Cubiculum | Claudia Antonia

  • In seinen eigenen Gedanken bereits bei dem Gespräch mit seinem Sohn, den rechten Worten, welche es zu wählen galt, nickte Gracchus nur bestätigend zu Antonias repetierender Nachfrage hinsichtlich der Verantwortung, welche auf Minor würde zukommen - allfällig nicht in den ersten Jahren, doch unbezweifelt im späteren Verlaufe seines langen Lebens.
    "Dessen bin ich ebenfalls sicher"
    , pflichtete er ihr schlussendlich mit einem Lächeln bei, teilte er doch uneingeschränkt ihre überhöhte Ansicht hinblicklich ihres Sohnes.
    "Apropos, ich würde gerne die Verlobung Minimus' in den kommenden Wochen besiegeln. Wäre dir - trotz der Mühen der Gravidität - ein kleines Mahl mit den Corneliern recht? Scapula und ich sind soweit bereits einmütig, so dass die Unterzei'hnung des Vertrages nurmehr eine Formalität darstellt, gleichwohl könnten sich Minimus und Scapulas Nichte einmal kennenlernen. Seine Gemahlin Virginia würde selbst..redend ebenfalls partizipieren."
    Er erwähnte dies nur, um sicherzustellen, dass es für Antonia kein ennuyanter Abend würde werden, nicht ahnend dabei, dass seine Gemahlin bezüglich der Virginia allfällig ganz andere Befürchtungen hegte.

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  • Während Antonias Gedanken sich gerade ausschließlich um die beiden Söhne drehten, die bereits, respektive bald, ihr Leben bereicherten, war ihr Gemahl weitsichtig genug, schon an die Zukunft zu denken. Richtig, Minors Verlobung. Ein Thema, das sie gerne vor sich herschob, dessen Unausweichlichkeit ihr jedoch nur allzu bewusst war. Dass Gracchus auch dieses Kind einladen wollte, das der Cornelier geheiratet hatte ließ sich wohl kaum vermeiden, auch wenn ihr Besuch dem Flavier wohl mehr Vergnügen bereiten würde als ihr selbst, wie sie zähneknirschend feststellte. Sie zwang sich zu einem Lächeln. Je eher dieses Mahl stattfand, desto besser. Noch sah man ihr die Schwangerschaft schließlich nicht an. Daran erinnert zu werden wie alt sie selbst aussah neben jenem jungen Ding war schlimm genug, alt und dick auszusehen jedoch absolut inakzeptabel.
    "Gewiss.", erwiderte sie daher schnell und mit scheinbarer Begeisterung. "Je schneller, desto besser, denke ich. Ich würde nur ungern Gäste in einem weiter fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft empfangen.. es würde sicher zunehmend beschwerlich werden."
    In der Hoffnung der Gatte würde den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen und in seine Planung aufnehmen, lächelte sie jenes stille Lächeln, das 'Wehe, wenn nicht' zu sagen schien.

  • Es bedurfte keines Zaunpfahles, dass Gracchus den Wünschen seiner Gemahlin wollte Folge leisten, denn obgleich er kaum konnte nachvollziehen, welche Beschwerlichkeiten im Detail eine Schwangerschaft umfasste - wiewohl er den Leib seiner Gemahlin in keiner Phase mehr hatte adoriert als zu jenem Zeitpunkt als sie mit Minor hochschwanger gewesen war, stand doch kaum ein Anblick mehr für das Abbild der römischen Matrone wie sie perfekter nicht konnte sein -, so war es ihm doch stets mehr als nur daran gelegen, all ihre Wünsche zu erfüllen - zumindest sofern sie nicht sein eigenes Grauen inkludierten.
    "Ich werde gleich morgen mit Scapula einen Termin festsetzen"
    , suchte er sogleich jegliche Bedenken auszuräumen.
    "So werden wir zweifels..ohne noch in dieser Woche zu einer Zusammenkunft kommen."
    Da sie die Mühen einer Schwangerschaft selbst hatte angedeutet, schien es Gracchus in diesem Augenblick nur recht, dies als Vorwand zu nutzen, Antonia ihrer wohlverdienten Ruhe zu überlassen, denn obgleich die Nachricht über den in Aussicht stehenden Nachwuchs sie durchaus in überschwänglicher Freude in ihrer Ehe hatte vereint, so währte dieser Augenblick nicht ewig, schlich sich allmählich das leichte Kribbeln des Unwohlseins in Gracchus' Leib, welches er stets verspürte so er seiner Gemahlin gegenüber stand ohne relevante Worte auf den Lippen oder im Geiste, wenn alles ausgesprochen war, was zu sagen war, und eine eheliche Stille sich zwischen sie zu senken drohte, welche ihm stets schwer auf den Schultern lastete ohne dass er im Detail konnte sagen weshalb - allfällig allein Antonias Präsenz wegen. Langsam stand er auf - möglicherweise resultierte das leichte Kribbeln auch daher, dass sein Bein eingeschlafen war, in welches nun das Blut sukzessive wieder stärker zurück floss und das Prickeln nurmehr intensivierte, was Gracchus zu noch größerer Eile antrieb.
    "Wenn du ... ihr etwas benötigt, so zögere nicht, dana'h zu verlangen, gleich was es auch ist."
    Ein beinahe scheues Lächeln legte sich um seine Lippen, als er sich anschickte zu gehen.
    "Aber das weißt du ohnehin."

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  • "Olympus, Pallas, warum ist es hier drin so unsäglich heiss?", bellte die ungehaltene Stimme Antonias durch den Raum.
    Es war nicht heiss. Zumindest nicht nach menschlichen Maßstäben. Es war angenehm, vielleicht eher sogar zu kühl, heiss jedoch keinesfalls. Doch Pallas wäre nicht Pallas, wenn er diese Beschwerde seiner Herrin nicht widerspruchslos und mit dem ihm eigenen Schuldbewusstsein zur Kenntnis genommen hätte.
    "Vergib mir, Herrin.", sagte er also und entfleuchte dem Raum, um der schwangeren Claudia irgendwie Kühlung zu verschaffen. Koste es was es wolle... andernfalls, so fürchtete er, würde es schließlich seinen Kopf kosten. Seine Herrin zeichnete sich nie durch besonders große Geduld aus, seine schwangere Herrin indes glich einem Topf Milch, der jede Sekunde überkochen konnte.


    Antonia selbst lag rücklings auf ihrem Bett - eine andere Position war dank der recht ordentlichen Kugel, die nun ihre Körpermitte zierte, nicht mehr möglich. Durch gelegentliches Seufzen und Stöhnen erinnerte sie die verbliebenen Sklaven daran, dass es ihr ausgesprochen schlecht ging und selbst Liegen eine körperliche Anstrengung zu sein schien. Wie gewünscht umsorgte die Sklavenschaft ihre Herrin daher auch gluckenhaft, las ihr jeden Wunsch von den Augen ab und bewies ein enormes Reaktionsvermögen. Wer auch immer behauptet hatte Angst sei kein adäquates Mittel zur Motivation hatte offensichtlich Unrecht.

  • Wenn man glücklich ist, so hieß es, vergeht die Zeit wie im Flug. Auch Patrizier, selbst Antonia, bildeten hier keine Ausnahme. Allerdings war es im Falle der Claudia so, dass sich die Zustände glücklich - unglücklich fast schon stündlich abwechselten. Ebenso wie hungrig - nicht hungrig, durstig - nicht durstig und heiss - kalt. Dies allerdings weitaus schneller. Im Moment war einmal mehr die Kombination nicht hungrig - durstig - heiss dran.
    "Ich meine, sieh dir das doch nur einmal an!", beschwerte sie sich an ihren Leibsklaven gewandt. "Das ganze Laken ist nassgeschwitzt!"
    Pallas wirkte der Situation angemessen betroffen und niedergeschmettert. Auch ein wenig schuldbewusst, als er seinen Blick auf das Bett richtete und stutze. Es war nicht nassgeschwitzt, es war... nass. Seinem besonderen Gedächtnis war es zu verdanken, dass er sofort wusste, was los war.
    "Domina... ich glaube nicht, dass das von der Hitze kommt."
    Hierfür erhielt er einen fragend-irritierten Blick. Zu überrascht war Antonia durch die Widerworte, dass sie gänzlich vergaß wütend zu werden.
    "Was?"
    "Ich... äh... erinnerst du dich an deine letzte... Niederkunft?"
    "Wie könnte ich das vergessen?"
    Mit Schrecken dachte die Claudia an die Schmerzen, die Anstrengung, die quälende Ungewissheit, ob alles gut gehen würde. Und sie dachte an die Erleichterung und das unmessbare Glück, das sie empfunden hatte, als man ihr Minimus in die Arme gelegt hatte.
    "Ich denke, das ist das Fruchtwasser, domina."
    Entgeistert starrte die Patrizierin ihren Sklaven an, blinzelte ungläubig, während ihre Augen langsam an sich hinab wanderten.
    "Oh Iuno...", keuchte sie nur, unfähig etwas anderes zu sagen oder gar zu tun. Pallas wartete einige Augenblicke, hielt es jedoch nicht weiter aus in Reglosigkeit zu verharren (und am Ende noch Blut sehen zu müssen).
    "Soll ich... den medicus holen lassen? Die Hebamme? Deinen Gemahl?"
    "Ja... ja.", erwiderte Antonia, die langsam wieder zu sich zu kommen schien. "Natürlich! Worauf wartest du so lange? Vorwärts!"
    Pallas gehorchte, froh um die Entschuldigung den Raum verlassen zu können, und eilte davon.

  • Antonia hatte nach der Geburt Minors verdrängt, wie schmerzhaft der ganze Vorgang gewesen war. Zu groß war das Glück, endlich ein Kind, einen Sohn zu haben, zu perfekt jenes kleine Wesen, das ihrem bis dato scheinbar sinnlosen Leben ein Ziel, eine Richtung gegeben hatte.
    Nun jedoch, als in regelmäßigen Abständen Wehen durch ihren Körper jagten, nun erinnerte sie sich und begann sich zu fragen, warum bei allen Göttern sie nur ein weiteres Kind hatte haben wollen. Cornelia, rief sie sich in Erinnerung, Cornelia, Mutter der Gracchen. Sie würde stark sein, sie würde durchhalten und nicht aufgeben. Etwas anderes blieb ihr allerdings auch kaum übrig, denn das Kind kam, egal was sie tat.
    Inzwischen war auch Pallas samt Hebamme wieder da. Der Sklave drückte sich allerdings vor der Türe herum. Schreiende Frauen konnte er nicht ertragen, ohnehin war er ja nur im Wege. Im Gegensatz zu den weiblichen Sklaven, die Antonias "Martyrium" aus der ersten Reihe miterleben durften... oder vielmehr mussten. Während die Sklavinnen ihre Herrin umsorgten und voll Mitgefühl betrachteten, war die erfahrene Hebamme natürlich weitaus weniger zimperlich, sie erlebte dergleichen schließlich des Öfteren.


    "Keine Sorge, Kindchen.", hörte die Claudia sie sagen, als eine der schneller - und heftiger - kommenden Wehen endlich wieder nachließ. "Beim zweiten Kind geht es meistens schneller."
    "Nicht schnell genug.", presste Antonia hervor. In der Zwischenzeit tupfte eine eifrige Sklavin ihr den Schweiss von der Stirn.
    Doch in der Tat, verglichen mit Minors Geburt schien alles wie im schnellen Vorlauf zu geschehen. Die Abstände der wehen wurden kürzer, Antonias Schmerzen größer und die Nervosität der Sklaven zunehmend spürbarer. Niemand wusste schließlich vorab, ob das Kind gesund und lebensfähig oder die Mutter stark genug sein würde, um die Geburt zu überleben. Allein die Hebamme Crispina war der unerschütterliche Fels in der Brandung, die Antonias Hand hielt, die ihren Arm tätschelte, hin und wieder prüfte ob das Ungeborene sich richtig gedreht hatte und abschätzte wie lange die Geburt wohl noch dauern würde. Es war inzwischen mitten in der Nacht, die Wehen hatten am späten Abend eingesetzt. Hätte sie das geahnt, Antonia hätte wohl ein Mittagsschläfchen eingelegt. Mittlerweile war sie derart außer Atem, dass sie nicht einmal mehr zu jeder Wehe durch einen Schrei dem Schmerz ein Ventil nach Außen geben konnte.
    "So, jetzt dürfte es bald geschafft sein.", verkündete Crispina fröhlich. "Du kennst das ja schon. Einfach auf deinen Körper hören, Claudia, er sagt dir, wann du pressen musst."
    Ein unterdrückter Laut des Unmuts war alles, was die Hebamme als Antwort erhielt, doch sie sollte Recht behalten. Ihre letzten Kraftreserven mobilisierend presste die Claudia, wieder und wieder, am ganzen Körper vor Anstrengung zitternd und ein lebensbegrüßender Schrei erfüllte Cubiculum und Villa gleichermaßen.
    Die Mutter sank erleichtert zurück und schloss die Augen. Zufrieden atmete sie aus - geschafft.

  • Nicht im geringsten konnte Gracchus nachvollziehen, welche Marter seine Gemahlin durchlitt, doch seit dem Zeitpunkt, da der Sklave ihm hatte gemeldet, dass Antonias Wehen hatten eingesetzt, war er rastlos gewesen, vollkommen konfus und unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Völlig aufgelöst war er zum Cubiculum seiner Gemahlin geeilt, hatte dort in Schrecken deren gedämpfte Schreie durch die Türe vernommen, war indes von einer alten Sklavin mit grauem Haar und faltigem Antlitz davon abgehalten worden, den Raum zu betreten. Resolut hatte diese den Weg ihm verwehrt und den Kopf geschüttelt: "Du kannst ihr jetzt nicht helfen, Herr, eine Geburt ist die Angelegenheit der Frauen." - womit sie gleichsam zum Ausdruck wollte bringen, dass er mehr stören würde als irgendwem zu nützen. Betreten hatte Gracchus nur genickt, eingeschüchtert von den weiblichen Mysterien, welche sich hinter der dunklen Holztüre in diesem Augenblicke mochten abspielen, und war, nach der Versicherung, dass man ihn würde rufen noch in der Sekunde, da das Kind das Licht der Welt erblickte, unschlüssig in das Atrium des Hauses gegangen und hatte sich wartend auf eine Kline platziert. Nur wenige Zeit darauf hatte ihn bereits die Ungeduld gepackt und hinaus in den vom fahlen Mondlicht beschienenen Garten gezogen, dabei er jedem Sklaven auf seinem Wege hatte mitgeteilt, wohin er ging, so dass man ihn beizeiten würde schnell auffinden können. Über all die Nervosität, welche in seinem Innersten hatte gebrodelt, hatte er keine Geduld gehabt für eine Lesung, keine Konzentration für ein Diktat, keinen Sinn für Musik und Tanz, und obgleich er keinen Gedanken hatte fassen können, so waren tausende Fetzen gleichzeitig in seinem Hirn herumgesprungen. Als es schlussendlich ihm zu kalt geworden war, weiter im Garten umherzutigern, war Gracchus zurück in das Atrium gekehrt, hatte dort wieder auf einer Kline Platz genommen und mit den Nüssen und Oliven herumgespielt, welche ein aufmerksamer Sklave ihm serviert hatte. Irgendwann schlussendlich hatte er den Kopf auf das Kissen zurückgelegt und nurmehr zu dem düsteren Flecken Nacht empor gestarrt, welcher hinter dem Compluvium davon zeugte, dass außerhalb der Villa Flavia noch eine andere Welt mit ihren Sorgen und Nöten existierte, hatte sich die schlimmsten Schreckensszenarien ausgemalt, welche Antonia und ihrem neugeborenen Sohn mochten zustoßen, dazwischen die Szenerien einer fernen Zukunft mit Minor und Titus an seiner Seite, worüber er schlussendlich irgendwann gegen Mitternacht allmählich in einen dämmrigen Schlafzustand hin übergegangen war - längst hatte Sciurus ihm eine dünne Decke gebracht, da Gracchus sich weigerte, sein Bett aufzusuchen. Er träumte eben von einer Barke, mit welcher er durch die Lüfte zur Sonne hin segelte, und welche er sich mit einer Ziege und einem Oleanderstrauch teilte, dem er just in diesem Moment die Anweisung gab, den Anker einzuholen, dass sie vor Anbruch der Flut noch die letzten Kürbisse würden einsammeln können, als Sciurus seinen Herrn sanft an der Schulter rüttelte. "Herr, deine Gemahlin hat dein Kind geboren."
    "Mhm..."
    , brummte Gracchus, ehedem er erschrocken die Augen aufriss und das Blut ihm heiß und kalt zugleich durch seine Adern wallte, er eilig suchte, seine trägen Gliedmaßen in Bewegung zu setzen.
    "Titus!"
    rief er freudig aus, zog sich halb an Sciurus empor und eilte barfüßig durch die spärlich beleuchteten Gänge Antonias Cubiculum entgegen. Die alte Sklavin war nicht mehr vor der Türe postiert, nurmehr der Leibsklave seiner Gemahlin, der jedoch ähnlich zu Sciurus die Fähigkeit hatte nahezu perfektioniert mit den Wänden zu verschmelzen, wenn auch vermutlich aus anderen Gründen als Gracchus' Vilicus, so dass er ihn nicht einmal wahrnahm, bevor er die Türe aufstieß und den Raum betrat.
    "Mein Sohn!"
    strahlte Gracchus der Hebamme entgegen, die das Neugeborene in einem Wickel aus hellen Flachstüchern gebettet auf ihren Armen hielt.
    "Lege ihn auf den Boden ab, dass ein echter Flavius aus ihm wird!"
    gebot Gracchus der Frau in einem Tonfall, welcher keinen Widerspruch duldete. Neun Tage Zeit hatten die Eltern, hatte der Vater, dem Kind einen Namen zu geben, doch Titus Flavius Gracchus sollte keine Sekunde noch länger in ungewissem Zustande verharren, sollte vom ersten Moment seines Lebens an wissen, wer er war! Die Hebamme kniete sich langsam herab und legte das Bündel auf den Boden, und Gracchus trat bereits heran als sie sich wieder erhob und ihm lächelnd ins Gesicht blickte. "Es ist ein Mädchen, Herr." Und als fürchtete sie, der Mann vor ihr könne in seiner Euphorie den Sinn dieser Worte nicht verstehen, fügte sie an: "Du hast eine Tochter."
    "Eine ... Tochter?"
    echote Gracchus perplex, suchte Antonias Blick, welcher jedoch von der Kontur der Hebamme wurde verborgen. Derangiert starrte er auf das Kind zu seinen Füßen. Graccha? Nein, dies war unmöglich.
    "Bist du ... bist du sicher?"
    Unverdrossen lächelte die Hebamme. "Ja, Herr. Sie wiegt etwas wenig für ein Neugeborenes, aber sie ist wohlauf, und definitiv ein wunderschönes, kleines Mädchen." Ein Mädchen. Eine Tochter. Solcherlei war durchaus nicht unbedingt nachteilig, auch für Töchter gab es Verwendung in einer patrizischen Familie, doch Gracchus brauchte noch einen Sohn. Eine Tochter war nicht die Lösung jener Problematik, ob deren dieses Kind gezeugt worden war, welche noch immer in Gracchus' Nacken saß und ihm stetig Besorgnis einflüsterte. Andererseits indes gab es dafür nun ohnehin keine schnelle Lösung und auch das Mädchen vor ihm war sein Kind, seine Tochter. Sie war eine Flavia. Auch sie sollte vom ersten Moment ihres Lebens an wissen, wer sie war. Langsam ging Gracchus in die Knie, streckte seine Hände nach dem Kind aus, welches seine winzigen Augen geschlossen hielt, zögerte jedoch im letzten Moment, ehedem er sie erreichte. Er hatte keinen Namen für sie gewählt. Graccha? Antonia? Agrippina? Antonia und er hatten einige Varianten überlegt, doch letztlich alle verworfen, dabei beschlossen, dass sie ohnehin keinen Namen für eine Tochter benötigten, da sie einen Sohn würden bekommen. Verzweifelt blickte Gracchus empor, suchte wieder den Blick seiner Gemahlin, der ihm jedoch noch immer durch die Kontur der Hebamme - nun aus einer anderen Perspektive - verwehrt wurde, welche neugierig und erwartungsvoll gleichsam zu ihm herab sah. Er konnte unmöglich das Kind nun liegen lassen, fort gehen und wieder kommen, sobald er eine Entscheidung hatte getroffen - so sehr es auch ihn danach drängte. Darob griff er denn nach dem Bündel und hob seine Tochter auf, gewillt ihr den besten aller Namen zu schenken, den ersten, welcher ihm aus der Reihe der durchdachten Möglichkeiten würde über die Lippen gelangen.
    "Flavia ..."
    intonierte er feierlich und blickte auf, direkt in das flackernd Licht einer Öllampe auf dem schmalen Tisch neben Antonias Bett, welches die Szenerie des Raumes in ein sanftes, güldenes Leuchten tauchte.
    "Flamma!"
    Was konnte besser sein als das Feuer seines Lebens, als die immerwährende Flamme, welche sie einst würde schützen - denn es stand unbezweifelt fest, dass seine erste Tochter beizeiten dem Kaiser würde in Obhut gegeben werden, um über das Feuer der Vesta zu wachen.
    "Flavia Flamma"
    , goutierte er noch einmal den Klang des Namens auf seiner Zunge, um sodann seine Vaterschaft anzuerkennen.
    "Tochter des Manius Gracchus, Sohn des Titus Vespasianus! Mögen die Götter dich stets auf allen Wegen deines Lebens gleiten und schützen, meine Tochter!"
    Endlich überkam nun der Stolz ihn, die Freude über sein Kind - wenn auch kein Sohn -, dass er sich umständlich, ein wenig schwerfällig beinah mit dem Kind in seinen Armen, erhob und letztlich dem Bollwerk der Hebamme entkam, an das Bett seiner Gemahlin heran trat.
    "Sie wird das schönste Mäd'hen des Imperiums werden, ganz wie ihre Mutter"
    , suchte er seine Enttäuschung mit einem Lächeln gänzlich hinweg zu wischen und legte Antonia das Kind zur Seite, da er nicht wusste, was er damit weiter sollte anfangen.

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  • Obschon der Knabe bereits seit geraumer Zeit Kenntnis von den differenten Umständen hatte, in denen sich seine Mutter befand, erfüllte es ihn dennoch mit Erstaunen, als die Sklaven ihn über den Eintritt seines Geschwisterchens in die Welt der Lebenden informierten. Eine Schilderung näherer Umstände verweigernd hatte man ihn indessen encouragiert, selbst jenes zarten Geschöpfes ansichtig zu werden, sodass er trotz seines Leibesumfangs, der geradezu eine Redition zurück zu jenem infantilen Phänomen, welches gemeinhin als "Babyspeck" tituliert wurde, darstellte, herbeieilte in das Cubiculum seiner Mutter, um seines erhofften Brüderchens ansichtig zu werden.


    Voller Elation stürzte er durch die Porta und wurde sich der Situation gewahr: Im dämmrigen Licht des erstehenden Tages lag seine claudische Mutter matt glänzend und zugleich ermattet wirkend auf ihrem Bett, sein Vater stand neben ihr, ebenso zahllose Sklaven und Diener, unter welchen sich zweifelsohne die Hebamme befand.
    Und an der Seite Antonias lag ein winziges Bündel, wessen der junge Flavius erst auf den zweiten Blick ansichtig wurde. Ohne Verzögerung verbreitete sich in Manius Minor ein Gefühl, welches schwerlich zu beschreiben war, da es zwischen Ehrfurcht, wie sie angesichts jener uralten Rituale des Staates sich in den Geist jedes Römers drängten, aber auch Freude und Neugierde, wie sie sich bei der Überreichung eines Präsents bei dem jungen Flavius auftraten, zu schweben schien. Erfüllt von jenen Regungen machte der Knabe daher einen vorsichtigen Schritt, als prüften seine Beine die Festigkeit einer Eisdecke, auf seine Mutter hin, ehe er, da er augenscheinlich während der vorhergehenden Worte das Zimmer noch nicht betreten hatte, demütig und mit gedämpfter Stimme zu fragen wagte:
    "Wie lautet sein Name?"

  • Es war vermutlich keine große Überraschung, dass die Claudia nach den Stunden mit Wehen und Furcht eine gute Nachricht bitter nötig hatte. Das Kind schrie, es lebte und laut Hebamme schien es gesund zu sein. Und schon fiel Antonia eine enorme Last von den schwachen Schultern, erleichtert lächelte sie und schickte einen Dank an Iuno. Bis.. ja, bis Crispina neben sie trat, und ihr das Kind in die Arme legen wollte.
    "Ein Mädchen, Claudia.", sagte sie mit einem fröhlichen Lächeln. "Ein hübsches, kleines Mädchen."
    Urplötzlich hörte die Patrizierin das Blut in ihren Ohren rauschen. Alles um sie herum schien zu verschwimmen, als hätte jemand sie in Watte gepackt, um sie vor der Welt abzuschirmen. Ein.. Mädchen? Sie riss die Augen auf, starrte ungläubig die ältere Frau an, die so gar nicht zu verstehen schien, was in ihrer Kundin vor sich ging. Ein Mädchen? Es konnte kein Mädchen sein, das war unmöglich! Das.. muss ein Irrtum sein!, flüsterte sie, während ihr Blick beinahe flehend wurde, bohrend, unwillig eine verneinende Antwort zu akzeptieren. Antonia war wie gelähmt, nicht fähig die Arme auszustrecken und das Kind an sich zu drücken, wie sie es seinerzeit mit Minor getan hatte. Ein Mädchen.


    Gracchus erschien, ebenso annehmend, ihm sei ein weiterer Sohn geschenkt worden. Sie brachte es nicht über sich den Gatten anzusehen, zu groß war die Scham, das Wissen um ihr Versagen. Sie schluckte, richtete den Blick eisern auf die Wand gegenüber und lauschte wie in einem Traum der folgenden Szenerie. Wie gefasst er die Nachricht aufnahm, wie vollkommen er die Misere seiner Gemahlin - wie stets - durch seine eigene Perfektion auszugleichen wusste. Was hatte sie nur getan? Wie hatte so etwas passieren können? Sie hatte doch um einen Sohn gebeten, hatte Opfer um Opfer an Iuno dargebracht, hatte gebetet, jeden noch so unsinnigen Rat befolgt, der ein männliches Kind garantieren sollte. Alles umsonst. Ein Mädchen.. eine Flavia, kein Flavius.
    Flavia Flamma, so nannte Gracchus seine Tochter. Ihr war es gleich. Noch immer wagte sie nicht ihren Gemahl anzublicken, fürchtete die Anklage in seinen Augen, die Enttäuschung in seinem Gesicht zu sehen. Und als er schließlich neben sie trat, ihre Tochter neben sie legte, presste sie ihre Kiefer aufeinander, versuchte in sich zu verschließen, wie sehr sie sich innerlich für ihr Versagen kasteite.


    Doch es sollte noch schlimmer kommen. Jemand schien Minor, ihren Sohn, ihren kleinen perfekten Minimus, benachrichtigt zu haben, welcher nun ebenfalls eintrat, neugierig näher kam und das kleine Bündel Mensch in ihrem Bett betrachtete. Antonia ihrerseits sah den Jungen an, welcher, natürlich, auch mit einem kleinen Bruder gerechnet hatte. Dies nun war letztlich zu viel, die unschuldige Frage ihres Sohnes das letzte Tröpfchen, das das Fass zum Überlaufen brachte. Sie schluchzte, verbarg ihr Gesicht in beiden Händen, während ihre Schultern zu zucken begannen. Nur kurz dauerte ihr Gefühlsausbruch, nur wenige Augenblicke flossen Tränen ihre Wangen hinab, ehe sie sich wieder in der Gewalt hatte. Sofort als ihr gewahr wurde was sie tat hielt sie inne, kämpfte die Emotionen nieder und wischte sich die Tränen ab, zwang sich zu einem Lächeln, um Minor nicht zu beunruhigen. Den Namen der Tochter jedoch brachte sie nicht über ihre Lippen.

  • Die Emotionen, die die innozente Frage des Knaben evozierten, stürzten jenen in tiefste Konfusion, die selbst jenes tapfere Lächeln, das seine Mutter ihm bereits im folgenden Augenblicke wieder schenkte, nicht zu klarifizeren vermochte. Augenscheinlich handelte es sich um einen Fehler seinerseits, obschon es ihm völlig uneinsichtig erschien, dass er jener knappen Zeit, in der er im Cubiculum seiner Mutter verweilte, sich bereits einen Fehltritt geleistet haben konnte oder gar von welcher Art dieser sein mochte. So trat er instinktiv einen Schritt zurück, weg von seiner Mutter, der er seiner Assumption nach neuerlichen Kummer bereitet hatte.


    Aus jener weiter entfernten Perspektive hingegen erschien ein neuerlicher Gedanke am mentalen Horizont des jungen Flavius, der ebenso eine plausible Erklärung jener Umstände darstellte wie auch ihn von der Schuld am Gefühlsausbruch seiner Mutter absolvierte: Mochte seinem neuen Bruder schlichtweg etwas fehlen? Noch war es dem Knaben impossibel zu erwägen, welche Problematik die Geburt eines Kindes zu bieten vermochte, dennoch keimte eine Ahnung möglicher Inzidenzien eines derartigen Eingriffs auf, welche einen betretenen Gesichtsausdruck auf das Antlitz Manius Minors zauberten, wie er ihn auch angesichts unerfreulicher Ereignisse wie Beisetzungen oder schlichtweg schuldzuweisenden Konflikten bei Erwachsenen, insonderheit seinem Vater, wahrgenommen hatte. Eben zu letzterem wandte sich nun auch sein fragender Blick, da es wohl lediglich diesem möglich schien, Klarheit in den interpretativen Nebel des Erlebten zu bringen.

  • Auf jenen Sohn, ob der Ungewissheit dessen Zukunft ursprünglich die Zeugung des Kindes überhaupt erst war notwendig geworden, hatte Gracchus in all der Aufregung und gefangen in Gedanken, die über die Mauern seines eigenen Inneren und Grenzen vager Vorstellungen nicht existenter Zustände nicht waren hinaus gekommen, vollkommen vergessen. Aus diesem Grunde zuckte er unmerklich zusammen als die Stimme Minors, dessen Eintretens er sich ebenso wenig war gewahr gewesen, so dicht neben ihm ertönte, nicht nur verwundert über dessen Erscheinen, sondern gleichwohl erschrocken über sich selbst, dass er seit der Kunde über Antonias bevorstehende Niederkunft nicht einen Augenblick an seinen Erben hatte gedacht.
    "Minimus"
    , titulierte er jenen gleitet von einem Blick auf den Sohn, als müsse er sich in Erinnerung rufen, dass sein erster Nachkomme kein Trugbild war, dass Minor sich überaus wohl befand und keinerlei Sorge um sein Erbe notwendig, dass auch die Geburt eines Mädchens darob nicht im geringsten eine Misere war. Innerlich bereitete er sich bereits darauf vor, seiner Stimme alle Couleur von Enttäuschung zu entziehen, um nicht eben diese Gefühlsregung in Minor zu evozieren, wurde jedoch augenblicklich abgelenkt von dem Gefühlsausbruch seiner Gemahlin, welcher um so erschreckender war, da Antonia sich sonstig nur allzu gut in ihrer Gewalt hatte. Zögerlich streckte Gracchus instinktiv seine Hand aus, um durch seine Berührung ihr Halt zu bieten, doch hielt er einige digitus ehedem er sie tatsächlich erreichte inne, gänzlich verunsichert. Allfällig waren es nur Tränen der Freude oder eine Nachwirkung der Geburt. Kurz zog er seine Unterlippe zwischen die Zähne, ehedem er sich seiner Gemahlin ab- und seinem Sohn zuwandte.
    "Es ist ein Mäd'hen."
    Mit einem marginalen Lächeln zog er seine Hand zurück und legte sie der Gemahlin statt nun auf Minors Schulter, als wäre es weitaus notwendiger, diesem den Halt zu entbieten, welchen er Antonia nicht konnte gewähren, oder aber als brauchte er selbst eine Stütze ob der Desorientierung ob dieser Worte.
    "Deine Mutter und ich sind darüber sehr glücklich, doch für Antonia war die Geburt eine re'hte Strapaze."
    Da Minor vermutlich ebenso wenig würde nachvollziehen wie er, was eine Geburt für eine Frau bedeutete, zweifelsohne indes darüber musste aufgeklärt werden, um eines Tages nicht in Panik zu verfallen, so seine eigene Gemahlin sein Kind zur Welt brachte, schob der Vater eine vage Erklärung für diesen Zustand nach.
    "Dies liegt im Wesen der Geburt, da die Götter Tribut fordern für das Leben, welches sie ge..währen."
    Es war dies allfällig keine sonderlich ausgefeilte Erklärung, doch mehr wollte Gracchus in diesem Augenblicke nicht in die Sinne gelangen. Nachdem endlich auch Antonia wieder zu ihrer Contenance einigermaßen hatte zurück gefunden, beantwortete er schlussendlich auch Minors Frage.
    "Sie heißt Flamma."
    Zumindest würde sie für Minor keine allzu große Last werden, denn in der Obhut der Vesta würde es seinem Sohn erspart bleiben, eines Tages um eine favorable Ehe für seine Schwester sich bemühen zu müssen - oder sie darüber in den Tod zu treiben.

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  • Als er seinen Kosenamen vernahm, wurde der Knabe sich aufs Neuerliche gewahr, dass er seit geraumer Zeit den Wunsch hegte, diesen Namen, der ja den Superlativ minderer Größe darstellte und spätestens seit heute, da diese Titulatur für ihn nicht mehr der Wahrheit entsprach (obschon er darüber hinaus noch immer weitaus weniger an Körpergröße gewonnen hatte, als er dies wünschte), abzulegen. Doch erschien ihm die Diskussion dieser Frage in jenem Augenblick als unangebracht, sodass er schwieg, die Hand auf seiner Schulter ertrug und den Erklärungen des älteren Gracchus lauschte.


    Diese traf ihn indessen durchaus überraschend, da sie sämtliche Szenerien, die Manius Minor sich imaginiert hatte und in denen er mit seinem jüngeren Bruder vergnügt durch den Park eilte, Koalitionen gegen seinen Freund Aquilianus schloss oder lediglich einhellig im Spiel vereint war, zerbarsten wie ein zu Boden fallender Glaspokal. Für ein Mädchen mochten dem jungen Flavius sich keinerlei Aktivitäten in den Sinn kommen, zumal er bisher kaum Kontakt mit solchen hegte, da die Töchter der Sklaven für gewöhnlich keinen Einlass erhielten in die Räumlichkeiten des jungen Stammhalters. So fühlte er sich geneigt, diese neuerliche Information lediglich mit einem Schulterzucken zu quittieren und dann eilig zu seinem Spiele zurückzukehren.


    Doch die weitere Offenbahrung seines Vaters konfundierte ihn aufs Neuerliche, schien sie doch erklären zu wollen, dass seine Mutter ihr Leben gegen das seines Schwesterchens einzutauschen gezwungen war. So ging sein furchtsamer Blick hinüber zu den beiden Damen der Familie, zwischen denen das Leben augenscheinlich zirkulieren würde. Da der mütterliche Blick indessen durchaus vital erschien, erkannte der Knabe augenblicklich seinen Irrtum und musste sich schelten, nicht mit jener Logik die Situation erfasst zu haben, die sein Lehrer Artaxias ihm stets einzuflößen bemüht war: Wenn sein Schluss wahr wäre, würde folgender Syllogismus zu gelten haben:
    Die Götter fordern den Tod der Mutter bei der Geburt des Kindes.
    Mama ist eine Mutter seit meiner Geburt.
    Die Götter fordern den Tod von Mama bei meiner Geburt.
    Da seine Mutter aber augenscheinlich noch dazu in der Lage war, ein weiteres Kind zu gebären, so musste der Tribut der Götter weitaus weniger fundamental sein. Folglich bestand vermutlich kein großer Grund zur Sorge, zumal auch sein Vater sich nicht genötigt fühlte, seiner Mutter zur Hilfe zu eilen. Dennoch wollte er Sicherheit gewinnen über die Unbedenklichkeit der Situation, weshalb er fragte:
    "Welchen Tribut?"

  • Im Grunde begrüßte Gracchus durchaus die stete Neugier und schier endlose Wissbegierde seines Sohnes - zeigte dies doch, dass er neues nicht nur gedankenlos in sich aufnahm, sondern gleichsam es durchdachte und prüfte -, doch wenn er selbst damit wurde konfrontiert, so führte dies manches mal gar bis zur Kompromittierung, genau genommen immer dann, wenn suchte seinem Sohn Dinge begreiflich zu machen, welche ihm selbst in ihrem Verständnis entglitten, Minor die Teile der Welt zu erläutern, welche er selbst - aus diversen Gründen - nicht konnte nachvollziehen - wie etwa den Tribut der Geburt. Zweifelsohne wäre Antonia weitaus tauglicher gewesen, ihrem Sohn dies in allen Details zu erklären, doch gleichsam mochte Gracchus in diesem Augenblicke nicht anwesend sein, ob dessen er suchte, einer Antwort seiner Gemahlin rasch zuvor zu kommen.
    "Nun"
    , begann er darob noch ohne zu wissen, in welcher Erklärung dieser Satz sollte enden, ob dessen darauf auch eine neuerliche Pause folgte, entschied indes schlussendlich nicht mehr Preis zu geben als er bereits hatte getan.
    "Der Tribut sind die Strapazen, welche deine Mutter vor und während der Geburt hatte zu er..dulden und ob deren sie nun erschöpft ist."
    Beinahe beiläufig ließ Gracchus seinen Blick zum Fenster hin schweifen, durch welches allmählich das morgendlich seichte Licht fiel, hernach zurück zu seinem Sohn.
    "Allfällig sollten wir deine Mutter darob nun ein wenig ausruhen lassen. Du kannst zur Feier des Tages nach dem Frühstück der salutatiobeiwohnen, wenn du mö'htest."
    Sonstig würde auf Minor zu dieser Zeit der Unterricht warten, doch auch er sollte Grund zur Freude über seine Schwester haben, wenn gar die Klienten daran durften teilhaben, da ihre sportulae extra prall würden gefüllt sein ob des freudigen Anlasses.

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  • Der Begriff der "Strapazen" mochte durchaus eine Umschreibung für den Schmerz der Niederkunft darstellen, doch ließ sich für den Knaben darunter eine größte Bandbreite von Bedeutungen subsummieren: Ein Gang hinauf zum Capitolium konnte ebenso als strapaziös bezeichnet werden wie ein Marsch durch die unbarmherzigen Weiten der Wüste, die das Imperium an seiner südlichen Grenze delimitierten, ebenso erschienen dem jungen Flavius auch sämtliche Stunden, in denen Artaxias versuchte Diarmuìd und ihn in die Mysterien der Elementarmathematik einzuweihen, überaus strapaziös. Letzten Endes schloss er aus dieser Aussage folglich nur, dass es sich bei dem Prozess der Entbindung eines Säuglings um einen wenig erfreulichen, also strapaziösen Akt handelte, der seiner Mutter größte Inkommoditäten abverlangte.


    Um ihre Ruhe und die seiner neuen Schwester, die ihm noch immer wenig attraktiv erschien ob ihres Geschlechtes, nicht weiter zu stören offerierte sein Vater indessen die Possibilität bei einer Salutatio zu attendieren, die sich Manius Minor höchst selten bot und die er mit Freuden annahm, da es stets den Stolz des Sohnes auf den Vater förderte, wenn eine große Schar von Bürgern in größter Unterwürfigkeit sich diesem präsentierten und beiläufig auch ihren zukünftigen Patronus und Herrn ihre Referenz erwiesen.
    "Sehr gern! Jetzt sofort?"
    fügte er unvermittelt an, nicht eingedenk der Tatsache, dass es dem Usus entsprach, dass der Patronus seine Klienten stets warten ließ, um dann einen Auftritt vor der versammelten Grex Togata zu genießen, die um diese Uhrzeit wohl noch nicht vollzählig erschienen war, sodass noch genügend Zeit für ein kleines Prandium vorhanden war.

  • Während Lebhaftigkeit und Neugier seinem Sohne eine Zierde waren, so rechnete Gracchus die kindliche Ungeduld ihm nicht eben als Tugend an, war ihm dieser Mangel an Ausdauer, auf etwas zu warten, doch in allen Formen leidig.
    "Nur Geduld, mein Sohn, noch ist es zu früh. Du mö'htest doch nicht etwa auf die Klienten warten?"
    Obgleich eine scherzhafte Couleur seine Worte einfärbte, so war es Gracchus durchaus eine ernste Angelegenheit, seinem Sohn bei allen Gelegenheiten zu vermitteln, in welcher Position der Gesellschaft er sich befand.
    "Wir haben noch genügend Zeit, eine Kleinigkeit zu uns zu nehmen und uns präsentabel zu machen."
    Ein ausgiebiges Bad wäre nach dieser Nacht zweifellos eine formidable Angelegenheit, so dass die Klienten allfällig sogar noch etwas länger würden warten müssen als sonst.

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  • Antonia indes war überaus dankbar, dass ihr Gatte es übernahm, die Fragen ihres Sohnes zu beantworten. Sie hörte schon nach wenigen Worten nicht mehr hin, sonst hätte sie gewiss hier und da eingehakt, hätte etwas genauer erklärt, was genau an einer Geburt so anstrengend war. Andererseits war dies ein Bereich, in dem sich weder Gracchus noch Minor auskennen mussten und gewiss war es ohnehin besser, nicht zu sehr auf Details einzugehen.
    So erging Antonia sich im matten Lächeln, gepaart mit einem entschuldigenden Blick an den Sohn, welchen sie, dessen war sie sicher, sehr erschreckt haben musste. Sobald sie wieder bei Kräften war, würde sie das Gespräch mit ihm suchen, ihn versichern, dass alles in Ordnung war. Den Zustand ihrer Herrin richtig deutend, komplimentierte die Hebamme bald die beiden anwesenden Herren - natürlich mit gebührendem Respekt und einer Wortwahl, als sei es deren Idee gewesen - nach draußen.
    Die Frage, ob sie denn noch einmal ihre Tochter halten wolle verneinte die Claudia mit einem unwirrschen Handwinken. Eine Tochter. Warum nur eine Tochter? Jener Gedanke begleitete sie ins Reich des Morpheus..

  • Von einem nächtlichen Alb erdrückt stolperte Gracchus aus seinem Cubiculum, schreckte den Sklaven auf, welcher dort wachte, ohne jedoch seinen zögerlichen Fragen Antwort zu gewähren, und hastete den spärlich beleuchteten Gang hinab bis zum Gemach Claudia Antonias. Ohne Anzuklopfen öffnete er die Türe, trat in den Raum hinein.
    "Antonia! Antonia, erwache! Wir müssen die Kinder in Sicherheit bringen!"
    Keine Antwort drang aus der Dunkelheit, kein Brummen, kein Murren, kein Atemzug. Blindlings tastete Gracchus in das Cubiculum sich vor bis zur Bettstatt seiner Gemahlin, über welche eine bestickte Decke gebreitet war.
    "Antonia?"
    fragte er zögernd, blinzelte auf das leere Bett hin als der Sklave, welcher ihm gefolgt war, mit einer Öllampe in der Tür erschien und den Raum erhellte. Als würde der Schein der Lampe bis in seine Sinne hin eindringen, ihm den Geist erhellen und die Schatten auf seinem Verstande vertreiben, wurde Gracchus in diesem Augenblicke der Realität sich gewahr - Antonia hatte seit langem nicht mehr in diesem Bette gelegen - und sie würde dies nie wieder. Seine Schultern sanken herab im gleichen Maße wie die Dringlichkeit seines Traumes von ihm abfiel, seine Knie wurden weich, dass er sich auf das leere Bett niedersetzte und die ungetrübte Gleichmäßigkeit der wollenen Decke zerstörte.
    "Lasse das Li'ht hier und schließe die Tür"
    , wies er den Sklaven an, welcher sogleich gehorchte. Stumm, den Blick in die Unendlichkeit gerichtet saß Gracchus eine geraume Weile auf dem Bett seiner toten Gemahlin, eine Hand auf dem leeren Platz neben sich liegend, bis irgendwann sich Tränen aus seinen Augen befreiten, welche im Lichte des Tages längst keine Freiheit mehr durften erfahren.
    "Oh Antonia"
    , flüsterte er leise.
    "Wie soll dies alles nur enden?"
    Der Alb mochte mit dem Schimmer der Flamme verschwunden sein, doch die zurückbleibende Realität schien keineswegs angenehmer, die Gefahr schien nur allzu wahrhaftig, und wie so oft in den vergangenen Monaten, Jahren allmählich, fühlte Gracchus sich schlichtweg allein, unendlich allein.

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  • Niemand hatte es bisherig gewagt im Zimmer der verstorbenen Claudia Antonia Dinge zu entfernen oder zu ändern, nur die Sklaven kamen regelmäßig, um das Gemach zu säubern, sonstig jedoch schien es als würde der Raum noch immer der Rückkehr seiner Bewohnerin harren. 'Alles bleibt, wie es ist!' hatte Gracchus nach der Bestattung seiner Gemahlin angeordnet, und niemand im Hause würde sich dem je entgegen stellen.
    "Ich vermisse sie"
    gestand Gracchus seinem Leibsklaven, nachdem er einige Augenblicke inmitten des Raumes hatte verharrt.
    "Stets schien ihr alles so leicht zu fallen - die Kinder, das Vermögen, der Haushalt, selbst alle Widrigkeiten - es schien sie alles nicht zu tangieren und doch gedeihte ihr alles wohl."
    Nachdenklich trat er neben das Bett hin und strich mit einem Seufzen über den Hut des steinernen Merkur, welchen er ihr einst zur Hochzeit - oder Verlobung, er wusste es längst nicht mehr - hatte zum Präsent gemacht, sann einen Augenblick darüber nach, weshalb dieser Hut so viel Ähnlichkeit mit einem Huhn besaß.
    "Merkur und Apollo - in das Peristyl"
    , bestimmte er sodann. Obgleich Gracchus bisweilen das Gefühl beschlich, dass die beiden Götter sein Heim verlassen hatten, so brachte er es nicht über sich, die Statuen, welche so viel Erinnerung an seine verstorbene Gemahlin bargen, fort zu geben. Letztlich schien es beinah als würde alle Erinnerung einzig in diesen steinernen Zeugen ihres Lebens ruhen, denn nichts sonst in diesem Raume war Gracchus vertraut, nichts sonst schien ein Teil der Antonia gewesen zu sein, welche er gekannt hatte. Er wusste nicht, mit welchen Dingen sie sich gern hatte umgeben und beschäftigt, welche nur zufällig in ihrem Cubiculum waren liegen geblieben und welche sie allfällig nur aus Pflichtgefühl hatte besessen.
    "Gib mir noch einige Augen..blicke, hernach kann alles andere hinaus."
    Sciurus nickte und verließ den Raum, die Türe ein wenig geöffnet lassend, während Gracchus in der Stille verblieb, nach kurzem bereits zum Fenster hin tretend, mit dem Blick hinaus in den Garten flüchtend und mit seinen Gedanken in die Zukunft voraus. Bald würde Aurelia Prisca die Frau an seiner Seite sein, bald würde er ihr in ihrem Cubiculum zur Ehenacht beiliegen - nicht in diesem, in einem anderen -, und hernach? Er würde ihr keine Posse vorspielen müssen, ebenso wenig wie sie ihm. Er bedauerte ein wenig, dass sie nicht fähig war, ihm einen weiteren Sohn zu gebären, denn letztlich war Titus ein wenig schwächlich in seiner Konstitution, dass Gracchus doch stets die Befürchtung hegte, der Knabe könne den Tage seiner Mannwerdung nicht erleben. Hinwieder hatte er mit Minor bereits einen vortrefflichen Erben und jener hatte schlussendlich nicht wenige Vettern, welche seinen Weg konnten geleiten - letztendlich war es in Gracchus' Falle nicht anders gewesen, denn zwar hatte er Brüder, doch auf keinen von diesen war je Verlass gewesen -, so dass er sich nicht grämen brauchte und in keinem Falle je der Aurelia ein Gefühl von Inferiorität würde geben wollen. Diese Ehe würde zweifelsohne gänzlich anders werden als jene mit Antonia.

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  • Das Cubiculum seiner Mutter lag unweit desjenigen ihres Primogenitus, weshalb der junge Flavius an jenem Tage auch ohne jedwede Intention den Raum passierte und, irritiert durch die einen Spalt geöffnete Tür, einen Blick hinein riskierte, wo er am Fenster verweilend den Schemen seines Vaters erblickte, welcher augenscheinlich eine Szenerie unten auf der Straße betrachtete. Sehr lange schon war Manius Minor in diesem Raume, den er insonderheit in den ersten Wochen nach der Nachricht vom Tode der Mutter häufig hatte aufgesucht, niemandes mehr ansichtig geworden, doch nun traf er ausgerechnet hier auf Manius Maior, der doch erst kürzlich sich erklärt hatte, das Andenken an Claudia Antonia hinfortzuwischen, um einem Weibe, das hinsichtlich ihrer Lenze eher eine Tochter denn eine Gattin in adäquater Weise mimen konnte, aufs Neue die Rechte zur Ehe zu reichen. Welch Ironie, ihn nun frei von vorwitzigen Ohren und servilem Schutze ausgerechnet im materialisierten Memorium seiner Mutter zu erblicken!


    "Was tust du hier?"
    , herrschte der junge Flavius seinen Vater somit in unverhohlener Inimität an, da doch der vorliegende Kontext prompt seinen gerechten Zorn ob der Pietätlosigkeit seines Vaters gegen seine verblichene Gattin aufs Neue entfachte, seinen Degout gegen die versprochene Stiefmutter neuerlich erschmecklich machte, nachdem all dies in den letzten Tagen stets zu prokastinieren gewesen war, ja Vater und Sohn, verwickelt in ihre Obliegenheiten und ungünstige Umstände, seit der Cena kein einziges Wort mehr hatten gewechselt. Hier, unter den Augen von Mercurius und Apoll, deren Gestalt dem jungen Flavius noch aus jenen fidelen Jahren, als sich noch kein undurchdringlicher Schleier der Unschärfe auf das Augenlicht sich gelegt hatte, in glasklarer Erinnerung war, musste die Konfrontation geschehen, musste Gracchus Maior seiner Treulosigkeit gemahnt werden, um das Andenken der Claudia Antonia zu wahren und eines Tages, da sich die Seele Gracchus Minors mit der ihren vereinigen mochte, jener dieser zumindest würde versichern können, dass er alles versucht hatte, sie nicht der Vergessenheit anheim fallen zu lassen.

  • Erschrocken fuhr Gracchus herum als hätte man ihn bei einem gräulichen Unrecht ertappt, denn der Tonfall jener Frage gemahnte ihn an Antonia, seinen Vater und jeden strengen Lehrer, welcher ihn je hatte gelehrt, gleichermaßen. Erleichtert indes wurde er seines Sohnes gewahr.
    "Minimus"
    titulierte er jenen mit dessen Kosenamen, welcher dem Vater über Jahre hin derart war verinnerlicht, dass er nicht einmal darüber nachdachte, dass der Kleinste nicht nur nicht mehr zutreffend, sondern letztlich auch inadäquat, allfällig gar ein wenig kompromittierend war. Sodann umschloss er das Cubiculum mit einem umfassenden Wink seiner Linken.
    "Es ist ... an der Zeit, diesen Raum ... freizugeben."
    Er wagte nicht vor seinem Sohn seine törichten Hoffnungen auszusprechen, dass würde ihr Heim nur ihrer harren, Antonia schlichtweg irgendwann würde zurückkehren können - denn letztlich würde Minor ihn nur für einen tumben Narren halten müssen.
    "Es gab schlichtweg bisher ... keine ... nun, es schien schli'htweg keine Notwendigkeit zu bestehen, dies zu tun"
    , fügte Gracchus hinzu, da er glaubte ob dieses Versäumnisses eine Apologie schuldig zu sein. Sodann straffte er ein wenig seine Gestalt.
    "Doch nun ... es ist zwar noch ein wenig hin bis zum Einzug der Aurelia, jedoch wäre es über..aus unbotmäßig, würde sie nach all der Zeit noch immer Antonias Gemach hier vorfinden."
    Ein Raum immerhin, welcher seit Jahren zu einem Stillleben war verkommen, ob dessen der Vater auch nicht den geringsten Zweifel daran hegte, dass Minor diese Notwendigkeit konsentierte, den Verzug ihm gar bereits ein wenig mochte verargen.

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