Zaghaft hatten die Strahlen der Wintersonne sich über die Dächer Roms erhoben, suchten den kühlen Wintertag mit ihrem Schein zu benetzen und ihn in einen dem Anlass angemessenen güldenen Glanz zu hüllen. Gleichsam hätte der Tag ebenso gut von dunklen Regenwolken überzogen und in das stete Prasseln des himmlischen Nass getaucht sein können, die Menschen Roms hätte dies kaum nur gestört, denn es war der erste Tag der Saturnalia, jenes freudigen Festes, an welchem die Welt wurde karnevalisiert, die Menschen, selbst Sklaven von gleichem Recht und gleichem Stande waren. Standesabzeichen waren ob dessen verpönt an diesem Fest, darum trugen selbst Senatoren und Magistrate keine Togen, sondern nur Pallia oder Paenulae über ihren Tuniken, Patrizier verzichteten auf den güldenen Halbmond an ihren Schuhen und kein Sklave trug ein Schild oder Halsreif, welcher ihn als solchen würde ausweisen, und auch jene, welche die Brandmarkung ihrer Herren kennzeichnete, durften diese unter Hüten und Tüchern verbergen. Ein prächtiges Farbenspiel zeigte sich in den Straßen der Stadt und insbesondere auf dem Forum, denn nicht nur die Bürger Roms trugen ihre leuchtend bunten Gewänder, auch die Sklaven, welche sonst eher in unscheinbarer Couleur mussten verharren, trugen bunte Stoffe aus den Schränken ihrer Herren und Herrinnen. Zudem konnte man allerorten die pillei entdecken, jene Filzkappen, welche sonstig Freigelassene als Symbol ihrer Freiheit trugen, nicht nur aus Filz, in Form auch ebenso aus altem Pergament gefaltet. Bereits zu dieser Zeit herrschte ausgelassene Stimmung, die Menschen vergaßen für eine Weile nicht nur ihren Stand, sondern gleichsam ihre Sorgen, fieberten bereits den familiären Mählern im trauten Heim oder den um so ungezügelteren Festen und Gelagen in den Gasthäusern und Spelunken der Stadt entgegen.
Vor all dem losgelösten Feiern jedoch stand die Zeremonie, den Saturnus zu ehren, König des goldenen Zeitalters, welchem all das Treiben überhaupt nur zu Ehren war. Die Tore seines Tempels waren weit geöffnet, die große Statue des altehrwürdigen Gottes aus ihrem Inneren vor das Gebäude geschafft, in prächtige Gewänder gekleidet, mit einem grünfarbenen Kranz aus Lorbeer bekrönt und ihre Füße mit wollenen Binden umwunden, um jene Ketten zu symbolisieren, welche das Jahr hindurch ihn banden. Zu seiner Seite standen Ops, die Erdenmutter und Gemahlin des Saturnus, und Consus, Wächter über Getreide und Gehilfe des Götterpaares, ebenfalls beide in prächtige, bunte Gewänder gekleidet.
Obgleich die halbe Priesterschaft Roms jedes Jahr am Fest der Saturnalia mitwirkte, so fiel es stets einem einzigen Sacerods zu, die Zeremonie zu leiten. In diesem Jahre war dies Galeo Saufeius Massa, welcher auch das Jahr über hauptverantwortlich für das reibungslose Wirken im Tempel des Saturnus am Forum Romanum war. Als das Spiel der Tibicines einsetzte und kleine Wolken aus Weihrauch um die Statuen herum gen Himmel empor stiegen, rückte Saufeius sein pilleus auf dem Kopfe zurecht und erhob, als der Anschein von Ruhe eingekehrt war, seine Stimme, um die Menge mit der traditionellen Saturnalienansprache zu begrüßen.
"Willkommen zu den Saturnalia!
Der Kreis des Jahres teilt sich in vier Teile,
und in den Ländern unserer Heimat und unserer Provinzen
ist die dunkle Zeit von der Sommersonnenwende
zur Wintersonnenwende die Zeit zu pflügen
und den Boden zu bestellen und den Samen auszustreuen.
Wenn dies getan ist ruhen die Menschen aus
in der Winterzeit, bis zur Rückkehr der Sonne.
Drei alte Götter werden in dieser Zeit geehrt:
Saturnus, Ops und Consus sind ihre Namen.
Nun hört den Mythos von Saturnus' Herrschaft:
Bevor die mächtigen Götter, die die Erde
Von des Olympus schneebdeckten Gipfeln beherrschten, geboren wurden,
war Saturnus der König aller Götter
und Ops, seine Schwester, war seine Frau und Königin.
Aber als die Zeit kam und er seinen Thron abgeben sollte
an einen jungen Gott, seinen Sohn Iuppiter,
wollte Vater Saturnus nicht beiseite treten.
Ein Kampf entbrannte zwischen Alt und Jung,
bis Iuppiter siegte und Saturnus aus dem Himmel auf die Erde verbannte.
Saturnus stürzte auf die Erde, und mit seiner Frau
baute er ein Schiff und segelte hierher, in unser Land.
Er brachte den Menschen nützliche Künste,
er lehrte sie die Saat zu bewahren und in den Boden zu säen,
so dass wir nicht mehr mühsam nach Nahrung suchen mussten.
Er zeigte uns die Tiere zu jagen und zu braten,
so dass wir allezeit ihr Fleisch und Fell hatten,
er zeigte uns die Tiere zu zähmen und mit ihnen die fruchtbare Erde zu pflügen.
Saturnus lehrte die Menschen Münzen zu schlagen
von schimmerndem Silber, glänzendem Gold und Bronze.
Er lehrte uns das Geld zu bewahren und anzuwenden.
In diesen und anderen Dingen machte Saturnus
unsere Leben viel einfacher und frei.
Seine glückliche Herrschaft wurde das Goldene Zeitalter genannt,
als genug Nahrung war für jedermann
und die Menschen den Reichtum teilten, den sie besaßen,
und keiner jemals stahl oder kämpfte oder log.
Aber als das Ende der Herrschaft Saturnus' kam,
entschied er weise, seine Krone beiseite zu legen.
Er segelte mit dem Wind weit gen Norden,
nach Hyperborea, wo er jetzt schläft,
in einem versteckten Eiland am Ende der Welt,
wo er auf ein anderes Goldenes Zeitalter wartet.
Aber bis diese glückliche Zeit kommt,
in dieser, der kältesten Zeit des Jahres,
begeben wir uns in Gedanken in Saturnus' kaltes Reich
um zu erwecken den alten freundlichen König,
und ihn zu bitten, erneut mit uns zu gehen
und für diese kurze Zeit mit uns zu leben,
und mit uns zu feiern und zu Ehren das Goldene Zeitalter.
Ich wünsche Euch
Bona Saturnalia!"