Cubiculum | Manius Flavius Gracchus

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Einsam wanderte er durch das triste Tal aus Schatten, deren raues, keckerndes Lachen von allen Seiten auf ihn hernieder schlug, deren gieriger Hass ihn zu verschlingen suchte in jedem Augenblicke. Nichts spürte er noch von den Schlägen auf seinen Leib, erinnerte nurmehr sich an all das verlorene Leben, welches längst hinter ihm, welches weit zurück in seiner Zukunft lag, träumte von gebrochenen Gedanken und zerrissener Zeit. Unter seinen Füßen löste aus dem tausendarmigen Grunde sich eine Blase aus schimmernder, seidiger Anmut, umhüllte ihn bis zum Haupte und trug ihn hinfort aus der devastativen Isolation. Ein letztes Mal noch atmete er ein, atmete aus, wollte er doch nicht mehr in der Lüge seiner selbst sich verlieren, nimmermehr, wusste er doch um den Fluch, unter dessen Stern er geboren war, niemals habhaft dessen zu werden, nach was er sehnte, stets in einem Strudel aus Wahnsinn gefangen, begleitet von einem Chor aus tief klingender Euthymie. Forsch sprang er hinab auf den gläsernen Felsen, lauschte dem klandestinen Ton des entrückten Morgenlichtes, welches tief in seine begrabene Hoffnung sich brannte, die Sinne ihm spülte mit einem kalten, gebrochenen Seufzer des Erkennens und mit sich hinfort nahm die hehre Dunkelheit verzückten Vergessens. Er war das Leuchten, er war die Glut, die alles Land unter sich versenkte, er war die alles verschlingende Sonne. Er war Aton, dessen Schicksal es war, zeitlebens Tag für Tag in den Armen seines Geliebten zu sterben.

    ~~~

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Der ferne Himmel war überzogen von einer rotfarbenen Düsternis, bedrohlich und nah zugleich, alles verschlingend in sich und finster gleich einer mondlosen Nacht, und dennoch stand er selbst in einem leuchtenden Areal, als würde Flammenlicht über Spiegel auf ihn gelenkt, dass alle um ihn herum ihn konnten blicken, doch er niemanden sonstig sah, allein stand in der leblosen Weite.
    "Du bekennst dich also schuldig?"
    donnerte die tief dröhnende Stimme des Iudex Prior Anneus Modestus vom erhabenen Tribunal herab und in seinen Augen lag nicht nur Misstrauen, sondern gleichsam tiefe Verachtung.
    "Ich bin unschuldig!"
    suchte er sich zu verteidigen, doch seine Stimme war brüchig, von farblosem Klang und wenig überzeugend, nicht einmal für ihn selbst, dass er beschämt seinen Blick sinken ließ.
    "Schuldig."
    Minimus' Wort war durchzogen von Enttäuschung, und als er seinen Blick zurück zum Tribunal empor hob, konnte er kaum dem seines Sohnes stand halten. Auf der richterlichen Position thronte nun jener, flankiert von Antonia zur einen und Aristides zur anderen Seite, daneben sich anreihend all seine Verwandten, von Piso und Nigrina über Epicharis, Caius, Felix, seine Geschwister, seine Eltern und all die anderen bis in die Unendlichkeit - und sie alle betrachteten ihn mit Verachtung, Enttäuschung und Abscheu.
    "Schuldig im Sinne der Anklage. Ausgelöscht sein soll dein Name aus den Annalen der flavischen Familie, vergessen deine Existenz. Reihe dich ein in die verderbten Exemplare der flavischen Verräter und suche dein Exil in einem Land fern des imperialen Territoriums. Niemand soll jemals mehr deinen Namen nennen, niemand sich deiner erinnern, noch je Kontakt mit dir haben. Du bist nicht länger Teil dieser Familie, Manius Gracchus, nicht mehr Teil dieses Imperium und kein Mensch mehr - nicht Vater, nicht Gemahl, nicht Vetter, noch Freund, nurmehr Persona ingrata."
    Einem Sturme gleich tobten die Worte um seine Ohren, tausend Messerspitzen gleich bohrten sie sich in sein Fleisch, dass in ihm ein letzter Keim aufbegehrenden Stolzes erwuchs.
    "Aber ich bin unschuldig!"
    "Unschuldig? An deinen Händen klebt das Blut eines gesamten Imperiums!"
    Noch ehe er hinab sah an seinem Leibe, wusste er, dass dies die Wahrheit war, und dennoch erschrak er über den Anblick des rotfarbenen, frischen Blutes, welches aus seinen Handflächen hervorquoll wie aus der Kehle eines geschlachteten Opfertieres, die schmale Klinge des Dolches umschmeichelte, welchen er noch immer in seinen Händen hielt, der ihm so vertraut war, hatten doch seine Mutter und Jahre später seine Schwester sich selbst damit gerichtet - seitdem lag die Klinge in einem mit weichem Stoff ausgelegten Kästchen aus Elfenbein, welches mit Schnitzereien geschmückt war, die Szenen aus der Sage des Ödipus darstellten. Entsetz über seine eigene Tat ließ er den Dolch fallen, welcher mit klirrendem Laut aufschlug auf dem steinernen Fußboden, direkt neben der Leiches des Imperator Caesar Augustus Ulpius Valerianus Aelianus, dessen Haut graufarben und eingefallen war, dessen Augen jedoch die gleiche Anklage enthielten wie die all der anderen.
    "Hahahaha!"
    dröhnte das laute, derbe Lachen Vescularius Salinators durch den konturlosen Raum.
    "Unschuldig? Un-umwunden schuldig, un-geheuerlich schuldig, un-leugbar schuldig!"
    Zu seinen Seiten hin hielt Vescularius zwei abgeschlagene Köpfe empor - jenen Tiberius Durus' und jenen Vinicius Lucianus', welche beide ihn stumpfsinnig anblickten und aus deren Hals noch das Blut troff zu den Füßen des Praefectus Urbi.
    "Schuldig"
    , repetierten sie.
    "Schuldig. Schuldig. Schuldig."
    Im Takte der blutigen Tropfen, welche auf dem Boden aufschlugen, in einen tiefen See diesen verwandelten aus rotfarbener Leblosigkeit, widerholten sie fortlaufend ihre Anklage, bis dass er beinah versank in dem tiefen Morast, bis dass der Raum sich zu drehen begann, einer Spiralwindung folgend in sich verzerrt, und sich löste in die tröstende Leere des Ertrinkens in stillem, traumlosen Schlaf.

    ~~~

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Unbedeutend und schwerelos trieb er in den düsteren Ausläufern des rauchigen, zerfaserten Nebels, unendlich bedrückend die Last der Bedenklichkeit seines Selbst, in sich beschwert auch ohne Konsistenz, in sich zerrissen im leblosen Augenblick, der klandestine Moment des Zerreißens konserviert für die Ewigkeit, regloses Verharren in qualvoller Stagnation, im Stillstand des perpetum mobile aller Existenz, ausgelöst aus Raum und Zeit. In ihm jede Faser in berstenden Flammen, weit ausgedehnt längst über seine Konturen hinaus, keine Sicht mehr zwischen loderndem Feuer und beißendem Rauch, kein Atmen mehr im Ersticken, nur hohle Schreie inwendig in sich hinein. Für einen Herzschlag Stille im Schweigen, ein Lufthauch im Augenblick, ehedem in sich zerbricht, was der Geist nicht mehr stemmen kann, was der Verstand nicht mehr halten kann in den sich verflüchtigenden Händen, ehedem der mürbe Rahmen zerbröckelt, welcher den blassen Geist aufgespannt hält, die Fäden zerreißen, das Stückwerk zerspringt. Verbleibend nur ein derangierter Schatten, durch sich selbst Dorn in seinem Fleische, Ouroboros' Zähne in seinem eigenen Schweif, Damokles' Schwert und Damokles zugleich, welcher sich selbst dabei beobachtet, wie er hinab fährt, welcher selbst sich entgegen fällt, bereitwillig die Arme breitet, sich selbst zu empfangen, schlussendlich einfährt in sein eigenes Herz, zu beenden, was längst zu Ende ist.

    ~~~

    Als er starb, erwachte Gracchus, wusste zugleich im selben Augenblicke, dass er nicht konnte sterben, da er doch längstens tot war. Beruhigt von solcherlei Simplizität des Lebens drehte er sich um und schlief wieder ein.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Mit gewaltigem Getöse als krachen Gewitterwolken aufeinander reiben die Körner des staubigen Sandes über die Sohlen seiner baren Füße, bohren mit jedem Schritte tief in seine Haut sich hinein, dass es scheint als wandle er über ein Meer aus zerbrochenen Scherben. Tosend gleichsam in seinen Ohren das Rauschen der Blutmassen, welche in gewaltigen, rotfarbenen Flüssen sich ergießen aus den Wunden tausender Leiber, sich zu Strömen vereinigen, um die trockene Wüste zu wandeln in einen Sumpf aus Sterben und Vergänglichkeit. Unmenschlich die Melodie dieser Schlacht, wildes Geschrei und flehendes Rufen, jammernde Klageweiber und blecherne Signalhörner, der flüsternde Hauch des Todes und das konfuse Gebrabbel der Tollheit, eine Kakophonie wie den tiefen des Orcus entsprungen. Inmitten darin in endloser Ferne das strahlende Abbild des Unbesiegbaren, der mit jedem Schlage seines Gladius den Feind bezwingt - den Feind, dessen Leib in den Schultern endet, der darob sein Konterfei auf der Brust zu tragen hat, dass Herz und Augen eins sind, dass die Nase direkt in die Lungen hin übergeht und der Mund statt in den Rachen in den Magen mündet -, der mit jedem Hieb einen Körper mittlings trennt und somit gleichsam köpft, der unbesiegbar scheint selbst im Angesichte grenzenloser Übermacht. Erst mit seinem Nahen hält Hephaistion inne, auf seinem Antlitz ein freudig strahlendes Lächeln, in seinen Augen das Lodern lohender Leidenschaft - bemerkt darob nicht den wilden Barbaren, dessen Schwert einem Blitz gleich auf ihn zufährt. Er sucht zu rennen, den Geliebten zu erreichen, doch seine Füße stecken fest in dem morastigen Grund aus Blut und Sand, fest gehalten von den Händen der sterbenden Krieger um ihn her, ob dessen er rufen will, Hephaistion zu warnen, doch kein Laut entrinnt seiner Kehle, kein Ton dringt über seine Lippen, dass ihm nichts bleibt als mit den Händen ihm zu winken, zu gestikulieren. Hephaistion lacht und hebt in freudigem Erwarten die eigene Hand zum Gruße, missdeutet die Warnung und reckt das Gladius gen Himmel zum Zeichen des nahenden Sieges, als unvermittelt das Schwert des Fremden ihm durch den Rücken fährt, die Klinge durch sein Fleisch sich bohrt und in der metallenen Spitze endet, welche aus seiner Brust ragt. Verwundert senkt sich der Blick des Heroen hinab, mehr noch verwundert wieder empor und trifft auf den seinen, in welchem flehende Hoffnung liegt, doch seine Götter haben in diesen Landen keine Macht. Hephaistion sinkt auf die Knie herab, die Zeit zieht sich wie ein ein Tropfen Honig, der sich zäh immer länger zieht, der sich zäh immer länger zieht, bis der Tropfen sich schließlich löst, bis der Tropfen sich endlich löst, und fällt, der Leib des Heroen auf den Grund schlägt, dass Sand und Blut empor wirbeln der Brandung des stürmischen Meeres gleich. Endlich lösen die Laute sich aus seiner Kehle, endlich dringt der Name des Geliebten über seine Lippen.
    "Hephaistion!
    Zu spät.

    ~~~


    "Neeeeeeeeeein!"
    Verzweifelt rollte Gracchus in seinem Bette sich herum, suchte dem festen Griff der Decke zu entkommen, suchte zu sehen in der Dunkelheit, den toten Leib zu erreichen.
    "Faustus! Faustus!"
    Von den Rufen alarmiert hatte sein Sklave Sciurus von seinem Platz an der Türe sich erhoben, trat nun an das Bett heran und fasste Gracchus bei den Schultern. "Ruhig, Herr, es war nur ein Traum."
    "Er ist tot, er ist ... tot! Faustus!"
    Verzweifelt krallten Gracchus' Finger sich in die Tunika des Sklaven, haltsuchend, als würde der Griff in die eine Realität eine andere verdrängen können. "Es war nur ein Traum, Herr", suchte Sciurus weiter seinen Herrn zu kalmieren, dessen Stirne nun an seine Brust sank, dessen Leib bebte, erschüttert von den Bildern des Traumes, aufgewühlt durch unbändigen Schmerz. "Faustus geht es gut." Behutsam strich Sciurus über Gracchus' Hinterkopf, eine Geste ohne jegliche Emotion und doch so vertraut, dass Gracchus' Sinne allmählich sich beruhigten, die Beklemmung dennoch nicht völlig wollte weichen, da die Dunkelheit um ihn her jede Realität mochte bergen.
    "Ich muss nach Aegyptus! Ich muss zu ihm!"
    Heiser drangen die Worte aus seinem Mund, doch noch ehedem die Pläne sich konnten konkretisieren, widersprach der Sklave bereits. "Nein, Herr, das ist nicht nötig. Faustus Serapio geht es gut, in diesem Moment schläft er ruhig und friedlich in seinem Cubiculum in Nikopolis." Selbstredend wusste der Sklave, dass dies überaus unwahrscheinlich war, denn noch war die zweiundzwanzigste Legion nicht in ihr Castellum zurückgekehrt.
    "Bist du sicher?"
    Ein wenig weinerlich drang die Frage über Gracchus' Lippen, wie die Frage eines kleinen Kindes, welchem soeben war versichert worden, dass unter seinem Bett kein Monster hauste, und ebenso derangiert blieb auch er zurück, mochte auch er nicht gänzlich der Wirklichkeit trauen. "Ja, Herr." Unerschütterlich waren die Worte des Sklaven, doch vermochten sie nicht am Wahn der Nacht zu rütteln.
    "Lege dich zu mir. Ich will nicht alleine sein."
    Ohne ein Wort zog Sciurus seine Tunika über den Kopf und schob sich unter die Bettdecke seines Herrn, welcher sogleich dem kühlen Leib sich näherte und an die nackte Haut sich schmiegte. Selbst zu dieser traumumnachteten Stunde war Gracchus nicht derart naiv zu glauben, dass sein Sklave fähig war zu lieben, doch es dürstete ihn nach der Wärme eines Leibes, welche ein wenig die Sehnsucht mochte lindern, die er verspürte nach der bedingungslosen Hingabe eines liebenden Geistes. Bald darauf sank er zurück in tiefen Schlaf.

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  • Vollkommen allein saß Gracchus an dem kleinen Tisch unter dem Fenster zum Garten hin in seinem Cubiculum und brütete über eine Aussage seines Freundes Cornelius Scapula über die Vergänglichkeit der Gerechtigkeit, welche dieser ganz beiläufig - und vermutlich ohne allzu tiefgründige Hintergedanken - während einer Cena hatte fallen lassen. Es war bereits recht spät am Abend, die Flammen der Öllampen brannten ruhig und tauchten den Raum in einen warmen, honiggelbfarbenen Schein, und eine Kanne besonders formidablen Weines war beinahe zur Gänze geleert, als sich aus den Schatten der Wand eine Gestalt herausschälte und Gracchus gegenüber an dem Tisch Platz nahm.
    "Was willst du hier?"
    fragte Gracchus überaus gefasst, wenn auch ein wenig verwundert.
    Ich sorge mich um die Familie.
    Ein freundloses Lachen echappierte Gracchus' Kehle.
    "Aber du bist tot, Vater. Tot."
    Nicht tot, Manius, rastlos. Noch immer rastlos, mehr als je - deinetwegen. Du beschämst diese Familie mehr als es dein Bruder je getan hat!
    Gracchus senkte seinen Kopf und starrte in die Reste der rubinrotfarbenen Flüssigkeit in dem Becher vor sich.
    "Warst es nicht du, der mich lehrte, dass das Wohl des Imperium allem voran steht, Vater? Hast nicht du die Familie zer..rissen, um einen jeden von uns darauf vorzubereiten, bestmöglich dem Imperium zu Diensten zu sein?"
    Er blickte auf zu den Schemen, die ihm so vertraut und gleichsam so fremd waren.
    Was du vorhast ist Hochverrat! Du verwirkst nicht nur dein eigenes Leben, sondern dazu das deines Sohnes, deiner Gemahlin, deiner gesamten Familie!
    Wieder senkte Gracchus seinen Blick, biss sich einige Augenblicke der Stille auf die Unterlippe, ehedem er zu einer Antwort ansetzte.
    "Das mag sein. Doch ich kann nicht anders, als dem Ideal zu..zustreben, ich kann nicht zusehen, wie die Idee dieses Imperium zerfällt, denn in jenem Sumpf, der so daraus entstehen mag, wird es keinen Platz mehr geben für Ideale, für Tugenden, Wahrheit und Gere'htigkeit, wird es keinen Platz mehr geben für unsereins. Mit einer solchen Welt wäre Minimus ebenso wenig gedient wie mit der Aussicht als Sohn eines Ver..räters gebrandmarkt zu sein."
    Leise, beinahe flüsternd fügte er an:
    "Und was ist schon mein Leben, was ist eine Familie im Gegen..zug zu der Idee des hehren Imperium Romanum?"
    Stille umwehte ihn als Antwort, und als Gracchus seinen Kopf hob, dem Blick seines Vaters zu begegnen, war er allein in seinem Cubiculum.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
    ~~~ und in einer kleinen Hommage an Theodor Fontane ~~~

    Stille durchdrang die endlose, raumgreifende Leere, erfüllte sie mit einem seichten Hauch lautloser Musik, in deren klandestinem Reigen nur das bleiche Licht des Mondes sich wiegte, belegte den blassen Himmel mit einer Ahnung durchdringenden Schweigens, das tonlos in seinem Kopfe widerhallte. Dröhnend vernahm er das monotone Rauschen des Blutes in seinen Ohren, suchte vergeblich nur das leiseste Wispern der Szenerie zu vernehmen, den heiseren Ruf der schwarzfarbenen Vögel am fernen Horizont, das heimliche Streichen des Windes durch die Wipfel in luftiger Höhe oder das Murmeln friedlich dahin rauschenden Wassers. Doch es war alles still. Gräbern gleich lagen die Mauerreste seines Gedankengebäudes inmitten eines weiten Schlachtfeldes aus vergangener Zeit, vertanen Gelegenheiten und verlorenen Lebens, bedeckt von eisig kaltem, schneeweißfarbenen Staub der Erinnerung, welcher jeden Laut, jedes Flüstern, jeden Versuch der Zerstörung der Stille in sich verschluckte. Nur das rhythmische Pochen seines leeren Herzens drang durch die Gefilde der Nacht, wiewohl das leise Sirren, als eine heiße Träne aus seinem Auge sich löste, abperlte von der bleichen Hülle seins Selbst, die Luft auf ihrem Wege zum Grunde hin schneidend zerteilte und aufschlug in kristallenem Klirren, das friedvolle Ensemble stiller Staubespracht einen Herzschlag lang zerstörte. Vergeblich indes dieser Versuch nach der Erfüllung des Lebens, ein Tropfen nur im Ozean vergangener Pracht, denn was folgte war Schweigen. Stille. Alles still!

    ~~~


    Als er die Augen allmählich öffnete wich die Dunkelheit langsam, doch die Stille verharrte um ihn her. Sanft pochend vernahm er den Schlag seines Herzens, doch kein Laut aus der Welt vermochte zu ihm zu dringen. Blinzelnd suchte Gracchus den Schlaf zu vertreiben, den Nachhall seiner Träume, rollte sich schwerfällig zur Seite und brummte leise. Dies endlich schien die Schatten der Nacht von ihm zu nehmen, wenn auch nicht das bange Ziehen in seinem Herzen, denn sorgte es dafür, dass sein Sklave Sciurus raschelnd von seinem Hocker neben der Türe sich erhob und mit vernehmbarem Schritte auf das Bett zutrat. Sukzessive drangen die Töne des Tages nun an sein Ohr und kündeten von einem gewöhnlichen Tag. Wie so oft am Morgen war Gracchus sich uneins, ob er das Träumen liebte oder es verdammte, musste darüber an Iunia Axilla denken und daran, für welche Art des Träumens sie mochte sich entschieden haben. Seit ihrer Begegnung in den Horti Luculliani musste er des öfteren an sie und ihre Worte denken, insbesondere am Morgen nach dem Erwachen, nach dem Träumen, doch bisweilen auch wenn er in allgemein grüblerisches Sinnieren verfiel - was nach dem Ende der Amtszeit als Praetor und der dadurch wiedergewonnen Zeit in den letzten Wochen durchaus häufig vorkam. Mit einem Seufzen schlug Gracchus die Decke zur Seite.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Hier stand er, am Rande der Welt, dem körnigen Strande, der in den endlosen oceanos hin überging, zu viele Wünsche in sich tragend als die Ebbe entschwand und die Flut sich anschickte, das Land zu verschlingen. Das blaufarbene Salzwasser traf am Horizont auf den hellen, wolkenlosen Himmel, spiegelte sich in seinen Augen wider als der Tag erstarb, und er betrachtete sehnsüchtig wie die Wellen wiederholt Hephaistions Namen in den Ufersand schrieben. Irgendwo dort hinter den Fluten, am anderen Ende der Welt, wartete der Geliebte im fernen Alexandria. Er wollte den Atem anhalten, denn es war noch immer genügend Zeit, es musste noch immer eine Chance geben für sie, den Atem anhalten und dorthin schwimmen, fort von der Küste, fort bis er den Geliebten erreichte oder nicht mehr würde schwimmen können. Der Geist Alexandrias umwehte ihn, seine eigenen, hohl klingenden Worte kamen ihm in den Sinn, und er wusste, dass er alle Couleur und allen Ruhm hatte von ihnen genommen, dass er alle Leidenschaft und Sehnsucht hatte zerstört, denen sie einst waren erlegen gewesen. Er spürte, dass die Essenz der Liebe sich gewandelt hatte, dass die Hitze der einen Sonne ihre beiden Welten nicht länger umfangen hielt. Doch er wollte den Atem anhalten, denn es war noch immer Zeit, es musste noch immer eine Chance geben für sie, den Atem anhalten und dorthin schwimmen, fort von der Küste, fort bis er den Geliebten erreichte oder nicht mehr würde schwimmen können. Das kühle Wasser der Flut umfasste seine Knöchel, umschmeichelte seine Haut, umschlang seinen Leib Stück um Stück da er tiefer in das Meer hinaus watete, sich ihm entgegen warf, das alsbald ihn zur Gänze umfasste, der er unerschrocken suchte die Wogen vor sich zu teilen. Er gab nichts mehr zu sagen, denn nichts das irgendwer sagte würde noch etwas ändern können, und niemand würde für die gestohlene Zeit aufkommen, die vergangen war. Und doch musste er zu ihm gelangen, musste er den Ozean für sie überwinden. Er wollte den Atem anhalten, denn es war noch immer Zeit, es musste noch immer eine Chance geben für sie, den Atem anhalten und dorthin schwimmen, fort von der Küste, fort bis er den Geliebten erreichte oder nicht mehr würde schwimmen können. Die Kälte des trostlosen Nass umspülte ihn in einem eisigen Hauch, die Tiefe unter ihm schien längst nicht so endlos wie die Weite voraus, doch schwamm er unermüdlich, fort von den sicheren Gestaden der Heimat, dem Unbekannten zu, weit fort und weiter darüber hinaus. Er wollte den Atem anhalten, denn es war noch immer Zeit, es musste noch immer eine Chance geben für sie, den Atem anhalten und dorthin schwimmen, fort von der Küste, fort bis er den Geliebten erreichte. Doch er konnte nicht länger schwimmen.

    ~~~


    Er musste nicht die Augen öffnen, um zu wissen, dass er ertrunken war. Er spürte die salzige Trockenheit in seinen Lungen, die aufgedunsene Schwammigkeit seines Leibes und das Stechen in seinem Herzen. Zu tief war er eingetaucht in diesen Trug aus Glück, zu weit hatte er sich hinaus gewagt auf dem oceanos der Liebe. Er war nie ein guter Schwimmer gewesen. Nicht im Wasser. Nicht in Gefühlen. Der einzige Tropfen Erleichterung war nurmehr, dass er alleine ertrunken, dass er nicht mit sich noch Faustus hatte hinabgezogen auf den trostlosen Grund der Realität, dass diesem längst vergönnt war an anderen Ufern zu schwimmen. Wehmütig drehte Gracchus sich um und zog die Decke bis zu seinen Ohren hinauf, noch einige Augenblicke ehedem er wieder einschlief mit den Tränen kämpfend, welche in seinen Augenwinkeln sich sammelten.

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  • II-XIII

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Glitzernde, scharfkantige Eiszapfen fielen von den schweren, graufarbenen Wolken herab, die im Raum zwischen Nirgendwo und Unendlichkeit dahin waberten, summierten das säuselnde Wispern ihres stillen Niedergangs zu einer klirrenden Melodie aus Einsamkeit, hinterließen eine unausgefüllte Leere im Schnee, der den Raum füllte zwischen den bleichen Abdrücken der Fußspuren am Strand. Sukzessive taute die Oberfläche der Welt um ihn her, wandelte den kristallenen Ozean zu einem Meer aus tränenbenetzter Stille, doch er konnte nicht darüber hinweg blicken. Eine kalte, tiefe Sonne blendete ihn seit Tagen, überzog den endlosen Himmel von Horizont zu Horizont, und er wollte dies alles nurmehr einem Traum gleich auflösen, hinfort wischen durch das Blinzeln seiner Augenlider. Doch jenseits des Ozeans, jenseits des mare internums leuchtete er so hell, so gleißend hell, so fern getrennt von ihm durch ein Meer aus Torheit und Wahn. Er konnte nicht zu ihm gelangen, wie sehr er auch rief und wie sehr es ihn drängte, fürchtete den Ingrimm der Gezeiten, fürchtete, dass die Zeit längst vergangen sei. Jenseits des feindseligen Meeres, am Rande des schimmernden Horizontes konnte er die Umrisse seines Mundes erahnen, welche die harschen Worte des Zornes formten, mit brennenden Pfeilen ihn bedachten, die hart auf ihn hernieder prasselten, ihn verbrannten für seinen Verrat. Und dennoch wollte er zu ihm schwimmen, schwimmen bis seine Lungen aufgaben, durch die Tiefe weiter zu ihm waten, allen Zweifel ausräumen. Doch der Ozean war zu weit.

    ~~~


    In der Stille der Nacht schien sein Herzschlag in seinen Ohren einem dröhnenden Paukenkonzert gleich, doch niemand sonst schien dies zu vernehmen. Reglos lauschte Gracchus dem Takt seines Lebens, suchte das konkomitierende Pochen in seiner Hand damit zu übertönen, dessen schmerzhafter Klang sukzessive durch seinen gesamten Leib sich zog. Sein Schmerz für den Schmerz des Geliebten, dies war sein Begehr gewesen, doch längst wünschte er Faustus keine Pein mehr - nicht um seiner selbstwillen, doch ohne die Schlieren des Zorns vor seinen Augen, ohne die Nebel der Wut in seinem Geist, ohne das Rauschen des Wahns in seinem Blut sehnte er nurmehr sich nach dem harmonischen Gleichklang bedingungsloser Hingabe, deren Finale in absoluter Stille gipfelte. Alsbald begann er jeden Schlag zu zählen, doch bis zum Morgengrauen war es noch weit hin.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Er hatte nicht nur ihn, sondern gleichsam sich selbst verloren, wie auch jegliches Ziel vor Augen, driftete richtungslos durch die bleierne Dunkelheit, einmal mehr die unbeherrschten, harschen Worte in sein Herz ritzend, das ohnehin mit dem ersten Strahl des Lichtes zu Staub würde zerfallen. Wie konnte dies Liebe sein, so es nicht endete in Blutvergießen, so nicht im Mindesten eine blutige Schlacht wurde geschlagen, so nicht letztlich alles in einem Strom aus dem rotfarbenen Lebenssafte sich ergoss? Hier harrten sie einander, am dunkelsten Ort der Welt, seine Reflektion nur in seinen Augen sich spiegelnd, sein Atem nur ein flüchtiger Hauch auf seiner Haut, beide hatten sie einander gefunden, doch beide sich selbst dabei verloren. Er hatte nach einem Ausweg gesucht auf den steinigen, maroden Straßen seines Lebens, hatte in seinem Schmerz Blut vergossen, hatte ein Herz gebrochen, doch das seine mit. Stets blieben all jene, welche etwas ihm bedeuteten, zurück, nun auch er, dass er allein blieb an jenem dunkelsten aller Orte, vergeblich suchte das Bild seines Antlitzes zu vergessen, und sich fragte, was süßer mochte sein - die Liebe oder ihr Verlust? Er verfluchte sein Herz, das ihn drängte zu lieben, liebte es, da es ihn drängte zu lieben, immer wieder von neuem, und wollte doch nie wieder diesem Fluch verfallen, wollte lieber allein wandeln in der Dunkelheit als noch ein Herz zu brechen, als noch einmal sein Herz sich zerbrechen zu lassen. So driftete er ziellos durch die verschlingende Dunkelheit, deren Finsternis kein Ende kannte.

    ~~~

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  • Graufarben dämmerte das nahe Ende des Tages dahin, hüllte die Stadt ein in einen fahlen, farblosen Schimmer aus Licht, in welchem alle Kanten der Realität verschwammen zu bedeutungslosen Konturen, zu inhaltslosen, schattigen Schemen ohne Anfang und ohne Ende. Nach dem beängstigenden Ereignis im Tempel des Mars Ultor hatte Gracchus ohne ein Wort sich zurückgezogen, alle Sklaven - selbst Sciurus - aus seinem Cubiculum verbannt, in welchem er ausgelaugt und kraftlos nun auf seinem Bette saß, einem Tier nach der Flucht gleich, welches am Ende der Hatz in seinem Bau war zusammen gebrochen, nicht fähig noch einen Schritt zu tun, nurmehr bereit zu sterben falls noch irgendwer es würde aufstöbern. Trüb starrte er in die goldfarbene Flamme einer Öllampe und sah der Zeit dabei zu wie sie verrann, jeden aufkommenden Gedanken im Keime erstickend.
    Manius, Manius, du gibst dich der Lächerlichkeit Preis. Sieh dich nur an! Wie ein geschlagener Hund sitzt du hier und heulst über eine vergangene Liebe, die sowieso von Beginn an nur eine Peinlichkeit war!
    Ein stilles Seufzen echappierte Gracchus' Kehle.
    "Ich weine nicht!"
    , gab er seinem Vater zurück, ein wenig trotzig wie der Knabe, der er einst gewesen war, um hernach leise anzufügen:
    "Zudem war diese Liebe keine Peinli'hkeit, sie war eine changierende, glänzende Perle in einem hinterlistigen, gefahrvollen Ozean, sie war ein funkelnder, schimmernder Edelstein in einer Ödnis graufarbenen Gerölls, ein zarter, heimeliger Hauch inmitten eines garstigen Sturmes."
    Er blickte auf, getrieben vom Mut des längst Erwachsenen, von der Resignation des niedergeschlagenen Defätisten, welchem nichts mehr bleibt denn der verzweifelte Versuch eines Angriffes.
    "Aber davon verstehst du nichts, denn selbst die Liebe, die du meiner Mutter entgegen brachtest, war nur aus der Not heraus geboren, war nur ein Zu..geständnis an die Zwänge dieser Welt. Faustus und ich ... wir ... sind jenseits dieser Welt."
    Er stockte und seine Unterlippe zitterte ein wenig.
    "... waren jenseits dieser Welt."
    Den Lavaströmen eines Vulkanes gleich wallte in ihm die Traurigkeit, die Verzweiflung über das Ende dieser Liaison empor und drängte ihn nun beinahe doch dazu, den Tränen, welche augenscheinlich in seinem Kopfe sich hatten angestaut, freien Lauf zu lassen.
    Er hat dich betrogen, von Beginn an, hat dich diffamiert und beleidigt! Doch du sitzt hier wie ein einfältiger Tölpel und weinst einer Wunschvorstellung hinterher! Wenn es nicht derart blamabel wäre, wäre es beinahe zum lachen! Aber du warst schon immer ein närrischer Träumer, daran hat sich nichts geändert!
    Zornig presste Gracchus seine Kiefer aufeinander, ehedem er den Blick hob.
    "Das einzige, das diese Angelegenheit närrisch erscheinen lässt, ist die Tatsa'he, dass ich in Gegenwart eines Trugbildes ein anderes Trugbild betrauere! Deinetwegen werde ich noch wahnsinnig, nur deinetwegen! Weil du nicht endlich Ruhe geben kannst, weil du mir noch immer Vorhaltungen machen musst als wäre ich ein ein..fältiger Jüngling, obgleich ich dich längst habe hinter mir gelassen!"
    Er nahm das Kissen, welches neben ihm lag, und warf es nach den Konturen seines Vaters, doch das Kissen durchdrang diesen mühelos, schlug mit einem dumpfen Laut gegen einen Stuhl, der ob der Dynamik der Bewegung umfiel. Desperat ließ Gracchus seinen Kopf auf die Brust sinken und schloss seine Augen.
    Ich werde immer dein Schatten bleiben
    , spottete der Hauch seines Vaters.
    Ich nehme mir nur das Leben, um das du mich betrogen hast.
    Gracchus hob seine Hände, um seine Ohren damit zu verschließen.
    "Hör auf!"
    schrie er gegen das Nichts an, das mit einem höhnischen Lachten antwortete.
    "Hör auf damit!"
    Sein Flehen verhallte ungehört, denn es war niemand außer ihm im Raum, dass auch niemand hernach das leise Schluchzen hörte, mit welchem er suchte den Schmerz in sich abfließen zu lassen, welcher über Faustus' Zurückweisung in ihm noch immer sein Herz marterte. Doch weit schlimmer als der Schmerz über verlorene Gelegenheiten war die Furcht - die Furcht, dass Serapio gefallen war im fernen Aegyptus - denn wie sonst konnte er als Trugbild ihm in Rom erscheinen, wenn nicht sein Genius als Larve ob des Fluches wegen sich in Gracchus' Nacken hatte festgesetzt?

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Mit akribischer Genauigkeit setzte die feingliedrige Hand Buchstabe um Buchstabe auf das blasse Pergament, verfeinerte den starren Schwung der Linien, zitterte im genau rechten Maße und beendete im geeigneten Augenblick die Ansammlung der dunklen Farbe auf dem hellen Grund. Mit einem siegessicheren Lächeln blickte Stertinius Laevus zu ihnen empor, präsentierte das Schriftstück als das neue Testament des Ulpius Aelianus Valerianus, welches Tiberius Durus und er selbst mit zufriedenem Wohlwollen bedachten und als veritabel akzeptierten. Doch da das Pergament nun zweifellos aus der Hand des Imperators stammte, so war auch Stertinius als sein Verfasser eben dieser, der Kaiser höchst selbst, ob dessen Durus energisch zur Tat schritt, das hinter seinem Rücken verborgene Gladius hervor holte und mit einem wahnwitzigen Grinsen auf seinem Antlitz, einer Fratze unfasslicher Tollheit gleich, das Metall mit höchster Präzision schwang als hätte er nichts anderes sein Leben lang getan und den Kopf vom Rumpfe des verblüfften Ulpius abtrennte. Er wollte protestieren, dass dies nicht die Art und Weise war, welche sie hatten vereinbart, doch kein Wort kam über seine Lippen während er stumm musste betrachten wie über den Halsstumpf sich tief rotfarbene Fontänen aus Blut ergossen, auf welchen aus dem verkürzten Korpus heraus kleine, goldfarbene Enten schwammen als wäre der Fluss aus Lebenssaft nur der Tiber. Formvollendet glitten die Wasservögel über den fransigen Rand des Halses hinweg, breiteten ihre kleinen Flügel aus, um in dem feinen Sprühregen aus Blut in die Tiefe zu Boden zu fliegen, wo sie nach der weichen Landung zu hölzernen Römern sich wandelten, similär der Figuren wie Minor und Titus mit ihnen zu spielen pflegten. Doch gegenteilig zu jenen waren diese Bürger nicht stumm und starr, versammelten sich zu seinen Füßen, jubelten und frohlockten.
    "Der Kaiser ist tot, es lebe der Kaiser! Hoch lebe der Imperator Caesar Augustus Manius Flavius Gracchus, hoch lebe unser neuer Kaiser!"
    Kleine hölzerne Frauen legten Blumenbänder über seine nackten Füße, kleine hölzerne Musiker bliesen ihre Fanfaren und das glückliche, kleine Volk umtanzte ihn heiter und ausgelassen.
    "Aber ..."
    , setzte er widerstrebend an.
    "Aber ich bin nicht der neue Kaiser. Ich ... ich will nicht Kaiser sein!"
    Ein wenig energischer waren bereits die letzten Worte, gingen jedoch im Hufgetrappel unter, welches aus der Ferne sich näherte und das Volk dazu veranlasste, sich zu zerstreuen. Aus dem Sonnenuntergang her galoppierte ein prächtiger, rotgoldfarbener Löwe heran, die üppige Mähne im Zuge der Luft wehend, auf seinem Rücken einen jungen Mann mit sich tragend, welcher bei seiner Ankunft vor ihm behände auf den Boden sprang, ein strahlendes Lachen auf dem Gesicht.
    "Keine Sorge, Onkel Gracchus, da bin ich! Ich werde Kaiser anstelle des Kaisers! Rom wird erblühen unter meiner Ägide, Rom wird brennen!"
    Neuerlich wollte er Einspruch erheben, denn so sehr er auch seinem Vetter vertraute, so wenig erachtete er dessen Sohn Serenus als tauglich, die Geschicke des Imperium Romanum zu lenken. Doch noch ehedem er ihn in seine Schranken konnte weisen, erhob sein eigener Sohn Titus Gracchus das Wort, ließ den Neffen verblassen.
    "Ich werde Kaiser anstelle des Kaisers werden! So bestimmt es die Erbfolge, und so bestimmt es dein letzter Wille."
    Ein wohlwollendes, sanftes Lächeln umschmeichelte seine Lippen beim Anblick des energischen Auftretens seines Sohnes, dass auch die Klangfarbe seiner Worte milde war als er Titus den Irrtum in seinen Gedanken aufzeigte.
    "Aber nein, Titus, nach mir wird zuerst dein Bruder Minor Kaiser."
    Überheblichkeit zeichnete nun sich auf Titus Gracchus' Mine ab.
    "Das weiß ich doch Vater, deswegen musste er sterben!"
    Es war das gleiche blutige Schwert, mit welchem Durus den Stertinius-Kaiser hatte geköpft, welches Titus in die Höhe hob, um damit auf den Leichnam zu zeigen, welcher zweifelsfrei in seiner Silhouette jener Minors war, wiewohl Titus gleichsam mit der anderen Hand den Kopf des Toten empor hob, aus dessen bleichem Antlitze ihm Minors leere Augen entgegen starrten.
    "Nun musst nur noch einer sterben, Vater, dass ich Kaiser anstelle des Kaisers werden kann!"
    Ohne einen Augenblick des Zögerns stieß Titus ihm das Schwert in die Brust, dass nurmehr die stumme Frage nach dem Warum ihm in der Kehle stecken blieb.
    "Du warst schon immer ein Narr!"
    beantwortete Titus die unausgesprochenen Worte, und seine Stimme war dabei nicht mehr nur diejenige seines Sohnes Titus Gracchus, sondern gleichsam diejenige seines Vaters Titus Vespasianus.
    "Du warst schon immer ein Träumer! Und nun bist du auch noch ein Verräter!"
    Ohne dass Blut floss aus der Wunde spürte er, dass er sich mehr und mehr leerte, dass gleichsam das rotfarbene Blut an seinen Händen nicht sein eigenes war, sondern das derjenigen, die er auf seinem Weg zum Wohle des Imperium Romanum hatte auf seinem Scheiterhaufen angesammelt. Doch es war längst zu spät, noch umzukehren, so dass er allmählich sich löste aus allem Sein und in tiefen, traumlosen Schlaf zurücksank.

    ~~~

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  • Zögerlich, beinah ein wenig furchtsam betrat Gracchus nach scheinbar unendlich langer Zeit sein Cubiculum, doch tatsächlich erwartete ihn nichts unerwartetes, tatsächlich bot sich der Anblick wie eh und je. Alles in diesem Raume war Manius Flavius Gracchus - die Wände strahlten Manius Flavius Gracchus aus, das Mobiliar roch nach Manius Flavius Gracchus, der Boden tönte nach Manius Flavius Gracchus, die Luft schmeckte nach Manius Flavius Gracchus und beinahe schien es, als wäre in den Kissen und Decken des Bettes noch der Abdruck Manius Flavius Gracchus' Leib zu erkennen, als würden sie noch immer seine Wärme halten; alles in diesem Raume war Manius Flavius Gracchus, nur er selbst passte nicht mehr hierher, drang wie ein Fremdkörper in die Gefilde eines Mannes ein, welcher nicht mehr existierte, wie ein Parasit, der kam, sich im Gemach eines Verstorbenen einzunisten. Manius Flavius Gracchus, einst Senator, Praetorier, Pontifex, Familienoberhaupt - dann Konspirant, Kaisermörder, Staatsverräter, Flüchtiger - dann bibliothecarius, Geliebter, Aton, Peregriner. Und nun? Stunden zuvor - oder waren es Tage, war es ein anderes Leben gewesen? - war jene Person nur eine blasse Ahnung gewesen, und noch immer schien dieses Leben gleichsam so traut wie unendlich fern. Wer war er, der er hier stand, im Cubiculum des Manius Flavius Gracchus, was war noch von ihm übrig?
    "Nichts"
    , echappierte seiner Kehle, und mit einem Male fühlte er sich müde, unendlich müde, und alt, unendlich alt, als wäre die gesamte Welt über ihn hinweg gerollt, als hätte die Zeit ihn überholt. Er wollte nurmehr schlafen, sich niederlegen und nie wieder erwachen, hinfortsegeln auf einem Schiff aus Grün und Blau, befreit von allen Fragen, befreit von aller Ungewissheit und aller Last, befreit von allem nagenden Zweifel und Bedenken bezüglich des Verbleibs all der Menschen, welche Manius Flavius Gracchus lieb und teuer oder anvertraut gewesen waren. Er streifte die alten Sandalen des Aton von seinen Füßen, zog die Tunika des Aegypters über den Kopf und legte sich auf das Bett des Patriziers, welches Jahr und Tag seit seinem Aufbruch hatte seines Besitzers geharrt, zog seine Beine eng an den Leib, die Decke über sich und schloss die Augen. In Morpheus' Reich war es nicht von Bedeutung, wer er war, nicht, wer er sein wollte, nicht einmal zu sein.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Zaghafte Dunkelheit benetzte seine Welt aus schroffem Gestein und Endlosigkeit, scharfkantige Wiesen und rostfleckiges Gestrüpp, ein Hauch von verwesendem Fleisch, eine Ahnung dämmernder Finsternis. Seine nackten Füße irgendwo an seinem Leibe, irgendwie ein Teil von ihm, schmerzend, längst zerfasert von Scherben aus Vergangenheit und Zuflucht, längst zerrissen vom Sog der Charybdis im Sand, seine Haut ein einziges Gespann aus dürrem Papyrus, zerlöchert durch den Regen aus Feuer, sein Haupt eine Krone aus Zähnen, erhaben, erhoben, zertrümmert im Anblick gleißender Kälte. Der einzige Weg zu gehen führte im Kreise, folgend den Spuren, welche sein Schatten auf den Wogen des Meeres hinterließ, stets im Rund, ohne Vorankommen, ohne Verharren, ohne Regung, ohne Gefühl und ohne Reue. Fern im Auge des Sturmes blitze das Schwert des Hephaistion, überzog für einen Herzschlag die Ebene, ehedem das Herz seine Hiebe einstellte, dass die stumpfe Klinge nurmehr in einem Hügel aus tränengleißendem Blute konnte enden, welches kaum eine Entschädigung war für all die verpassten Gelegenheiten. Eines Tages mochten sie sich wieder sehen, auf einem Schiff, überzogen mit Algen aus alten Erinnerungen, einem Kahn aus pergamentenen Wolken, auf welchen die Worte ihres Lebens waren aufnotiert, welches hinfort würde gleiten auf dem Oceanos verlorener Zeiten, verlogener Weiten, verbogener Welten - doch an diesem Tage, am Ende aller Kraft zerfiel das Skelett zu hölzernem Staub, denn nichts mehr würde bleiben von Flucht und Tod als ein ausgemergeltes Flüstern, das der Wind mit sich trug.

    ~~~

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  • Einige Tage lang hatte Gracchus sich gefühlt wie ein Vogel, welcher seinem goldenen Käfig endlich war entronnen, welcher zurück gekehrt war in sein ursprüngliches Dasein, in die Freiheit der Natur, doch alsbald schon musste er sich eingestehen, dass er nur die Art des Käfigs hatte gewechselt, aus der Öffnung des einen in den anderen war hineingeschlüpft. Mehr noch als die trauten Mauern der Villa Flavia war es schlichtweg seine Identität, sein Dasein, welches ihn beengte, welches ihn determinierte und limitierte, selbst da er kaum nur einen Fuß weit in sein altes Leben war zurückgekehrt. Noch immer zweifelte er an sich selbst, an seinen Entscheidungen und seiner Person, noch immer war er uneins mit sich selbst über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wiewohl die Wahrheit ihm schwer auf seinen Schultern lastete. Einer Seifenblase gleich schienen ihm nun die raren Stunden mit Faustus, die bedingungslose Zeit, welche sie hatten teilen dürfen, einer endlos kostbar schimmernden Perle, welche letztlich durch den Druck der Realität war zerplatzt. Ruhelos waren seine Nächte ob dessen, in welchen er nicht wusste, ob er die Vergangenheit sollte bedauern oder ersehnen, in welchen es ihm graute vor dem Erwachen, gleichwohl wie er das Traumreich fürchtete. An diesem Morgen indes erwachte er in übermäßigem Unbehagen, spürbar in einer Anspannung um den Magen herum, gleichwohl einige Augenblicke vorüber zogen, ehedem er dessen wurde gewahr, was der Grund dieser Inadäquanz war. Hastig rollte er zur Kante des Bettes, schob seinen Oberkörper darüber hinaus, dass er alsbald kopfüber unter das hölzerne Bettgestell blickte. Auf dem Fußboden dort zeigten sich nur verwischte Spuren von Kreidestaub, doch es war nicht der Anblick des verlorenen Schutzes, welcher ihn in Entsetzen versetzte. Das Kästchen war fort, der kleine Kasten, in welchem er all die Briefe Faustus' hatte aufbewahrt, in welchem Liebe, Begehren und Sehnsucht waren verwahrt gewesen für einsame Stunden, war nicht mehr dort.
    "WO IST ES!?"
    brüllte er gänzlich außer sich, und der aufwallende Zorn ließ ihn auffahren und aus dem Bette aufspringen.
    "WO IST ES!?"
    Die Türe öffnete sich bereits, denn obgleich Sciurus nicht wieder in die Villa Flavia war zurückgekehrt - niemand wusste dieser Tage noch, wo der Vilicus und der ihm anvertraute Teil der Familia Flavia Graccha sich befand -, so harrte doch ein Sklave draußen auf dem Gang, um jederzeit für die Belange der spärlich anwesenden Herrschaften Sorge zu tragen. "Herr?" versuchte der eintretende Sklave, beinahe noch ein Junge, ein wenig eingeschüchtert herauszufinden, was Ursache des flavischen Unmutes war.
    "WO IST ES?"
    skandierte Gracchus nur neuerlich in Rage, setzte sodann jedoch zu einer Art Erklärung an, den flavischen Furor nun deutlich in seinen Augen erkenntlich.
    "WO IST DAS KÄSTCHEN, WELCHES UNTER MEINEM BETTE VER..BORGEN WAR? WO IST ES?"
    Mit wenigen Schritten war er bei dem Sklaven, packte ihn am Hals, dass die Adern auf seinen Handrücken hervortraten, und schüttelte den Unfreien, welcher nicht wusste wie ihm geschah, die Augen nur aufriss und seinen Herrn anglotzte ohne zu wissen, was dies alles sollte bedeuten.
    "WO IST DAS KÄSTCHEN? WO SIND DIE BRIEFE?"
    repetierte Gracchus polternd, mit mehr und mehr seiner Kraft dem Sklaven die Luft abdrückend. Ein Krächzen war alles, was dessen Kehle echappierte, was letztlich Gracchus dazu veranlasste, ihn kraftvoll von sich zu stoßen zur Wand hin, ihm indes sogleich noch immer wutendbrand zu folgen.
    "Wo ist das Käst'hen, welches unter meinem Bette verborgen war? Wer war hier? Wer hat es ent..wendet?!"
    Unbeherrscht war die Couleur seiner Stimme, sein Kiefer angespannt, seine Augen von Ingrimm geweitet. "Niemand war hier, Herr!" keuchte der Sklave. "Nur ... nur die Urbaner … bei der Durchsuchung des Anwesens ... aber ... aber sie haben nichts mitgenommen, Herr! Sonst ... sonst niemand, Herr!"
    "NICHTS MITGENOMMEN!? WO IST ES DANN?! WO?"
    Außer sich vor Zorn über die Dreistigkeit des Sklaven packte Gracchus dessen Schopf, schlug den Kopf des jungen Mannes gegen die Wand im Ansinnen, die Information, welche er suchte, aus diesem mit aller gebotener Gewalt hinaus zu treiben.
    "WO IST ES?!"
    donnerte er mit jedem Schlage, da der Hinterkopf gegen die Mauer krachte.
    "WO IST ES?! WO IST ES?!"
    Bis dass die Augen des Sklaven dumpf wurden, dass die Anspannung aus seinem Leibe wich und ein affröser Flecken an der Wand zurück blieb. Voller Unzufriedenheit ließ Gracchus das Haar des Toten los, dass der Leichnam zu Boden fiel, wischte sich die Hand an seinem Schlafgewand ab und wurde erst nun des entsetzen Augenpaares gewahr, welches von der Türe aus ihn beobachtete - ein weiterer Sklave, welcher ob des anhaltenden Gebrülls zum Gemach seines Herrn war geeilt.
    "Ich will wissen, wo dieses Käst'hen sich befindet! Wenn ich nicht bis morgen einen Namen erhalte, so wird einer nach dem anderen von euch am Kreuze enden bis dass der Dieb gefunden ist! Avisiere dies und schließe die Türe - ich werde heute kein Frühstück zu mir nehmen."
    Mit einem hastigen Nicken schloss der Sklave die Türe und Gracchus blieb mit dem toten Sklaven allein zurück.

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  • Rastlos wanderte Gracchus vor dem Fenster zum Garten hin auf und ab, hatte keine Acht für Blütenpracht und Spätsommerglanz, nicht für das Schimmern der Sonne auf den Wasserflächen, noch für den leisen Duft vollreifer Früchte, nicht für das Summen der Insekten, noch das Zirpen der Zikaden oder das Trällern der Vögel. Seine Welt war ein Moloch graufarbener Schwere, ein ausgedörrter, endlos tiefer Brunnenschacht, eine karge, steinige Insel im Nirgendwo, auf welcher selbst die Gedanken an all die Pracht, welche irgendwo allfällig noch existierte, welken Gräsern in der Wüste gleich vertrockneten. Wie lange war es her seit Cornelius Palma in Rom war eingezogen, wie lange war es her seit die neu-kaiserlichen Truppen die Castra in Beschlag hatten genommen? Viel zu lange. Viel zu lange. Konnte ein Mensch überhaupt derart lange Zeit ohne das Licht der Sonne überleben? Allfällig überleben, doch womöglich nicht ohne irrsinnig zu werden. War es sein Vater gewesen oder sein Vetter Felix, welcher den Sklaven mit dem flavischen Keller hatte gedroht mit den Worten, dass es nur einen Ort im Imperium Romanum gab, welcher schlimmer war als dieser – den Carcer der Castra Praetoria? Er konnte nicht länger warten, nicht länger tatenlos verharren, er musste etwas tun – jetzt, in diesem Augenblick.
    "Ein Scriba!"
    blaffte Gracchus den Sklaven an, welcher auf dem Gang herum stand, kaum dass er die Türe seines Cubiculums hatte geöffnet, und nur wenige Augenblicke darauf trat ein schriftkundiger Sklave, bewaffnet mit Tabula und Griffel in den Raum.
    "An den Imperator, die üblichen Floskeln, ob einer dringlichen Angelegenheit bitte ich um die Ehre einer persönlichen Audienz, Siegel et cetera, auf Ziegenpergament."
    Kurz hielt er inne, präzisierte sodann:
    "Auf dieses sehr feine, elfenbeinfarbene Ziegenpergament."
    Es war ein überaus kostspieliges Vergnügen, wurde die Haut doch ungeborenen Ziegen abgezogen, doch letztlich hatte Gracchus ohnehin keine Vorstellung von diesen Kosten.
    "Beeile dich mit dem Aufsetzen der Schrift, lege sie mir zur Signatur vor und bringe sie sodann umgehend zum Palast."
    Noch ein wenig später war dies bereits geschehen, während Gracchus längst wieder ruhelos durch seine Gedanken wanderte.

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  • Mit nachdenklicher Miene stand Gracchus vor dem Spiegel in seinem Cubiculum, blickte angestrengt dort hinein und sah doch nicht sich selbst darin.
    "Ich verlange seine Freiheit, Cornelius, sonstig werde ich ..."
    Er stockte.
    "Nein, ... nein, … keine Drohung … andern..falles lässt er mich stante pede mit in den Kerker werfen."
    Er straffte die Schultern, wandte sich an die Gestalt im Spiegel.
    "Ich bitte dich um seine Freiheit, Cornelius, denn dies ist es was mir die Ehre gebietet. Glei'hwohl soll dies alles sein, was ..."
    Ein Klopfen unterbrach das Studium der Möglichkeiten, mit welchen er gedachte Cornelius Palma zu begegnen - so dieser überhaupt irgendwann einmal würde gewillt sein, ihn zu empfangen -, wiewohl es unmöglich war, den Laut zu ignorieren, da beinahe noch im gleichen Augenblicke die Türe sich öffnete. Schon wollte Gracchus seinem Unmut über die Dreistigkeit dieses Einfalles erbost Ausdruck verleihen, da erstarrte sein Antlitz, denn kein geringerer als sein geliebter Sklave Sciurus trat in das Cubiculum und grüßte ihn mit einem tonlosen "Herr", ganz so als wäre es nicht eine halbe Ewigkeit her, dass sie sich zuletzt hatten gesehen, sondern als wäre sein Vilicus nur eben kurz fort gewesen, um eine Besorgung zu erledigen.
    "Sciurus!"
    , entfuhr es dem Flavier in großer Freude, dass die Welt um ihn her augenblicklich vergessen war, trat er mit wenigen Schritten auf den Sklaven zu und zog ihn an seine Brust.
    "Sciurus, mein Sciurus!"
    Er herzte ihn wie einen verlorenen Sohn - welchen Gracchus niemals in dieser Art und Weise würde bedenken -, überhäufte ihn mit Küssen und wurde darüber des Drängens in sich bewusst, welches in ihm verschlossen war seit er den Sklaven hatte aus dem Hause gesandt. Fahrig fuhren seine Finger zum Saum Sciurus' Tunika und tasteten voller Begierde nach dem Leib, welcher darunter verborgen war.

    ~~~


    Ein wenig später - nicht allzu lange jedoch - lag Gracchus zufrieden auf seinem Bett und starrte an die Decke. Seit langem nicht mehr war er so entspannt wie in diesem Augenblicke, seit langem war die Realität nicht mehr derartig ohne Belang.

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  • Sciurus zog seine Tunika zurecht und räusperte sich. "Deine Gemahlin sendet dir Grüße und deinen Sohn Titus nach Rom. Sie selbst befindet sich noch mit deiner Tochter auf einem claudischen Landgut nahe Patavium und möchte dort weiter verweilen bis sich alle Wogen in Rom geglättet haben. Sie ist jedoch der Ansicht, dass Titus als dein Sohn in deiner Nähe sein sollte."
    Der Sklave bemerkte sehr wohl, dass die Erwähnung der Claudia und ihrer Kinder seinen Herrn aus dessen Wohlgefallen riss, er sich nur schwer auf seine Worte konzentrieren konnte.
    "Wie … ist es ihnen ergangen?"
    rang sich der Flavier ab, schwankend zwischen Desinteresse und Pflicht.


    So begann Sciurus in kurzer, präziser Ausführung seinem Herrn zu berichten von der geglückten Flucht aus Rom, dem Weg nach Norden und der Ankunft auf dem claudischen Landgut, der relativen Ereignislosigkeit abgesehen von einigen marodierenden Banditen, den Legionen, welche in weiter Entfernung an ihnen vorbei gen Süden gezogen waren, sowie den Fortschritten in Hinblick auf Bildung und Erziehung, welche Flamma und Titus unter der Ägide ihrer Mutter im Exil erhalten hatten. "Als die Nachricht eintraf, dass Kaiser Cornelius die Proscriptionen annulliert hat, entschied deine Gemahlin, dass somit auch für deinen Sohn keine Gefahr mehr besteht und seiner Rückkehr nach Rom nichts mehr im Weg stand."

  • Seufzend schloss Gracchus die Augen und lauschte den Ausführungen seines Vilicus. Zu lange hatte er das Wohl seiner Gemahlin, seiner Tochter und seines jüngsten Sohnes verdrängt, zu fern schien ihm dieses Leben als dass er daran wollte erinnert werden, zu groß die Misere, welche er über sie alle hatte gebracht. Es konnte nur konvenieren, dass Antonia mit Flamma weiterhin im fernen Patavium weilte, wiewohl ihn ein Schaudern überkam bei dem Gedanken, dass Titus mit Sciurus zurück in die Villa gekommen war. Seit seiner Geburt mied er den Jungen, mehr noch als er Minor je hatte gemieden aus dem schlichten Grunde, da er ein Kind gewesen war, er mit Kindern nicht viel mochte anfange können, erinnerte der Anblick Titus' ihn doch noch immer an den schmachvollen Tag seiner Geburt, hing dem Jungen gleichsam doch noch immer die Larve an, welche er an diesem Tage hatte erschaffen.
    "Gut, gut ..."
    , beschloss er den Bericht, mit einem Empfinden, welches er nur allzu gerne von sich wollte drängen, langte nach dem Sklaven, welcher noch auf der Bettkante saß, gleichsam indes war er sich sicher, dass nun alles einfacher würde werden, da Sciurus wieder an seiner Seite war.
    "Komm zu mir"
    , wies er den Sklaven an, welcher sich bereits anschickte, wieder aufzustehen. Er hatte nicht vor ihn allzu schnell zu entlassen, sehnte er sich doch nach der vertrauten Nähe, welche Sciurus selbst nach der langen Zeit der Trennung anhaftete.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Nichts war zu sehen, nichts zu hören oder riechen außer der diffusen Szenerie der verlassenen Brücke, auf welcher er stand - grober, graufarbener Stein unter seinen bloßen Füßen, das leise Säuseln des trüben Flusswassers unter ihm und ein Hauch von feuchtem, schwerem Nebel, welcher dies alles umschloss. Es schien ihm als warte er bereits seit Stunden in der Kälte der Einsamkeit, in welcher nur das Flüstern des Windes zart über seine Wangen rieb, als stürben Tag und Nacht zum wiederholten Male ohne dass die Welt sich gnädig zeigte und ihn mit ihrem atemlosen Kuss erlöste - bis dass endlich in der Ferne zuerst ein Rauschen sich erhob, ein wiederholtes Glucksen und Gurgeln im Wasser vom Sog des harten, hölzernen Paddels, welches unermüdlich seine Spuren zog, alsbald gefolgt von der leisen Melodie zarter Lippen, welche unablässig sich ihm näherten.
    "Dein Antlitz seh ich stets, und schließ ich auch die Lider, Dein golden warmes Licht umschmeichelt meine Glieder, vertreibt die Kälte und durchglüht mich ganz. Du überragst sie alle – drum stehst Du allein, und ich, verzehrt von Sehnsucht, will Dir Gefährte sein! Im Fieber folge ich dem Feuerglanz"
    , schoben die Worte des Geliebten sich näher und näher bis dass endlich auch Faustus' Antlitz sich aus dem milchfarbenen Nebel schälte.
    "Faustus"
    , hauchte er ergeben, streckte dem Geliebten, welcher auf der goldfarbenen Sonnenbarke der Brücke zustrebte, seine Hände entgegen.
    "Bis endlich Deine Hand sich um die meine schließt. Die Welt verstummt."
    Seine Hand schloss sich um die Faustus', die Welt verstummte - doch nicht um ihr Blut zu erhitzen, in ungestüme Leidenschaft sie zu versetzen, nicht um das Sonnenfeuer zu entfachen, zerbrach doch unversehens das Gefährt unter Faustus' entzwei, stürzte ihn hinab, dass die Fluten des Flusses ihre gierigen Klauen nach dem Geliebten ausstreckten.
    "Faustus!"
    Mit aller Kraft hielt er Faustus' Hand umschlossen, Entsetzen in seinen Augen, denn er war zu schwach, viel zu schwach um den Leib des Geliebten zu halten, viel zu schwach, ihn vor dem Unheil zu bewahren, viel zu schwach, sie beide zu retten.
    "In Ewigkeit im Jetzt. Vergehen und Erblühn"
    , beschloss Faustus mit traurigem Blicke, löste seine Finger und gab sich dem Zerren des Flusses hin.
    "Faustus!"
    Unfähig, ihn zu halten, konnte er nur tatenlos zusehen wie das eisige, dunkle Wasser seinen Geliebten verschluckte, wie es ihn umschloss, ihn hinabzog in das Reich endloser Stille, in welcher seine Rufe ungehört verklangen. Unermüdlich floss der Fluss unter ihm dahin, unermüdlich trieb er mit sich, was er dem Land hatte entrissen - Geäst, Gehölz und Blattwerk, alsbald einen bleichen Fuß, ein Leib dem folgend. Leontia, hehr und anmutig zugleich, ein epiphanes Wesen im glitzernden Nass, ihre Haare Algen gleich in den Wogen schaukelnd, ihre Hand in einer Bewegung pendelnd als würde sie ihm zum Gruße winken - doch war es nur der Sog des Fluss, welcher ihrem toten Leibe einen Anschein von Leben spendete. Ihre Augen indes in hellem Blau leuchtend, Sternenfunkeln in der Dunkelheit der Nacht, zwei einsamen Kerzen gleich, welche über den oceanos dahin trieben. Lautlos glitt ihr toter Körper unter der Brücke hinfort, untätig er darauf verharrend, viel zu schwach sie zu halten, viel zu schwach, sie vor dem Unheil zu bewahren, viel zu schwach, sie beide zu retten. Zwei weitere Kerzen folgten dem Schaukeln der Wellen, nur undeutlich war der Leib seiner Mutter zu erahnen, ihre Finger verwoben mit denen Agrippinas, deren Antlitz bedeckt war von einem schimmernden Schleier aus Morgentau. Minervina und Quintus, sein Vater und sein geliebter Sklave, Caius und Piso, Celerina und selbst das Sklavenbalg Ikarus - sie alle brachte das Meer mit sich, ihre Augen wie stille Feuer im Wasser glimmend, ihre Leiber Treibgut gleich dem Willen der Gezeiten ausgeliefert. Doch nicht nur die Seinen brachte die Strömung, mehr und mehr bleiche Körper sammelten sich um ihn, in welchen er den hingerichteten Veteranen erkannte, gefallene Soldaten, welche er nie zuvor hatte gesehen, Männer, Frauen, allfällig gar Kinder, welche der Bürgerkrieg hatte mit sich gerissen, deren Leben er selbst hatte gefordert, mehr und mehr tote Leiber welche die Insel, auf der er nun stand, umspülten.
    "Faustus!"
    erkannte er plötzlich inmitten der Toten seinen Geliebten dahintreiben, doch mit jedem Schritt, welchen er auf ihn zu tat, zog das Meer vor ihm sich zurück, fraß das Land hinter ihm auf, dass er stets auf seiner Insel verharrte, je schneller, je weiter er auch rannte, stets nur Sand vor sich erschuf, welcher das Meer verdrängte.
    "Faustus!"
    streckte er verzweifelt seine Hände aus, um doch nur in Leere zu fassen, bemerkte dabei nicht wie die sandigen Körner unter ihm allmählich seine eigenen Füße umfassten, wie der Strand mit jeder Bewegung seinen Leib mehr und mehr verschluckte. Als nurmehr sein Kopf noch aus dem Land herausragte spülte eine Welle einen Kuss von Faustus' Lippen zu den seinen hin, und begierig leckte er das Salz von seiner Haut, doch war es längst zu spät. Er war viel zu schwach, sich am Leben zu halten, viel zu schwach, sich vor dem Unheil zu bewahren, viel zu schwach, sie beide zu retten.

    ~~~

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  • Dicke, opaque Regentropfen sanken aus dem tristen, graufarbenen Himmel hinab, schienen einige Augenblicke - sobald sie aus endloser Ferne sichtbar wurden - reglos zu schweben, um sodann in rasanter Geschwindigkeit an Gracchus' Blick vorbei hinab in den Garten zu fallen, um dort zu sterben, sich einzufügen in den endlosen Kreislauf irdischen Seins. Seit geraumer Weile bereits saß er am geöffneten Fenster seines Cubiculums, ungeachtet der in das Haus ziehenden Kälte - in ihm war ohnehin längst alles erkaltet -, betrachtete stumm den Tanz des Regens, während in seinem Geiste die Gedanken in altgewohnten Bahnen sich drehten. Seit Tagen - Wochen allfällig? - wartete er auf Nachricht ob Faustus' Zustand, bangte mit jedem Tage mehr, sein geliebter Hephaistion könne den Folgen der Kerkerhaft erliegen. Jeden Morgen stellte er dem Apollo Medicus einen Becher köstlichsten Weines - aus den unerschöpflichen Vorräten des Felix, welche noch immer in den Eingeweiden des endlosen flavischen Kellers lagerten - auf den Hausaltar, jeden Abend dem Dis Pater einen Becher frische Milch - dem einen, dass er die Genesung Serapios möge vorantreiben, dem anderen, dass er seinen Griff um Serapio möge lösen, noch einige Zeit von ihm ablassen. Tausende Male hatte er in Gedanken versucht zu ergründen, wie dies würde sein, Faustus wiederzusehen, und tausende Male war dies Aufeinandertreffen different verlaufen, ob dessen er gleichsam mit Euphorie, Sehnen und Verlangen, wie auch mit Bangen, Sorge und grenzenloser Furcht diesem Augenblicke harrte. Rom fiel allmählich zurück in Normalität, suchte das Grauen des Bürgerkrieges endgültig abzuschütteln - doch Gracchus schien es mit jedem Tage mehr, dies Grauen würde niemals mehr enden können. Obgleich er geschützt war vor dem kühlen Nass des Himmels durch das überstehende Dach des Hauses wurden seine Wangen allmählich feucht, und er wünschte sich, diese Flut könne genügen, alle Erinnerungen hinfortzuschwemmen, alle Erinnerung an Scheitern und Verfehlungen, an Lügen und Verrat, an all die Devastation, welche er nicht mehr konnte zurücknehmen - gleichsam wusste er, dass keine Flut würde je groß genug sein, dies alles mit sich zu reißen ohne dass er desgleichen darin ertrank.

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