Cubiculum | Manius Flavius Gracchus

  • So gut er es auch zu verbergen suchte, das leise Zittern in Aquilius' Stimme entging Gracchus nicht, der jene Stimme schon so lange kannte, so lange schätze und ihr so lange lauschte in allen Lagen des Lebens. Der Gedanke, welcher hinter jenem Zittern stand, war ungeheuerlich und Gracchus wusste, dass sie beide dafür am Felsen hängen und Ethon erwarten würden, war es doch der Schwur vor Iuppiter, welchen sie damit brechen würden. Doch musste nicht gerade Iuppiter sie vertehen, war er nicht selbst der Homoscus Maximus? Dennoch, Gracchus konnte nichts darauf antworten, denn alles was in ihm währte war Zweifel und Unwissenheit. Bis zu jenem Augenblick, als Aquilius vor ihm war und verlangte, was nur ihm zustand. Seine Berührung durchführ Gracchus wie ein Schlag, die bronzene Statue des Iuppiter fiel zu Boden und blieb mit einem dumpfen Schlag dort liegen, das Gesicht hinauf zur Decke gewandt, hinauf zu ihnen, sie beide unverwandt beobachtend. Längst aufgestaute Begierde, nur mäßig an Sciurus abgegeben, bahnte sich ihren Weg hinauf aus Gracchus' Herz bis hin zu seinen Lippen. Noch immer hielt Aqulius ihn fest an den Schultern und Gracchus umfasste die Hüften seines Vetters, zog ihn eng an sich, so dass ihre Leiber sich endgültig berührten. Einmal noch, es wäre so leicht, es war so leicht, sich zu vergessen, einmal noch, es war so leicht jeden Zweifel, jeden Rest von Bedenken endlich beiseite zu schieben, die letzten Vorbehalte zu ignorieren, geschehen zu lassen, was geschah. Gracchus Hand fuhr hinauf, über Aqulius' Rücken und Hals hinauf in dessen Haar, dieses Haar, so weich wie tausend Morgen, er berührte Caius, er atmete Caius ein, er schmeckte Caius, er wollte Caius sein. Nichts war nun wichtiger, als mit ihm zu sein, mit ihm zu sein nur diese eine Nacht, nur diese letzten Stunden und dann nie wieder. Ama et fac quod vis!

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Ich hörte nicht, dass die Iuppiterstatue zu Boden fiel, ich hörte auch nicht, dass in der Villa einer der älteren Sklaven eine jüngere Sklavin auszankte, ich hörte weder das Zwitschern der Vögel vor dem Fenster noch das leise Scharren von Sciurus' Füßen im Nebenraum, wohin er von seinem Herrn geschickt worden war, um unser privates Gespräch nicht zu stören. Und selbst wenn die größte Ballista der Legionen neben uns abgefeuert worden wäre, ich hätte sie in diesem Augenblick ebensowenig gehört wie die Mauern von Jericho, welche vom Trompetenklang der anrückenden Feinde zusammengestürzt waren.


    Das einzige, was meine Welt noch beinhaltete, war Manius, und er allein, sein Atmen, die Hitze seiner Haut, die tastenden Lippen, welche die meinen endlich, endlich fanden, das Gefühl seiner in meinem Haar umher wühlenden Finger, all das begrenzte meine Aufmerksamkeit allein auf ihn. Ich nahm seinen Geruch war, so altvertraut und doch neu auf eine seltsame Weise, gemischt mit seinen Erfahrungen hier in Roma, gemischt mit der Zeit, in der wir uns nicht gesehen, einander nicht nahe gewesen waren, und mir wurde eines der größten Geschenke gegeben, die man als Liebender wohl erlangen durfte: Ich durfte den, den ich liebte, auf wunderbare Weise neu entdecken und doch so vieles sehen und erleben, das mir alt vertraut war. Unsere Zungen vereinten sich nach so langer Zeit wieder, und ich fühlte mich und ihn zittern, nicht nur vor Begierde auf seinen schlanken, vollkommenen Leib, sondern auch von Unsicherheit, von Vorsicht, Behutsamkeit und dem Wunsch, den Geliebten nicht zu grob zu berühren.


    Als wir in Richtung seines Bettes sanken, ächzte dieses leise unter der Last unserer beider aneinander gepressten Körper, und auch dies nahm ich kaum wahr, lauschte ich doch auf Manius' schneller gewordenen Atem, auf das leise Seufzen, welches mich und ihn vereinte, halb schob ich mich über ihn und ließ meine Finger über sein Gesicht gleiten, barg das Gesicht meines Geliebten in meiner Hand und betrachtete ihn lange, ohne etwas zu tun. Nur einmal noch, vor seiner Vermählung, dann wollte ich ertragen lernen, dass er nicht mir gehören konnte, nur ein einziges Mal noch den Geist der Vergangenheit beschwören und aufhören, ich selbst zu sein, hingegeben ihm und mir, und eins zu werden, ohne mich vollkommen zu verlieren ... "Omnia vincit amor," wisperten meine Lippen an seiner Wange, und in diesem Moment fühlte ich mich so stark, als könnten wir wahrlich gemeinsam die Welt besiegen.

  • Es schien Gracchus, als würde er brennen, als müsste Aquilius brennen, und wahrlich, wahrscheinlich war dies so und Aquilius brannte mit der gleichen Leidenschaft, mit welcher auch in ihm die Flammen des Verlangens loderten. Aquilius' Körper schien Gracchus auf einmal so bedeutungsvoll, so wichtig, er wollte sich jeden Digitus von seinem Vetter genauestens einprägen, jedes noch so kleine Detail an ihm in seinen Gedanken formen, den Augenblick konservieren. Jede Stelle von der Stirn bis hin zu den Füßen, Gracchus wollte alles von ihm in sich aufnehmen, in sich bergen. Er wollte ihn in seiner Gänze, so als wäre dies das erste und gleichsam das letzte mal, denn auch wenn es ersteres nicht sein mochte, so sicherlich doch das letztere, und ohne daran zu denken, wie es sein würde, wusste Gracchus, dass es so nie wieder war. Aquilius Gesicht leuchtete warm im Licht der kleinen Flamme der Öllampe auf dem Tisch und Gracchus berührte dieses Gesicht, formte es für sich ab, die Brauen, die Stirne, die Schläfen, die gerade Nase entlang, die wunderbaren Lippen, die Kinnpartie, leichte Bartstoppeln unter seinen Fingerkuppen, die hohen Wangenknochen so stolz, der Haaransatz und das Haar, das wunderbar weiche Haar. Gracchus wollte darin schwimmen, sich darin verlieren, in Aquilius verlieren.
    Doch das, was er war, bahnte sich ungleich seinen Weg, angestoßen durch Aqulius' Worte, schwamm durch all jene unbeherrschten Gefühle, bis hinauf an die Oberfläche seines Selbst. Er schnaufte heftig, wie unter großer Anstrengung, doch er konnte nicht die Kraft aufbringen, sich gegen jene rationalen Gedanken zu wehren, die unnachgiebig und unerschütterlich die Oberhand gewannen, die nicht zu besiegen waren. So wandte er sich wieder von Aquilius ab, schob diesen erneut, zum zweiten Mal an diesem Abend, unter gewaltiger innerer Anstrengung von sich. Er wollte nicht weichen, er wollte nicht sprechen, doch die Worte quollen aus ihm heraus, wie aufgestautes Wasser aus den Öffnungen eines Dammes.
    "Verzeih mir, Caius, verzeih mir, denn ich bin nur ein Mensch. Schwach, und voller Begehren, Gier, Verlangen, nach dir, Caius, nur nach dir. Doch dies ist nichts, was sein kann, dies ist nichts, was bestehen kann, nichts was bestehen darf. Sprich nicht von Liebe, denn Liebe verträgt sich nicht mit dem was wir sind, Liebe hat in unserem Leben keine Berechtigung, sie hat keinen Bestand, denn sie hinterlässt nur Leere. Darum muss sie hier enden, Caius, ich bitte dich, versprich es mir, dass sie hier endet, denn wenn du es nicht tust, so werde ich es tun müssen, per Iovem lapidem. Wer sind wir, wenn wir uns nicht halten an das was wir von anderen verlangen? Was sind wir wert, wenn nichts uns aufhalten kann, nicht unser Selbst, nicht unser Name, nicht unsere Abstammung, nicht der Götter Fluch? Wie soll ich jemals wieder in dein Antlitz blicken, wie jemals in mein eigenes Spiegelbild, ohne vor Scham zu vergehen, ohne, dass die Schuld mich auffrisst? Magst du es können, doch ich kann es nicht, ich kann es nicht, Caius."
    Er schüttelte bedauernd den Kopf, Weh und Pein sprachen aus seinen Augen, aus seiner Stimme. Doch er stand auf, floh noch einmal vor seinem Vetter, floh durch den Raum, stellte sich mit dem Rücken zur Wand und wandte sich flehendlich an seinen Vetter.
    "Du musst gehen, Caius, du musste gehen. Ich bitte dich, geh, Caius."

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Warum? Seine Worte gruben sich in mein Innerstes wie reinste Säure, fraßen sich durch mein Herz und ließen nur noch den Schmerz zurück, mit dem ich seit Jahren gelebt hatte. Seit er nach Roma gegangen war, seitdem er mich alleine zurück gelassen hatte, meinen Weibern, meinem Wein und dem sinnlosen Geldausgeben anheim fallend, hatte es für niemanden mehr Platz in meinem Herzen gegeben, in jedem leisen Stöhnen, das über die Lippen einer Frau oder eines Mannes quoll, durch meine Zärtlichkeiten geboren, hatte ich ihn gehört, und ihn alleine.


    Als er sich erhob, ihn seine Schritte fort von mir trugen, war es, als wäre ich ein zweites Mal verlassen worden, und dieses Mal für immer. Nicht nur, dass er bald verheiratet wäre, nein, er wollte selbst, aus eigenem Wunsch, mir nicht mehr nahe sein. Dafür hatte ich all die Jahre gelebt, ihn wiederzusehen, ihm wieder nahe zu sein, dieses Lächeln noch einmal zu sehen, die halb geschlossenen Augen, das Kräuseln der Lippen, wenn er nachdachte und ihn etwas amüsierte - und nun sagte er mir, ich solle gehen? Es war das zweite Mal, dass er mir dies sagte, und dieses Mal konnte ich gar nichts mehr fühlen, als hätten seine Worte einen Mantel aus Eis auf mein Herz gelegt, in dem ich nun ersticken musste, ob es mir nun gefiel oder nicht.
    "Wenn ich meine Augen schließe, Dein Gesicht vor mir sehe, Manius, dann ist es mir gleich, ob Du Mann bist oder Frau, dann ist es mir gleich, dass wir derselben gens entstammen, dann ist nur Dein Lächeln wichtig, das Wissen darum, dass Du mich anblickst, als könntest Du erwiedern, was ich für dich empfinde, verstehst Du das? Dann kann mir kein Gott, kein Mensch nehmen, was ich fühle, was ich sehe, was ich höre und rieche. Glaubst Du, das alles hier ist jugendlicher Überschwang oder die Langeweile eines Mannes, der nicht hundert andere haben könnte?"


    Ich erhob mich langsam, eine knappe Geste in seine Richtung formend. "Ich kann damit leben zu wissen, dass Du heiratest, vielleicht auch noch irgendwie damit klarkommen, dass wir einander nicht gehören dürfen, aber verbiete mir nicht, dass ich für Dich fühle, Manius, denn ich würde mich lieber vom tarpeischen Felsen stürzen als dieses einzige Gefühl zu verlieren, das mich leben lässt, das mich nicht zur seelenlosen Hülle macht, die unter anderen Hüllen wandelt und sich nur noch mit luxuriösem Essen, teuren Frauen und noch teurerem Schmuck und Kleidung, mit in der Arena vergossenem Blut daran erinnern kann, dass man lebt, dass es etwas gibt, das darüber hinausgeht, was bloße Existenz ist." Mein Blick suchte den seinen, ich betrachtete seine Haltung, die mir mehr die eines Flüchtigen denn wie die eines aufrechten Mannes schien, vor mir flüchtend? Vor sich selbst geflohen? Ich wusste es nicht, ich wusste es nicht mehr, aber er würde es mir wohl auch nicht sagen.


    "Ich liebe Dich, Manius, und ich stehe dazu, und es ist mir gleich, ob mich die Götter dafür einen verdorbenen Menschen heißen, ob mich die Welt dafür hassen wird, ob die Menschen auf mich zeigen und mich einen schlechten Mann nennen, der nur nach seinem Verlangen agiert. Ich werde Dich immer lieben, solange ich noch atme, Manius, und Dein Wort allein soll mir gelten, wenn es um Nähe geht. Wenn Du die nicht ertragen kannst, will ich Dich nicht zwingen oder drängen, aber bitte, bitte verbiete mir nicht, zu lieben. Dann könntest Du mir gleich einen Dolch ins Herz rammen und hoffen, dass alles Gefühl mit mir stirbt." Langsam schritt ich in Richtung Tür, auch wenn ich bei jedem Schritt glaubte zu stürzen, ich es kaum vermochte, meine Füße zu heben, so elend und weh fühlte ich mich in meinem Inneren. Aber was sollte ich tun, gegen was sollte ich kämpfen, wenn er um sich selbst fürchtete durch mein Gefühl?

  • Gracchus wandte sich um, dem Regal an der Wand zu. Er schloss die Augen, biss die Kiefer aufeinander und massierte sich mit einer Hand die Nasenwurzel. Er wünschte sich, auch seine Ohren verschließen zu können, denn alles, was Aquilius sagte, schmerzte ihn so sehr. Es erinnerte ihn daran, wie unterschiedlich sie in manch seltenen Dingen waren, wie einfach sein Vetter sich gegen alles stellen konnte für ein Gefühl, für ein Gefühl, das zu Empfinden Gracchus zwar fähig, dessen Einzugestehen er jedoch niemals in der Lage sein würde, nicht einmal vor Aquilius. Jede Sekunde, die sein Vetter länger verweilte, ließ ihn mehr und mehr verzweifeln. Dieses Kapitel ihres Lebens würde sich nicht durch eine Ehe schließen lassen, was war schon eine Ehe in ihren Kreisen? Niemand würde Gracchus daran hindern, sein Vergnügen auch zukünftig mit anderen zu suchen, doch sein Vetter war nicht irgendein anderer, er war sein Vetter. Es stimmte, was er sagte, Gracchus konnte ihm nicht verbieten zu lieben, auch wenn er sich dies egoistischerweise um seinetwillen gewünscht hätte, doch dies konnte ein jeder nur für sich selbst. Er ließ die Hand sinken, die Augen geschlossen und blieb abgewandt. Seine rechte Hand hielt sich auf Brusthöhe am Regal vor ihm, er krallte die Finger regelrecht in das Holz.
    "So ... tue ich es ..."
    Es war nur ein stockendes Flüstern, womöglich nicht einmal laut genug, um bis zu Aquilius zu gelangen.
    "... per Iovem ... lapidem."
    Wieder biss er die Kiefer aufeinander, um nicht mehr zu sagen, nicht mehr sagen zu müssen, seine Worte zurück zu halten, das Flehen, das Klagen, das Verfluchen. Er hielt den Atem an, nur drauf wartend, dass Aquilus das Zimmer verlassen, die Tür schließen würde, ihn zurücklassend mit all dem was war und noch mehr mit dem, was nicht war.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Ich konnte ihn nicht ansehen, nicht mehr seine Stimme hören, diese geliebte Stimme, von deren Klang ich mir so viel anderes erhofft hatte als gerade diese Worte, ich wollte ihn auch nicht mehr sehen, jeder Augenblick seiner Gegenwart schnitt mir mit scharfen Kanten so tief in mein Innerstes, dass es dort nur noch Blut und Leid geben konnte. Hätte er mich nicht einfach töten können, erdolchen, vierteilen, ersticken, ersäufen? Alles wäre besser gewesen als die gemurmelten Worte, die seine Lippen kaum verlassen wollten, die meine Hoffnungen, Sehnsüchte und alles, was ich war und jemals sein würde, töteten und zu Boden trampelten, was einst im sonnigen, warmen Sommerlicht so vollkommen und wunderschön gewesen war. Ich schmeckte noch immer seine Lippen, roch seinen vertrauten Duft und doch war alles eiseskalt geworden, war ich in diesem Augenblick gestorben, als die Türe zu Gracchus' Zimmer hinter mir zufiel, ich an Sciurus vorbeischritt, ohne ihn zu sehen und nur noch fortlief, fort von ihm, von mir, von allem, was zerbrochen und zerstört war ...

  • Als die Tür des Raumes hinter Aquilius ins Schloss fiel, sank Gracchus langsam zu Boden. Er hatte alles zerstört, was zwischen ihnen gewesen, hatte zum zweiten Mal alles verloren, was ihm bedeutsam gewesen war. Er schlang die Arme um die Beine, spürte Kälte in sich aufsteigen, und fühlte sich so verlassen wie der kleine Junge, der er einst gewesen war, als man ihm eröffnet hatte, dass er in der Fremde in Achaia auf das Leben vorbereitet werden sollte. Aquilius hatte dort seine Sehnsucht gemindert, vom ersten Tag an, selbst als Dinge wie Verlangen und Liebe noch ihrem Spielzeug gegolten hatten.
    "Was habe ich nur getan?"
    Sein Kopf sank auf die Knie herab und Gracchus spürte, wie das salzige Nass, welches aus seinen Augen drang, dort langsam seine Tunika befeuchtete. Er hatte das Band zerstört, dass ihn näher an einen Menschen gebunden hatte, als an jeden anderen. Mochte er in den Spiegel sehen, mochte er die Maske seines eigenen verlogenen Lebens anblicken können, doch wie sollte er zukünftig Aquilius noch gegenüber treten? Wie sollte er jemals wieder mit ihm seine Gedanken teilen, wie losgelöst von allen Zwängen mit ihm scherzen, wie philosophieren und debattieren, ringen, banalen Kummer in Wein ertränken, Tris spielen, Ideen voranbringen, gemeinsam verwerfen, die Thermen besuchen, allein nur den selben Raum mit ihm teilen?
    "Caius!"
    Er schluchzte leise, doch Caius konnte ihn nicht mehr hören, Caius war längst fort, mit seinem eigenen Schmerz gegangen. So brachte nicht nur die Liebe nur Schmerz, sondern auch die Trennung, und Gracchus dämmerte die Erkenntnis, dass jene Beziehung bereits zum Scheitern verurteilt gewesen war, noch ehe sie vor Jahren begonnen hatte. Niemals wollte er noch einen Menschen wieder so nahe an sich heran lassen, wie er dies getan hatte, und doch nur so bitter dafür bezahlen musste. Die Liebe besiegt alles - hatten nicht auch einst die Römer über Carthago gesiegt, dabei die ganze Stadt jedoch zerstört? Die Liebe mochte gesiegt haben, allein dadurch, dass sie sich ihren Weg in Freiheit erkämpft hatte, und doch hatte sie alles zwischen Aquilius und Gracchus zerstört. Vielleicht konnten sie auf den Trümmern ihres Schlachtfeldes etwas neues erbauen, wie die Stadt, die in Africa längst wieder erblühte, doch dies würde nur die Zeit, würde nur die Zukunft zeigen. Gracchus indes glaubte nicht daran, er glaubte nicht an Neues, nicht an Zeit und Zukunft, nicht an den Phönix, der sich aus der Asche erhob. Seine Welt war einzig Asche.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Scirurus hatte die Zeit über vor der Türe gewacht, denn wenn der Herr im Haus war, stand er immer nur für jenen bereit. Er hatte gewacht und seine Ohren verschlossen, obwohl ohnehin keines der gesprochenen Worte aus dem Zimmer gedrungen war. Nur einmal hatte er einen dumpfen Schlag gehört, doch Sciurus wusste, dass sein Herr ihn rufen würde, wenn er seine Dienste benötigte. Einen Raum niemals unaufgefordert zu betreten, wenn der Herr einen fortgeschickt hatte, diese Lektion hatte er in jungen Jahren bereits gelernt und niemals vergessen.


    Er saß noch immer wartend, als Aquilius den Raum verließ. Eilig, überhastet, so schien es ihm, ohne ein Wort. Sciurus lauschte, konnte jedoch die Stimme seines Herrn nicht vernehmen. Unentschlossen wachte er weiter vor der Tür, doch als der Tag sich endgültig dem Ende neigte und jene Zeit gekommen war, zu welcher der Herr üblicherweise zu Bett ging, öffnete Sciurus leise die Tür und schob sie einen Spalt auf. Es dauerte, bis er Gracchus im Zimmer ausmachen konnte. Jener saß auf dem Boden vor der Wand, die Arme um die Knie geschlungen und den Kopf darauf gelegt. Sciurus schob sich langsam durch die Tür und schloss diese leise. Er kannte die leidenschaftlichen Seiten seines Herren aus jenen Stunden, in welchen er das Lager mit ihm teilte, doch ansonsten zeigte er sich selbst ihm gegenüber immer beherrscht, ruhig und ohne zu offenbaren, was er fühlte. Der Sklave trat auf seinen Herrn zu. "Herr? Es ist spät."

  • Irritiert hob Gracchus langsam seinen Kopf. Er hatte den Sklaven nicht eintreten gehört, nicht näherkommen.
    "Spät, wie wahr. Es ist zu spät."
    Er hob seine Hand und wischte sich über die Augen. Doch die Tränen waren längst versiegt, längst eingetrocknet. Einzig die rote Färbung seiner Augen verriet ihn. Er stützt sich am Regal, zog sich nach oben, wagte jedoch nicht einmal Sciurus anzusehen. Was war nur aus ihm geworden, der er sich selbst vor den Blicken eines Sklaven schämte?
    "Geh, Sciurus. Ich brauche dich nicht mehr. Ich möchte heute nacht alleine sein."
    Ein Stich fuhr durch sein Herz, brachte ihm die Weisung doch seine Worte an Aquilius wieder in den Sinn. Doch nicht für eine Nacht, nicht für eine messbare Zeit hatte er jenen aus seinem Leben geschickt, sondern für alle Zeit auf dieser Welt. Weshalb hatten sie nicht weiterleben können wie bisher, in stillem Einverständnis, in stillem Verlangen, unerreichbar, doch immer in Hoffnung? Weshalb mussten sie fordern, was ihnen nicht zustand und damit selbst die Hoffnung zum Sterben verdammen? Gracchus sah nicht das Zögern seines Sklaven, sah nicht das leichte Nicken, er hörte nur die Schritte, die sich entfernten und die Tür, welche sich hinter jenem schloss. Augenblicklich sanken Gracchus' Schultern wieder herab und er musste alle Mühe aufwenden, die notwendige Kraft aufzubringen, um sich zu seinem Bett zu schleppen. Er ließ sich schwer auf das Bett fallen, jenes Bett auf welchem vor kurzem sein Vetter zum Greifen nah gewesen war, in dessen Laken er noch den nachklingenden Duft der Begierde roch. Gracchus bückte sich um die Statue des Iuppiters in seine Hände zu nehmen, welche noch immer vor dem Bett auf dem Boden lag.
    "Wieso?"
    Ein stiller Vorwurf schwang in seiner Stimme an den Gott mit, doch für mehr Worte fehlte ihm die Kraft. Es drängte ihn danach, die Statue in einem Ausbruch der Empörung an die Wand zu schleudern, dem reissenden Verlangen in seinem Herzen Luft zu machen, doch er stellte die Figur nur energisch auf dem kleinen Tisch ab und wandte sich von ihr. Er löste die Riemen seiner Sandalen und streifte seine Tunika über den Körper um sich in das Laken zu wickeln, welches Caius voll bitterer Erinnerung getränkt zurück gelassen hatte. Es war ihm gleich, dass er am nächsten Morgen ungewaschen und ungepflegt aussehen würde, wie die Larvae, die des Nachts herumspukten. Doch an Schlaf war ohnehin nicht zu denken. Wieder und wieder drängte sich nur ein Gesicht in seine Sinne, wieder und wieder brach die Erkenntnis über ihn herein, dass er zerstört hatte, was er liebte, dass er sich selbst zerstört hatte, und noch schlimmer, dass er den zerstört hatte, den er liebte. In der Nacht sind alle Katzen grau, und Tränen verschwimmen mit der Dunkelheit. Dies war es, weshalb Gracchus ihnen nun ihren freien Lauf ließ, und es schien, als würden all jene Tränen nun aus ihm herausfließen, welchen er sein Leben lang die Freiheit verweigert hatte. Der letzte Gedanke, der ihm noch in den Sinn kam, bevor er endlich Schlaf finden konnte - beinahe schon mit Beginn des neuen Tages - dies war ein Carmen des Catull, welches Gracchus schon in jungen Jahren zum ersten mal gelesen und nie vergessen hatte. Immer war es ihm wie voll von Schmerz erschienen, auch wenn ein Dichter sicherlich bereitwilliger Tränen von sich ließ, als ein Patrizier. Dennoch, niemals hatte er es in seinem eigenen Leben verwenden wollen, und doch schien es ihm nun, übermannt von Mattigkeit, geschlagen vom Schicksal, in verlorener Hoffnung so wahr, wie sonst kaum etwas.

    Ach so früh, so früh der Bruder dem Bruder geraubt
    Nimm lieber Bruder mein Opfer von Tränen nass
    und lebe wohl, leb wohl auf ewig.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Fein säuberlich stapelte Sciurus Wachstafel um Wachstafel auf Gracchus' Tisch, fuhr mit dem Finger über die Kanten um sie exakt aneinander auszurichten und legte den Kopf schief um das Gesamtwerk zu betrachten. Mit dem Daumen fuhr er nochmals über die Unterkante der obersten und zweiten Wachstafel, um jene, welche obenauf lag, auszurichten, und brummte schließlich zufrieden. Hernach wandte er sich dem Bett zu, blickte auf jenes herab und hielt in jeglichem Tun inne. Er war nicht nur einfacher Sklave für seinen Herrn, bis vor kurzem hatte er beinahe jede Nacht das Lager mit ihm geteilt, und sich auf diese Weise durchaus den ein oder anderen Vorteil gesichert. Seit der Nacht jedoch, in welcher der Vetter des Herrn, Flavius Aquilius, das Cubiculum verlassen, und Gracchus den Sklaven später hinausgeschickt hatte, seit jener Nacht war dies nicht mehr geschehen. Die erste Nacht hatte Sciurus auf dem Hocker vor der Tür gewacht, auch die zweite Nacht war so vergangen. Am darauffolgenden Abend hatte der Herr ihn in das Zimmer geholt, doch für Sciurus war nicht der Platz an seiner Seite vorgesehen. Immerhin war es nicht soweit gekommen, dass der Herr ihn in die Sklavenkammer schickte, doch Sciurus sorgte sich. Nicht um seinen Herren, sondern um seine eigene Zukunft. Natürlich hatte Sciurus beileibe viele Vorzüge, doch durch keinen war der Herr so leicht zu lenken, wie durch seinen Körper.


    "... sonst bin ich wohl vom Neide frei, doch hier da muß ich dich beneiden, sie koset dich und liebt dich treu, bei mir verhöhnt sie meine Leiden ..." Die Zeilen fanden wie von selbst ihren Weg in seinen Mund und führten dazu, dass ein Schaudern durch seinen Körper zog. Zuviele Stunden hatten sie versüßt, um noch frei von jeglichem Empfinden zu sein. Sciurus beugte sich zu der Schlafstätte seines Herrn und richtete Kissen und Decke, bevor er nach einem letzten Blick das Cubiculum verließ, um dafür Sorge zu tragen, dass bei der Rückkehr des Herrn aus dem Palatium Augusti das Abendmahl bereit stehen würde.

  • "Caius!"
    Schweißüberströmt schreckte Gracchus aus dem Schlaf auf, schwer atmend, die Augen weit aufgerissen, sich im trüben Licht des nahenden Morgens desorientiert umblickend. Das Bett neben ihm war leer. Selbst wenn Sciurus sein Lager die ganze Nacht hindurch teilte, so stand der Sklave schon weit vor Sonnenaufgang auf, um seinen morgendlichen Pflichten nachzugehen. Er war es auch, welcher bereits eine kleine Lampe entzündet hatte, deren weiches Licht sich mit den ersten Strahlen des Tages vermischte und das Zimmer in einen warmen Schein tauchte. Doch Sciurus war nicht derjenige, welchen Gracchus neben sich erhofft hatte. Langsam klärten sich seine Sinne, doch der Schrecken des Traumes blieb haften, hielt sein Herz umklammert auch im Bewusstsein der Realität, war jene doch kaum besser. In seinem nächtlichen Traum hatte Caius die Villa verlassen, hatte Rom verlassen, um nie wieder zurück zu kehren, und Gracchus hatte keine Worte, keine Tat finden können, welche ihn aufgehalten hätte und dabei nicht in Schande auf sie alle zurückgefallen war. Doch was brachte der Tag an Linderung des Schmerzens, was brachte der Tag an Erleichterung, da Caius nicht fern und doch unerreichbar blieb? Gracchus hob die Hände vor sein Gesicht und vergrub dieses darin. Einige Minuten saß er nur schweigend da, beruhigte seinen Atem und drängte die Bilder vor seinen Augen tief in sein Innerstes hinab. So einfach es auch war, die Gegebenheiten am Tage zu ignorieren, hinter Pflichten und Arbeit zu verbergen, jede Nacht holten ihn seine vergebenen Sehnsüchte, unerfüllbaren Wünsche und verlorenen Hoffnungen wieder und wieder unbarmherzig ein, zerbarsten vor seinem inneren Auge und ließen ihn verstört, zerstört und zerbrochen in den nächsten Tag hinaus. Er schlug die Decke zurück und quälte sich mühsam aus dem Bett. Seine Glieder waren schwer und es schien ihm, als hätte er keine Stunde geschlafen. Trotz der kurzen Tage des Winters würde ihm der kommende endlos erscheinen, wie so oft, wie all die vergangenen Tage, seit er seinen Vetter seines Lebens verwiesen und eine Frau an seiner Seite wusste, die er nur ein einziges Mal angerührt hatte. Gracchus hoffte inständig, dass zumindest Vitumnus Gnade mit ihm haben, und ihm im Ausgleich zu all den nächtlichen Qualen wenigstens einen Sohn schenken würde.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • "Hmm."
    Mit den Fingern seine Unterlippe knetend, lehnte sich Gracchus zurück und betrachtete den Steckkalender vor sich auf dem Tisch. Weniger die Tage waren für ihn von Interesse, als der begonnenen Monat ganz generell. Ohne seine Hand sinken zu lassen, wandte er sich seinem Sklaven zu, welcher wie üblich auf einen Stuhl an der Wand bereit saß, um jederzeit jegliche Wünsche seines Herrn zu erfüllen.
    "Du möchtest an den Saturnalia die Villa nicht verlassen, oder Sciurus?"
    Es war eine Frage, deren Antwort bereits gegeben war, daher schüttelte der Sklave nur andeutungsweise den Kopf und ließ das erwartete "Nein, Herr." von sich vernehmen.
    "Gut. Es ist an der Zeit, dass sich die Hausgemeinschaft ihrer Pflichten bewusst wird. Dass mehrere flavische Familien unter dem Dach dieser Villa gemeinsam wohnen, dies zeigt die Verbundenheit unserer Gens und dies soll uns als Anlass dienen, die Saturnalia mit einem großen Festmahl zu feiern. Nun, du weißt um die Tradition, einigen Ausgewählten wird ebenfalls ein Platz am flavischen Tisch gewährt. Du wirst einer von diesen sein und die übrigen auswählen, ich vertraue dabei ganz auf dein Urteilsvermögen. Zudem muss das Fest organisiert werden, wir werden Freie benötigen, welche uns an diesem Abend servieren. Je früher diese eingekauft werden, desto besser ist die Auswahl und desto besser wird die Qualität sein."
    Einige Minuten vergingen in Stille, während der Gracchus die Decke anstarrte und darüber nachdachte, was sonst zu bedenken sei.
    "Möglicherweise kann Felix einen Brief an Aristides' Kommandanten senden und für ihn eine Freistellung vom Dienst erwirken. Es wäre äußerst deplorabel, wenn er nicht an diesem Fest teilnehmen könnte, vor allem, da seine Kinder hier sind. Und Caius ..."
    Ein schweres Seufzen entkam Gracchus' Kehle und er ließ endlich seine Hand sinken. Traurig schüttelte er den Kopf, vielleicht würde auch sein Vetter seinen Anblick ertragen können, wenn der Rest der Gens zusammenfand. Er schluckte jedes weitere Wort seinen Vetter betreffend hinunter.
    "Nun, du weißt, was du zu tun hast."
    Wahllos griff Gracchus nach einer der Pergamentrollen, welche auf dem Schreibtisch lagen, öffnete sie und richtete seine Augen darauf. Doch es fiel ihm schwer, sich auf die geschriebenen Worte zu konzentrieren.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Der Abend dämmerte bereits, was dieser winterlichen Tage recht früh geschah, und Gracchus saß im goldenen Licht einiger Öllampen und prüfte die Finanzen des flavischen Familienvermögens. Manches mal fragte er sich, wie es nur möglich war, so viele Sesterzen anzusammeln und vorallem, wozu bei den Göttern sie jemals verwendet werden sollten. Doch es war nicht an ihm darüber zu entscheiden, eines Tages mochten sie durchaus zu etwas Nutzbringendem verwendbar sein. Er war im Begriff, eine lange Kolonne von Zahlen zu addieren, als Sciurus den Raum betrat und auf seine Aufmerksamkeit wartete. "Ein Brief deines Vetters Marcus Aristides, Herr." Gracchus legte den Griffel beiseite.
    "Wie erfreulich, was schreibt er?"
    "Summa summarum, dass er dir dankbar wäre, könntest du dich des jungen Serenus vorerst annehmen und ihn in den Cultus Deorum einführen."
    "Vorzüglich."
    "Mit Verlaub, Herr, da du dich gerade mit den Finanzen der Familie beschäftigst, es wäre womöglich angeraten, deinem Vetter einen Scriba nach Mantua zu senden. Es scheint, als hätte er seinen Brief einem Legionär diktiert, einem äußerst unfähigen Schreiber dazu."
    "Tatsächlich? Reiche mir das Schriftstück, Sciurus."
    Der Sklave gab Gracchus das Pergament und dieser begann den Brief zu lesen. Es zog ihm das Herz mehr als einmal zusammen vor Schmerz über die Schreibweise einiger Ausdrücke. Ein ersticktes Ächzen entkam schlussendlich seiner Kehle.
    "Bei den Göttern! Du hast Recht, Sciurus, wir sollten ihm einen Schreiber senden. Doch gleichsam liegst du falsch mit deiner Annahme, denn Aristides hat diese Nachricht selbst niedergeschrieben."
    Sinnierend blickte er auf das Pergament und sein Blick blieb an der Unterschrift haften.
    "Ich erkenne es an der Art, wie er seinen Namen schreibt, an diesem fein geschwungenen M, welches gleichermaßen Kraft, Entschlossenheit, Stärke, wie auch Eleganz und ... Stil ausdrückt. Man könnte dem Glauben verfallen, Aristides würde es zeichnen, in Muse auf das Pergament malen, doch ich habe es selbst gesehen, mit welch schwungvoller Hand er seine Unterschrift setzt, er schüttelt sie aus dem Handgelenk in gleicher Weise, wie er fähig ist einen Schwertstreich zu führen. Ich habe lange Zeit versucht, dieses M für mich zu kopieren, doch es ist mir nie gelungen, und ich frage mich, wie ein Mensch wie mein Vetter nur zu solch einem Buchstaben fähig ist. Doch wahrscheinlich liegt es eben daran, nur ein Mensch wie Aristides kann dazu fähig sein, womit feststeht, dass mir dies niemals möglich und auf alle Zeit verwehrt bleiben wird, weshalb ich wohl oder übel an meinem eigenen M hängen bleiben werde, welches im Vergleich mit dem seinen nur wie ein fader Schatten wirkt."
    Seufzend ließ Gracchus den Brief senken. Er war in dieser Hinsicht frei von Neid, doch das große Maß an Bewunderung, welches er Aristides für diesen einzelnen Buchstaben entgegen brachte, verwunderte ihn selbst ein wenig.
    "Wie dem auch sei, sag Serenus Bescheid, dass er vorerst in Rom bleiben und dass er mich morgen früh zu den Tempeln begleiten wird. Er soll sich entsprechend vorbereiten und vor allem pünktlich sein, ich werde keine Verzögerung dulden."
    "Ja, Herr." Sciurus neigte den Kopf und verließ das Zimmer. Gracchus nahm noch einmal den Brief seines Vetters, las ihn und schüttelte immer wieder verzeifelt den Kopf. Schließlich legte der das Schriftstück beiseite und wandte sich wieder dem Vermögen zu.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Festen Schrittes trat Gracchus auf die Türe zu und streckte seine Hand aus, um sie zu öffnen. Doch einen Passus vor dem Griff hielt er zögerlich inne. Unsicher wandte er den Kopf nach Rechts, dann nach Links, um ihn schließlich auf das dunkle Holz vor sich zu richten. Wieder verließ ihn jeglicher Mut. Denn es war nicht die Tür zu seinem Cubiculum, sondern diejenige zu dem Claudia Antonias, zu dem seiner Ehefrau. Er biss sich auf die Unterlippe, haderte mit sich und der Welt, nur um sich schließlich abzuwenden und eiligen Schrittes zu seinem eigenen Cubiculum weiter zu gehen. Er schlug die Tür hinter sich zu, erbost über seine eigene Unfähigkeit, ließ sich schwerfällig hinter den Tisch sinken und stützte den Kopf auf die Hände. Ein tiefes Seufzen kletterte seine Kehle empor um sich schließlich in Freiheit zu flüchten. Unfähig war er, sich zu nehmen, was die eheliche Pflicht ihm gebot und was ihm zustand. Unfähig war er, sich auch nur ein wenig für sie interessant zu machen. Unfähig war er nicht zuletzt, sie zu lieben. Doch wie sollte er sich auch nur im geringsten einem Gefühl nähern, welches dem nahe kam, wenn sie ihn nur mit Missachtung strafte? Er wusste nicht mehr, was ihn schlimmer traf - der unterschwellig abweisende Tofall in ihrer Stimme, wenn sie mit ihm sprach, oder wenn sie tagelang nicht mit ihm sprach - der nur mäßig verborgen verachtende Blick, den sie ihm schenkte wenn sie ihn ansah, oder wenn sie ihn tagelang nicht sah - die Farce, welche sie aller Welt vorspielte, wenn sie ihn begleitete, oder wenn sie eine Verstimmung vorschob, um dies nicht tun zu müssen. Er wusste es nicht, er wusste auch nicht, was er erwarten sollte, was er erwarten konnte. Er wusste nur, dass ihn diese Ungewissheit mehr bedrückte, als jede Sicherheit. Ihm fehlte ein Vorbild, denn das Bild der Ehe seiner eigenen Eltern war längst verblasst und Achaia hatte ihm keinen Ersatz geboten. Das Schlimmste jedoch war, dass Monate seit der Hochzeit und dem Vollzug der Ehe vergangen waren und Antonia keinerlei Anzeichen zeigte, seinen Erben in sich zu tragen. Dies machte weitere Schritte notwendig, doch es konnte nicht soweit kommen, wenn er nicht dazu fähig war, ihr Gemach zu betreten. Gracchus verschränkte die Arme auf dem Tisch und ließ seinen Kopf darauf sinken. Die Pflichten lasteten manches mal so schwer auf seinen Schultern, so viele von ihnen hatte er wieder und wieder verdammt, doch keine einzige war ihm jemals so schwer gefallen wie die Bürde dieser Ehe.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Völlig verkatert und immer noch schlechter Stimmung schritt Marcus durch die Villa Flavia. Seinen Blick hatte er auf den Boden gerichtet, seine Augen sahen die wunderschönen Mosaike und Marmoreinlegearbeiten nicht, ebenso wenig die Sklaven, die ihm hastig auswichen. Wie schon zuhause und in Baiae trug er nur eine dunkelrote Tunika und seine Haussandalen. Den Barbier hatte er am Mittag kommen lassen, die Tortour des Rasierens hinter sich gebracht- dieser schien heute bei Marcus Laune auch um sein Leben zu bangen, aber der Sklave war von Flavius Felix schlimmeres gewöhnt. Die dünnen Sonnenstrahlen im Säulengang bemerkte Marcus auch nicht, ihm war das Wetter heute herzlich egal. Jeder Schritt, der ihn weiterbrachte, besorgte ihn, schien ihn jedoch der Lösung immer näher zu bringen. Denn sein Ziel war Gracchus Zimmer. Natürlich hoffte Marcus, daß er weder Gracchus weckte, noch ihn in einer seltsamen Situation vorfand, sprich mit einem Mann bei sich. Marcus wußte ja schon länger um Gracchus Neigung, aber direkt in eine solche Situation zu kommen, würde ihn mehr als betreten machen, es wäre ihm glatt peinlich. Aber er mußte mit seinem Vetter sprechen, denn seine Rückreise stand baldig an.


    So stand er plötzlich vor der Tür, sah auf das Holz und den Türgriff. Jede Holzmaserung wurde gemustert und Marcus überlegte, ob das überhaupt sein mußte. Es mußte! Gracchus war der brillante Geist in der Villa, zwar hätte Marcus auch mit Milo sprechen können, aber der war wieder mal nicht aufzutreiben. Ein Lächeln huschte über Marcus Gesicht, denn er hatte fälschlicherweise den Verdacht, daß Milo verliebt war und deswegen so oft außer Haus. Sein kleiner Ziehbruder ist wohl tatsächlich groß geworden. Na ja, eigentlich wußte Marcus das schon länger. Marcus hob seine Faust und klopfte kräftig gegen Gracchus Tür, eine unschöne Angewohnheit, wenn man Militärgeräusche und die Stupidität mancher Soldaten übertönen wollte. Ungeduldig mit einem Mal wartete Marcus, ob Gracchus überhaupt in seinem Zimmer war.

  • Es kam äußerst selten vor, dass dies vor kam, doch manchmal kam es tatsächlich vor, dass Gracchus an den Nachwirkungen des Weines litt. Der Tag nach der Saturnalienfeier bedingte eben dies. Im Grunde genommen hätte Gracchus seinem Sklaven zürnen müssen, da dieser auf solch unverschämte Art und Weise sein Amt des Rex Bibendi pflichtbewusst ausgeführt hatte, doch das familäre Fest war genau so verlaufen, wie Gracchus es sich gewünscht hatte. Nun, womöglich nicht ganz, und er würde dies auch niemals vor irgendwem zugeben, nicht einmal vor Sciurus, doch es war ein äußerst spaßiger Abend gewesen, einer, wie ihn sich Gracchus sonst extrem selten zugestand. Dennoch kämpfte er mit der leichten Taubheit des Kopfes, dem schalen Geschmack auf der Zunge und dem dumpfen Nebel, der seine Sinne umklammert hielt, welche noch nicht wieder gänzlich ihm zu gehören schienen. So saß er an seinem schmalen Tisch und las die Zeilen auf der Wachstafel vor sich, ohne sie tatsächlich zu lesen. Den Weg in sein Arbeitszimmer hatte er sich direkt gespart, war es doch ohnehin unsinnig, einer ernsthaften Arbeit nachgehen zu wollen, doch ebenso wenig konnte er untätig herumsitzen, Feiertage hin oder her. Zwar hatten die Tempel an diesen Tagen geöffnet und der Cultus Deorum viel zu tun, doch da er das offizielle Opfer gleitet hatte, hatte Gracchus am zweiten Tag der Saturnalia keinen Dienst zu verrichten. Stattdessen saß er über der Nachprüfung der Aufstellung der Einnahmen des flavischen Familienvermögens über das sich dem Ende zuneigende Jahr hinweg. Mehr, als darüber zu sitzen, tat er jedoch nicht. Gerade war er im Begriff mit seinem Blick durch die Tabula und den Tisch hindurch zu sehen und zu blinzeln, um zu verhindern, dass seine Augenlider sich möglicherweise wie von selbst schlossen, da donnerte es an der Türe, als würde der oberste Gott seinen Blitz selbst ankündigen wollen. Gracchus fuhr erschrocken zusammen und starrte an die Tür. Er wartete, dass sie sich von selbst öffnete, oder eher gehöffnet wurde, möglicherweise durch die Hand seines Sklaven oder eben von Iuppiter. Doch Sciurus war nicht im Zimmer, der Sklaven ging an diesem freien Tag seinen eigenen Geschäften nach, und der oberste Gott öffnete ebenfalls nicht. Gracchus fuhr sich mit der Hand über die Augen, schließlich durchs Haar, setzte sich gerade auf, streckte die Schultern durch und atmete schlussendlich einmal tief ein und wieder aus. Offizielle Besucher würden dieser Tage ohnehin nicht kommen, doch man konnte nie wissen.
    "Ja, bitte?"
    Womöglich war das ein wenig zu leise, zumindest schien es Gracchus so, obwohl es in seinen Ohren durchaus laut genug nachhallte. So versuchte er es denn noch einmal.
    "Ja, bitte?"

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Glasigen Blickes hatte Marcus die eisernen Beschläge an der Tür gemustert, reagierte erst einen Herzschlag nach Gracchus Aufforderung und öffnete die Tür. Mit einem Blick nahm Marcus wahr, daß er nicht in eine peinliche Situation geplatzt war, so trat er beruhigter in das Zimmer seines Vetters und schloß die Tür hinter sich. Er musterte seinen Vetter. Meine Güte, sah der scheußlich aus! Aber Gracchus hatte noch nie wirklich gut Wein vertragen, Marcus erinnerte sich mit dem Anflug eines Grinsens an so manch eine äußerst bizarre Begebenheit in Griechenland vor vielen, vielen Jahren. Und da Marcus in mancher Hinsicht einfach frei heraus sprach, tat er das eben hier auch wieder.


    „Du siehst scheußlich aus, Manius. Du solltest wohl nicht so viel trinken, Vetter. Aber trotzdem, guten Morgen!“


    Marcus zog einen Stuhl heran und nahm seufzend Platz, so viel bewegte ihn, so viel war zu klären. Aber womit anfangen? Also nahm Marcus etwas, was sich am Schnellsten erledigen ließ. Das Ganze war ihm jedoch äußerst unangenehm, mußte aber langsam mal in Angriff genommen werden. Daran führte kein Weg vorbei. Wenn er doch wenigstens seine Mutter hätte fragen können, wobei ihre Antwort ihm schon klar war. In dieser Hinsicht war seine Mutter sehr, sehr traditionell eingestellt, kam sie doch sogar aus einer älteren Patrizierfamilie als es die Flavier noch waren.


    „Ich brauche Deine Hilfe, Manius. Natürlich zum einen wegen dem Fluch. Ich muß bald wieder nach Mantua zurückkehren, aber ich würde nur mit einem schlechten Gefühl Rom verlassen wollen. Außerdem geht es um den Germanen. Und zuallererst möchte ich eine ganz andere Sache mit Dir besprechen. Vor einiger Zeit ist der Präfekt der Prätorianer, so ein Caecilier, Caecilius Crassus, glaub ich, aufgetaucht. Stell Dir vor, er hat um die Hand von Arrecina angehalten. Ich hab ihm natürlich gleich eine Absage gegeben. Aber er drängte auf mich ein und ich sollte noch mal darüber nachdenken, was ich ihm auch versprach. Also, was meinst Du, wie kann ich ihm am Besten eine Absage schicken? Was hältst Du von der ganzen Sache?“

  • Die direkte Art seines Vetters und sein eigener Zustand entlockten Gracchus ein hintergründiges Lächeln. Da nur Aristides herein gekommen war, gönnte er es sich, seinen Kopf wieder auf die Hand zu stützen und er rieb müde seine Schläfe.
    "Auch dir einen guten Morgen, Marcus. Ich würde zu meiner eigenen Verteidigung anführen, dass nicht ich es war, der Geschwindigkeit und Maß des Weines bestimmte, doch welchen Nutzen würde es bringen? Somit gebe ich dir nur Recht, denn es sind die seltenen Tage danach, an denen ich dies immer wieder selbst feststelle."
    Noch ehe er ihm einen Platz anbieten konnte, saß Aristides bereits auf einem Stuhl. Womöglich hätte dieses forsche Eindringen in seine Privatsphäre Gracchus an einem anderen Tage einen missbilligenden Blick abgerungen und ganz sicherlich hätte es dies bei einer anderen Person, doch Aristides in Kombination mit dem Tag nach dem Saturnalienmahl verhinderten beides, erst recht, nachdem sein Vetter ihn gleich im ersten anschließenden Atemzug um Hilfe bat. Noch eben versuchte Gracchus dem Gedankengang des Fluches in Verbindung mit dem Germanen zu folgen, da sprach Aristides ein gänzlich anderes und völlig unerwartetes Thema an.
    "Caecilus Crassus?"
    Natürlich hatte Gracchus den Namen bereits gehört, dies ließ sich in Rom kaum vermeiden. Er war sich nicht sicher, ob der Präfekt nicht selbst einst die Villa Flavia zwecks diverser Untersuchungen besucht hatte, doch zumindest bei der ein oder anderen Gelegenheit war er dem durchaus stattlichen Mann schon begegnet. Er sah einen nur schlecht zu versteckenden durchtrainierten Körper vor seinem inneren Auge, dem die Rüstung der kaiserlichen Garde nur allzu angemessen war.
    "Interessant. Als Praefectus Praetorio wäre er sicherlich keine schlechte Wahl."
    In einer langsamen Bewegung ließ Gracchus seine Hand ein Stück sinken und knetete seine Unterlippe.
    "Für eine andere Familie zumindest. In Hinsicht auf die Flavia und insbesondere deine Tochter ist sein Ansinnen völlig absurd. Er ist ein Empörkömmling, und der Wunsch in unsere Familie einzuheiraten zeugt von Mangel an Bescheidenheit. Ich kann dir nur in deiner Entscheidung ihn abzulehnen zustimmen, Marcus."
    Der leichte Nebel um seine Gedankengänge herum erleichterte es nicht unbedingt, über eine angemessene Form der Absage nachzudenken. Die Worte wollten äußerst sorgfältig gewählt sein. Schließlich jedoch schüttelte Gracchus ansatzweise den Kopf.
    "Keine Entschuldigungen und keine Rechtfertigungen. Am geschicktesten wäre, wenn du bereits einen passablen Gatten für deine Tochter in Aussicht hättest. Dies hast du nicht zufälligerweise? Wie dem auch sei, die Absage muss gleichzeitig deutlich und dennoch in gebotener Achtung formuliert sein."
    Er wandte seinen Blick von Aristides und blickte stattdessen schräg nach oben, dorthin, wo die gegenüberliegende Wand in die Decke überging, so als würden dort die Worte stehen, welche er nur noch ablesen musste.
    "Gruß, Heil und die gebührende Achtung eines treuen Patriziers, o Praefectus Praetorio! Seit deinem altruistischen Angebot meine Familie betreffend ist einige Zeit verstrichen, welche ich auf die umfassende Prüfung und die Reflektion eben jenes verwandte. Dennoch kann ich die dir bereits bekannte Entscheidung nur noch einmal bekräftigen, dass eine solche Verbindung weder adäquat noch zweckmäßig wäre. Da dies einen entgültigen Entschluss darstellt, ersuche ich dich darum, jenen zu akzeptieren. Weitere Anfragen sind zwecklos. Darunter eine übliche Grußformel, dein M.F.A. und das ganze auf Pergament, um sowohl die Dauerhaftigkeit deiner Entscheidung, als auch deine Hochachtung ihm gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Das sollte vermutlich ausreichen. Sag, hast du schon einmal darüber nachgedacht, Arrecina dem Cultus Deorum näher zu bringen? Meine Schwester Agrippina könnte sicherlich ein gutes Wort für ihre Aufnahme in den Orden der Vesta einbringen."

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Nicht der besten Stimmung streckte Marcus seine Beine aus und legte einen Arm auf Gracchus Tisch, nickte auf die Weinsache hin. Ja, Gracchus war wohl ein bisschen zu empfindlich, aber Marcus fand, er müßte nicht unbedingt weiter auf das Thema eingehen. Gracchus sah schon so oder so viel zu geknickt aus. Das war wohl der Nachteil, wenn man zu viele Schriften las. Man war eindeutig nicht trinkfest. Grüblerisch sah Marcus auf seine Füße, mit seinen Zehen wackelnd brummte Marcus leise und sah schlußendlich auf. Wer hatte wohl noch nicht von dem Caecilius Crassus gehört? Wenngeleich Marcus dem Mann vorher noch nie begegnet war, außer in der Villa Flavia.


    “Genau der. Oh bei den Göttern, das ist einfach eine unangenehme Sache. Ich meine, hätte sich der Präfekt nicht an die Tiberier wenden können, wenn er schon gesellschaftlich aufsteigen will? Ich hab gehört, daß die doch schon mal so was hatten, oder? Ach egal...hmh...!“


    Aufmerksam, so aufmerksam wie Marcus nach einer durchzechten Nacht und in so einem lädierten Zustand sein konnte, sah Marcus zu Gracchus und lauschte dessen Vorschlag. Suchend folgte Marcus dem Blick von Gracchus an die Wand. Da dort nichts war, blinzelte Marcus einige Male und sah wieder Gracchus an. Bewunderung schlich sich in Marcus Gesicht. Was für eine vortreffliche Wortwahl, was für ein Können mit wenigen Worten so viel treffendes- Marcus war sich jedoch nicht sicher alles verstanden zu haben- auszudrücken, und diese Kunst der Sprache. Versonnen lächelte Marcus und hörte mit dem Wackeln seiner Zehen doch nun auf. Altruierend?


    „Altruierend! Was für ein herrliches Wort, es klingt so...erhaben. Was heißt das, Manius? Weißt Du, manchmal, nur manchmal selbstverständlich, beeindruckt es mich doch, wie sehr man mit Wörtern spielen kann. Wie sehr Wörter den Sinn einer Aussage verändern. Ich meine, ich könnte sagen, daß ich in die Taberna gehen will und einige Becher kippen möchte. Oder ich sage, daß ich mich verlustrieren gehe. Ist das nicht ein grandioses Wort? Ich hab es von Hannibal. Verlustrieren, es klingt gleich schon nach einer gehoben und angemessen Tätigkeit, die tatsächliche Sache wird mit so einem kunstvollen Wort getarnt. Einfach schön! Es ist fast wie eine Melodie, wie beim Spielen eines Instrumentes, wenn die Seiten noch leise zittern und die Melodie in der Luft schwebt.“


    Marcus lächelte selig. Es war wirklich wie beim Musizieren. Das ihm das nicht schon früher aufgefallen war? Doch schnell schüttelte er jene Gedanken beiseite, das mußte am Kater liegen. Kopfschüttelnd seufzte Marcus. Vestalin? Ach herrje, es hatte inzwischen durchaus seinen Reiz, aber...aber...es war doch seine kleine Tochter, sein kleines Mädchen.


    „Nein...nein! Ich möchte das meiner Kleinen nicht antun. Sie soll doch mal Kinder haben können und verheiratet sein dürfen, in so...10 Jahren? Ich meine, sie ist doch noch viel zu jung...12...13?“


    Marcus kratzte sich am Nacken und dachte einen Moment über Arrecinas Alter nach, sie müsste bestimmt schon 13 sein, dabei wirkte sie doch so klein und zerbrechlich. Wie das kleine Mädchen von früher. Da fiel ihm noch was ein, eminent wichtig war das.


    “Kannst Du mir die Antwort vielleicht aufschreiben, Manius? Ich bekomm das nie so schön hin wie Du!“

  • Mit einer laschen Handbewegung, für welche er gerade noch genügend Kraft aufbringen konnte, fegte Gracchus die Unkenntnis seines Vetters bei Seite.
    "Altruistisch, Marcus, nicht altruierend. Du meinst sicherlich alternierend, also im Wechsel, abwechselnd. Altruistisch bedeutet selbstlos und uneigennützig, und etwas anderes wollen wir dem Praefectus doch nicht unterstellen, nicht wahr?"
    Natürlich war dies nicht so, doch es war nicht an Gracchus dies zu tun.
    "Worte können wunderschön und mächtig zugleich sein, dies ist wohl wahr. Doch wenn du sie synonym gebrauchst, mögen sie noch so erhaben klingen, sie verändern nicht den Sinn deiner Aussage, denn dies ist doch gerade Ziel und Zweck. Ob du dich zum Vergnügen in die Taberna zurück ziehst, oder zum Verlustieren, es bleibt die gleiche Tätigkeit, nur klingt es angenehmer und mit Bedacht gewählt."
    Gracchus hatte ein paar solcher Worte in seinem Wortschatz, doch er gebrauchte sie ebenso beiläufig, wie all die anderen. Dennoch war Sprache für ihn immer wie eine Melodie wenn der Sprecher es verstand, die richtigen Akzente zu setzen. Es war äußerst deplorabel, dass nur noch selten großartige Redner ihren Weg auf die Rostra fanden, selbst bei privaten Zusammenkünften leidete der Sprachgebrauch bisweilen, und er fragte sich, ob wohl die Diskussionen im Senat rhetorische Qualitäten erreichten. Doch die Überlegungen um Aristides' Tochter und deren Zukunft lenkten ihn von jener Fragestellung ab, welche Aristides ohnehin nur würde unzureichend, wenn überhaupt, beantworten können.
    "Bedenke die Vorteile des Cultus Vestales und denke daran, welche Kosten noch auf dich zukommen werden. Wenn du deine Tochter standesgemäß verheiratest, wirst du eine angemessen hohe Mitgift nicht vermeiden können."
    Er dachte an die Sesterzen, welche Antonia mit in die Ehe gebracht hatte, dies war kein geringer Betrag gewesen. Natürlich war jenes Geld unantastbar und brachte vordergründig wenig, war es als Mitgift doch darauf ausgelegt zu ruhen und erst dann Verwendung zu finden, wenn der Ehegatte nicht mehr unter den Lebenden weilte und seine Gattin so nicht mehr angemessen versorgen konnte. Doch war es Geld, mit welchem sich arbeiten ließ, und welches daher bei geschicktem Einsatz auch ruhend noch Vermögen abwarf.
    "Abgesehen von den Kosten für eine Hochzeit."
    Töchter brachten nur Kosten und Nachteile, wie es schien. So sehr Gracchus die Götter auch um einen Erben bat, um so mehr bat er darum, dass Antonia ihm keine Tochter gebären mochte. Dies nicht unbedingt nur aufgrund der Kosten und der nach sich ziehenden Mitgift, sondern auch und vorallem, weil er nichts mit einer Tochter würde anzufangen wissen. Wahrscheinlich würde er sie so bald wie möglich nach Achaia senden und früh eine Verlobung arrangieren, so dass sie kaum dem Kindesalter entwachsen sogleich in eine andere Familie einheiraten konnte. Der größte Vorteil der Töchter war, dass man mit ihnen vorteilhafte Verbindungen eingehen und stärken konnte. Da Aristides jedoch keinerlei Ambitionen jeglicher Hinsicht zu verfolgen schien, war es fraglich, welche Art der Verbindung ihm nutzen konnte. Von daher gesehen wäre eine Vestalin in der Familie sicherlich nicht verkehrt.
    "Nun denn, du musst es wissen, du bist immerhin ihr Vater. Falls du es dir doch anders überlegst, so sende nur eine Nachricht und ich werde mit Agrippina sprechen."
    Als sein Vetter ihn letztlich um den Gefallen bat, konnte Gracchus nicht verhindern, dass ihm ein Seufzen aus der Kehle entkam.
    "Direkt auf Pergament? Jetzt? Ich fürchte, mein Zustand lässt kaum ein adäquates Schriftbild zu."
    Entschuldigend hob er wie zum Beweis seine Hand, aus welcher das leichte Zittern nicht zu vertreiben war. Er nahm eine Wachstafel zur Hand, löschte die darauf notierten Aufzeichnungen, es handelte sich ohnehin nur um einige Berechnungen deren Korrektheit hinsichtlich seiner gegenwärtigen Konstitution zweifelhaft waren, und notierte die Worte, welche er zuvor für Aristides formuliert hatte.
    "Wie bald brauchst du den Brief? Ich gehe davon aus, dass diese Reminiszenz an den gestrigen Abend bis morgen verklungen sein wird. Es ist doch so, nicht wahr Aristides?"
    Ein wenig Sorge und Beklommenheit mischten sich in Gracchus' Tonfall. Aufgrund dessen, dass er solcherlei Erfahrungen nur äußerst selten durchlebte, hatte er kaum Vergleichswerte. Er erinnerte sich mit Grauen an ein ausuferndes Gelage in Achaia, von welchem zu erholen er Tage gebraucht hatte, doch dagegen war der Saturnalienabend eher maßvoll gewesen.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!