[Mons Palatinus] Templum Magnae Matris



  • Der Magna Mater Tempel befindet sich auf dem westlichen Palatin, ein Heiligtum zu Ehren der Kybele. Kybele, die Magna Mater, eine Göttin aus Kleinasien, die Fruchtbarkeit und Leben brachte. Alles, um Rom den Segen während der Kriegszeiten nach den Punischen Kriegen zu bieten- so verhießen es die Sibyllinischen Bücher den Römern damals. Der Tempel erhebt sich auf einer künstlichen Terrasse aus Tuffstein, in denen eine Reihe von Räumen gegraben worden waren. Eine überdachte Straße grenzt an den Tempel, der auch einige Läden beherbergt. Eine große Treppe führt zur Basis des Tempels, von wo man durch einen korinthischen Säulengang zur quadratischen Cella kommt.




  • „Magna Mater! Magna, Magna Mater, Magna Mater...Magna Mater...“ Schwaden von Weihraum umwaberten eine schlanke Gestalt, die auf Matten von Bast saß. Ihre Haare waren völlig von einer schwarzroten Palla bedeckt. Ihre Haltung in Demut gebeugt und ihre Lippen flüsterten immer wieder. „Magna Mater, Magna Mater...“ Wie in Trance kamen die Worte aus ihr heraus. Goldenes Sonnenlicht wogte durch die Stoffbahnen, die eine kleine Kammer innerhalb der Cella für sie bildete. Der Wind spielte mit dem Stoff und bildete kleine Wellen darin. Doch die Frau bemerkte das nicht. „Magna Mater...Magna Mater...!“ Leichtfüßige Schritte näherten sich der betenden Gestalt, deren Singsang davon nicht unterbrochen wurde. „Du bist Medeia?“ Die auf dem Boden kniende Frau hob ihren Blick, es war Medeia. Ihre grünen Augen wirkten noch einen Moment verschleiert, doch dann klärten sie sich und sie betrachtete die Frau vor sich. Es war eine ältere Frau mit leicht schrägstehenden Augen. Ihre ehemals schwarzen Haare waren völlig ergraut und ihre Haltung von den Jahren gezeichnet. Trotzdem strahlte sie eine große Würde aus. „Ja!“ Die alte Kybelepriesterin musterte sie ernst und nickte schließlich. „Folge mir!“


    Anmutig erhob sich Medeia und musste tief einatmen. Sie schwankte kurz, doch die alte Frau kam ihn nicht zu Hilfe. Als sie sich gefangen hatte, nickte sie der Priesterin zu und folgte ihr ebenso barfuss. Die Vorhänge aus goldgelbem Stoff teilten sich vor Medeia und sie trat in einen düsteren halbrunden Raum. Eine hohe Opferplattform dominierte die Mitte des Raumes und ein großes Becken, zum Reinigen, lag daneben im Boden eingelassen. Wie Zungen leckten die Flammen der Öllampen aus ihren Öffnungen heraus, bereit jeden zu verschlingen, der sich ihnen näherte. Ihre Schatten fielen wie tanzende Geister auf die Wände und die Gestalt der alten Priesterin. Die Priesterin blieb stehen und hob ihre Hände der hohen Statue der Magna Mater entgegen. Sie schloss ihre Augen und verharrte einige Momente schweigend. Auch Medeia senkte ihren Blick und wartete ruhig. Abrupt wandte sich die Priesterin um. „Du willst die Stimme der großen Mater vernehmen?“ Medeia sah sie wieder an. „Ja!“ Die Priesterin musterte sie scharf. „Du bist bereit den Preis zu zahlen?“ Ausdruckslos erwiderte Medeia den durchdringenden Blick ohne dabei zusammen zu zucken. „Ja!“ Die Priesterin lächelte nicht, sondern drehte sich nur um. „Zieh Dich aus!“

  • Eine Glocke schlug, Wasser tröpfelte als kleines Rinnsal aus einer kleinen Schale über die Hände der Priesterin. Eine Öllampe tauchte Medeia in goldenes Licht. Stumm sah sie der Priesterin hinter her und rührte sich für einen Moment nicht. Ihre Hand griff dann nach einer silbernen Brosche und löste die Palla um ihren Kopf. Sanft glitt der Stoff von ihren roten Locken herunter und segelte wie ein hauchzartes Rosenblatt auf den Boden herunter. Und nach einem weiteren Lösen glitt die dünne grüne Tunika langsam und ihren Leib liebkosend an ihre herunter. Nackt, wie sie geboren wurde, stand sie still in der Cella. Bis auf die alte Frau war niemand sonst dort. Die alte Priesterin trat langsam wieder auf sie zu und hielt eine Schale in der Hand. Ein wenig abwesend ging Medeia auf die Priesterin zu und blieb dicht vor ihr stehen. Leises Gemurmel hob sich an, rauh und archaisch klangen die heiseren Worte der alten Frau. Immer wieder mischten sich die Worte Kybele, Megale Meter und Magna Mater in den Singsang. Ihre Hände rührten in einer blutroten Pampe, dann fing sie an Symbole und Schlangenartige Linien auf Medeias Gesicht und ihren Körper zu malen. Medeia schloss ihre Augen und der Weihrauch einer nahen Rauchschale hüllte sie ein, benebelte sie immer mehr. Die Priesterin trat zurück und stellte die Schale aus ihren Händen weg. Sie griff nach einem elfenbeinfarbenen Gewand und reichte dieses Medeia. Ganz benommen griff Medeia dieses und streifte sich die weite Tunika über.


    In dem Moment klatschte die Priesterin in die Hände. Drei Männer traten in die Cella. Doch es waren nicht normale Männer, nein, ihre leicht aufgeschwemmten Körper, die verweiblichten Gesichtzüge und ihre langen rituell geflochtenen Haare verrieten sie als Eunuchen des Magna Mater Tempels. Lange farbige Gewänder und aufwendiger Schmuck zierten ihre bemalten Leiber. Auch sie hatten orientalische Gesichtszüge. Die drei Eunuchen trugen Trommeln, Peitschen und Flöten in den Händen. Einer setzte die Flöte an seine weichen Lippen an und ein schrilles Pfeifen erklang in der Cella. Die Priesterin umschritt langsam die Opferplattform, Medeia folgte ihr langsam und setzte jeden Schritt ihrer bloßen Füße sorgfältig vor den Anderen. Vor einem urtümlichen schwarzen Stein, der im Schatten der Cella verborgen lag sank die Priesterin in die Knie. Dies war das größte Heiligtum des Tempels, der Himmelsstein. Auch Medeia folgte mit anmutiger Bewegung der Bewegung und sank auf ihre Knie und neigte ihren Opferkörper in demütiger Haltung. Ihr Kopf presste sich auf den kühlen Stein des Tempels und sie schloss ihre Augen. Mit leichtem Fingerschlag wirbelten die Hände der Eunuchen über die Trommeln. Ihre hellen Stimmen vereinten sich zu einem leisen Gemurmel und einem stetig lauter werdenden Singsang.

  • Das Taurobolium, Pars Prima


    Ein Chor aus hellen Männerstimmen verwob sich mit dem Trommeln und dem Klang einer einzigen Flöte. Noch klang der Gesang ruhig, fast beschaulich, nur unterbrochen von schrillen Zwischentönen der Flöte. Ein junger Mann, fast noch ein Knabe kam hinein, der von Kopf bis Fuß in weißer und roter Farbe bemalt war. Sein magerer Körper, schon in den Jahren entmannt, war gezeichnet von den Entbehrungen des Tempels. Ruhig und mit demütiger Haltung führte er einen schwarzen Widder in die Cella hinein. Die Hufen des Widders waren mit rotleuchtender Farbe bemalt und die Hörner mit weißschwarzer Tonerde bestrichen. Das Tier lief klappernd über den Stein, aber ruhig hinter dem jungen Eunuchen her, so sehr war er von den Kräutern und dem Mohnsud betäubt. So kletterte er auch folgsam auf die Opferplattform. Der junge Mann, dessen weibliche Gesichtzüge sofort ins Auge stachen, kettete den schwarzen Widder an den vier Säulen am Rand fest. Das Eisen klirrte leise als sich der Widder ein wenig zur Seite bewegte, doch dann verharrte er ruhig.


    Immer wieder glühte der Weihrauch in den großen Feuerschalen auf und verströmte den sinnlichbetörenden Duft. Schlangen schienen durch den Rauch durch die Luft zu wabern. Eine Hand durchriss eine solche Schlange und reichte einen tönernen und einfachen Becher an Medeia. Diese nahm den Becher von der alten Frau entgegen und trank den Inhalt, ein bitteres Zeug, in einem Zug aus. Für einen Moment schloss Medeia ihre Augen und ließ sich von der alten Frau zu der Opferplattform führen. Die Kräuter stiegen Medeia schon schnell zu Kopf, hatten sie doch drei Tage lang vorher gefastet. So wankte sie einen Moment ehe sie langsam die rauen Stufen in die Grube hinabstieg. Die alte Frau ließ sie los. Leicht schwanken blieb Medeia in der steinigen Grube unter der Opferplattform stehen. Man sah nicht wie die alte Frau verschwand, doch dann stand Medeia alleine in der Cella mit den Eunuchen. Schwere Schritte näherten sich der Plattform. Ein alter und weißhaariger Eunuch, ein Priester der Kybele, kam heran. Sein Gewand war tiefrot und mit goldsilbernen Fäden durchwoben. Seinen Kopf zierte ein hoher Hut, der spitz nach oben zulief und sich wieder etwas verbreitete. Genau als Medeia langsam und mit verschleierten Augen niedersank, bestieg er die Stufen der Opferplattform und trat an die Seite des Widders und seines Opferhelfers, dem jungen und bemalten Eunuchen.

  • Das Taurobolium, Pars Secunda


    Ein bunt bemalter und eunuchenhafter Tänzer wirbelte im Kreis um die Grube herum. Seine Glieder verzerrten und verrenkten sich in akrobatischen Bewegungen. Trommeln untermalten jeden seiner Schritte, mal langsam, dann wieder schnell. Der Galli, der Priester der Magna Mater, hob seine Stimme zu einem Gebet mit uralten Worten an. Anrufungen, die fast keiner mehr verstehen konnte und die schon vor Jahrhunderten weit weg von Rom zu der Göttin Kybele gewispert wurden. Immer mehr Weihrauch wurde verbrannt und hüllte die kniende Medeia ein. Die Augen geschlossen raunte sie leise und unhörbar griechische Silben und Gebete. Langsam fing sie an, sich hin und her zu wiegen. Der Trank nahm ihr immer mehr die Sinne und berauschte sie. Suchend griff ihre Hand neben sich. Kaltes Eisen schmiegte sich in ihre Hand und diese umschloss den Griff des scharfen Messers. „Megale...Magna Mater...Megale!“ Stoßweise presste sich ihr Atem aus ihrem Mund und die Worte sprudelten leise aus ihr hervor. „Sühnen...sühnen will ich! Das Blut, was ich einst...bei Mondenschein...“ Vom Rausch befallen fing sie an einige unsinnige Worte zu raunen. „...das Blut, was ich vergossen hatte. Menschen...gestorben...durch mich...Magna...“


    In dem Moment zog sich Medeia das Messer über ihren Unterarm. Blut quoll aus dieser haarfeinen Wunde hervor, wie rote Perlen. Langsam sickerte es um ihren Arm und tropfte auf den Boden der Grube. Doch Medeia spürte das Ganze nicht. „...gelogen...getötet...Megale, sühnen will ich heute!“ Wieder zog sie das Messer über ihren Arm und das neue Blut vereinte sich mit den anderen roten Tropfen. Das Messer blitzte im Schein der Fackeln auf und wieder schnitt sich Medeia über ihren Arm. Das Trommeln wurde immer ekstatischer, die Flöte immer schriller, das Raunen des Priesters lauter. Mit fest zusammengepressten Augen schnitt sich Medeia immer wieder über die Arme. „Sühnen will ich und den Preis bezahlen...Megale...bezahlen!“ Die Flöte spielte laut und langgezogen. „Kybele!“ Das Wort peitschte laut durch den Raum, gesprochen von dem Galli. Im dem Moment fiel der Widder über der Grube zusammen. Der Dolch des Galli hatte den Hals durchschnitten und das Tier war noch tot ehe es auf dem Boden aufkam. Der Lebensodem des Widders floss durch die Lücken in die Grube hinein und tränkte Medeias feines Gewand, umfloss sie und vereinte sich mit ihrem eigenen Blut.


    „Megale...!“ Immer noch war Medeia weit entfernt. Ihr Messer glitt über der roten Blutmasse aus, schnitt dann jedoch tief in ihr eigenes Fleisch. Diesmal erreichte der Schmerz sie und sie stöhnte gepeinigt auf und ließ das Messer fallen, was im Blut versank. Stöhnend griff sie sich an die Schläfen und beugte sich langsam vor, krümmte sich zusammen. „Megale...Magna Mater...!“ Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Und dann schien es vor ihren Augen in einem hellen Lichtblitz zu explodieren. Der Schmerz raste durch ihren Kopf hindurch. Mit einem leisen Aufschrei krümmte sie sich noch weiter zusammen, merkte gar nicht, wie viel tiefer sie in das Blut des Widders tauchte. „Der Preis! Du wirst ihn bezahlen müssen!“ Es war als ob ein Schemen vor Medeia stehen würde. Langsam hob sie ihren Blick, weiße Punkte, schwarze Schatten vermischten sich und eine Frau schien vor ihr zu stehen und über dem Blut zu schweben. „Deine Sühne wird hart und teuer erkauft sein!“ Medeias Lippen wollten Worte formulieren, ihre Hände wollten sich nach der Frau ausstrecken. Doch sie war erstarrt. „Für Dich wird eine neue Zeit beginnen. Du wirst anders sein, eine Neugeburt. Doch die Sühne wird folgen...!“ Medeias Gedanken rasten und schienen dann wieder auf den Schmerz konzentriert zu sein. Wer war die Frau? Medeia wusste es nicht. Doch dann sah sie vor ihren Augen die Schwärze herannahen. Ein Mann schien sich über sie zu beugen. Quintus? Gabriel? Camillus? Namen raunten durch ihren Geist und dann fiel sie in die Schwärze hinein.

  • Eine lichtumflutete Gestalt beugte sich über Medeia. Ihre Augen waren offen. Bin ich wach? Medeias sah auf die Gestalt über sich. Magna Mater? Medeia wusste es nicht und sie sah der Gestalt nur stumm entgegen. „Du bist wach? Gut!“ Langsam klärte sich die verschwommene Gestalt vor Medeias Augen und die alte Frau aus der Cella erschien vor Medeia. Leise stöhnend sah sich Medeia um. Sie lag auf einer der Bastmatten im Nebenraum der Cella. Durch einen schmalen Fensterspalt fielen Sonnenstrahlen in den kleinen Raum hinein. Als sich Medeia bewegte, zuckte Schmerz durch ihre Arme. Verwundert betrachtete sie die Leinenverbände an ihren Armen. Die Erinnerungen an das Opfer waren nur noch verschwommen. Was ist...? Sie sah auf und formulierte die Frage aus ihrem Geist. „Was ist passiert?“ Die alte Frau sah sie ernst an. „Du hast das Sühneopfer begangen und Dein Blut ist vergossen worden. Sobald Du aufstehen kannst, wird Dich ein Eunuch nach Hause geleiten. Eine Sänfte wartet schon vor der Tür.“ Matt nickte Medeia und sah der alten Frau hinter her, als sie den Raum verließ.


    Medeia schloss ihre Augen. Doch hinter ihren Augenliedern sah sie immer noch das gleißende Licht der Sonne. Ist das Sühneopfer angenommen worden? Medeia erinnerte sich an eine Lichtgestalt. Teuer erkaufen? Neugeburt? Was meint sie damit? Ein leichtes Pochen zog durch Medeias Schläfen und als sie Schritte hörte, öffnete sie wieder ihre Augen und richtete sich langsam auf. Ein dicklicher Mann, grell geschminkt, trat auf sie zu. Er beugte sich vor und half Medeia aufzustehen. Für einen Moment drehte sich noch alles um sie herum. Sie trug ein anderes Gewand, das Blutige hatten sie ihr wohl ausgezogen. Immer wieder schwarze Punkte vor Augen sehend, geleitete sie der Eunuch durch einen Seitenausgang und zu einer Sänfte. Erschöpft ließ sich Medeia dort hinein sinken. Die Sänfte wurde hochgehoben und unter dem sanften Schaukeln verließ Medeia den Bereich des Magna Mater Tempel.

  • In eine dunkle Palla gehüllt wandert Lucilla völlig alleine den Weg zum Tempel der Magna Mater auf den Palatin hinauf. Natürlich ist sie nicht völlig alleine, unzählige andere Frauen gehen heute und in den kommenden Tagen diesen Weg. Die Megalesia haben begonnen und während der Staat der Göttin mit öffentlichen Feierlichkeiten dankt, nutzen viele Frauen diese Zeit um der großen Mutter für ganz private Dinge zu danken - oder auch, um sie um etwas zu bitten. Lucilla will beides tun, und da es in den nächsten Tagen voll wird im Tempel ist sie schon recht früh auf den Beinen, noch bevor am Mittag das große Opfer stattfinden wird. In einem Korb, der über ihrem Arm hängt, liegen teure Früchte aus dem Süden des Reiches - Datteln und Feigen - und eine fest verschlossene Amphore mit Wein aus Hispania. Außerdem ist da auch ein kleiner Käfig mit einem verschreckten schwarzen Karnickel drin, von dem Lucilla hofft, dass es nicht allzu viel stercus ablassen würde, denn der Käfig ist an den Seiten natürlich nicht ganz dicht.


    An einer etwas älteren Frau, die auf dem Weg nach draußen ist, huscht Lucilla vorbei in den Tempel hinein und blinzelt in die weihrauchgeschwängerte Luft. Der süßliche Duft der Räucherungen kann nicht ganz den Geruch nach Blut und Schweiß überdecken, nach dem Blut der zahlreich geopferten Tiere und dem Schweiß der ekstatisch sich bewegenden, bunt gekleideten eunuchischen Tempelpriester, die über die kommenden Tage kaum bei Sinnen sind. Lucilla legt ihre Palla ab und öffnet ihr Haar, dann streift sie die Sandalen von ihren Füßen und legt alles in eine kleine Nische neben dem Tempeleingang. Sie reinigt ihre Hände am Becken neben der Tür, nimmt ihren Korb auf und schreitet durch den Tempel, zwischen den Tänzern hindruch, selbst beschwingt von den schweren, dumpfen Schlägen der Trommel, dem Rasseln der Schellen und den langgezogenen Trance-artigen Gesängen. Vor dem schwarzen Stein nimmt sie eine Hand voll Weihrauch aus einer silbernen Schale, die vor einer der Säulen aufgestellt ist, und wirft die groben Körner auf das Gitter vor dem Kultbild der Kybele. Das Ergebnis ihrer Gabe ist kaum zu sehen, denn wegen der vielen Opferungen schlängeln sich die Rauchsäulen forwährend in die Höhe und füllen den Raum. Doch die große Mutter braucht kaum einen Hinweis darauf, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf den Tempel richten sollte. Wenn sie heute nicht die Gebete und Bitten erhört, dann hat sie sich eh für immer vom römischen Volk abgewendet.


    Lucilla kniet sich auf den Boden und lässt sich von der Schwere des Raumes, vom Licht der zahlreichen Öllampen und Kerzen, von Rauch und Musik einhüllen. Die Augen halb geschlossen starrt sie auf den nachtschwarzen Stein vor sich und wippt langsam ihren Körper vor und zurück. Nach kurzer Zeit beginnt sie unablässig zu murmeln. "Magna Mater ... große Göße Göttin ... meine Gaben für Dich ... große Göttin ... Magna Mater ... meine Gaben ... Magna Mater ... für Dich ... große Göttin ... Magna Mater ... für Dich ... Magna Mater ... meine Gaben ... große Göttin ..." Mechanisch greift sie in den Korb neben sich, holt die Früchte heraus und legt sie zu den anderen Opfergaben um den Stein. Dann folgt die Amphore. Es dauert, bis sie den Korken entfernt hat, weiter vor und zurück wippend, dann gießt Lucilla den guten Wein in die kleine schalenförmige Vertiefung auf dem etwas erhöhten Opferstein zwischen den Räuchergittern. "Ich danke dir für deinen Schutz und deine Hilfe. Bitte gewähre mir auch für die nächsten 13 Monde deine Gunst."

  • Ein weiterer Handgriff und Lucilla hält das scharfe Opfermesser in der Hand, ein zweiter und der Deckel des Käfigs ist geöffnet. Sie umfasst mit fester Hand die Ohren des Karnickels und zieht es heraus. Fast leblos hängt das Tier in der Luft, zuckt nur ab und zu mit den Pfoten. Lucilla sieht es kaum. Ihre Stimme wird noch etwas leiser, als sie das Messer hebt. "Schütze auch das Leben von Quintus Tullius ... lass seine Tage schlimmere Qual als im Hades sein, lass seinen Körper leiden und seinen Geist verzweifeln, doch gewähre ihm sein Leben." Ein schneller Schnitt und das Karnickel ist tot. Dunkelrot fließt das Blut über das schwarze Bauchfell und tropft auf den Boden vor Lucilla, sammelt sich dann in der Kuhle für die Trankopfer und fließt träge durch das kleine Loch in der Vertiefung ab. Sie legt das tote Tier auf den Gabenplatz und das Messer daneben. Dann tunkt ihre Hand in das warme Blut und verfällt wieder in ihr Gemurmel.


    "Magna Mater ... große Göße Göttin ... meine Gaben für Dich ... große Göttin ... Magna Mater ... meine Gaben ... Magna Mater ... für Dich ... große Göttin ... Magna Mater ... für Dich ... Magna Mater ... meine Gaben ... große Göttin ... Magna Mater ..." Sie hebt die blutgetränkte Hand und fährt sich in einer langsamen Bewegung über ihre Drosselgrube, so dass ein roter Fleck dort zurück bleibt. Neben Lucilla lässt sich eine weitere Frau zum Opfer nieder und beginnt ihrerseits den Namen der großen Göttin zu murmeln. "Magna Mater ... große Göße Göttin ... meine Gaben für Dich ... große Göttin ... Magna Mater ... meine Gaben ... Magna Mater ... für Dich ... große Göttin ... Magna Mater ... für Dich ... Magna Mater ... meine Gaben ... große Mutter Magna Mater..."


    Es ist heiß im Tempel, doch Lucilla spürt auf einmal Kälte in sich aufsteigen. Die Lichter der Kerzen verschwimmen, schwimmen in der Luft, schwimmen im Meer, im Mare Internum, auf einem Schiff im Nebel, im Sturm. Der Gesang im Hintergrund wird zum Tosen des Windes, das Klingen der Schellen zum Rauschen des Meres, das Schlagen der Trommeln zum Platschen der Ruder. Ein Flüstern zieht an Lucilla vorbei Das nächste Mal solltest Du das Schwert fester halten, Lucilla., neben ihr, hinter ihr, überall um sie herum. Er ist nah, viel zu nah, Lucilla spürt seinen kalten Hauch im Nacken, seinen warmen Kuss auf ihren Lippen, die Klinge des Messers am Hals. Du bist der Fluch, Lucilla. ... du bist der Fluch.... der Fluch ...


    Erschrocken ruckt Lucilla hoch, hebt ihren Kopf, ihr Herz rast und sie hört es bis in die Ohen pochen. Neben ihr sind zwei Frauen in ihr eigenes Opfer für die große Mutter vertieft, die extatischen Tänze im Tempelinneren dauern fort, die Räucherschwaden hängen schwer unter der Decke. Das Blut auf Lucillas Haut ist trocken, in der Auffangschale vor ihr längst frisches Blut von frischen Opfern. Zitternd greift sie nach dem Korb, steht auf und wankt noch immer benommen zum Ausgang des Tempelgebäudes. Sie lässt sich bereitwillig von einem Tempeldiener beim Anziehen der Sandalen helfen und zieht die Palla über ihrem Kopf eng zusammen, nicht nur, um ihr offenes Haar in der Stadt zu verbergen, sondern auch wegen des blutigen Flecks, den sie erst Zuhause abwaschen wird. Später am Tag wird sie dann auch noch das offizielle Opfer besuchen.

  • Nicht leicht war es gewesen, der Appetenz des stets vorwitzigen Sciurius zu entgehen, um Raum zu gewinnen für das sinistre Vorhaben Manius Minors, das er sich infolge der Exilierung durch seinen Vater hatte ersonnen, um selbst in Absenz die Familia Flavia Romae noch vor jener widerwärtigen Aurelia zu bewahren und zugleich sich bei seinem Vater in adäquater Weise für seine Entthronung zu revanchieren. In der Tat bedurfte die Platzierung einer Defixio nämlich, wie Lucretius Carus ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit und mit bedeutungsschwangerer Miene anvertraut hatte, eines adäquaten Kontextes, der im Falle der Großen Mutter als Flucheshelferin lediglich in der Düsternis der Nacht war gegeben.
    Um zu jener Tages-, respektive Nachtzeit indessen in der aktuell konstringierten Lage, da die Pforten Roms ebenso verriegelt waren wie jene der Villa Flavia Felix, außer Haus zu wandeln, hatte es nicht geringer Anstrengungen bedurft, derer diffizilste sich auf einen ausgedehnten Disput mit seinem geliebten Patrokolos hatte erstreckt, dessen der junge Flavius als Komplizen selbstredend bedurfte, der ob seiner Obsequenz und Bedachtheit jedoch aufs Schärfste das Vorhaben des jungen Flavius hatte verurteilt, sodass erst nach langen Wortgefechten und Drohungen er zu überwinden war gewesen zu kooperieren und diesbezüglich kein Wort der Außenwelt anzuvertrauen. Infolge war ein Plan ersonnen worden, dessen Ausführung nun endlich erfolgte, indem erstlich Patrokolos bereits zur gewohnten Zeit vom Rhetoren war nach Hause geeilt, vorgebend, Quinctius wolle seinem Novizen ob dessen baldigen Abschieds noch eine private Lektion erteilen, sodass mit der Cena nicht auf ihn zu warten sei, anschließend der Sklave auf dem Wege zurück ein Huhn hatte erstanden, ehe beide Konspiranten sich bis zur Dämmerung in der Stadt hatten herumgetrieben, stets bedacht keinem der Familiaren der Flavia Romae zu begegnen, um zur rechten Zeit endlich den Aufstieg zum derzeitig verwaisten Palatinus Mons zu wagen, was zu guter letzt noch imprävisible Inkommoditäten hatte impliziert, da der junge Flavius ob der luminösen Umstände nicht wenige Male mit den Kanten und Lücken des Pflasters kollidierte, nachdem Patrokolos ob seiner Excitation kaum war imstande, seinen Herrn in gewohnter Manier zu leiten.


    Dennoch zeichnete sich endlich vor dem Jüngling der imposante Tempelbau gegen den trüben Abendhimmel ab. Leichtes Frösteln umfing ihn, als er zaghaft seine Schritte die Stufen hinauf lenkte und er endlich, fortunablerweise flankiert von seinem geliebten Patrokolos, der noch immer ein, bisweilen furchtsam gackerndes, Huhn in Händen hielt, die Pforte zum Heiligtum aufstieß, in dem noch größere Düsternis, unterbrochen nur vom schein diverser Öllampen, sie erwartete.
    "Willst du das wirklich tun, Domine?"
    , verbalisierte mit vernehmlicher Nervosität der Diener just jenen Gedanken, der auch den Geist des jungen Flavius durchfleuchte, und in der Tat fühlte dieser sich nur allzu sehr versucht, jenem unbehaglichen Drängen sich zu ergeben, als unverhofft eine fremde Stimme aus dem Nichts an sein Ohr drang:
    "Was sucht ihr, edle Herren?"
    Schreckhaft tressautierten Herr und Diener und blickten panisch um sich, als sei bereits einer jener malefikanten Geister, die zu beschwören sie heute gedachten, auf sie herabgekommen. Doch aus dem Schatten löste sich lediglich eine ältliche, aufgedunsene Gestalt, angetan in weibische Gewänder und mit langem Haar, was unfehlbar sie den Galloi des Heiligtums zurechenbar machte, welche sichtlich amüsiert ob der Furchtsamkeit seiner Klienten ein sublimes Lächeln darbot, ehe er seine Frage repetierte:
    "Was sucht ihr, edle Herren?"
    Obschon der Jüngling sich mühte, die Contenance zurückzugewinnen, gelang es Patrokolos als erstem, den Horror aus den Gliedern zu vertreiben, sodass er anstelle seines Herrn sich in sichtlicher Verlegenheit äußerte:
    "Wir... nun... Es geht um eine delikate Angelegenheit..."
    Keinesfalls evozierte jene nebulöse Deklaration indessen irgendeine Irritation bei dem Priester, der sittsam weiterlächelte und lediglich bemerkte:
    "Das dachte ich mir bereits. Wozu sonst solltet ihr den beschwerlichen Weg hier herauf genommen haben? Und dazu zu so später Stunde?"
    Wie zur Konfirmation jener Frage schob er den Runden Kopf hervor, um durch die Tür hindurch zum krepuskularen Himmel hinauf zu blicken, ehe er neuerlich seine Klienten fixierte und mit einer Beiläufigkeit gleich dem Geplauder über modische Frisuren oder den letzten Triumph eines Gladiatoren anfügte:
    "Ich vermute, es handelt sich um einen Fluch?"
    Jene inagitierte Rede von derartig sinistren Angelegenheiten war nicht eben geeignet, die Befangenheit des jungen Flavius zu kalmieren, doch traf ihn endlich die Einsicht, dass jene Stätte eine gewisse Famosität für derartige Dienstleistungen musste besitzen, was implizierte, dass mit gewisser Regularität Personen mit similären Wünschen auftraten, da andernfalls kaum Lucretius ihm diesen Ort hätte anempfehlen können.
    "Korrekt. Einen letalen Fluch, wenn ich bitten darf."
    , gewann Manius Minor endlich seine Stimme wieder.
    "Ein Todesfluch gleich? Das wird teuer, will ich meinen..."
    , erwiderte der Gallus und strich sich über das Kinn, das unmittelbar in den unter den wallenden Gewändern verborgenen Rumpf überzugehen schien, woraufhin der Jüngling prompt interzedierte:
    "Geld spielt keine Rolle!"
    Zweifelsohne biss Patrokolos sich ob einer derartigen Naivität hinsichtlich ökonomischer Aushandlungsprozesse auf die Zunge, doch der Gallus präsentierte nun ein breites Grinsen, ehe er mit der narbenübersähten Hand ins Dunkel des Tempels wies:
    "Wenn das so ist, tretet ein!"

  • "Die Defixiones dieses Tempels werden für gewöhnlich dem Attis gewidmet, der in diesem Bereich eine gewisse Erfahrung besitzt."
    , explizierte der Gallus, während das Triumvirat sich den Weg durch den Tempel bahnte, vorbei an diversen Votivgaben und Statuen verwandter Götter der Magna Mater, jedoch nicht direkt zu jener silbernen Statue in der Cella des Heiligtums, deren Vitalia aus einem schwarzen Stein bestanden, der vor Säkula hierher war transferiert worden, sondern zuvor eine Wende vollführend und endlich an einer unscheinbaren Pforte zum Stehen kommend, hinter welcher ein Trepplein in die Tiefe sich wand.
    "Wie ich sehe, seid ihr bereits vorbereitet. Ein Huhn ist natürlich nicht das passende Opfer für Attis, aber ich denke, wir können einen kleinen Tausch eingehen: Für einen Aufpreis von fünf Sesterzen tausche ich das Huhn gegen einen Hahn."
    , plapperte der Gallus munter weiter, während der junge Flavius in eine gemilderte Form des Storchenganges war verfallen, um in der Finsternis des Tempels nicht aufs Neue sich an Hindernissen zu stoßen. Die Perspektive nun auch noch eine Treppe zu passieren, welche, wie sich trotz seiner Fehlsicht rasch klarifizierte, miserabel illuminiert und ohne jedwede Rambarde in die Tiefe hinabstieß, induzierte dem Jüngling jedoch arge Bedrängnis.
    Ob seiner zweifelsohne profunden Übung eilte der adipöse Priester behende die Stufen hinab, während Manius Minor zaghaft die kühle Wand mit den Handflächen, die Kanten jeder singulären Stufe hingegen durch das feine Leder seiner Calcei ertastete, um sich sodann mit größter Umsicht Schritt für Schritt hinabzuschieben.


    Schlussendlich erreichten sie jedoch eine Krypta, in welcher der Gallus eine Lampe entfachte, deren Licht indessen als insuffizient sich erwies, um dem jungen Flavius eine adäquate Impression des Raumes zu bieten, weshalb Patrokolos, welcher augenscheinlich seiner Obliegenheiten sich nun endlich aufs Neue erinnerte, ihm in knappen Worten die Situation umschrieb:
    "Ein düsterer Raum mit einem Altar in der Mitte und einer Attis-Statue in einer Nische dahinter-"
    , welche er, wie es seinen Gepflogenheiten entsprach, durch einen Annex camouflierte, um den Passanten die Fehlsicht des Jünglings als den eigentlichen Anlass jener Äußerungen zu verbergen:
    "-was mag das bedeuten?"
    Der Priester hingegen schöpfte merklich Verdacht, kaschierte dies jedoch durch eine prompte Replik:
    "Hier unten werden wir die Fluchtafel herstellen, die für unsere Zwecke notwendig ist. Danach werden wir den Hahn opfern und... sollte ich vielleicht das Huhn vielleicht zuerst in Sicherheit bringen?"
    Erwartungsgeladen blickte er Patrokolos an, der in der Tat noch immer mit dem Huhn hantierte, welches ob der Dunkelheit in furchtsames Schweigen, gestört von bisweilen verhaltenem Gackern war verfallen.
    "Das wäre nett."
    , erwiderte der Sklave nach kurzem Nachsinnen und reichte dem Gallus das Federvieh, das dieser entgegennahm, um sogleich mit eilendem Schritt die Stufen der Krypta hinaufstieg, ohne sich durch die langen Gewänder disturbieren zu lassen, und somit Manius Minor und Patrokolos einsam in der Finsternis des Raumes zurückließ.

  • "Patrokolos, mir graut vor diesem Ort."
    , gestand der Jüngling prompt und fixierte seinen Diener mit ausdruckslosen Augen, in welchen der Schein der Öllampe sich widerspiegelte.
    "Wir können jederzeit gehen, Domine - wir können auch direkt verschwinden."
    Augenscheinlich gedachte der Diener die Emotionen seines Herrn sogleich sich zunutze zu machen, um doch noch jenem Gewissenskonflikte zu entgehen, welchen die Assistenz bei einem Todesfluch gegen die Angetraute des Pater Familias seines Haushaltes ihm auferlegte, doch Manius Minor wandte entschieden das Haupt, als der gerechte Zorn gegen seine Stiefmutter in spe seine Furcht umgehend retardieren ließ:
    "Niemals! Die Präsenz dieses Ortes mag mich ängstigen, doch werde ich das Grauen wohl erwecken müssen, um jener aurelischen Natter das Handwerk zu legen! Bedenke nur: Sie hat meinen Vater behext!"
    "Ich dachte, Du hättest keinen Vater mehr, Domine."
    , replizierte Patrokolos linkisch, woraufhin das Antlitz des jungen Flavius sich in Degout zerfurchte.
    "Natürlich habe ich einen Vater, nur ist er... nicht bei Sinnen!"
    In der Tat hatte in Manius Minor die Hypothese Raum gewonnen, Manius Maior sei in gewisser Weise einem geistig retardierten Manne similär zu betrachten, da es ihm doch augenscheinlich an jener Virtus mangelte, die er selbst so passionniert hatte gepredigt, insonderheit ihn indessen eine krankhafte Feigheit und Zögerlichkeit auszeichnete, welche auch zum Einfallstor der Betörungen jener Aurelia sich erwiesen musste haben. Infolgedessen war ein privater Groll gegen die Person seines Vaters selbstredend nur insoweit gestattet, als es diesem an Einsicht seines Leidens mangelte, während hingegen seine Unzulänglichkeiten im Allgemeinen in ebensolcher Weise hassenswert erschienen wie das fehlende Augenlicht Onkel Neros, die Inkapazität der Plebs für die Leitung der Res Publica oder die infantile Unvernunft jenes Narren, welcher kürzlich als Lustbarkeit auf einem Convivium der Lucretii hatte gedient.
    Jener Sinneswandel hingegen war seinem Sklaven wohlbewusst, sodass der Jüngling die Spötterei durchaus zu dechiffrieren wusste und erbost sich abwandte. Fortunablerweise suspendierte den Streit in jenem Augenblick das Hallen von Schritten, weshalb die beiden sofort enerviert und ergriffen von neuerlicher Furcht lauschten, bis endlich im flackernden Licht der Öllampe die beleibte Statur des Gallus ihnen die Sekurität bot, dass keine Larven und Lemuren, sondern lediglich der vertraute Fournisseur ihrer sinistren Gelüste durch das Heiligtum huschte. In der Rechten hielt er einen hölzernen Käfig, in welchem wiederum ein dunkles Häuflein mit Federn war auszumachen, bei welchem es zweifelsohne um den verheißenen Hahn sich handelte.
    "Da wäre ich wieder! Und ich habe gleich sämtliche Utensilien mitgebracht!"
    , deklarierte der Priester und präsentierte erstlich den Hahn, anschließend eine bleierne Tafel, die wohl bestimmt war, die Defixio zu tragen, um selbige dem jungen Flavius zu reichen.
    Der Jüngling ergriff das kühle Metall, das unter seinen Fingern hurtig sich temperierte, während der Käfig des augenscheinlich ruhenden Hahnes auf dem Boden ward platziert.
    "Nun müsstest du mir genauer berichten, wen dein Fluch treffen soll und warum."
    Die Remineszenz an die Motivation seiner Gelüste induzierte eine innotable Kühle in die Stimme des jungen Flavius, als dieser bündig seine Intentionen formulierte:
    "Es handelt sich um Aurelia Prisca, die Tochter des Aurelius Iustus und Witwe des Flavius Piso. Sie muss sterben, da sie Manius Flavius Gracchus betört, um ihn zur Ehe zu nötigen."
    Augenscheinlich bedurfte es keiner weiteren Informationen, da der Gallus lediglich ein Nicken offenbarte, ehe er fortfuhr:
    "Wir beginnen mit der Darbringung von Pinienzapfen. Danach muss die entsprechende Zauberformel in die Platte geritzt werden, was ich übernehmen werde. Du als Bittsteller musst währenddessen die Formel sprechen und zuletzt ein wenig deines Blutes auf dem Altar darbringen."
    Aus den Untiefen seiner Gewänder holte er ein winziges, gekrümmtes Messer hervor, wie es der Medicus zur Phlebotomie zu gebrauchen pflegten, weshalb der Jüngling intuitiv zurückwich, zumal die Opferung des eigenen Blutes ihn jener düstren Zeiten gewahrte, in denen Menschenopfer auch in Rom noch kultiviert worden waren.
    "Zuletzt ist dem Attis und allen Göttern ein Gelübde zu leisten, nämlich dieser Hahn und ein weiterer, wenn die Aurelia tot ist. Dann werden wir den Hahn töten und seinen Schenkelknochen herauspräparieren. Der Rest muss als Holocaustum dargebracht werden."
    Irritiert lauschte Manius Minor jenen Explikationen, die sein Engagement in weitaus größerem Maße erforderten denn erwartet und wenig von jener Simplizität besaßen, die er hatte erhofft, um eiligst in sein Heim retournieren zu können. Letztlich war jenen Erfordernissen jedoch zu gehorchen, sodass er mit fester Determination gemahnte:
    "Dann lasst uns beginnen!"

  • "Größter aller Götter, Attis, du Herrscher! O ihr Götter des Pantheon!
    Unsterbliche Gebieter über den Tod und das Leben, die ihr den Lebensfaden fortspinnt oder durchtrennt, wie es Eurem Belieben entspricht!
    Wir bringen Euch gerechte Gaben - hört auf unser Bitten! Magna Mater Agdistis, Attis und alle Götter, nehmt an diese Früchte des heiligen Baumes wie unser Gebet und erfüllt unser Bitten!"

    , intonierte der Gallus in einem admirablen Gesang, welcher die finstre Krypta durchzog und zweifelsohne auch im Tempel über ihren Häuptern vernehmlich war, sodass der Jüngling gar fürchtete, ein Passant würde seinem illegalen Treiben (eine Laune der Fortuna hatte sie erst am Vormittage bei Quinctius die Gesetze der Zwölf Tafeln disputieren lassen, die Carmina mala mit dem Tode bedrohten) Aufmerksamkeit schenken und ihn bei seinem Vater, welchem immerhin ja die Sorge um den Cultus war anvertraut, sodass zweifelsohne er auch beste Kontakte zu den Cultores dieser Gottheiten pflegte, würde anzeigen.
    Keinerlei Sorgen hegte indessen der Gallus, welcher nun die beiden Zapfen der Pinie vor dem Antlitz der Götterstatue präsentierte, um sie sogleich auf den Altar zu legen, wie Manius Minor aus zweiter Reihe recht klar vermochte zu erkennen, da für den Ritus eine ganze Schar an Lampen rund um das Kultbild war entfacht worden. Dann sprach er den Fluchtext, welchen der junge Flavius seinerseits so rasch als möglich zu kommemorieren hatte:
    "Größter aller Götter, Attis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter!
    Ich überantworte den Göttinnen mein ungerechtes Schicksal, auf dass ihr meine Stirps an Aurelia Prisca, Tochter des Iustus, rächt, die den großen Fehler beging den Manius Flavius Gracchus zu betören.
    Bei Eurer Großen Göttermutter, rächt die Stirps der Flavii Gracchi!
    Aurelia soll zugrunde gehen!
    Bei der Großen Göttermutter, rächt Eure große Göttlichkeit bald, innerhalb von hundert Tagen an Aurelia Prisca! Aurelia Prisca sei null und nichtig. Sie betört Manius Flavius Gracchus, weil sie lüstern wie irr ist."

    Fortunablerweise besaß Manius Minor ob seiner Fehlsicht notgedrungen eine nicht geringe Expertise im auditiven Einprägen von Texten, welche sein Rhetor Quinctius ihm im vergangenen Jahr noch hatte intensiviert, sodass nach der dritten Iteration er imstande sich fühlte, die Worte mitzusprechen, wie der Priester ihm gehießen hatte:
    "Größter aller Götter, Attis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter!
    Ich überantworte den Göttinnen mein ungerechtes Schicksal, auf dass ihr meine Stirps an Aurelia Prisca, Tochter des Iustus, rächt, die den großen Fehler beging den Manius Flavius Gracchus zu betören.
    Bei Eurer Großen Göttermutter, rächt die Stirps der Flavii Gracchi!
    Aurelia soll zugrunde gehen!
    Bei der Großen Göttermutter, rächt Eure große Göttlichkeit bald, innerhalb von hundert Tagen an Aurelia Prisca! Aurelia Prisca sei null und nichtig. Sie betört Manius Flavius Gracchus, weil sie lüstern wie irre ist."

    Wieder und wieder tönte der Fluch durch den Raum, ward reflektiert von den steinernen Wänden und hallte nach, während er schon aufs Neue wurde formuliert.
    Mit einem Male verstummte der Gallus und ließ einzig die dünne und jüngst ein wenig krächzende Stimme des jungen Flavius allein zurück, die indessen unbeirrt und ihrerseits in jenem Singsang gefangen, der jenem Fluchgebet ein besonderes Maß an sinistrem Charakter verlieh, fortfuhr, immer wieder den Tod auf Aurelia Prisca herabsehnend, bis selbst den fernsten Göttern jener Fluch mochte in den Ohren klingen. Konfirmiert wurde er jedoch durch einen speziellen Stylus, mit welchem der Gallus nun die dünne Bleiplatte traktierte, sodass er nicht nur Hauch blieb, sondern gleichsam in Stein, respektive Blei, gemeißelt würde bestehen, selbst wenn Manius Minor verstummte.
    Deplorablerweise bedurfte es einiger Umsicht und einer schier infiniten Zeit, bis die Worte in adäquater Weise dem Blei waren eingeprägt, weshalb der Jüngling nach einigen Iterationen den heftigen Drang verspürte, mit ein wenig Liquidem seine Zunge zu benetzen, indessen nicht wagend durch eine derartige Interruption gar das gesamte Ritual zu disturbieren. Immer wieder mühte er sich somit, zwischen den einzelnen Sentenzen durch hastiges Schlucken die Aridität seines Rachens gleichsam hinabzuwürgen, um sogleich den Fluch zu perpetuieren und ein Schweigen zu vermeiden.
    "Größter aller Götter, Attis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter!
    Ich überantworte den Göttinnen mein ungerechtes Schicksal, auf dass ihr meine Stirps an Aurelia Prisca,... Tochter des Iustus, rächt, die den großen Fehler beging den Manius Flavius Gracchus zu betören.
    Bei Eurer Großen Göttermutter,... rächt die Stirps der Flavii Gracchi!
    Aurelia soll zugrunde gehen!
    Bei der Großen Göttermutter, ... rächt Eure große Göttlichkeit bald, innerhalb von hundert Tagen an Aurelia Prisca!... Aurelia Prisca sei null und nichtig. ... Sie betört Manius Flavius Gracchus, weil sie lüstern wie irre ist."

  • Endlich legte der Gallus den Stylus beiseite und hob die nunmehr produzierte Defixio in die Höhe, präsentierte sie dem leblosen Steinbild des Attis und platzierte sie endlich auf dem Altar.
    "... Sie betört Manius Flavius Gracchus, weil sie lüstern wie irre ist."
    , vollendete Manius Minor die letzte Intonation und verstummte, während der Priester zu ihm sich umwandte, das Messer in der Hand. Für einen Augenschlag fühlte der junge Flavius sich genötigt, jenes Treiben zu unterbinden, da die Atmosphäre des Ortes, insonderheit jedoch die Klinge, die sogleich in sein zartes Fleisch sich würde bohren, ihn ängstigten. Doch schon ergriff der Gallus seinen Arm und zog ihn zum Altar.
    "Größter aller Götter, Attis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter!
    Nehmt an dieses Blut gegen das Blut der Aurelia Prisca, Tochter des Iustus! Sie sei null und nichtig!"

    , sprach der Gallus und fuhr mit dem Messer in einer Velozität über das Handgelenk des Jünglings, dass dieser nicht mehr als einen kurzes Zwacken verspürte, ehe eine dünne, dunkle Linie sich im Schein der Lampen abzeichnete. Der Gallus drückte das Handgelenk und eine Tropfen des flavischen Lebenssaftes troffen heraus und fielen auf die Pinienzapfen.
    So prompt, wie die Hand war ergriffen worden, ließ der Priester Manius Minor nunmehr fahren und wandte sich zu dem Käfig, in dem der Hahn noch immer zu schlummern schien. Doch kaum war sein Hals ergriffen worden, stieß er ohrenbetäubendes Geschrei an, flatterte hilflos und mühte sich vergebens, nach seinem Träger mit Klauen und Schnabel zu picken. Um einiges hatte der Gallus somit seine Stimme zu erheben, um das Lärmen des todgeweihten Tieres zu übertönen, als er auch dieses dem Attis weihte, indem er Wein aus einer schlanken Karaffe über den Kamm des Viehs troff:
    "Dir, Attis, Größter aller Götter, weihe ich diesen Hahn! Er sei dein Eigen!"
    Mit einigem Schwung stieß der Gallus den Hahn nun auf die Altarplatte, sodass das Federvieh mit einem Male verstummte und gleich einer Marionette, deren Fäden waren durchtrennt worden, zusammensackte.
    "Nimm an diesen Hahn! Wie wir sein Leben aushauchen, so hauche Aurelia Prisca, die Tochter des Iustus, ihr Leben aus! Innerhalb von hundert Tagen sei sie null und nichtig!"
    Mit diesen Worten griff er nach einem Culter und similär zum Handeln eines der zahlreichen Lanii auf dem Forum Boarium am Hackstock durchtrennte er mit einem einzigen Hieb den Hals des Hahnes, woraufhin gleich einer divinen Reanimation die Flügel des Tieres aufs Neue zu flattern begannen und sich scheinbar mühten, den Rumpf dem ehernen Griff des Gallus zu entwinden. Dennoch gelang es dem zweifelsohne geübten Priester leichtlich, das aus dem Rumpfe in Schüben sich ergießende Blut auf die Pinienzapfen zu lenken, wo es sich mit dem Blut des jungen Flavius vermischte. Während so langsam, doch stetig die Lebensgeister dem Federvieh entwichen, begann der Gallus neuerlich, den Fluch der Defixio zu intonieren:
    "Größter aller Götter, Attis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter!
    Ich überantworte den Göttinnen mein ungerechtes Schicksal, auf dass ihr meine Stirps an Aurelia Prisca, Tochter des Iustus, rächt, die den großen Fehler beging den Manius Flavius Gracchus zu betören.
    Bei Eurer Großen Göttermutter, rächt die Stirps der Flavii Gracchi!
    Aurelia soll zugrunde gehen!
    Bei der Großen Göttermutter, rächt Eure große Göttlichkeit bald, innerhalb von hundert Tagen an Aurelia Prisca! Aurelia Prisca sei null und nichtig. Sie betört Manius Flavius Gracchus, weil sie lüstern wie irr ist."

    Nach dreizehn Iterationen endlich schwieg er aufs Neue und holte sein filigranes Messer hervor, mit dem er einige Schnitte an der Keule vollführte, die Finger in das rosige Fleisch vertiefte, nochmalig schnitt und endlich einen schmalen Knochen herauspräparierte, wie er sonst nicht selten auf dem Tischen der Villa Flavia Felix beim Gastmählern zutage trat, nachdem die Herrschaften ihr Huhn al Fronto hatten genossen, obschon jenes Exemplar weder von ebenmäßiger, weißer Farbe, noch säuberlich von allem Fleisch und Sehnenmaterial war befreit, sondern eher einem blutigen, länglichen Klumpen glich. Dessenungeachtet ergriff der Gallus mit seinen blutigen Händen die Bleitafeln, drückte sie gegen den Knochen und wand das Metall so lange um ihn, bis es einer silbrigen Buchrolle glich, die an einen degoutierlichen, beinernen den hölzernen Stab war affixiert worden.
    "Wenn Aurelia Prisca, Tochter des Iustus, binnen 100 Tagen stirbt, so geloben wir dir einen weiteren Hahn wie diesen. Vollziehe unser Bitten!"
    , finalisierte der Gallus endlich das Opfer, wandte sich nach rechts und reichte die blutige Fluchtafel dem jungen Flavius, der mit großen Augen jenes sinistre Ritual hatte verfolgt, bisweilen gefangen in einem Terror ob der markerschütternden Hahnenschreie, denn obschon er hiesig keineswegs zum ersten Male der Opferung von Federvieh hatte beigewohnt, so hatte die Finsternis des Raumes, die Düsternis seines Anliegens an die Götter und die gesamte Atmosphäre nicht wenig dazu beigetragen, jenes Krähen und Winden an die geknechteten Seelen des Orcus gemahnen zu lassen, zu denen er die Aurelia sich wünschte. Nun indessen löste er sich aus der Thanatose und ergriff mit spitzen Fingern similär zum Ergreifen eines Stückleins gebratenen Hühnchens auf einem Convivium seinen materialisierten Fluch, wog das blutbeschmierte Blei in seiner Hand, an deren Gelenk er das Brennen des Schnittes noch verspürte.
    "Hiermit hat es sein Bewenden?"
    , fragte er mit gewisser Insekurität, ob weitere düstere Riten waren zu vollziehen, doch der Gallus winkte ab.
    "Der Hahn muss verbrannt werden. Vollständig."

  • Kurz darauf entstieg weißer Rauch dem Altar auf dem Vorplatze gen Luna, während der junge Flavius, den Duft gebratenen Huhnes in der Nase, der selbstredend sich in den abscheulichen Gestank verbrannten Fleisches hatte gewandt, wie er der Culina der Villa Flavia Felix ob ihrer vortrefflichen Köche nimmermehr, an den Garküchen in den Gassen Roms indessen mit großer Regularität vernehmlich war, die Stufen des Palatin wieder hinabstieg, wobei sein Diener assistierte, da dieser ob der vollführten Tat nun endlich seiner Obliegenheiten gedachte und bisweilen durch gemurmelte Mahnungen diesem und jenem Fehltritt zuvorkam.
    "Wo sollte jene Defixio nun angebracht werden? In der Villa Aurelia? Oder besser in der Villa Flavia Felix?"
    , spintisierte der Jüngling verbal, das blutbenetzte Blei in der Hand wiegend und dabei die letzten Weisungen des Gallus rekapitulierend, welche empfohlen hatten die Defixio nicht im Heim der Großen Mutter, sondern in unmittelbarer Vicinität zum Ziel des Fluches zu platzieren, um dessen Effizienz zu erhöhen.
    "Wie soll die Tafel in die Villa Aurelia gelangen? Und was, wenn man sie entdeckt?"
    , wandte hingegen der Sklave legitimerweise ein, woraufhin Manius Minor jene Option rasch exkludierte und fortfuhr:
    "Die Götter mögen verhüten, dass die Aurelia in den nächsten einhundert Tagen in der Villa Flavia Einzug hält."
    Angestrengt legte er seine Stirn in Falten, ehe ein finaler Einzug ihm in den Sinn gelangte:
    "Und wie wäre es, sie an der Stadtmauer zu vergraben, womöglich unweit der Straße zur Porta Quirinalis, die sie zum Betreten Roms passieren muss?"
    "Schlafe besser noch eine Nacht darüber, Domine. Wir sollten uns eilen, nach Hause zu kommen. Man wird uns sicherlich vermissen! Und gib acht, die Stufe ist ein wenig kürzer!"
    Anbetrachts der Konzentration, die das Hinabeilen der Stufen erforderte, suspendierte der junge Flavius sein Nachsinnen und steckte das Blei rasch in seinen Gürtel, uneingedenk, dass das weitgehend aride Blut des Hahnes noch immer dem glatten Metall entfleuchte und womöglich seine Tunica würde besudeln. Da er seinem Diener bereits höchsten Mut hatte abgenötigt, jenes Ritual zu vollziehen, beschied er Patrokolos für den Rest der Nacht eine gewisse Relaxation, zumal das Blei nicht würde davoneilen. Roma war immerhin ebenso nicht an einem einzigen Tage errichtet worden.

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