Auch Amytis nickte. Yúnzi sprach weise Worte, in der Tat, und sie erkannte so durchaus, dass er ahnte, was die beiden Sklaven vor ihm bedrückte und weshalb sie überhaupt nur seine Nähe suchten. Ob und wie ihnen das helfen mochte, wusste sie aber auch nicht. "Es gibt einen Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit, das stimmt." Das waren durchaus kühne Worte. Sie atmete einmal tief ein. "Wir kennen unseren Platz, so ist es nicht, aber wir haben uns beide lange nicht mehr so ... gesehen gefühlt. Das macht alles einfacher für uns. Ich - wir - wollten, dass du das weißt, Yúnzi." Jede Pflicht fiel leicht zu erledigen, wenn man sie gerne tat.
Peristylum
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Ich verneigte mich leicht. Das sagte mehr, als es Worte vermocht hätten. Einen kurzen Moment lang ließ ich die Stille des Peristylums wirken. Doch war es gar nicht so wirklich still. Man hörte die Stimmen der Sklaven aus dem Atrium. "Da mich die iunischen Sklaven kennen, denke ich, dass sie dich, Sporus, in Terpanders Zimmer schlafen lassen. Und dich, Amytis, wird man in einem Gästezimmer schlafen lassen. Denn wie euch sicher aufgefallen ist, sind alle Sklaven hier männlich. Ich weiß nicht, warum. Doch fand ich es bereits so vor, als ich nach dem Studium hierher zurückkehrte." Kurz zog ich meine Schultern hoch. "Das ist aber nicht wichtig. Wichtig ist, dass ihr heute Nacht Menschen unter Menschen seid. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn ihr irgendetwas benötigt, könnte ihr gerne die anderen fragen. Sie werden euch helfen." Langsam und würdevoll erhob ich mich von der Sitzbank, wobei ich den beiden signalisierte, sitzen zu bleiben. "Doch müsst ihr ohne mich auskommen, denn ich werde mich nun zur Ruhe begeben." Noch eine leichte Verneigung von mir, und ich begab mich in mein Cubiculum.
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Sporus verneigte sich leicht, und dankte dafür, dass Amytis und er hier übernachten durften. Dann schaute er zu Amytis. "In Terpander`s Zimmer, das ist eine große Ehre für mich", sagte er zu ihr Tatsächlich war er stolz darauf, dort schlafen zu dürfen, kannte er sich ja in diesem Haus gut aus, und wusste, dass Terpander`s Zimmer zwar klein, aber ganz gemütlich war.
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Am nächsten Morgen fand ich mich beim ersten Tageslicht im Peristylum ein. Wie jeden Tag, so begann ich auch diesen mit Schwertübungen. Manchmal setzte sich Malachi an den Rand und sah mir dabei zu, aber heute nicht. Die Sklaven hatten im Gedenken an Terpander noch bis tief in die Nacht miteinander beisammen gesessen. Wie immer, übte ich zunächst die einzelnen Techniken extrem langsam. Das erhielt die nötige Präzision. Techniken, die im Kampf nur Sekunden dauerten, benötigten nun Minuten. Als Nebeneffekt stärkte ich damit meine Muskeln, weil sie eben sehr viel länger ihre Spannung aufrecht erhalten mussten. Anders als in den weißen Trauergewändern des gestrigen Abends trug ich nun wieder als oberste Lage ein schwarzes Seidengewand. Meine serische Gelehrtenkleidung war fast vollständig, nur die Kopfbedeckung fehlte - noch. Ich spürte den doch recht kühlen Wind in meinen kurzen Haaren, aber er machte mir nichts aus. Zu sehr war ich in meine Übungen vertieft, und zu sehr war ich es inzwischen gewohnt, bei jedem Wetter zu üben. Ich schwang das prunkvolle serische Schwert, das mir Prinz Jiénzǐ damals geschenkt hatte. Dabei dachte ich an meine Freunde in Serica. Vor allem an Jiénzǐ und Cáozǐ, mit denen ich oft philosophiert hatte. Außerdem war es Cáozǐ gewesen, der für meine Unterweisung im serischen Schwertkampf gesorgt hatte. Ein leichtes Lächeln legte sich auf mein Gesicht, als ich diese guten Erinnerungen in mein Gedächtnis rief. Die Bewegungen, tausendfach geübt, liefen dabei fast automatisch weiter.
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Amytis hatte ein wunderbares Nachtlager gehabt, und es war schön gewesen, Sporus so zu sehen, dennoch war die Nacht für sie unruhig gewesen. Die Trauerfeier war das eine, aber sie hatte keine Andenken an den Verstorbenen gehabt und sich früh zurückgezogen. Aber das ganze drumherum, Yúnzi und seine Familie, die ihre Sklaven so anders behandelten als ihr eigener Herr. Es war ein Welt, in der sie so viel lieber leben wollte, und gerade deshalb kaum ertragen konnte, dass sie bald schon wieder von hier fort musste. Doch es gab nichts, was sie dafür tun konnte.
So hatte sie nur wenig Schlaf gefunden und als sie ein paar sehr leise Geräusche hörte, verließ sie ihr Lager und schaute den Übungen des Hausherren schweigend zu. Yúnzi beeindruckte sie auch heute noch, und es war trotz des Schwerts ein friedlicher Anblick der ihren Augen schmeichelte. -
Sporus wachte auf, und schaute sich um. Er hatte sehr gut geschlafen, im Bett von Terpander. Er hatte es richtig genossen, weil er sich nah an Terpander fühlte. Doch dann wurde ihm wieder klar, dass er nicht mehr lebte. Schweren Herzens stand er auf, wusch sich kurz mit kaltem Wasser ab und ging zu Yunzi und Amytis, um den Übungen des Herrn ebenfalls zuzusehen.
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Ich hatte Amytis und Sporus zwar bemerkt, änderte aber mein Programm nur unwesentlich. Nach geschätzt einer halben Stunde des langsamen Übens nahm ich die Grundstellung ein, das Schwert leicht schräg vor meinem Oberkörper. Und dann übte ich weiter, aber erheblich schneller. Es war eine andere Übung, die aussah, wie ein Kampf gegen mehrere unsichtbare Gegner. Abwehr, Angriff, alles so schnell, wie es mir irgendwie möglich war. Bei manchen Bewegungen war die Schwertspitze so schnell, dass die Bewegung für das menschliche Auge nicht mehr richtig wahrgenommen werden konnte. Was auch dem ungeübten Beobachter auffallen konnte, war, dass das Schwert keine unnötigen Strecken zurücklegte. Jeder Stich, jeder Schnitt nahm genau so viel Strecke in Anspruch, wie nötig war. Und auch die Abwehr war anders, als man es bei Schwertkämpfern erwartete. Es gab keinen richtigen Schlag zum abblocken, sondern Schnitte, die nur leicht ablenkend wirken würden. Wer mehr Ahnung von Waffen hatte, würde erkennen, dass alle Manöver darauf ausgelegt waren, Gelenke oder andere empfindliche Stellen zu treffen. Nicht mit Wucht, sondern durch präzise Schnitte und Stiche. Zugleich hatten aber alle Bewegungen, auch die Beinarbeit, eine gewisse Eleganz und Harmonie.
Nach etwa einer Viertelstunde beendete ich die Übung. Ich stellte mich gerade hin und übergab das Schwert von der rechten in die linke Hand, wobei die Klinge nun hinten an meinem linken Arm anlag. Den Arm hielt ließ ich locker herunterhängen, so dass die Klingenspitze über meiner linken Schulter gut sichtbar war. Knauf nach unten, Spitze nach oben. So trug man in Serica ein Schwert, wenn es gezogen war, man aber nicht kämpfte. Dass ich trotz der kühlen Luft Schweißtropen auf meiner Stirn spürte, zeigte mir, dass ich richtig geübt hatte, ohne mich zu schonen.
Nun drehte ich mich zu den beiden Sklaven und lächelte freundlich. "Guten Morgen Amytis, guten Morgen Sporus. Ich hoffe, dass ich euch nicht mit meinen Übungen geweckt habe. Habt ihr gut geschlafen?"
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Amytis nickte Sporus freundlich zu, als er sich zu ihr gesellte. Wie es ihm wohl ging? Hoffentlich hatte er diese geschenkte ruhige Nacht wenigstens genießen können. Yúnzis Übungen begutachtete sie mit dem Blick einer jungen Frau, die durchaus in ihrer Kindheit ebenfalls Krieger beobachtet hatte, und daher zumindest erkannte, dass er wusste, was er tat. Und es sah beeindruckend aus, ebenso wie es dem Mann, wie jedem anderen Mann auch, durchaus stand, wenn er sich so bewegen konnte. Sie seufzte leise und wünschte sich, so einen friedlichen Morgen und dieses Schauspiel öfter genießen zu können, als wieder zu dem zurückkehren zu müssen, was sie beide bei ihrem Herrn erwartete.
Als Yúnzi endete und zu ihnen kam, suchte sie eilig nach einem Tuch und womöglich einem Becher mit einem Getränk, um es ihm zu reichen. Zumindest das Tuch fand sich, und sie hielt es ihm hin, als sie ihn ebenfalls anlächelte, auch wenn sie damit vielleicht etwas zu weit ging. "Ich war früh wach, Yúnzi. Und die Übungen waren sehr eindrucksvoll." -
Sie hatte ein schönes Lächeln, wodurch mein Lächeln ein wenig von der höfischen Zurückhaltung verlor und etwas strahlender wurde. Ich nahm das Tuch mit meiner rechten Hand an und tupfte mir den Schweiz von der Stirn. "Danke." Kurz blickte ich auf das Tuch, das ich eigentlich nicht so zurückgeben konnte. "Ähm... ich werde es waschen lassen." Und dann musste ich ihr Lob doch kommentieren. "Es mag eindrucksvoll erschienen sein, doch glaube ich, dass die serische Kleidung dazu viel beiträgt. Denn noch bin ich nicht so weit, wie ich es gerne wäre. Wenn du wüsstest, wie es aussieht, wenn Prinz Jiénzǐ übt, dann würde ich dir wie ein blutiger Anfänger erscheinen." Während ich sprach, ging ich die paar Schritte zur Schwertscheide aus Rosenholz ging und das Tuch daneben ablegte. Ich ließ das Schwert von der linken in die rechte Hand wandern und nahm dann die Scheide mit der linken. Während ich mich wieder zu Amytis umdrehte, ließ ich das Schwert in die Scheide gleiten und trug diese nun locker in der linken Hand. Währenddessen sprach ich weiter. "Die Griechen mögen es anders sehen, doch in Serica steht es einem Philosophen gut zu Gesicht, sich auch im Schwertkampf zu über. Zum einen hilft es, die Gedanken zu fokussieren. Doch darüber hinaus verlangen die Übungen auch Disziplin und man lernt, mit Frustrationen umzugehen. Und natürlich hilft es auch, sich gegen Räuber zur Wehr zu setzen, was ich aber bisher nie unter Beweis stellen musste."
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Im Gegensatz zu ihrer Befürchtung schien das Lächeln des Mannes sogar noch ein wenig breiter zu werden, was sie wirklich wunderte. Seit ihrer Gefangennahme, hatte man sie höchstens überlegend angelacht, aber das hier wirkte so ganz anders. Er bedankte sich und gab ihr nicht einmal das Tuch zurück. Das brachte sie noch mehr aus dem Konzept, denn sie war doch eine Sklavin und genau dafür hier, oder? Da sie in dieser Erwartung die Hand ausgestreckt hatte, stand sie kurz etwas verloren da, aber immerhin konnte sie den Blick senken und ihre roten Wangen so ein wenig überspielen. Sie hatte sie beide in Verlegenheit gebracht, zumindest dachte sie das, und kam sich dumm dabei vor.
"Ich habe gehört, dass auch griechische Philosophen wussten, dass Geist und Körper zusammengehören, in gewissem Maße.", sagte sie zu seinen Worten, vielleicht etwas zu spontan und zu schnippisch, ohne ihn beeindrucken zu wollen, aber durchaus angeregt von der Verlockung, ein Gespräch auf einer etwas anderen Ebene zu führen, als in ihrem bisherigen Sklavendasein, in welchem ihr Körper eine viel zu große - die einzige - Rolle gespielt hatte. So viel wusste sie von diesen Dingen nicht, aber: "In meiner Heimat sind die besten Krieger jene, die dem Herrscher am nächsten stehen und das Reich lenken." Vermutlich war das im Römischen Reich nicht anders, aber eben unter anderem dank dieses Reichs mussten die Parther eine recht wehrhafte Gesellschaft sein. Und logischerweise stellte der Adel natürlich auch die Denker des Partherreichs, was für Amytis den Kreis schloss. "Ich wünsche dennoch, dass alle Räuber dich verschonen.", schloss sie dann, ein wenig unterwürfiger.
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