Auch Amytis nickte. Yúnzi sprach weise Worte, in der Tat, und sie erkannte so durchaus, dass er ahnte, was die beiden Sklaven vor ihm bedrückte und weshalb sie überhaupt nur seine Nähe suchten. Ob und wie ihnen das helfen mochte, wusste sie aber auch nicht. "Es gibt einen Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit, das stimmt." Das waren durchaus kühne Worte. Sie atmete einmal tief ein. "Wir kennen unseren Platz, so ist es nicht, aber wir haben uns beide lange nicht mehr so ... gesehen gefühlt. Das macht alles einfacher für uns. Ich - wir - wollten, dass du das weißt, Yúnzi." Jede Pflicht fiel leicht zu erledigen, wenn man sie gerne tat.
Peristylum
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Ich verneigte mich leicht. Das sagte mehr, als es Worte vermocht hätten. Einen kurzen Moment lang ließ ich die Stille des Peristylums wirken. Doch war es gar nicht so wirklich still. Man hörte die Stimmen der Sklaven aus dem Atrium. "Da mich die iunischen Sklaven kennen, denke ich, dass sie dich, Sporus, in Terpanders Zimmer schlafen lassen. Und dich, Amytis, wird man in einem Gästezimmer schlafen lassen. Denn wie euch sicher aufgefallen ist, sind alle Sklaven hier männlich. Ich weiß nicht, warum. Doch fand ich es bereits so vor, als ich nach dem Studium hierher zurückkehrte." Kurz zog ich meine Schultern hoch. "Das ist aber nicht wichtig. Wichtig ist, dass ihr heute Nacht Menschen unter Menschen seid. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn ihr irgendetwas benötigt, könnte ihr gerne die anderen fragen. Sie werden euch helfen." Langsam und würdevoll erhob ich mich von der Sitzbank, wobei ich den beiden signalisierte, sitzen zu bleiben. "Doch müsst ihr ohne mich auskommen, denn ich werde mich nun zur Ruhe begeben." Noch eine leichte Verneigung von mir, und ich begab mich in mein Cubiculum.
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Sporus verneigte sich leicht, und dankte dafür, dass Amytis und er hier übernachten durften. Dann schaute er zu Amytis. "In Terpander`s Zimmer, das ist eine große Ehre für mich", sagte er zu ihr Tatsächlich war er stolz darauf, dort schlafen zu dürfen, kannte er sich ja in diesem Haus gut aus, und wusste, dass Terpander`s Zimmer zwar klein, aber ganz gemütlich war.
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Am nächsten Morgen fand ich mich beim ersten Tageslicht im Peristylum ein. Wie jeden Tag, so begann ich auch diesen mit Schwertübungen. Manchmal setzte sich Malachi an den Rand und sah mir dabei zu, aber heute nicht. Die Sklaven hatten im Gedenken an Terpander noch bis tief in die Nacht miteinander beisammen gesessen. Wie immer, übte ich zunächst die einzelnen Techniken extrem langsam. Das erhielt die nötige Präzision. Techniken, die im Kampf nur Sekunden dauerten, benötigten nun Minuten. Als Nebeneffekt stärkte ich damit meine Muskeln, weil sie eben sehr viel länger ihre Spannung aufrecht erhalten mussten. Anders als in den weißen Trauergewändern des gestrigen Abends trug ich nun wieder als oberste Lage ein schwarzes Seidengewand. Meine serische Gelehrtenkleidung war fast vollständig, nur die Kopfbedeckung fehlte - noch. Ich spürte den doch recht kühlen Wind in meinen kurzen Haaren, aber er machte mir nichts aus. Zu sehr war ich in meine Übungen vertieft, und zu sehr war ich es inzwischen gewohnt, bei jedem Wetter zu üben. Ich schwang das prunkvolle serische Schwert, das mir Prinz Jiénzǐ damals geschenkt hatte. Dabei dachte ich an meine Freunde in Serica. Vor allem an Jiénzǐ und Cáozǐ, mit denen ich oft philosophiert hatte. Außerdem war es Cáozǐ gewesen, der für meine Unterweisung im serischen Schwertkampf gesorgt hatte. Ein leichtes Lächeln legte sich auf mein Gesicht, als ich diese guten Erinnerungen in mein Gedächtnis rief. Die Bewegungen, tausendfach geübt, liefen dabei fast automatisch weiter.
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Amytis hatte ein wunderbares Nachtlager gehabt, und es war schön gewesen, Sporus so zu sehen, dennoch war die Nacht für sie unruhig gewesen. Die Trauerfeier war das eine, aber sie hatte keine Andenken an den Verstorbenen gehabt und sich früh zurückgezogen. Aber das ganze drumherum, Yúnzi und seine Familie, die ihre Sklaven so anders behandelten als ihr eigener Herr. Es war ein Welt, in der sie so viel lieber leben wollte, und gerade deshalb kaum ertragen konnte, dass sie bald schon wieder von hier fort musste. Doch es gab nichts, was sie dafür tun konnte.
So hatte sie nur wenig Schlaf gefunden und als sie ein paar sehr leise Geräusche hörte, verließ sie ihr Lager und schaute den Übungen des Hausherren schweigend zu. Yúnzi beeindruckte sie auch heute noch, und es war trotz des Schwerts ein friedlicher Anblick der ihren Augen schmeichelte. -
Sporus wachte auf, und schaute sich um. Er hatte sehr gut geschlafen, im Bett von Terpander. Er hatte es richtig genossen, weil er sich nah an Terpander fühlte. Doch dann wurde ihm wieder klar, dass er nicht mehr lebte. Schweren Herzens stand er auf, wusch sich kurz mit kaltem Wasser ab und ging zu Yunzi und Amytis, um den Übungen des Herrn ebenfalls zuzusehen.
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Ich hatte Amytis und Sporus zwar bemerkt, änderte aber mein Programm nur unwesentlich. Nach geschätzt einer halben Stunde des langsamen Übens nahm ich die Grundstellung ein, das Schwert leicht schräg vor meinem Oberkörper. Und dann übte ich weiter, aber erheblich schneller. Es war eine andere Übung, die aussah, wie ein Kampf gegen mehrere unsichtbare Gegner. Abwehr, Angriff, alles so schnell, wie es mir irgendwie möglich war. Bei manchen Bewegungen war die Schwertspitze so schnell, dass die Bewegung für das menschliche Auge nicht mehr richtig wahrgenommen werden konnte. Was auch dem ungeübten Beobachter auffallen konnte, war, dass das Schwert keine unnötigen Strecken zurücklegte. Jeder Stich, jeder Schnitt nahm genau so viel Strecke in Anspruch, wie nötig war. Und auch die Abwehr war anders, als man es bei Schwertkämpfern erwartete. Es gab keinen richtigen Schlag zum abblocken, sondern Schnitte, die nur leicht ablenkend wirken würden. Wer mehr Ahnung von Waffen hatte, würde erkennen, dass alle Manöver darauf ausgelegt waren, Gelenke oder andere empfindliche Stellen zu treffen. Nicht mit Wucht, sondern durch präzise Schnitte und Stiche. Zugleich hatten aber alle Bewegungen, auch die Beinarbeit, eine gewisse Eleganz und Harmonie.
Nach etwa einer Viertelstunde beendete ich die Übung. Ich stellte mich gerade hin und übergab das Schwert von der rechten in die linke Hand, wobei die Klinge nun hinten an meinem linken Arm anlag. Den Arm hielt ließ ich locker herunterhängen, so dass die Klingenspitze über meiner linken Schulter gut sichtbar war. Knauf nach unten, Spitze nach oben. So trug man in Serica ein Schwert, wenn es gezogen war, man aber nicht kämpfte. Dass ich trotz der kühlen Luft Schweißtropen auf meiner Stirn spürte, zeigte mir, dass ich richtig geübt hatte, ohne mich zu schonen.
Nun drehte ich mich zu den beiden Sklaven und lächelte freundlich. "Guten Morgen Amytis, guten Morgen Sporus. Ich hoffe, dass ich euch nicht mit meinen Übungen geweckt habe. Habt ihr gut geschlafen?"
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Amytis nickte Sporus freundlich zu, als er sich zu ihr gesellte. Wie es ihm wohl ging? Hoffentlich hatte er diese geschenkte ruhige Nacht wenigstens genießen können. Yúnzis Übungen begutachtete sie mit dem Blick einer jungen Frau, die durchaus in ihrer Kindheit ebenfalls Krieger beobachtet hatte, und daher zumindest erkannte, dass er wusste, was er tat. Und es sah beeindruckend aus, ebenso wie es dem Mann, wie jedem anderen Mann auch, durchaus stand, wenn er sich so bewegen konnte. Sie seufzte leise und wünschte sich, so einen friedlichen Morgen und dieses Schauspiel öfter genießen zu können, als wieder zu dem zurückkehren zu müssen, was sie beide bei ihrem Herrn erwartete.
Als Yúnzi endete und zu ihnen kam, suchte sie eilig nach einem Tuch und womöglich einem Becher mit einem Getränk, um es ihm zu reichen. Zumindest das Tuch fand sich, und sie hielt es ihm hin, als sie ihn ebenfalls anlächelte, auch wenn sie damit vielleicht etwas zu weit ging. "Ich war früh wach, Yúnzi. Und die Übungen waren sehr eindrucksvoll." -
Sie hatte ein schönes Lächeln, wodurch mein Lächeln ein wenig von der höfischen Zurückhaltung verlor und etwas strahlender wurde. Ich nahm das Tuch mit meiner rechten Hand an und tupfte mir den Schweiz von der Stirn. "Danke." Kurz blickte ich auf das Tuch, das ich eigentlich nicht so zurückgeben konnte. "Ähm... ich werde es waschen lassen." Und dann musste ich ihr Lob doch kommentieren. "Es mag eindrucksvoll erschienen sein, doch glaube ich, dass die serische Kleidung dazu viel beiträgt. Denn noch bin ich nicht so weit, wie ich es gerne wäre. Wenn du wüsstest, wie es aussieht, wenn Prinz Jiénzǐ übt, dann würde ich dir wie ein blutiger Anfänger erscheinen." Während ich sprach, ging ich die paar Schritte zur Schwertscheide aus Rosenholz ging und das Tuch daneben ablegte. Ich ließ das Schwert von der linken in die rechte Hand wandern und nahm dann die Scheide mit der linken. Während ich mich wieder zu Amytis umdrehte, ließ ich das Schwert in die Scheide gleiten und trug diese nun locker in der linken Hand. Währenddessen sprach ich weiter. "Die Griechen mögen es anders sehen, doch in Serica steht es einem Philosophen gut zu Gesicht, sich auch im Schwertkampf zu über. Zum einen hilft es, die Gedanken zu fokussieren. Doch darüber hinaus verlangen die Übungen auch Disziplin und man lernt, mit Frustrationen umzugehen. Und natürlich hilft es auch, sich gegen Räuber zur Wehr zu setzen, was ich aber bisher nie unter Beweis stellen musste."
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Im Gegensatz zu ihrer Befürchtung schien das Lächeln des Mannes sogar noch ein wenig breiter zu werden, was sie wirklich wunderte. Seit ihrer Gefangennahme, hatte man sie höchstens überlegend angelacht, aber das hier wirkte so ganz anders. Er bedankte sich und gab ihr nicht einmal das Tuch zurück. Das brachte sie noch mehr aus dem Konzept, denn sie war doch eine Sklavin und genau dafür hier, oder? Da sie in dieser Erwartung die Hand ausgestreckt hatte, stand sie kurz etwas verloren da, aber immerhin konnte sie den Blick senken und ihre roten Wangen so ein wenig überspielen. Sie hatte sie beide in Verlegenheit gebracht, zumindest dachte sie das, und kam sich dumm dabei vor.
"Ich habe gehört, dass auch griechische Philosophen wussten, dass Geist und Körper zusammengehören, in gewissem Maße.", sagte sie zu seinen Worten, vielleicht etwas zu spontan und zu schnippisch, ohne ihn beeindrucken zu wollen, aber durchaus angeregt von der Verlockung, ein Gespräch auf einer etwas anderen Ebene zu führen, als in ihrem bisherigen Sklavendasein, in welchem ihr Körper eine viel zu große - die einzige - Rolle gespielt hatte. So viel wusste sie von diesen Dingen nicht, aber: "In meiner Heimat sind die besten Krieger jene, die dem Herrscher am nächsten stehen und das Reich lenken." Vermutlich war das im Römischen Reich nicht anders, aber eben unter anderem dank dieses Reichs mussten die Parther eine recht wehrhafte Gesellschaft sein. Und logischerweise stellte der Adel natürlich auch die Denker des Partherreichs, was für Amytis den Kreis schloss. "Ich wünsche dennoch, dass alle Räuber dich verschonen.", schloss sie dann, ein wenig unterwürfiger. -
Sporus stand etwas verloren daneben. Was der Herr und auch Amytis alles wissen, dachte er sich. Ihm hat man keinerlei Bildung mitgegeben, was ihn etwas traurig machte.
Er entschloss sich, dem Geschehen weiter zuzuhören. Für ihn war das alles recht spannend.
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Ein anerkennendes Nicken zeigte, dass Amytis nicht falsch lag. "Es stimmt, Körper und Geist gehören auch für griechische Philosophen zusammen. Doch haben sie sich eben nicht in dem Maße dem Schwertkampf gewidmet, wie es in Hàn üblich ist." Das war eine einfacher Fakt. "Natürlich spielt hier auch mit hinein, dass das Schwert zu den Standessymbolen eines serischen Gelehrten gehört. Was ich mich allerdings bei deiner Anmerkung frage, ist, was zeichnet die besten Krieger aus? Ihre Fähigkeiten im Kampf? Ihre Kenntnisse der Strategie? Ihr Charisma? Wann gehört ein Krieger zu den besten Kriegern?" Es war eine Frage der Art, wie sie Jiénzǐ zu fragen pflegte.
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Amytis hielt einen Moment inne, bevor sie antwortete. Die Frage war offen gestellt, ohne eine Falle zusein, und sie spürte, dass hier nicht die richtige, sondern eine ehrliche Antwort gesucht war. Sie hielt den Blick gesenkt, auch um ihre Worte zu ordnen, und hob ihn dann wieder leicht, ohne ihm direkt in die Augen zu sehen.
„In meiner Heimat,“ begann sie ruhig, „sagt man, ein Krieger sei dann der Beste, wenn er nicht kämpfen muss.“ Sie ließ die Worte kurz stehen. „Fähigkeit im Kampf ist notwendig, ja. Ebenso Kenntnis von Taktik und Ordnung. Aber all das kann man lernen. Was nicht jeder lernt, ist Maß. Der beste Krieger weiß, wann Gewalt schadet, selbst wenn sie ihm selbst nützen würde. Und er kennt seine eigene Furcht. Und somit seine Grenzen.“
Ein wenig Wind zog durch das Peristyl, und sie legte eine kurze Pause ein.
„Charisma und damit auch Ruhm,“ fuhr sie fort, „sind wichtig, aber gefährlich. Es kann Männer führen oder sie verblenden. In Parthien vertraut man einem Krieger erst dann wirklich, wenn er auch schweigen kann, wenn andere seinen Ruhm preisen.“
Dann hob sie den Blick ein wenig weiter. „Darum stehen die besten Krieger nahe beim Herrscher. Nicht, weil sie am härtesten zuschlagen, sondern weil sie das Reich als etwas Größeres begreifen als sich selbst.“
Sie schwieg, merkte erst jetzt, wie frei sie gesprochen hatte. Einen Augenblick lang war da Unsicherheit, ob sie zu weit gegangen war. Doch sie blieb ruhig stehen, die Haltung wahrend, kein Wort zurücknehmend.
„So habe ich es gelernt,“ fügte sie schließlich hinzu, wieder leiser. Und sie wusste sehr gut, dass vieles davon auch nur Theorie war und vielleicht gar nicht so gelebt werden konnte.
„Abgesehen davon sind die Rüstungen unserer Krieger zu teuer für jeden der nicht aus dem Adel stammt.“, fügte sie nun mit einem leichten Schmunzeln hinzu.
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"Eine gute Antwort." Durch eine respektvolle Verneigung unterstützte ich diese Aussage. "Allerdings möchte ich noch etwas ergänzen. Der General Sūn Wǔ hat in seinem Buch Bīngfǎ, was so viel bedeutet wie 'über die Kriegskunst' geschrieben, dass die besten Krieger keinen Ruhm ernten. Man kennt ihre Namen nicht, weil sie die Feinde besiegen, bevor sie Feinde werden. Es bedarf keines Kampfes, wenn man die strategische Weitsicht hat, den Feind so früh zu erkennen, dass er selbst noch nicht einmal mit der Planung angefangen hat, und alle Pläne zu vereiteln, bevor es überhaupt zu einem Kampf kommen kann. Der vollkommene Sieg ist ohne jeden Kampf. Was denkst du, hat er Recht?" Etwas anderes musste ich auch noch hinterfragen. "Ich sehe auch nicht, weshalb eine teure Rüstung nötig sein sollte. Wer die Kunst des Schwertkampfes wirklich beherrscht, kommt ohne Rüstung aus. Und nein, ich bin noch nicht an diesem Punkt angelangt. Auch eine adelige Herkunft ist unnötig, um zu den besten Kriegern zu gehören. Liú Bāng entstammte einer Bauernfamilie und schaffte es, ein niederer Beamter zu werden. Als es Aufstände gegen die ungerechte Herrschaft des damaligen Kaisers gab, wurde er einer der Anführer der Aufständischen und war ein siegreicher Stratege. Er besiegte sogar Gegner, die größer und mächtiger waren, als er. Und am Ende aller Kämpfe wurde ihm das Mandat des Himmels zuteil. Als Kaiser Hàn Gāozǔ begründete er eine neue Dynastie und Jahrhunderte des Friedens und Wohlstands für sein Volk. Allerdings war er eine vollendeter Schwertkämpfer. Man sagt, dass es ihm gelang, eine angreifende Schlange zu enthaupten, bevor sie ihn beißen konnte. Er hatte das Schwert noch nicht gezogen, als sie zum Angriff ansetzte. Er zog das Schwert so schnell und führte dabei gleichzeitig einen Hieb aus, dass sie ihn nicht zu beißen vermochte. Vielleicht ist es wahr, vielleicht auch nicht. Aber es zeigt, dass eine adlige Herkunft für den Himmel unwichtig ist. Wichtig ist die innere Einheit von Schwert und Krieger, ein reines Herz und die Fähigkeit, Gegner zu vernichten, ohne es zum Kampf kommen zu lassen. Wie siehts du das?" Die Fragen waren offen gestellt. Ich war ehrlich an ihrer Meinung interessiert.
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Amytis hörte aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Die Namen, die er nannte, waren ihr fremd, doch die Gedanken dahinter nicht. Als er geendet hatte, neigte sie leicht den Kopf, vor allem aus Respekt vor der Sorgfalt, mit der er sprach. Dann antwortete sie ruhig und überlegt.
„Ich denke, er hat Recht“, sagte sie. „Zumindest in dem, was das Ziel betrifft. Ein Sieg ohne Kampf schont nicht nur das eigene Volk, sondern auch den Feind. Wer nicht erniedrigt wird, kann später Teil von etwas werden.“
Sie hielt kurz inne und faltete die Hände. Ihre Stimme blieb beherrscht, doch sie sprach nun aus Erfahrung, nicht mehr nur aus Erziehung.
„Früher hätte ich geglaubt, dass solche Siege eine Sache des Adels sind“, fuhr sie fort. „Man lehrte mich, Herkunft bedeute Verantwortung und Weitsicht. Dass jene, die oben stehen, besser vorbereitet seien, und wüssten, was richtig ist.“ Ein leiser Atemzug. „Seit ich eine Sklavin bin, denke ich anders darüber.“ Ihr eigener Herr war das beste Beispiel dafür. Sie hob den Blick ein wenig, ohne ihn direkt anzusehen.
„Viele, die Macht besitzen, sind nicht geduldig genug für einen Sieg ohne Gewalt. Sie sagen, sie wollen Frieden und Zusammenarbeit, doch sie ertragen die Zeit nicht, die es braucht, dies erreichen. Ruhm und andere Belohnungen sind verlockend.“
Bei der Bemerkung über Rüstung und Herkunft zeigte sich ein schwaches, nachdenkliches Lächeln.
„Als ich von Rüstungen sprach, meinte ich weniger ihre Notwendigkeit als ihre Bedeutung. In meiner Heimat zeigen sie Zugehörigkeit. Sie sagen, wer zählt und vermeintlich geschützt werden muss. Dass dies ungerecht ist, habe ich erst wirklich verstanden, als ich selbst nicht mehr dazugehörte.“
Sie schwieg einen Moment. Es waren durchaus nicht unbedingt ungefährliche Gedanken, die sie hier äußerte, aber sie fühlte sich frei genug, es zu tun.
„Die Geschichte dieses Mannes zeigt, dass der Himmel andere Maßstäbe haben muss als Menschen. Wir haben eine vermeintliche Ordnung, doch vielleicht kommt es darauf nicht an? Vielleicht ist der beste Krieger nicht der, den keine Klinge trifft, sondern auf den keine Klinge zielt? Einer, der Macht besitzt, und sie für Gutes einsetzt? Solche Menschen sind selten.“
Sie senkte den Blick wieder.
„So sehe ich es, Yúnzi.“
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Ich hörte ihr aufmerksam zu. Aurelius Pinus war sich ihres Wertes offensichtlich nicht bewusst. "Ich danke dir für deine klaren und weisen Worte, Amytis, und dafür, dass du mich daran teilhaben ließest. Wie es scheint, hat dir deine Versklavung tiefe Erkenntnisse vermittelt. So, wie mir meine Reise nach Hàn tiefe Erkenntnisse vermittelt hat. Wir beide waren einst andere Menschen, doch haben uns unsere Erfahrungen zu weiseren Menschen gemacht. Wir erkennen, möchte ich meinen, dass die himmlische Ordnung eine andere ist, als es die Herrscher umzusetzen verstanden. Und doch kennen wir die himmlische Ordnung nicht. Der Himmel spricht nur zu denen, die sein Mandat erhalten. Und wie es scheint, verstehen ihn selbst diese Menschen allzu oft nicht." Während ich sprach, wurde ich nachdenklicher, leiser. "Der Edle strebt nicht nach Reichtum oder Ruhm, sondern nach Frieden und Harmonie für alle unter dem Himmel." Wieder etwas lauter und einem feierlichen Tonfall, wie ihn hohe serische Beamte bei der Ernennung von Privilegien verwendeten, sprach ich weiter. "So lange wir unter uns sind, brauchst du dich vor mir nicht zu verneigen und den Blick nicht zu senken. Außer, es beliebt dir. Und so lange wir unter uns sind, will ich dich Zhēnzhū nennen, wenn du es mir gestattest. Das bedeutet in etwa 'wertvolle Perle', denn du bist ein wertvolles Juwel. Noch weiß ich nicht, warum sich unsere Wege kreuzten, aber ich bin dem Himmel dankbar, dass es so ist." Ich verneigte mich tief, so wie vor einem hohen Beamten in Serica. Es war eine der höchsten Respektsbezeugungen, zu denen ich fähig war.
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Amytis war für einen Moment sprachlos. Die Worte, die er wählte, und mehr noch die Art seiner Verneigung trafen sie unerwartet. Sie senkte den Blick dennoch, weil sie Zeit brauchte, ihre Stimme zu finden. Als sie sprach, war ihr Ton leiser als zuvor.
„Wenn du mich so nennst, Yúnzi,“ sagte sie schließlich, „dann nur, weil auch eine Perle nicht ohne Makel ist.“ Ein schwaches, ehrliches Lächeln zeigte sich. „Perlen entstehen durch Verletzung. Etwas Fremdes dringt ein, und der Körper versucht, es zu umschließen. Unschädlich zu machen. Man sieht am Ende nur das Ergebnis, nicht den Schmerz.“ Sie hielt inne, als hätte sie selbst nicht erwartet, das auszusprechen. „Ich fühle mich vielleicht wie eine Perle mit kleinen Fehlern. Mit Rissen, die sie von anderen abhebt, weil sie das Licht ablenken.“ Sie hob den Blick ein wenig. „Aber vielleicht ist das nicht nur ein Makel.“
Ihre Hände lagen ruhig ineinander. „Wenn ich heute anders denke als früher, dann nicht, weil ich klüger geworden bin, sondern weil ich gezwungen war zuzuhören und auszuhalten.“
Ihr Blick glitt kurz zu Sporus, der etwas abseits stand. „Es gibt Menschen, die niemals in Geschichten erscheinen werden und dennoch Größe besitzen“, fügte sie hinzu. „Nicht jeder Krieger führt ein Schwert. Manche ertragen Leid, ohne daran zu zerbrechen.“ Es war keine feierliche Aussage, eher eine schlichte Feststellung.
Dann neigte sie leicht den Kopf. Keine tiefe Verbeugung, sondern eine bewusste Geste.
„Wenn du mir erlaubst, ohne gesenkten Blick zu sprechen, dann nehme ich dieses Geschenk an“, sagte sie.
Einen Augenblick schwieg sie, bevor sie leise hinzufügte: „Vielleicht sind es genau diese stillen Begegnungen, die es wert sind, erkannt zu werden.“ Und sie war unendlich dankbar, hier zu sein, als sie den Kopf hob und ihn anschaute. Tränen waren in ihren Augen, als sie dankbar lächelte.
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Sporus war komplett überfordert, mit dem was gesagt wurde. Aber was er verstand, machte ihn nachdenklich. Insbesondere die Aussage von Amytis: Manche ertragen Leid, ohne daran zu zerbrechen. Er schaute zu Amytis. "Ich werde versuchen, nicht daran zu zerbrechen," sagte er leise vor sich hin, obwohl seine Seele längst zerbrochen war. Aber war es ihm auch bewusst? Sporus nahm tief Luft und schaute zu Yunzi. Er verbeugte sich und sagte: "Danke für die Zeit, die ich mit dir und Amytis hier verbringen darf." Ein leichtes Schluchzen übermannte ihn.
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