Medicus Germanicus Avarus
Casa Germanica
Rom, Italia
Mein liebster Medicus,
es scheint mir als könnte ich deine Stimme hören wie sie mir die dichterischen Worten ins Ohr flüstert! Ich fühle ich jung wenn ich deine Zeilen lese (auch wenn du sie nur geliehen hast), wie eine junge, verrückte Henne in einer Taberna in Tarraco, der ihr Herz bis zum Hals pocht weil ihr Vorgesetzter sie zum Essen eingeladen hat. Ach Medicus, mit dir bin und bleibe ich ein junges Mädchen, das sich jeden Tag aufs neue verliebt! Und ich vermisse dich, ich vermisse dich so sehr!
Aber was soll ich zu den Vorwürfen sagen, die du mir wegen Caius Erziehung machst? Im einen Satz schreibst du von Habgier, Machtsucht, Intriganz und Neid die in Rom herrschen, und im nächsten verlangst du, dass ich Caius in dieses Nest hinein setzte? Er ist noch so jung, Medicus, viel zu jung für dieses Spiel, das Bitterernst ist! Mein Vater, meine Brüder und Cousins sind in den Krieg gezogen, und du weißt wie sehr ich mich immer um sie sorge, und wie sehr ich mir wünsche, dass unser Sohn nicht diesen Weg geht. Aber ich kenne auch Rom nur zu gut und ich kenne den Krieg der dort geführt wird. Genauso wenig wie ich zulassen werde, dass jemand Caius in seinem Alter mit in die Legion nimmt, werde ich zulassen, dass du ihn in diesen Moloch ziehst. Natürlich soll er dich eines Tages begleiten, natürlich soll er von dir das Spiel der Politik lernen. Aber dazu braucht es Grundlagen und ein festes Fundament, dass er nicht schon nach den ersten Schritten stolpert und stürzt! Wie soll er begreifen was Politik ist, wenn er gerade einmal anfängt das Leben zu begreifen? Wie soll er den Versuchungen und Irrwegen der Macht widerstehen, wenn er noch jeder Süßspeise verfällt? Nein, Medicus, schau sie dir an die Männer, die Rom erzogen hat: machthungrig, gierig, rachsüchtig und bar jeden Verständnisses für die Dinge, die wirklich wichtig sind im Leben. Schau sie dir genau an, wenn du ihnen das nächste mal im Senat gegenüber sitzt. Und dann sage mir noch einmal, dass ich unseren Jungen nach Rom schicken soll bevor er auch nur die Chance hatte seinen Charakter zu festigen!
Caius ist übrigens gut angekommen in Alexandria. Was denkst du nur von mir, ich habe natürlich Vorkehrungen getroffen! Zum Glück hat ihm die Seereise gefallen und er hasst seine Mutter jetzt nicht dafür, dass sie ihn so lange an der Küste entlang schippern lässt, statt ihn quer über das weite Meer zu schicken. Er hat sich schon sehr gut eingelebt und ist ganz begeistert von der großen Bibliothek. Ich werde ihm schreiben, dass er dir auch Briefe über seine Fortschritte und Abenteuer schicken soll. Denn auch wenn er dich nur aus Erzählungen kennt bist du kein Fremder für ihn, Medicus, du bist sein Vater und er liebt dich abgöttisch.
Es freut mich sehr, dass es der Familie gut geht und dass das Leben in der Casa blüht. Auch wenn es mich betrübt, dass dein Leben davon ausgeschlossen scheint und dass du dich selbst vielleicht davon ausschließt.
Narbo ist natürlich ein Dorf verglichen mit Rom, aber durchaus vergleichbar mit Tarraco. Ein bisschen kälter ist es, aber immer noch warm genug. Jocasta und ich vergnügen uns auf den Märkten, in den Thermen und bei Abendgesellschaften. Das Leben hier ist so einfach, genau wie in Tarraco, nur dass es mit Jocasta nicht mehr ganz so leer ist.
Ich habe Einladungen bekommen aus Rom, zur Hochzeit meiner Nichte Seiana und auch die zu den Hochzeiten von Calvena und Sedulus. Ich habe lange darüber nachgedacht, meine Kisten zu packen und zumindest für einen Besuch vorbei zu kommen. Aber ich habe in der letzten Zeit viel länger über Rom und über uns nachgedacht und festgestellt, dass Rom keinen Reiz mehr auf mich ausübt. Ich fürchte mich regelrecht vor Rom, Medicus, davor dass das römische Leben mich überrollen würde. Ich lese die Berichte aus der Acta Diurna und Briefe über politische und gesellschaftliche Ereignisse, aber es ist alles so weit fort und so unbedeutend. Und so oberflächlich, so fadenscheing und irgendwie unecht. Ich war wohl zu lange fort und würde ich wiederkommen, so fehlt mir die Neugier, der Stolz und der Elan, mir meine Position in der Gesellschaft zu erkämpfen, wie ich es schon einmal tat. Natürlich bräuchte ich das nicht, ich bin eine Senatorengattin und Matrone, aber Bona Dea, noch weniger als das dumme Landei will ich ein gesellschaftliches Nichts sein, das sich auf dicken Kissen ausruht und nichts mehr zu sagen hat! Ach, das Leben in Rom ist so kompliziert und ich glaube, ich habe meinen Biss verloren, Medicus. Vielleicht ist Caius daran schuld (wie soll ich scharfzüngige Hiebe austeilen, wenn ich ständig um meinen Sohn fürchten muss?), vielleicht auch meine Herkunft. Denn viel mehr als eine scharfzüngige Schlange möchte ich eine Glucke sein.
Aber bei all dem vermisse ich dich so sehr und wenn du schreibst, wie sehr dich das Leben in Rom betrübt, dann gibt mir das nur noch mehr Anlass zu träumen. Erinnerst du dich an Mauretania, an Caesarea? An die wundervollen, weitläufigen, prachtvollen Marmorvillen und die herrlichen Gärten, in denen das ganze Jahr über die Brunnen glucksen und die schönsten und größten Blumen blühen? An die lustigen Tiere dort, deren Fleisch so leckere Gaumenfreuden bietet, an die saftigen, fetten Früchte und den vollmundigen, schweren Wein? Ach, Medicus, ich träume seit Jahren davon, dass wir uns dort eine Villa bauen, und wäre nicht jetzt der richtige Zeitpunkt? Du könntest deine Geschäftsinteressen nach Mauretania verlagern, oder vielleicht Senator Aelius bitten beim Kaiser ein gutes Wort einzulegen (immerhin ist er mit deiner Nichte verheiratet), denn Virginius Tricostus hat sich schließlich schon lange genug an der Provinz bereichert. Du könntest bei deinen Kindern sein, noch haben wir Zeit für einen ganzen Stall voll, und wenn unsere Söhne alt genug sind, dann können wir sie immer noch zur Familie nach Rom schicken, sie haben schließlich genug Onkels, die sie ebenso in die Politik einführen können wie du.
Ich vermisse dich so sehr, mein Medicus!
In Liebe,
deine Lucilla