Villa Rustica Tiberia Miseno

  • | Lukios


    Das Leben von Lukios war die Hölle. Sein Herr hatte ihm weggeschickt, doch das in einer grauenvollen Situation: Während vorn die Prätorianer ins Haus gestürmt waren, war er durch die Gänge der Villa gerannt, hatte Geld und Wertsachen zusammengerafft und war schließlich über die Mauer einer der Höfe auf die Straße geklettert. Doch damit war die Gefahr nicht vorüber - er hatte sich in einer Taberna eingemietet, hatte das mitgenommene Geld und den Brief seines Herrn in seine Stiefel und den Mantel eingenäht und sich nicht aus dem Haus gewagt, bis die Ausgangssperre aufgehoben wurde. Zwar war er einer der engsten Vertrauten von Durus gewesen und wünschte nichts sehnlicher, als seinen Wünschen nachzukommen, doch hatte die Angst ihn doch davon abgehalten, auf illegalem Weg aus der Stadt zu kommen. Schon die Gäste der Taberna hatten ihn immer wieder zusammenzucken lassen, wenn sie ihn länger ansahen - sicherlich suchte man ihn!


    Dann endlich war er doch aus der Stadt gekommen - an einem regnerischen Morgen hatte er sich gemeinsam mit den letzten Lieferanten durch die Porta Capena gedrängt und war zu Fuß bis zur ersten Mansio, dann auf dem Wagen eines Händlers die Via Appia hinunter mitgefahren. Auch hier hatte er sich eher zugeknöpft gegeben - und bei jedem Beneficarius zu allen Göttern gebetet, dass man ihn nicht erkannte. Aber glücklicherweise verbreiteten sich Bilder nicht sehr schnell und man konnte kaum prüfen, ob er nicht - wie er behauptete - Caius Mollis hieß, Buchhändler war und sich auf dem Weg nach Neapolis befand, um dort ein paar griechische Gedichte für seinen Laden in Rom zu kaufen. So war er schließlich doch nach Misenum gekommen, das ebenfalls völlig aus dem Häuschen war, obwohl der Kaiser inzwischen schon etwas länger tot war. Glücklicherweise war die Villa Tiberia allerdings etwas außerhalb, sodass er unbemerkt hierher gelangen konnte. Allerdings kam er zu spät - die Herrschaft war nicht mehr hier, offenbar hatte der junge Tiberius, der jetzt Pater Familias war, das Weite gesucht. Blieb die Frage: Wohin? Diejenigen Sklaven, die er unauffällig abpassen konnte, wussten nur, dass sie weg waren...





    SCRIBA PERSONALIS - AULUS TIBERIUS AHALA TIBERIANUS

  • Gelangweilt saß Lucia in ihrem Zimmer und ließ sich von ihrer Tonstrix die Haare richten. Ein Ritual, welches jeden Morgen gut und gerne eine Stunde in Anspruch nahm, obwohl kaum jemand zugegen war um das Ergebnis zu bewundern. Dennoch wollte sich Lucia auf keinen Fall gehen lassen, zum einen hatte sie sowieso hier auf dem Landsitz der Tiberier nicht viel anderes zu tun, zum anderen hasste sie es einfach nicht perfekt auszusehen. Wie hatte ihre Großtante es einmal so treffend ausgedrückt? „Das Aussehen einer Frau ist ihr Kapital, ihre Waffe und ihr bestes Argument.“ Ein amüsiertes Lächeln legte sich auf Lucias Lippen, das jedoch kurz darauf von einem unnötig heftigen Ziepen hinfort gewischt wurde. „Pass doch auf!“, forderte sie die Sklavin mit leichter Schärfe in der Stimme auf, doch die alte Dame ließ sich schon lange nicht mehr aus der Ruhe bringen. „Wer schön sein will muss leiden!“, erwiderte sie mit einem findigen Schmunzeln und steckte die letzte Nadel fest. „So, wir sind fertig.“, verkündete sie zufrieden und holte rasch den kleinen Handspiegel, damit sich die Herrin darin bewundern konnte.


    „Sekunda, du bist eine Meisterin deines Faches!“, kommentierte Lucia nach kurzem kritischem Studium und lächelte die alte Dame zufrieden an. „Jetzt nur noch ein wenig die Augen betonen, du weißt wie ich es mag. Und erzähl mal, was du so Neues gehört hast!“ Auch das gehörte wohl zu ihrem Ritual: Während ihre Haare gemacht wurden mochte Lucia Stille lieber; Früh morgens brauchte sie einfach ein wenig, um sich zu sammeln und den Schlaf komplett abzuschütteln, doch sobald sie wirklich wach war wollte sie Beschäftigung! So gut es hier in der, wie sie fand, halben Verbannung denn ging. Der Bürgerkrieg dauerte einfach schon viel zu lange! Wann würde sie endlich nach Rom und damit ins Leben zurückkehren können? Sie wollte endlich mehr als immer nur den gleichen Dorfklatsch, als welchen sie die Geschichten die sie hier immer zu hören bekam empfand. Doch in letzter Zeit klang es fast so, als ob sich wirklich was tun würde in diesem vertrackten Krieg! Sie bekamen hier nur viel zu selten Nachricht und tagtäglich wartete Lucia auf einen neuen Brief ihres Bruders, der sie zumindest in unregelmäßigen Abständen auf dem Laufenden hielt. Doch so lange keine neuen Nachrichten kamen, musste sich Lucia wohl oder übel mit dem lokalen Klatsch zufrieden geben. Die alte Sekunda begann auch sogleich von der angeblichen Affäre des Nachbarn und Lucia hörte mit halben Ohr zu, während sie sich nicht zum ersten Mal zurück nach Rom träumte.

  • Erst als die Belagerung gelockert wurde, war es wieder möglich Boten hinauszuschicken. Lepidus hatte die erstbeste Möglichkeit genutzt, einen seiner Sklaven auf den Weg zu schicken, auf das er so schnell wie möglich Lucia eine Nachricht überbringen konnte, eine Nachricht, über die sie sich wohl sehr freuen würde. Es war nicht weniger als der Ruf nach Hause.



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    Tiberia Lucia
    Villa Rustica Tiberia Miseno
    Misenum, Italia


    Meine liebe Lucia,


    ich kann gar nicht ausdrücken, wie leid es mir tut, dass du in letzter Zeit nichts von mir lesen konntest, wo ich mich doch immer bemühte, dich so gut es geht auf dem Laufenden zu halten. Doch die Nachricht, dass die Truppen Cornelius Palmas bis nach Rom vorgerückt waren, wird auch dir nicht verborgen geblieben sein. Sie umstellten die Stadt und ließen nichts hinein oder hinaus, weshalb es mir unmöglich war, dir zu schreiben.


    Doch nun ist etwas wunderbares passiert. Ich kann den Rausch, den ich fühle, immer noch nicht ganz im Zaune halten. Es war ein unbeschreibliches Schauspiel, als sich die Truppen endlich in die Stadt hineingewagt hatten und alles umstellten. Man sagt sogar, die eigenen Leute des falschen Kaisers hätten ihn im Stich gelassen und die Tore Roms bereitwillig geöffnet. Direkt zogen sie auf den Palatin mit der Absicht diesen miesen Tyrannen, der sich in Rom für eine Zeitlang Kaiser nennen durfte, endlich zur Strecke zu bringen. Den Mann, der unseren geliebten und großartigen Cousin Durus in den Tod getrieben hat und der für das Leid unserer Familie verantwortlich ist. Nun wird er seiner gerechten Strafe zugeführt. Das Schicksal ist mit uns und ich möchte fast weinen in Anbetracht dieses unbeschreiblich schönen Ereignisses. Die Götter sind auf unserer Seite!


    Die Belagerung ist nun vorbei und ich habe die erste Möglichkeit genutzt, dir zu schreiben, dir vielleicht sogar zum letzten Mal zu schreiben, denn mit dem Einmarsch der Truppen geht nun auch der Bürgerkrieg seinem sicheren Ende entgegen. Das, worauf wir so lange gewartet haben, ist endlich eingetroffen.


    Ich hoffe nach wie vor, dass du mir nicht böse bist, als ich dich damals bat auf unserem Landsitz auszuharren, bis sich wieder bessere Zeiten ergeben würden, doch du hättest es in Rom nicht ausgehalten. In meinen Briefen verschwieg ich dir stets, wie schwer ich es hier die ganze Zeit über in Rom hatte. Unser Name war in Verruf geraten, jeder betrachtete mich argwöhnisch und dies wäre dir wohl nicht anders ergangen. Es wäre kein Platz für eine edle Patrizierin gewesen. Ich wollte nicht, dass diese Schergen des Vesculariers deinen Stolz brechen, wie sie Durus gebrochen und zu Tode geschickt haben. Ich schreibe dies nur in der Absicht, dass, wenn du zurückkehrst, womöglich den ganzen Sinn meiner früheren Handlungen begreifst und mir demzufolge nichts nachträgst. Es war alles zu deinem Besten und ich würde jedes Mal wieder so handeln.


    Trotz der neuen politischen Lage und der Tatsache, dass bald wieder ein Mann aus einem edlen Geschlecht an der Spitze Roms stehen wird, werden wir viel Arbeit leisten müssen, um unsere alte Stärke wiederzuerlangen. Die Diffamierungen gegenüber Durus und damit unserer ganzen Familie müssen zurechtgerückt werden. Die Tiberier müssen sich aus der Asche emporheben, die dieser Krieg hinterlassen hat. Ich rechne hier mit deiner tatkräftigen Unterstützung und ich weiß, dass ich in dir eine geliebte Schwester habe, auf die ich mich verlassen kann. Ich wartet auf dich in Rom. Die Villa Tiberia wird dir wieder ein Zuhause sein.


    Auf bald,
    Lepidus



    Villa Tiberia
    Roma

  • Sie waren noch nicht ganz mit ihrem Morgenritual fertig, als es sachte an der Tür klopfte. Sekunda unterbrach ihre recht ausschweifenden Ausführungen über die angebliche Geliebte des Nachbarn und dem seine dümmlichen Ausreden gegenüber seiner Frau und öffnete die Tür einen Spalt breit. Lucia spitzte die Ohren, konnte aber nur leises Flüstern vernehmen, ehe sich Sekunda mit einem Lächeln zu ihr wandte: „Da ist ein Bote mit einem Brief für dich, Herrin. Ein Sklave deines Bruders…“ Lucias eben noch leicht abwesender Blick hellte sich auf und sie sprach: „Bringt ihn zu mir! Den Brief möchte ich auf der Stelle lesen!“ Der Befehl wurde weiter gegeben und Sekunda vollendete rasch ihr Werk, ehe der Bote noch schmutzig vom Straßenstaub eintrat. Er fand sich einer anmutigen jungen Frau, welche auf das beste herausgeputzt war gegen über, die sogleich verlangend die Hand ausstreckte. Sie bekam den Brief ausgehändigt und sofort, ohne dem Sklaven zu erlauben sich zu entfernen, begann die junge Tiberia zu lesen.


    Ihre Lippen bewegten sich sachte, während sie den Brief sorgfältig studierte und je weiter sie kam, umso freudiger wurde ihr Gesichtsausdruck. Es sollte endlich zurückgehen! Am liebsten wäre Lucia sofort aufgesprungen und hätte befohlen zu packen, doch das musste alles sorgfältig geplant werden, wenn gleich von Anfang an alles richtig laufe sollte. Nach kurzem Überlegen hob sie ihren Blick und ihre Augen kamen auf dem Boten zu liegen. Mit einem freundlichen Lächeln begann sie zu diesem zu sprechen: „Ich danke dir, dass du diesen Brief so schnell und zuverlässig überbracht hast. Dafür kannst du dich in der Küche gleich aufs Beste versorgen lassen! Aber vorher beantworten mir doch bitte ein paar Fragen.“ Ihre Stimme war liebenswert auch wenn deutlich war, dass jede ihrer Bitten ohnehin als Befehl aufgenommen werden würde. „Was hat mein Bruder dir aufgetragen? Sollst du nur ein Antwortschreiben zurückbringen oder gleich mich und meinen Haushalt zurück begleiten?“ Sie wartete kurz auf eine Antwort und fuhr dann mit ihren Fragen fort: „Ist es schon sicher zu reisen? Keine herumziehenden, marodierenden Soldaten mehr? Die Belagerung Roms ist vorbei, aber was ist mit diesem unseligen Bürgerkrieg?“ Von den Antworten, die ihr der Sklave nun gab, würde sie wohl ihr weiteres Vorgehen abhängig machen müssen.


  • Pittacus


    Der Bote freute sich, dass er seinen langen Weg endlich hinter sich gebracht hatte und nun in diesem prächtigen Anwwesen einkehren konnte. Die Begehrlichkeit nach dem Brief, konnte Pittacus nur allzu gut verstehen. So wie er von seinem Herren erfahren hatte, musste die junge Frau hier schon seit geraumer Zeit ihr Dasein fristen. Er überreichte ihr das Schreiben und wartete geduldig, während er ihre freudigen Gesichtsausdruck registrierte. Wenn man gute Nachrichten überbrachte, gab es meist eine extra Belohnung. Auf die hatte er natürlich spekuliert.


    "Nichts zu danken, Herrin. Ich hab nur getan, was mir aufgetragen wurde.", gab sich der Sklave bescheiden. Dann musste er seine Gedanken sammeln, um die vielen Fragen zu beantworten. "Ähm, nun ja, dein Bruder meinte nur, dass du dir Zeit lassen und nichts überstürzen sollst. Zum Zeitpunkt meiner Abreise, war dieser Cornelius Palma noch nicht in Rom eingetroffen und die Lage demzufolge noch sehr unübersichtlich. Inzwischen könnte sich daran aber schon wieder etwas geändert haben. Auf dem Weg hierher gab es keinerlei Gefahren, aber noch kann man wohl nicht sagen, ob wirklich Ruhe im Reich einkehrt oder ob es noch weitergehen wird. Jetzt, wo Rom allerdings befreit wurde, scheint zumindest dieser Ort wieder für einen Tiberier bewohnbar. Ich bin jedenfalls hier, um dich bei deinen Reisevorbereitungen zu unterstützen und dich mit meinem Leben zu verteidigen, wenn es Schwierigkeiten geben sollte." Augenscheinlich hatte Tiberius womöglich deshalb auch einen sehr kräftigen Sklaven geschickt, der alles in die Hand nehmen sollte und auf dem Landsitz selbst gab es immerhin auch noch genügend Personal, welches sich um Lucia kümmern konnte. Fehlen sollte es ihr jedenfalls an nichts.

  • Sie sollte sich also Zeitlassen? Lucia wäre fast ein verächtliches Schnauben entwichen, doch sie konnte sich beherrschen. Lediglich ihr Lächeln flackerte für einen Moment, was jedoch nicht unbedingt auffallen musste. Glaubte ihr Bruder denn sie würde auch nur eine Sekunde länger als nötig in dieser Verbannung ausharren? Aus seinem Brief konnte man nur allzu deutlich sein schlechtes Gewissen, ob dieser Entscheidung herauslesen, obwohl oder vielleicht gerade weil er sich so vehement rechtfertigte. Das würde Lucia noch wunderbar nutzen können. Doch nicht sofort. Sie würde verständnisvoll sein, in ihm nur einen winzigen fast zu vernachlässigenden Zweifel lassen und dann wenn es drauf ankam…
    Die Vorstellung erfüllte Lucia mit einer grimmigen Genugtuung und sie konnte es kaum erwarten endlich aufzubrechen. Doch Eile mit Weile! Wenn sie eine Sache hier gelernt hatte, dann war es sich geduldig zu geben. Also nickte sie auf die Worte des Sklaven und lauschte diesem weiter.


    „Na, die Reisevorbereitung lass mal die Sorge anderer sein!“, schmunzelte Lucia. Ohne es zu wollen, hatte sie das amüsante Bild im Kopf, wie dieser tumbe Kern versuchte all ihre Kleider so zu verstauen, dass sie möglichst knitterfrei am Ziel ankamen. Dass es bei Reisevorbereitungen nicht nur darum ging, war ihr natürlich bewusst doch das Bild war einfach zu herrlich. „Ich wäre dir dankbar, wenn du dich ganz auf die Sicherheit unserer Reise konzentrierst.“ Das wäre ja noch schöner, wenn sie nach all der Zeit endlich auf dem Heimweg wäre und dann Rom am Ende nie erreichte! „Sprich mit unseren Wachen und entscheide wie viele Begleiter für eine sichere Reise nötig sind und was sonst noch veranlasst werden muss.“ Eine Eigenschaft, die Lucia an sich selbst besonders schätzte, war zu wissen, was sie nicht konnte und diese Dinge gehörten eindeutig dazu. „Aber jetzt erhol dich erst einmal von der sicher beschwerlichen Reise!“ Sie entließ den Sklaven mit einer graziösen Handbewegung.


  • Pittacus


    "Ganz wie du wünschst, Herrin." Ganz klar, die Frau wusste, was sie wollte. Bedauerlich fand Pittacus nur, dass es noch keine Extra-Belohnung für seine Mühen gegeben hatte. Naja, der blick auf diese hübsche Patrizier-Dame sollte es wohl erst einmal richten und immerhin hatte er ja auch Zeit für Erholung bekommen. Allerdings nutzt er die Zeit, die ihm vom Tage noch bliebt, um sich schon mit dem Wachpersonal des Landsitzes auseinanderzusetzen. Er musste sich erst einmal ein Bild machen, wer hier alles verfügbar war und wie viele er überhaupt brauchen würde. Der Weg hierher war relativ gefahrlos, also vielleicht nicht ganz so viele... oder vielleicht auf Nummer sicher gehen. Lepidus würde ihm sicher gleich ein Messer in den Bauch rammen, wenn seiner Schwester was passierte, wozu er ja schon bei weniger schlimmen Anlässen neigte. Hmm... Nun gut, dachte sich Pittacus und als erstes sortierte er jemanden aus, der noch zu jung war und einen anderen, der nur noch ein Auge hatte. Das so jemand überhaupt noch Wache stehen durfte, aber naja. Letztlich hatte er sich drei Männer herausgepickt. Zu Viert sollten sie dieser Lucia genug Eskorte bieten können. Daneben noch der Sklaventross, den die Herrin ohnehin für ihre Reise bräuchte und es sollte eigentlich alles passen. Anschließend versuchte sich Pittacus wirklich noch etwas zu erholen und begab sich zum Sklaventrakt, faste essen und legte sich ein wenig aufs Ohr. Dennoch bereitete er sich darauf vor, jede Minute gerufen zu werden. Dann würde es wohl schon wieder zurück nach Rom gehen. Ein Glück, dachte sich Pittacus. Er spielte die Leibwache lieber in der Stadt als irgendwo weit draußen auf den Landstraßen...

  • Am liebsten wäre Lucia noch am gleichen Tag aufgebrochen, doch das ging natürlich nicht. Die gesamte Villa Rustica war in heller Aufregung, denn kaum hatte der Bote das Zimmer der Herrin verlassen, begann diese auch schon Anweisungen zu geben. Der Reisewagen sollte hervorgeholt, überprüft und hergerichtet werden. Morgen hatte er abfahrbereit zu sein! Die Küchensklaven sollten alles Nötige für eine Reise nach Rom vorbereiten, aber doch bitte leicht verdaulich und wohlbekömmlich! Immerhin würden sie bis zu vier Tagen unterwegs sein. Nur ihre besten Kleider sollten eingepackt werden! Immerhin wollte sie auch in Rom zu den elegantesten Damen der Gesellschaft gehören. Den Schmuck durften sie keinesfalls vergessen und die Kosmetika genauso wenig! Lucias Lyra, welche sie in ihrer Zeit hier zu spielen gelernt hatte, sollte mit aller Vorsicht verpackt und mitgenommen werden. Die in letzter Zeit leicht melancholisch wirkende Frau war auf einmal voller Energie und Tatendrang. Sie scheuchte das ganze Haus mit fester Hand, aber freundlichen Worten und jeder konnte ihre Vorfreude spüren.


    Schuhe, Fächer, Bänder, Sonnenschirme, Spiele und Schriftrollen fanden ihren Platz neben Geldbörsen, Fibeln, Gürteln, Tüchern, noch mehr Schuhen und dem ganzen Rest an Kleinkram. Nichts von Lucias persönlichem Besitz wurde vergessen und alles aufs sorgfältigste in Reisetruhen verstaut. Es dauerte wohl nicht einmal bis Mittag, bis auch noch der Letzte mitbekommen hatte, dass es morgen losgehen sollte.


    Abends hatte Lucia zunächst vor freudiger Aufregung geglaubt nicht einschlafen zu können, doch der Tag war so ungewohnt aktiv gewesen, dass sie schon nach kurzer Zeit schlummerte. Am nächsten Morgen ließ sie sich von Sekunda reisefertig machen, doch es gab noch hier und dort Kleinigkeiten, welche noch geregelt werden mussten… Dadurch stand die Sonne fast schon auf ihrem höchsten Stand, als Lucia zusammen mit ihrer Leibsklavin in den Reisewagen einstieg. Dort waren zum Glück genügend Decken, denn obwohl man den Frühling erahnen konnte war es doch noch recht kühl. Doch Lucias Vorfreude war ungebrochen, sie schob den Laden des Fensterchens auf ihrer Seite auf, strahlte hinaus und rief: „Auf nach Rom!“


  • Pittacus


    "Plunder! So viel Plunder!", hätte Pittacus am liebsten ausgerufen, als er dabei half dieses ganze feine Zeug für die Reise zu verladen. Wie konnte man nur so viel Zeug mit sich herumschleppen? Der Sklave war immer schon recht perplex, wenn es um die mit Luxus um sich werfende Oberschicht ging. Jetzt, wo er für diese Patrizier-Familie diente, konnte er seinen Unglauben kaum in Worte fassen. Dieser kleine Tross würde sie wahrscheinlich nur aufhalten und war in höchstem Maße unpraktisch. Für ihn, der er doch für die Sicherheit zuständig war, war das Ganze ein Graus. Eine bessere Einladung für Banditen konnte es doch kaum geben, dachte er sich und beschloss auf Weg ganz besonders wachsam zu bleiben.


    Während die Herrin völlig enthusiastisch war, konnte Pittacus einfach nur mürrisch dreinblicken. Hoffentlich würde er diese Tiberia heil nach Rom bekommen, sonst wäre das hier sicherlich sein letzter Auftrag oder gar sein letzter Gang auf Erden...

  • Sie waren sicher hier angekommen, weder Verus noch Luna hatte von der Reise viel mitbekommen. Der Haushalt hier war in heller Aufregung. In Windeseile hatte man alles vorbereitet und ein Zimmer für den Tiberius hergerichtet. Erst als man Luna in ein Zimmer in den Sklavenunterkünften verfrachten wollte hatte einer der sie begleitenden Sklaven aus Rom protestiert. „Wenn ihr die Beiden trennt, reißt euch der Dominus den Kopf ab sobald er wieder dazu in der Lage ist.“
    So hatte man schnell noch ein kleineres Bett herbeigeschafft und es auch in dem Zimmer untergebracht. Der Assistent des alten Arztes aus Rom hatte alle Hände voll zu tun, die beiden zu versorgen. Verus machte Fortschritte, aber Luna machte ihm Sorgen, sie dämmerte nun schon ein paar Tage einfach nur vor sich hin. Er musste sich redlich mühen, damit sie überhaupt etwas trank oder Essen zu sich nahm. Nun aber stand er am Bett des Tiberius und betrachtet schweigend seine Patienten.

  • Ein obskures Delirium hatte Verus umfasst. Gedanken zerflossen in einem endlosen Fluss und die Taubheit mischte sich mit der Pein des Schmerzes zu einem seltsamen Gefühl des kalten Schwebens, während der Boden bebte. Sein Herz schlug stark aber brüchig. Der Trecenarius hatte sich verzockt. Nicht in seinen Aufgaben, sondern in deren Erfüllung. Die Lügen waren nicht mehr zu ertragen und doch gab es keinen Ausweg, da Lügen immer neue Lügen erzwangen, um den Rest des verborgenen Lebens zu bewahren. Verus war längst verloren, entrissen seiner Zeit und ein Glück konnte für diese unzufriedenen Geist nicht mehr existieren. Die Blutung, die ihm Leben genommen hatte, gab ihm vorallem aber auch Zeit. Er konnte nachdenken, während in diesem irrigen Delirium dämmerte und mit aufgerissenen Augen an die Decke starrte. Ein klares Bewusstsein konnte er nicht vorweisen aber gestammelte Worte der Vergebung. Er forderte Vergebung ein, die er nicht von Göttern oder der Welt erhalten konnte, sondern allein von sich selbst. Doch Verus verabscheute sich. All das, was er war, war unwert für eine bessere Welt, die er so sehr ersehnte. Eine Welt mit Luna und einer echten Hoffnung auf kurzfristige Beständigkeit. Die Finger suchten in schlanker Bewegung das Gefühl der Decke, welche ihn bedeckte. Er spürte diese reale Welt, obwohl ihn längst die Schatten des Pluto umfingen, die er gerufen hatte.


    Nicht durch sein Leben war Pluto, der Gott aller Meuchler, in sein Träume geraten, sondern durch seine Taten. Als Soldat war Verus stets Knecht eines Zeitgeistes, eines Unholdes, der stets umging und seinen Tribut in Blut forderte. Und wieder einmal hatte Verus gezahlt. Er zahlte auch für andere, die nicht zu zahlen bereit waren. Nein, dieser Mann war kein Held, sondern viel mehr ein stiller Teilhaber am Wahnsinn der Waffe und der gierigen Macht eines Staates. Die Bestrafung für seinen Lebensweg war eine permanente, die ihm, wie einst einem fernen Aufrührer in Iudea auferlegt worden war. Ein einfaches Leben, ein kleines Leben, hatte keinen Wert in einer Welt. Nicht einmal das eines Meuchlers, der so ungerne Leben nahm aber so gut darin war. Verus wusste, dass nichts in dieser Welt von Bedeutung war und doch war da diese Sehnsucht nach etwas, was Endlosigkeit war. In Luna hatte er einen Kuss Ewigkeit gefunden, der nicht entrissen werden konnte, da die Erinnerung blieb aber selbst diese drohte im Delirium seines Zustandes an Gewichtung zu verlieren. In seinem kranken Wahn, im Fieber, sah er jedes einzelne Gesicht der durch seine Hand Getöteten. Gefallene Feinde, Staatsfeinde und auch schlicht Gefangene und Aufständische; Bauern, Söhne, Töchter und Familien, zu Hunderten geschlachtet auf den Feldern der Ehre und des Befehls, ob gut oder schlecht. Es war niemals genug Blut für Pluto. Angst umnächtigte Verus. Reue wuchs, so sanft und schön, durchbrach den eisernen Frost, während die Nebel sich schlossen. Tränen durchbrachen die Augenlider, wollten die Augen in schützenden Glanz fallen lassen, während sie über sein Fleisch herabrannen. Verus lernte eine einfache Tatsache: Leben war wertvoll. Auch seines. Selbst, nach alldem, war eine Geburt und Existenz ein Wunder. In jedem Leben steckte ein Stück Ewigkeit, und umso schmerzte Verus seine eigene Gleichgültigkeit. Er wünschte sich seinen Tod, auch wenn er längst wusste, dass auch dieses Delirium enden würde und sein Körper nicht vergehen konnte; noch nicht. Als Kriegsmaschine war dieser Tiberius durch seine Umstände erzogen, gemacht worden und so würde er auch weiter arbeiten, bis seine Funktionen ihren Dienst versagten aber noch taten sie es nicht. Solange er fieberte und sein Herz spürte, war dort Leben. Der Mann wollte sich erklären, einen Satz finden, um zu beschreiben, was er sah aber brachte nur ein Wort heraus: "Gnade."


    Es war die umschriebene Fassung seiner Erfahrung. Er wollte und brauchte Gnade. Keine göttliche Gnade, keine Gnade und Vergebung seiner Mitmenschen, sondern schlicht Gnade einer vergangenen Zeit, die nie mehr wiederkommen würde. Die Erinnerungen peinigten den Soldaten, während er jede einzelnen Kampf seines Lebens sah, erneut durchlebte und erneut das fremde Blut und Schmerz in seinem Gesicht spürte. Er wollte schreien, doch blieb der Mann still und nur die Tränen aus seinen aufgerissenen Augen warnten über seinen Schmerz. Eine Chance zur Flucht gab es nicht. Verus strafte sich selbst; und das nur zu gerne, um leben zu können. Ein Leben, welches er Luna schenken wollte, da sie alles war, was er in dieser Lage erbeten wolte: Sie zu sehen und erneut ihre Wärme zu spüren.

  • Der Arzthelfer hatte wirklich alle Hände voll zu tun. Zum einen musste Luna ruhiggestellt werde, damit sie nicht doch aus dem Bett hüpfte. Ja er war sogar dazu übergegangen sie einfach an das Bett zu fesseln, was ihm zwar wüste Beschimpfungen und Verwünschung der Germanien eingebracht hatte. Aber er hatte es einfach ignoriert und immer wieder versucht auf die Frau einzureden, dass sie sich schon muste, dass sie ihr Kind immer noch in sich trug, dass sie es vielleicht doch lebend zur Welt bringen könnte, wenn ja wenn sie doch nur ruhig liegen blieb. Aber die Germanien machte sich ja viel mehr Sorgen um den Tiberius, der aus unerfindlichen Gründen einfach nicht recht zu Bewusstsein kommen wollte. Der Arzthelfer hatte nun all sein Können und Wissen aufgeboten. Er hatte ihn gegen alle möglichen Vergiftungen behandelt. Ja er war sprichwörtlich mit seinem Latein am Ende.
    Nun stand er hier an dem Bett der Sklavin und beobachtete diese. Sie träumte und ihre Träume waren wohl auch kaum besser als die des Tiberius. Nur das die Sklavin sich aufgrund der Fesseln nicht bewegen konnte. Es wäre auch zu zu blöd, wenn man sie im wachen Zustand ruhig halten würde und sie sich dann wegen ihren Albträume zu heftig bewegen würde. Nein er würde die Fesseln erst dann lösen lassen, wenn die Germanin und ihr Kind stabilisiert waren. Und wenn der Tag kommen würde, wäre er ganz sicher weit weg. Denn er war sich sicher, dass Luna ihm die Augen auskratzen oder schlimmeres antun würde, sobald sie dazu in der Lage war.


    - - -


    Dunkelheit. Stille. Ruhe. Doch die Stille wurde von dem Schrei, dem Jammern einer Frau unterbrochen. Einer Frau, die ihr totes Kind im Arm hielt und neben einem toten Mann kniete. Luna wollte zu der Frau, sie trösten wollte ihr Mut zusprechen, doch es waren die ranken der Dornen die sie fern hielten. Egal wie sehr sie dagegen kämpfte sie konnte sich nicht aus den fessel befreien. Sie war gezwungen zu sehen. Aus ihrem Mund kamen keine Laute, egal wie sehr sie es versuchte, kein Laut drang über ihre Lippen. Sie war verurteilt stumm und regungslos auf das sich ihr bietende Bild zu blicken. „Du.“ drang nun die Stimmer der Frau an ihr Ohr. Die Stimme war kalt, grauenvoll und böse. „Du hast dies getan.“ Luna wollte den Kopf schütteln den Blick abwenden. Doch auch hier verhinderten die sie haltenden Dornen, dass sie den Kopf wegdrehen konnte. Sie musste sehen und sie musste hören. „Du hast dies getan. Sie sind tot nur wegen dir.“ Sagte sie und nun gab die Gestalt den Blick auf Kind und Mann frei. Ein kleiner Junge lag aschfahl in ihren Armen und zu ihren Füßen lag Verus. Die Frauengestalt wandte sich nun langsam Luna zu eine wunderschönes Gesicht erblickte man zunächst doch als sie ihren Kopf drehte konnte man ihre zweit hässliche Seite erblicken. „Hel!“ Lunas Augen weiteten sich vor Schreck. „Ja genau und diese Beiden gehören jetzt mir. Und du hast sie mir gebracht.“ Ein grauenvolles Lachen füllen nun die Dunkelheit aus.


    Mit einem Lauten Schrei erwachte Luna. „HEL NEIN!“

  • Zerschlagen waren die Träume des Mannes, der einst mit Hoffnungen und Wünschen gesegnet war. Alles, was ihm geblieben war, war dieser krankhafte Glaube an ein Rom, welches in dieser Form niemals existiert hatte. Er war verfahren, angekettet an eine Idee, die ihm alles nahm und seinen Glauben beflügelte, denn ohne dieses Rom wäre alles, was er bisher im Leben getan hatte, vergebens. Es gab nichts, außer Luna, welches mit guter Intention versehen war. Alles war durchzogen von diesem plutonischen Schwarz, dessen Anbetung, wie Gift war. Selbst wenn Verus seine Dienst beenden würde, ein Entkommen gab es nicht mehr. Was getan war, war getan und stand somit brennend in der Welt. Die getöteten Seelen auf den Schlachtfeldern seines Lebens, waren die Meister seiner Folter. Ein gemeines Gedicht, welches seinen Verstand forderte und den Wahnsinn fühlbar machte. Reue schmerzte und doch war sie nur eine schwache Antwort auf mittelbare schuldige Taten für ein Rom. Der Soldat Tiberius war ein Gläubiger der Ordnung und ein Feind der Freiheit. Doch auch Feinde fanden gelegentlich eine Absolutlion in einem Hauch Frieden. Sein Atem beruhigte sich, als ihm eine fremde Gnade gewährt worden war. Keine göttliche Macht, sondern schlicht die Zeit erlaubte ihm ein Erwachen aus seinem Wahn der ungnädige Reue. Verus schreckte auf, blickte sich verstört um und spürte die Wunde an seinem Arm, welche pulsierte. Die Zeit zerfloss in jedem Atemzug, als er auf seine Luna blickte, welche eine fremde Göttin berief. Einen Namen, den er nur aus Germanien kannte. Die Göttin der Unterwelt, ein Anruf der Furcht, der freudlos den Terror eines bösen Gedankens offenbarte. Mit schmerzenden Muskeln, erhob sich der altgediente Mann aus seinem Krankenbett, um seiner Geliebten zur Hilfe zu eilen. Doch geschwächt, konnten seine Beine ihn nicht tragen, so dass er auf halbem Weg zwischen seinem und ihrem Bett zusammenbroch, um sich mit seinen Armen am Bettgestellt seiner Luna hinauf zu ziehen. "Ich bin da," stammelte er diese Worte zusammen, liebevoll und mitfühlend. Er war hier, nur für sie. Liebe war ein Band, welches unendlich und doch für einen Menschen begrenzt war. Die Zeit trennte, was die Liebe verband. Erst jetzt bemerkte er die Fesseln aus Stoff, die Luna am Bett hielten. Traurig aber gehindert durch seinen eigenen Zustand, legte er nur seine Stirn auf ihren Schädel, um sie zu beruhigen. Ein hilfloser Versuch eines Mannes, der sich seiner selbst der größte Feind war.

  • „Verus.“ Kam es schwach über ihre Lippen und Tränen rollten über ihren Wangen. Luna war immer noch ganz gefangen von den Bilder, die sie im Traum heimgesucht haben. „Du lebst?“ Fragte sie leise ungläubig. „Hel sie will dich und unseren Sohn.. sie.. sie will euch zu sich holen.“ fing Luna stockend an zu erzählen und zerrte dabei an ihren Fesseln, was den Arzthelfer auf den Plan brachte. Er flößte Luna etwas ein, was sie innerhalb kurzer Zeit wieder einschlafen ließ. „Sie darf sich nicht aufregen und muss still liegen. Sonst verliert sie ihr Kind.“ Nun half er dem Tiberius wieder auf sein Lager. „Und du solltest dich auch nicht zu sehr anstrengen. Ich bin für euch beide verantwortlich, der Medicus und auch ein Tribun der Prätorianer haben mir beide gedroht, das sie mich einen Kopf kürzer machen, wenn einem von euch beiden was passiert. Und ich hänge an meinem Kopf, deswegen Tirberius bestehe ich darauf, dass du auch noch weiter auf deinem Lager beliebst, bis die Wunde restlos verheilt ist. Luna hat es nicht so gut wie du, sie wird die nächsten Monate … sofern sie das Kind behält im Bett bleiben müssen. Sie hat sich überanstrengt, was beinahe zu einer Frühgeburt geführt hätte. Sie darf sich jetzt weder aufregen noch zu sehr bewegen, deswegen ist sie auch angebunden.“ Erklärte der junge Helfer des Arztes.


    Nach ein paar Wochen konnte zumindest Verus das Bett unter strenger Aufsicht des Arztes verlassen. Man fing bei ihm auch mit leichter Bewegungstherapie an, die erschlafften Muskeln zu trainieren. Ja das wochenlange liegen hatte die Muskel erschlaffen lassen. Nun trugen die Beine das Gewicht des Körpers kaum noch, aber ein paar Wochen später würde das wieder alles beim alten sein.


    Bei einem solchen Training wurden die Männer nun auch angetroffen, als eine aufgeregte Sklavin ankam... „Medicus.. komm schnell sie.. sie bekommt glaub ich das Kind.“


    Luna war am Ende des achten Monats, das Kind wäre zwar klein, aber durchaus lebensfähig. Der junge Mann der bald selbst Arzt sein wollte, rannte hinauf in das Zimmer. „Bete für sie.“ Brüllte er Verus zu bevor er im Haus verschwand.
    Die Minuten rannen dahin es wurden Stunden. Immer wieder gellten Lunas Schreie durchs Haus. Immer wieder folgte darauf eine Ruhe Pause, bevor neue Schreie das Haus erfüllten. Der Nachmittag zog dahin, es wurde Abend und immer noch waren die Schreie der Germanin zu höre, sie wurden schwächer, aber kamen immer noch in regelmäßigen Abstände. Dann wurden die Abstände kürzer und die Schreie wurden immer leiser.
    Kurz bevor der Mond seinen höchsten Stand erreicht hatte, gellte ein letzter verzweifelter Schrei durch das Haus und dann folgte Ruhe ein gespenstische Stille lag über allem. Keiner der Bewohner des Hauses machte auch nur ein Geräusch. Plötzlich konnte man den kräftigen Schrei eines Neugeborenen vernehmen. Es ging ein erleichtertes Aufatmen durch alle Anwesenden. Der Medicus kam mit einem kleinen Bündel auf dem Arm und ging zu Verus. „Sie sagt es ist dein Sohn.“ Er legte den Junge zu Verus Füßen und blickte den Tiberius fragend an.

  • Ja, der Tod, wollte sie alle. Jederzeit. Verus, nicht nur als Soldat, sondern auch als Prätorianer, war sich dessen stets bewusst. Er kannte den Tod nur zu gut. Diese Kälte folgte ihm stets, verdammte ihn zu einer anderen Art der Sklaverei. Er hörte seinen eigenen Herzschlag in ihrer Nähe. Er hörte sein eigenes Leben verinnen, wie der Sand der Zeit. Alles schien still auf sein eigenes Ende zu zugehen. Verus kannte sein Herz, und leider verachtete er es. Nicht, weil er es wollte, sondern weil er es musste. Sein schwaches Herz verlangte nach Reue und Hingabe aber diese konnte er nicht mehr geben, so zerfetzt und zerrissen war seine Lebenszuversicht. "Ich lebe," antwortete der Soldat, dessen Liebe mehr Hoffnung erbat. Verus kauerte sich an seine Luna, deren Wärme sein Schluchzen verbarg, welches er bekämpfte und dennoch rannen zwei Tränen über seine Wangen. Doch die Zeit war knapp bemessen. Er wurde ihr wieder entrissen und auf sein Krankenlager verbracht. Der Tiberius konnte sich nicht mehr wehren. Gegen was sollte er sich wehren? Er hatte sich stets mit Waffen und Gewalt gewehrt aber in dieser Lage war er hilflos; ausgeliefert seiner eigenen Unfähigkeit. Er war feige. Zu feige, um wahrlich zu leben. Seine Angst lähmte ihn, mehr als das falsche Gift. "Ein Kind... - Einen Sohn...," stammelte der willfährige Soldat zusammen, während er mit müden Händen die alte Decke über seinen zernarbten Körper zog. Spuren vieler Schlachten, die ihn zeichneten und mehr über ihn aussagten, als jedes Wort. Dies war sein Zuhause, trotzdessen, das er eine Kriegsbestie war und seine dunkle Seite stets in Terror spürbar war. "Ich... Es... wollte... Ich kann... Muss...," wollten die Worte nicht mehr kommen. Sich nicht mehr finden lassen, während seine Augen glasig auf die Raumdecke gerichtet waren. Ein Singsang aus Worten, die nach Vergebung suchten und einbrachen, bevor sie einen Satz erfinden konnten. Wo Wärme war, kam der Frost. Ein kalter Frost, der sich alles nahm, bevor es wachsen konnte. Liebe kämpfte dagegen, und doch waren dort diese Grausamkeiten, die Verus ins Unmenschliche trieben. Noch war er nicht verloren aber die schweren Ketten der römischen Macht zogen an ihm. Die Römer waren grausam. Und Verus war einer von ihnen. Ihre Macht verlangte stets einen Preis, den Verus unwillig entrichtete und doch war dort etwas, was ihn ganz zum Römer machte. "Ich lebe...," verweinte er diese beiden Worte und war sich im Klaren, dass er schon lange nicht mehr lebte, sondern nur überlebte. Er überlebte seine eigene Zeit auf Befehl anderer. Seine Agenda war nicht die seine, sondern eine Lüge, eine Geschichte, die sie sich erzählten, um zu überleben. Die Prätorianer waren das wahre Gift in seinen Adern. Die Prätorianer schmiedeten die Ketten gegen die Liebe. Und doch war Verus auch genau in diesem Atemzug klar, dass er sich niemals befreien konnte. Niemals konnte er seiner Vergangenheit entkommen. Eine Zukunft lag allein in fremder Willkür, unberechenbar und kalt vor ihn geworden, wie ein Donativum. Kaum konnte er noch atmen, während er in seinen Tränen Erlösung suchte. Erinnerungen quälten ihn und doch war da diese Gewissheit, etwas Gutes erschaffen zu können. Irgendwo gab es eine Gelegenheit mehr zu sein als dieser Sklave einer wahnhaften Allmachtsfantasie. Er schlief ein, weihte sich selbst Morpheus, damit dieser ihm zeigen möge, was möglich war. Seine Liebe wählte bereits ihre eigene Zeit.


    Wochen vergingen. Wochen, in einem diesigen Dämmerzustand, der unaufhaltsam und doch gebrochen, über Verus und Luna gekommen war. Verus öffnete morbide seine Augen, während die Äderchen in ihnen pulsierten. Eine Melodie durchfuhr seinen Körper, während sein Verstand die Worte des Arztes realisierte. Beten? Verus betete nicht, sondern erfüllte eine Glaubensfunktion, wie jeder Römer, der die Riten nur befolgte, um sie zu befolgen. Trotzdessen war ihm klar, was der medicis meinte und bezweckte. Seine Geliebte erwartete ein Kind. Sie gebar es und Verus war durch Feigheit und Schwäche an sein Lager gefesselt. Der Mann war unfähig mutig in dieser Sache zu sein, da er sich vor den Konsquenzen fürchtete. Er sah sich nicht als Vater, nicht als liebevolle Person, die es verdiente, eine Familie zu haben. Verus wollte nicht wirklich etwas besitzen, was er lieben sollte. Eine Familie besaß man nicht, sondern lebte sie. Der Soldat rang mit sich, im festen Gewissen seiner eigenen Taten für Rom, oder waren es doch Taten, die er inzwischen aus wahnhafte Fixierung beging? Verus wurde schlagartig klar, dass er handeln musste. Egal, wie und was er tat aber konnte seine Luna nicht allein mit dieser grausamen Welt lassen. Der Mann erhob sich verschwitzt aus seinem Bett, suchte seine einfache Tunika, warf diese über und suchte das Atrium auf, um dort zu warten, da man Luna bereits verlegt hatte, um sie besser versorgen zu können. Die Schreie fuhren Verus in seine Seele, als sie er sie vernahm. Seine Ohren waren aufmerksam. Der nach Schweiß riechende Tiberius ging nervös auf und ab. Seine Handlung war sinnlos verkommen zu einem Warten. Der Arzt kehrte ein und Verus wandte sich ängstlich um. Der griechische medicus legte ein Bündel mit einem Säugling vor Verus ab, der nervös herabblickte. "Ich...," stammelte er wieder. Der tapfere Soldat war wieder hilflos. Nun musste Verus nach römischer Sitte handeln. Entweder er verstieß das Kind, verdammte es zu einer Existenz als Sklave oder nahm es als sein eigenes Blut an. Seine Geste unter den anwesenden Zeugen war nun entscheidend. Es dauerte einen Augenblick, bis sich Verus entscheiden konnte. Diese Sache fiel ihm schwer aber als er das Gesicht des Kindes sah, war ihm klar, dass auch er etwas Gutes erschaffen konnte. Trotz all sein Verfehlungen und Dienstbarkeit für eine grausame Macht. Er war Vater und fand genau in diesem Sturz Lebenskraft, wie auch Verletzlichkeit. Er konnte es nicht verstoßen. Nicht mehr, da sein Herz bereits in Mitgefühl schlug. Verus kniete sich herab und nahm das Kind auf seine Arme. "Mein Sohn," sagte der Tiberius und vergab damit jede Chance. Dieser Säugling war nun ein Tiberius aber Luna damit der Mutterschaft entrissen. Dieses Kind hatte absofort nur noch einen Vater und eine Amme. "Danke," sagte er merkwürdig an den Himmel gerichtet, welcher durch die Dachöffnung sichtbar war. Der Mond strahlte dankbar, während sich der gewordene Vater mit dem Kind, welches er in seinen Armen hielt, wieder dem medicus näherte. "Wie geht es Luna?" - fragte er nun besorgt den Arzt. Verus spürte Sorge und gleichsam Hingabe. Er fühlte sich lebendig.

  • Der Medicus schaute etwas betrübt drein bei der Frage. „Nun .. ähm... den Umständen entsprechend.“ Sagte er und druckste herum Eine Sklavin, die bei der Geburt anwesend war konnte jedoch nicht an sich halten. „Ihr geht’s beschissen.“ Platze sie heraus. „Sie ist vollkommen entkräftet und die letzte Kraft raubte es ihr wohl, das Kind nicht mal anzunehmen. Sie wollte es nicht mal sehen. Sie hat sich weggedreht und gesagt es ist dein Kind. Nicht das ihre.“ Die Sklavin schüttelte immer noch den Kopf.
    „Ja sie hat uns regelrecht rausgeworfen. Ihre genauen Worte waren. Schafft ihn hier raus, er ist der Sohn von Verus nicht der meine. Ich will ihn nicht sehen. Als der Arzt gegangen war und sie dachte dass sie allein war fing sie fürchterlich an zu weinen. Dominus ihr geht es beschissen, keine Mutter gibt gern ihr Kind her.“ Sagte die Sklavin in deren Augen nun auch Tränen glitzerten. „Sie sagte mir schon vor Tagen, dass sie keinen Sklaven zur Welt bringen wird. Geh bitte zu ihr Dominus und sag ihr, dass es dein Sohn ist, dass du ihn anerkannt hast.“


    Luna lag unterdessen in dem Zimmer in welchem sie gerade das Kind zur Welt gebracht hat. Sie fühlte sich leer so unglaublich leer. Die Schreie des Neugeborenen hatte ihr fast der Herz zerrissen wie gern hätte sie ihn in ihre Arme geschlossen, aber sie konnte es nicht. Sie konnte dieses Kind nicht als das ihre ansehen, dann würde sie ihn zum Sklaven verurteilen. So blieb ihr die Hoffnung, das Verus ihn als seinen Sohn annehmen würde. Sie wusste, dass er genau das tun würde. Wenn auch nur noch ein Funken von dem Verus in ihm war, den sie in Germanien kennengelernt hatte, dann würde er ihn annehmen.
    Rom hatte ihn verändert. Er war ihr fremd geworden. Nur ab und an blitze noch jener Verus durch den sie liebte. Aber zumeist war er auch für Luna nur noch ein Fremder. Er verschloss sich, er versteckte sich. Er war ganz und gar nicht mehr er selbst. Er ging in seiner Aufgabe auf und verlor sich darin. Wie oft hatte sie sich dabei ertappt, dass sie ihn sagen wollte, dass er um seine Einlassung bitten sollte. Aber jedes Mal wenn sie mit ihm reden wollte, hielt irgendetwas sie davon ab. Sie hatte tatenlos zugesehen wie er immer weiter unterging. Doch dieses Kind war eine Hoffnung. Dieser Sohn würde vielleicht der Ankern sein, den er brauchte um aus dem ganzen Sumpf in welchen er sich verstrickt hatte herauszukommen.. wenn ja wenn er ihn annehmen würde.
    Immer noch flossen Tränen aus ihren müden erschöpften Augen. Sie starrrte die Decke des Zimmers an und fühlte sich so unglaublich leer...

  • Verus musste handeln. Nicht aus Pflicht oder falscher Überzeugung, sondern weil er eine emotionale Verantwortung hatte. Nicht viel wusste er über die Liebe oder emotionale Strukturen aber eines wusste dieser Mann ganz genau, dass Luna mehr verdiente als Ketten. Ihre Ketten waren schon lange nur symbolischer Natur gewesen, da Verus nie die Absicht hatte, sie wirklich als Sklavin zu betrachten. Dennoch machte das Recht da keinen Unterschied. Auch wollte er nicht, dass sein Sohn in seinen Jugendjahren als Unfreier galt. Natürlich würde der trecenarius alsbald seine Hebel in Bewegung setzen, um eine Adrogation seines Sohnes zu erreichen, damit dieser ein echter Tiberius war. Luna würde dann nicht mehr seine Mutter sein aber wen kümmerte das Papyrus? Dafür musste er jedoch zeitnah entsprechende Schritte einleiten. Tief getroffen von seinen eigenen Empfindungen, getragen auch von der Erinnerung an die Liebe zwischen Luna und ihm selbst, trat er mit dem Kind auf seinen Armen in das Zimmer seiner stets Geliebten. "Luna, Idun," sagte er beide Namen, die diese Frau trug, obwohl ihr alter germanischer Name heute keinerlei Bedeutung mehr hatte. Namen waren ohnehin nur Worte, welche durch Emotionen Bedeutung erhielten. Verus, für einen Moment aus schlichter Existenz gerissen, betrachtete seine Luna aufmerksam. Er war besorgt, dass dieser rechtliche Schritt sie überfordern konnte aber dieser bedeutsame Schritt musste aus Gelegenheit und Verantwortung gegangen werden. Auch aus Dankbarkeit für die Hoffnung, die sie ihm gegeben hatte. "Er ist kein Sklave," sagte der besorgte Vater zur Mutter und trat an das Bett heran, um auf sie herab zu blicken, als sie Zimmerdecke anstarrte. Mitgefühl war gewachsen und Verus fand einen Teil seiner Menschlichkeit in diesem Augenblick wieder. "Ich werde dich freilassen, meine Liebe. Ich werde dich von den rechtlichen Ketten befreien und du wirst keine Sklavin sein und dein Kind ist auch kein Sklave," versprach der Soldat mit fester Stimme und zeigte Luna ihr Kind. "Es ist unser Sohn. Und ich werde nicht zulassen, dass man ihm schadet," versicherte der Mann mit tränenreichen Augen. "Ich werde die Angestellten anweisen, dass sie als Zeugen bestätigen, dass du während der Geburt bereits frei warst und werde zeitnah ein rückdatiertes Dokument aufsetzen," begann er als guter Römer mit einer Bewertung der Sachlage und einer Lösung des Problems, welches hier nur ein Rechtliches war. "Zeitnah werde ich in Rom alles für eine Adrogation vorbereiten lassen, damit er auch ein Tiberius werden kann aber bis dahin..." Er legte das Kind sanft in die Nähe ihrer Hände, löste die Fesseln, die Luna immer noch hielten. Hatte der Arzt dies vergessen? "Es ist unser Kind," verpflichtete er nun seine Geliebte, als er sich herabbeugte, um ihre Stirn mit hingebungsvoller Liebe zu küssen. "Ich bin da," sagte der leise und setzte sich zu ihr ans Bett, während das Kind merkwürdig ruhig verweilte. Es atmete und lebte. Es kam nach Verus, welcher auch nie viel geschrien hatte.

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