxusware gelangten, die heraus geputzt, eingeölt und gepflegt vor die Käufer geführt wurden. Interessiert betrachtete Medeia eine schlanke Frau aus dem Zwölfmeilenland, deren scharzen Haare zu vielen Zöpfen geflochten war und ihr Körper von Nussöl bestrichen im Sonnenlicht glänzte. Doch der Blick in die schwarzen Augen der Frau ließen jegliches Interesse verschwinden, denn darin befand sich genauso viel Wildheit wie in einen Germanen, der nur darauf wartete, dass sich sein Herr auf sein Lager legte, um ihn ihm Schlaf zu ersticken. So kam sie auch zu Titus und seiner Ware. Erwartungsvoll besah sie sich auch hier die Sklaven und fixierte die Ägypterin. Auf den ersten Blick gefiel Medeia durchaus, was sie sah. Zumal eine Ägypterin viele Vorteile hätte. Doch die laszive Art der Frau mißfiel Medeia ein wenig. Erst wollte sie sich wieder indolent abwenden als ihr ein Einfall kam. Womöglich würde Plautius, wenn er zurück kam, an ihr Gefallen finden, denn an der blonden Olympia schien er nicht im Mindesten interessiert zu sein, wie Medeia stets mit Bedauern fest gestellt hatte. Medeia drehte sich wieder um und betrachtete die junge Frau ein zweites Mal länger. „600 Sesterzen!“, bot sie.

    Melodisch zirpte eine Grille am Rande eines trockenen Busches, der schon seit Jahren nicht mehr gepflegt worden war, nachdem er aus Griechenland nach Ägypten gebracht wurde und nun in fremden Boden gepflanzt elendig zu Grunde gegangen war. Direkt neben dem Busch stand der dickliche Ägypter und strahlte über beide Ohren, denn scheinbar hatte er endlich einen Dummen, mehr eine Dumme, für das Anwesen gefunden. Natürlich äußerte er das nicht laut, tupfte sich nur noch mal die Stirn mit seinem Tüchlein ab. „Ich beglückwünsche euch zu dieser Entscheidung, werte Dame. So ein schönes Haus und so günstig werdet ihr in ganz Ägypten nicht finden.“, schwindelte der Mann gekonnt. Medeia betrachtete den Garten hinter dem Haus und wandte sich zu dem Ägypter. „Und was genau soll es kosten?“ Der Ägypter lachte verlegen und winkte ab. „Ah, der schnöde Mammon...“ Nach ein wenig Geziere nannte er schließlich die Summe, die nicht gering war. Medeia sah über die Dattelpalmen, die verwilderten Zierbüsche und das Land hinter dem Haus hinweg und meinte schließlich nach einem langen Schweigen. „Gut, ich nehme es.“ Plautius würde es zahlen müssen, aber wozu hatte sie schließlich geheiratet? Nur, um endlich mal einen Mann zu haben, der ihr auch den Komfort bot, den sie glaubte auch verdient zu haben. Die kleine und unbedeutende Nebensache: Weil sie Plautius auch schon ins Herz geschlossen hatte, schien in dem Moment recht unbedeutend. Der Ägypter strahlte auf und beteuerte etliche Male, was für eine gute Entscheidung Medeia traf. Mit jedem Wort kam jedoch ein ungutes Gefühl in Medeia auf. Dennoch, ihr gefiel die Villa und hier wollte sie wohnen. Fern von der Stadt und an guter Meerluft.


    Etwas später verließ ein Maulesel und eine Sänfte wieder das Anwesen. Stattdessen tauchten Tage später die ersten Handwerker und ein Baumeister auf, die sich um das Anwesen kümmern sollten und die Risse, die verblassen Farben und den Wildwuchs beseitigen sollten.

    Die Aussicht bald den Morgen an der Sarapisstatue zu erleben, erfreute Medeia sehr. Denn ihr religiöser Eifer, so sie dazu kam, kannte keine Grenzen. So neigte sie zustimmend den Kopf und wurde gleich darauf etwas verlegen. Denn eine Schwäche ein zugeräumen, das war noch nie eine Stärke von Medeia gewesen. „Ich muss mich erst an die Hitze Ägyptens gewöhnen. Sie ist trocken und sehr intensiv. Ganz anders als in Rom oder meiner Heimat.“ Ein zweites Mal gab sie ein Zeichen der Zustimmung, denn etwas Schatten oder die kühlen Räume eines Tempels würden ihr sehr behagen. Durch ihren Schleier hindurch musterte Medeia den Mann, den Nikolaos ansprach und lauschte ihrem Wortwechsel.


    Mehr wie ein Söldner von der Statur wirkte jener Mann als er einen Schritt näher an Nikolaos trat. Er hatte kräftige Hände, breite Schultern und wirkte recht robust. Doch das friedliche Gesicht passte nicht recht dazu. „So ist es! Du hast einen guten Blick für dererlei!“, bestätigte der Mann Nikolaos Vermutung seiner Profession. „Natürlich ist es Besuchern aus der Stadt erlaubt, die Tempel aufzusuchen. Besonders, wenn sie sich mit dem gehörigen Respekt benehmen, aber eurer Erscheinung nach, vermute ich einen solchen bei euch.“ Auch seine Ausdrucksweise passte nicht recht zu einem Söldner, wirklich mehr zu einem Gelehrten. „Wenn ihr es wünscht, kann ich euch aber auch gerne durch die Anlagen führen und dorthin, wo ihr eure Gebete verrichten möchtet.“