Am Stadttor - Wer nach Rom will soll sich Zeit für die ordentliche Durchsuchung und Befragung nehmen!

  • Ferox empfand das Amulett als eine freundliche Geste eines dankbaren Bürgers. Er freute sich aufrichtig darüber. "Talismane sind eine gute Sache. Viele Milites nutzen Glücksbringer, auch die älteren und erfahreneren Kameraden, also wird etwas dran sein. Ich wünsche dir viel Erfolg in der Legio."


    Kurz überlegte er, darum zu bitten, jemanden von ihm zu grüßen, den er bei der Legio vielleicht kennen könnte, aber ihm fiel niemand ein. Sein entfernter Verwandter Gaius Germanicus Varro diente bei der Ala. Und ob sein jüngerer Bruder Pilius inzwischen auch eine Entscheidung getroffen hatte, wie er seine Zukunft gestalten wollte? Vielleicht sollte Ferox ihm einen Brief schreiben, mal wieder sein sträflich vernachlässigtes Privatleben pflegen. Ja, das war eine gute Idee.


    Er nickte Stilo und auch Tacitus zu. "Euch allen eine gute Reise!"

  • Am frühen Nachmittag des sonnigen Frühlingstages, an dem Pontius Seius Cafo nach seiner insgesamt achtmonatigen Reise endlich die Ewige Stadt erreichen sollte, staute sich an der Porta Radusculana der stete Strom der Menschen und Waren. Mit seinen beiden Reisebegleitern war Cafo die ambitionierte Tagesreise aus Ostia angetreten, wo sie erst am Vortag auf dem Seeweg angekommen waren. Nach knapp zwei Wochen auf See - unterbrochen nur von einem viel zu kurzen Austausch einiger Passagiere und Handelsgüter in Syrakusae - hatten sie sich ohne große Diskussion darauf geeinigt, zu Fuß zu gehen. Nun schmerzten ihre überforderten Beine, während sie im zähen Gedränge vor dem Stadttor anstanden mussten.


    Cafo hatte für seine körperlichen Abnutzungserscheinungen jedoch genau so wenig Aufmerksamkeit übrig, wie die für kleinmütigen Rüpeleien und in fremden Sprachen gegrummelten Flüche. ROMA. Sein halbes Leben hatte er davon geträumt, ins Zentrum der Welt einzutreten - heute und hier würde es tatsächlich passieren. Insbesondere seit seine älteren Brüder ihre Wurzeln beide in Rom geschlagen hatten, war der ideelle Fixpunkt auch der Inhalt seiner Wünsche und Zukunftsfantasien geworden. Als Jugendlicher konnte er stundenlang in der Vorstellung schwelgen, mit den Ravilla und Stilo - ohne Eltern - in einer ausladenden römischen Villa zu leben und im Senat die Geschicke des mächtigen Imperiums zu lenken. Heute waren seine Hoffnung etwas gesetzter, ihr Kern aber blieb die Fantasie der einsamen Jugendjahre.


    Vom Schweißgerüche und Missmut seiner Mitmenschen umgeben schwelgte Cafo fröhlich in den Erinnerungen der letzten Monate: Vom Familiensitz in Caesarea aus hatte er ausgiebig die Griechischen Städte um das Mare Aegaeum bereist und hatte letztlich über Alexandria mit dem Schiff eine lange Route zum Endpunkt der Reise gewählt. Einige unvorhergesehene Ereignisse in Athen hatten zum Ende der Unternehmung strengere Disziplin bei den Reisekosten notwendig werden lassen. Sein fröhliches Gemüt und die Aussicht auf das Wiedersehen ließen jedoch zu keinem Zeitpunkt schlechte Laune entstehen. Verzückt vermaßen Cafos Augen das mächtige Portal, an dessen Fuß die Stadtwache ihren Dienst verrichtete. Mit beinahe schwebenden Schritten stand er die letzten Meter vor der Schwelle zur Stadt an.

  • Viele Bürger, die den Winter im Süden verbracht hatten, kehrten nun in ihre Sommerresidenz in Roma zurück. Umgekehrt wollten jene, die den Winter in Roma verbracht haben, nun in ihre Sommerresidenz abreisen. Das Gedränge an den Stadttoren war in diesen sonnigen Frühlingstagen extrem, welche die besten Reisebedingungen boten. Die Abfertigungen fanden daher etwas gehetzt statt. "Salve", grüßte Ferox den nächsten Reisenden, der allein gekommen zu sein schien, und musterte ihn. "Name und Anliegen? Was führt du im Gepäck?"

  • Freundlich lächelte Cafo der ungefähr gleichaltrigen Torwache zu. Das Gesicht des Soldaten kam ihm herrlich römisch vor. In seiner akkurat geschnürten Ausrüstung erinnerte er den Neuankömmling an die handgreifliche Präsenz dieser Stadt an allen Stationen seiner bisherigen Reise. Der Anblick römischen Soldatentums war selbst im entlegensten Winkel der Welt jedem Kind vertraut. Noch keiner war jedoch bisher dazu bestimmt gewesen, das Erreichen des ersehnten Rom zu gewähren.


    "Salve, Römer", grüßte Cafo den Wachhabenden. "Mein Name ist Potitius Seius Cafo und ich begehre civis romanus sum endlich in seiner vollen Bedeutung sagen zu dürfen! Für den heutigen Tag muss es aber zuerst genügen, dass ich Rom quere und an der Porta Collina wieder verlasse. Denn dort erwarten mich meine Brüder, Sisenna Seius Stilo und Galeo Seius Ravilla."


    Er war gespannt zu hören, ob der Name seiner Familie oder seiner Brüder bei dem Soldaten bekannt war.

    Schlagartig wurde ihm bewusst, dass nur er angesprochen worden war - wo waren eigentlich seine beiden Begleiter? Sein persönliches Glück genießend hatte er den Sekretär, der im Auftrag seiner Mutter seine Reise begleitete, und seinen persönlichen Sklaven aus den Augen verloren. Als er sie wenige Meter von sich entfernt stehen sah, winkte er sie freudig zu sich herüber.


    "Dies sind Dahippus Dion, Sekretär meiner Familie aus Caesarea, und mein Sklave Symeón. Wir führen nur mit uns, was wir am Leibe tragen. Alle persönlichen Gegenstände werden übermorgen aus Ostia mit dem Wagen angeliefert werden."

  • Das war mal eine vorbildliche Selbstvorstellung! Während einige Reisende gereizt reagierten, dass die Abfertigung so lange dauerte, schien die Wartezeit der Fröhlichkeit dieses Exemplars keinen Abbruch getan zu haben. So blieb es auch nur bei einer kurzen Sichtkontrolle. Als die Namen genannt wurden, bewegten sich die Mundwinkel von Ferox. Es mochte ein Schmunzeln sein ob des Überschwangs.


    "Potitus Seius Cafo, so so. Dann wünsche ich eine gute Weiterreise. Mögen deine Wünsche sich hier erfüllen. Wenn ich dir eine Empfehlung geben darf, gehe nicht direkt durch die Subura, sondern nimm einen kleinen Umweg in Kauf. Verlasse das Forum Romanum nördlich und folge der Via Nomentana über den Quirinal, der direkte Weg führt durch keine gute Gegend. Und sei doch bitte so gut und richte deinem Bruder Sisenna Seius Stilo schöne Grüße von Nero Germanicus Ferox aus."


    Ferox trat beiseite, so dass die Straße frei war, die durch das Stadttor hinein in die Urbs Aeterna führte.

  • "Habe Dank für den Hinweis, wir werden ihn befolgen. Wir sind wahrlich schon lange genug unterwegs und haben unseren gerechten Anteil an unvorhergesehenen Unterbrechungen ertragen."


    Erfreut nahm Cafo zur Kenntnis, dass der Soldat offenbar sogar persönlich mit einem seiner Brüder bekannt war.


    "Ein stolzer Name, Germanicus Ferox. Es wird mir eine Ehre sein, meinen Bruder von euch zu grüßen."


    Mit einem letzten freundlichen Nicken passierte Cafo Ferox und betrat Rom.

  • Mühsame Wochen der Wanderung lagen hinter Crispa, welche aus dem südlichen Gallien allein nach Rom gereist war, um hier ihr Glück zu machen. Zwar konnte sie einen großen Teil Ihrer Reise auf dem ein oder anderen Karren mitfahren, die letzten Tage aber lief sie lieber und blieb für sich. Umso näher man Rom kam, umso gruseliger wurden jene Gestalten, die sich auf den gepflasterten Straßen des Reiches antraf. Als eines der vielen Stadttore endlich in greifbarer Nähe rückte, dämpfte die Tatsache, dass hier kontrolliert wurde, allerdings die Stimmung unserer jungen Streunerin. Zwar hatte sie nichts zu verbergen, aber sie hatte keine Lust auf unangenehme Fragen seitens der Autoritäten, welche bestimmt noch korrupter waren als jene in der Provinz. Sie suchte sich eine kleine Gruppe von Gerbern, die ebenfalls Einlass erbaten. Die Kleidung der Gerber roch so unangenehm, dass Crispa darauf spekulierte, ebenfalls schnell durchgewunken zu werden. Sie hoffte es würde schnell gehen, sie könnte diesen üblen Geruch wahrscheinlich selbst nicht lang ertragen. Mit einem starren, auf dem Pflasterstein gerichteten Blick, trottete Crispa hinter der Gruppe von Gerbern hinterher.

  • Eine Gruppe ärmlicher Gestalten wurde durch das Tor gelassen. Kein Urbaner verzog das Gesicht oder rümpfte die Nase. Es waren ehrliche Arbeiter und jeder war froh, dass nicht er diese undankbare und entwürdigende Arbeit erledigen musste, die auf eine Arbeit mit Ausscheidungen hindeutete. Da diese Menschen aus den ärmsten Kreisen stammten, provozierte man auch keine Bezahlung für eine schnellere Abfertigung. Die Aufgabe der Urbaniciani war, die Bevölkerung zu schützen und nicht, sie zum eigenen Vorteil zu drangsalieren. Man winkte diese Menschen, zu denen auch eine junge Frau gehörte, nur schnell durch.

  • Crispa wagte es nicht, ihren Blick zu heben. Die braun gekleidete Masse vor ihr bewegte sich wie ein lebendiger Organismus, und sie fühlte sich wie ein kleiner Fisch, der in einem reißenden Strom schwamm. Eilig folgte sie den Gerbern, die mit ihren groben Händen und schmutzigen Schürzen die Luft mit einem beißenden Gestank erfüllten. Aus dem Augenwinkel erhaschte sie einen Blick auf die glänzende Rüstung eines Wachsoldaten, der wie ein Schatten über die Menge wachte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und sie betete inständig, nicht aufgehalten zu werden.


    Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, während sie hastig weiterlief. Der Druck in ihrer Brust wurde unerträglich, als ein plötzlicher Windstoß den ekelerregenden Geruch der Gerber direkt in ihre Nase trug. Es war ein Gestank, der die letzten Reste ihrer Kraft raubte. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, und der leere Magen, der sie schon seit Tagen quälte, schien sich zusammenzuziehen, als würde er sie in die Knie zwingen.


    Ein Schwindel überkam sie, und für einen kurzen Moment wurde alles schwarz vor ihren Augen. Die Welt um sie herum verschwamm, und sie spürte, wie ihre Beine nachgaben. Mit einem leisen Aufprall fiel sie zur Seite, und die Dunkelheit umschloss sie.

  • Und da lag sie für einige Atemzüge. Ferox wartete, doch die Gerber zogen weiter. Anscheinend gehörte sie nicht zu ihnen. Auch die übrigen Passanten gingen vorbei, taten, als wäre da Luft, wo die junge Frau am Rand der Straße lag. Von hinten zeterte jemand, der seine kleine Ziegenherde nun um sie herumlenken musste. Wer immer sie war, sie war allein. Ferox gab Tarpa einen Wink und sie gingen zu der gestürzten jungen Frau, die noch immer reglos am Straßenrand lag, während seine Kameraden sich weiter um die Torwache kümmerten.


    "Ist heute ziemlich warm gewesen", murmelte er vor sich hin. Die junge Dame wirkte insgesamt etwas angeschlagen, ihre Haut glänzte vor Schweiß. Hispo sicherte die Stelle, die spontan zum Einsatzort geworden war, damit die Leute mit großen Huftieren warteten und andere Fußgänger einen Bogen gingen. Karren mussten ohnehin bis Sonnenuntergang warten. Die zusätzliche Verzögerung sorgte für Genörgel, doch das war Ferox gewohnt und es perlte von ihm ab wie Regen.


    "Wollen wir sie zur Seite ziehen?", fragte Tarpa mit Blick auf den Verkehr. Heute war besonders viel los und an dem schwülen Wetter hatte niemand Spaß.


    "Die können warten", brummte Ferox und ging bei der jungen Frau auf ein Knie. "Salve", sagte er freundlich und legte die Hand auf ihre Schulter. Gewohnheitsmäßig tat er es mit der anderen Hand, als ein Laie sie benutzen würde, so dass der Daumen weg von ihr zeigte, da das weniger bedrohlich wirkte, wenn man sich über jemandem beugte. "Kannst du mich hören?"

  • Crispa fühlte sich, als ob ihr Körper und Geist längst abgereist wären. Sie lag regungslos auf den heißen Pflastersteinen der Straße, das Leben um sie herum schien sich von ihr entfernt zu haben. Der Lärm der Händler, das laute Rufen der Gerber – all das war jetzt nur noch ein ferner, unscharfer Klang, den sie kaum noch wahrnahm. Ihre hellgrüne Tunika war an den Rändern vom Staub der Straße bedeckt, ihre Brust hob und senkte sich unregelmäßig, doch es schien sie nicht zu kümmern. Ihr Verstand war in diesem Moment wie erstarrt, vollkommen abwesend.

    Ein Moment der Stille. Der Trubel verblasste zu einem flimmernden Hintergrund, und alles, was sie noch spürte, war die drückende Hitze des Steins unter ihrem Körper. Doch dann, wie aus der Ferne, hörte sie eine Stimme. Sanft und eindringlich. Eine Hand berührte ihre Schulter, zart und doch bestimmt.


    Langsam öffnete Crispa die Augen, so schwer, als ob der Tag selbst ihr Augenlid niederdrücken wollte. Ihre Blicke trafen auf ein Gesicht, ein schönes Gesicht, mit scharfen Zügen, das in einem Moment klar vor ihr stand und im nächsten wieder in der Dämmerung verschwand. Er trug eine Rüstung, und ihr unbestimmtes Gefühl sagte ihr sofort, dass er ein Soldat war.

    Ihre Gedanken waren wie ein wirres Mosaik, das sich mühsam zu einem Bild zusammensetzte. Was war hier passiert? Warum war sie auf dem Boden? Und wer war dieser Mann, der jetzt vor ihr stand, mit einem Blick, der eine Erinnerung in ihr weckte, die tief in den Ecken ihrer Vergangenheit schlummerte?

    Plötzlich brach es durch – ein Bild aus ihrer Kindheit, unscharf, aber vertraut. Ihr Vater, der immer mit sanfter Stimme gefragt hatte, ob sie einen schönen Tag gehabt hatte. Der Vater, der an einem Abend nach Hause kam, um ihr einen Gutenachtkuss zu geben. Und dann, mit einem erschreckend klaren Moment der Erkenntnis, spürte sie, wie ihre Lippen sich formten: "Papa?"


    Die Worte waren noch nicht ganz verklungen, da trat der Zweifel in ihr auf. War das wirklich ihr Vater? Ihr Geist wehrte sich, als eine kalte, dunkle Stimme tief in ihr Inneres drang: Dein Vater ist schon lange tot, Kind. Du liegst hier, am Boden, und ein Fremder spricht zu dir.

    Der Gedanke traf sie wie Jupiters Blitz. Sie zuckte zusammen, der Schmerz durchbrach die Nebel ihres Bewusstseins. Hastig versuchte sie, sich aufzurichten, ihren Oberkörper zu stützen, doch die Erschöpfung war zu stark. Sie starrte den Soldaten an, ihre Augen weit geöffnet, verwirrt, voller Fragen. Hatte sie ihn wirklich „Papa“ genannt? Oder war das nur eine verzerrte Erinnerung, ein schmerzhafter Streich ihres ermüdeten Körpers und Geistes?


    Die Grenze zwischen Wahrheit und Täuschung verschwamm, und Crispa wusste nicht mehr, was sie glauben sollte.

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