Cubiculum | Manius Flavius Gracchus

  • Ein tiefes Seufzen entkam Gracchus' Kehle. Hispania brachte dieser Gens kein Glück, weder in Form der von dort stammenden Mitglieder, Aquilius einmal ausgenommen, noch anscheinend als Schaffensort.
    "Setz dich dennoch, Aquilius. Es macht mich nervös, wenn du in der Mitte des Raumes stehst, denn ich weiß nie, wohin du dich als nächstes wenden wirst."
    Oder möglicherweise wogegen. Alle Dinge ließen sich bereden, so glaubte Gracchus, doch ruhig reden ließ es sich besser im Sitzen, alles andere verleitete zu schnell zu rhetorischen Auswüchsen und ausschweifenden Bewegungen, die nur vom Kern des Gesagten abzulenken versuchten. Er wartete, bis Sciurus mit dem Wein zurück gekommen war und ihnen eingeschenkt hatte. Der Sklave nahm daraufhin auf einem kleinen Schemel im Hintergrund Platz und verschmolz geradezu mit der Umgebung, unsichtbar und doch immer da, wenn man ihn brauchte.
    "Hispania war noch nie so fern, wie wir es uns manches mal wünschten, nicht wahr? Wer wüsste das besser als wir beide? Doch sprich, was hat er nun getan? Steht es bereits in der Acta Diurna?"
    Aufgrund seiner Arbeiten war Gracchus noch nicht dazu gekommen, die neueste Ausgabe der imperialen Berichterstattung zu lesen, doch er war sich sicher, dass Sciurus es ihm mitteilen würde, wenn darin etwas über die Flavier gemeldet wurde.

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  • Ich griff mir kurzerhand einen der Stühle und ließ mich darauf nieder, mich gerade noch gut genug beherrschend, mich nicht wie einen nassen Sack darauf plumpsen zu lassen - wobei es weit mehr meiner Stimmung entsprochen hätte als ein elegantes Platznehmen. Ich streckte die Beine aus und versuchte, nicht allzu missmutig zu wirken, auch dass Sciurus anwesend war, schmeckte mir nicht unbedingt, man musste schließlich nicht ständig und dauernd Sklaven um sich haben wie ein Haustier oder irgendein Spielzeug. Nefertiri war ein süßes Ding, aber ich hätte sie nicht dauernd um mich haben wollen, auch nicht, wenn sie bei mir jede Nacht schlief.


    "Es steht nicht in der Acta, und wahrscheinlich wird es nie dort landen, wenn Furianus es nicht an irgendeine Hauswand schmiert," gab ich zurück, ärgerlicher klingend, als ich es gewollt hatte. "Erinnerst Du Dich an diese blonde Sklavin, die er einmal hatte, Nadia? Sie ist wohl mit dem Praefectus Praetorio aneinander geraten, und er hat sie ihm kurz vor seiner Abreise nach Hispania überlassen, damit dieser auf sie aufpasst. Der amüsante Punkt ist jedoch, dass mir der Praefectus sagte, Furianus habe sie ihm überlassen, weil sie in der Villa nicht angemessen bestraft werden könne - ja bitte, wie stellt dieser bucco uns denn dar? Und das vor diesem Karrierecaecilier!" Meine Rechte hatte sich zur Faust geballt und viel fehlte nicht, dass ich sie auf meinen Schenkel hätte knallen lassen.

  • Gracchus' Miene verhärtete sich.
    "Eine äußerst präkere Lage und eine diffizile Angelegenheit obendrein. Furianus scheint des öfteren Probleme damit zu haben, mit seinen Worten auszudürcken, was er meint und nicht das Gegenteilige von jenem."
    Sein Blick glitt von Aquilius ab zu dem Sklaven hin.
    "Lass uns allein, Sciurus."
    Es gab Dinge - wenige, doch es gab sie - welche für die Ohren eines Sklaven nicht geignet waren, auch wenn jener seine Ohren verschlossen hielt. Daher wartete Gracchus bis Sciurus den Raum verlassen hatte und sortierte derweil seine Gedanken.
    "Ich fürchte, das Problem ist tiefergehender Natur. Diese Sklavin war Furianus' Bettgefährtin. Sie sei ihm gegönnt, wer sehnt sich nicht nach einem warmen Körper in der Nacht, doch es dünkt mir, dass er bisweilen die Kontrolle über sie verlor. Sklaven sind wie Kinder, wir müssen ihnen strenge Regeln geben und ihnen klare Grenzen setzen, auf dass sie nicht vom Weg abkommen. Furianus jedoch schien mehr in ihr zu sehen, als eine Sklavin, anscheinend war sie seine Geliebte. Wusstest du, dass er sie freilassen wollte?"
    Ein humorloses Lachen entkam Gracchus' Kehle.
    "Welch eine Verschwendung und welch törichtes Vorhaben! Wahrlich, es scheint mir, dass er mit Werten noch weniger umgehen kann, als mit seinen Gefühlen. Disziplinlosigkeit wurde im Hause Flavia noch nie geduldet, dessen ist sich sicherlich auch Furianus bewusst. Sein Herz hängt an dem Mädchen, wahrscheinlich war es weniger die Furcht darum, dass sie nicht bestraft werden würde, als jene, dass er sie ansehen müsste, nachdem sie bestraft wurde, welche ihn zu diesem Vorgehen bewog. Wie könnten wir zusehen, wie jene, die wir lieben, leiden, Aquilius? Du sagst, sie ist mit dem Praefectus Praetorio aneinander geraten? Furianus kann froh sein, wenn dieser keine Anklage gegen ihn erhebt. Womöglich hat sie deswegen den Besitzer gewechselt und wahrlich, dies wäre wohl für alle Beteiligten das beste."
    Mit einem Ausdruck des Unverständnisses schüttelte Gracchus den Kopf.
    "Manches mal benimmt er sich wie ein Dummkopf. Man sollte wahrlich annehmen, dass er aus diesem Alter der Unbeherrschtheit langsam herausgewachsen ist und wenn nicht, dass er sie zumindest nicht in die Öffentlichkeit trägt. Es wird Zeit, dass er heiratet und ihm Tiberia das Rückgrad aufrichtet. Doch sorge dich nicht zu sehr wegen dieser Dinge, Aquilius, dies ist nicht deine Familie, derer du dich schämen musst. Ausnahmsweise einmal nicht."

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  • Wenigstens stieß ich bei meinem Vetter auf ein gewisses Verständnis, aber wahrscheinlich wäre auch meine Welt zusammengebrochen, hätte er mich nicht verstanden, er, dem ich mich in diesem ganzen Haus neben Aristides noch am nähesten fühlen konnte. Mit einer gewissen Erleichterung registrierte ich, dass Sciurus den Raum verließ, die Schande unseres Vetters musste nicht vor jedem ausgebreitet werden, ich hätte sie auch vor Nefertiri nicht ausgesprochen.
    "Ihr Götter, nur weil er mit diesem Mädchen geschlafen hat oder was auch immer, ist das doch noch lange kein Grund, ihr alles durchgehen zu lassen, was sie anstellt. Gerade Sklaven muss man sinnvolle Grenzen stecken, oder man hat nie seine Ruhe, weil sie immer wieder irgendeinen Schwachsinn veranstalten!" Grimmig schnaufte ich den Atem aus, mein kleines Sorgenkind Rutger für den Moment so gut beiseite drängend wie nur möglich.


    "Ach, Gracchus, sage das nicht. Mein Familienzweig lud seine Schande auch kollektiv auf dem Rest der Flavier ab, also geht mich Furianus' Verhalten ebenso etwas an wie Dich. In sofern ist es eine Sache, mit der wir uns beide wohl oder übel auseinandersetzen müssen. Der Praefectus scheint zumindest nicht wütend über die Umstände, dass er nun eine weitere Sklavin in seinem Haushalt beherbergt, aber wenn diese Sache an die Öffentlichkeit kommt und irgendwer erfahren sollte, dass Furianus diesem Mann mehr zu trauen scheint als seiner eigenen gens, dann stehen wir wieder einmal da wie die hinterletzten Idioten," kopfschüttelnd lehnte ich mich zurück und blickte starr geradeaus. Dass Felix zumindest diesem Sohn keinerlei Vorsicht beigebracht zu haben schien, dauerte mich doch nicht gerade wenig. Nur wie brachte ich ihm jetzt bei, dass diese kleine Sklavin höchstwahrscheinlich dabei war, irgendeine Dummheit zu begehen. "Ich fürchte, es könnte nicht bei diesem einfachen Ärger bleiben."

  • "Ich verstehe nicht, wie er zulassen konnte, dass es überhaupt soweit kam. Dazu gehört immerhin nicht nur, die Kontrolle über den Sklaven zu verlieren, sondern auch über sich selbst."
    Wieder seufzte Gracchus tief. Er sehnte sich nach Harmonie und Einklang, nach einer untadeligen Familie und einem beschaulichen Zusammenleben in Einigkeit. Das Leben war nicht perfekt, würde es vermutlich nie werden, doch er hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, würde es nie tun.
    "Der Makel deiner Familie besteht nur darin, dass er in näherer Vergangenheit liegt, als jener der übrigen Zweige. Im übrigen muss ich dir widersprechen, Aquilius, nicht wir werden wie die hinterletzten Idioten dastehen, sondern er allein. Sein Schatten mag auf die gesamte Familie fallen, doch bedenke, dass das Schicksal eines einzelnen zumeist das des einzelnen bleibt."
    Andernfalls würden sie beide wohl nicht in diesem Augenblick in diesem ihrem Heim sitzen.
    "Doch vermutlich hast du Recht, wir sollten nicht zulassen, dass ein Makel vom nächsten abgelöst wird."
    Er hob eine Hand zum Mund und begann seine Unterlippe zu kneten, während er über die Möglichkeiten nachsann, welche sich darboten.
    "Welchen Eindruck hattest du von dem Praefecten? Welches ist seine Sichtweise der Dinge? Am geschicktesten wäre vermutlich der Anschein eines Arrangements, einer Ausgleichszeit der Sklavin in den Händen des Praefectus um die Schuld abzuarbeiten. Wer weiß überhaupt davon?"
    Das alles würde teuer werden. Furianus war ein Verschwender, bewusst oder unbewusst, dies war Gracchus' Überzeugung. Er legte den Kopf leicht schief und sah seinen Vetter ernst an.
    "Und was willst du damit sagen, dass es dabei nicht bleiben könnte?"

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  • "Du fragst Dich, wie es so weit kommen konnte? Diese Erklärung spricht doch für sich selbst, werter Vetter: Er hat nicht die vollständige Erziehung eines Patriziers erhalten, und wie sollte er da auch all jene Dinge leisten, die man von einem solchen erwartet? Es ist kein Wunder, dass sich sein Geschmack und sein Herz auf eine Sklavin richteten, und er ihr gegenüber viel zu weich agiert," sagte ich mit einem nicht zu überhörenden, verärgerten Unterton im Klang der Stimme, während ich den Kopf schüttelte. Es war edelmütig von ihm, dass er die Verantwortung der Familie von mir nahm, aber ich kannte uns beide zu gut, dass es mit Worten niemals getan sein würde. "Der Besuch der Prätorianer vor einigen Wochen war enervierend genug, und ich hoffe, sie bleiben unserem Haus noch lange genug fern, um sich hier nicht dauernd einzunisten. Sie mögen den Kaiser beschützen, aber ich empfinde ihre Gegenwart dann doch als etwas unangenehm." Wie dieser Offizier sich hier aufgeführt hatte, das war schon nahe an der Grenze zur Unverschämtheit gewesen, und solche Dinge vergaß ich nicht, auch nicht von einem Prätorianer.


    "Nun, er schien mir sehr beherrscht. Sein Haus zeugt von seinem schnellen Aufstieg, überall nur das Beste - aber dennoch mit einem gewissen Geschmack. Dumm ist er nicht, der Praefectus, und er war ungefähr so verschlossen wie eine Auster, ließ sich kaum mehr als das nötigste an Information entlocken. Er scheint zumindest nicht wegen der Sache zu zürnen, und da er sich an der Sklavin schadlos halten kann, dürfte er sein Recht - oder sein Vergnügen - schon noch bekommen, wenn er es will." Als mich sein Blick traf, atmete ich leise ein und räusperte mich etwas. "Nun ... wie beschreibe ich es am Besten? Diese Sklavin ist recht widerspenstig und eigenwillig bisweilen. Sie schrieb mir von ihrem neuen Unterbringungsort aus, so habe ich die Sache erst erfahren - und so wie sich ihre Zeilen lesen, war sie verzweifelt. Verzweifelte Menschen haben des öfteren die Angewohnheit, Dummheiten zu begehen."

  • Erneut entkommt Gracchus ein tiefes Seufzen, auch wenn er bemüht ist, es versteckt in seinem Inneren zu halten.
    "Du weißt, dass ich an unsere Gens glaube, daran, dass jeder von uns alles erreichen kann, wenn er nur gewillt ist, seinen Beitrag zu leisten und seine Pflicht zu tun. Doch was können wir tun, Aquilius, dass Furianus jene Verantwortung, welche ihm mit seiner Geburt auferlegt wurde, bewusst wird, dass er sich seiner Pflichten erinnert und sein Verhalten gemäß den gesetzten Maßstäben anpasst? Manches mal scheint er mir ein recht verständiger Mensch zu sein, bemüht seine Rolle auszufüllen, doch andere Male scheint mir, als wüsste er selbst nicht, wer oder was er ist. Ich fürchte, so schwer dies auch sein mag, wir müssen uns in Geduld üben, denn sein Vater scheint nicht gewillt, ihm rückwirkend die Erziehung anheim kommen zu lassen, zu welcher er zuvor nicht die Möglichkeit hatte."
    Sein Blick weicht dem Aquilius' aus, sucht einen Punkt auf dem Zimmerboden, einen Punkt in weiter Ferne.
    "Weiters fürchte ich, wir werden seinen Makel decken müssen, wie wir es bereits mit so vielen Makeln tun. Was auch immer geschieht, Aquilius, was du erfährst und was du siehst, es darf die Mauern dieser Villa nicht verlassen, sofern es dies nicht bereits getan hat. In diesem Fall ist dafür Sorge zu tragen, dass der Schaden so gering wie möglich bleibt."
    Schließlich hebt sich Gracchus Blick wieder, Kummer liegt darin und Sorge. Die Worte seines Vetters hallen in seinen Gedanken nach. 'Verzweifelte Menschen haben des öfteren die Angewohnheit, Dummheiten zu begehen.' Vielleicht war es dies, was auch Furianus manches mal handeln ließ, und wie sollte Gracchus dies verurteilen, kannte er die Verzweiflung doch ebenso?
    "Verzweiflung wird sie nicht weit bringen. Sie ist eine Sklavin, Aquilius. Sie steht unter dem Besitz des Flavius Felix oder des Caecilius Crassus, dies können wir wohl nicht mit Sicherheit sagen. Doch keiner von beiden wird zulassen, dass ihr Besitz ihnen auf der Nase herumtanzt. Sie mag verzweifelt sein, doch sicherlich ist sie nicht so dumm, im Circus enden zu wollen."

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  • Schweigend lauschte ich seinen Worten, und auch wenn alles wohlüberlegt klang, so blieb bei mir nicht das Gefühl aus, dass er irgend etwas vor mir verbarg oder schlichtweg zu unterdrücken versuchte. Hatte mein Vetter irgendwelche Sorgen? Im Augenblick lief es doch gut für ihn, zuerst die gewonnene Kandidatur, dann die anstehende Hochzeit - sicher, er wusste mit Frauen wenig anzufangen, aber er wäre sicher nicht der erste römische Ehemann, der seine Frau nicht aufsuchte und würde nicht der letzte sein, der sich woanders seine Vergnügungen holte. Und irgendwann würde sich seine Frau einen Liebhaber suchen, wenn sie den Unwillen ihres Mannes erkannt hatte und klug war, und die geborenen Kinder wären ehelich - so oder so ähnlich war es schon bei so vielen gelaufen, und ich sah das alles wohl zu trocken, wenn ich mir darüber im Grunde wenige Gedanken machte. Das einzige, was mich bedrückte, war die trübe Stimmung meines Vetters.


    "Ich werde Furianus' Nachlässigkeiten sicherlich keinem Außenstehenden unter die Nase reiben, dessen kannst Du Dir sicher sein, Manius," sagte ich ruhig, seinen Namen ein wenig weicher aussprechend als sonst. "Und im Vertuschen idiotischer Aktionen haben wir Flavier inzwischen wohl genug Übung, wenn ich unsere jüngere Vergangenheit bedenke, ein bisschen mehr Training werden wir verschmerzen können - doch den Ärger über all dieses Ungemach wirst Du mir sicher niemals, auch nicht mit solch klugen Überlegungen, austreiben können. Es ärgert mich einfach, dass er wie ein Bauer handelt und ungefähr soviel Weitsicht zeigt wie ein Opferstier." Ich hielt inne, blickte zu ihm und runzelte nun die Stirn, so deutlich hatte ich nicht erwartet, Kummer zu erblicken.
    "Manius, Dich bedrückt doch etwas .. und das ist sicher nicht Furianus. Was ist denn los mit Dir ...? Kann ich Dir vielleicht irgendwie helfen? Du weisst, ich würde alles für Dich tun."

  • Ohne, dass Aquilius dies wissen konnte, trafen seine Worte Gracchus hart. Denn das 'Vertuschen idiotischer Aktionen', das 'Handeln eines Bauern' und die 'Weitsicht eines Opferstieres' bezog jener unmittelbar auf sich selbst, fühlte sich dadurch gleichermaßen gekränkt und ertappt. Geschehnisse vergangener Tage krochen aus ihren dunklen Verstecken tief in seinem Inneren hervor, von dort, wo er sie hin verbannt und unter Trümmerhaufen der Ignoranz und des Vergessens begraben hatte. Aquilius konnte leicht über jene richten, da er selbst nicht gerichtet werden musste, doch Gracchus traf mit jedem Urteil sich selbst. Er hasste seinen Bruder für das, was jener mit seiner Familie getan hatte, dafür, dass er nicht geschwiegen und sein Versagen in den Wänden der flavischen Villa verborgen hatte, sondern mit seinem falschen Götzen in die Welt hinausgezogen war. Doch manches mal überwältigte Gracchus die Scham darüber, dass er sich selbst nicht ebenso hasste, dafür, was er getan hatte, dafür, dass er schwieg und verbarg. Aus der Sicht eines Außenstehenden mochte es bei Weitem nicht ernstlich erscheinen, kaum wert, sich darüber Gedanken zu machen. Doch Gracchus' Welt war bestimmt von Pflichten und Tugenden, von Geboten und Verboten der Familie, der Gens, des Standes, und von immerwährendem Zweifel an sich selbst und seinen Taten.
    "Oh, Caius ... sie wird sterben durch seine Dummheit ... und ihr Blut wird an seinen Händen kleben. Mag sie nur eine Sklavin sein ... diese Schuld wird sich nie wieder abwaschen lassen. Wie viele Sklavinnen er sich kaufen wird, wie sehr er sie lieben wird ... sie werden ihn alle mit ihren Augen ansehen."
    Seine Stimme wurde leiser, bis sie letztlich fast nur noch ein heiseres Flüstern war.
    "Wenn du ihn richtest, so richte auch mich."

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  • Ich hatte mich über meinen eigenen Teil der Familie so in Rage geredet, dass mir sein Gesichtsausdruck eine ganze Weile lang entgangen war. Über Messalina und den Rest meiner nichtsnutzigen Verwandtschaft hätte ich mich wahrscheinlich stundenlang aufregen können und die Gelegenheit war leider zu günstig gewesen - hätte ich geahnt, welche Gedanken er dabei wälzte, hätte ich meine Worte sicherlich anders gewählt, doch nun war es passiert. Überrascht blickte ich ihn an, als er so leidenschaftlich über Schuld und Reue sprach, dass so viel Kummer und Schmerz in seiner Stimme lagen, wie ich es von ihm gar nicht gewöhnt war.


    Er wirkte oft so distanziert, fast kühl, in den meisten Momenten beherrscht, als sei er der Älteste von uns allen, obwohl ich älter war als er, dass mich diese Worte mehr aus der Bahn warfen als alles, was meine Verwandtschaft bisher jemals getan hatte oder hätte tun können. Mein Erstaunen mochte man mir ansehen können, aber gleichzeitig bestürzte mich sein Gesicht, der leise, kaum hörbare Klang seiner Stimme bis ins tiefste Innere und ich kämpfte gegen den plötzlich aufgekommenen Drang an, ihn in meine Arme zu ziehen und ihn gegen den Rest der Welt zu verteidigen, der ihm Leid bereitet hatte. Es geschah zugegebenermaßen nicht oft, dass ich für einen Menschen mehr empfand als eine wohlwollende Sympathie oder eine gewisse Begierde, aber in diesem Augenblick hätte er mich um alles bitten können, ich hätte es wohl getan.


    "Manius, was ist mit Dir? Du weisst, dass ich Dich niemals richten würde, egal, was Du tust. Furianus' Handeln erzürnt mich, weil er es besser wissen müsste und dennoch auf diese Weise handelt - glaubst Du wirklich, dass ihr euch in diesem Punkt so sehr gleicht?" Jetzt tat ich es doch, ich legte meine Hand auf seine Schulter, zuerst nur leicht, jederzeit bereit, sie wieder wegzunehmen, falls er sich dagegen wehren würde. "Manius," diesmal flüsterte ich, ebenso leise wie er. "Wenn Du ... Sorgen hast ... irgendeine Not ... dann sage es mir. Du bist nicht alleine, hörst Du? Ich bin für Dich da."

  • Unter der Berührung Aquilus' zuckte Gracchus einen kurzen Moment beinahe unmerklich zusammen. So nah ihm der Vetter war, so unendlich groß erschien ihm die Distanz zwischen ihnen in diesen Belangen. Doch wem konnte er mehr vertrauen, mit wem konnte er mehr teilen, als mit ihm, mit ihm der ihn beinahe sein ganzes Leben kannte? Doch in seine Augen blicken konnte er ihm dabei nicht, so hielt Gracchus seinen Kopf gesenkt, die beruhigende Hand seines Vetters auf der Schulter.
    "Es ist so einfach, in Dummheit zu handeln, obwohl man es besser weiß. So einfach ..."
    Er brach ab, schwieg einen Augenblick, in dem er die Augen schloss und das Bild eines Körpers vor sich sah, eines Körpers, aus welchem jegliches Leben verschwunden war.
    "Sciurus ... nicht derjenige, welchen ich zuerst besaß, und nicht derjenige, der hier ist ... sondern jener, der uns in Achaia so vieles lehrte, der mich des nächtens ..."
    Wieder brach er ab, brachte es nicht übers Herz weiter über ihn zu sprechen. Aquilius hatte diese Zeit selbst erlebt, er würde verstehen.
    "Er starb nicht, wie ein Sklave wie er sterben sollte. Er starb durch meine Schuld ... weil ich handelte wie ein Bauer ... weil ich soviel Weitsicht zeigte wie ein Opferstier. Bei den Göttern, Caius, er starb mit einem Messer im Rücken ... ich ... ich habe es dorthin gestoßen ..."
    Es war ihm zum Weinen zumute, doch weinen konnte er nicht.

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  • Das war es also. Liebe, und eine verzweifelte Form derer noch mit dazu. In diesem Augenblick fühlte ich mich ihm näher als zuvor, denn wer, der es nicht auch selbst erlebt hatte, hätte ihn nicht verstanden? Der erste Mann, der meine Sinne erregt und hatte brennen lassen, war nicht nur mein Geliebter gewesen, ich hatte ihn ebenso verzweifelt geliebt wie wohl Gracchus seinen ersten Sciurus geliebt hatte, so lange musste diese Liebe noch dauern, dass er auch den zweiten Sklaven, der sein Bett und sein Leben teilte, nach diesem benannt hatte. Jetzt endlich verstand ich, wenngleich ich mir sicher war, noch nicht alle Variablen dieser Tragödie sicher erfasst zu haben. Langsam löste ich meine Hand, erhob mich ein klein wenig und zog meinen Stuhl neben den seinen, um dann den Arm langsam um seine Schultern zu legen. Viel tun konnte ich für ihn in diesem Augenblick nicht, aber vielleicht tröstete ihn ein wenig der Nähe, das manifestierte Gefühl des Beistandes, denn ich war mir seltsam sicher, dass ihm diesen sonst keiner geben würde - oder konnte?


    "Willst Du mir erzählen, wie es so weit gekommen ist? Manchmal hilft vielleicht auch eine andere Sicht der Dinge, um etwas anders zu beleuchten, etwas zu erkennen, das man selbst nicht sehen konnte - ich ... hatte er Dich ... beleidigt? Belogen ...? Betrogen?" Irgendeinen Grund musste es doch dafür geben, es fiel mir unglaublich schwer, mir meinem Vetter als einen grundlosen Mörder vorzustellen. Was hätte er gesagt, hätte er gewusst, was in meinem Arbeitszimmer vor wenigen Tagen erst geschehen war? Hätte er mich mit Abscheu betrachtet? Ich sah das Gesicht des Sklavenhändlers vor mir, dieses hilflose Röcheln, welches er vor seinem Tod durch die Kette ausgestoßen hatte, und fühlte meine eigenen Schatten mit einer Macht herannahen, die mich hilflos zurückließ. Waren denn wir beide dazu verdammt, Leben zu nehmen, waren wir uns darin so ähnlich wie ... Brüder?

  • Die vertraute Nähe half Gracchus den Schmerz bei Seite zu schieben und gleichsam sorgte sie dafür, dass er alle Pflichten, alle Erwartungen an sich selbst vergessen konnte, so wie es ihm nur gegenüber Aquilius möglich war. Seine Stimme wurde ruhig und beherrscht, beinahe abwesend, als würde er von Dingen erzählen, die ihn nicht im Mindesten tangierten.
    "Die Jahre auf Creta nutzte ich nicht nur zum Studieren, wie ich dir schrieb. Du weiß, dass ich mich immer gegen den Willen meines Vaters gesträubt habe, als nachfolgender ältester Sohn der Familie dem Militär beizutreten, um in seine Fußstapfen zu treten. Er war ein Mann des Militärs, aber bei den Göttern, du weißt, dass ich kein solcher Mann bin. Vor Animus' ... Versagen war mir der Dienst an den Göttern vorgesehen, doch selbst in jenem konnte ich mich zu dieser Zeit nicht sehen. So weitete ich die Studien aus, auf Creta, doch gleichsam versuchte ich dem zu entkommen, was meine Pflicht war. Ich war so einfältig, Caius, unerfahren im Leben und doch glaubte ich, ich könnte es überlisten. Ich erlag dem Zauber der Münzen, glaubte sie zu beherrschen und sah darüber nicht, dass das Gegenteil der Fall war. Creta ist eine wunderbare Insel, doch wie alles gehört sie wenigen Mächtigen und auch dies bedachte ich nicht, glaubte allein mein Name und Stand würde mich vor allem und jedem schützen. Doch auch dies war nicht der Fall, beides brachte nur Schwierigkeiten mit sich. Ich begann zu investieren, Geldgeschäfte zu tätigen, Handel ohne Ernte, manches mal gar ohne Waren, bei den Göttern, Caius, es treibt mir die Schamesröte ins Gesicht, wenn ich nur daran denke. Sciurus war der einzige, der von alledem wusste, doch ich habe seine Bedenken ignoriert, habe ihn insgeheim gar für überängstlich und töricht gehalten, denn was sollte schon schief gehen? Doch er sollte Recht behalten. Diese Welt ist nichts für Patrizier, diese Welt gehört dem Plebs, denn Sesterzen sind die einzige Möglichkeit, wie sie zu Macht kommen und dies lassen sie sich nicht wieder nehmen. Sie lassen nicht zu, dass sich einer von uns dort hineinzudrängen versucht. Die Bewohner Cretas sind rauhe Menschen. Die Ereignisse überschlugen sich, alles entglitt meinen Händen und ich konnte nur dabei zusehen, wie alles den Tiber hinunter rann, alles, was ich geglaubt hatte zu kontrollieren. Zuerst brannte ein Stall ab, dann starb eine Sklavin aus der Culina, womöglich war es Gift, doch viel eher war es Teil eines Fluches. Sciurus ... ich fand ihn eines Morgens im Garten, sie hatten ihn der Kleidung beraubt und ins taufrische Gras gelegt. Kleine Tropfen hingen an seinem bleichen Körper, sein Kopf blickte zur Seite, die Augen blass ohne Freude, der Mund leicht geöffnet, in einem stummen Vorwurf. In seinem Rücken ... steckte ein Messer, eine feine Rinne aus Blut war auf seinem Rückgrat getrocknet."
    Gracchus atmete tief ein und schloss die Augen. Er konnte das Bild vor sich sehen, in jedem Detail, der Körper in jedem Detail. Kein anderes Bild war mehr von Sciurus in seinem Kopf außer jenes, kalt und bleich.
    "Am selben Tag verließ ich Creta, mit wenig mehr als mir selbst. Ich schwor dem Iuppiter den Eid, dass ich ihm dienen würde, wenn er mir das Glück vergönnt, mich lebend nach Rom zu führen. So fand ich den Weg, für den ich gelehrt worden war, der mir am Tag meiner Geburt auferlegt worden und doch längst nicht mehr der meine sein sollte. Ich raubte Lucullus seine Bestimmung, doch wohin hätte ich mich wenden sollen, wenn nicht an die Götter?"
    Er blickte auf, Aquilius flehentlich an.
    "Ich ... habe ihn ins Elysium gebracht, Caius, durch meine Dummheit. Genau so gut hätte ich ihm selbst das Messer in den Rücken stoßen können, hätte ihn selbst ..."
    Beschämt wandte er den Blick wieder ab, nahm dankbar die Wärme entgegen, welche durch Aquilius' Nähe herrührte.
    "Wie soll ich verurteilen, was geschehen ist, mit dem Wissen um meine eigene Schuld?"

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  • Ich hörte ihm zu, wie ich wahrscheinlich noch niemandem bisher in meinem ganzen recht durchwachsenen und verkorksten Leben zugehört hatte. Nicht, weil ich mir davon einen Vorteil versprach, sondern weil sich zum ersten Mal ein Abgrund auftat, der sehr vieles von dem erklärte, was die Art meines Vetters anbelangte, einige Fragen beantwortete, die ich mir oft gestellt, aber nie eine Antwort darauf erhalten hatte. Wahrscheinlich hätte ich über sein Geständnis erschrocken sein sollen, vielleicht sogar empört, aber ich konnte tief in mir nichts derartiges feststellen. Er war und blieb mein Vetter, mein Vertrauter, der Gefährte so mancher Stunde, die ausser uns nur die wenigsten Menschen in diesem ganzen römischen Imperium wohl zu verstehen gewuss hätten. Und gleichzeitig verzweifelte ich fast an dem Gefühl, ihn trösten zu wollen und doch nur irgendwelche lauen, bedeutungslosen Worte anbieten zu können, die nicht im mindesten das spiegeln würden, was ich eigentlich sagen wollte.


    So hielt ich ihn einfach nur im Arm, ohnmächtig, ihn vor seinen scheußlichen Erinnerungen, diesem furchtbaren Ende seiner ersten Liebe zu beschützen, und strich mit der freien Hand langsam über sein kurzes Haar, als könnte diese Geste irgend etwas an seinem Leid ändern, wohl befürchtend, dass es nur eine Geste war und bleiben würde, egal, wieviel ich damit auszudrücken versuchte. So konnte ich auch erst nach einer Weile wirklich auf seine Worte antworten, es fiel mir schwer, nicht gleich alles zu sagen, was mir auf der Zunge lag und mit seiner Gegenwart mehr zu tun hatte als mit seiner Vergangenheit.
    "Glaubst Du denn, irgendeiner in dieser Familie sei frei von Fehlern oder von Problemen? Schau sie dir nur an, die Flavier, die stolzen Söhne und Abkömmlinge einer verlorenen Kaiserdynastie. Schau hinter aller Fassaden und Du wirst erkennen, dass ein jeder irgendeinen Schatten mit sich herumschleppt. Aber die wenigsten haben aus dem, was ihnen widerfahren ist, etwas gelernt, haben sich nicht geändert - das ist es, was ich Furianus vorwerfe. Er ist kein junger Bursche mehr, er war Aedil, trägt den Namen unserer Familie weit ins Imperium hinaus, und noch immer scheint er nichts dazugelernt zu haben. Du hast Fehler gemacht, Manius, jeder hier hat irgendwann Fehler gemacht, dumme Fehler, schreckliche Fehler, aber die meisten haben daraus ihre Lehre gezogen. Heute scheinst Du mir kein hirnloser Verschwender, heute legst Du für die Familie, für Dich selbst Ehre ein - und Du hast Deinen Eid an Iuppiter pflichtbewusst erfüllt. Zeigt das nicht, dass Du Dich geändert hast? Glaube mir, es gibt nichts an Dir, was ich verurteilen könnte oder wollte, denn dann müsste ich auch auf mich mit dem Finger zeigen, mich einen heillosen Verschwender und Mörder heißen."


    In manchem waren wir uns erschreckend ähnlich, mit dem großen Unterschied, dass ich mich noch immer irgendwie durchmogelte und er es geschafft zu haben schien, seinen Weg auf andere Richtungen hin zu lenken. "Dass Sciurus so schrecklich sein Leben lassen musste, Manius, das ist furchtbar, es ist grausam und unmenschlich, aber die Entscheidung, wie er stirbt, dass er sterben musste, das war nicht die Deine. Geld und Schulden kann man auch anders eintreiben als durch die Ermordung jener, die ein Schuldner liebt und denen er zugetan war - diese Entscheidung liegt bei jenen allein, die ihn töteten. Du magst dumm gehandelt haben, viele Fehler gemacht haben, aber Du bist kein Mörder - und wenn es einen einzigen Trost an der Sache geben kann, dann den, dass Sciurus sicher jederzeit sein Leben mit Freuden gegeben hätte, um Dich zu retten. Vielleicht ist genau das geschehen. Vielleicht beobachtet Dich sein Geist noch immer, und sein Blick ruht mit Wohlwollen auf dem Mann, der nun Quaestor ist und der es zu etwas gebracht hat, ohne sich auf den Sockel der eigenen Unfehlbarkeit zu heben, der seine eigenen Fehler erkannt hat und daraus lernen konnte ..." Sachte griff ich die Hand meines Vetters und drückte sie, seinen Blick erwiedernd. "Es ist geschehen, was geschehen ist, und wir können es nicht mehr ändern, so gerne wir das vielleicht würden. Und du hast ihn nie vergessen ... welcher Mensch kann das schon von sich behaupten, über den Tod hinaus noch so betrauert und geliebt zu werden?"

  • Niemanden sonst hätte Gracchus so nah an sich heran gelassen, weder seelisch, noch körperlich. Er spürte die Berührungen seines Vetters und er spürte den Trost, der darin lag, ein Trost, den außer Aquilius niemand bereit und niemand fähig gewesen wäre, ihm zu geben. Er fühlte das leichte Zittern seines Körpers, fühlte sich wie an jenem Tag, als sie als Kinder eng umschlungen beinahe einen ganzen Tag in einem der Ställe ausgeharrt hatten, zitternd, weil sie glaubten, das Schlimmste, was sie treffen konnte, sei der Zorn des Lehrers über einen beim Spiel zerbrochenen Krug aus Glas, wo doch ihre Reaktion am Ende des Tages nur Bedauern in jenem Mann hervorgebracht hatte, darüber, dass sie nicht Willens waren, für ihre Taten gerade zu stehen.
    "Es ist die Erinnerung, die mich verzweifeln lässt, Caius. Jene Tage hängen über mir wie das Schwert des Damokles über jenem, jederzeit bereit auf mich herabzufahren, meine Brust zu durchstoßen mit einem qualvoll langen Stich. Es ist die Erinnerung, die mich verzehrt, die mir Nacht um Nacht Qualen bereitet, wenn sich Sciurus' junger Körper an den meinen schmiegt, denn ich sollte es sein, der sich an jenen presst, der den Namen vor ihm trug. Er tut seine Pflicht, wie er sie immer tut, jedoch brennt lange nicht das Feuer in ihm, welches dem vorigen ganz selbstverständlich zu eigen war. Ich habe die Zeichen ignoriert, Caius, ich hätte die Insel längst verlassen können, hätte zurück nach Athen kehren können, zu dir. Doch es trieb mich ... es trieb mich ... "
    Die Gier wollte, musste Gracchus enden, doch nicht einmal gegenüber Auqilius konnte er dies eingestehen. Er presste die Lippen zusammen und schloss die Augen, um die aufkommenden salzigen Tropfen zwischen seinen Wimpern festzuhalten. Er hatte nie gelernt, sich vom Fluss der Tränen trösten zu lassen, und so verschloss er sie auch an diesem Tag hinter den Mauern seiner Lider. Eine Hand hob sich, wischte verstohlen durch das Auge und hernach über die Braue und über die Stirn, um zu verbergen, was ihr eigentliches Ziel gewesen war. Schließlich, als er sicher war, die verrätersischen Quellen zum versiegen gebracht zu haben, öffnete er die Augen, von denen er doch nicht verhindern konnte, dass sie zu den Spiegeln seiner Seele wurden, da sie noch immer einen feuchten Schimmer aufwiesen. So blickte er Aquilius an und flüsterte tonlos.
    "Ich werde es mir niemals verzeihen können, ganz gleich, was ich im Gegenzug dafür tue. Ich habe nicht gelernt zu verzeihen, Caius, schon gar nicht mir selbst. Strenge, mehr noch als gegenüber allen anderen, musst du gegenüber dir selbst zeigen - dies waren die Worte meines Vaters, dies waren die Worte unserer Lehrer. Sciurus mag mir verzeihen, doch ich kann es nicht."
    Er wandte den Blick ab.
    "Ich danke dir dennoch für deine Worte. Du weißt, wieviel sie mir bedeuten."

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  • "Ich weiss," sagte ich leise und im gleichen Augenblick fiel es mir unendlich schwer, ihn nicht in meine Arme zu ziehen und zu küssen, diesen Schmerz aus seinem Blick zu vertreiben, diese bedingungslose Selbstanklage, weil er sich als denjenigen sah, der den Tod seines ersten wirklichen Geliebten verantwortet hatte. Er tat mir gleichzeitig leid und im selben Moment wusste ich auch, dass ich längst nicht so war wie er und wohl niemals so sein würde. Unser Erbe machte uns zu ähnlichen Männern, aber nicht zu gleichen, im Gegensatz zu ihm war mein Gewissen deutlich stiller, auch wenn nicht nur ein Toter darauf lastete. Würde er jemals verstehen, was ich war? Würde ich es ihm jemals sagen können? Während die Lidschläge an Zeit verstrichen, tauchte mein Blick in den seinen, und was ich sagen wollte, konnte ich ihm nicht sagen. Ama te. Ich liebe Dich. Genauso, wie ich genau wusste, dass ich es nicht sagen durfte, weil es wohl alles zerstören würde. Seine schimmernden, tränenverhangenen Augen hatten mehr gesagt, als es seine Lippen hätten sagen müssen.


    "Vielleicht wirst Du irgendwann, irgendwann Ruhe finden können, Manius, es gibt nichts, was ich Dir mehr wünschen würde als dies, glaube mir. Und wenn es irgend etwas gibt, was ich tun kann, damit Dir diese Last ein wenig leichter wird, auch wenn ich verstehe, dass Du sie Dir nicht erleichtern willst, werde ich es tun. Weisst Du noch, wie wir als Kinder unser Blut verbanden, um wie Brüder zu sein? Wir sind es noch, und Dein Blut ist in mir wie mein Blut durch Deine Adern rinnt. Du musst nur ein Wort sagen, und ich werde an Deiner Seite stehen." Es gab niemanden sonst, den ich nicht fallen lassen würde, wenn ich mein eigenes Leben in Gefahr wähnte - aber er war anders. Er würde immer anders sein. Vorsichtig zog ich ihn an mich, bot ihm meine Schulter zum Anlehnen, so er sie denn haben wollen würde.

  • Die Worte, die Berührung, die Erinnerung Achaias vor Augen wandte sich Gracchus seinem Vetter zu. Seine Nasenflügel bebten leicht, als der Geruch längst vergangener Tage in seine Nase stieg. Es war der Geruch des Blutes junger Hände, welches sich einem komplizierten Ritual vermischte und seine Besitzer auf ewig aneinander band, bis über das Elysium hinaus, wie sie sich schworen. Es war der Geruch staubigen Pergamentes, gefüllt mit den Worten der alten Meister, der Geruch frisch gepflückter Oliven, welche im kühlen Schatten eines Baumes verzehrt und deren Kerne im Wettstreit den sanft abfallenden Hügel hinabgespuckt wurden. Es war der Geruch nach zu viel Wein, gedankenlos in sich hinein geschüttet um die eigene Mannhaftigkeit zu beweisen und doch nur in albernen Späßen und Gelächter endend, wie es Kindern vorbehalten war. Es war der Geruch der rußigen Flamme einer Öllampe, über deren Licht zwei Köpfe zusammengesteckt wurden, um die verblasste Schrift eines löchrigen Papyrus zu entziffern, und es war der Geruch nach durch Neugier unterdrückter Furcht, mit der zwei junge Knaben heimlich die verruchten Gegenden Athens erkundeten. Ebenso wie es der Geruch eines Körpers war, eines unverbrauchten, jungen Körpers, dessen Besitzer sich gerade erst selbst entdeckte und entdeckt werden wollte. Dies alles und mehr noch, dies war der Geruch Auqilius' welcher seinem Vetter ein wohliges Schaudern durch den Körper fahren ließ. Gracchus beugte sich näher zu Aquilius, sog diesen noch immer so vertrauten Geruch tief ein. Das Fleisch schwach, der Geist aufgeweicht durch all die vergangenen Worte, begann er dessen Hals mit sanften Küssen zu bedecken. Ama te. Wie oft hatten sie es sich wortlos ausgesprochen in ihre Augen gesandt. Gracchus wollte vergessen, vergessen was heute war und vergessen was Morgen sein würde, seine Pflicht vergessen, sich selbst vergessen. Es wäre so einfach, seinen Vetter zu bitten, die Nacht mit ihm zu verbringen, niemand brauchte davon zu wissen, nichts würde geschehen, als dass er Aquilius warmen Körper spüren, sein Haar riechen, seine Haut noch einmal berühren würde, bevor die Tage ihm ein Weib an die Seite legten. Nur noch einmal wollte er vergessen, wer sie waren, in vergangene Tage flüchten, nur in dieser einen Nacht noch, trunken vor Vorlangen, vor Vergessen und Zuneigung, und dann nie wieder. Doch stattdessen ergriff sein Verstand Besitz von seiner Hand, welche sich gegen Aquilius Brust legte und ihn von sich drückte, noch während seine begierigen, verzweifelten Augen versuchten seinen Vetter zu halten. Die Vergangenheit war unwiederbringlich vorrüber, Achaia war vergangen, Sciurus war tot und doch gleichsam lebendig, und Gracchus würde in wenigen Tagen seine Gattin über die Schwelle dieses Hauses tragen, des Hauses seiner Geburt, des Hauses seiner Ahnen.
    "Nein."
    Qual sprach aus seiner Stimme, doch er stand in einer hastigen Bewegung auf und machte einige Schritte auf den kleinen Tisch neben seinem Bett zu. Fort, nur fort von Aquilius' Körper, der so verlockend, so betörend auf ihn wirkte. Er nahm die kleine, bronzene Iuppiterstatue und umschloss sie fest mit den Händen. Er versuchte die angenehme Kühle des Metalls in sich aufzunehmen, damit sein Herz, seine Sinne abzukühlen, doch vergeblich, er konnte das Feuer in seinem Rücken förmlich spüren.

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  • Meine Augen schlossen sich, als ich seine Lippen auf meinem Hals fühlte, so vertraut, so weich, als seien all die Jahre, die zwischen uns gestanden hatten, mit einem Mal aufgelöst worden wie eine zartweiße Wolke am Sommerhimmel. Er roch noch immer so, wie ich ihn in Erinnerung behalten hatte, ein klein wenig nach den Pergamenten und Papyri, mit denen er viel zuviel arbeitete, ein wenig nach irgendeinem Öl, mit dem er sich von seinem Sklaven die Haut pflegen ließ, und sehr viel nach Manius, diesem zarten, unaufdringlichen, aber unverkennbaren Odeur, das ich unter tausenden erkennen würde, weil es mir von Kindesbeinen auf vertraut war. Ich fühlte meinen Körper unter der Berührung seiner Lippen erbeben, und in diesem Moment wusste ich, dass es diese Lippen waren, nach denen ich mich all die Jahre gesehnt hatte, die ich versucht hatte, mit so vielen anderen auszulöschen, mit so vielen seufzenden Mündern, weichen Händen, biegsamen Leibern, und doch, diese stille, unverrückbare Sehnsucht war mir immer geblieben. Sehnsucht nach dem einen, den ich nicht haben konnte und durfte.


    Meine schwärmerischen Träume, geweckt von seinen zarten, so zärtlichen Berührungen zerbrachen einer Vase auf dem Marmorboden gleich in tausend Stücke, als mich seine Hand an der Brust berührte und er mich von sich schob. Er wies mich zurück, alles, was uns verband! Sein Nein! erfüllte den Raum, hallte bitter und schmerzhaft in meinen Ohren wider und schnitt mir bis ins Mark. Daskonnte er doch nicht ernst meinen? Seine Augen verrieten ihn, Spiegel zu dieser kostbaren, so verwundeten Seele, verrieten die Unsicherheit und die Angst, die dahinter stehen mussten.
    "Willst Du das wirklich, Manius?" flüsterte ich tonlos, an den Stuhl geklebt, als sei mein Körper mit einem Mal unendlich schwer geworden, als könnte ich niemals wieder aufstehen. "Willst Du wirklich alles aufgeben - für eine Frau?" Ich wusste, dass ich nicht gerecht war, dass ihn meine Worte schmerzen mussten, aber ich konnte nicht anders. Warum hatte uns das Schicksal diesen furchtbaren Streich gespielt, dass er eine Frau heiraten würde, die er nicht begehrte, nie begehren würde - und wir uns nicht mehr würden nahe sein dürfen? "Manius ... wir haben uns doch erst wieder gefunden. Ich ..." Der rauhe, kratzige Kloß in meinem Hals schien nur noch aus Dornen zu bestehen. "... ich habe Dich so vermisst."

  • Gracchus Finger schlossen sich fester um die Statue, so dass alsbald die Knöchel weiß hervortraten. Doch auch dies nutzte nichts. Aquilius' Worte durchbohrten ihn wie tausend Stiche, zermalmten ihn unter einer Lawine aus Fels und Geröll. Er schloss seine Augen, doch auch dies verhinderte nicht, dass immer nur Aquilius in seinen Sinnen war.
    "Frage dies nicht, Caius, denn ich müsste lügen."
    Er öffnete die Augen und drehte sich um. Es schmerzte ihn, Aquilius so zu sehen, zog ihn zu diesem hin, doch er blieb stehen, als wäre er an jener Stelle des Bodens angewachsen.
    "Ich würde mich für dich aufopfern, Caius, würde mich an deiner statt an Felsen ketten lassen und Ethon meine Leber darbieten. Und ich weiß, dass du dies ebenso für mich tun würdest. Doch die Götter haben uns auferlegt, was wir sind, wer wir sind. Die Parzen scheinen bisweilen einen merkwürdigen Sinn für Humor zu haben, doch wer sind wir, dass wir uns gegen das Schicksal stellen könnten? Es ist unsere Pflicht, die Welt zu bevölkern, jeder von uns muss seinen Anteil daran leisten. Viele Große Männer nahmen ihre Nachfolger an Kindes statt an, Augustus, Tiberius, doch die flavische Dynastie, Caius, gründete sich immer auf das eigene Blut. Ich kann dies nicht durchbrechen, ich kann mich nicht gegen alles stellen, was mir seit jeher heilig ist. Wie oft habe ich verflucht, was ich bin, wie oft habe ich verflucht, was du bist, doch letztendlich sind wir beide was wir sind."
    Gracchus versuchte den Klang seiner Stimme so ehrlich wie möglich klingen zu lassen, doch tief im Inneren wusste er, dass er nicht wusste, wie er jene Frau berühren, wie er seine Pflicht erfüllen sollte ohne fortwährend an Aquilius zu denken. Er senkte den Blick und schüttelte traurig den Kopf. Seine Stimme erstarb erneut zu einem Flüstern, wie jenes seines Vetters.
    "Nein ... nein, ich will es nicht. Doch wer außer dir fragt schon danach, was ich will? Ich habe mir mehr genommen, erschlichen, als ich zu hoffen wagen durfte ... wie könnte ich so vermessen sein und noch mehr fordern? Sie ist ... sie ist sicherlich ein gutes Eheweib."

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  • Hätte ich einem Gott gleich schreien können, hätte an diesem schrecklichen Abend wohl die Erde unter meiner ohnmächtigen Wut gebebt. Wäre ich doch nur früher nach Rom zurückgekehrt. Wäre ich ihm doch ein Gefährte auf Kreta gewesen, hätte ich ihn doch vor allem Schmerz bewahren können, der ihm dort wiederfahren war! Aber in all dem 'hätte', 'würde' und 'könnte' stand die einzige, erschreckende Wahrheit von allen in gleißendem, kaltem Feuer: Ich war nicht dagewesen, ich war zu spät gekommen und jetzt würde ich zusehen müssen, wie Gracchus eine Ehe einging, bei der er seine Frau nicht liebte und wohl niemals lieben würde, weil er nicht bei Frauen, sondern bei Männern liegen wollte. War das die Pflicht denn wert, sein Leben lang lügen zu müssen? Hatte nicht auch ich dauernd gelogen, wenn ich irgendeiner Frau, irgendeinem Mann zärtliche Worte zugehaucht hatte und doch letztlich eigentlich nur einen Mann damit gemeint hatte?


    "Wir sind, wer wir sind, Manius, und so wird es immer sein. Wir Flavier werden immer die Dunkelheit unseres Erbes mit uns tragen, und einer ist wohl so gut wie der andere," sagte ich leise, um das Zittern meiner Stimme zu überdecken. Die vage Andeutung in meinen Worten, vielleicht würde er sie überhören, vielleicht würde er sie auch schweigend in sich aufnehmen, darüber nachdenken und sie abwägen, denn das, was er nicht tun konnte oder wollte, es würde mich wenig kosten, war ich doch an Frauen gewöhnt und schätzte ihre Leiber ebenso wie den eines Mannes. Aber es war vermessen, es war ein direkter Bruch aller Traditionen, und er war ein Priester Iuppiters, des Göttervaters. Auch wenn Iuppiter mit zahlreichen Affären seine zweifellos grausame Ehe mit der zänkischen Iuno belebt hatte, letztendlich war an dieser Verbindung nie gerüttelt worden. Vielleicht würde er mich allein schon für die Idee hassen, dass ich sie gehabt hatte, und ich würde ihn noch schneller und deutlicher verlieren, als es sich jetzt schon abgezeichnet hatte.


    Dennoch ... unsere Blicke trafen sich, ich blickte ihn an wie er mich. Ich wollte ihn nicht aufgeben, nicht um alles in der Welt. Er blieb stehen, aber mich hielt es nicht auf diesem verdammungswürdigen Stuhl, der viel zu weit von ihm entfernt stand, ich überwand die Distanz mit wenigen Schritten, die zwischen uns geblieben war und legte meine Hände an seine Oberarme, hielt ihn für einen Moment lang so, als müsste ich mir sein Bild auf ewig einprägen. "Ich kann nicht glauben, dass die Götter wollen, dass Du auf ewig unglücklich bist, Manius, und ich würde das ganz genausowenig wollen," flüsterten meine Lippen rauh und dann tat ich es, ich küsste ihn, wie ich ihn schon lange wieder hatte küssen wollen, seine Lippen ganz schmeckend, nicht nur als Echo irgendwo auf meinem Hals oder der Haut. Ama te. Es war, wie es ist.

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