Es gab eine Menge Unausgesprochenes, das mir auf der Seele lastete. Da war es unglaublich... angenehm, die Anteilnahme meiner Schwester zu spüren. Nach und nach legte sich eine wohlig-wolkig-weiche Schwere über die Dinge, und ich hörte auf, darüber nachzudenken, was ich sagen sollte und konnte und was nicht... Ich ließ mich einlullen vom Hanf und von Seianas Verständnis, vergass ganz die Machtfrage, und dass ich meiner großen Schwester doch eigentlich hatte zeigen wollen, wie souverän und stark ich war. Sie sagte, ich solle auf mich aufpassen, und rechtzeitig aufhören. Das war süß.
"Einer muss es aber tun. Andere sind irgendwo an den Grenzen stationiert, und riskieren da ihr Leben. Einfach aufhören geht nun mal nicht... Und was würde die Familie dann denken. Nee, nee... Aber ich komme schon klar, weißt du, allein es mal zu erzählen, so wie jetzt, das macht es echt schon viel besser, ehrlich..."
Auf dem Feldzug, da waren meinen Kameraden manchmal wahrscheinlich fast die Ohren abgefallen, besonders Sparsus, weil ich mir immer alles von der Seele reden musste. Hier bei den Cohortes war das etwas anders, mein Rang grenzte mich von der Mannschaft ab, und die Atmosphäre war auch eine ganz andere.
Auch als das Thema dann in Folge auf diesen sehr, sehr wunden Punkt kam, hätte ich Seiana am liebsten einfach alles erzählt. Wem, wenn nicht ihr konnte ich es sagen? Sollte ich sie etwa anlügen, wie ich es bei Tante Venusia getan hatte? Nein... lügen war hässlich... und vor allem so anstrengend... und es machte einsam. Ich hatte es satt, immerzu mein Geheimnis mit mir herumzuschleppen, ständig auf der Hut zu sein. Aber ich tat das schon so lange, dass es mir schier undenkbar schien, es jetzt einfach sein zu lassen.
"Er war... geheimnisvoll", sagte ich leise, und mir war, als würde der Nebel immer dichter und ich würde mich dadurch vorantasten, unbeholfen, Schritt für Schritt, immer nur ratend, immer nur irrend. "Jemand, der sich nicht gerne in die Karten blicken lässt. Und widersprüchlich... manchmal sehr hilfsbereit... und mutig, er hat mir geholfen, damals als ich alleine in Rom war und so... abgedriftet bin, hat mich bei sich wohnen lassen, und mich verteidigt, als ich in richtig schlimmen Schwierigkeiten war... und dann war er wieder kalt und schroff und düster. Einmal hab ich in einem Strassentheaterstück von ihm mitspielen dürfen, also, nur so was ganz kleines, aber es war ein voller Erfolg. - Ich glaube, er war auch in nicht so ganz legale Sachen verwickelt... Aber ich habe ihn nie durchschaut... Anfangs wusste ich nicht, dass er ein Sklave war, er wirkte auch gar nicht so, ganz im Gegenteil. Dass er als Sklave geboren wurde, das kann eigentlich nur ein entsetzlicher Irrtum gewesen sein, so eine Art Flüchtigkeitsfehler im Kosmos. - Ich weiß auch gar nicht was genau er überhaupt getan hat, dass sie ihn......"
Meine Augen quollen über, und ich wischte mir verstohlen die Feuchtigkeit von den Wangen, schniefte leise. Wann würde ich endlich über diese Sache hinweg sein! Ich spürte Seianas Präsenz neben mir, tröstlich und nah. Die Tränen runterschluckend, zog ich die Beine an mich, und umschlag meine Knie mit den Armen.
"Seiana...", murmelte ich mit erstickter Stimme, und blickte eindringlich in ihr rauchumwogtes Gesicht, "kannst du ein Geheimnis bewahren?!"