Officium des Tresvir Capitalis

  • Langsam fand der Tag sein Ende, und die Nacht begann. In der Basilica Ulpia, da saß einer am Arbeitstisch. Hat eine grüne Toga an, sitzt dort ganz verloren, und die Archivswände schauen hinunter auf den armen Patrizier.
    Bloß jetzt nicht lyrisch werden, dachte Piso sich, als er im vergehenden Licht des Tages noch eine Schriftrolle zu entziffern trachtete. Sachen eintragen und archivieren war unlustig, und viel unlustiger als dies noch war es, das mutterseelenalleine zu tun.
    Alte Fälle stapelten sich vor ihm, der fest entschlossen war, sie zu katalogisieren. Es konnte ja sein, dass irgendjemand einmal kam mit ein paar wichtigen Informationen zu einem uralten, kalten, vergessenen Fall, sodass Piso den wieder aufrollen konnte. Wobei dies unwahrscheinlicher wurde, je weiter er sich durch den Dokumentenhaufen wühlte. Irgendwann sah er auf einem Dokument den Namen Nero stehen. Das letzte Regierungsjahr des letzten claudischen Kaisers. Ja, tatsächlich, hier war noch so ein uralter Fall einlagernd.
    Piso schüttelte den Kopf bei der Ansicht dieser uralten Klageschrift. Und doch brachte er es nicht fertig, sie einfach wegzuhauen. Schließlich konnte sie interessant sein zum Durchlesen... naja, nicht wirklich, revidierte er seine Gedanken, als er anfing. Es war ein Doppelmord an einem jungen Pärchen, beide erwürgt und splitternackt aufgehängt von einer Insula aufgefunden. Man verdächtigte den Vater der Braut, den man jedoch nicht mehr auffinden hatte können. Zeugen hatte man nur einen gefunden, eine alte Frau, die bezeugt hatte, dass der Vater in der Nacht vorher die Insula, in welcher sich die beiden ihr Liebesnest eingerichtet hatten, aufgesucht hatte.
    Piso seufzte und legte den Fall neben sich hin. Den würde er in ein Spezialfach legen. Anschließend wandte er sich einem nächsten Fall zu. Dieser war schon viel jünger, vom letzten Sommer. Ein Diebstahl in der Subura, wie außergewöhnlich.
    Eigentlich konnte diese Arbeitsladung einem in eine ziemlich betrübte Stimmung versetzen. Er stöhnte, und verfiel in tiefe Depressionen, bevor er sich an das nächste Dokument machte, dabei hie und da unterdrückte Laute des Jammerns zwischen seinen Zähnen hervorknirschend.

  • Die Akten auf Pisos Schreibtisch lichteten sich, ganz langsam. Es war der frühe Morgen, die Sonne schien, und der Flavier zupfte sich mit einer gezierten Bewegung ein Papyrus hervor. Er kam jedoch nicht dazu, es zu lesen, denn in diesem Moment klopfte es.
    Piso schnaubte aus, legte das Blatt beiseite und rief: „Herein!“
    Herein, sehr wohl. Ebendorthin trat ein kleines Männchen mit einem Stapel Pergamente.
    „Salve, Tresvir! Mein Name ist Gaius Curius Rufio. Und ich habe Beweisstücke.“
    „Salve, Curius...“, entgegnete Piso, ein wenig verdutzt. „Beweisstücke?“
    „Beweiiiiiiiiiiiiiiiiiiisstücke!“, meinte Curius wichtig und grinste dabei.
    Piso schaute verwirrt. „Worum geht es da? Beweisstücke wofür?“
    „Dafür, dass die Ulpier nicht Römer sind. Sondern in Wirklichkeit Entitäten von den Sternen, die sich in Menschen verwandelt haben, um jetzt über uns zu herrschen!“
    Pisos Mund klappte auf.
    „Ja, unglaublich! Ich muss dich bitten, Tresvir, lies diese Beweisstücke gründlich durch! Sie enthalten Informationen, die wichtig sind für das Überleben der Res Publica.“
    „Aha...“, brachte der Flavier hervor.
    „Geh dem auf die Spur!“ Er knallte die Pergamente auf Pisos Tisch und Piso, wie automatisch, zog ein Pergament hervor. Es war eine gesiegelte Urkunde, wo Traianus gegenüber Iulianus verkündete, bald wären die Römer bereit, unter Hyponose als Sklaven auf Raumschiffen zu arbeiten.
    „Ein Original?“, schaffte Piso. „Neinneinneinnein!“, protestierte Curius. „Abschriften! Ich gebe meine Originale doch nicht heraus.“
    Piso rang sich ein Lächeln ab. „Ja, sicher. Ich werde es mir anschauen... wie war dein Name noch einmal? Gaius Curius Rufio?“ Er schrieb ihn sich deutlich auf einer Tafel auf. Curius strahlte glücklich.
    “Dann gehe ich jetzt. Viel Spaß bei der Durchsicht!”
    „Danke... vale...“ Piso wartete, bis Rufio den Raum verlassen hatte, bevor er erschöpft zurücksackte. Später würde er den Namen den Vigiles mitteilen, sollten die sich doch um solche Verrückte kümmern!

  • “Na, Bridhe? Gefällt es dir?“
    Piso hatte, ganz Kavalier (vielleicht auch nur beseelt von Affigkeit), vor Bridhe die Türe aufgemacht und winkte sie herein. “Das hier ist mein Reich! Alles meins! Naja, zumindest, wenn ich hier Dienst habe.“ Der Flavier trat zum Arbeitstisch hin und klopfte drauf, mit einem gewissen Stolz. “Beste germanische Eiche, die Architekten haben sich hierbei um nichts lumpen lassen!“ Beschwingt hüpfte er zu seinem Stuhl hin und ließ sich hineinkrachen. “So! Und dein Platz, der ist...“ Er deutete auf einen kleinen Tisch neben seinem großen Arbeitstisch. “...hier. Nimm ruhig Platz! Ich habe sowieso etwas gleich für dich zu tun...“ Er langte zu einer Wachstafel hin, die am Tisch lag, und klappte sie auf.
    Der Flavier brummelte, nahm einen Griffel und ritzte ein paar Sachen ein, bevor er zustimmend grunzte.
    “So, meine Liebe! Leg deine Wachstafel weg, es geht ans Eingemachte. Ich werde dir was diktieren, und du musst es auf Pergament aufschreiben. Diktieren deshalb, weil du mien Gekrakel wohl nicht entziffern können wirst...“ Es sah schlimm aus, mit lauter seltsamen Hieroglyphen und Schmierereien. “Und dann musst du noch einmal zwei saubere Abschriften dafür machen. Eine ist für mich, eine für den Prätor, eine für den Prätorianerpräfekten.“
    Er blickte auf Bridhe und hoffte, dass soweit erstmal alles klar war.

  • Bridhe war ihm die ganze Zeit dicht gefolgt. Ihre Umgebung der Basilica Ulpia wirkte einschüchternd auf sie. Endlich öffnete Piso eine der Türen und trat ein.
    "Beeindruckend!", antwortete sie auf Pisos Frage. Die Augen der Hibernierin versuchten alles einzufangen, was sich vor ihr auftat. Der riesige Schreibtisch, an den sich Piso setzte, war kaum zu übersehen, füllte er doch einen großen Teil des officiums aus. Weniger opulent fiel Bridhes Arbeitsplatz aus. Ein kleiner Tisch, ein Tischchen. Doch das genügte Bridhe. Sie nahm daran Platz und richtete ihren Blick wieder zu dem Flavier, der damit begann ihr ihre Aufgaben zu erläutern. Sie warf einen kurzen Blick auf die Wachstafel, die er hinhielt und tatsächlich, es fiel ihr schwer seine Schrift zu entziffern. Drum war ein Diktat wohl das Beste. Wenn das mal gut ging! Keineswegs fürchtete sie sich, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Vielmehr war es die Orthographie, um die sie sich sorgte. "Ja, gut. Wie du wünschst. Äh, wo bitte finde ich das Pergament, Tinte und eine Schreibfeder?", fragte sie, um sich nicht zu viele unnütze Gedanken machen zu müssen.

  • Er nahm selbstzufrieden zur Kenntnis, dass sie beeindruckt zu sein schien. Ja, so ein Officium hatte nur ein Mann, der es zu etwas gebracht hat. Nochmal blickte er sich um, als könnte er noch weitere Schönheiten in seinem Officium erkennen, bevor er seinen Blick zu Bridhe wandte, da diese ihn angesprochen hatte. “Hö?“ Was hatte sie gesagt? Ah ja! “Ah, genau. Ähm, steht das nciht auf deinem Tisch? Nein?“ Tatsächlich, sie hatte noch keine Unterlagen. “Gut, dann nimm das hier.“ Er reichte ihr eine Feder, sowie ein kleines Tintenfass, welches auf seinem Tisch stand. Schlussendlich überreichte er der Hibernierin einen Stoß an Pergamenten, den sie sich vorne am Tisch hinstellen konnte. “Wenn du mehr brauchst, nimm ruhig welche von meinem Tisch.“ Er deutete in die Ecke, wo er seine Pergamente stapeln hatte.
    “Also gut. Bist du bereit? Dann wollen wir anfangen. Wirklich bereit? Gut.
    Inspektion der Prätorianerkerker, Maris DCCCLX A.U.C.
    Durchgeführt von Tresvir Capitalis A Flavius Piso; Führung durch Centurio L Quintilius Valerian.
    Die Kerkerführung erwies sich nicht zur Gänze als aufschlussreich, da sich zur Zeit offenbar keine Gefangenen bei den Prätorianern befinden, was sich im Sommer wohl aber anders verhält. Die leeren Zellen machten allerdings einen sauberen Eindruck, wiewohl er genug abschreckend ist, um den Verbrechern dieser Stadt ein Exempel zu bieten. Zudem schien die Bewachung gründlich und kompetent. Die durchschnittliche Zeit, die ein Gefangener in den Kerkern verbringt, liegt bei höchstens einen Monat, was sich im akzeptablen Zeitrahmen befindet.
    Was allerdings bemängelnswert ist, ist die Nahrungsversorgung. Als Anschauungsbeispiel wurde verdorbene Ware vorgezeigt, die jegliche Essbarkeit verloren hatte.
    Fazit: Ein ordentlich und straff geführter Kerker, der das erforderliche Maß an Hygiene erfüllt und dessen Bewachung beispielhaft ist. Verbesserungswürdig jedoch ist die Qualität des Essens, sowie die Auslese, welches als Musterbeispiel präsentiert wurde, repräsentativ ist.“

    Er räusperte sich und wartete noch ein wenig, um Bridhe Zeit zu lassen.
    “Das war es eigentlich schon. Kann ich einmal sehen?“ Er streckte fordernd die Hand aus. Mal sehen, was die Keltin so alles draufgekritzelt hatte.

  • Es war Flavius Pisos Büro, zu dem Seianas Weg sie führte, und das nicht ohne Grund. Sie wusste, dass Piso mit Caius befreundet war. Wäre das nicht der Fall gewesen, sie hätte es sich wohl noch einmal überlegt, wäre vermutlich zuerst zu ihrem Onkel Mattiacus gegangen, der Anwalt war. Aber Mattiacus hatte als Tribun derzeit viel zu tun, und so wütend Seiana auch war, sie wusste nicht, wie weit sie das hier treiben wollte. Und Piso konnte sie vielleicht besser beraten als Mattiacus, zumindest hoffte sie das – falls nicht, konnte sie ihren Onkel immer noch aufsuchen. Sie würde ihn ohnehin brauchen, wenn sie tatsächlich Anzeige erstattete. Aber es musste einfach ein Ende haben. Bevor Caius noch eine Aktion wie diese einfiel, musste sie irgendwie dafür sorgen, dass er aufhörte. Und wer wäre besser dafür geeignet, ihm ins Gewissen zu reden, als sein ältester Freund – der noch dazu Tresvir Capitalis war? Selbst, wenn der ihr sagen würde, dass eine Anzeige in einem solchen Fall keinen Sinn machen würde, keine Aussicht auf Erfolg haben würde… Er konnte Caius immerhin ins Gewissen reden. Immerhin das. Seiana klopfte an.

  • Hmm, das war jetzt eine echte Kopfnuss. Warum hatte Piso den Namen hier so undeutlich geschrieben, dass er ihn jetzt rekonstruieren musste? Damals, als die Denuntation eingegangen war, hatte er ihn noch sehr deutlich im Gedächtnis gehabt. Es musste ihn offensichtlich erschienen sein. Jetzt aber? Er wilden Handschrift wohnte ja gerne mal eine gewisse Ästhetik inne. Doch hie und da war dies auch inpraktikabel.
    Er seufzte ein wenig. Nur gut, dass er jetzt Bridhe an seiner Seite hatte, ohne Schreiberin wäre er verloren. Er murrte ein bisschen und beugte sich tiefer über das Pergament. Er knisterte ein wenig damit herum, aber damit wurde der Name auch nicht lesbarer.
    Das erste, das musste ein L sein. Also Lucius. Ganz sicher. Das zweite? Fufilius? Fulvius? Flavius (neinneinnein, ganz sicher nciht, dachte er sich). Es musste Fulvius sein. Wie sein Kollege Frugi. Ob die beiden verwandt waren? Eher nicht – ein verdächtigter Einbrecher und ein Septemvir hatten sicher nichts gemein außer dem Gentilnamen. Und das letzte? Er würde eine andere Zeit brauchen, um dies zu entschlüsseln, denn es klopfte.
    Piso legte seinen Papyrus hernieder, blickte auf, räusperte sich leise und rief dann laut: “Herein!“ Wie gut immerhin, dass angeklopft wurde, nicht reingestürmt, wie es öfter mal passierte.

  • Nachdem ein Herein ertönt war, öffnete Seiana die Tür und betrat das Officium. Die Wut war auf dem Weg hierher zu einem guten Stück abgeflaut, und zurück blieb ein Chaos aus den verschiedensten Gefühlen, die jedoch alle vornehmlich negativ waren – immer noch Wut, dazu verletzter Stolz, verletzte Gefühle, Enttäuschung, und inzwischen auch ein wenig Angst. Angst, wie das weiter gehen mochte. Denn wenn es so weiter ging wie gestern und heute, würde ihr nichts anderes übrig bleiben als sich wenigstens eine Zeitlang aus Rom zurückzuziehen. Lange genug, bis das Gerede abgeflaut war. „Salve, Flavius Piso.“ Sie bemühte sich um ein Lächeln, auch wenn ihr das nicht so wirklich gelang – noch viel weniger da ihr bewusst war, wie sie aussah. Sie hatte die letzten Tage herzlich wenig geschlafen und wenn dann nur schlecht, sie hatte zu viel Wein getrunken und war kaum aus dem Haus gekommen, und sie hatte – jedenfalls gefühlt – Tiefschlag nach Tiefschlag versetzt bekommen. Und genau so sah sie auch aus, trotz aller Bemühungen, das zu vertuschen und zu überschminken. „Entschuldige, dass ich ohne Vorankündigung oder Termin einfach so hereinplatze. Hast du einen Augenblick Zeit für mich?“

  • Piso würde, wenn man ihn nachher fragen würde, wen oder was er denn erwartet hatte, auch nicht recht darauf antworten können. Irgendeinen spionierenden Nachbarn, der eine Denunziation abgab? Vielleicht einen Viator, der einen Vagabunden aufgegriffen hatte? Nur eines war klar – er hatte sich nicht Seiana erwartet.
    “Seiana?“ Er sah keinen Grund, die, von der er noch immer glaubte, sie wäre die Verlobte seines besten Freundes, mit dem Gentilnomen anzusprechen. Seiana sah schrecklich aus. Verkatert. Übernächtigt. Miserabel geschminkt. Überhaupt ein wenig verschreckt, als wäre sie auf der Flucht vor irgendwas oder irgendwem. Was war geschehen, fragte sich Piso innerlich, als er sich mit ernsthafter Sorge die junge Frau anblickte, und nur mit Mühe dem Impuls widerstand, aufzuspringen.
    Die Antwort kam ihm blitzschnell durchs Hirn geschossen. Archi. Er hatte sich von ihr getrennt, wie er es schon angedeutet, angedroht hatte, und sich Axilla geschnappt. Er hatte es durchgezogen, und Seiana sitzen gelassen.
    Wohlweislich, ohne Piso etwas zu sagen.
    Der Flavier schluckte nervös und deutete auf einen Sitz, der vor seinem Tisch stand. “Sicher, sicher, immer!“, bemühte er sich zu betonen und nickte dabei.
    “Also. Was ist denn geschehen?“ Er runzelte die Stirn, als er die Frage stellte und dabei seinen Kopf leicht schief legte.

  • "Oh, äh danke!" Bridhe nahm die Schreibutensilien entgegen und legte sie vor sich. Je mehr das anstehende Diktat näherte, umso kribbeliger wurde ihr. Ob sie ihrer neuen Aufgabe gewachsen war?
    Sie atmete noch einmal tief durch, nachdem er sie gefragt hatte, ob sie bereit sei, dann nickte sie, nahm die Feder zur Hand und wartete auf Pisos Diktat
    Sanft und schwungvoll glitt die Schreibfeder über das Pergament. Kaum hörbar war das Kratzen, das die Schreibfeder normalerweise verursachte, wenn sie auf seine Schreibunterlage traf.
    Das Schreiben ging ihr viel leichter von der Hand, als sie gedacht hatte. Sie war richtig stolz auf sich. Nachdem sie den letzten Satz beendet hatte, sah sie erleichtert auf. Doch hätte sie nur gleich die Feder wieder beiseitegelegt! Ein Tropfen der Tinte löste sich, tropfte auf das Schriftstück und hinterließ einen ordentlichen Tintenklecks. Hilflos musste Bridhe mit ansehen, was mit ihrem Werk geschehen war. Ausgerechnet jetzt wollte Piso einen Blick drauf werfen.


    Inspektion der Prätorianerkerker, Maris DCCCLX A.U.C.


    Durchgeführt von Tresvir Capitalis A Flavius Piso; Führung durch Centurio L Quintilius Valerian.


    Die Kerkerführung erwies sich nicht zur Gänze als aufschlussreich, da sich zur Zeit offenbar keine Gefangenen bei den Prätorianern befinden, was sich im Sommer wohl aber anders verhält. Die leeren Zellen machten allerdings einen sauberen Eindruck, wiewohl er genug abschreckend ist, um den Verbrechern dieser Stadt ein Exempel zu bieten. Zudem schien die Bewachung gründlich und kompetent. Die durchschnittliche Zeit, die ein Gefangener in den Kerkern verbringt, liegt bei höchstens einen Monat, was sich im akzeptablen Zeitrahmen befindet.
    Was allerdings bemängelnswert ist, ist die Nahrungsversorgung. Als Anschauungsbeispiel wurde verdorbene Ware vorgezeigt, die jegliche Essbarkeit verloren hatte.
    Fazit: Ein ordentlich und straff geführter Kerker, der das erforderliche Maß an Hygiene erfüllt und dessen Bewachung beispielhaft ist. Verbesserungswürdig jedoch ist die Qualität des Essens, sowie die Auslese, welches als Musterbeispiel präsentiert wurde, repräsentativ ist.


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    "Äh, was geschieht denn mit denjenigen, die im Kerker sitzen? Ich meine, nach einem Monat?" fragte sie eifrig interessiert, nur um von ihrem Missgeschick abzulenken.

  • “Nichts zu danken!“, grinste Piso, der sich nun noch wohltätiger fühlte als eh schon. “Ohne dem wirst du scherlich schreiben können.“ Dann begann er auch schon das Diktat. Er hoffte jetzt einfach einmal, es ging Bridhe nicht zu schnell, aber sie schien mithalten zu können.
    Er wartete, bis sie fertig war, und forderte es dann ein. Doch genau in diesem Augenblick geschah ein Malheur, welches das grauenhafte Gespenst der Unästhetik in den Raum einziehen ließ. Piso hätte fast die Hände hochgeworfen und wäre entgeistert zurückgefahren, doch das hätte jetzt nicht gerade geholfen. Er beherrschte sich, nichtsdestotrotz ein leises “Gnüargh....“ zwischen seinen Lippen entweichen lassen.
    Der Flavier nahm das Pergament in seine Hände und blickte es kritisch an. “Hmm... Martis mit t. Und einem Monat.“ Dass ihm dabei selber ein Lapsus Linguae entfahren war, welcher die schuldlose Bridhe dazu veranlasst hatte, die Worte so zu schreiben, daran dachte er nicht. Er malte noch ein kleines t dazu, und einen Kringel beim n, was das Pergament perfekt machte – bis auf den Fleck. Einen Moment beäugte er ihn noch, dann seufzte er und kramte aus seinen Unterlagen einen Schaber aus Feuerstein hervor, ein archaisches Werkzeug, welches aber gute Dienste im Officium leistete.
    “So, das scheuerst du jetzt weg, bis man die Farbe nicht mehr siehst. Du musst einfach eine ganz dünne Schicht vom Pergament runterschaben, dann sieht man nichts mehr. Und dann musst du noch zwei Kopien davon machen.“ Er nickte einmal und schob ihr dann das Pergament mit dem kleinen, nun behobenen Fehler, wieder zu.


    Inspektion der Prätorianerkerker, Martis DCCCLX A.U.C.


    Durchgeführt von Tresvir Capitalis A Flavius Piso; Führung durch Centurio L Quintilius Valerian.


    Die Kerkerführung erwies sich nicht zur Gänze als aufschlussreich, da sich zur Zeit offenbar keine Gefangenen bei den Prätorianern befinden, was sich im Sommer wohl aber anders verhält. Die leeren Zellen machten allerdings einen sauberen Eindruck, wiewohl er genug abschreckend ist, um den Verbrechern dieser Stadt ein Exempel zu bieten. Zudem schien die Bewachung gründlich und kompetent. Die durchschnittliche Zeit, die ein Gefangener in den Kerkern verbringt, liegt bei höchstens einem Monat, was sich im akzeptablen Zeitrahmen befindet.
    Was allerdings bemängelnswert ist, ist die Nahrungsversorgung. Als Anschauungsbeispiel wurde verdorbene Ware vorgezeigt, die jegliche Essbarkeit verloren hatte.
    Fazit: Ein ordentlich und straff geführter Kerker, der das erforderliche Maß an Hygiene erfüllt und dessen Bewachung beispielhaft ist. Verbesserungswürdig jedoch ist die Qualität des Essens, sowie die Auslese, welches als Musterbeispiel präsentiert wurde, repräsentativ ist.


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    Ah, da war ja noch eine Frage! “Nun, nach diesem Monat ist dann meistens das Gerichtsverfahren, wobei sich dann herausstellt, ob der Angeklagte schuldig oder nicht schuldig ist. Wenn nicht schuldig, wird er heim geschickt. Wenn schuldig, dann wird er hingerichtet, oder darf in den Steinbrüchen Steine klopfen. Alles klar?“
    Als er mit seinen Erklärungen abgeschlossen hatte, wandte er sich wieder seinen Unterlagen zu, und begann zu pfeifen – viel zu laut, falsch und unmelodiös. Was er pfiff, konnte man beim besten Willen nicht erkennen.

  • Der Flavier schien überrascht zu sein, sie zu sehen, aber Seiana überging das, sondern betrat sein Officium und setzte sich ihm gegenüber, als er sie mit einem Wink dazu aufforderte. Sie konnte nicht so recht lesen in seinem Gesicht, aber irgendetwas ging in ihm vor, das zumindest war ersichtlich. Unwillkürlich fragte sie sich, ob er von der Iunia wusste. Immerhin war er Caius’ bester Freund… und er war dabei gewesen, bei dem Essen bei dem Pompeier. Aber es spielte im Grunde keine große Rolle, ob er davon wusste. Ob er wusste, was gelaufen war. Hätte Caius es sich nicht offenbar in den Sinn gesetzt, ihren Ruf zu ruinieren, es wäre ihr ohnehin am liebsten gewesen, wenn keiner, auch Piso nicht, davon erfuhr, wie lange das schon so gegangen war. Wie sehr Caius sie im Grunde vorgeführt hatte. Aber jetzt hatte sie keine andere Wahl, als den Flavier selbst darüber aufzuklären, wenn er es nicht schon wusste.


    Bei seinen Worten verzogen sich ihre Lippen zu einer zynischen, bitteren Mutation eines Lächelns. „Nun, ich… weiß nicht, wie gut du informiert bist.“ Sie atmete ein. „Die Verlobung ist gelöst. Das vorneweg, denn das spielt eine Rolle. Und Cai… Archias scheint es sich jetzt in den Kopf gesetzt zu haben, meinen Ruf zu ruinieren.“ Sie schilderte Piso mit knappen Worten, was geschehen war. „Vor dem Haus meiner Familie ist der Kerl rumstolziert und hat meinen Namen gebrüllt. Ist dir klar, was das bedeutet? Archias macht mich damit zum Gespött der Leute, und er stellt mich als eine Frau hin, die es nötig hat, mit derart billigen Mitteln ihren Ruf zu polieren. Und das werde ich nicht zulassen.“

  • Sie setzte sich, und er stellte seine Frage. Doch was war nun dies? Wie gut er informiert war? Gar nicht, aber ich kann mir einiges zusammenreimen, wäre eine ehrliche Antwort des Flaviers gewesen, doch er schluckte sie sich herunter und hörte sich genau an, was die Decima sagte. Die Bindung war also gelöst, und Archias war jetzt mit Axilla verbandelt. “Ach!“, entfuhr es ihm. Hatte er doch recht gehabt. Dass er es so weit treiben würde... aber tja, es war jetzt nun einmal so. Wenn Seiana sich fürchtete, jemanden die Geschichte zu erzählen, der es nicht eh schon kommen sehen hatte, täuschte sie sich. So begann er auf seiner Unterlippe herumzukauen und verständnisvoll zu nicken. Sie nannte ihn jetzt beim Cognomen. Nun, aus irgendeinem Grund nannten sich auch Piso und Archias beim Cognomen, vermutlich, weil es in ihren Kindheitsjahren ihnen lässig vorgekommen war und nun so hängen geblieben ist. Wenn einer den anderen mit dem Praenomen ansprach, wusste man, dass die Alarmglocken schrillten. Piso konnte sich keinen rechten Reim aus dem machen, was Seiana sagte, doch er hatte ja schon Erfahrung darinnen, zu hellsehen. Beziehungsweise, zu raten, was los war.
    Archi hatte also irgendwie Seianas Ehre beschmutzt? Auf eine sehr seltsame Weise aber. Piso, der ja auch Jurist war, dachte an die anzuwendenden Paragraphen im Gesetz. Keine Chance, dass sie damit durchkommt, dachte er sich.
    “Hmm. Ja...“ Was sollte er jetzt sagen? “Das ist... gar nicht gut.“ Ja, das traf die Essenz der Sache. “Kann ich dir behilflich sein?“ Oft war diese Frage nur als Floskel gestellt, doch Piso meinte sie ernst – es war schließlich sein Amt, dies zu tun. Würde sie jetzt die Tatenlage zu Protokoll hier nun geben, als Auftakt zu einem mordsmäßigen Gerichtsverfahren? Ihm wurde etwas bang bei dem Gedanken.

  • Es war ein normaler Arbeitstag. Möglicherweise ein eher durchschnittlicher. Im Officium der Tresviri Capitales saß ein flavischer Vigintivir und blickte auf ein Pergament, aus dem er nicht schlau wurde. Es ging um eine komplizierte juristische Verwicklung, die sich offenbar aus einem komplizierten Rechtsstreit um Diebstahl ergeben hatte. Doch auch bei zweimaligem Durchlesen hatte er die Sache noch nicht durchschaut. Er seufzte, ließ das Schriftstück sinken, und blickte um sich. Das Officium sah nun weniger bedrückend aus wie am Anfang seiner sich nun zu Ende neigenden Amtszeit.E s mochte so sein, weil er sich schon daran gewöhnt hatte. Es mochte so sein, weil er mittlerweile ein wenig Ordnung ins Archiv gebracht hatte, nicht zuletzt mit der Hilfe von Bridhe. Es war doch immer wieder ganz nett, eine eigene Scriba zu haben, die zudem noch so hübsch war, dachte er sich versonnen. Doch es war nicht so, dass er jetzt großartige Sachen sexueller Natur mit ihr treiben wollte. Nein. Viel eher ging es ihm darum, dass er jene unwiderstehlich süße Aurelierin wieder sehen könnte... sie in die Arme schließen konnte, sodass all die Sorgen der Welt sich in plüschige Wölkchen auflösten. Doch das kam nicht. Zuerst einmal klopfte es. Und obwohl es nicht all seine Sorgen vertrieb, sorgte dieses Klopfen dafür, dass zumindest eine große Sorge von Piso sich in Luft auflösen würde.
    Es schaute nämlich ein Mann herein, nachdem Piso herein gerufen hatte. Es war eher ein Männchen, klein und dürr, ein wahrer Denunziantentyp. Er fing zu sprechen an. “Salve, Vigintivir. Ich heiße Lucius Curius Rufus. Und mir ist etwas aufgefallen, was ich jetzt eigentlich nicht unerwähnt lassen wollte... nun ja... wie sollte ich sagen... es geht um eine Schriftrolle. Ich habe sie gefunden in jenem Hinterhof, wo ich lebe, direkt unterhalb von einem Fenster zu einem Lagerraum, im Transtiberim. Ich weiß jetzt nicht genau, was dort abging... aber vielleicht war es aus dem Fenster gefallen? Wie dem auch sei, ich habe es mir angeschaut. Die Schriftrolle hieß „Utopische Ulpianien“, und so etwas empörendes habe ich noch selten gelesen! Dort drinnen steht, dass der Kaiser in Misenum an die 65 Prozent seiner Zeit damit verbringt, sich ausgiebig an den Sackhaaren – ich zitiere nur! – zu kratzen, dass er sich am Morgen am Hintern berührt und dann seine Finger beschnüffelt, weil er den Geruch erotisierend findet! Zudem werden seine Künste im Bett als mäßig bis adäquat beschrieben... das geht doch nicht!“
    Piso war unterdessen, aufmerksam zuhörend, auf seinem Stuhl gesessen und hatte zu Curius hingestarrt. “Ja... das ist ein Buch, welches wir verbrennen wollten. Du denkst, dass... “Ja... schaut mir nach einem Lager aus. Man hat uns immer gesagt, es ist leer... aber dort drinnen befindet sich etwas. Zwielichtige Gestalten gehen ein und aus, viele mit voll gefüllten Säcken. Und ebenso einer zwielichtigen Gestalt gehört das Lagerhaus. Sextus Graecophilaeus heißt er, ein Illyrer.“ Piso schluckte, als ihm dämmerte, was es bedeuten könnte, wenn die Informtionen stimmten. “Ich wollte es schon immer Anzeigen, aber erst jetzt habe ich diese Schriftrolle gefunden und...“ “Wenn das stimmt, Curius, wirst du fürstlich belohnt“, gab Piso tonlos von sich. “Oh! Wirklich? “Ja. Wo ist das gewesen?“Curius ließ sich auf dem Stuhl nieder und beschrieb dem Vigintivir genau, wo er lebte, und wo das Lagerhaus war. Piso nickte dazu, und schrieb sich etwas auf. “Wir werden der Sache nachgehen. Vielen herzlichen Dank, Bürger.“ “Immer wieder... gerne... vale!“
    “Vale...“, murmelte Piso erst, als Rufus gegangen war, grübelte eine Sekunde, und stand dann zackig auf. Er musste etwas mit einem der Viatores bereden.

  • Bridhes Ablenkungsmanöver hatte nicht gefruchtet. Piso hatte ihr Missgeschick bemerkt. Und nicht nur das, ebenso war er bei der Fehlersuche fündig geworden, was der Hibernierin natürlich sehr peinlich war. Doch selbst für den hässlichen Tintenfleck fand sich eine Lösung.
    Piso kramte eine Art Schaber hervor, mit dem sich eine feine Schicht des Pergaments abtragen ließ. Bridhe machte sich sogleich daran, schließlich sollte sie ja noch zwei weitere Kopien des Schreibens anfertigen.
    Als der Fleck verschwunden war, nahm sie sich ein weiteres Pergamentstück, allerdings begann sie nicht gleich damit, eine Kopie zu erstellen. Pisos Antwort ließ sie einfach nicht in Ruhe. "Ist das nicht schrecklich ungerecht?", fragte sie plötzlich. Piso mochte wahrscheinlich schon gar nicht mehr daran denken. Bridhe jedoch ließ das Schicksal derer, die unschuldig in Schwierigkeiten geraten waren, nicht kalt. "Ich meine, wenn jemand wirklich unschuldig ist, muss er einen ganzen Monat in irgendeinem Loch sitzen und ist eingesperrt." Ihr fester Blick ruhte abwartend auf dem Flavier. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie furchtbar es war, wenn man eingesperrt war und in der Ungewissheit leben musste, was der nächste Tag bringen würde.

  • Seine innere Anspannung löste sich langsam, als er sah, wie Bridhe den Tintenfleck wegkratzte. Innerlich atmete er auf, als er weg war und es Bridhe auch geschafft hatte, nicht ein Riesenloch ins Pergament zu fabrizieren. Hatte er sie doch nicht umsonst als Scriba angestellt. Er war ziemlich froh, als die Sache endlich vorbei war, doch nur, bis er von seinem Pfeifen durch Bridhe unterbrochen wurde.
    “Huch? Äh...“ Er musste sich erst wieder sammeln, nachdem man ihn aus solch durchgeistigten ästhetischen Sphären gerissen hatte. Er hörte sich ihre Fragen sorgfältig an. Es entstand ein ziemlicher Zwang in ihm, Bridhe das Wort abzuschneiden und ihre Frage unbeantwortet zu lassen. Aber seiner eigenen Scriba gegenüber musste man das jetzt nicht unbedingt amchen. Insbesondere, wenn es sich dabei um eine hübsche Frau handelte – und solchen konnte Piso nur schwerlich böse sein. Ausnahmen bestätigten die Regel.
    “Nun, es spricht eindeutig für dich, dass du dir solche Gedanken machst. Ich werde es dir auch erklären, zumindest versuchen. Zum ersten sind die Gerichte überlastet. Nicht jeder kann sofort drankommen. Wir haben keine endlos große Zahl von Praetoren, die sich damit befassen können. Es gibt einen Verhandlungsstau. Das bedeutet, die Gerichtstermine stauen sich an, es kann nicht alles gleich erledigt werden. Zweitens, die Prätorianer müssen Beweise finden. Man kann unmöglich einen Prozess beginnen, ohne dass die Faktenlage geklärt ist, und es unmöglich ist, einen Wahrspruch zu verkünden. Drittens sind die Allermeisten schuldig – die Prätorianer machen gute Arbeit. Viertens, selbst die, die für unschuldig erklärt werden, sind der Abschaum der Gesellschaft, und dem muss nichts geschenkt werden. Wenn sie nicht für Kriminelle befunden werden vor Gericht, so schrammen sie immerhin an der Kriminalität an, oder sind tatsächlich Kriminelle, nur, dass man ihre Schuld nicht feststellen kann. Glaube mir, unser Rechtssystem ist das fairste der Welt. Wenn du das bezweifelst, musst du nur nach Parthien gehen, wo die Leute ohne Gerichtsverhandlung, einfach nur, weil es dem Schah gefällt, zu Tode geschleift werden. Oder nach Germanien, wo auf diesen lächerlichen Things Zehen und Hände und weiß der Kuckuck was abgehackt werden. Und denkst du, auf Hibernien, gibt es gerechtere Justiz als hier? Also, geh jetzt arbeiten.“
    Nachdem er seinen kleinen Monolog gehalten hatte, nickte er auffordernd. Sie sollte jetzt endlich beweisen, dass das Geld, das er in sie steckte, nicht aus dem Fenster geworfen war.

  • Seiana vermochte nicht genau zu sagen, wie Piso nun reagierte auf ihre Worte – aber sie brachten ihn in jedem Fall zum Nachdenken, so schien es. Und… überraschten sie ihn? Sie wusste es nicht. Im Grunde war das auch gleichgültig, irgendwie. Es machte Caius’ Entschluss für sie mehr und mehr zu einer Kurzschlussreaktion, über die er überhaupt nicht nachgedacht hatte, wenn noch nicht einmal Piso etwas davon wusste… aber es spielte keine Rolle, was sie betraf. Wichtiger war das, was Caius getan hatte, und was er noch vorhatte zu tun. Sie würde dem einen Riegel vorschieben, sie musste dem einen Riegel vorschieben. Sie würde sich nicht ihr Leben zerstören lassen, schon gar nicht, wo es doch nichts gab, was sie sich hatte zuschulden kommen lassen. Sie hatte nur alles richtig machen wollen, bei den Göttern! Warum war sie nun auf einmal in dieser Lage?


    Pisos Worte dann machten Seiana zunächst etwas sprachlos. Das ist gar nicht gut. Kann ich dir behilflich sein. Immer noch aufgewühlt von dem, was gerade passiert war, starrte sie ihn einen Augenblick lang nur an, bevor sie antwortete. „Du… Da muss doch etwas geben, was man dagegen unternehmen kann. Im Codex Iuridicialis gibt es doch Gesetze, die üble Nachrede unter Strafe stellen. Ich meine, ich musste diesem Händler noch einmal fast genauso viel an Sesterzen geben, damit er damit aufhört, weil C… Archias ihm die strikte Instruktion gegeben hat, vor dem Haus meiner Familie zu bleiben und dort herumzubrüllen!“ Es musste einfach etwas geben. Seiana war sich nicht so sicher, ob sie so weit gehen würde, Caius anzuzeigen, aber es musste wenigstens etwas geben, womit sie ihm drohen konnte, sonst hatte das Ganze doch keinen Sinn. „Du bist sein Freund. Sein bester Freund. Bring ihn dazu aufzuhören.“ Seiana kämpfte dagegen an, aber sie konnte nicht verhindern, dass sich so etwas wie Verzweiflung in ihre Stimme schlich. Sie fühlte sich so schlecht wie sie aussah. Die letzten Tage waren furchtbar gewesen, und nun kam noch die Angst dazu, Caius könnte sich tatsächlich in den Kopf gesetzt haben, ihren Ruf zu zerstören – und auf erschreckende Weise machte das sogar Sinn für Seiana. Ihr Ruf, ihre Ehre, waren schließlich das gewesen, was sie daran gehindert hatte Caius das zu geben, was er wollte. Unabhängig davon, dass er sich genau das nun woanders geholt hatte, war es doch nur logisch, dass er sich nun rächte, indem er versuchte ihr das zu nehmen, was ihr wichtig war. Und was Caius ihr an den Kopf geworfen hatte am vorigen Tag, untermauerte diese Überzeugung nur noch. Sie musste etwas unternehmen, damit er aufhörte, bevor er auch nur ansatzweise Erfolg haben konnte. Seiana biss die Zähne aufeinander, so fest, dass ihre Kiefermuskeln sich anspannten, bevor sie wieder etwas Druck wegnahm, um sprechen zu können. „Bitte. Red mit ihm. Ich will ihn nicht anzeigen, würde ich das wollen, wäre ich nicht bei dir, sondern bei meinem Onkel Mattiacus, der Jurist ist und mich vertreten kann – aber bei den Göttern, ich werde es tun, wenn es sein muss.“

  • Er gab es ja zu. Die Frage, die er ihr gestellt hatte, mochte nicht den allerhöchsten Ansprüchen an rhetorischer Genialität entsprechen. Aber zweckdienlich waren sie gewesen. Denn sie drückten aus, was war, und was er wissen wollte. Was konnte man mehr verlangen? Seiana starrte ihn alleridngs an, als ob er ihr was getan hätte. Endlich, endlich begann sie zu reden.
    Und begann auch gleich mit dem Codex Iuridicalis. Piso verzog seine Augenbrauen zu einem konzentrierten Gesichtsausdruck. “Ähm...“ Was sollte er nun sagen? Ausreden ließ sie ihn eh nicht. Sie wirkte verzweifelt, ehrlich verzweifelt, und Piso konnte es sogar verstehen. Ein besonders fürsorglicher Teil in ihm begann, Mitleid mit ihr zu haben. Wie schlimm musste es für eine einst stolze Frau sein, zum besten Freund des Mannes zu gehen und ihn anzubetteln, etwas gegen Archias‘ Aktionen zu tun?
    “Also, also... ganz ruhig. Wein?“, fragte er und deutete auf eine Weinkaraffe, die er am Nachbarstisch stehen hatte – ja, Magistrat musste man sein.
    “Also, was genau ist geschehen? Archias hat jemanden dazu angeheuert, sich vor deine Tür hinzustellen und verleumderisches Zeug zu brüllen?“ Er runzelte die Stirn. Das sah Archi nicht ähnlich. Er konnte es kaum glauben. Er würde auf jeden Fall mit ihm drüber reden, so viel war sicher.
    “Ich werde mit ihm reden. Keine Sorge, ich werde das tun. Aber bitte, sag mir trotzdem, was ich denn bekrtitteln soll. Was genau hat er getan?“
    Er zwang sich, Seiana in die Augen zu schauen und nicht sonstwohin. Selbst jetzt, wo sie Scheiße aussah, war sie noch immer unglaublich hübsch. Unglaublich, wie Archi sich die durch die Lappen gehen lassen konnte. Für Axilla. Um Seiana auf jeden Fall machte sich Piso keine Sorgen – es würde sicher jemanden geben, der ganz fix auf den fahrenden Zug aufspringen würde, was sie anging. Er selbst würde es ja tun, wenn nicht ein paar Sachen dazwischen stehen würden, die allesamt nicht mir ihr zu tun hatten, wohlgemerkt. Vielleicht würde es Seiana ja gut tun,w enn er das aussprechen würde? Halt, nein. Er konnte sich dies nicht anmaßen. Vielleicht würde sie das nur als billige Anmache sehen (hüsche Frauen taten das gerne einmal, das musste so ein Syndrom sein). Wenn er da an jene Frau dachte, die er schon anvisiert hatte... die war noch einmal einige Stufen darüber, was das Niveau anging.

  • Es blieb Bridhe nicht verborgen, was ihre Frage bei dem Flavier bewirkt hatte. Es war ihm sichtlich unangenehm, jedoch blieb er ihr eine Antwort nicht schuldig. Im Grunde waren seine Erklärungen einleuchtend, was den ersten Teil seiner Antwort betraf. Doch dann, so interpretierte es Bridhe, schweifte er ab. Seiner Meinung nach waren selbst die, die unschuldig waren in seinen Augen Abschaum und es ja dann nicht schlimm war, wenn man sie auf Wochen hinaus ihrer Freiheit beraubte. Die Hibernierin sah das allerdings etwas anders. Jeder der schon einmal unfrei gewesen war, würde dies anders sehen. Sie verzichtete aber darauf, ihm zu widersprechen. Es war schon genug, dass sie ihm diese eine Frage gestellt hatte und damit mehr oder weniger das System kritisiert hatte. Ob das römische Rechtssystem tatsächlich das fairste der Welt war, bezweifelte sie. Aber deswegen würde sie nicht ihre Sachen packen und nach Parthien oder Germanien gehen, so wie es Piso empfohlen hatte. Als er jedoch ihre Heimat erwähnte sah sie auf und hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, etwas zu sagen. Pisos Aufforderung, weiter zu arbeiten, hielt sie aber vorerst davon ab.
    Bridhe nahm sich ein zweites Pergamentblatt vor, um eine Abschrift des ersten Schriftstücks herzustellen. In ihr arbeitete es ebenfalls. Sie konnte und wollte Pisos Worte nicht so stehen lassen.
    Nachdem sie die Hälfte des Textes abgeschrieben hatte, hielt sie inne und richtete ihren Blick wieder auf den Flavier, der schon wieder diese alberne Melodie zu pfeifen versuchte, was sich in ihren Ohren mehr als grauenhaft anhörte. Alleine das hätte sie schon vom arbeiten abhalten müssen.
    "Bei uns werden die Verdächtigen nicht wochenlang in ein dreckiges, finsteres Loch gesperrt", gab sie trotzig von sich. Sie ging einfach davon aus, wie solche Dinge in ihrem Dorf geregelt wurden. Wie man anderenorts mit Kriminellen oder Verdächtigen umging, war ihr nicht bekannt, denn in all den Jahren war sie nicht besonders weit herumgekommen.

  • Seiana zögerte einen winzigen Moment, als Piso ihr Wein anbot – ein verhängnisvoller Teil in ihr drängte sie dazu, anzunehmen, ja zu sagen, aber dann schüttelte sie nur stumm den Kopf. Es reichte schon, dass sie derzeit abends zu viel trank. Sie musste nicht in der Öffentlichkeit damit anfangen, auch wenn es nur eine höfliche Geste war und sie nur daran nippte. Bei Pisos Nachfrage dann wurde ihr allerdings klar, dass ihre knappe Beschreibung zuvor nicht ausreichend gewesen war, um ihn begreifen zu lassen, was passiert war. Von welchem Ausmaß das Geschehen war. Allerdings musste sie etwas mehr ausholen, um alles zu erklären, und das hätte sie eigentlich gern vermieden. „Es… das Problem ist meine Taberna medica. Er hat sie mir geschenkt, kurz nachdem auch er aus Ägypten zurückgekehrt ist. Es war ein Verlobungsgeschenk.“ Müde lehnte Seiana sich etwas zurück und wünschte sich, doch den Wein angenommen zu haben. „Verlobungsgeschenke gibt man zurück, in welcher Form auch immer. Das ist nur rechtens. Er hat die Taberna nicht gebraucht, und da ich sie gerne behalten wollte, habe ich ihm angeboten, ihm den Wert zu erstatten, den sie gehabt hätte als er sie mir geschenkt hat.“ Sie musterte Piso, versuchte zu erkennen, wie er reagierte bei den kommenden Worten. Ob er Caius’ Standpunkt teilte, oder ob er ihren verstehen konnte. Dass Piso dabei Gedanken ganz anderer Art durch den Kopf gingen, bemerkte sie dabei überhaupt nicht. „Er wollte nicht. Er meinte, die Taberna war ein Geschenk. Aber Verlobungsgeschenke behält man nicht, das ist nicht in Ordnung. Ganz davon abgesehen, dass ich nichts von ihm geschenkt haben möchte. Ich will ihm nichts schuldig sein, schon gar nicht in der Größenordnung.“ Jetzt sah Seiana wieder weg, sah auf ihre Hände hinunter. „Heute war Katander bei mir und hat das Geld geholt. Und nur kurze Zeit später standen ein paar Kerle vor der Tür meiner Familie und haben Brot verschenkt. Während sie herumgebrüllt haben, es sei ein Geschenk von mir.“ Sie verstummte kurz, fuhr dann aber schnell fort, wiederholte, was sie zuvor schon gesagt hatte. „Er macht mich damit zum Gespött. Er stellt mich hin als eine Frau, die es… einfach nötig hat, sich mit einer derart… billigen Inszenierung in den Mittelpunkt zu rücken. Kannst du dir vorstellen, was die Leute über mich tratschen werden? Und er hat den Händler angewiesen, dort zu bleiben, vor dem Haus meiner Familie. Ich musste ihm Geld geben, eine Menge Geld, damit er in die Subura verschwindet und dort das Brot verteilt. Ohne meinen Namen dabei zu brüllen.“

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