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HORTUS ET PERISTYLIUM
Atrium | Tablinum | Triclinium | Exedra
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HORTUS ET PERISTYLIUM
Atrium | Tablinum | Triclinium | Exedra
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Max und ich hoffen, dass es in Ordnung ist, wenn wir das einfach mal erstellen, Meri?
Valeria gelangte von außen in den Garten. Die Wachen sahen sie zwar komisch an, kannten sie aber und wussten wohl vom Legaten, dass sie nicht gefährlich war.
Auf der Suche nach etwas, wo sie lange aushalten konnte, fand Valeria eine kleine Gartenlaube. Die unverkennbare Hand einer Frau war auch im Garten zu sehen und Valeria vermutete, dass Severa dahinter steckte. Durch den Sturm, der jetzt am Spätnachmittag immer noch dicke Regenwolken vor sich her fegte, ließ nicht nach und zerrte an Valerias Haaren. Sie setzte sich in der Laube auf den Boden, denn aus irgendeinem Grund standen keine Bänke darin.
Valeria zog die Beine an den Körper, umschlang sie mit ihren Armen und machte sich darauf gefasst, eine ganze Weile warten zu müssen.
Nun begann es auch noch zu regnen. Valeria zog den Umhang fester um die Schultern und sagte sich, dass es hier eh nicht reinregnen konnte. Gute zwei Minuten später wurde sie eines besseren belehrt, denn nicht nur das Dach war undicht, sondern der Wind drehte und peitschte den Regen beinahe waagerecht in den kleinen Pavillion. Valeria biss die Zähne zusammen, rührte sich aber nicht vom Fleck.
Das war sie Maximian schuldig.
Und sich auch.
Es war nicht kalt, aber es war ungemütlich hier draußen. Maximian wusste, warum er sich für diesen Tag auf sein Cubiculum hatte zurückziehen wollen. Nun stand er jedoch im Hortus, an seiner Tunika zerrte der Wind und der Regen peitschte ihm ins Gesicht, sodass sein Blick nur noch unnahbarer wurde, als er die Brauen zusammenzog.
Er schnaufte und sah sich daraufhin um. Obwohl es noch mitten am Tag war, war das Licht schwach und überall sah man Schatten. Ja. Valeria war nicht mehr hier. Maximian hatte es gewusst. Er biss sich auf die Innenseite seiner Unterlippe, ließ den Kopf in einem schwachen Nicken wackeln und wandte sich dann wieder herum.
Den neuerlichen Gang nach unten hätte er sich wohl sparen können.
In diesem Moment nieste es. Valeria würde wohl einen Schnupfen bekommen, wenn sie länger hier auf dem Boden saß und sich vollregnen ließ. Langsam begann sie an sich selbst zu zweifeln. Wie lange hatte sie nun schon hier gehockt? Eine halbe Stunde, eine, zwei? Sollte sie gehen oder würde Maximian kommen?
Ein Niesen. Er hatte gerade eine Tür öffnen wollen, als er es gehört hatte. Die Hand schon an der Tür, verharrte er nun doch nochmal und nahm schließlich die Hand zurück. Warum er nicht doch reingegangen war, wusste er nicht.
Ähnlich wie eben stand er nun da und lauschte in den Garten. Sie sehen würde er nicht, deswegen unternahm er auch gar nicht den versuch, den Blick nochmals schweifen zu lassen. Er öffnete seine vorher zur Pfaust gehaltenen Hände und schloss sie dann wieder, ehe er sich einen Ruck gab.
"Du.... holst dir noch den Tod, wenn du länger hier draußen sitzt."
Sei Tonfall war ähnlich neutral gewesen wie vorhin, doch diesmal stand er da mit halb geneigtem Kopf. Der Anblick mochte etwas vortäuschen, was so gar nicht stimmte. Wenn man genau hinsah, biss er die Zähne in jenem Moment so fest aufeinander, dass die Kiefermuskeln unter der Haut zu tanzen begannen.
Valeria hatte sich gerade dazu durchgerungen, noch so lange sitzen zu bleiben, wie ein Herz braucht, um einhundert Mal zu schlagen, da hörte sie außer dem Rauschen des Windes plötzlich eine Stimme, die ihr ob der durchaus angenehmen Temperaturen eine Gänsehaut bescherte. Er war also doch gekommen. Valeria seufzte erleichtert auf und schloss einen Moment die Augen.
"Bin ich für dich nicht schon gestorben?" fragte sie ihn leise und mit ruhiger Stimme. Sie wollte ihn nicht beschuldigen. Das war durchaus eine ernst zu nehmende Frage gewesen, die sie da gestellt hatte. Valeria stand nicht auf und ging zu Maximian hin, sondern blieb sitzen und wartete. Die Hauptsache war, dass er mit ihr sprach. Sie wollte ihn jetzt nicht in die Enge treiben, indem sie zu ihm ging.
Auf ihre Frage hin wusste er nichts zu erwidern. In gewisser Weise sprach sie das aus, worin all seine Gedanken und Gefühle ins Ergebnis mündeten. Seine Valeria war sicher nicht mehr da. Sie hatte einer anderen Platz gemacht. So seufzte er nur und ließ die Schultern ein wenig herabsacken, weil sie ihm gerade so schwer vorkamen.
"Was willst du hier?", fragte er, ohne auf ihre Frage einzugehen. Was sie für ihn bedeutete, das spielte doch keine Rolle mehr.
Valerias Hände wurden feucht. Sie atmete gezwungen gleichmäßig ein und aus und überlegte sich, was sie darauf erwidern sollte. Ihr Kopf allerdings blieb leer und die perfekte Antwort auf seine Frage wollte nicht kommen. So sagte sie, nach einer kurzen Pause, in der das Stürmen des Windes die Stille erfüllte:
"Ich bin gekommen, um mit dir zu reden. Und um mich zu entschuldigen."
Sie war gekommen, um sich zu entschuldigen. Maximian schmunzelte, aber es war ein bitteres Schmunzeln. Er wollte keine Entschuldigung hören. In seinen Augen war nichts zu entschuldigen. Immerhin erwartete sie nicht, dass er ihr verzieh.
Er fürchtete sich beinahe vor dem, was kommen würde. Am liebsten hätte er kehrt gemacht und sich wieder dem Buch gewidmet. Er wollte nicht, dass sie ihn ihretwegen leiden sah. Verstecken, ja. Er konnte seine Gefühle hinter einer steinernen Maske verstecken, darin war er so langsam geübt und es half zumindest bei anderen ganz gut. Valeria würde ihn jedoch so oder so durchschauen. Ein versteinerter Maximian war kein glaubwürdiger Maximian.
"Da gibt es nichts mehr zu bereden", sprach er mit ruhiger, toternster Stimme und hielt den Kopf noch immer leicht gesenkt. Damit war wohl klar, dass er sie nicht aufgesucht hätte. Nun war sie allerdings hier und saß dem Wetter ausgeliefert in "seinem" Hortus. Wegschicken lassen würde sie sich nicht, dass hatten sie ja eben schon gehabt. Wieder gab Maximian sich einen Ruck, suchte sich unter dem hervorstehenden Dach der Regia eine Steinbank und ließ sich auf diese nieder. Rücken und Kopf an das Mauerwerk gelehnt, wurden seine starr ruhenden Augen Zeugen des Spießrutenlaufes dort oben am Himmel, wo die Wolken unheilvoll und in Fetzen über den Himmel zogen.
Ein seltsamer Anblick und ein noch seltsameres Gefühl, das dort oben zu beobachten. Beinahe fühlte es sich so an, als wäre er ein Teil des Spektakels.
Es gab nichts mehr zu bereden. Und damit hatte er wohl auch recht. Valeria senkte den Kopf und schloss die Augen. Welchr Teufel hatte sie da nur geritten, dass sie überhaupt hierher gekommen war? Es war zu Ende, aus, Schluss, vorbei. Und sie war nicht gekommen, weil sie hoffte, alles wieder rückgängig machen zu können.Sie wusste, dass sie das nicht konnte. Ob sie es überhaupt wollte, wusste sie allerdings nicht. Sicher, Maximian und sie hatten viel zusammen durchgemacht. Allein deswegen war es schon unfair, wie sie ihn in ihrer Unwissenheit über seinen Verbleib behandelt hatte. Eigentlich hätte die Vergangenheit allein schon ausgereicht, um zu begründen, dass sie zusammen gehörten. Sie war diejenige, die sich nicht daran gehalten hatte. An das ungeschriebene Gesetz, das Schicksal, die Fügung. Wie auch immer man es bezeichnen mochte.
Valeria hob den Kopf und stand auf. Mit steifen Schritten trat sie aus dem Pavillion hinaus in den Regen, der nun wieder senkrecht fiel und sich sofort ihres Haars und ihrer ganzen Gestalt bemächtigte. Suchend sah sie sich im Dämmerlicht um. Wo steckte er? Fast war sie versucht, fragend seinen Namen zu sprechen, doch sie unterdrückte diesen Impuls und ging stattdessen auf das Haus zu. Irgendwo musste er ja stecken.
Bereits nach wenigen Schritten hatte sie ihn gefunden. Maximian saß auf einer schmalen Bank unter einer Art Vordach. Valeria blieb stehen. Ihr Herz klopfe wie von Sinnen und sie zitterte leicht, obwohl ihr nicht kalt war. Inzwischen hingen ihr die Strähnen nass vom Kopf. Sie sah sicher alles andere als anmutig und hübsch aus. Mit zaghaften Schritten ging sie schließlich zu ihm und setzte sich einfach neben ihn. Eine ganze Weile sprach sie nicht, sondern starrte wie er hinaus in den Regen. Dann...
"Es regnet genauso wie damals bei Mummia und Aurelius", stellte sie leise, fast flüsternd fest. Nach zwei, drei Herzschlägen wandte sie den Kopf und sah Maximians Profil an.
Wie konnte die Nähe eines Menschen gleichzeitig so vertraut und doch unangenehm sein? Unangenehm. Wann hatte er sich je schonmal nicht wohl gefühlt, wenn Valeria in seiner Nähe gewesen war? Das musste heute das erste mal gewesen sein.
Sie saßen eine Weile lang stumm nebeneinander und es war wirklich so, als gäbe es einfach nichts mehr, das die Stille würde übermalen können. Maximian hätte sich nicht gewundert, wenn sie einfach aufgestanden und gegangen wäre. Dann wäre es ihr so wie ihm gewesen.
Aber dann sagte sie doch etwas und schlug damit ein Kapitel auf, das Maximian mit vielen anderen eigentlich fest verschlossen hatte. Er konnte sich noch gut an den Ausflug zu Mummia und Aurelius erinnern. Es war wohl der ereignsreichste Ausflug seines ganzen bisherigen Lebens gewesen. Der Unfall, das Näherkommen mit Valeria.... der Käse.
Das tat se mit Absicht. Maximian fühlte wieder dieses Stechen in der Brust und zog die Brauen ein wenig zusamen.
"Ja.", antwortete er schlicht und ergreifend, weil ihm gar nicht mehr über die Lippen kam und er nicht mehr dazu sagen wollte.
Natürlich tat sie das mit Absicht. Und selbst das eintönige Ja war die Reaktion, die sie erwartet hatte. Sie bedeutete Maximian noch etwas, das stand damit fest, ohne dass sie sagen konnte, woher sie das wusste. Das veränderte Gesicht, Maximians abweisende Haltung und der Umstand, dass er sie immer noch nicht ansah, machten die Vermutung (oder die Hoffnung?) zur Gewissheit. Valeria überlegte. Was sollte sie nun sagen?
Dass er sich nicht erhob und ging, war eigentlich schon ein Fortschritt. Sie holte leise Luft und hielt sie kurz an, ehe sie, noch immer Maximian ansehend, weitersprach.
"Ich habe auf dich gewartet. Lange. Ich dachte, du kämst nicht mehr zurück. Es war so... Du warst so seltsam, Lucius. Schon vor der Abreise. Du hast dich nicht gemeldet und wir, das Kind und ich..."
Valeria schluckte.
"Es wäre dein Sohn gewesen. Ich habe dich aufgegeben. Es ist mir nicht leicht gefallen, das sicherlich nicht. Aber es..es war nur logisch, dass... Ich... Es tut mir leid."
Valeria senkte den Kopf und sah auf ihre Hände, weil sie nicht wollte, dass Maximian die Tränen in ihren Augen sah. Würde er sie nun anschreien, fortschicken, ihr Vorwürfe machen? Das hatte sie gewiss verdient. Oder aber würde er versuchen, ihre Lage zu verstehen?
Sie hatte so leise gesprochen, dass Maximian sehr genau hatte zuhören müssen, was sie da sagte. hätte... kämst... wäre... Valeria benutzte diese Worte, als wäre die Vergangenheit, das Leben ein Frage und Antwortspiel, in dem man entweder nur mit Ja oder Nein antworten konnte. Ein Vielleicht reichte schon nicht mehr aus, ein Sicherlich war immer noch viel zu zweifelhaft.
Maximians Augenbrauen zogen sich noch weiter zusammen. Das Stechen im Herzen wich allmählich jener Wut, die ihn vor 15 Tagen schon gepackt hatte, als er am liebsten auf der Stelle zu Livianus geritten wäre und ihm die Faust ins Gesicht geschlagen hätte.
"Logisch....?", wiederholte er und sah Valeria mit durchdringenden, blitzenden Augen an. "Was versucht du mir damit zu sagen? Dass es logisch ist, dass man sich gleich etwas Neues sucht, wenn man einmal nicht weiß, wo der andere steckt? Dass es logisch ist, ihn mit jemand anderem zu hintergehen, obwohl du gerade erst sein Kind geboren hattest? Logisch, ihm nicht wenigsten die Möglichkeit einzuräumen, sich zu rechtfertigen? Nein, da ist er es scheinbar schon nicht mehr wert. Man stellt man ihn vor vollendete Tatsachen, lässt ihn mal so gehörig auflaufen und entschuldigt sich. Dann wird schon wieder alles in Ordnung kommen. Ist es nicht so? Ist das nicht logisch?"
Er hatte nicht laut gesprochen, dafür aber jedes weitere Wort erregt hervorgepresst und mit aufzitterndem Körper geendet.
Er konnte ihre unmittelbare Nähe nicht weiter ertragen und stand auf, die Arme vor der Brust verschränkt, die Begegnung ihrer Blicke mied er. Über ihr Verhalten und ihre Worte schüttelte er den Kopf und über sich selbst lachte er leise.
"Du brauchst dir keine Mühe mehr geben, Valeria. So langsam beginne auch ich die ganze Sache mit ausreichend Logik zu sehen." Er spuckte das Wort aus, als wäre es ein äußerst übel schmeckendes Etwas und kehrte der jungen Decima seine Rückansicht zu.
Ein Sohn, war dann sein nächster Gedanke. Es war ein trauriger Gedanke, den er zu gegebener Zeit, wenn die Wunden nicht mehr so frisch waren, weiterdenken würde.
Ob es anders gekommen wäre, wenn er in diesen Stunden, die über das Leben ihres gemeinsames Kindes gerichtet hatten, bei Valeria gewesen wäre? Ob sie dann jetzt hier sitzen und über die Bruchstücke ihrer Beziehung streiten würden?
Wieder tat er es. Er quälte sich mit Fragen, auf die es keine Antworten hab und die überhaupt nichts mehr ändern konnten. Er atmete tief ein, aber ein unsichtbarer Ring, der sich um seine Brust gelegt hatte, verhinderte, dass er ausreichend Luft bekam und das Brennen im Hals gelindert wurde.
Valeria wandte den Kopf, als Maximian sprach, und zuckte erschrocken zusammen, als sie seine Augen sah. Seine Worte taten weh, aber sie konnte verstehen, warum er das sagte und warum er ihr weh tun wollte, ja sogar musste. Es verschaffte Linderung der eigenen Schmerzen, wenngleich auch nur kurzzeitig und sicherlich nicht auf Dauer. So nahm sie seine Worte ohne Widerworte einfach hin, obwohl es sicher nicht so einfach gewesen war, wie er es schilderte.
Ein seltsames Gefühl machte sich in Valeria breit, fast so, als sei sie nicht mehr Herrin ihrer Sinne und ihres Körpers, sondern als betrachte sie die Situation von einer entfernten Position aus. Maximian erhob sich und kehrte ihr den Rücken zu, und Valeria musste das Verlangen unterdrücken, zu ihm zu gehen und ihm beruhigend die Hand auf die Schulter zu legen. Aber das hätte wahrscheinlich alles nur noch schlimmer gemacht, statt gebessert. So sah sie wieder wie in Trance auf den Boden zu ihren Füßen, wo die Regentropfen munter weiterprasselten und auch Maximian nun langsam nass regneten.
Nach Maximians letzten Worten erstand eine unangenehme Stille, in der wohl jeder der beiden seinen Gedanken nachhing. Valeria zumindest fragte sich hier nicht zum ersten Mal, ob sie für Maximian mehr empfand als für Livianus, und wie die vielen Male zuvor auch konnte sie diese Frage nicht beantworten, denn es waren vollkommen unterschiedliche Gefühle, die sie verspürte, wenn sie an jeden einzelnen dachte.
So verstrichen die Minuten, in denen sich die Pforten des Himmels einfach nicht schließen wollten und die Welt der Menschen mit Regengüssen durchtränkten, die selbst für Apollon majestätisch waren. Schließlich blinzelte Valeria, hob den Kopf, an dem die nassen Haare klebten und betrachtete Maximians Rücken mit einer Miene, die auf eine unbeschreibliche Art und weise Enttäuschung, Trauer, Schmerz und Hoffnung vereinte und sie selbst zusammen mit ihrer Körperhaltung winzig und unendlich zerbrechlich wirken ließ.
"Ich gebe mir die Mühe nicht, weil ich retten möchte, was unwiederbringlich zerstört scheint, sondern weil ich erhalten möchte, was einst zwischen uns war, Lucius. Vertrautheit und Freundschaft."
Immernoch sah sie ihn an, obgleich sie sein Gesicht nicht sehen konnte.
"Die Worte mögen dir wie Hohn vorkommen, wenn du sie hörst, aber ich bitte dich, denke darüber nach, wenn der Schmerz verheilt ist. Ich wollte dir niemals weh tun."
Das Wetter hatte sich dramatisch verschlechtert. Nicht nur, dass die Wolken am Himmel immer enger zusammenzogen und es mit Regnen angefangen hatte, kam nun auch noch ein stärkerer Wind auf, welcher an den Läden der Regia rüttelte. Vor dem Zimmer des Legatus Augusti Pro Praetore riß sich einer der Läden etwas los und klapperte in ungleichmäßigen Stößen gegen die Wand, so dass Meridius empfindlich gestört wurde. Er erhob sich, warf sich einen Mantel um, verließ das Zimmer, trat auf den Gang und wollte den Laden gerade wieder schließen und befestigen, als sein Blick in den Garten ging.
In der Dunkelheit erkannte er zwei Gestalten, von welche er meinte eine seinem Sohn zuordnen zu können. Was zum Henker machte er bei diesem Wetter unten im Hortus? Wollte er sich den Tod holen? Hatte er nicht erst vor Kurzem ein schweres Fieber gehabt? Und wer war die andere Person? Eine ungute Ahnung beschlich sein Herz und er hatte den sofortigen Verdacht, dass es eigentlich nur Valeria sein konnte.
Meridius schloß den Laden, blieb dann aber nachdenklich stehen. Was sollte er tun? Hinuntergehen und sie aus dem Haus jagen? Oder wieder in sein Zimmer zurückkehren? Und wieso schlich sie schon wieder in der Regia herum? Hatten die beiden sich nicht schon viel zu oft gesehen? Hatten sie sich nicht immer wieder ins Unglück gestürzt? Konnte man diese beiden überhaupt alleine zusammen sein lassen? Würden sie nicht wieder...?
Meridius kam aus den Gedanken wieder zu sich. Nein, heute war es endgültig an der Zeit mal einen Schlußstrich zu ziehen. Er würde sich nur schnell einen etwas festeren Mantel überwerfen und dann umgehend in den Garten eilen und diesen Spuk ein für alle mal beenden. Valeria hatte in dem Leben seines Sohnes bei aller Liebe und Verwandtschaft nichts mehr zu suchen.
Er kehrte in sein Zimmer zurück nur um wenig später aus selbigem wieder hervorzutreten und hinunter zu eilen...
Lange Zeit sprach keiner von ihnen und Maximian war sich nicht sicher, ob er die Stille willkommen hieß oder ob er sie belastend fand. Auf der einen Seite hätte er sich beinahe gewünscht, dass die Ruhe, die sich immer weiter ausdehnte, Valeria verschlucken würde. Dann würde er sich herumdrehen und sich fragen, ob er vielleicht nur schlafgewandelt war. Bei den Träumen in den vergangenen Tagen hätte es ihn nicht mal überrascht.
Und dann wiederum fragte er sich, wie lange er dem noch standhalten konnte und wann seine Fassade bröckeln würde. So oder so fühlte er sich ausgeliefert, hatte die Option des Rückzugs jedoch nicht vergessen.
Es machte ihm rein gar nichts aus nassgeregnet zu werden. Er spürte es wahrscheinlich nicht mal wirklich, wie die Tropfen auf sein gesicht aufschlugen und die Wimpern schwer und klebrig wurden. Seinem erhitzten Gemüt tat diese Abkühlung sicherlich gut, aber dem Rest von ihm...? So, wie er im Regen stand, so fühlte er sich auch.
Dann sprach Valeria wieder leise Worte. Sprach von Vertrauen und Freundschaft und Schmerz. Nein, er hatte sich nicht verhört. Freundschaft. Sie hatte nicht Liebe gesagt, nicht Beziehung, nicht. Und, dass sie ihm nicht hatte wehtun wollen.
Der junge Decima neigte das Haupt und sah dem Wasser ein, zwei Meter vor seinen Füßen zu, wie es andauernd erbebte, weil Regentropfe unaufhörlich vom Himmel fielen. Was sollte er denn darauf schon erwidern? Er haderte noch eine Weile mit sich, ob er einfach gehen sollte und die Antwort in den Garten gestellt ließ - oder ob er einmal aussprach, was er einfach nicht nachvollziehen konnte.
"Dann hättest du auf mich warten sollen.", sagte er mit ruhiger und einen Tick bitterer Stimme, den Blick wieder starr. Diesmal musste er allerdings immer wieder blinzeln, da ihm das Regenwasser in die Augen lief. Er verharrte in dieser Haltung noch einen Moment, dann wandte er Valeria sein nasses Gesicht zu. In diesem Moment war es nicht vorwurfsvoll oder versteinert, es spiegelte einzig und allein Traurigkeit und Enttäuschung wider.
Die Zeit schien still zu stehen, als Maximian den Kopf senkte und ihm kleine Regenbäche am Gesicht in seine Tunika hinabflossen. Valeria wartete, was nun folgen würde, wie er reagieren würde. Was würde er sagen? Er schien nachzudenken über die Worte, die sie eben gessprochen hatte.
Regen prasselte unaufhörlich nieder und schien gar nicht enden zu wollen. Kurz bevor Maximian schließlich die Stimme erhob, zuckte ein Blitz über den Himmel, wie ein unheilvoller Sendbote des Iuppiters. Maximians Gesicht erstrahlte kurz bläulich, ebenso wie das Valerias, die kurz darauf bittere Worte vernahm und sich nur noch kleiner und unbedeutender fühlte.
Sie schämte sich. Schämte sich, weil sie nicht noch einen Monat gewartet hatte, ehe sie sich jemand neuem geöffnet hatte. Sie schämte sich aber nicht, weil es Livianus gewesen war. Nicht nur ihres Geliebten, sondern auch ihres Sohnes beraubt, war sie in eine Art Trancezustand gefallen, aus dem er sie wieder herausgeholt hatte. Valeria hatte lange Zeit gewartet, ehe sie die Gefühle erwiderte, die Livianus für sie hegte, weil sie sich einfach nicht sicher gewesen war, ob es nur Dankbarkeit oder doch Liebe war, was sie empfand. Auf eine nicht zu verstehende Art war es wohl beides.
Maximian wandte den Kopf und sah zu ihr hinüber; Valeria, die immer noch auf der Bank saß. Sie schluckte betreten, als sie zum ersten Mal Enttäuschung und Trauer auf seinem Gesicht wahrnahm, statt der undurchdringlichen, aufgesetzt-zornigen Maske, die Maximian bisher getragen hatte. Dass seine Haut nass war, machte die ganze Situation noch etwas trauriger, fand sie.
Valeria ließ wenige Sekunden vertreichen, dann spiegelten sich ehrliches Bedauern und Schmerz recht deutlich auf ihren feinen Zügen wieder und sie erhob sich. Mit wenigen Schritten war sie ihm wieder nahe gekommen. Sie brauchte nur den Arm ausstrecken, um ihn zu berühren, aber etwas in ihr schreckte davor zurück, als wüsste sie um den ungleich größeren Schmerz den sie damit auslösen würde. So blieb es bei einer intuitiv halb erhobenen Hand, die sie nun langsam und erzwungen wieder sinken ließ. Ihre Brust hob und senkte sich rasch, weil sie so heftig atmete; und es war nun nicht mehr nur der Regen, der ihr Gesicht benetzte und ihre Augen füllte.
"Lucius", flüsterte Valeria, halb weinend, während sie wie ein Häufchen Elend vor ihm im patschnassen Gras stand. Vor Maximian und dem Schebenhaufen, den sie für ihn hinterlassen hatte. Sie würde in ihr neues Leben gehen und ihn so zurücklassen. Er hatte nunmehr nur noch seine Familie und eine große Leere. Und es war Valerias Schuld. Sie schluchzte und begann schließlich vollends zu weinen, hob eine Hand und hielt sie sich locker über Mund und Nase, während die Schultern erzitterten und Valeria sich langsam etwas wegdrehte von ihm.
Schauspielerei hätte wohl niemand mehr vermutet.
Wie sie sich vor ihn stellte, schluckte er schwer. Zuerst hatte er auf ihre Hand gesehen, die im Begriff gewesen war, nach ihm zu greifen, auf halbem Wege jedoch inne hielt und ganz langsam wieder sank. Wie gut er sich an die warmen Berührungen erinnern konnte, wenn sie ihm mit den Fingern über die Hände gestreichelt hatte. Wie weich ihre Haut immer gewesen war, wenn ihre Hand in seinen geborgen lag. Er wollte sie bitten, sie nicht zurückzuziehen, sie an seine Wange zu legen und ihm dann zu sagen, dass sie ihn nicht mehr liebte.
Das Rauschen des Regens wurde leiser und sein Blickfeld schränkte sich ein, als er langsam den Kopf hob und direkt in Valerias Augen sehen konnte. Sie waren gefüllt mir Tränen, aber das tat ihrer Schönheit keine Markel. Wie leicht er sich in ihnen verloren hatte, wo auch immer sie gewesen waren. Das Blau ihrer Augen war ihm immer besonders vorgekommen, tiefer als jedes andere Blau. Er wäre so gern in ihre Augen eingetaucht, denn dann würde er ihr auf ewig nahe bleiben können.
Ihre Stimme. Wie lieblich sie ihn morgens geweckt hatte. Sie hatte ihn so häufig geärgert, weil er länger als sie zu schlafen pflegte, aber hatte sie ihm seinen Namen inst Ohr geflüstert, war das überfrühte Aufwachen gleich zu einem wunderschönen Morgen geworden.
Als er wieder klar sehen konnte, aus seinen Erinnerungen zurückgeholt ins Hier und jetzt, da er ein Schluchzen hörte, stand Valeria schon halb abgewendet von ihm, hielt sich eine Hand locker vor das Gesicht, das schmerzverzerrt war. Die Schultern der zierlichen Frau bebten und wenn er sich eingestand, dann tat ihm ihr Anblick trotz allem, was sie ihm angetan hatte, in der Sehle weh.
Wieder schluckte er und holte aus einer Falte seiner Tunika einen kleinen Gegenstand hervor. Sie hatte ihn ihm einmal geschenkt. Kein sonderlich wertvolles Geschenk war es gewesen, aber ein bedeutendes. Zumindest für Maximian. Er hielt ihn umschlossen mit der Faust, die er allmählich öffnete. Zum Vorschein kam ein Ring, der sogleich vom Regen umspielt wurde, als wäre er wie Valeria und Lucius eine tragende Rolle in diesem Stück des Leids. Die letzten Tage hatte er nicht mehr auf einem der Finger des jungen Decimas gesteckt und würde das wohl auch nie mehr tun.
Langsam schloss sich Maximians Hand wieder um das kleine Ding, das sie und ihn lange Zeit als verbunden gekennzeichnet hatte, dann fuhr seine Hand nach Valerias aus. Wie in Zeitlupe kam er ihr näher, bis ihre Finger sich kaum merklich berührten. Beinahe zärtlich fuhr seine Hand um ihre herum, bis ihre kalte Hand an seiner lag und er einen dicken Kloß in seinem Hals aufkommen spürte. Zögerlich schloss sich seine Hand um ihre, dann zog er sie wie in Zeitlupe zusammen auf Brusthöhe zwischen sie und sich selbst.
Ihre Blicke begegneten sich, aber diesmal tat der Blickkontakt mehr weh als alles andere. In seinen Augen stand Traurigkeit und Leere, die als nächstes Valieras Handfläche ansahen, die auf seiner ruhte. Nur seinen Daumen hatte er halb um ihr Handgelenk gelegt, wagte jedoch nicht, ihn zu bewegen.
Und dann legte er seine zweite Hand auf ihre, den Gegenstand darin an die Person zurückgebend, die ihn ihm einst geschenkt hatte. Der Berührung eines Schmetterlinges ähnlich, strich seine Hand noch einmal über ihre, noch einmal sah er ihr in die Augen und fragte sie, warum er das nun hatte tun müssen, dann schloss er ihre Finger um den wertlos gewordenen Ring und ließ seine und ihre Hände sinken.
So war dann alles gesagt, was hatte gesagt werden müssen. Er fühlte sich schlecht, aber er trat einen Schritt zurück, wandte sich herum und ging. Er öffnete die Tür, schlüpfte durch sie hindurch und verschloss sie hinter sich. Im Haus angelangt atmete er ganz langgezogen aus.
Wie ein elektrischer Funke, eine heiße Flamme, die plötzlich nach ihren Fingerspitzen leckte, spürte Valeria eine Berührung. Zuerst dachte sie, es sei der Regen, dann vermutete sie, dass ihre Sinne ihr einen Streich gespielt hatten - und dann, als sie die Hand vor ihrem Gesicht sinken ließ und den tränenverschleierten Blick auf die Quelle der Empfindung lenkte, dachte sie, dass ihre Augen sie narren wollten. Sie hob den Blick und sah direkt in Maximians Augen, die an die sie sich nun klammerte wie an ein Segelboot bei hohem Seegang. Nach seiner Hand zu greifen, das wagte sie nicht, aus Angst, ihn damit zum Rückzug zu treiben.
Valeria zitterte wie Espenlaub, ihr Kopf war wie leergefegt und alles was zählte war dieser eine, ebenso nasse wie traurige Moment im Regen, in dem Maximian sie aus freien Stücken berührte, nach allem, was sie ihm angetan hatte. Für nichts in der Welt hätte sie diesen Moment jetzt getauscht, bedeutete er ihr doch so viel, weil er zeigte, dass Valeria und Maximian noch immer etwas unzertrennliches verband.
Maximian sah auf ihre Handfläche herunter und nach kurzem Zögern folgte sie seinem Blick und betrachtete ihre schlanke Hand, die von der kräftigen Maximians beinahe zärtlich umschlossen gehalten wurde. Nun nicht mehr schluchzend, sondern ganz ruhig, forschte Valeria mit einem kurzen Blick in Maximians Gesicht. Er sah noch immer hinab auf ihre Hände, und so senkte auch sie wieder den Blick, mit heftig pochendem Herzen auf das wartend, was da kommen mochte. Was hatte er nur vor?
Valerias Blick blieb an Maximians Daumen hängen, der sanft auf ihrem Handgelenk lag. Wenn er ihn doch nur bewegen würde, wenn er sie nur streicheln würde! Ein letztes Mal. Eine flüchtige Berührung, vielleicht sogar ein letzter Kuss?
Er hob die freie Hand, die zu einer lockeren Faust zusammengeschlossen war, und führte sie über ihre Handfläche. Valeria runzelte minimal die Stirn, verlieh so ihrer Verwirrung Ausdruck. Und plötzlich war da ein kleiner, runder gegenstand, gewärmt von Maximians Hand. Valeria presste die Lippen aufeinander, um nicht laut zu schluchzen, und nahm das letzte Geschenk Maximians in sich auf: einmal noch strich er ihr feengleich über die weiche Haut. Sie hob den Blick und traf den Maximians, der sie stumm fragte, warum es so hatte enden müssen. Valeria atmete die frische, klare Luft ein und antwortete ihm ebenso stumm. Es war vorherbestimmt. Unsere Beziehung stand nie unter einem guten Stern. Und doch wirst du mir auf ewig viel bedeuten. Das kann uns niemand nehmen. Du weißt es.
Maximian ließ seine Hände sinken und Valeria senkte den Blick auf ihre Hand, die er locker um den Ring geschlossen hatte. Sie wusste, dass es das war. Das Ende. Und sie war Maximian nicht böse, dass er sich nun umwandte und ging. Es war besser so, besser für sie beide.
Als sie den Blick wieder hob, sah sie Maximian nur noch von hinten, wie er gerade im Domus verschwand. Valeria stand noch eine geraume Zeit einfach nur da, die Hand immer noch um den Ring geschlossen und leicht erhoben, darauf hinabsehend. Das einzige, was noch zu hören war, war das Wasser, dass an den Blättern abperlte und auf den Boden tropfte, ein leises Gluckern und Gurgeln, denn der Himmel hatte aufgehört zu weinen. Am Horizont konnte man sogar ein Stück des Mondes mit dem Auge erhaschen.
Valeria wandte den Kopf zum Domus. Sie wusste, Maximian war irgendwo dort drinnen und er würde sie sehen. Tränen rannen ihr Gesicht hinab, doch sie lächelte. Lächelte zuversichtlich, dass sie eines Tages beisammen sitzen und sich ihrer jugendlichen Torheiten erinnern und sie belächeln würden.
Wenige Zeit später verließ sie den Garten, die Regia und am selben Abend noch Mogontiacum.
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