Cubiculum | Manius Flavius Gracchus

  • Sinnierend lehnte sich Marcus zurück. Manchen Männern sagte man nach, daß sie ihre Tiefsinnigkeit am Grunde eines Bechers Wein fanden. Bei Marcus war das mit Sicherheit manchmal auch der Fall, doch viel öfter überkam ihn das am Tage nach einer durchzechten Nacht, wenn eine gewisse Melancholie und die profanen Kopfschmerzen ihn ergriffen. In seinen Gedanken ging er immer und immer wieder das Wort durch. Es klang erhaben, er mußte es sich auf jeden Fall gut einprägen, vielleicht konnte er es eines Tages ausnahmsweise passend in eine Konversation hinein streuen.


    „Auch das ist wahrlich ein erhabenes Wort. Altruistisch und somit selbstlos. Fein, sehr elegant. Weißt Du, Manius. Manchmal bedauere ich es doch sehr, kein allzu eifriger Leser zu sein. Ich gebe ja zu, daß die Schuld alleinig bei mir liegt. Wenn ich mich ein wenig mehr bemühen, ein wenig mehr meinen Geist anstrengen würde, aber wenn ich die ersten Zeilen einer Schrift sehe, ergreift mich jedes Mal eine unsäglich und bleierne Müdigkeit. Aber mein Faible liegt einfach woanders...“


    Mit einem bedauernden Lächeln sprach er jene für ihn manchmal doch bittere Erkenntnis aus. Wie viele in der Familie waren gebildet, klug und gewitzt? Fast alle! Er war es nicht. Sicherlich, nicht überall war er ein grober und unsensibler Klotz, wie wohl manche von ihm dachten. Die Musik, er liebte die Musik über allen Maße, wenn er auch nicht oft zu jenem Zeitvertreib kommt und es auch nicht sonderlich angesehen war, selber das Instrument zu ergreifen. Früher hatte er das jedoch oft getan und mit ausgesprochner Fröhlichkeit und ergriffenen Gefühlen. Marcus fing langsam an mit dem Stuhl zu wippen, wollte das Thema jedoch noch nicht ganz verlassen und in die Wüste schicken.


    „Caius hat mir vor einigen Monaten mal ein Band von einem römischen Dichter ausgeliehen. Ich konnte ihn einfach nicht zu Ende lesen. Es ging nur um Liebe, Liebe...Ich weiß, Frauen schätzen dieses Thema sehr, doch mir ist es eher ein Lästiges. Außerdem was soll man mit der Liebe, wenn man alleine unter Tausenden Männern in einem Kastell sitzt und die nächste Frau, der man die Liebe schenken kann, Hunderte von Meilen entfernt ist, in eine völlig anderen Provinz hin verreist ist?“


    Marcus seufzte leise und seine Gedanken schweiften zu der schönen Lucilla. Die Nachwirkungen des Weines verstärkten seine dunklen Säfte noch mehr und er konnte es nicht lassen mitunter noch mal zu seufzen. Heirat? Tochter? Mitgift? Das waren alles Themen, mit denen sich Marcus nie auseinander gesetzt und hat das wohl auch nicht oft tun würde. Seine Mutter- Sehnsucht nach ihr stieg in Marcus auf- würde das alles zur rechten Zeit klären und auch für die Mitgift sorgen, so hoffte Marcus.


    „Arrecina...ja..“


    Mehr als dieses Murmeln bekam Marcus auch nicht mehr zustande, denn der Fluch schwebte wie ein Verhängnis über sie alle. Schnell wischte er ihn aus den Gedanken, er würde gleich noch mit Gracchus darüber sprechen müssen. Reminiszenz? Verständnislos sah Marcus seinen Vetter an. Bezog er sich damit auf Marcus Gedanken- die er wohl kaum erahnen konnte- oder auf den Brief? Gestern bis heute?


    „Was soll verklungen sein, Manius? Herrje, Manius, machst Du das mit Absicht, oder merkst Du es schon nicht mehr, wenn Du solche absonderliche Worte benutzt? Aber nun ja, man merkt Dir an, daß Du nun mal ein Gelehrter bist, und ein seltsamer Kauz dazu.“


    Marcus grinste und stutzte. Ihm fiel dabei etwas auf. War der Kauz nicht das Tier der Athene, die gleichzeitig die Göttin der Gelehrten war. Ihm kam der Gedanke, ob man daraus nicht ein kleines Bonmot formen könnte.


    „So ist es, ein gelehrter Kauz bist Du...verstehst Du? Wegen Athene, diese komische Eule war doch...“


    Marcus konnte nicht fortfahren, so sehr mußte er über seinen eigenen Witz lachen. Sein vom Exzerzierplatz, Wind und Sonne gebräuntes Gesicht wurde tiefrot, seine Augen zogen sich zu funkelnden Schlitzen zusammen, und sein kollerndes Lachen füllte den Raum.


    „Herrlich, Manius. Ha, ha, ha! Aber eigentlich…”


    Mühsam japste Marcus nach Luft und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. Erst als er sich einigermaßen beruhigt hatte, nur noch leise gluckste, wandte er sich wieder der ernsten Materie seines Besuches zu.


    „...eigentlich wollte ich noch etwas Ernsthaftes mit Dir besprechen. Das mit dem Brief ist jetzt nicht so eilig...aber das mit dem Fluch schon. Was meinst Du, Manius. Du hast Arrecina doch gestern erlebt. Was ist jetzt zu tun?“

  • Da dies zweifelsohne noch ein längeres Gespräch werden würde - Gracchus bedauerte dies nicht im Mindesten, hielt es ihn doch einerseits von den Zahlen ab, andererseits fand er ohnehin nur selten die Gelegenheit zu solcherlei mit seinem Vetter Aristides seit jener in Mantua weilte - lehnte sich Gracchus ein wenig bequemer zurück und lümmelte sich solcherart auf den Stuhl, wie er nur in den Nachwirkungen des Alkohols dazu fähig war, bog sich dann doch sein Rücken ganz wie von selbst träge durch, statt sich gerade zu richten. In dieser Pose musste er ein aufkommendes Gähnen regelrecht unterdrücken. Es war nicht, dass er etwa von Aristides' Gespräch gelangweilt war, doch des Schlafes hatte er zu wenig in dieser Nacht bekommen, war er doch bereits früh am Morgen wie üblich erwacht und aufgestanden. Doch als sein Vetter von Caius sprach und gleichsam von der Liebe, da entfleuchte ihm ein tiefer Seufzer.
    "Allein unter Tausenden Männern in einem Kastell ..." murmelte er leise vor sich hin.
    Wahrlich, gab es eine besser Aussicht als diese, um zu Vergessen? Er würde mit seinem Vetter Felix sprechen und nach der Amtszeit auf eine Zeit beim Militär hoffen. Möglicherweise würde ihm dies die erhoffte Gelegenheit bieten, Antonia zu entfliehen und gleichsam Caius nicht zu vergessen, doch womöglich zu verdrängen. Könnte es doch nur gestern, denn morgen geschehen, doch die Zeit war unerbitterlich, wie auch die Parzen. In solcherlei Gedanken gefangen horchte Gracchus dennoch plötzlich erstaunt auf.
    "Hunderte von Meilen? Welche Frau ist hunderte von Meilen entfernt?"
    In seiner Auffassungsgabe vom Vorabend getrübt vermutete er erst eine Frau in Mantua, viele patrizische Gentes unterhielten dort immerhin Villen und womöglich war Aristides einer Frau einer solchen Gens dort begegnet. Doch obwohl die Stadt recht provinziell war, sie lag nicht in einer anderen Provinz, sie lag nur überhaupt in einer Provinz von Rom aus gesehen, doch Gracchus vermutete nicht, dass Aristides dies auf solcherlei Weise sehen würde, sondern von einer anderen Provinz denn Italia sprach. Seine zugegebenermaßen wirren Gedanken wurden jedoch bereits erneut unterbrochen.
    "Was habe ich gesagt?" fragte er verwirrt, wusste er doch nicht, worauf Aristides hinaus wollte.
    Wieder rieb er sich die Schläfe, doch es wollte ihm nicht in den Sinn kommen, was verklungen war, geschweige denn, welches absonderliche Wort er diesbezüglich gebraucht hatte. Er schüttelte nur zerstreut den Kopf und seufzte erneut.
    "Ich weiß wahrlich nicht, was du meinst, Marcus. Ich habe das Gefühl, meine Sinne sind noch immer völlig wirr. Bei den Göttern, ich hoffe die Reminiszenz an den gestrigen Abend wird bald ... oh ..."
    Ein Ausdruck zwischen Erstaunen, Verblüffung und ein klein wenig Entsetzen zog sich über sein müdes Antlitz.
    "Du hast Recht. Ist es ... auffällig? Ich meine ... auffällig schlimm?"
    Doch die Antwort war bereits gegeben. Mit der Titulatur seltsamer Kauz hatte sich Gracchus niemals zuvor konfrontiert gesehen. Er zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen und sinnierte breits darüber, ob ein gelehrter Kauz eine Schmähung war, ob sein Vetter ihn womöglich nur bewusst sekieren wollte, doch Aristides' Heiterkeitsausbruch strafte jegliche diesbezügliche Überlegungen nur Lügen. Dies war einfach nur sein Vetter Aristides mit seinem unerschütterlichen Gemüt, seiner Frohnatur, seinem nicht immer tiefsinnigen, doch grundehrlichen Humor und seinem ansteckenden Lachen. Gracchus schüttelte noch immer seinen Kopf, konnte jedoch nicht zu verhindern, in das Lachen einzufallen, allerdings spürte er schon bald wieder das stechende Pochen hinter seiner Stirne. Als sich Aristides langsam wieder beruhigt hatte, lehnte sich Gracchus nach vorne und stützte seinen Kopf auf der Hand ab.
    "Dies bereitet dir Freude, nicht wahr? Im einen Atemzug verhöhnst du mich und im anderen erfreust du dich an meinem daraus resultierenden Leid."
    Sein trotz allem humorvoller Tonfall machte deutlich, dass er dies seinem Vetter nicht verübelte.
    "Ist es tatsächlich so auffällig? Ich gebrauche die Worte nun einmal, wie sie mir in den Sinn kommen ..."
    Wieder war es an ihm zu Seufzen, eine Unart, welche er wohl den restlichen Tag nicht mehr würde ablegen können. Doch es war nicht nur angebracht aufgrund der Tatsache, dass er sich wohl oder übel mit der von Aristides erwähnten Tatsache würde auseinandersetzen und über sich selbst reflektieren müsste, als auch aufgrund des folgenden geäußerten Anliegens. Gracchus hob den Kopf, der ihm so schwer wie mit Marmor gefüllt schien, von seiner Hand und nahm diese heran, um seine Unterlippe zu kneten.
    "Arrecina machte nicht unbedingt den Anschein, als würde ein Fluch auf ihr lasten, doch dies ist nicht unbedingt sogleich von außen zu erkennen."
    Zumindest diesbezüglich hatte Gracchus seine eigenen Erfahrungen.
    "Die Zeit des abnehmenden Mondes, kurz vor dem vollständigen Fehlen, ist für einen Exorzismus dieser Art am geeignetsten. Schwindender Mond, schwindender Geist, neuer Mond, neue Einnerung ... ja, dies könnte möglicherweise hilfreich sein. Die Mitte der Saturnalia also. Ist der Germane hier im Haus? Gehört er eigentlich dir? Ansonsten wirst du mit seinem Besitzer sprechen müssen, denn sollte er seinen Einfluss nicht aus eigenem Antrieb von deiner Tochter lösen, so wird es notwendig sein, ihn dem Pluto zu übereignen, um all seine weltlichen Bande zu lösen. Da er allerdings aufgrund der Geschehnisse wird ohnehin sterben müssen, wird dies nicht allzu deplorabel für den Besitzer sein, wenn auch womöglich verlustbehaftet. Doch als Geschädigter könntest du beiweitem mehr einfordern."

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  • Resigniert seufzend stützte Marcus seine Ellbogen auf dem Tisch ab und lehnte sein Kinn auf seine ineinander verschränkten Hände. Ganz schön kratzig fühlte sich das an seiner Hand an, obwohl er sich doch gerade vorhin hatte rasieren lassen. Den Impuls noch mal zu seufzen unterdrückend musterte Marcus seinen Vetter. Der Anflug von Fröhlichkeit und Lachen war wieder schnell im Angesicht des Dilemmas und der Tragödie um den Fluch verflogen. Doch bei Gracchus Irritation über den Ausdruck des Kauzes lächelte Marcus schief und zuckte mit der Schulter. Was sollte er Gracchus in dieser Hinsicht schon sagen außer der Wahrheit? Aber das war schließlich nichts, wofür sich Gracchus schämen musste, schließlich stand es einem Priester und somit Diener der Götter gut zu Gesicht ein hochgebildeter Geist und brillanter Redner zu sein. Marcus beneidete Gracchus immer wieder um dessen poetische Eloquenz. Kopfschüttelnd hob Marcus sein Kinn an.


    “Aber Vetter, wie kommst Du denn darauf, daß ich Dich verhöhne? Nichts läge mir ferner. Aber gönn’ mir doch das kleine Bonmot und trage es mir nicht nach.“


    Jetzt lächelte Marcus doch wieder etwas gelöster. Er fand immer noch, daß ihm dieser kleine Scherz doch gut gelungen war. Ob er über Lucilla mit Gracchus sprechen wollte? Marcus stützte sich wieder mit seinem Kinn auf seine Hände ab. Abwesend musterte er die hölzerne Platte, sah jedoch nicht das Muster, war für einige Herzschläge völlig woanders, versuchte mit seinen Gedanken bis nach Germania zu reichen. Ob sie wohl noch dort war? Oder vielleicht plante sie bereits ihre Hochzeit mit diesem alten Senatorenkrüppel. Jetzt seufzte Marcus jedoch doch noch einmal.


    „Frau? Ich hab niemanden bestimmten gemeint...!“


    Die Antwort kam mehr oder minder halbherzig über seine Lippen, er sah trübe auf den Tisch. Warum ihn Amors Pfeile dieses Mal so hart getroffen hatten? Warum jene Liebeswunde nicht zu heilen vermochte, das konnte Marcus sich nicht erklären. Meist war er schon einige Wochen nach einer Begegnung schnell über eine Frau hinweg, hatte oftmals sogar schon wieder ihren Namen vergessen. Aber aus einem unerfindlichen Grund dachte er immer wieder an jene Frau zurück, der er doch nur kurz auf dem Weinfest begegnet war. Er konnte sich nicht mal mehr an das Fest erinnern, geschweige wo es war, aber an den goldenen Regen auf Lucillas dunklen Haaren, ihr Funkeln in den Augen, das hatte sich tief in sein Herz eingebrannt. Mit einem entschlossenen Kopfschütteln vertrieb er all das und zuckte mit der Schulter. Frauen! Warum sie den Geist eines Mannes immer so einfangen konnten? Es war schon übel mit ihnen und trotzdem konnte man nicht ohne sie...sein Blick fiel auf Gracchus. Oder doch? Das war jedoch nichts für Marcus, das wußte er eindeutig. Castor und Pollux hatten ihm das eindeutig vorgeführt.


    „Der Sklave gehört Caius. Na ja, eigentlich hatte ich ihm den Sklaven von Germania aus geschenkt. Ich bin mir selber unschlüssig, was zu tun gilt. Ich hatte mir überlegt, das Caius entscheiden zu lassen, aber er hat sich ja wieder verdünnisiert. Typisch!“


    Marcus grummelte leise und rollte mit den Augen. Er hatte ja nicht im Mindesten eine Ahnung davon, was vorgefallen war und warum Aquilius Rom verlassen hatte. Wahrscheinlich, so vermutete Marcus, hatte er Ärger mit einem geprellten Ehemann, vielleicht auch ein mächtiger Senator. Wo er wieder bei Lucilla anlangte...herrje, weg mit dem Gedanken. Marcus fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht, wie um jenen Gedanken weg zuwischen.


    „Ich muss in den nächsten Tagen wieder nach Mantua. Magst Du Dich darum kümmern? Wegen dem Fluch? Ich lasse auch Hannibal hier, der weiß auch, was zu tun wäre und kann Entscheidungen an meinerstatt treffen. Vielleicht sogar besser als ich!“


    Marcus grinste schwach. Die Diskussion gestern Abend, bei der Marcus früh nicht mehr so ganz folgen konnte, hatte ihm wieder vor Augen geführt, wie viel gebildeter und klüger sein eigener Leibsklave doch war. Dem war so, die Götter hatten ihn trotzdem zu einem Sklaven gemacht und Marcus zu dem Herren. Anscheinend bezweckten sie wohl damit etwas. Aber Marcus machte sich in solcherlei Dingen nie viel Gedanken. Wobei er bei einem Thema war, was ihm schon eine Weile Kopfzerbrechen bereitete.


    „Manius, da gibt es etwas, was ich Dich noch fragen wollte. Ein Rat sozusagen. Eigentlich würde ich meine Mutter fragen, aber...na ja, vielleicht kommt da eine Antwort, die mir nicht gefällt, die ich aber nicht ausschlagen kann. Also frage ich Dich lieber. Ein Rat ist bei Dir schließlich nur ein Rat und keine Anordnung.“


    Marcus lehnte sich zurück und sah gen Decke und wieder auf die Tischplatte, schließlich zu Gracchus. Wenn jemand über das aktuelle Geschehen auf dem Laufenden war, dann wohl Gracchus. Also sollte Marcus wirklich ihn fragen. Außerdem konnte er bei der Ankündigung keinen Rückzieher mehr machen.


    „Weißt Du, ich hab das Gefühl, die Tage beim Militär für mich in dieser Art wie ich dort diene, ja die sind vorbei. Du hast doch sicherlich von den Änderungen gehört und auch so das Drumherum. Also, ehrlich gesagt, durchschau ich das nicht ganz. Aber mir ist nicht ganz klar, was mein Platz im Militär sein soll. Früher gab es schließlich nur die eine Form im Militär zu dienen, Patrizier hin oder her. Aber jetzt? Ich meine, ich habe das Gefühl, mein Dienst ist jetzt sogar noch absurder als damals. Aber ich hege die Hoffnung bald centurio zu werden. Außerdem...nun ja, ich habe keine Ahnung, was ich machen sollte sonst. Als Priester tauge ich nichts und in der Politik...nun ja, ich kann vielleicht die Worte richtig sprechen, aber Reden halten...ach ich weiß einfach nicht. Was meinst Du, Manius, was sollte ich tun?“


    Ratlos und etwas verzagt sah Marcus zu Gracchus. Der Stuhl ächzte leise als sich Marcus gegen den Rückenteil lehnte und anfing mit den Fransen des Stuhlkissens zu spielen.

  • Ein feines Lächeln zog sich über Gracchus' Lippen, als sein Vetter weiterhin versuchte mit seiner Sprache zu spielen. Wenn er sich bemühte, so konnte er durchaus den Anschein erwecken, dies zu beherrschen, obwohl seine Qualitäten unzweifelhaft auf anderen Gebieten lagen. Der Kommentar hinsichtlich keiner bestimmten Frau dagegen kam so mäßig wahrhaftig, dass Gracchus keinen Augenblick daran glauben konnte.
    "Für keine bestimmte Frau scheint dir diese Frau, welche Hunderte von Meilen in einer anderen Provinz entfernt ist, während du umringt von Tausenden Männern im Castellum der Legio I sitzt, allerdings sehr nahe zu gehen. Doch du brauchst dich dessen nicht zu schämen, Marcus. Du lebst schon lange allein, wenn sie eine angemessene Verbindung darstellt, so hindert dich doch nichts daran, eine erneute Ehe einzugehen."
    Bei Aristides' Neigungen würde jene Frau kaum eine angemessene Verbindung darstellen, doch über solcherlei mochte Gracchus an diesem Tage nicht urteilen. Zudem war Aristides bereits mit Nachwuchs und einem Erben gesegnet, er konnte es sich womöglich sogar leisten, in einer Ehe seinen Neigungen etwas mehr nachzugeben, als dies anderen Männern möglich war, solchen wie unter anderem ihm selbst, obwohl natürlich Gracchus' Neigungen für keinerlei Art von Ehe geeignet waren. Die Unzulänglichkeit seiner eigenen Ehe wurde Gracchus schmerzlich mit der Nennung Aquilius' Namens bewusst. Sehnsuchtsvoll dachte er an seinen Vetter, der ebenfalls fern in einer Provinz weilte, sich vermutlich in Arbeit stürzte oder in Verlangen verging, so wie Gracchus dies in Rom tat. Caius - allein sein Name brannte Gracchus schmerzlich auf der Seele und noch schmerzlicher im Herzen. Was war Liebe wert, wenn sie nicht gelebt werden konnte, nicht durfte?
    "Caius ..."
    Ohne sich dessen bewusst zu sein, sprach Gracchus den Namen aus wie das Wertvollste, was es auf der Welt zu Sprechen gab.
    "Der Cultus Deorum hat ihn geschickt."
    Dies entsprach in der Tat der Wahrheit, doch Gracchus wusste ebenso gut, dass der Cultus Deorum selten jemand in eine Provinz entsandte, sofern dieser nicht darum bat. Da Aquilius sich nichts hatte zu Schulden kommen lassen, musste er darum gebeten haben, doch verwunderlich war dies mitnichten, nicht nach allem, was vorgefallen war, nicht, nachdem er ihn aus seinem Leben verbannt hatte. Gracchus seufzte noch einmal, tief und lang, und in diesem Augenblick störte er sich nicht daran, denn seine Gedanken weilten fern des Tages und fern des Raumes. Seine Verfassung war dem zuträglich, sich nun in eine tiefe Melancholie hinein fallen zu lassen, und nur die Anwesenheit Aristides' verhinderte, dass Gracchus sich noch mehr sichtbar gehen ließ.
    "Man muss tun, was getan werden muss."
    Dies war sowohl Rechtfertigung für seine eigene Tat, als auch Ansatz des Exorzismus an Arrecina. War der Fluch zu tief in Rutger verwurzelt, so konnte er womöglich nur durch dessen Tod gelöst werden.
    "Caius wird dies verstehen."
    Eines Tages würde er dies womöglich tun, womöglich jedoch auch niemals und dies war es, wovor Gracchus sich am meisten fürchtete, davor und davor, dass er selbst einen Fehler begangen hatte, dass es für Aquilius nichts zu verstehen gab, sondern nur für ihn und an jenem Tag, an welchem er dies tun würde, alles zu spät war.
    "Ich werde mich darum kümmern."
    Bereits wieder auf dem besten Wege in Gedanken in eine völlig andere als die durch das Gespräch angedachte Richtung abzuschweifen, wurde Gracchus von Aristides' beinahe feierlicher Proklamation der Ratsuche zurück zum Kontext gerufen. Von Aristides noch vor dessen Mutter befragt zu werden, dies war wahrlich ein Ereignis, welchem durch die Zeitspanne eines Herzschlages in Stille gedacht werden musste. Als dieser Herzschlag vorüber war, holte Gracchus tief Luft.
    "Früher oder später musst du dich deiner Pflicht stellen, Marcus. Selbst da du kaum größeres Interesse an der Politik hegst, du bist es deinem Sohn schuldig, einen dir angemessenen Platz im Senat anzustreben. Dazu brauchst du nicht gleich den curulischen Stuhl ins Auge fassen. Felix wird beim Imperator erwirken können, dass du auf der Kandidaturenliste landest, da bin ich mir sicher. Von dort aus wird es für einen Mann deines Namens nicht mehr schwer sein, und sobald die Wahl vorrüber ist, sind keinerlei Reden mehr gefragt, sondern Taten. Die Res Gestae am Ende der Amtszeit musst du nicht einmal selbst verfassen und für den Tag, da du dich auf die Rostra stellst, hast du deine eigene Klientel und die deines Patrons in der Menge, auf dass sie die richtigen Fragen stellen und von den falschen ablenken."
    Für Gracchus war es nur eine Frage der Zeit, bis Aristides in die Politik ging, denn seiner Ansicht nach stand es jedem Patrizier nicht nur gut zu Gesicht, sich dorthin zu begeben, es war zudem eine regelrechte Verpflichtung, denn wofür sonst waren sie durch ihren Stand privilegiert, wenn nicht um die Geschicke des Imperiums zu lenken?

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  • Sinnierend betrachtete Marcus einen feinen Sonnenstrahl, der durch einen Fensterladen hineinfiel und feine Staubkörnchen durch die Luft tanzen ließ. Aber vielleicht sah es auch nur so aus, als ob Marcus sinnierend seinen Blick darauf richtete, eigentlich kämpfte er auch mit einer gewissen Müdigkeit, die er der letzten Nacht verdankte und dem späten Ausflug in die Stadt, er war nun mal nicht mehr der Jüngste und das frühe Aufstehen in der legio hatten ihn durchaus in seinen Lebensgewohnheiten verändert, weswegen er auch heute schon frühzeitig wieder auf den Beinen gewesen war. Es würde wohl eine Weile außerhalb der legio dauern, bis er sich wieder von dem ungesunden Frühaufstehrhythmus entfernen konnte. Marcus fuhr sich mit der Zunge über seine trockenen Lippen, auch seine Kehle fühlte sich schon wieder ganz ausgedörrt an.


    “Du hast nicht ein bisschen Wein hier? Hach…ach…die Frauen. Schämen? Ehe?“


    Marcus riß sich von seinem trüben Anstarren des Sonnenscheins los und sah verwundert zu Gracchus. Bei allen guten Göttern, wie kam Gracchus nur darauf, daß er wieder eine Ehe anstreben könnte? Eine hatte ihm vollkommen gereicht. Frauen waren zwar bezaubernde Wesen, man umgab sich gerne mit ihnen und in Maßen waren sie einfach eine Glückserfüllende Gesellschaft, doch wenn man sie erst mal geheiratet hatte, ja da zeigten sie dann ihr wahres Gesicht. Mit einem Schaudern erinnerte sich Marcus an seine verstorbene Frau und entsann sich an ihre schlimmen Streitgespräche, die meist darin endeten, daß sie mit Vasen nach ihm warf oder sein Gesicht mit ihren scharfen Fingernägeln zerkratzen wollte. Kopfschüttelnd und mit einer wegwerfenden Geste lehnte sich Marcus zurück.


    „Heiraten? Bei den Göttern, nein, außerdem ist sie schon verlo…ach, lassen wir das mal lieber! Weißt Du, Manius, im Grunde bin ich fest davon überzeugt, daß ein Mann nicht dazu geschaffen ist, ein Weib zu ehelichen. Nein, nein, das geht gewissermaßen gegen unser Naturell!“


    Daß sich Aquilius versetzen ließ, verwunderte Marcus nicht, war jener doch genauso umtriebig wie Marcus selber. Auch Marcus spielte in letzter Zeit immer wieder mit dem Gedanken, ob er sich nicht von der legio prima versetzen lassen sollte. Nach Ägypten wäre natürlich wundervoll. Und daß sich Gracchus um den Fluch kümmern wollte, das beruhigte Marcus ungemein. Gracchus war ein brillanter Geist, ihm würde mit Sicherheit schon etwas Passendes einfallen. Langsam nickte Marcus auf den Ratschlag seines Vetters, irgendwie erstaunte ihn die Antwort nicht sonderlich. Nur den Optimismus von Gracchus, bezüglich seines Bruders Felix und dessen Engagement für ihn teilte Marcus im Grunde nicht. Marcus stützte sich wieder auf seinem Kinn ab und sah durch Gracchus hindurch. Felix, sein eigener Bruder, und er hatte nie bis jetzt mehr als ein paar Worte alleine mit ihm gewechselt. Marcus zuckte mit der Schulter.


    „Hmm…Senat?“


    Ein Haufen alter verknöcherter Männer, die sich darum stritten, wie die Getreideflotte geleitet werden sollte und wie hoch die Gehsteige am Rande der römischen Straßen waren, ein solchiges Bild vom Senat hatte Marcus vor Augen. Langeweile, pure Ödnis und langatmige Reden würden ihn dort erwarten. Marcus sah nicht sehr begeistert aus, nickte aber Schicksalsergeben. So etwas würde seine Mutter ihm auch wohl raten.


    “Hmm…ich hab kein Patron und die Klienten, die mir meine Mutter zuschustern wollte, hatte ich auch keine Muse aufzunehmen. Im Moment bringt es einem Mann Klient von mir zu sein auch nicht sonderlich viel, außer mein Name. Und man weiß ja, heutzutage zählt auch das nicht mehr sonderlich großartig. Na ja, aber Du magst schon recht haben. Sag mal, Gracchus, strebst Du ein Tribunenamt an?“


    Marcus sah Gracchus fragend an und versuchte sich vorzustellen, wie sich Gracchus als Soldat machen würde. Es gelang ihm nicht so recht, immer wieder drängten sich die Priestergewandung und eine Schriftrolle in Gracchus’ Hand in Marcus’ Geist.

  • Mit beinahe schmerzverzerrtem Gesicht blickte Gracchus auf die Nachfrage nach Wein hin zu einer Kanne, welche von einigen Bechern umringt auf einem Tablett in einer Ecke des Tisches stand. Er nahm einen der Becher, schenkte Aristides ein und stellte das Gefäß vor seinen Vetter. Anschließend füllte er sich selbst ebenfalls seinen Becher wieder auf.
    "Es ist kein Wein, nur Wasser mit etwas Essig. Ein abscheulicher Trunk, doch es erinnert mich daran, dass ich mich so bald nicht wieder dermaßen gehen lassen werde, zudem vertreibt es den andauernden Durst."
    Ohne selbst zu trinken, blickte er seinen Vetter nur verwundert und gleichsam irritiert über die Worte bezüglich der Ehe an und legte seine Stirn in Falten.
    "Was meinst du damit, dass ein Mann nicht dazu geschaffen ist, ein Weib zu ehelichen? Weshalb sollte dies so sein? Du warst doch immerhin sehr erfolgreich in der deinigen Ehe."
    Dass er selbst nicht dazu geschaffen war, dies war Gracchus sehr wohl bewusst, doch Aristides galt diesbezüglich für ihn geradezu als Vorbild, immerhin hatte er zwei Kinder gezeugt. Die Verwunderung nahm auch weiter nicht ab, als sich das Gespräch der Politik zuwandte. Bisher hatte Gracchus immer angenommen, dass Aristides Klient seines älteren Bruders war, denn wer wäre dazu geigneter, ihm Patron zu sein, wenn nicht Felix? Für Gracchus selbst war dies die einzig logische Wahl gewesen und er hatte dies nicht bereut. Doch augenscheinlich war es in Aristides' Fall nicht so.
    "Weshalb hast du keinen Patron, Marcus? Hat dein Bruder dich abgelehnt?"
    Eine beinahe undenkbare Sache, doch immerhin möglich, wusste Gracchus doch kaum etwas über das Verhältnis zwischen Felix und Aristides.
    "Ohne Patron ist natürlich schwerlich in die Politik zu kommen, geradezu unmöglich, vor allem in deinem Falle, da dir der notwendige Ordo fehlt. Dahingehend bräuchtest du einen Fürsprecher vor dem Imperator und dafür kommen nicht viele Männer in Betracht. So deplorabel dies auch sein mag, doch der Weg nach oben fängt unten an, und manches Mal ist es notwendig, über seinen eigenen Schatten zu springen. Doch so lange man dabei nicht sein Ziel aus den Augen verliert, ist daran nicht das Geringste blamabel."
    Ohne darüber nachzudenken griff Gracchus nach dem Becher, denn seine Kehle verwandelte sich langsam aber sicher erneut in eine Röhre aus trockenem Pergament. Doch schon nach den ersten Schlucken verzog er das Gesicht und stellte das Getränk weit von sich.
    "Um dieses Zeug zu mögen, muss man wohl dafür geboren sein. Mich erinnert es immer an den Geschmack von Austern. Wie dem auch sei, ich gedenke mich nach dem Vigintivirat tatsächlich um ein Tribunat zu bemühen. Natürlich ist es für mich nicht verpflichtend, doch so ich gebraucht werde, bin ich bereit dazu."
    Sein Blick verlor sich in der Ferne, getrübt von Schwermut, und die folgenden Worte nuschelte er mehr in seinen nicht vorhandenen Bart, als dass er sie laut aussprach.
    "Wenigstens dies bin ich meinem Vater schuldig."
    Im letzten Augenblick unterdrückte Gracchus ein aufkommendes Seufzen, Aristides musste sonst bald den Eindruck bekommen, er würde den ganzen Tag nichts anderes tun, und sprach weiter.
    "Ich verrate dir sicherlich kein Geheimnis, wenn ich dir sage, dass auch ich einen Sitz im Senat anstrebe, doch nicht nur, um ihm warm zu halten oder meinem Patron eine Stimme zu bescheren, nein, es ist mir durchaus ein ernstes Anliegen, denn wozu sind wir sonst, was wir sind, wenn nicht, um den Staat zu lenken? Doch um dieser Pflicht im besten Sinne nach bestem Wissen und Gewissen nachkommen zu können, ist es natürlich notwendig, sich in allen Belangen der dort getroffenen Entscheidungen Wissen und ein gewisses Maß an Erfahrung anzueignen. Ich bin fern jeglicher militärischer Erfahrung. Natürlich weiß ich um den Aufbau einer Einheit, besitze Grundkenntnisse militärischer Theorie, doch ich habe nicht den blassesten Schimmer vom militärischen Alltag. Wie könnte ich so Entscheidungen treffen über Truppenverlegungen, Einsätze oder Standorte, wo ich nicht einen Tag meines Lebens Teil einer solchen Einheit gewesen bin? Eine Nacht mehr oder weniger im Angesicht des Feindes mag über die Moral der Truppe und damit über Sieg oder Niederlage entscheiden, doch woher soll ich dies wissen, da ich nicht einmal weiß, was überhaupt für die Moral der Truppe ausschlaggebend ist, weder in Kriegs- noch in Friedenszeiten? Verwehrt man mir das Tribunat aufgrund meines Standes, so werde ich mich nicht grämen, denn in diesem Falle muss ich davon ausgehen, dass jene Erfahrung nicht unabdingbar ist. Andernfalls jedoch will ich es als Chance annehmen."
    Sand war zwischen das trockene Pergament geraten, Gracchus kannte dies von den Tagen, die Aquilius und er am Strand verbracht hatten, immer mit einigen Schriftrollen, die sie im warmen Sand liegend zwischen den Ausflügen in das kühle Meer studiert hatten. Doch die feinen Körner mochten noch so viel über das trockene Pergament reiben, Gracchus wollte das saure Wasser nicht so bald wieder anrühren.

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  • Mit angewidertem Gesichtsausdruck schob Marcus den Becher mit Essigwasser zur Seite. Den würde er bestimmt nicht runterkippen. Das Einzige, was gegen einen morgendlichen Kater wirklich zu helfen vermochte, war ein tiefer Schluck kaum verdünnten Wein. Es gab noch ein anderes Mittelchen, was der Koch in Baiae, ein alter griechischer Sklave und Säufer- dafür jedoch hochbegnadet, was das Kochen anging- hervorzuzaubern vermochte. Es schmeckte zwar widerlich und ekelhaft, aber es half…nach einer Weile.


    „Essigwasser, bei Mars, das krieg ich oft genug in der legio. Das muß hier nicht auch noch sein.“


    Kopfschüttelnd seufzte Marcus und sah wieder vor sich hin, hob nur resigniert die Augenbrauen bei Gracchus Verwunderung. Marcus zuckte mit der Schulter und lachte freudlos. Erfolgreich in der Ehe? Was hatte nur Gracchus für Vorstellungen?


    "Ach, Manius, die Ehe war eine Katastrophe. Die Talfahrten und das Schlittern durch tartarusähnliche Momente häuften sich von Woche zu Woche. Ich glaube, Frauen sind lieblich und freundlich so lange man sie nicht geheiratet hat. Danach werden sie zu garstigen Biestern, entpuppen sich als schlimme Harpyien. Denkst Du, ich möchte das noch einmal mitmachen? Aber ich glaube, hoffe und bete inständig, daß meine Mutter nicht noch mal auf den Gedanken kommen könnte, daß ich heiraten soll. [Wie Marcus doch in dieser Hinsicht vergeblich hoffte! Dennoch ahnt er nichts von dem ominösen Brief!] Aber sie wird mit Lucius sicherlich zufrieden sein, er macht sich und wird bestimmt eines Tages eine große Laufbahn hinter sich bringen…“


    Im Gegensatz zu ihm. Marcus war, ob seiner Zukunft doch selber eher pessimistischer als er zuzugeben bereit war. Ihm fehlte einfach der Funke Ehrgeiz, den wohl die Meisten in der Familie zueigen hatten. Und daß er keinen Patron hatte, war wohl ein Ausdruck jener Unwilligkeit.

    “Felix…? Ich hab ihn nicht gefragt. Weißt Du, bei meinem Vater wäre das was anderes. Von ihm könnte ich natürlich der Klient sein, das gehört sich schließlich auch so. Aber bei meinem Bruder, den ich kaum kenne? Also, ich weiß nicht wirklich…aber nun ja, das hat noch ein wenig Zeit. Schließlich stehen die nächsten Wahlen, die in Frage kommen könnten, erst in einiger Zeit an. Wir werden sehen…!“


    Marcus Resignation und Frustration, die sich durch seine hängenden Schultern bemerkbar machten, nebst seinem trüben Gesichtsausdruck, verschwanden mit einem Mal. Er lächelte auf und versuchte sich nochmalig Gracchus bei der legio vorzustellen. Fast wie ein Junge gluckste er auf, lächelte breiter und unterdrückte nur mit Mühe ein Lachen. Aber er rief sich sofortig zur Ordnung, Gracchus würde jene Aufgabe mit Sicherheit genauso bravourös meistern, wie alles, was er anpackte. Gracchus war schließlich ein kluger Kopf und mit Geist konnte man so manche andere Schwäche gut überdecken. So lehrte ihn das Mal einer seiner Hauslehrer, der den ersten Kaiser, Octavian, stets anführte bei seiner Argumentation.


    „Mein geschätzter Vetter, die Erfahrung ist mit Sicherheit löblich. Nur laß' Dich nicht von der ruppigen Art der Soldaten entmutigen und sei gewiss, ein Flavier kann sich auch dort gut behaupten. Wir haben es schließlich immer wieder bewiesen. Und was die Moral angeht: Gutes Essen, keine Schinder, nicht zu lockere Zügel und einen starken Anführer, das ist schon das Wichtigste für eine gute Moral, nebst dem Zusammenhalt der Truppe. Aber das wirst Du schon noch alles herausfinden. Ich wünsch Dir allemal viel Erfolg dabei und auch bei Deiner nächsten Amtszeit, Manius.“


    Marcus brauchte unbedingt Wein. Starken Wein, denn die Kopfschmerzen wurden gerade, im Angesicht des stärker werdenden Sonnenlichtes, auch intensiver.


    „Gut, dann lege ich das mit meiner Tochter vertrauensvoll in Deine Hände und nehme jetzt mal ein warmes Bad! Wir sehen uns sicherlich noch…“


    Marcus stand auf und rückte den Stuhl wieder zurück, lächelte noch mal jovial und wandte sich um, verließ wieder den Raum. Ehe er am morgigen Tag Rom wieder verließ, würde er noch ein unangenehmes Gespräch führen müßen. Es sei denn er drückte sich doch noch darum und ließ einfach alles seinem natürlichen Lauf.

  • Ein wenig verstört blickte Gracchus seinem Vetter nach. War dies allen Ernstes sein Ernst gewesen, dass seine Ehe eine Katastrophe gewesen war, dass ohnehin jegliche Ehe mit einer harpyiesken Gattin ihren Höhepunkt und in ihrer Entwicklung gleichsam ihr Ende fand? Bisweilen hatten sich doch alle guter Hoffnung gezeigt, dass der Verlauf der Ehe im Allgemeinen im Laufe der Zeit sich nur dem Besseren hinwandt. Oder war dem nicht so? Wer genau hatte sich überhaupt diesbezüglich geäußert? Felix hatte seine Frau bereits vor der Ehe geliebt, konnte also in der Statistik der kontrastierten Paare nicht berücksichtigt werden. Angestrengt sinnierte Gracchus darüber, mit wem er noch bekannt war, der in einer Ehe stand oder gestanden hatte. Vinicius und Tiberia kamen ihm in den Sinn, doch in Anbetracht des Glückes, welches sie bereits während ihrer Vermählung ausgestrahlt hatten, mussten auch diese beiden sich bereits zuvor geliebt haben. Es wollte ihm partout kein weiteres Paar einfallen, welches er genau genug kannte, um dessen Situation in Relation zu seiner eigenen zu setzen. Selbst seine Eltern konnte er nicht werten, wusste er doch weder genau in welchem Verhältnis sie vor ihrer Ehe gestanden hatten, noch in welchem Verhältnis dies während der Ehe der Fall gewesen war. So blieb denn einzig und alleinig sein Vetter Aristides mit seiner unglückseligen Ehe und seinen pessimistischen Ansichten bezüglich jeglichen Eheverlaufes. Von dieser Aussicht völlig derangiert schüttelte Gracchus den Kopf, um die aufkeimenden, äußerst beunruhigenden, geradezu beängstigenden Gedanken hinfort zu schütteln, doch er bereute dies schon im nächsten Augenblick, da in seinem Kopf nicht nur jene Gedankengänge begannen in Bewegung zu geraten, sondern gleichfalls mit ihnen alle Gedanken, Erinnerungen und Ideen, welche er in seinem gesamten bisherigen Leben gesammelt hatte, sie überschlugen sich regelrecht, drehten sich umeinander, kippten, schlugen mit lautem Knallen gegeneinander und mit hartem Schlag gegen das Innere seines Schädels. Gracchus stöhnte auf und fasste sich an den Kopf. Womöglich sollte er doch seinem Vetter in dieser Angelegenheit vertrauen, und die missliche Lage mit mehr Wein bekämpfen. Doch bereits die nähere Beschäftigung mit dem Ausblick auf jene Flüssigkeit führte in seinem Magen zu einem ähnlichen Effekt, wie er eben noch in seinem Kopf vorherrschte, nur überschlugen sich hierbei nicht Gedankengänge, sondern das bereits zu sich geführte Essigwasser in Verbindung mit reichlich bitterer Magensäure. Gracchus schloss die Augen, atmete tief durch den Mund ein und aus und kämpfte den Würgereiz hinab. Wenn nur Sciurus im Hause wäre, um ihm mit sanfter Nackenmassage die Widrigkeiten des Saturnalienfestes aus dem Leibe zu treiben. Doch der Sklave war außer Haus, wie dies am Saturnalienfest sein Recht war, und Gracchus würde allein und verlassen den Rest des Tages vor sich hin leiden müssen, in festem Entschluss, sich am nächsten Saturnalienfest in Mäßigung zu üben.

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  • Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, das Cubiculum wurde vom Licht mehrerer Öllampen in goldfarbenes Licht getaucht und ließ Gracchus' bloße Haut in einem warmen Bronzeton schimmern, welcher ihm tatsächlich nicht zu eigen war. Er lag bäuchlings auf sein Bett ausgestreckt, die linnene Decke bis zur Hüfte zurückgeschlagen, und ließ sich den Rücken und die Schultern von Sciurus massieren. Der subliminale Duft nach Rosen, welcher von dem Öl herrührte, und die warmen, knetenden Hände auf seiner Haut ließen ihn den Raum vor seinen halb geschlossenen Lidern beinahe vergessen. Zumindest so lange, bis ein wüstes Klopfen die Ruce unsanft durchbrach, ein Sklave hereinpolterte und sich in seiner Sprache beinahe überschlug. "Herr, eine Nachricht von den Equites Singulares, Herr! Ein Brief, gerade erst angekommen, der Reiter ist schon wieder weg, Herr!"
    Obwohl Gracchus augenblicklich hellwach war und all die Entspannung sich in Anspannung auflöste, ließ er sich nicht dazu herab, den Kopf anzuheben, obgleich ihn die Neugierde bezüglich des Absenders beinahe zu erdrücken drohte. Nur der Hof des Imperators sandte Nachrichten über die prätorianischen Boten. Die warmen Hände lösten sich von seinem Körper und schlugen die Decke bis zu Gracchus' Schultern hinauf, es dauerte etwas - vermutlich wischte sich Sciurus das Öl mit einem Tuch von den Händen - dann schickte sein Leibsklave den Boten aus dem Zimmer hinaus und die Tür schloss sich wieder. Erneut geschah zunächst nichts bis das Siegel gebrochen war, dann sprach Sciurus. "Eine Nachricht von deiner Schwester aus Hispania."
    Nichts hielt Gracchus nun noch in Ruhe, augenblicklich wandte er sich um, schlug die Decke wieder zurück, setzte sich auf und griff nach der Botschaft. Er musste an sich halten, nun sich selbst nicht in seinen Worten zu überschlagen.
    "Gib sie mir."
    Seitdem er den Brief nach Hispania gesandt hatte, hatte er sich fortwährend in Sorge ergossen, da keine Nachricht von Minervina eingetroffen war. Jener Brief jedoch, welchen er nun in seinen Händen hielt, war der ersehnte Lichtblick, brachte alle Befürchtungen zum erlischen und kündete davon, dass jegliche Sorge völlig unbegründet war, und die zarte Schrift der Worte täuschte selbst über die merkwürdige Art der Beförderung hinweg. Doch bereits der erste Satz ließ Gracchus' Braue in die Höhe wandern. Sie wanderte mit jedem Wort mehr, bis dass es schließlich den Anschein hatte, als wolle sie sich von seinem Gesicht lösen und in den Himmel empor steigen. Gracchus' Hände begannen zu zittern und weigerten sich beharrlich, damit aufzuhören.
    "Hinaus, sofort."
    Der Tonfall ließ keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines Willens, weshalb sich Sciurus ohne eine Frage umdrehte und den Raum verließ, so dass Gracchus gänzlich alleine mit sich und den Worten seiner Schwester war. Er war nicht weiter als bis zu ihrer Verschleppung und Gefangenschaft, bis zu Schmerz und Angst gekommen, doch er hatte bereits das Gefühl, sein Kopf müsse bersten. Überwältigender Druck staute sich zwischen seinen Ohren auf, ließ Lichter wie Sterne vor seinen Augen tanzen und suchte sich schließlich das nächstgelegendste Ventil.
    "Elende Bastarde! Bas-tar-de!"
    Er brüllte es aus sich heraus, doch sein Kopf wollte noch immer bersten. Heftig schnaufend hob er die freie Hand und presste sie an die Schläfe, während er die Augen fest zusammen kniff. Ein leichtes Beben erfasste seinen Körper, die unbändige Wut erlosch so schnell wie sie gekommen war und hinterließ nur Gram, welcher gar dazu befähigt war, Gracchus ein leises Schluchzen zu entlocken.
    "Bastarde ..."
    In sich zusammengesunken saß er auf dem Bett, die ölige Haut im Licht der Lampen schimmernd, kaum bedeckt durch das Tuch, doch es war nicht die Temperatur des Raumes, welche seinen Körper zittern ließ. Mit einem tiefen Zug sog er schließlich Luft in seine Lungen und öffnete die Augen.
    "Contenance, Manius, Contenance ... sie ist am Leben. Sie ist am Leben."
    Es war beruhigend, diese Tatsache laut in seinen Ohren zu vernehmen. Noch immer zitternd hob der die Nachricht, versuchte einige Augenblicke vergeblich, seine Augen an der Schrift zu halten, bis ihm dies endlich wieder gelang. Minervina war am Leben. Sie war in Sicherheit. Jemand hatte sie ausgelöst. Gaius Caecilius Crassus. Der Praefectus Praetorio. Sie verweilte bei ihm. Bei Crassus. Nicht bei Caecilius, wie sich er sich weit im Hintergrund seiner Gedanken notierte. In Sicherheit. So sicher dies in der Höhle des schwarzen Löwen sein konnte, doch in Sicherheit. Sie würde mit Crassus wieder nach Hause kommen. Nicht mit Caecilius. Gracchus' Oberkörper kippte zur Seite, bis dass er auf dem Bett zu Liegen kam. Kraftlos lies er seine Hand mit dem Brief über die Bettkante hängen, bis schließlich die Nachricht zu Boden fiel. Er sollte nach Hispania reisen und Minervina nach Hause holen, doch er konnte nicht, denn sein Amt band ihn an Rom. Er hätte Minervina nicht gehen lassen dürfen, er hätte sie überzeugen müssen, in Rom zu bleiben. Doch er hatte nicht und um Haaresbreite hätte er nie wieder die Gelegenheit dazu erhalten. Langsam zog Gracchus seinen Arm zurück auf das Bett, schlussendlich die Decke bis über beide Ohren und versuchte, jegliche Vorwürfe aus seinem Kopf zu vertreiben, doch kein noch so dicker Stoff hätte dazu ausgereicht, das anklagende Flüstern von ihm fern zu halten, welches mit der Stimme seines Vaters in seinen Ohren rauschte.

  • Der Tag neigte sich bereits seinem Ende zu, die ersten Öllampen waren entzündet und Gracchus kaute nachdenklich an einem Stück zartem Hühnerflügel, ummantelt von einer hauchdünnen Panade aus liquamen vermengt mit Eigelb und Fladenbröseln, herum. Es war einer jener berüchtigten Spinat- und Gerstentage der Villa Flavia, welche von Flavia Agrippina, der Mutter des Aristides und Großmutter des Serenus und der Arrecina für den gesamten Haushalt verordnet worden waren. Nur dunkel erinnerte sich Gracchus an jene Frau, er hatte sie bisweilen nur auf größeren Familienfeierlichkeiten angetroffen, doch sie war eine imposante Erscheinung, trotz ihrer geringen Größe, und dass ihr Arm von Baiae bis nach Rom reichte und fähig war, einem Haushalt mit nicht wenigen wichtigen Männern einen Essensplan auf zu zwingen, welcher drei Mal im Monat nichts anderes Spinat und Gerstenbrei vorsah, dies sprach mehr als nur für ihren Einfluss. Auch Gracchus wollte sich dem nur ungern entgegen stellen, doch ebenso wenig würde er sich mit einem Mahl ohne Fleisch zufrieden geben, so dass er deplorablerweise gerade immer an jenen Tagen äußerst viel zu arbeiten hatte, daher dem familiären Mahl im Triclinium nicht beiwohnen konnte und deswegen eine Kleinigkeit auf seinem Cubiculum aß. Mit einem leichten Seufzen biss Gracchus noch einmal von dem zarten Fleisch und lehnte sich zurück. Bis auf das Essen vor ihm und einigen unbedeutenden persönlichen Gegenständen war der Tisch vor ihm leer, denn seine heutige Arbeit war längstens erledigt. Dennoch gab es mehr als nur Spinat und Gerste, was ihn vom abendlichen, familiären Mahl abhielt, denn bereits seit geraumer Zeit ließen Gracchus die Gedanken um die Zeit nach seiner Amtszeit nicht mehr ruhen. Er musste sich um Minervina kümmern, nach Hispania reisen und sie nach Hause holen. Doch gleichsam musste er mit Antonia nach Mantua reisen, was nicht würde warten können, bis er aus den Provinzen wieder zurück kehrte. Mantua musste also vor Hispania liegen, was Gracchus bereits nicht gefallen wollte, doch gleichsam würde ihn nach dem Cursus Honorum auch seine Pflicht im Cultus Deorum wieder einholen oder möglicherweise auch eine andere, welche es ebenfalls nicht würde dulden, dass er monatelang unterwegs war, es sei denn er würde um eine Aufgabe als Anlass dieser Reise bitten, was ihn jedoch hernach viel länger würde in Hispania halten, als es ihm lieb war. Unachtsam hob Gracchus den Hühnerflügel und biss geradewegs auf den Knochen, erst als es zu spät war, bemerkte er den aufflammendem Schmerz in seinem Kiefer, und ließ das Huhn mit einem unterdrückten Schmerzenslaut auf den Teller zurück fallen, um sich die Hand an die Backe zu pressen. Diesem Zahn würde er sich ebenfalls beizeiten widmen müssen. Unwillig schob er den Teller mit den Fleischstücken über den Tisch von sich hinfort, womöglich wären Spinat und Gerstenbrei doch angenehmer gewesen.
    "Soll ich etwas anderes zubereiten lassen?", fragte der allgegenwärtige Sciurus besorgt.
    "Nichts, ich habe ohnehin keinen Appetit. Warst du schon einmal in Hispania, Sciurus?"
    "Ich diente eine Zeit lang in Carthago Nova."
    "Tatsächlich? Das ist äußerst vorteilhaft. Bring mir Pergament und Tinte."
    Möglicherweise gab es einen Weg, all die losen Enden miteinander zu verknüpfen.

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  • Als Gracchus von einem Gang ins Archiv des Imperium Romanum in die flavische Villa zurück kehrte, warteten zwei Briefe auf ihn. Er zog sich mit ihnen in sein Cubiculum zurück und nahm an dem kleinen Tisch Platz, der neben einem der Fenster platziert war. Trockene Luft wehte von draußen herein und brachte kleine Blütenpollen mit in den Raum, die sich dieser Tage hartnäckig als Staub über die Villa ausbreiteten und Gracchus nur deswegen nicht auffielen, da unentwegt unsichtbare Sklaven unterwegs waren, um die Räume sauber zu halten. Ohne den zweiten Brief genauer zu besehen, öffnete er jenen seines Vetters Aristides. Die Anrede mein von den Göttern auserwählter Vetter in Rom schmeichelte ihm, obgleich Aristides natürlich maßlos übertrieb, hatten nicht die Götter ihn, sondern er die Götter erwählt. Doch sogleich hernach wurde Gracchus schwer um sein Herz, denn hatte er bisherig sich der Illiusion hingeben können, dem wäre nicht so, so kündeten die Worte seines Vetters nun unmissverständlich vom drohenden Krieg, den Vorbereitungen der Legio I und nicht zuletzt Aristides' Aufbruchsstimmung. Kriege waren notwendig wie so vieles andere im Imperium Romanum, solange sie weit von den Mauern der Stadt Rom entfernt geführt wurden, tangierten sie Gracchus ohnehin nur marginal, doch seinen Vetter in den Schlachtreihen zu wissen, zudem noch als Centurio an fürderster Front, dies beunruhigte ihn doch zusehends. In diesem Falle hatte Aristides' Mutter Agrippina sich augenscheinlich verschätzt, denn statt dass sie ihren Sohn in den Cursus Honorum gedrängt hatte, auf dass er hernach in den Legionen eine ihm angemessene Stellung inne haben würde, welche ihn weit hinter die Schlachtreihe auf eine strategische Position hätte gesetzt, hatte sie ihn soweit bedrängt, dass er schließlich Hals über Kopf in die Legio eingetreten war und nun womöglich als Centurio sein unrühmliches Ende würde finden. Es war eine Schande. Mehr jedoch, dass Aristides der Familie so wenig ehrvoll verloren gehen mochte, bedrückte Gracchus der Gedanke daran, dass er überhaupt der Familie verloren gehen mochte, denn obgleich er sich dies nicht zugestehen wollte, so würde er die manches mal so unbeholfene patrizische Art, das ungestüme und unüberlegte, aber gleichsam so voller unbeschwertem und unbekümmertem Leben strotzende Wesen seines Vetters mehr missen, als dies bei seinen Geschwistern der Fall sein könnte. Er würde den Göttern für Marcus' Wohlergehen opfern, ohnehin musste ein Krieg nicht gleich das Ende seines Vetters bedeuten, und womöglich sah er all dies nur viel zu negativ. Gracchus las weiter in den Zeilen und stockte erneut. Verwundert hob er eine Augenbraue und wäre er in einem Gespräch inbegriffen, es hätte ihm tatsächlich die Sprache verschlagen. Zweifelnd, ob jener Brief nicht doch von einem anderen Absender stammte, vergewisserte sich Gracchus, dass dies die Worte des Marcus Flavius Aristides, seines Vetters waren, welche hier von der Verlobung zwischen demselben und Claudia Epicharis kündeten - der Verlobung seines Vetters Marcus, welcher den Mann als nicht geschaffen bezeichnete, ein Weib zu ehelichen, welcher die Ehe gänzlich als gegen das Naturell des Mannes sah, welcher nach der Erfahrung seiner ersten katastrophalen Ehe - tartarusähnlicher Qual im Angesicht einer Harpyie - nie wieder hatte solch ein Bündnis eingehen wollen. Doch da stand es, ein wenig flapsig ausgedrückt, wie für Aristides so typisch, beinahe als Nebensächlichkeit erwähnt, doch unzweifelhaft. Gracchus ließ den Brief sinken, atmete tief ein und ließ sodann die Luft mit aufgeplusterten Backen wieder entweichen. Seine Arbeit als Decemvir litibus iucandis hatte zweifelsohne den Vorteil, dass er bald alle Stammbäume der wichtigsten römischen Familien bis ins Detail in seinem Gedankengebäude aufbewahrte, und eben dort, in einer Kammer voller Stammbaumblätter welche ein wenig dem Archiv des römischen Reiches glich, suchte er nun nach jenem der Gens Claudia, auf welchem er schließlich die Suche nach Claudia Epicharis fortsetzte. Tochter des Claudius Vesuvianus. Das innere Bild des Archives zerbrach ob dieser Erkenntnis und Gracchus starrte perplex auf den Brief seines Vetters, durch jenen hindurch, ohne die Worte zu sehen.
    "Marcus Aristides ... wohl habe ich dir Unrecht getan."
    Schließlich jedoch schüttelte er seinen Kopf, im Bestreben gleichsam das Chaos an Gedanken abzuschütteln, und widmete sich den weiteren Zeilen. Ein Lächeln kräuselte seine Lippen, als sein Vetter von seiner Freude über den Feldzug kündete, verschwand jedoch sogleich, als er die Zeilen bezüglich Marcus' Sohn las. Sein Vetter hatte wahrlich ein Talent einen Schlag nach dem Nächsten zu setzen, doch Gracchus beruhigte sich mit dem Gedanken, dass sich vorerst nichts würde ändern am Leben in der Villa Flavia. Die Zeilen in Hinsicht auf sein eigenes Anliegen überflog er nur, hatte er doch kaum mit einer anderen Antwort gerechnet, sodann folgte doch noch eine Auflösung bezüglich der Verlobung. Agrippina war es also gewesen, was wenig verwunderlich war und Gracchus' Erstaunen gänzlich hinfort wischte, denn gegen sie hatte sich Marcus noch nie entscheiden können, für sie würde er jeden Tartarus durchqueren. Der Brief fand seinen Abschluss mit der Perfektion seines Vetters. Gracchus legte den Kopf ein wenig schief, ein freudiges Lächeln der Erregung stahl sich auf seine Lippen und sein Herz erblühte in Freude über den Anblick jenes wunderbaren M, jenes M welches von kühner Eleganz, von standhaftem Draufgängertum, furchtlosem Tatendrang, unbeirrtem Wagemut, forschem Vordringen in die Welt und unbeschwerter Leichtigkeit zeugte, von einem Krieger, der die Feder gleichsam eines Gladius schwang. Es gab wenig, was Gracchus seinem Vetter neidete, doch jenes grazile, anmutige und elegante M, gleichsam so filigran und doch unzerbrechlich, jenes M gehörte fraglos zu diesen Dingen, und er war überzeugt, würde er dieses M in Perfektion seinem eigenen Namen einverleiben können, so könnte er gleichsam ein wenig der unbeschwerten Ader seines Vetters in sich aufnehmen.

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  • Nachdem Gracchus den Brief seines Vetters schließlich zur Seite gelegt hatte und sich dem weiteren Schreiben widmete, wurde er dessen gewahr, dass dies von seiner Schwester Minervina stammte. Ohne sein Zutun begannen seine Finger sich durch ein nervös Zittern beirren zu lassen, dessen Gracchus auch in dem Gedanken nicht Einhalt bieten konnte, dass solange der Brief von Minervina selbst stammte, die Situation nicht schlimmer geworden war, da andernfalls die Nachricht von einer anderen Person, Caecilius beispielsweise, würde verfasst sein. Die Anschrift überflog er, ohne bereits zu Anfang darauf Aufmerksam zu werden, dass Minervina bereits in Tarraco weilte.


    Manius Flavius Gracchus
    Villa Flavia Felix
    Italia/ Roma



    Flavia Minervina
    Villa Flavia
    Hispania / Tarraco



    Liebster Bruder!


    Wie du vielleicht unschwer erkennen kannst, verweile ich zur Zeit in der Villa Flavia in Tarraco. Vielleicht fragst du dich wieso ich nicht mehr im Lager der Prätorianer bin, das hat leider so einige Gründe. Zu allererst war es nicht mehr zu ertragen in einem Lager voller Prätorianer zu "wohnen", die Vergnügen, die man als Patrizierin nun mal so genießt, gingen mir ab. Zweitens gab es leider Streit mit dem Caecilier Crassus. Es war wieder einmal die alte Leier über den Unterschied zwischen Plebejern und uns Patriziern. Nur war seine Argumentation meines Erachtens sehr fragwürdig. Die Details dieses Streits zu erläutern wäre wohl nicht sinnvoll, denn es wäre wohl nicht genug Papier hier um alles aufzuschreiben.


    Sonst kann ich nur sagen, dass er mir gut geht. Ich bin wohlbehalten in Tarrco angekommen, auch wenn die Reise schrecklich unbequem war. Nun werde ich einen Sklaven schicken mir all das aus der Stadt zu bringen, was ich so lange nicht genießen konnte. Der Sklave gehört ausserdem Crassus. Mein Leibsklave wurde bei der Entführung getötet, was sehr ärgerlich ist, aber solche Dinge geschehen nun mal.


    Bis zu deiner Ankunft wird es sicherlich nicht mehr lange dauern und so werde ich auf dich warten und dann mit dir nach Rom kommen. Ich freue mich schon dich und Antonia wiederzusehen, es wäre doch eine wunderbare Idee, wenn sie auch gleich mitkommen würde. Vielleicht hätte ich dann auf der Reise zurück ins schöne Italia Zeit, sie ein wenig besser kennenzulernen. Sonst hoffe ich, dass alles gut läuft in deiner Arbeit. Grüße mir alle in der Villa Flavia Felix.


    Vale, deine Schwester Flavia Minervina


    Dass Minervina nicht mehr im Lager der Praetorianer weilte, daran konnte Gracchus beim besten Willen nichts Bedauerliches finden, die Aussicht, sie in der Sicherheit der patrizischen Villa zu wissen - mochte diese noch so leer an Menschen und nur noch von Sklaven und Verwaltern bevölkert sein - nahmen gegenteilig einige Befürchtungen von seiner Seele, insbesondere, da in der letzten Ausgabe der imperialen Zeitung bereits von einem Angriff der kaiserlichen Garde die Rede gewesen war. Der Idee seiner Schwester, Antonia mit nach Hispania zu nehmen, konnte Gracchus doch gleichsam viel weniger abgewinnen, um nicht zu sagen, überhaupt nichts. Natürlich wäre auch dies, eine Weiterreise von Mantua aus mit Antonia an seiner Seite, eine Option, doch tage-, vielleicht wochenlang, keinen anderen Menschen auf Dauer um sich zu wissen, als seine Gattin - allein diese Aussicht war furchterregend und führte dazu, dass ein Schaudern seinen Körper durchzog. Eine Reise nach Hispania wäre bereits mehr als unangenehm, doch eine Reise mit Antonia gereichte ihm auch bis ins in diesem Vergleich nicht allzu fernen Mantua schon nicht zur Freude, weshalb ihm die bereits getroffene Entscheidung nun mehr noch als optimale Lösung erschien. Er legte auch diesen Brief bei Seite und schickte schließlich nach einer Weile des stillen Sinnierens nach seinem Leibsklaven Sciurus und nach Hannibal, dem Leibsklaven seines Vetters Aristides.

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  • Weder in der Sklavenunterkunft, noch in sonstigen Sklavenräumen hatte der Sklave, der Hannibal zu holen gedachte, gefunden, sondern in dem lichten und sonnigen Garten. Hier hatte sich Hannibal schon vor Wochen eine kleine Ecke gesucht, abseits von den Wegen und Statuen, fern der Sicht eines Patriziers, der im Garten flanieren wollte. Und erst hier fand der Sklave Hannibal über eine Papyrusrolle gebeugt, mit zusammen gekniffenen Augen die griechischen Buchstaben studierend. In letzter Zeit flackerte es immer wieder und die Zeichen verschwammen vor Hannibals Augen, das Lesen wurde etwas anstrengend und nach einigen Stunden hatte Hannibal mittlerweile sogar danach Kopfschmerzen. Früher konnte er die Nächte lang beim schwachen Schein von Öllampen lesen und alte Schriften studieren, doch inzwischen tat er das lieber am hellen Tag und in der Sonne.


    Hannibal erhob sich auf dem grünen Gras und nickte dem Sklaven zu, ging dann alleine durch den Garten in den Säulengang, kühl umfingen ihn die inneren Räumlichkeiten der Villa und seine Schritte gingen leichtfüßig, doch gut gelaunt, immerhin war er immer noch vom Glück seiner Liebe erfüllt, auf das Cubiculum zu. Davor angekommen rollte er die Schrift zusammen und steckte sie in den Beutel, den er stets bei sich trug, strich sich durch die dunklen Haare und besah, ob er Grasflecken an seiner dunkelroten Tunika trug. Doch dem war nicht so, also klopfte Hannibal, wartete auf das Herein und ging dann erst in den Raum. Mit geflissentlicher Haltung, gesenkten Augen und demütiger, scheinbar, Miene verbeugte sich Hannibal. „Dominus, Du hast nach mir rufen lassen?“ Von den wirren Anordnungen, die Hannibal von seinem Herren erhalten hatte, ahnte er, dass Gracchus ihn für etwas Wichtiges einspannen wollte. Sein Herr hatte ihm explizite Anweisung gegeben, Gracchus Befehlen zu folgen.

  • Obgleich sein Herr dem Ende der Amtszeit bereits mit Freude entgegen sah, konnte sich dem Sciurus nicht anschließen. Nie zuvor, nicht einmal während Gracchus' Amtszeit als Quaestor Principis, war der Sklave so einfach in die Archive des Reiches eingelassen worden und nie zuvor hatte er so ungestört darin wildern können. Nicht nur, dass man ihn in den Archiven mit den Listen der Verstorbenen, den Stammbäumen und Bürgerlisten hatte unbeaufsichtigt gewähren lassen, er hatte von dort aus auch in durchaus interessantere Bereiche vordringen und dort gar unbehelligt Informationen kopieren und mit hinaus nehmen können, welche sich in den Reichen unter der Stadt Rom mehr als bezahlt gemacht hatten. Zwar fand er neben seinen Aufgaben nicht allzu viel Zeit, im dunklen Reich ein und aus zu gehen, doch dafür konnte er bei seinen wenigen Besuchen dort um so bessere Geschäfte tätigen. Einzig, dass ihm ob dieser Tatsache die Informationen der Villa Flavia nicht mehr ganz so geläufig waren, störte ihn an all dem. Gerade erst hatte er nicht nur die Ankunft seines Herrn, sondern augenscheinlich auch noch dessen Korrespondenz verpasst, wie von dem Sklaven zu erfahren war, der Sciurus aus Gracchus' Arbeitszimmer holte, wo er eben die Tabulae mit den neuesten Sterbefällen abgeladen und mit deren Sortierung begonnen hatte.


    Als er das Cubiculum seines Herrn betrat, rümpfte Sciurus leicht die Nase, denn im Raum stand Hannibal, der listige Sklave des Aristides, der sich wie ein Lurch durch die Cloaca Maxima gewunden hatte, wie ein listiger Lurch sozusagen. Dass Hannibal nicht auf dem Bett seines Herrn saß - oder auf seiner eigenen Liege - dies zeigte Sciurus, dass er sich trotz dessen Anwesenheit noch keinerlei Sorge zu machen brauchte, obgleich er gegenüber Hannibal immer Vorsicht walten lassen würde. Sciurus trat an dem Sklaven vorbei und stellte sich neben seinen Herrn, den Körper angespannt, wie ein Eichhörnchen bereit zum Sprung von einem Baum auf den nächsten. Vermutlich hatte der Sklave sich etwas zu Schulden kommen lassen und nun war es an seinem Herrn, die Bestrafung dessen zu übernehmen, da Aristides im fernen Mantua weilte, und Sciurus wäre es eine ausgesprochene Freude, diese Bestrafung durchzuführen.

  • Es dauerte nicht lange, bis die beiden Sklaven erschienen waren, Hannibal ein wenig eher als sein Leibsklave. Gracchus bemerkte nicht die Spannung zwischen den beiden, selbst wenn, so hätte sie ihn vermutlich kaum tangiert. Denn obgleich er durchaus ansonsten gewillt war auf das Wort und den Rat seines Sklaven zu hören, so war dieser Auftrag zu wichtig, als dass er durch persönliche Neigungen sollte bestimmt werden. Viel eher als die etwaigen Differenzen zwischen den beiden Sklaven hätte in ihm wahrscheinlich ohnehin das Wissen um deren Aktivitäten außerhalb der Villa Zweifel aufkommen lassen, ob er das Wohl sein Schwester tatsächlich in die Hände dieser beiden Männer geben und sie ihrer Obhut anvertrauen wollte, doch Gracchus wusste darum nicht, was ohnehin auch in anderer Hinsicht besser war, und so glaubte er mit jenen beiden vertrauenswürdigen Sklaven die beste der zur Auswahl möglichen Alternativen gewählt zu haben - davon ganz abgesehen, welche Wahl blieb ihm überhaupt? Er taxierte die beiden Sklaven nacheinander bevor er zum Sprechen anhob.
    "Sciurus, Hannibal, wie ihr wisst, befindet sich meine Schwester Minervina in Hispania. Nach einer Entführung durch eine sich selbst als 'die Elefanten' signifizierende Horde weilt sie nun im Anschluss an einen Aufenthalt im Lager der praetorianischen Garde vor Corduba in der Villa Flavia zu Tarraco. Da es mir ob meiner Pflichten in Italia deplorablerweise nicht möglich ist, sie selbst nach Hause zu geleiten, werdet ihr beide nach Hispania reisen und sie zurück nach Rom begleiten. Ihr werdet ein Schreiben von mir und das Siegel der Flavia mit euch führen, und alles im Sinne der Familie tun, was sich als notwendig erweisen wird. Ich denke, ich brauche nicht gesondert zu erwähnen, welch große Verantwortung damit auf euch liegt, doch gleichsam bin ich mir dessen sicher, dass ihr dieser Verantwortung gewachsen sein werdet. Ihr werdet für alle Männer, welche euch auf die Reise begleiten, Pferde bis nach Ostia mitnehmen, denn ich möchte, dass ihr so schnell wie möglich in Tarraco ankommt. In Ostia werdet ihr auf ein Schiff wechseln, über die Kosten braucht ihr nicht verhandeln. Das gilt ebenso für in Hispania entstehende Kosten. Wie sich die Rückreise gestaltet, dies wird ganz dem Sinn meiner Schwester obliegen, sie hat auf ihrer Reise bereits genug an Entbehrung über sich ergehen lassen müssen, so dass ihre Rückreise so kommod wie möglich zu gestalten ist. Ihr werdet so bald wie möglich aufbrechen."

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  • Die kleine Kröte! Schon der Anblick von Sciurus widerte Hannibal zutiefst an, verstand Hannibal sich doch in den letzten Wochen und Monaten gut darauf seine ganze Abscheu auf Sciurus zu lenken. Besonders seitdem er sich nicht mehr so viel in der Subura betätigte, schon seit einiger Zeit nicht mehr in dem kleinen Lupanar in der Nähe des Venustempels war und somit weniger, noch verachtenswertere, Subjekte stets vor Augen hatte. Völlig ausdruckslos blieb Hannibals Miene, einer griechischen Statue gleichend, der ein Bildhauer einen leicht entrückten, Dienst ergebenen Ausdruck verliehen hätte. Noch nicht mal einen Blick würdigte Hannibal seinen „Mitsklaven“, ließ seine Augen weiterhin auf den Boden gerichtet und wartete bis der Flavier, Vetter seines Herren, zu dem Anliegen kam, derer er ihn hier her beordert hatte.


    Hispania! Hannibal war noch nie dort gewesen, wäre nur beinahe dort hingereist, um einen gewissen Ex-Ex-etc. Aedil zur Strecke zu bringen, der jedoch glücklicherweise selber kurz danach sang und klanglos in den spanischen Landen verstorben war. Natürlich hatte Hannibal genug von den Vorurteilen, ob berechtigt oder nicht, gegenüber der hispanischen Linie vernommen, um einen Haufen von Plebejer liebenden, intriganten und dabei doch etwas tumben Mitgliedern der Familie handelte es sich angeblich. Doch Hannibal neigte nur den Kopf, ließ weiterhin keine Regung bis zu seinem Gesicht empordringen und erwiderte mit ruhiger Stimme. „Sehr wohl, Dominus, es wird alles so geschehen wie Du wünschst.“ Ein Gedanke kam Hannibal dann doch sehr wohl, den er lieber hier geklärt wissen wollte. „Dominus, wünschst Du, dass wir uns um die Bestrafung oder die gesetzliche Verfolgung jener Verbrecher kümmern?“

  • Nachdenklich hob Gracchus seine Hand, begann an seiner Unterlippe zu kneten und blickte sinnierend hinauf zur Zimmerdecke, genauer gesagt dorthin, wo Wand in Decke über ging, so als würde dort die Antwort auf Hannibals Frage geschrieben stehen. Natürlich tat sie dies nicht, Gracchus hätte sie längstens von dort entfernen lassen, legte er doch Wert auf ein einwandfrei sauberes Cubiculum, zudem war dies jener Bereich über seinem Bett und obgleich selten eine Öllampe die gesamte Nacht hindurch brannte, so konnte er die Decke bei ausreichend Mondesschein dennoch sehen und er sah sie oft, starrte er doch des Abends meist noch lange Löcher in die Decke bevor er die Augen schloss, und bei solcherlei Betrachtung wären die Worte nur irritierend, da sie seine Gedanken immer wieder in sie hinein würden pressen. Eine ganze Weile tat sich nichts als das Starren mit leerem Blick und das unermüdliche Kneten, Ausdruck einer inneren Wanderung durch die Gefilde seines Gedankengebäudes, auf der Suche nach Für und Wider. Schließlich kehrte Gracchus' Aufmerksamkeit zurück in das Cubiculum und seine Hand sank auf den Tisch zurück.
    "Tragt dafür Sorge, dass Minervina nichts damit zu tun hat. Ihre Sicherheit muss bei all eurem Tun oberstes Gebot bleiben."
    Einen Moment schwankte er in der Entscheidung, ob die kleine flavische Delegation sich zwecks dessen mit den örtlichen Behörden in Verbindung sollte setzen. Doch Gracchus hielt weder viel von Hispania, noch von den dortigen Behörden, von welchen sich möglicherweise irgendwann zu Unrecht aufgestellte Vorurteile nur immer wieder bestätigt sahen, weshalb eine Zusammenarbeit in seinen Augen nur verschwendeter Zeit gleich kommen würde. Insgesamt gefiel ihm die gesamte Aussicht der Selbstjustiz nicht, doch ein Mitglied der flavischen Familie, ein Mitglied seiner Familie, war aufs ärgste diffamiert und erniedrigt worden, und würden die Täter dafür im Tartarus schmoren, so würde dies noch ein zu mildes Urteil für sie sein. Auf die staatlichen Organe in Hispania war kein Verlass - denn hatte nicht erst die praetorianische Garde in die Provinz einziehen müssen, um seine Schwester zu befreien? - so dass Genugtuung mit anderen Mitteln gesucht werden musste. Dass dabei diskret vorzugehen war, dies brauchte Gracchus nicht weiter zu erwähnen, wusste er doch darum, dass Sciurus darum wissen würde.

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  • Von einem Gelehrten konnte man wohl kaum ein klares 'Ja oder Nein' erwarten. Hatte es Hannibal womöglich erwartet, so wurde er diesbezüglich nicht belohnt. Dennoch boten die Worte von Gracchus genug Raum für Interpretation, die eine positive Bestätigung seiner Frage implizierte. So neigte Hannibal in einer ’ergebenen’ Geste den Kopf. „Sehr wohl, Dominus, ganz wie Du wünschst.“ Mehr war dazu nicht zu sagen, schließlich hatte Hannibal auch keine Ahnung, um wen es sich bei den Elephanten im Grunde handelte. Natürlich hatte er alle Artikel der Acta diesbezüglich gelesen, es waren nicht sonderlich viele und einer hatte wohl bei manchen für ziemlich Aufruhr gesorgt, aber viele Informationen hatte er nicht daraus ziehen können, die ihm im Augenblick viel gebracht hätten. Aus den Augenwinkeln betrachtete Hannibal Sciurus und dessen Haltung. Gehässig wie Hannibal nun mal gegenüber Sciurus war, befand er, dass dieser eine kriecherische Haltung hatte. Da merkte man nun mal den Unterschied, ob ein Sklave sein ganzes Leben lang bei den Flaviern war oder nur hinzu gekauft, sie beherrschten nicht die perfekte Haltung eines flavischen Sklaven, die völlige im 'Dienst ergeben sein’ ausdrücken konnte, eine demütige und respektvolle Haltung besaß ohne wie ein schleimiger Molch zu wirken. Hannibal hatte diesbezüglich die harte Schule von Flavia Agrippa in Baiae erfahren, die nicht sehr gnädig bei Fehlern war.

  • Die Angelegenheit war damit für Gracchus erledigt, alles weitere würde in der Verantwortung der Sklaven liegen, so, wie es dies bei solcherlei Dingen immer tat. Wieviele Männer sie würden mit sich nehmen, wann sie gedachten abzureisen, wieviel Proviant und Gepäck sie mit sich führen mussten, was sie gedachten zu tun - Gracchus hatte sich noch nie mit solcherlei Nebensächlichkeiten des Lebens abgegeben, nie mit solcherlei abgeben müssen, und dies würde sich auch nicht ändern. Er würde sich um seine Schwester sorgen, darauf warten, dass sie in die Sicherheit der flavischen Villa zurückkehrte, doch ob der Sklaven würde er keinen Gedanken verschwenden. Nun womöglich doch, des Abends oder Nachts, wenn sein Bett leer war, und er bedauerte nun um so mehr, dass der verlockende, gefällige Rutger noch immer im Carcer schlummerte. Andererseits würde ihm die Ferne seines Leibsklaven womöglich die notwendige Überwindung bieten, in absehbarer Zeit wieder einmal seine Gattin mit seiner Anwesenheit zu beehren. Doch noch war es zu früh für solcherlei Gedanken, Sciurus war noch nicht einmal hinfort und Gracchus gedachte die kommende Nacht noch einmal zu genießen, womöglich würde dies bis zu seiner Rückkehr reichen, andernfalls fand sich sicherlich auch im Haushalt noch ein anderer Ersatz denn seine Gattin.
    "Das war alles."
    Die Sklaven verließen das Cubiculum, um sich ihrer Aufgabe zu widmen und Gracchus wandte sich den noch zu schreibenden Schriftstücken zu. Eine Nachricht an seine Schwester war zu verfassen, eine Befugnis für Hannibal und Sciurus und eine Botschaft für den Vilicus der flavischen Villa in Hispania.

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  • "Uaaahhaaaahaaahaa[size=7]aaa..."[/size]Ein unmenschlicher Laut durchdrang für wenige Augenblicke die Villa Flavia, schließlich kehrte wieder Ruhe ein, denn der Unmutsschrei war zu einem leisen Wimmern verkommen. Zusammengekauert lag Gracchus auf seinem Bett, presste seine Hände auf die Wange und winselte wie ein geschlagener Hund. Sein Leibsklave Sciurus hatte ihn an den Schultern gepackt und hielt ihn fest. "Du musst einen Medicus in deinen Mund schauen und diesen Zahn ziehen lassen, Herr."
    "Nein ... nein ... nicht ziehen ..."
    Gracchus presste seine Stirn fest auf die Matratze, doch es half nichts, der Schmerz in seinem Kiefer überflutete jegliche Sinne, explodierte in kurzen Abständen und brachte Gracchus' Welt völlig zum zerbersten.
    "Nicht ... ziehen ..."
    Vor Tagen schon hatte Sciurus ein Kraut von einer der Frauen am Forum gebracht, welche alle paar Wochen ob ihrer obskuren Geschäfte von den Aedilien aus der Stadt verwiesen wurden. Gracchus hoffte, dass diese Frau mehr denn nur der Stadt verwiesen wurde, mochte sie an ihrem eigenen Gifte ersticken, denn nicht nur dass ihr Mittelchen völlig wirkungslos war, gegenteilig, seit er die Blätter zerkaute und zwischen Kiefer und Wange schob war der Schmerz nur angewachsen. Mühsam stemmte er sich auf und setzte sich gegen die Wand. Den gesamten Tag hindurch schon hatte er es vermieden irgend etwas zu essen, hatte nur Milch und verdünnten Wein getrunken, und obgleich sich der Schmerz des Tages in aufrechter Position in Grenzen hielt, so kam er nur um so heftiger, sobald er sich zu Bett legte, vor allem dann, wenn er sich versuchte mit seinem Sklaven zu entspannen.
    "Hast du ... nach einer Defixio gesucht?"
    presste er mühsam zwischen den Kiefern hervor.
    Der Sklave nickte und stand auf, um einen kalten Lappen zu bereiten. "Vor Tagen schon, in deinen Räumen, im Haus, und um das Haus herum. Keine Fluchtafel." Manches mal fragte sich Sciurus, wie ein intelligenter Mensch so abergläubisch sein konnte, gerade einer, welcher die Zusammenhänge des Cultus Deorum kannte und wusste, nach welchen Gesichtspunkten der Wille der Götter gelesen wurde. Doch sobald es um Flüche ging, schien sein Herr jeglichen gesunden Menschenverstand zu verlieren und alles zu vergessen, was er über die Zusammenhänge der Welt wusste. Würde irgendwer ihm gegenüber einen Fluch aussprechen, Gracchus würde mit seinen eigenen Ängsten selbst dafür Sorge tragen, dass er an jenem Fluch zugrunde ging. Doch vermutlich war dies genau der Sinn eines Fluches. Sciurus trat mit dem kühlen Tuch zurück zum Bett und nahm Gracchus' Hände, die jener noch immer fest auf seine Backe presste, von dessen Wange. Stattdessen drückte er das Tuch darauf. Unmerklich bebten die Nasenflügel seines Herrn, jener kräuselte die Nase und ein durchringender Blick traf den Sklaven, zumindest so durchdringend ein Blick bei all dem Leid noch sein konnte.
    "Was hast du in das Wasser hinein?"
    "Nur ein wenig Minze, Herr. Das beruhigt."
    In einem unbewussten Versuch hob Gracchus eine Augenbraue an, doch sogleich brach der Schmerz wieder aus seinem Zahn hinaus. Er hob seine Hand und presste das Tuch, samt Sciurus' Hand fest auf seine Wange.
    "Dieser Zahn ... wird mich ... umbringen,"
    nuschelte er halb hinter der Hand hervor. Der Sklave legte seine Hand auf Gracchus' Nacken und massierte diesen leicht, doch sein Herr wollte keine Entspannung finden. Er schloss die Augen und lehnte den Kopf an die Wand hinter ihm.
    "Ich will keinen Zahn verlieren, Sciurus. Ich habe noch nicht einmal dreißig Jahre verlebt."
    "Viele Menschen auf den Straßen Roms oder auf dem Land darum herum haben in deinem Alter nichteinmal mehr einen einzigen Zahn."
    "Ich bin aber nicht irgendwer! Ich bin ein Flavius! Wollt ihr das nicht verstehen?!"
    Er stöhnte auf.
    "Patrizier haben ein Anrecht auf ihre Zähne ... und zwar auf alle ... mindestens bis sie fünfzig Jahre zählen ... mindestens ..."
    "Du willst also noch über zwanzig Jahre mit diesem Schmerz herumlaufen nur um den Zahn zu behalten?"
    Gracchus heulte leicht auf und gab dem Sklaven einen Stoß.
    "Verschwinde! Schere dich fort und bereite die Reise nach Hispania vor. Wenn du zurück kehrst werden die Schmerzen vorbei und ich noch immer Besitzer all meiner Zähne sein ... und dann werde ich mir überlegen, was ich mit einem Sklaven tue, der mir solch törichte Ratschläge aufschwatzen will! Nun gehe mir aus den Augen und lasse mir meinen Zahn ..."
    Der Sklave erhob sich und verließ wie geheißen das Zimmer. Gracchus ließ seinen Oberkörper zur Seite kippen, gab sogleich wieder einen leisen, heulenden Laut von sich, als der Schmerz erneut durch seine Wange fuhr und setzte sich wieder hin.
    "Oh ihr Götter, was wollt ihr noch von mir? Ist nicht dieser Haushalt schon Strafe genug für all meine Vergehen? Was wollt ihr überhaupt mit meinem Zahn anfangen, ihr, die ihr sowieso euren Nektar und Ambrosia nicht beißen müsst!?"

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