• Wie alles in der Villa Flavia war auch das Lararium edel gestaltet. Der kleine Tempel war aus Marmor geschaffen, die Bronzestatuetten äußerst fein gearbeitet. Jupiter fand sich dort, in der Rechten sein Szepter haltend, in der Linken ein Bündel Blitze. Auch der gerüstete Mars, der bärtige Quirinus und der jüngliche, lorbeerbekränzte Apollo, welchen längst nicht in jedem Haushalt ein Platz zugedacht war, fanden sich in dem Hausschrein vertreten, waren ihnen einige Flavia doch besonders zugetan. Neben den Genien der Hausherren und den beiden Laren der Familie fanden sich zudem ein Abbild des Mercurius und neuerdings in Hinblick auf die kürzlich geschlossene Ehe eine Statuette der Iuno. Statt der üblichen Opfergaben, welchen den Laren täglich zugedacht waren, trug der Sklave hinter Gracchus am heutigen Tage jedoch ein Körbchen voll Gaben für Pomona. Die Räucherkohle war bereits entzündet worden, so dass Gracchus, nachdem er sich eine Falte seiner Toga über den Kopf gezogen hatte, sogleich die Weihrauchkörner darüber streuen und dabei zusehen konnte, wie die feinen Rauschsäulen in die Luft aufstiegen.
    "Wie es Dir zusteht, Pomona, so danken die Flavia Dir an diesem Tage für die Gunst, welche Du unseren Ländereien zugedeihen ließest."
    Der Sklave hielt den Korb bereit und Gracchus legte sorgsam die, zum Teil getrockneten, zum Teil frischen Obststücke auf den Hausaltar: ein Apfel, eine Birne, eine Quitte, eine Schlehe, eine Hagebutte, eine Kirsche, eine Pflaume, eine Traube, eine Haselnuss und eine Mandel.
    "Diese Gaben für Dich, Pomona, wie es Dir zusteht, um Deine Gunst zu erbitten für die Flavischen Ländereien im kommenden Jahr, auf dass Du unsere Früchte reifen und gedeihen lässt."
    Aus einer Kanne goss Gracchus ein wenig puren Wein in die bereitstehende Opferschale und schloss somit das Opfer ab.

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  • Stille hatte sich über der Villa Flavia ausgebreitet, kaum ein Laut drang durch die leeren Gänge des Hauses, die Sklavenschaft schien bemüht über den Boden zu schweben und wisperte ihre Worte nur noch im Flüstern. Die Carnaria waren das letzte Totenfest einer Reihe, die sich durch den Frühling zog, doch dies machte sie nicht minder bedrohlich für alle Arten abergläubischer Hausbewohner, zu welcher die Sklavenschaft - zumindest die römische - in jedem Falle zu zählen war, daneben durchaus sicherlich auch der ein oder andere gebildetere Bewohner der Villa, zweifellos zumindest jener, welcher sich anschickte, das die Göttin Carna milde stimmende Opfer einzuleiten. Carna war nicht nur die Göttin, welche über Herzen und Organe wachte und diese gleichsam ebenso leicht zerquetschen wie bei Funktion halten konnte - eine Göttin daher, welche der Mensch nie zu gut stimmen konnte - sondern gleichsam diejenige, welche Kinder in der Nacht vor den striges bewahrte, jenen grauenerregenden Kreaturen, halb Mensch, halb Vogel, welche den unschuldigen kleinen Römern mit ihren spitzen Zähnen das Blut aussaugten und ihnen die Eingeweide heraus rissen. Obgleich das einzige Kind des Haushaltes - Flavius Serenus - als verschollen galt, so war es doch umsichtig, der Carna Opfer darzubringen, gleichsam Gracchus natürlich nicht an solcherlei Schauermärchen wie die striges glaubte, obgleich er sich eingestehen musste, dass sie ihm manche Nacht im Kindesalter geraubt hatten und auch in heutiger Zeit in ihm ab und an der klandestine Zweifel an ihrer Nichtexistenz wuchs, allen voran in den seltenen Nächten, in welchen heftige Gewitterstürme über die Hauptstadt hinweg zogen und die Existenz grauenvoller Gestalten nicht mehr gar so abwegig schien wie am hellichten Tag. Doch am heutigen Tage ging es ihm natürlich hauptsächlich ohnehin vorwiegend um das Wohlwollen der Carna in ihrer Funktion als Göttin der Organe und Herzen. Er trat vor das lararium im Atrium hin, zog sich eine Falte seiner gebleichten, weißfarbenen Toga über den Kopf und streute einige der granulösen Räucherkörner über die bereits rotfarben glühende Kohle der Räucherschale. Sogleich zog der vertraute Odeur, eine herbe Note mit leicht süßlichem Nachklang, in sich kräuselnden weiß-graufarbenen Bahnen hinauf in die Luft, schlängelte sich unter die Decke hin und zerfaserte schlussendlich in der Weite des Raumes. Als der Rauch sich langsam verzog, nahm Gracchus die beiden Schalen mit Speck und Bohnenbrei von einem Sklaven entgegen, erhob seine ernste, feierliche Stimme und brachte das Opfer dar.
    "Dea Carna, Dich bitte ich flehentlich, dass Du wohlwollend und geneigt seiest mir, meinem Hause und unserer Hausgemeinschaft, wessenthalben ich Dir Speck und Bohnen darbringe, auf dass du die Geistervögel aus unseren Räumen vertreibest, ihre blutdürstigen Rachen von unseren Kindern fernhaltest; und dass du Unheil und Zerbrechen von unseren Organen fernhaltest, abwehrst und abwendest, sie in ihrer guten Verfassung bewahrst und uns gutes Heil gibst und Gesundheit mir, meinem Hause und unserer Hausgemeinschaft. Dieser Dinge halber, der sicheren Nächte in unserem Hause, der guten Gesundheit unserer Herzen und Organe halber, wie ich gesagt habe, sei geehrt durch dieses Opfer aus Speck und Bohnen. Dea Carna, der gleichen Dinge halber sei geehrt durch diesen Speck und Bohnen!"
    Ein Lufthauch wehte durch das Atrium, ließ die Flammen hinter den imagines maiorum und der Kerzen auf dem Hausaltar flackern, und trug den Dunst der Räucherung mit sich fort. Gracchus wandte sich nach rechts herum um, trat von der Nische mit dem lararium fort und schlug im Weggehen die Toga zurück. Die Besänftigung der Unterirdischen ließ immer wieder einen kalten Schauer über seinen Rücken ziehen, doch zumindest würde diese Nacht sicherlich ohne Anwesenheit der striges vergehen.

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  • Das Echo zweier Paar Sandalen hallte vom Steinboden der Villa Flavia wider. Eines dieser Paare gehörte Claudia Antonia, das zweite einem jener Sklaven, die beständig um sie herum waren. Seit der Geburt hatte sie keine Sekunde alleine verbracht, war stets umsorgt worden, immer den prüfenden Blicken der Sklavenschaft ausgesetzt gewesen. Sie duldete es, wusste die junge Mutter doch, dass sie alle es nur gut meinten, nur um ihr Wohl besorgt waren, denn schließlich wäre sie nicht die erste Frau, die an einer Infektion im Kindbett starb.
    Obgleich unendlich matt und erschöpft, sie hatte nicht vor zu sterben. Weder jetzt noch in naher Zukunft und so schienen die Unsterblichen ein Einsehen zu haben, verschonten Antonia vor einem weiteren Schicksalsschlag und ließen sie langsam aber stetig zu alter Kraft zurückfinden. Und kaum konnte sie wieder einigermaßen auf eigenen Beinen stehen, zog es sie hierher, zum Lararium, zu jenem Ort, an dem sie Stunden, Tage, gar Wochen insgesamt gesehen verbracht hatte, um für eben das zu Bitten, was nun eingetreten war. Sie wusste, wem sie ihr Glück zu verdanken hatte und gedachte, dies auf die versprochene Weise zu entlohnen.
    Gerne wäre sie alleine hierher gekommen, hätte ‚unter vier Augen’ mit „ihrer“ Göttin gesprochen, doch die Hebamme, welche noch immer täglich vorbei kam, um nach ihrer Schutzbefohlenen zu sehen, hatte den Kopf geschüttelt, fürchtete, Antonia könne einen Schwächeanfall erleiden. So hatte sie notgedrungen Pallas mitgenommen, welcher zwar ebenso unerwünscht war, wie jeder andere Sklave, sich aber wenigstens zurückhielt, still und stumm seine Herrin begleitete, sie dann und wann stützte und ansonsten seine Gedanken für sich behielt.
    Abgeraten hatte man ihr. Sie solle sich noch einige Tage ausruhen, was würde es schon ausmachen, wenn sie Iuno ein wenig später dankte, hatte man ihr gesagt. Nun, sie war anderer Auffassung. Stur hatte sie abgewiegelt, darauf bestanden noch heute wenigstens am flavischen Lararium zu beten, der Göttin zu versichern, sie habe ihre Versprechen nicht vergessen und werde so bald als möglich im großen Tempel opfern.
    Der Weg kam ihr weiter vor als früher, doch irgendwann erreichte man den kleinen privaten Marmortempel. Ein Lächeln trat in Antonias Gesicht, als würde sie einen alten Bekannten, den sie lange nicht gesehen hatte, erblicken. Andächtig fuhr sie mit einer Hand über den Stein, betrachtete die kunstvoll gearbeiteten Götterstatuetten, welche in Reih und Glied darauf zu warten schienen, dass ein Sterblicher erscheine, um ihnen zu huldigen.
    Man hatte bereits dafür Sorge getragen, dass alles vorbereitet war. Kohle war entzündet worden, einige kleinere Opfergaben, wie sie für ein Lararium üblich waren zurecht gelegt und Weihrauch bereit gestellt.
    Gestützt von ihrem britannischen Geschenk ließ sich die Claudia auf die Knie nieder, Auge in Auge mit jener kleinen Statuette der Göttin, deretwegen sie gekommen war. Still musterte sie das erhabene Angesicht mit einer nie dagewesenen tiefen Empfindung der Dankbarkeit. Niemals konnte sie vergelten, was Iuno ihr gewährt hatte. Und dennoch wollte sie es wenigstens versuchen.
    Ihre Hand griff nach den Weihrauchkörnern, verstreute sie großzügig über der glimmenden Kohle, sodass umgehend Rauchschwaden aufstiegen, die den typisch süßlichen Geruch verbreiteten, welcher stets ein Gebet oder Opfer einleitete.
    „Iuno Lucina.“, erhob sie endlich ihre Stimme. „Gütigste aller Göttinnen, Größte und Gnädigste unter den Unsterblichen, die du in deiner Weisheit und Großzügigkeit mir und meinem Gatten einen Sohn hast gewährt.“
    Ihrer Hand, die nun in Richtung ihres Sklaven ausgestreckt wurde, wurde wortlos ein Krug Wein – Weißwein, denn Antonia hatte gehört, dieser würde Iuno am Meisten zusagen – gereicht.
    „Mater Iuno, Mächtigste der Göttinnen, nicht zu bitten bin ich hier, sondern zu danken. Du gabst und so werde ich dir für dein Wohlwollen Opfer darbringen, wie ich es einst gelobte.“
    Indes war sie sich sicher, die Göttin würde schon verstehen, dass ein Larariumsopfer nicht alles war, was sie für den kleinen Flavius als Dank erhalten würde. Doch um eventuelle Missverständnisse auszuschließen sprach sie weiter.
    „Eine Kuh und zwei Ziegen sollen dein sein, sollen meinen Dank, welcher bis in die Ewigkeit andauern wird, ausdrücken, sollen dir vergüten, was du mir geschenkt, oh größte aller Göttinnen.“
    Eine Kuh und zwei Ziegen. Natürlich würden die nicht alle an einem Tag geopfert werden, denn selbst für ein Staatsopfer hätte das schon enorme Ausmaße. Dass Antonia zum Zeitpunkt des Gelöbnisses nicht im Traum daran geglaubt hatte, dass sie dieses jemals würde erfüllen müssen sei hintangestellt. Umso größer war nun jedoch die Pflicht es einzulösen.
    Endlich goss sie die goldgelbe Flüssigkeit in eine der Opferschalen, ließ den Blick kurz darauf ruhen, um schließlich die Karaffe wieder abzustellen.
    „Iuno Lucina, Gütigste unter den Herrschenden, mögen diese bescheidenen Gaben dir Versicherung sein, dass ich mein Versprechen halten werde.“
    Es gesellten sich einige farbenfrohe Früchte in weitere Schälchen, auch der obligatorische Opferkuchen und letztlich wohl duftende Blumen wurden platziert, bis für weitere Donationen kein Platz mehr war.
    Ein leise gehauchtes „Danke.“ schloss die Lobpreisungen und Versprechen ab, wenngleich Antonia noch eine zeitlang auf ihren Knien am Boden blieb, um demütig das Abbild der Göttin zu betrachten.

  • Iuno war rundum zufrieden. Nutella, die Göttin des Frühstücks, hatte ihr gerade eben ein eben solches gemacht. Wunderbar ihr Toast Bénédict und die Sauce erst dazu... ein wahrhaft göttliches Gedicht kulinarischer Natur. An einen solchen Start in den Tag konnte sie sich durchaus gewöhnen. Dementsprechend gut gelaunt wandelte sie auf Erden, half bei Geburten und gewährte ihren Segen bei Eheschließungen. Selbstverständlich fand sie auch die Zeit, bei den Opfern zu ihren Ehren vorbeizusehen, wie auch bei diesem hier. Mit gütigem Auge verfolgte sie die Handlung und kostete dabei auch vom Wein (ein aufmerksamer Sterblicher hätte dabei wohl gesehen, dass sich die Oberfläche der Flüssigkeit unmotiviert bewegte), der ihr Wohlgefallen fand.


    Iuno war zufrieden. Und dieses Gefühl bekam in diesem Augenblick auch die Sterbliche, in Verbindung mit dem Wunsch, sich nun wieder zu Bett zu begeben, auf dass sie sich von den Strapazen der Geburt restlos erholen möge. Denn die Sterbliche hatte ein Versprechen abgegeben, und Iuno bestand natürlich auf die Erfüllung dieses Versprechens.

  • Vielleicht nicht ganz so zufrieden wie Iuno, aber doch schon sehr viel zufriedener als für gewöhnlich war Antonia, kaum hatte sie die Opferung abgeschlossen. Zufrieden aber zugleich glaubte sie nun auch, unbedingt wieder ins Bett zu müssen. Je schneller sie wieder auf den Beinen war, desto schneller würde Iuno letztlich zu ihrem Recht kommen.
    So winkte sie Pallas heran, der ihr ohne zu murren auf die Füße half.
    "Wohin, Herrin?", fragte er, der es gewohnt war, alle paar Sekunden gegegnsätzliche Befehle zu erhalten.
    "Cubiculum.", war die Anordnung, die auch tatsächlich bestehen bleiben sollte.

  • In eine schlichte Tunika gekleidet schritt Gracchus an den wächsernen Masken seiner Vorväter und Ahnen vorbei, krampfhaft darum bemüht, seinen Leib aufrecht zu halten, nicht seinen Blick zu senken unter dem gestrengen Blicke, welchen hinter jeder der Masken er witterte, welche dieser Tage noch durchdringender waren als ohnehin.
    "Divi parentes, euch gehören diese Tage der Parentalia, wie unsere Aufmerksamkeit euch gehört, divi parentes, welche ihr euren Schutz und euer Wohl..wollen über dieses Haus und seine Bewohner breitet."
    'Kaisermörder!'
    hauchte es von der Seite her.
    'Verräter!'
    aus einer anderen Ecke.
    "Diese Gaben bringe ich euch, divi parentes, zu eurem Wohlgefallen, ehrwürdige Vorväter"
    , rezitierte Gracchus stoisch weiter die rituellen Worte während er in das Lararium des Hauses eintrat, welches einem sicheren Hort glich - getaucht in das honiggoldfarbene Licht der Kerzen und Öllampen, geschwängert von dem Odeur mannigfacher Räuchergaben und ausgefüllt von der Präsenz gütiger Hausgeister und huldvoller Ahnen - obgleich Gracchus durchaus sich dessen bewusst war, dass auch dies nur Trug war, denn vor dem Spuk seiner Sinne gab es nirgends Zuflucht.
    'Schandbringer!'
    "Divi parentes"
    , hob er seine Stimme ein wenig, um das Geflüster, Gekeife und Gekicher in seinem Kopf, um ihn herum zu übertönen und streute einige trockene Kräuter über die Schale mit glühenden Kohlen, welche auf dem Hausaltar stand.
    "Diese Gaben zu eurem Wohle, ehr..würdige Vorväter, kostbares Salz, frisches Brot aus dem Herd dieses Hauses und bester Wein, auf dass ihr, divi parentes, euer Wohlwollen und euren Schutz uns möget gewähren!"
    Sorgsam platzierte er die Gaben, welche ein Sklave ihm anreichte, auf dem Altar, goss mit zitternden Händen den Wein aus einer Kanne in eine Schale hinein, und suchte das Gekreische und Gejohle zu ignorieren, welches um ihn herum aus den tanzenden Schatten sich erhob. Sie würden nicht ruhen in diesen Tagen, die Geister seiner Ahnen, sie würden ihn jagen, ihn quälen und torquieren, keinen Augenblick ablassen ihn zu martern mit Erinnerung und Mahnung.
    "Nehmt diese Gaben, divi parentes, und nehmt meinen Geist, doch ich bitte euch, lasst ab von den übrigen Be..wohnern dieses Hauses"
    , fügte er leise hinzu, ehedem er sich umwandte und unter den Augen der Vorväter, gleitet von ihrem Flüstern und Raunen das Lararium verließ.

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  • Manius Minor hatte gelobt, das Gedenken seiner Mutter zu wahren, und obschon jenes Versprechen zu keiner Zeit war verbalisiert worden, so fühlte er sich doch daran gebunden, zumal es ihm ein Anliegen des Herzens war, seine Mutter, jene Diva im wörtlichsten Sinne, in ehrendem Andenken zu erhalten und somit nicht zuletzt zu verhindern, dass sie als Larve zusammen mit jenen grässlichen Träumen, die ihn insonderheit unmittelbar nach der Bestattung torquiert hatten, zurückkehrte. Somit suchte er bisweilen ihre Ruhestätte im flavischen Mausoleum auf, um dort ein Licht zu entzünden oder ein paar Blumen zu positionieren oder brachte ihr, wie auch am heutigen Tage, Opfergaben am Lararium der Villa Flavia Felix dar.


    Dabei verzichtete er auch auf das Staatskleid, welches sein Vater für gewöhnlich während des Opferns an diesem Orte zu tragen pflegte, da es ihm doch inadäquat erschien, den Kontakt mit seiner geliebten Mutter in derartiger Weise zu formalisieren. Vielmehr verweilte er in seiner alltäglichen Tunica lediglich stumm vor dem Altare, auf die Stelle blickend, wo einst die Iuno Antonias postiert gewesen war, und gedachte jener fröhlichen Tage, als er auf ihrem Schoß an ihrem Busen geruht, sie ihm Lobeshymnen für die kleinsten Erfolge gesungen hatte, und die Welt noch so friedlich und voller Liebe gewesen war, ja selbst sein Vater noch nicht die Maske hatte fallen lassen, hinter der sich die Fratze eines Feiglings verbarg. Fast mochten ihm aufs Neue die Tränen kommen, wenn er der misslichen, aktuellen Lage gedachte, doch formulierte er endlich doch ein kurzes Gebet:
    "Mama. Ihr Manen meiner Mutter, wacht über mich und Titus! Ihr wisst, wie schwer wir es haben und wie Mama uns fehlt!"
    Dem folgend griff er nach der Acerra, welche in einem der Fächer unter der Altarfläche stets bereit stand, um feinste Baumharze aus dem Osten jedem darzubieten, der den Kontakt zu den flavischen Penaten suchte. Einige Körner fielen in die stetig glimmenden Kohlen und sofort verbreitete sich der wohlriechende Duft, der den Knaben unmittelbar des Odeurs gedenken ließ, welcher Antonias Scheiterhaufen verströmt hatte. So war sie von ihm geschieden.

  • Wenngleich sein Cubiculum kaum vertraute Gefühle in ihm wecken konnte, wie auch die ganze Villa ihm kalt und abweisend vorkam, so schien das Lararium doch den gewohnten Eindruck zu erwecken, als Flaccus sich daran machte, den Göttern ein kleines Opfer für seine heile Rückkehr darzubringen. Zwar wusste er nicht, ob es tatsächlich eine gute Idee gewesen war, nach Rom zurückzukehren, doch schien es ihm der günstigste Ort zu sein, um seine Vorhaben, die Zukunft betreffend, in die Tat umzusetzen.


    Er verhüllte sein Haupt, als er ein plötzliches Frösteln verspürte.
    Kaisermörder!
    , hallte es durch seinen Kopf. Er rieb sich langsam die kalten Hände.
    Du bist nicht würdig, den Göttern Opfer darzubringen!
    Einen Schritt auf den Altar zutretend, hielt er inne.
    Die pietas hast du mit Füßen getreten!
    Die seltsamen Stimmen in seinem Kopf zu ignorieren trachtend, nahm er einige Weihrauchkörner.
    "Vater Ianus, nimm diese Weihrauchkörner und sei mir und dieser Familie .."
    Du hast einen Bürgerkrieg heraufbeschworen!
    ".. wohlgesonnen."
    Die Körnern rieselten durch seine klammen Finger auf den focus, wo sie rauchend sofort den vertrauten Duft verströmen ließen. Erneut griff er nach einigen Weirauchkörnern.
    "Auch du, Iuppiter, sollst durch dieses Opfer geehrt sein, nimm mein Gebet an."
    Du wagst es Iuppiter selbst anzurufen?
    Mehr Rauch stieg dem Flavius in die Nase, er musste kurz husten, als er nach der patera mit Wein griff. In der spiegelnden Oberfläche der Flüssigkeit wähnte er sein eigenes Antlitz, ihm hämisch entgegen entgegengrinsend.
    Angewidert wandte er den Blick ab und goss den Wein ins Feuer, wo er sich zischend und dampfend verflüchtigte.
    „Götter, ich möchte euch für meine Rückkehr in die Stadt und in den Kreis der Flavii danken..“
    Die du durch deine Frevel ins Unglück gestürzt hast!
    „ .. ganz besonders sollen diese Gaben den Laren dieses Ortes dargebracht sein und den Manen meiner Ahnen.“
    Deren Andenken du besudelt hast!
    „Divi Flavii, nehmt dieses Opfer des Dankes an..“
    Du bist nicht wert ein Flavius zu heißen!
    Als er die zum Opfer bestimmten Blumen und Kuchen auf dem Altar platzierte musste er sich ob eines plötzlichen Schwindelanfalles festhalten, um nicht zu stürzen. Einige Momente verharrend konnte er nur langsam die Contenance wieder finden. Solche Anfälle böser Heimsuchung plagten ihn seit er von jener mysteriösen Krankheit genesen war, welche ihn schon kurz nach der Flucht aus Rom hatte befallen, wiewohl er an die Monate, in denen er vom Fieber geplagt darnieder gelegen war, kaum Erinnerungen hatte und von den wenigen, die er im Gedächtnis zu halten glaubte, nicht genau wusste, ob sie fiebriger Einbildung oder realen Begebenheiten entsprungen waren. Allmählich wich die Schwäche allerdings wieder und ließ ein Gefühl unbestimmter Leere zurück, als er sich umwandte, um diesen Ort so schnell als möglich zu verlassen.

  • Als Flaccus sich umwandte, blickte er in die Augen eines durchaus gealterten, doch noch immer sichtlich unreifen Jünglings, welcher zu identifizieren ihm trotz der Jahre seit ihrer letzten Begegnung recht leicht fallen mochte, da die beginnende Pubertät kaum das infantile Äußere des Knaben hatte gemindert.


    Der Jüngling hatte durch einen eifrigen Sklaven, welchen er auf dem Weg zur Bibliotheca passierte, von der Ankunft seines geliebten Onkels erfahren und war sogleich losgeeilt ihn zu suchen, getrieben nicht lediglich von familiarer Zuneigung, sondern zugleich von nicht geringem Vorwitz und Sorge, wie der zuletzt in deplorablem Zustand zurückgelassene Flavius sich entwickelt haben mochte, ob noch immer Krankheit seinen Leib zeichnete oder er doch endlich genesen war, um seinen Ehrenlauf in jener ungleich friedlicheren Welt fortzusetzen.
    Durchaus erschien die Stimme des Mannes, der capite velato seine Blumen kredenzte, dem Jüngling bekannt, als er eintrat und still und leise sich am Eingang postierte, um die Zeremonie nicht zu disturbieren. Doch glaubte er, eine Differenz zu der geschliffenen und klaren Artikulation, welche seinem Onkel stets zueigen gewesen war, zu vernehmen, eine Art der Insekurität oder Ermattung, die den Jüngling ein wenig disturbierte. Als die Gestalt sich umwandte, erschrak der junge Flavius förmlich, denn obschon er durchaus nicht sämtliche Details der wüsten Gestalt seines Onkels visuell erfasste, so genügten doch bereits die langen, durch ihre Struppigkeit voluminös erscheinenden Haare, der Schatten des Bartes im Antlitz, die noch hagerer als ohnehin gewohnt gebaute Gestalt, um den deplorablen avunculären Status zu ermessen, sodass Manius Minor sein Gegenüber eben mit großen Augen anstarrte und hastig die Luft ausstieß, ehe er sich nötigte, in jener Gestalt doch die admirierte Person zu erkennen, an deren Seite er über Wochen durch Italia war geritten, die ihm bereits in Kindertagen mit seinen profunden Kenntnissen ergötzt hatte und die womöglich geeignet war, den Platz seines Vaters als Orientierung seines jungen Lebens zu ersetzen:
    "Ave, Onkel... Flaccus..."
    , presste er somit endlich hervor, die Insekurität in seiner Stimme nicht gänzlich zu verbergen imstande.

  • Den Jüngeren der Gracchen so unvermittelt erblickend, hielt Flaccus abrupt inne und glaubte einen kalten Griff an seiner Brust zu fühlen. Sofort waren in seiner Imagination die Bilder jener unheilvollen Nacht der Flucht gegenwärtig, drängten sich die leblosen Körper in seinen Geist, deren blasse Fratzen ihn mit grässlichem Grinsen zu verhöhnen schienen. Immer wieder suchten ihn die schaurigen Erinnerungen heim, sprachen ihn die toten Leiber bisweilen auch mit den vertrauten Stimmen seiner verblichenen Verwandten an, hinkten wie sein Patron oder trugen blutgetränkte Rüstungen als Opfer jenes unheilvollen Krieges, an dessen Entstehung er selbst mitgewirkt hatte.
    Mit leichtem Zittern fuhr Flaccus durch sein Haar, um das verhüllende Ende der Toga abzustreifen und sein Haupt dadurch frei zu machen. Er blickte den jungen flavischen Spross einen Augenblick lang musternd an und versuchte, die Erinnerungen an die gemeinsame Flucht durch halb Italia in den Hintergrund zu drängen. Zweifellos war jener während der Zeit seines eigenen Exils in Achaia einige Schritte voran gekommen auf dem Weg zur Männlichkeit, doch haftete seinem Äußeren immer noch so viel Knabenhaftes an, dass er keine Schwierigkeiten hatte, den jüngeren Verwandten Gracchus Minor zu erkennen, welchen er - ungeachtet der wesentlich komplexeren verwandtschaftlichen Bande - stets als Neffen betrachtet hatte. Und doch wusste er nicht, wie er sich nun verhalten sollte, wusste nicht, welche Reaktion der Jüngere von ihm mochte erwarten oder erhoffen. So fasste er ihn lediglich an der Schulter und blickte ihn noch einen Moment lang gedankenverloren an, ehe er seine Augen suchte und mit fester Stimme die knappe Begrüßung erwiderte, welche sein junger Verwandter hatte hervor gepresst. "Minim..", kurz hielt er inne und vergegenwärtigte sich abermals den fortgeschrittenen virilen Status des jungen Flaviers, welcher zweifelsohne auch seine bulla bereits abgelegt hatte und den bei seinem infantilen Kosenamen zu rufen wohl unangebracht war, sodass er seine Begrüßung in ein ernstes "Manius, salve." revidierte. Er drückte die weiche Schulter des Neffen, deren Konsistenz so konträr zur Beschaffenheit der eigenen sich darstellte, als um jenen von der wahrhaftigen Präsenz des ehemals krank zurückgelassenen Onkels körperlich zu überzeugen. Obgleich der Jüngere vielleicht ein Zeichen größerer Vertrautheit und Zuneigung erwartet hätte, so sträubte sich doch alles in ihm, den Minoren der Gracchen etwa in einer herzlichen Umarmung zu umfangen und in die Arme zu schließen. Stattdessen ließ er seine Hand sinken, welche bislang auf Manius' Schulter geruht hatte, um ihn stattdessen an der Hüfte zu fassen und bestimmt in das Atrium zu führen. "Erzähle. Wie ist es dir ergangen, seit die Götter unsere Wege trennten?"
    Wenngleich er durch gelegentliche Briefe auch in seinem griechischen Exil durchaus von den wichtigsten Ereignissen, die flavische gens betreffend, in Kenntnis gesetzt worden war, so hatten ihn entsprechende Nachrichten doch recht unregelmäßig und zumeist lange nach den zugrunde liegenden Geschehnissen erreicht und sich dabei nur allzu oft durch einen eher spärlichen informativen Gehalt ausgezeichnet, gerade was etwa das Heranwachsen der jüngeren Familienmitglieder betraf.

  • Die weitere Approximation ließ die Züge des älteren Flavius weiter verschwimmen, doch war es selbstredend nunmehr kaum von Bedeutung, da der visuelle Eindruck in Manius Minor bereits geprägt war und den Schluss ließ, dass eine Ignoranz der Physis in jenem Falle womöglich zu präferieren war, um nicht beständig von den eigentlich recht positiven Einstellung gegenüber dem hochgeschätzten Onkel Flaccus abzugleiten in eine Abscheu vor der Similität, die dessen Gestalt mit der von Bettlern auf den Straßen Roms aufwies. Dennoch zuckte der Jüngling für einen Augenschlag zurück, als ihn die Hand berührte, schalt sich dann jedoch, dass nur aufgrund des infamiliaren Äußeren keineswegs gleich eine pestiziöse Infektion zu fürchten war und somit eine Furcht vor engem Kontakt zur Gänze einer rationalen Basis entbehrte. Dennoch gab der junge Flavius ein wenig Hölzern dem sanften Druck des Älteren nach und schritt in similärer Weise an dessen Seite gen Atrium, konfundiert von all jenen Impressionen und unschlüssig, welche Reaktion hierauf einem Jüngling seines Standes adäquat sein mochte. Letztlich obsiegte indessen die Pflicht zur Treue gegen die Familie, weshalb er auf die doch recht indefinite Frage doch eine Replik darbot:
    "Nun, ich bin wohlauf. Ich... nun..."
    Ehe weitere Explikationen erfolgen konnten, stockte der junge Flavius jedoch, da erst jetzt er erkannte, dass die Jahre seit jener gräulichen Flucht aus Rom eine derartige Fülle von Informationen bereithielten, dass zweifelsohne eine Priorisierung zu erfolgen hatte, wofür indessen zu antizipieren war, welche Fakten Flaccus bereits bekannt waren und welche überhaupt dessen Interesse erweckten. Nach einigem Spintisieren entschloss er sich endlich an ihrer letzten gemeinsamen Impression anzuknüpfen und lediglich die eigenen Stationen zu benennen, da sämtliche weitere Novitäten zweifelsohne bereits vonseiten seines Vaters oder anderer Familiaren ihm konnten verkündet werden:
    "Ich wurde wohl behütet während des Krieges. Aurelius Ursus brachte mich bei einem seiner Klienten in Cremona unter. Ein Eques, der seinen Lebensabend in seiner Heimat genoss und mich überaus herzlich aufgenommen hat. Ich pflege noch immer Kontakte zu ihm."
    Dies gewahrte den Jüngling, dass er beizeiten wieder einmal einen Brief an den guten Vindex sollte senden, um diesen über neueste Entwicklungen in Kenntnis zu setzen.
    "Nachdem wieder Frieden eingezogen war in Rom kehrte ich indessen hierher zurück und setzte meine Edukation bei dem Rhetor Quinctius am Forum Romanum fort. Ein Orator von noch geringer Bekanntheit, doch vorzüglicher Bildung und Methode, wie mir scheint. Außerdem legte ich kurz nach meiner Rückkehr die Bulla ab."
    Wie zur Konfirmation jener Fakten griff er an den verwaisten Platz an seiner Brust, wo einst das güldene Medaillon war gehangen, das er bisweilen noch heute vermisste, wenn Schicksalsschläge ihn ereilten, gegen die er den Schutz seiner divinen Patrone erhoffte, er nun jedoch eines physischen Memoriums an diesen entbehrte.
    "Meine Mutter sandte außerdem auch Titus wieder hierher, doch verweilte sie in Patavium, wo sie kürzlich... verstarb."
    Schwermut erfasste Manius Minor aufs Neue, als er jenen Umstand vermeldete, er stockte und blickte in die Ferne, wo er die exquisite Wandgestaltung des Atrium noch in voller Schärfe auszumachen vermochte, aber in keinster Weise beachtete, da seine Gedanken doch zu jenem Bild gingen, als die Claudia in ihrer makellosen Perfektion in dieser Halle war ausgestellt gewesen. Wie gewohnt aufgemacht, doch leblos, leichenblass und von einer indeskriblen Alterität. Er gedachte seines letzten Briefes, der niemals erwidert worden war, des Qualmes, den ihr Scheiterhaufen entfaltet hatte und welcher jene Assoziationen in ihm hatte erweckt, die ihm noch heute die Schamesröte ins Antlitz zu treiben geeignet waren.
    Nach einigem Verweilen in jener Betrübnis erinnerte er sich jedoch, dass es keinesfalls zu erstreben war, mit einem gedrückten Eindruck von sich den Onkel zu hinterlassen, sodass er eilig noch Erfreuliches an das Ende seines Rapports setzte:
    "Mir sind jedoch einige Anverwandte ein Trost, die ebenfalls nach dem Krieg hierher kamen, insonderheit die Söhne des Flavius Milo. Sie und weitere Freunde begingen auch kürzlich meinen sechzehnten Geburtstag."

  • "O Mercurius, Bote der Götter und Geleiter der Seelen ins Jenseits!"
    , intonierte Manius Minor mit gravitätischer Stimme, als sein Opfer endlich begann. Nicht viel Zeit war vergangen zwischen jenem Tag, da er sich von den Qualen der Purgation war geheilt erwacht, und diesem, dennoch plagte den Jüngling bereits jetzt sein Gewissen, nicht eiliger sich zur Erfüllung seiner Gelübde gegen die Götter, obschon gesprochen im Fieberwahn, geschritten zu sein. Dieser Tag sollte der erste eines visiblen Wandels seiner Person sein, weg vom epikureischen Verächter aller Tugenden hin zum würdigen und frommen Spross seines ehrwürdigen Hauses. Und so hatte Patrokolos ein beachtliches Opfer organisiert, welches nun ihn neben einer Schar von Haussklaven umringte:
    Erstlich reichte man ihm dem Usus gemäß Weihrauch in einer reichlich geschmückten Büchse:
    "Wie der Wohlgeruch des Weihrauches steige mein Gebet zum Olymp empor und diene Dir und allen Unsterblichen zum Wohlgefallen!"
    In einer theatralischen Geste und bemüht, seine über dem Hinterhaupt drapierte Toga nicht zu verlieren, warf er die farbigen Körner auf den glühenden Altar, wo sie mit sanftem Knistern sublimierten und einen süßlichen Duft verströmten.
    "Ich bringe Dir dieses Opfer dar zum Danke, da Du mich sicher an die Pforten des Elysium hast geleitet und in die Welt der Lebenden zurück eskortiertest!"
    Der junge Flavius hatte nicht explizit seine Familiaren zu jenem kleinen Festakte geladen, da er doch nach der verhaltenen Reaktion seines Vaters nicht zu ermessen wusste, ob diese seine Berichte über Visionen und maternale Ratschlüsse nicht Spott und Misstrauen statt Glauben und Freude würden evozieren, weshalb er endlich hatte beschieden, ihre Bekanntgabe nicht unbedacht hinauszuposaunen, sondern einen jeweilig adäquaten Moment zu erwarten.
    "O Di Parentes, Manes Claudiae Antoniae"
    Er ließ sich die Patera reichen, in welche Patrokolos als sein Minister aus einer Kanne roten Wein goss.
    "Ich weihe euch dieses Zicklein als meine gerechte Gabe, aufdass es hinüberwandle in das Eigentum der Jenseitigen."
    Er goss den Wein auf das Haupt jenes kleinen, schwarzen Zickleins, welches noch so klein erschien, dass eine Sklavin es auf dem Arme trug. Fortunablerweise war der junge Opferherr dank seiner Hypermetropie außerstande, die infantile Unschuld jenes Tieres in seinem Äußeren gänzlich zu ermessen, doch bereits sein schwächliches Meckern evozierte in ihm eine gewisse Reue, es in Kürze hinschlachten zu lassen.
    Doch zuerst konnte er von jenem reinen Wesen ablassen, da doch das unblutige dem blutigen Opfer stets vorauszugehen hatte, wie ihm selbst in den letzten Jahren der kultischen Abstinenz nicht war entfallen:
    "Nehmt an jene Opferkuchen als meine gerechte Gabe zum Dank für meine Rettung aus höchster Todesnot!"
    Er griff mit der Rechten nach der Gabe, wobei der Schein einer Öllampe auf seinen Siegelring fiel, der einstmals das Eigentum eines jener Divi Parentes war gewesen. Beinahe vermeinte er, die Präsenz seiner Mutter wie seines Großvaters, dessen Bekanntschaft er niemals hatte gemacht, physisch zu spüren.
    "Manes Claudiae Antoniae, nehmt an diese Blumen zum Dank für jene Mahnungen, welche mir Rettung verheißen!"
    Man reichte ihm jene kleinen Blümlein, welche einzig im Winter auf dem Forum waren zu erwerben gewesen, deren weiße Blüten indessen den Jüngling der blassen Haut seiner Mutter gedenken ließen. Sorgsam positionierte er sie auf dem Lararium.
    Trübsal befiel ihm bei dem Gedanken, seiner Schwester und der Tochter seiner Mutter, welche eine similäre Blume war gewesen,womöglich aus eigenem Verschulden verlustig gegangen zu sein. Ob seine Ahnen ihm dies jemals würden verzeihen?
    "Ich gebe euch dieses Zicklein als meine gerechte Gabe zum Dank für meine Rettung aus höchster Todesnot."
    Wieder meckerte das Zicklein und rasch musste sich der Jüngling gemahnen, dass jenes Hinschlachten der Wille der Götter, ja der singuläre Weg war, ihre Gnade zu ertauschen und damit dem Tartaros zu entgehen. So griff er nach dem Culter und entkleidete sein Opfertier rituell.
    "Nehmt dieses Opfer, weil ihr mir die Krankheit nahmt. Nehmt ihr, Divi Parentes, Febris, Panacea und alle Götter der Heilung diese gerechte Gabe zum Dank für mein Genesen und meine Rettung!"
    Er nickte der Sklavin mit dem Zicklein zu, die nun ihrerseits das Culter ergriff.
    "Agone?"
    , fragte sie mit gebrochener Stimme.
    "Age!"
    , erwiderte Manius Minor und das Zicklein hauchte sein Leben aus. Er würde es als ein Holocaustum darbringen, um seiner Sühne Ausdruck zu verleihen. Erst danach würde er es wieder wagen, Mahlgemeinschaft mit den Unsterblichen zu halten, indem er selbst einen Teil des Opferfleisches verspeiste.

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