Lucius Decimus Romanus

  • Meridius ging auf den jungen Mann zu und lächelte, so gut es ging.


    "Komm mal her, ich muss mit Dir reden."


    Gemeinsam gingen sie zu zwei Stühlen und nahmen Platz.


    "Du weißt doch, dass Dein Vater bei der Legion ist. Ich habe ihn mit der Aufgabe betraut in Uttarae, das ist der Ort, welchen wir bei der Bekämpfung der Aufständischen erobert haben, eine Veteranenkolonie einzurichten. Deswegen hatte Dein Vater auch bisher keine Zeit nach Hause zu kommen."


    Meridius hielt inne.


    "Ich habe einen Brief aus Uttarae bekommen. Dein Vater ist krank geworden und dann gestorben. Seine Männer haben ihn zusammen mit anderen gestorbenen Kameraden den Göttern übergeben. Er ist jetzt bei unseren Ahnen..."


    Er wusste nicht, wie er es ihm hätte sonst beibringen sollen. Folglich entschloss er sich, einfach offen und direkt zu sein.

  • Auf Romanus`Gesicht entstand ein kleines Lächeln als Meridius anfing von seinem Vater zu erzählen. Er rechnete damit, dass er ihm nun sagen würde, dass er nach so langer Zeit endlich zurückkehren würde. So wollte er ihm schon ins Wort fallen und voller Begeisterung fragen, wann das sein würde, als sein Onkel etwas völlig anderes erzählte. Der Junge klappte den Mund auf und zu und sah ihn einen Moment verwirrt an. Was hatte er soeben gesagt?


    "Du meinst, er kommt nicht wieder?", fragte er überflüssigerweise und sah seinen Onkel mit großen Augen an. Er schluckte und versuchte den Kloß im Hals loszuwerden. Sein Augen begannen zu brennen und krampfhaft kämpfte er gegen die Tränen an. Er war schließlich kein kleiner Junge mehr und ein Mann weinte nicht.

  • Meridius brach es fast das Herz. Am liebsten hätte er den Burschen in die Arme genommen und ihn nie wieder los gelassen. Zu gut erinnerte er sich an den Tag, als man ihm die Nachricht überbrachte, dass sein Vater in Germanien gefallen war. Die Legionen forderten wieder einmal ihren Tribut.


    "Er kommt nicht wieder, Romanus."


    sprach er nur und blickte den jungen Mann an.


    "Ich weiß, wie Du Dich fühlst. Auch ich habe meinen Vater verloren, ich war wenig älter als Du jetzt."

  • Romanus schluckte erneut und nickte dann als Meridius ihm bestätigte, dass sein Vater nicht wiederkehren würde. Tief in seinem Inneren hatte der Junge schon immer mit so etwas gerechnet, wenn er auch regelmäßig zu den Göttern betete, seinen Vater wohlbehütet nach Tarraco zurückzubringen.


    "Und...was geschieht jetzt?", fragte er tonlos und rieb sich kurz die Augen um die Tränen, die hartnäckig nach außen drängten, nicht zuzulassen. Der Kloß im Hals wurde immer stärker und in seiner Brust begann es zu stechen. Dann fiel ihm etwas ein. "Weiß es Valeria schon?"

  • Meridius schüttelte den Kopf.


    "Nein, sie weiß es noch nicht. Ich werde noch mit ihr reden."


    Er sah den Kleinen an. Er war den Umständen entsprechend tapfer.


    "Ich habe nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich Dich adoptieren werde. Du sollst mein Sohn sein."

  • Erstaunt hob Romanus die Augenbrauen und sah seinen Onkel an. Mit einer Adoption hätte er nicht gerechnet und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Nicht, dass er sich nicht darüber freuen würde, das alles kam doch etwas zu überraschend und der erste Gedanke der ihm kam, war der, ob er Meridius nun mit Vater anreden sollte. Doch dazu konnte er sich nicht überwinden, so gern er Meridius auch hatte.


    "Das ist...ich weiß nicht, was ich sagen soll, Onkel...ich meine..hm Meridius...vielen Dank", stammelte Romanus etwas hilflos und verschränkte die Finger ineinander. Der stechende Schmerz in der Brust hatte sich etwas verstärkt, doch tapfer kämpfte der Junge weiterhin gegen seine Tränen an.


    "Darf ich dich noch etwas fragen, On...Meridius?", fragte Romanus mit rauer Stimme.

  • Meridius nickte mit dem Kopf.


    "Immer. Frage mich, was Dir auf dem Herzen liegt."


    Was hätte er dafür gegeben, wenn er dem Kleinen diesen Augenblick hätte ersparen können. Doch Praetorianus war tot.

  • Romanus schluckte und bereute schon fast, dass er das angesprochen hatte, wusste er doch nicht so recht wie er Meridius klar machen sollte, dass er keinen großen Wert darauf legte, die "Kunst des Kämpfens", wie Apollonius es genannt hatte, zu erlernen.


    "Ich...hmm, Apollonius hat gesagt, dass ich die Kunst des Kämpfens erlernen soll, genauso wie Maximian", sagte er schließlich und senkte den Blick. "Muss ich das, Onk...Meridius?"

  • Meridius lächelte.


    "Du musst es nicht. Aber es wäre von Vorteil, wenn Du es könntest. Nur um Dich und die Familie besser verteidigen zu können. Du wirst eines Tages groß werden und eine eigene Familie gründen. Und Du wirst sie beschützen müssen. Auch wenn das Römische Imperium seine Macht in alle Ecken der Welt trägt und die Legionen für die Sicherheit zuständig sind, sind sie dennoch nicht überall. Und es gibt Räuber, Diebe, Mörder... Es wäre nicht gut, wenn wir Decima uns nicht selbst verteidigen könnten. Was meinst Du?"

  • Romanus nickte und seufzte leise, während er seine Hände betrachtete. Meridius hatte sicherlich recht und doch fühlte er sich bei dem Gedanken ein Schwert führen zu müssen, nicht sehr wohl.


    "Ich fürchte, ich bin für das Kämpfen völlig unbegabt, Meridius", sagte er leise und sah seinen neuen "Vater" etwas verlegen an. "Aber wenn du das wünscht, werde ich es natürlich lernen. Wann und wo soll ich damit beginnen?"

  • "Ich habe mit einem alten Bekannten gesprochen. Er heißt Flavius Prudentius Balbus und war einmal Tribun bei mir in der Legion. Er wird demnächst einmal vorbeikommen und sich euch vorstellen. Du kannst ihm vertrauen, er war ein guter Soldat und kannte auch Deinen Vater."


    Meridius lächelte.


    "Was machen Deine Hausaufgaben?"

  • Romanus nickte ergeben und brachte ein etwas gequältes Lächeln zustande. Der Name war ihm nicht unbekannt und er war etwas erleichtert, dass Meridius scheinbar nicht mit dem Gedanken spielte, ihn irgendwohin zu schicken, um ihn ausbilden zu lassen, sondern dass dieser ehemalige Tribun wenigstens hierher nach Tarraco kam.


    Die Frage nach seinen Hausaufgaben trieb dem Jungen erneut die Röte ins Gesicht und unwillkürlich fiel sein Blick auf den Text, der noch auf dem Tisch lag und den er übersetzen sollte. Er war nicht wirklich weit gekommen.
    "Naja...", sagte er ausweichend. "Griechisch ist nicht so ganz meine Welt, aber ich versuche es."

  • Meridius lachte.


    "Meine Welt war es auch nie. Aber im ganzen östlichen Bereich des Imperiums spricht man überall diese Sprache. Wenn Du also eines Tages nach Alexandria möchtest, oder nach Antiochia, oder nach Athen, dann wirst Du die Sprache wenigstens verstehen müssen. Nicht dass Dir jemand einen alten Esel als teures Pferd verkauft..."


    Er zwinkerte ihm zu.


    "Du schaffst das schon."


    Meridius erhob sich und legte ihm die Hand auf die Schulter.


    "Ich bin stolz auf Dich. Vergiss das nie!"


    Dann wandte er sich um und ging.

  • Romanus schluckte erneut und konnte nun die Tränen nicht mehr zurückhalten, als Meridius sagte, dass er stolz auf ihn sei. Dem Jungen wurde warm ums Herz und der Kloß schien sich langsam zu lösen.


    "Danke", flüsterte er mit erstickter Stimme, als Meridius schon längst Richtung Tür marschiert war und die Tränen verschleierten seinen Blick. Er nahm sich vor, gleich am nächsten Morgen den Göttern ein Opfer zu bringen und dafür zu beten, dass sie Meridius`Schritte behüten mögen . Er dachte an seinen Vater, den er kaum gekannt hatte und der nun wieder mit seiner Mutter vereint war.


    Zu der Trauer um das was er verloren hatte, mischte sich nun noch ein anderes, warmes Gefühl. Er war nun Meridius`Sohn. Somit hatte er den Vater, der ihn gezeugt hatte verloren und dafür einen neuen gewonnen, einen Mann, der all die Jahre fast schon so etwas wie ein Vater für Romanus gewesen war. Er wischte sich mit dem Ärmel seiner Tunika über die Augen und lächelte leicht.

  • Vielleicht war es keine gute Idee, aber nach dem erneuten Streit mit Maximian zog es Valeria zu Romanus hin. Außerdem hatte sie nicht vergessen, das sein vater gestorben war und er Trost brauchte. Also ging sie zu seiner Tür und klopfte zaghaft an.


    "Romanus? Bist du da?"

  • Romanus schrak aus seinen Gedanken als es an der Tür klopfte und er eine leise Stimme hörte. Hastig wischte er sich über die Augen, räusperte sich und sagte dann


    "Ja, komm herein". Erwartungsvoll sah er zur Tür und wollte so stark wie möglich wirken, um Valeria Trost zu spenden. Immerhin war es auch ihr Vater gewesen, der gestorben war.

  • Valeria öffnete die Tür und schloss sie. Dann sah sie Romanus einen kurzen Moment an. Er hatte geweint, das sah man. Sich lächelte warm und ging dann zu ihm, um ihn kurzerhand fest in die Arme zu schließen. Sachte strich sie über sein blondes Haar.


    "Na du? Wie geht es dir denn, hm?" fragte sie aufmunternd, ihn noch immer im Arm habend.

  • Von allen anderen hätte er sich sicherlich ungern umarmen lassen, denn schließlich war er ja fast ein Mann. Doch Valerias Umarmung war so warm und herzlich und Romanus konnte einen Schluchzer nicht zurückhalten, während er sich an sie kuschelte. Warum hatte er all die Jahre auf seine große Schwester verzichten müssen, wo er sie doch gebraucht hätte? Nun galt es einiges nachzuholen wie Romanus fand.


    "Naja, es geht...", sagte er schließlich und wunderte sich fast selbst etwas über seine Ehrlichkeit. Normalerweise hätte er das Ganze heruntergespielt, um nicht so deutlich zu zeigen, wie traurig er eigentlich war.


    Romanus löste sich leicht von Valeria und sah ihr prüfend ins Gesicht. "Und dir? Hat Onk...Meridius schon mit dir gesprochen?"

  • "Ja, ich weiß es schon", sagte Valeria, leicht lächelnd.
    Romanus war nun Meridius' Sohn. Valeria würde aus ganz bestimmten Gründen allerdings nie seine Tochter werden. Sie ließ Romanus los und setzte sich in einen Korbstuhl. Sanft klopfte sie auf den Sessel, der daneben stand. Sie war seine letzte Blutsverwandte ersten Grades - aus seiner Sicht. Sie würde ihm dieses Bild nicht zerstören.


    "Hat Meridius dir schon gesagt, dass er dich adoptiert hat? Er war ja schnell wieder weg.... Hmm....Romanus? Ich bin immer für dich da, weißt du? Und ich finde es auch nicht schlimm, wenn mein kleiner Bruder weint. Es ist eine schlimme Sache. Du kannst immer mit mir reden, ja? Ich werde niemandem etwas erzählen, wenn du es nicht möchtest."


    Oh ja, im Geheimnisbewahren war sie inzwischen wirklich erstklassig, dachte sie mit einer Mischung aus Sarkasmus und Trauer.

  • Romanus setzte sich neben seine Schwester und nickte, als sie ihn fragte, ob Meridius ihm schon erzählt hätte, dass er ihn adoptiert hat. Er sah seine Schwester an und zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit, wurde dem Jungen warm ums Herz. Wo warst du nur all die Jahre?, dachte er.


    "Ich danke dir", sagter er und lächelte Valeria an. "Ja, ich bin jetzt sozusagen Maximians Bruder...ist schon ein komisches Gefühl". Romanus kratzte sich am Kopf und grinste etwas verlegen. Maximian und er waren zwar wie Brüder aufgewachsen und dennoch war es etwas anderes, wirklich Brüder zu sein.


    Dann sah er Valeria wieder etwas ernster an und griff nach ihrer Hand. Das Versprechen, welches sie ihm gegeben hatt, wollte er ebenfalls bestätigen.


    "Wie geht es dir? Du schienst in letzter Zeit nicht sehr glücklich zu sein...du weißt, dass du mir auch alles anvertrauen kannst." Romanus nickte, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

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