Eine Hütte im Wald

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    Nach einem ewig andauernden Ritt waren sie am Ziel und auf der lang ersehnten Lichtung angekommen. Schweigend brachte er das Packtier neben sich zum Stehen und lauschte den Worten der alten Frau, um wie alle anderen ohne großes Wenn und Aber abzusteigen. Immer noch schweigend nickte er der alten Frau einfach zu weil sie ihm meinte, dass er einer der treusten Freunde der Familie von den Bediensteten wäre. Das Lob ging seinen Hals bildlich gesehen wie Honig runter. Leif, der Stallbursche, schluckte den süßen Brocken gerne hinunter und genoß das warme Gefühl im Magen. Von einem Fuß auf den anderen das eigene Gewicht verlagernd hörte er der alten Frau schweigend zu. Warum bat sie sie nicht sich zu setzen? Immerhin hatten der Großteil der Gruppe schwere Verletzungen. Nun, es war nicht sein Bier bequeme Stühle einzufordern.


    Mit verschränkten Armen lehnte er sich gegen sein Reittier und sah den aus der Hütte auftauchenden Mann mit großen Augen an. Noch ein Leif? Sohn des Leif? Äh.. moment Mal, wer war des jetzt? Etwa der Leif? Flavius Duccius Germanicus, Sohn Alriks stand gerade vor ihnen. Welche Überraschung! Ein Erbe Wolfriks! Der Kerl zeigte die aus verschiedenen Erzählungen bekannte Kette vor. Hm.. gegen so einen berühmten Namensvetter konnte und durfte er als Stallbursche besser nichts dagegen haben. Er tat was ihm vom Obersten gesagt wurde und damit Basta. Leif klopfte die Nacken der beiden bei ihm stehenden Pferde, die langsam ungeduldig wurden und sich bestimmt schon nach dem Gras auf der Lichtung sehnten. Er räusperte sich wahrnehmbar. "Äh.. ich will die freudige Vergrößerung der Sippe ungern unterbrechen aber meint ihr nicht wir sollten unsere treustesten Freunde zu ihrem Recht verhelfen? Ich versorge gerne alle Pferde während ihr euch frei unterhaltet."

  • Alrik stutzte. Hatte er das gerade wirklich gehört? Seine linke Augenbraue ging nach oben, und seine Gesichtszüge wichen offenem Zorn. Das war ja schon fast beleidigend, hatte er die letzten Jahre nicht in Krieg und Armut verbracht, um dafür zu sorgen dass Modorok in einem namenlosen Moor verrottete, nur damit ihm hier jetzt ein paar verwöhnte Römlinge sein Erbe absprachen.


    "Achte auf deine Worte, Lando, Sohn des Landulf, ich habe nicht Jahre damit verbracht die Schergen Modoroks zu bekämpfen, nur damit du mir jetzt vorhälst mich nicht bewiesen zu haben?", er wusste garnicht, was er darauf antworten sollte, so tolldreist kam ihm diese Unterstellung vor, "Mein Vater hat die Sippe geführt, und auch sie im Krieg gegen Modorok verteidigt, wie ich es an seiner Seite getan habe. Und jetzt wagst du es, mir mein Erbe streitig zu machen?"


    Alrik wusste garnicht wie ihm geschah. Andererseits, hatte er wirklich erwartet, dass es so einfach würde? Hallo hier bin ich, Sohn von eurem Rich, und will jetzt derselbe für euch sein? Achja, die letzten Jahre hab ich mit dem Schwert eure Feinde massakriert, und euch hier den Rücken freigehalten...


    "Das kann nicht dein Ernst sein!", grollte er mit giftigem Blick, dieser Cherusker, Sohn eines einfachen Bauern dazu, wollte ihm sagen, dass er sich zu beweisen hatte. Ihm!

  • Silko spürte sofort das Knistern zwischen den Männern. natürlich war er sofort an der Seites seines Herrn, so schnell er es eben mit seinem verwundeten Bein konnte. Er würde nicht zulassen, dass dieser Strauchdieb in seiner Wut seinen verletzten Herrn anging und ihn vielleicht sogar tötete.


    Der Nubier hatte seine Hand schon an einem Säbel und schaute Lando aufmerksam ein. Ein Zeichen von ihm und er würde Alrik zu dessen Göttern schicken.


    "Komm nur, dich schaff ich auch noch. Du nimmst mir meine Freiheit nicht" brummte er in der Sprache seiner Heimat, die hier sowieso niemand außer ihm sprach.

  • Da ging es wieder los. Runhild konnte nicht anders, als zu lachen.


    "Narren.", schalt sie die Streithähne, und riss die Konversation dadurch wieder unmissverständlich an sich, "Und die Menschen gehen kein Stück weiter. Wer bist du, Alrik, Leifs Sohn, dass du den Stämmen ihre Streitereien vorwirfst, und kaum dass du mit deiner Sippe vereint bist, eine solche beginnst, in schamlosester Weise? Ich bin...", sie stockte, als der Nubier sich neben Lando stellte und Kampfbereitschaft signalisierte, "Ruhig an, Südmensch. An diesem Ort stirbt niemand."


    Nicht, ohne dass sie es so wollte, was war klar.


    Sie nahm die Äußerung des jungen Leif zum Anlass, die Situation zu entzerren, und entließ an Landos Stelle, dessen Authorität an diesem Ort eh nur Makulatur war, den Pferdeknecht zur Pflege der Pferde, während sie der Gruppe anwies, sich zu setzen. Sie wies Alrik an, eine Feuerstelle zu bereiten, und ließ die Reisegruppe sich zumindest ansatzweise bequem einrichten.


    "Nun", begann sie das Gespräch wieder, als sich alle, mit immernoch erhitzten Gemütern, aber weniger affektiv, um das langsam knisternde Feuer gesellt hatten, "Lando hat Recht, du kennst die Welt der Römer nicht, und deine Taten in diesen Landen haben dir und deiner Familie zwar Ehre verschafft, aber es wird nicht interessieren, wenn du deiner Sippe das Fortbestehen im Reich sichern willst. Lando hat daher das vollkommene Recht, zu erwarten, dass du dich im Sinne deiner Sippe als würdig beweist, diese zu führen. Das Leben, das du anstrebst, wird in nichts mit dem zu vergleichen sein, was du hier erduldet und durchlitten hast."


    Eine Topf voll Suppe, die sie im Hütteninneren vorher schon aufgesetzt hatte, wurde über das Feuer gestellt, so dass sich jeder nehmen konnte, um den eigenen Hunger zu stillen, und die frostigen Gemüter zu erwärmen.


    "Und Lando, auch wenn du die deinen sicher durch die Gestade dieser Zeit führst, steht es dir nicht zu, Alrik sein Erbe zu verwehren. Die Zeiten haben sich geändert, die Römer provozierten dies. Was früher gleichgestellt, bekommt nun einen Führer, und wenn es nur der einer kleinen Familie wie die deine ist. Die anderen Stämme, sie sind noch mittendrin. Du kannst entscheiden, ob deine Familie sich in denselben Streitereien selbst aufreibt, oder ob sie sich geschlossen der Zukunft stellt. Selten ist der Wille der Nornen so vielfältig wie bei den deinen."


    Sie vermied das Wort 'unsere', auch wenn sie gerade einige Großneffen vor sich sitzen hatte. Sie hatte vor langer Zeit mit der Sippe ihres Vaters abgeschlossen, und das würde sich jetzt nicht ändern... das was sie hier tat, war den Rat eines kleinen Mädchens befolgen, mehr nicht. Hoffte sie zumindest.

  • Wo gerade noch ein Gefühl von Erleichterung war, war sofort wieder die Anspannung, als dieser Alrik unverhohlene Aggressivität zeigte, und sofort war Silko an seiner Seite, der etwas murmelte was Lando selbst nicht verstehen konnte, noch wollte.
    Lando fixierte den jungen Mann mit festem Blick, und versuchte dessen zu widerstehen, was garnicht mal so einfach war. Der Junge war Konfrontationen gewohnt, das war sicher.
    Schließlich nutzte die alte Seherin ihre Fähigkeit, Situationen an sich zu ziehen, um den Augenblick zu entschärfen, und sorgte gleichsam in den nächsten paar Minuten dafür, dass eine Lagerstatt vor der Hütte errichtet wurde, in der es sich die Gruppe dann bequem machte.


    Die Suppe, die ausgegeben wurde, war wie zu erwarten karg, Lando merkte wie sehr er von der Zutatenvielfalt auf dem Markt in Mogontiacum verwöhnt hatte, das in Wasser gekochte Gemüse mit ein paar Nüssen und Kräutern, sowie Spuren eines zerlegten Kaninchens war aber wohl für diese Gefielde garnicht mal so schlecht. Wie lange musste es her sein, dass jemand die Seherin um Rat konsultiert hatte, und ihr dabei einige Lebensmittel als Geschenk mitbrachte, die man sich hier nicht so einfach ersammeln und erfangen konnte?
    Es blieb Lando nicht viel, darüber nachzudenken, denn die Seherin nahm überraschenderweise für ihn Partei. Sollte er jetzt irgendwas dazu sagen, wäre er dazu nicht imstande gewesen, so perplex war er einen Moment. Diese Worte waren fast zu milde für das, was man sich von der alten Frau erzählte.


    Erleichtert atmete Lando auf, die Seherin würde Alrik seinen Status nicht als Oberhaupt der Familie nicht auf dem Silbertablett servieren. Nicht, dass Lando nicht froh darum gewesen wäre, aber es hätte ohne weiteres zu Zerwürfnissen führen können, und so wie der Kerl sich aufführte, zweifelte Lando keine zwei Sekunden daran, dass er kein Problem damit hatte fünfzig Männer in die Schlacht zu führen, aber gleich eine nicht unbedingt krisenfreie Familie durch die Wirren der römisch-germanischen Zwischenwelt? Nein, dafür würde er noch einiges lernen müssen, davon war Lando überzeugt. Außerdem war die Hierarchie in germanischen Gemeinschaft noch so frisch, dass man auf keinen Fall davon ausgehen konnte, dass man einfach nur durch seinen Status als Erbe einer Manneslinie eine komplette Sippe als Gefolgschaft beanspruchen konnte. Und das würde Alrik verstehen müssen, oder sich selbst schnell ins Aus manövrieren.


    Dass die Seherin nachher darauf pochte, dass Lando ihm den Status seines Vaters anerkennen müsse, nahm er nur allzu willig hin, er träumte schon jetzt von einer ruhigeren Zeit, in der er sich nurnoch um Papiere, und nichtmehr um irgendwelche politischen Querelen kümmern musste.


    "Sollte er sich tatsächlich im Leben jenseits des Landes unserer Väter als würdig erweisen, sehe ich keinen Grund ihm das Erbe seines Vaters zu verweigern.", meinte er daher lapidar, und machte damit vor allem klar, was der junge in Zukunft zu leisten hatte.


    Die nächsten Momente verbrachte er damit, die Schüsseln aus dem Gepäck zu holen, und dafür zu sorgen dass seine Leute etwas warmes in den Bauch bekamen.

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    Puh... die Stimmung begann gefährlich zu knistern. Lando legte sich mit Alrik an und Silko wollte ersterem beistehen. Leif klappte seinen Mund zu und hielt sich kurz entschlossen da raus. Er würde sich um die ungeduldigen Pferde kümmern und am nächsten Tag, falls noch wer lebte oder notfalls ohne die Hitzköpfe den Weg zurückfinden. Rasch nickte er der alten Frau zu, fand nicht weit von der Hütte eine uralte Anbindestelle für Pferde samt Tränke. Na... immerhin war hier etwas vorhanden was er für seine Arbeit als Stallbursche brauchte. Das Abreiben und absatteln sowie füttern und tränken war rasch erledigt. Genauso rasch verfuhr er mit den übrigen Pferden und hängte die Sättel samt Zaumzeug neben dem jeweiligen Pferd auf die Stange und kontrollierte das Leder. Wieder einmal alles in Ordnung. brummte er zufrieden und steckte jedem Pferd die letzten Möhren zu. Jeder Sattel wurde mit einer Pferdedecke zugedeckt, damit der demnächst nahende Morgentau sich nicht drauf niederlassen konnte.


    Leif nahm sich eine volle Suppenschüssel, verzog sich abseits und dennoch in Rufweite zur sitzenden Gruppe, um die Pferdegruppe im Auge zu behalten. Neue Gegend, fremde Gerüche und eine angespannte Stimmung. Das Knistern in der Luft machte selbst Leif unruhig, er verzehrte die einfache Suppe und machte sich zum Schlafen bereit. Wenigstens einer von ihnen sollte einen klaren möglichst neutralen Kopf für die Rückreise zur Verfügung haben. Ein letzter prüfender Blick zur Gruppe, dann wickelte er sich in seine Schlafdecke ein und schlief ein.

  • Silko schob seine Schüssel zu Witjon hinüber. Sicher würde er nichts von dieser Hexe essen, was an diesem so seltsamen Ort zubereitet wurde. Er würde sich lieber später an einen Kanten hartes Brot halten, den er noch als Proviant hatte. Natürlich roch die Suppe verführerisch, aber das war ja klar, und dem gab er sicher nicht nach. Wenn sie vergiftet sein sollte, würde er noch da sein, um seine Begleiter zu retten.


    Am Liebsten hätte er sich zu Leif gesellt, aber er wollte an Landos Seite sein, vertrauter er doch weder der Alten, noch dem Strauchdieb. Also saß er einfach da, und schaute den anderen beim Essen zu. Sein Magen begann zu knurren, und der Nubier hätte am liebsten laut über ihn geschimpft, doch er hielt sich zurück. Es gehörte mit zu seinen Aufgaben nicht im Mittelpunkt zu stehen.


    So blieb er still und lauschte den Gesprächen.

  • Mit einem leisen Fluch auf den Lippen machte Alrik sich sofort kampfbereit, um zu verteidigen was seiner Meinung nach ihm gehörte. Dieser komische weiße Hüne, verletzt wie er war, wäre trotzdem noch eine harte Nuss gewesen, aber Alrik vertraute da voll und ganz auf seinen Willen zu überleben. Und zu kämpfen.
    Und doch war alles mit einer kurzen Handbewegung und einem Wort der alten Frau vorbei.


    Alrik entspannte sich erst dann wieder, als Lando den Mann zur Mäßigung befahl, und musste feststellen, dass der Gehorsam, den diese Leute ihrem Anführer entgegenbrachten, ihm wahrscheinlich vollkommen abgehen würde. Auch wenn der Zorn noch in ihm loderte, wahrscheinlich hatte er es sich wirklich zu einfach vorgestellt. Die Zeit der ersten Anführer der Stämme waren nicht einmal eine Menschenzeit her, und in manchen Stämmen waren die Machtkämpfe zwischen den Sippen so groß, dass andere Stämme, die in dieser Sache weiter waren, ein leichtes hatten, diese Stämme anzugreifen und zu übernehmen. Genau wie es mit den Amsivariern geschehen war.


    Er ließ sich mit den anderen nieder, nahm eine Schüssel von der Suppe entgegen, und ließ die Schelte der alten Seherin wortlos über sich ergehen. Ja, er wusste, dass das Leben im Reich nicht mit dem hier zu vergleichen war, und ja, er wusste auch, dass für seine Sippe mehr nötig war als die Bewährung im Kriege. Aber er hatte so lange gewartet. So oft hatte er neben seinem Vater in der Schlacht gestanden, so oft hatte er von den Leuten Wolfriks gehört, und warum es wichtig war, dass sie ihr Werk abseits der Sippe erfüllten. Und seine Mutter, wie sorgfältig hatte sie ihn das römische Wort gelehrt, die Sprache, die Kultur, die Erzählungen, alles was sie wusste? Sicherlich nicht, damit er den Rest seines Lebens damit verbrachte, sich zwischen die streitenden Stämme mit ihren ewig wiederkehrenden Machtansprüchen zu stellen, um letztendlich aufgerieben zu werden.
    Jetzt begriff er, dass das, was sein Vater und seine Mutter hier geleistet haben, nur das Vorwerk war, um ihn auf das vorzubereiten, was da kommen würde: ein Leben im römischen Reich.
    Sein Vater war es gewesen, der ihn von jung an darauf getrimmt hatte, und er war mit seinen Fragen, wann es denn so weit sein würde, immer wieder auf die gleiche Antwort gestoßen: wenn die Zeit reif wäre.
    Dass sein Vater damit Modoroks Tod meinte, war Alrik immer klar gewesen, aber, dass er damit auch seinen eigenen meinen würde hingegen nicht.


    Nun war Alrik zwar Waise, aber um kein Stück weiser, was seine Zukunft anging. Aber er verstand, dass der Grundstein für diese Zukunft gerade in den Händen des rothaarigen Cheruskers lag, und er keine andere Wahl hatte, als sich die nächste Zeit unterzuordnen, wenn er das erreichen wollte, was sein Vater ihm im vorletzten Atemzug (der letzte beinhaltete eine Ohrfeige) hatte schwören lassen.


    "Ich werde meine Sippe nicht enttäuschen. Ich habe es meinem Vater gegenüber geschworen, und den Schwur werde ich dir gegenüber gerne wiederholen.", dazu erhob er sich, und blickte abwechselnd allen Anwesenden in die Augen, "Ich werde alles tun, um das zu erreichen, was unserer Sippe und dem Imperium zum Wohle gereicht. Feinde bekämpfen, Freunde schützen, die Sitten und Traditionen bewahren. Das Schicksal unserer Gens möge sich zum Guten wenden, gottgefällig und standhaft bis zum Tage der Gotterdammerung. Dies möge ich erfüllen. Im Streben wie im Sterben.", wiederholte er somit dies, was er seinem Vater schon geschworen hatte, und meinte es aufrichtig ernst. Sein Geist war beseelt von dem Verlangen, seinen Schwur zu erfüllen, möge dort kommen was möge.

  • "Herzallerliebst.", äzte Runhild nach diesen Worten, die pathetischer wohl nicht sein konnten, und zum ersten Mal stellte sie sich die Frage, ob dieser junge Wicht wirklich der Mann war, den ihr die Götter angekündigt hatten. Vor allem, als er das Imperium erwähnte. Was sollte das? Hatten sich die Erben Wolfriks nicht schon genug an die Römer und ihr Reich angebiedert, musste das Imperium jetzt schon in einem Sippenschwur mit eingebaut werden?
    Sie zog verächtlich die Nase hoch, und spuckte geräuschvoll aus, nur um ihre Ablehnung des ganzen zu zeigen. Wie konnte man sich nur so beharrlich gegen den eigenen Untergang stemmen?
    Andererseits, wenn die Nornen, und damit die Götter, ihren Spaß daran hatten so makaber mit den Nachkommen ihres Vaters zu spielen, warum sollten sie es nicht?
    Sollten sie sich doch gegenseitig schwören was sie wollten, es würde nichts daran ändern: der alte Stamm war zerschlagen, die Sippe haarscharf am Untergang vorbeigeschrammt, und bei allen Belangen hatte irgendwie das römische Reich zu tun. Sie hielt es nach wie vor für DEN Fehler schlechthin, den ihr Vater, und dessen Vorgänger Boigar, begangen hatten, als sie im römischen Reich für die ihren um Asyl flehten.
    Erst als der Stamm zerschlagen wurde, die meisten Amsivarier tot, oder in Unfreiheit, und ihre Sippe in alle Winde verstreut, da hatten sich die Römer herabgelassen und einigen der Flüchtlinge Asyl gewährt. Bis zu dem Punkt, an dem die Strebsamkeit der Söhne Wolfriks sogar zum Bürgerrecht geführt hatte. Bürgerrecht!
    Runhild hatte Mühe, ihren Abscheu für diese Situation in Zaum zu halten, und wandte sich daher von dem beginnenden, friedlicheren Gespräch ab, erhob sich, trat an den jungen Blonden heran, der der kindischen Natur seiner Mutter zufolge den Namen Phelan bekommen hatte, und forderte ihn wenig herzlich dazu aufforderte, sich ein paar Schritte mit ihm abseits zu setzen.


    "Nun, junger Mann.", begann sie den zweiten Teil ihres Vorhabens, "Die Winde erzählen, du hättest dich den römischen Göttern verschrieben, ohne vorher bei einem Goden unserer Götter gelernt zu haben. Ist das so?"


    Sie wusste die Antwort natürlich schon, und wartete diese eben deshalb nur halbherzig ab, um dem jungen Mann danach einzutrichtern, was sie für richtig erachtete.
    Das, was sie dem Mann eintrichterte, der ihr trotz aller Abneigung gegen ihre eigene Sippe aufgeweckt und wissbegierig erschien, war kurzumrissen alles, was sie grundsätzlich ihren drei Schülern beigebracht hatte. Wie die Götter lebten, welches Wesen sie auszeichnete, und welche Geister und Mächte in der Natur schlummerten. Wie man die Fruchtbarkeit derselben erbat, oder die eigene, und wie man für spirituelle Stabilität in den Gedanken der Menschen sorgte, denn dies war ihrer Meinung nach das wichtigste Werk eines Goden: er führte die Menschen spirituell. Sie hielt nichts von der Vermischung von weltlicher wie religiöser Macht, und hatte daher oft genug darauf verzichtet erstere zu beanspruchen, obwohl sie es ohne Zweifel gekonnt hatte.
    Die geistige Stabilität, der Einklang mit dem Wort und Werk der Götter machten einen Menschen zu einem mächtigeren, als es der windigste Kämpfer je vermocht hätte.
    Sie erzählte dem Jungen noch, als die anderen schon lange eingeschlafen waren, erzählte ihm von Trollen, von Irrwichtern, und der Bannung böser Geister. Sie erzählte ihm von den Riten, die man bei einer Geburt vollbrachte, und jenen, wenn etwas gehörig schief lief. Aber vor allem erklärte sie ihm, WARUM die Dinge geschahen, wie sie geschahen. Warum die Götter sich entschlossen, einen Stamm untergehen zu lassen, und warum sie sich entschlossen, einen bestimmten Mann zur Größe wachsen zu lassen, während ein anderer im Sumpf verhungert. Sie erklärte ihm, warum es wichtig war, den Göttern ihre Namen zu erhalten, wie es ebenso wichtig war, sie nicht in Bilder zu schlagen, entgegen der römischen Art, warum es so wichtig war, ihre Gesichter und Körper unbeschrieben zu lassen, damit die Taten und Werke umso wichtiger galten, und die Menschen sich selbst ein Bild von den Mächten machen konnten, von denen sie begleitet wurden.


    Die Welt im ganzen, keine zehn Stunden erklärte sie ihm, ließ Wort über Wort auf den jungen Mann niedergehen, und sorgte immer wieder dafür, dass er nicht müde wurde, sondern hörte, was er hören musste, damit die Leute im Westen nicht den Glauben verloren an die Mächte, die ihre Väter vor dem Einfall der Römer angebetet hatten, aber gleichzeitig, wie viel die Religio der Römer doch mit ihrer eigenen gemein hatten, dass die Bilder der Römer nur zu fangen versuchten, was die Germanen absichtlich im ungefähren ließen, und das alles im Endeffekt eins war, nur anders erzählt... und letztendlich, wie er sich selbst erhalten könnte, durch den Glauben zu einem Mann zu wachsen, der den Göttern zur Ehre gereichen würde. Die Familie erwähnte sie mit keinem Wort, dass sie Alrik hier beherbergt hatte, um darauf zu warten, dass er von den seinen geholt wurde, war schon zuviel des Guten.


    Als sie endete, und ihm mit "Ehre die Götter, und dein Leben wird glücklich enden." eine abschließend noch sehr allgemeine Weisheit mit auf den Weg gab, wurde die Sonnenscheibe schon aufs neue geboren, und mit verschmitzten Augen sah die Frau, keinen Deut müde, den Mann an, den sie Phelan nannte, und wartete darauf, dass er begriff.

  • Endlose Stunden vergingen, während die geschundene Reisegruppe ihren Weg zur Seherin fortsetzte. Witjon war immer noch tief in Gedanken versunken und sprach nicht viel. Er fühlte sogleich eine tiefe Trauer wegen Aquilias Tod und zugleich machte er sich für Landos Verwundung und das nachfolgende Geplänkel verantwortlich. Hätte er einfach seine Wut in Zaum gehalten, wären sie wahrscheinlich glimpflicher aus der Situation herausgekommen. Immer wieder sah er den hasserfüllten Blick seines Gegners vor sich, nur um wenig später ein Bild von Aquilias geschundenem Körper in einer Schlucht vor Augen zu haben. Die Nornen waren grausame Geschöpfe, das stand für Witjon fest! Doch je mehr er über das Geschehene nachdachte, desto mehr gab er sich einer tiefen Resignation hin, die ihn stumm hinter Lando herreiten ließ, dem er mittlerweile bedingungslos folgen würde.


    Die Ankunft bei der sagenumwobenen Seherin machte Witjon sprachlos. Je näher sie der Hütte kamen, desto furchtsamer wurde er. Wie in einem Nachtmahr ritten sie aus dem düsteren Regenwetter hinein in den totenstillen Wald, nur um bald darauf die Lichtung zu betreten, die wie eine Insel des Lebens inmitten der Finsternis erschien. Witjons Herz war bereits von seiner Hose bis in die Stiefel gerutscht und der romanisierte Schreiberling erlitt beinahe einen Herzstillstand, als die alte Frau hinter der Gruppe auftauchte. Seine Stimme sowie sein Atem versagten ihm für einige Momente, während er mit schreckgeweiteten Augen die Seherin anstarrte.


    Danach ging erst einmal alles ganz schnell. Die Alte diktiere sie von den Pferden und untersuchte sie, um ihnen dann eine fürchterlich brennende Tinktur auf die Wunden zu schmieren. Ihre Worte ließen erst Zorn, dann Scham in dem jungen Ubier aufkeimen. Doch die Furcht vor der Seherin schnürte ihm die Kehle zu, sodass er ihre Behandlung hinnahm und sich dann so gefasst wie möglich zu den anderen flüchtete. Sie setzten sich im Kreis zusammen und lauschten dann zunächst einmal Runhilds Erzählungen. An Lando angelehnt stellte Witjon sich die Ereignisse vor dem geistigen Auge vor und malte sich aus wie es damals gewesen sein mochte und verglich die Erzählungen mit seinem Leben im Imperium und den dortigen Umständen. Unglaublich, dass sein Stamm ursprünglich diese rauhen Gefilde jenseits des Rhenus seine Heimat hatte nennen können.


    Und als die Alte geendet hatte trat Alrik aus der Hütte. Witjon war von seiner Erscheinung und seinem Auftreten völlig überrascht. Dieser hagere, vom Leben im freien Germanien gezeichnete Mann - der wohl nicht viel älter als Witjon selbst sein konnte - sprach nahezu perfektes Latein und schien ein hohes Maß an Wissen über das Leben westlich des Rhenus zu besitzen. Doch noch viel mehr erstaunte Witjon, dass dieser Alrik der Sohn eines seiner Ahnen sein sollte, nämlich der des Duccius Germanicus, und daher die Rolle des Sippenführers übernehmen wollte. Überhaupt schien das hier ein Familientreffen zu sein, denn bis auf Silko und Leif schienen sie alle miteinander verwandt zu sein. Lando war der Neffe dieser Seherin, Alrik der Sohn des Leif und über Phelan und Witjon selbst brauchten sie ja erst gar nicht zu reden.


    Wie zu erwarten war kam es praktisch sofort zum Konflikt zwischen Lando, den die Duccier bisher als ihren Anführer akzeptiert hatten, und Alrik, der nun die Verhältnisse verrückte und sich als neuer Sippenführer aufdrängen wollte. Witjon runzelte die Stirn und machte sich auf eine Konfrontation gefasst, Silko stellte sich schützend an Landos Seite, doch dabei blieb es auch. Die Seherin befahl Ruhe und holte Suppe her, was Witjon mit einem erleichterten Seufzen quittierte. Auch wenn er weitaus vielfältigere Gerichte gewöhnt war, so nahm er in diesem Fall alles Essbare was greifbar war, so groß war sein Hunger. Während er erst seine eigene Suppe und dann Silkos verschmähte Schüssel gierig löffelte, nahmen Lando und Alrik den Faden wieder auf. Das ganze mündete im Schwur des jungen Mannes, den Witjon mit skeptischer und zugleich anerkennender Miene zur Kenntnis nahm. Runhild Phelan mit sich zur Seite, was Witjon aber nur nebenbei mitbekam, denn zum ersten Mal seit Stunden öffnete er wieder den Mund und trug etwas bei.


    "Dein Schwur ehrt dich, Alrik. Und er zeugt auch von deinem Willen, dich neuen Umständen anzupassen." Er warf der Godin einen kurzen, höhnischen Blick zu, wandte sich dann aus Furcht jedoch schnell wieder ab und sah Alrik an. "Doch die Gens hat viele Feinde im Imperium und es ist auch nicht sonderlich leicht, Traditionen und Bräuche in einem romanisierten Umfeld zu bewahren. Selbst westlich des Rhenus gibt es Streit unter den Stämmen, weil die einen römerfreundlicher sind, als die anderen oder sich mehr auf die Art der Römer einlassen. Ich bete, dass deine Worte wahr werden und sich unsere Sippe behaupten kann, denn viele der unseren sind bereits am Leben im römischen Reich gescheitert. Mach dich auf etwas gefasst." Er warf Lando einen vielsagenden Blick zu, denn dieser wusste wie hart es war, sich eine neue Existenz im Imperium aufzubauen. Anders als Witjon, der seit seiner Geburt linksrheinisch und unter römischem Einfluss aufgewachsen war.

  • Bei den Göttern, was ein Pathos!


    "Und die deinen werden es dir nicht vergessen.", nahm Lando den Schwur ab, und winkte daraufhin mit einer lässigen Handbewegung, damit der Mann sich setzte, "Junge, du redest schon wie ein Römer. Viel fehlt da nichtmehr."


    Argwöhnisch beobachtete er, wie die alte Seherin Phelan zur Seite nahm, und sich mit ihm über gewisse Dinge zu unterhalten begann, und zwar so leise, dass es Lando unmöglich war, das Gespräch auch nur ansatzweise mitverfolgen zu können. Als es klar wurde, dass er da sowieso nichts machen konnte, wandte er sich dem Feuer zu, warf einen neuen Scheit drauf und zog den Bärenpelz enger um die Schulter, fischte ein Stück Olivenholz aus einer Tasche, die neben ihm lag (irgendwann hatte er begonnen stets einen kleinen Vorat des bitteren Holzes mit sich zu führen), und begann die Anmerkungen von Witjon fortzuführen. Was für Unterschiede es im römischen Reich zu beachten gab, wie man sich Ruf und Ansehen erwarb, wie man sich Freunde, und vor allem Feinde schuf (etwas, über das Lando bestens bescheid wusste), und erklärte ihm, was die Sippe im Moment eigentlich tat.
    Sie konsolidierte sich, schuf sich Verhältnisse, in denen römische Sippen, und sogar germanische, die viel früher über die Grenze gekommen waren, oder noch länger mit den Römern lebten, schon seit Menschenleben wirkten, baute sich einen Wall an Sicherheit auf, damit so Katastrophen wie die Vernichtung ihres Stammes zumindest ihrer Selbst nichtmehr geschehen konnten.
    Und natürlich die Dankbarkeit für die Chancen, die sie bekam. Er erzählte von seinem Ritterschlag, von den Laufbahnen die vergangene Duccii unternommen hatten, und davon wie die jetzigen sich im Reich für das Reich um das Reich und dessen Kaiser verdient machten.
    Und welche Probleme immernoch ihrer harrten, die Zerstrittenheit der Römer untereinander, Landos Ekel vor der Beförderungspraxis für persönliche Günstlinge und davon, wie man überhaupt weiterkam. Was er tun könne, wenn er tatsächlich das Erbe seines Vaters beanspruchen wollte, und was er eben NICHT tun sollte, Negativbeispiele gab es in einer so großen Gens natürlich auch.


    Die ganzen Erzählungen vom Leben als Germane im römischen Reich, als römischer Bürger, dauerten so ihre Zeit, und auch Lando wurde irgendwann müde von den Strapazen der Reise. Bis er schließlichlich endete, ohne irgendwelche Ratschläge zu geben, der junge Mann würde schon früh genug merken wie der Hase läuft, dumm schien er ja nicht zu sein. Nur zu ehrgeizig und unbesonnen. Ein Wunder, dass der Mann die Scharmützel und Kämpfe, von denen er erzählt hatte, überhaupt überlebt hatte, denn normalerweise fielen die Unbesonnenen in diesen als erste. Entweder war man schnell tot, oder nachher ein Held. Hatte er tatsächlich zweiteres vor sich sitzen?


    "Da deine Eltern dich auch schon in römischer Kultur unterrichtet haben, gehe ich davon aus, dass sie dir auch schon einen römischen Namen gegeben haben. Dein Vater hat deine Rückkehr ins Reich, zu deiner Sippe, von langer Hand geplant... ich kann mir nicht vorstellen, dass er so etwas wichtiges wie den Namen vergessen hat."

  • Etwas verwundert war Phelan schon, das die alte Frau ihn alleine sprechen wollte und ihn bei Seite nahm. Was würde jetzt kommen?
    Vielleicht ein böser Zauber, weil er sich den gewagten Schritt an die römischen Götter gewagt hatte?


    "Da hast du Recht .. jedoch .. verschrieben hab ich mich ihnen nicht .. ich habe nur ihren Götterkult studiert, weil ich finde das .." er traute sich kaum das auszusprechen, vielleicht würde sie danach sofort eine Formel sprechen und er würde im besten Fall glitschige Schnecken auskotzen
    ".. es viele Parallelen zwischen unseren .. Göttern gibt .."


    Irgendwie .. auf eine seltsame Art und Weise wusste sie die Antwort schon .. gut sie war Seherin, da leg es schon relativ nahe. Sie fing an ihm über das Godentum und die höheren Mächte zu erzählen. Gespannt lauschte er ihren Worten, die voll von Lehren und Weisheiten waren.
    Die Zeit verstrich in Wirklichkeit rasend schnell, allerdings nicht für ihn, die Zeit verging für ihn so langsam, dass er nicht einmal müde wurde und er mit der alten Frau bis in die frühen Morgenstunden redete.


    Als die Sonne aufging beendete sie das lange Gespräch mit einer letzten Weisheit. "Das werde ich .. ich werde sie ehren und den Einklang zwischen den Göttern und meiner Familie wahren ..

  • "Vala.", meinte Alrik mit trockener Stimme, "Mein Vater nannte mich Titus Duccius Vala."


    Widerwillig, aber lernbereit hörte Alrik sich an, was Lando und Witjon ihm erzählten. Vieles davon wusste er schon, hatte sein Vater doch an einem wichtigen Kapitel dieser Geschichte teilgenommen. Und sich dann doch dafür entschieden, dass die Sicherheit der Sippe und nicht zuletzt auch der römischen Bürger in den germanischen Provinzen jenseits des Rhenus bewahrt wurde. Auch wenn er mit seinem Ansinnen gescheitert war, den Stämmen zu vermitteln, dass Modoroks Weg der falsche war, und Frieden nur durch Koexistenz mit den Römern möglich war. Wahrscheinlich war es zuviel verlangt, und Leif starb als gebrochener Mann, der am Ende seines Lebens noch miterleben musste, wie seine Träume durch die neue Intrigen und Machtkämpfe zwischen den kleinen und großen Stämmen zerstört wurde.
    Alrik hatte in dem Moment begriffen, dass bei den Stämmen nichts zu gewinnen war, und sie es im Endeffekt nur kurzen Momenten der Geschlossenheit zu verdanken hätten, dass sie nicht vollkommen von der brillanten Organisation des römischen Reichs überrollt worden waren. Eine Freiheit, die sie seiner Meinung nach nicht verdient hatten, sie sich aber immer wieder trotzig erkämpften. Oft war er deswegen mit der Seherin in den letzten Tagen aneinander geraten, auch wenn sie formell immer den Sieg davontrug, einfach weil Alrik bei allem Mut, den er aufbringen konnte, nie wagte bis zum Ende durchhalten konnte.


    Geändert hatte sich seine Meinung nur peripher. Die Streitlust und der Freiheitswille der germanischen Stämme waren zwar gut und schön, aber seine Faszination für das römische Prinzip überwog doch schwer. Auch wenn er noch den eigenen Göttern opferte, in der Sprache ihrer Ahnen paraphrasierte und auf ihre Art und Weise kämpfte, so war das, was er von seinen Eltern mitbekommen hatte, dass die beiden Welten nicht unvereinbar waren. Alles andere als das, und das mussten die Nachkommen von Wolfrik, die sich im Reich niedergelassen haben doch eigentlich wissen.
    Alrik war sich sicher, dass römische Reich war nicht umsonst das mächtigste der Welt, und die Freiheit der germanischen Stämme in ihrer Zerstrittenheit und Uneinigkeit absolut unverdient. Wahrscheinlich hatte sein Vater geahnt, wie er dachte, und ihn deshalb kurz vor seinem Tode auf seine Familie UND das Imperium schwören lassen.


    Diese Gedanken teilte er, bei aller Vorsicht, mit den Anwesenden Vettern, und ignorierte die Abwesenheit des jungen Priesters, dem Runhild wohl gerade noch irgendwelche verrückten Geschichten ins Ohr flüsterte.


    Nach mehreren Stunden des Diskutierens wurden sie müde, und Alrik konnte schließlich auch nichtmehr die Augen aufhalten. Mit einer kurzen Floskel vertröstete er die anderen auf den nächsten Tag, an dem hoffentlich sein neues Leben im römischen Reich beginnen würde, der Tag, an dem er beginnen würde seinen Schwur zu erfüllen, und machte sich auf zu seiner kargen Bettstatt in der kleinen Hütte der alten Frau. Kurz darauf war auch schon ein leises Schnarchen aus der Hütte zu hören, etwas, das er wohl auch von seinem Vater geerbt hatte. :D

  • Beinahe hätte Runhild gelacht, als der Junge seine Familie ins Spiel brachte. Die Sippe Wolfriks war doch eh nur ein Spielball der launischen Götter, gefangen zwischem ewig schwankender Hoffnung und Angst. Für Runhilds Verständnis von einem gottgefälligen Leben einfach nur lachhaft. Auch diese Faszination für das römische Reich, das den Stämmen schon so viel Leid gebracht hat, widerte sie nurnoch an, und sie war froh, wenn sie diesen Jungspund endlich los war. Vielleicht würde er es tatsächlich schaffen, und sein Erbe behaupten. Aber vielleicht würde er es auch nur dazu bringen, dass seine Familie endlich das Schicksal einging, was die Chatten vor Jahren begonnen hatten.


    Sie entließ den jungen Mann mit einem müden Nicken, und sorgte dann dafür, dass die Gemeinschaft, die schon lange schlief, wieder aufwachte, damit sie ihre Reise fortsetzen konnten, und sie endlich in Ruhe ließen.


    Sie kredenzte noch ein kurzes Frühstück aus trockenem Brot und etwas trockenem Gemüse, und wartete mit eisiger Miene darauf, dass sie wieder aufbrachen. Von ihrer Seite gab es nichtsmehr zu sagen, und das zeigte sie auch mit unverhohlener Offenheit.

  • Leif: [Blockierte Grafik: http://farm2.static.flickr.com/1093/804561443_03fb01d2a3_t.jpg]


    Er schlief im Gegensatz zu den anderen die Nacht durch und war entsprechend munter, als er die gestrige Reihenfolge nun rückwärts durchführte und die Sättel samt Zaumzeug abermals kontrollierte. Mit belustigter Miene beobachtete er die verschlafenen Gesichter seiner Reisegruppe und griff herzhaft beim Frühstück zu bis er satt war. Runhilds Blicke machten unmissverständlich klar was sie nun von ihnen erwartete. Leif wusch sein Eßgeschirr in der Pfderdetränke und sammelte sein Zeugs ein, um es schliesslich auf dem Rücken seines Reittieres zu verstauen. Die anderen konnten das Sachen packen wohl selber schaffen, da assistierte er nicht. Wenn was vergessen wurde, hmja.. dann musste eben einer oder gleich zwei Mann zurückreiten. Und was die Wunden aus dem gestrigen Kampf anging. dafür hatte sicher die Seherin selbst gesorgt. Leise pfeifend erwiderte er die kecke Melodie einer Meise und saß auf seinem Pferd auf. Dieses war schon ungeduldig darauf sich zu bewegen. Leif drehte zusammen mit dem Packtier ein paar Runden über die Lichtung im Galopp und winkte Abschied nehmend der Seherin zu. "Patria est ubicunque bene. Viribus unitis, vale! - Das Vaterland ist überall, wo es dir gut geht. Mit vereinten Kräften, lebe wohl." Gut.. er hatte verpasst was besprochen worden war. Es würde schon richtig sein, was er ihr gesagt hatte. Mit Schenkeldruck lenkte er sein Reittier auf den Ausgang der Lichtung zu und wartete am Rande auf die anderen.

  • Es wurde immer später und irgendwann legten sie sich im Kreis ums Feuer. Witjon verbrachte eine unruhige Nacht war als einer der ersten auf. Wortlos nahm er das karge Frühstück zu sich und half Leif dann beim Satteln der Pferde. Nach kurzer Morgentoilette - Witjon führte als hygienebewusster Mann selbstverständlich immer seinen Kulturbeutel samt Zahnbürste, einem Stück Seife, einer kleinen Schere und einigen anderen Utensilien mit sich - saßen sie auf und waren bereit zur Abreise, die die alte Frau ganz offensichtlich schon sehnsüchtig erwartete.

  • Lando konnte die Gedanken des jungen Vala durchaus verstehen. Er selbst hatte die ersten Jahre nach seiner Flucht ins Reich erst einmal die Schnauze gestrichen voll von den wirren Reibereien seines Stammes, die letztendlich zum Tod seiner Familie geführt haben. Doch je mehr er in Mogontiacum merkte, wie anders er war, desto sicherer wusste er, was er war. Und das war, seit heute, ein Duccius. Durch und durch. Keine Adoptionssache mehr, keine fehlende Blutsverbindung. Er war es einfach. Und das machte ihm das Leben um einiges einfacher...


    Irgendwann wurden sie alle müde, und nachdem Vala sich verabschiedet hatte, tauschte Lando mit Silko und Witjon noch ein paar ernste Worte, bevor sie sich selbst unter Fell und Wolle vergruben, um die Nacht am Feuer zu verbringen. Das nach kurzem Schlaf folgende Erwecken durch die Seherin war nicht herzlich, aber irgendwie hatte Lando sich mit der Ablehnung der Frau abgefunden, alles andere wäre ihm wahrscheinlich noch unheimlicher gewesen. Die seltsame Paste der Seherin hatte zumindest den Schmerz in seiner linken Seite abklingen lassen, nachzuschauen wie es mit der Wunde an sich aussah, wollte er jetzt so kurz vor ihrer Abreise nichtmehr. Das karge Frühstück vertilgte er schnell, denn so sehr die alte Frau wollte, dass sie wieder verschwanden, desto eher wollte er das selbst. Er warf sich einen Schlag kaltes Wasser ins Gesicht, lieh sich von Witjon das Stück Seife und schrubbte die Zähne mit einem Stück Weichholz (ja, Germanen waren wirklich reinlich) und kleidete sich warm für die Rückreise. Als sie allesamt aufgesessen hatten, der junge Vala bekam das Packtier, dessen Ladung jetzt auf die paar Männer aufgeteilt worden war, folgte eine recht frostige Verabschiedungszeremonie.


    "Lebe wohl, Seherin.", war das einzige und letzte Worte, was Lando an diesem Tag noch zur Seherin zu sagen hatte.

  • "Lebt wohl, Söhne Wolfriks.", ging Runhild über die Lippen, als die Gruppe ihre Lichtung verließ, und sie wunderte sich sofort darüber, warum bei Loki sie das gesagt hatte. Bisher war ihre Abneigung gegenüber ihre eigene Sippe makellos gewesen, aber in letzter Konsequenz doch zu sehr gewollt, wie sie feststellen musste. Sie begriff, dass sie die Kontrolle verloren hatte. Sie hatte tatsächlich nicht den geringsten Schimmer, was ihrer Sippe bevorstand, und das ging ihr nicht aus dem Kopf.


    Just in dem Moment, als das letzte Pferde die Lichtung verlassen hatte, verstummten die Vögel, der Wind verebbte, und kaum ein Ton war zu hören. Sie war da...




    "Du machst es dir auch selbst schwer, alte Frau.", erklang die glockenhelle, aber eiskalte Stimme des Mädchens hinter ihr, und Runhild erschrak ein ums andere Mal, als sie sich umwandte. Das Mädchen lächelte, bittersüß, höchstgefährlich.


    "Sie widersetzen sich dem Willen der Götter, in dem sie sich weigern unterzugehen.", beharrte Runhild auf ihrem Standpunkt, obwohl sie wusste, dass dies lächerlich war. Vor allem ihr gegenüber, und das wusste sie.


    "Man könnte meinen, du wüsstest besser was die Götter mit deiner Sippe vorhaben, als jene selbst.", der Schalk blitzte in den Augen des Mädchens, und Runhild fröstelte.


    "Aber... es wurde nicht zuende gebracht."


    "Was wurde nicht zuende gebracht?"


    "Das Ende!"


    "Es gibt kein Ende, das weißt du selbst... und jener Tag wird noch weit sein, an dem alles neu entsteht."


    "Und wenn es so ist", seufzte Runhild müde, und ließ sich ins Gras sinken, "Was geschieht dann mit ihnen?"


    "Sie gehen ihren Weg... auch wenn er verschlungen sein mag, sie gehen ihn. Viele straucheln, andere stehen standhaft. Das müsstest du doch am besten wissen... denkst du wirklich, die Götter geben sich mit weniger als ihrem vollen Willen zufrieden?"


    "Wodan hat es...", entsann sich Runhild einer alten Geschichte, die so alt war, dass selbst ihre Lehrer nichtmehr wussten wann diese entstanden war, "...er hatte sich geirrt."


    "Achja?", nun blitzten die Augen des Mädchens in Zorn, "Das ist das, was ihr Menschen daraus macht. Das hat nichts mit dem Willen der Götter zu tun, oder tatsächlich damit, dass sie irrten."


    "Nungut, aber wohin führt er sie jetzt? Ich meine... ist er wirklich derjenige, den ihr schicken wolltet?"


    "Den wir schicken wollten?", das Mädchen blickte auf einmal ehrlich interessiert, und verunsicherte die alte Frau damit nurnoch mehr.


    "Ja, den ihr schicken wolltet um die neue Zeitenwende einzuläuten.", Runhild kam sich bei dieser Frage enorm kindisch vor, aber das hatte sie halt die ganze Zeit gedacht, und dabei nicht begreifen wollen, warum gerade ihre Sippe diese Taten vollbringen sollte.


    "Alte Frau, jetzt, nach all deiner Zeit, enttäuschst du mich. Habe ich je mit einem Wort erwähnt, dass er derjenige sein würde?"


    "Ja... bei deinem vorletzten Besuch, du meintest, er würde kommen. Und beim nächsten Mal brachtest du ihn... du wolltest meinen Leuten Hoffnung schenken, meintest du!"


    "Richtig.", schwenkte das Mädchen in unkindlich belehrenden Ton, "Und wen meinte ich mit deinen Leuten?"


    "Aber... die STÄMME!!!", protestierte die alte Frau, die sich auf einmal sehr, sehr müde fühlte.


    "Frau, wenn du wirklich nicht begriffen hast, worum es ging, ist wirklich deine Zeit gekommen."


    "Wie meinst du das?", blickte Runhild das blonde Mädchen verwirrt an.


    "Mit deinen Leuten meinte ich nicht weniger als die Nachkommen deines Vaters. Den Menschen, der kommen wird um die Zeitenwende einzuläuten, den wirst du nichtmehr erleben."


    "Ah...", jetzt ging Runhild ein Licht auf, und bittere Enttäuschung machte sich in ihr breit, sollte sie wirklich nur als Instrument für ihre Familie missbraucht worden sein?


    "Nun schau nicht so drein... ich weiß was du denkst... du hast in deinem Leben genug getan, was nichts mit den deinen zu tun hatte. Wir waren der Meinung, bevor du gehst, solltest du noch etwas hinterlassen, dass in deiner Sippe fortbesteht."


    "Und deshalb schickt ihr mir diesen Jungen?", so wichtig konnte ihre Sippe nicht sein, dass SIE Einfluss auf ihre Geschicke nahmen.


    "Haben wir das? Ich entsinne mich an einen jungen Mann, der von seinem Vater hergeschickt wurde. Wenn man es genau nimmt, hatte ich nicht das geringste damit zu tun...", nun lachte das Mädchen, und dieses Lachen ließ Runhilds Hände noch kälter werden.


    "Du lügst... warum lügst du mich jetzt an?"


    "Weil ich es kann. Es ist besser für dich, nicht zu erfassen, was die Asen bewegt. Zumindest nicht, was dein eigen Fleisch und Blut angeht. Aber du kannst mir vertrauen... der Junge wäre selbst hergekommen. Auch ohne meine Hilfe...", das Mädchen ging einen Schritt auf die alte Frau zu, und streichelte ihr sanft über die Wange. Die Finger waren warm, ließen Runhild jedoch schaudern.


    "Jetzt... sag es mir... warum Alrik. Was habt ihr damit zu tun?"


    "Nichts. Nichts was nicht sowieso in Gang gekommen wäre. Manchmal begnügt man sich einfach damit, dem ohnehin kommenden einen einfachen Schubs zu geben. Außerdem haben wir uns schon lange nichtmehr um die deinen gekümmert.. es wurde Zeit. Ach, was rede ich... Zeit. Bist du bereit zu gehen?"


    "....", Runhild stockte. Sie würde gehen? Jetzt? Aber natürlich... jetzt verstand sie. Und auf einmal war sie froh, dass sie wenigstens ein paar Worte zum Abschied an die ihren gerichtet hatte, einfach, damit etwas blieb, "Ja, das bin ich."


    "Dann komm...", lachte das Mädchen, und nahm die alte Frau an die Hand.


    In diesem Moment erlosch der Geist von Runhild, Wolfriks Tochter, und mit ihm das Bild des Mädchens. Die Lichtung stand in trauter Einsamkeit dort, das Gras noch von einer dünnen Schickt Eis und Schnee bedeckt, die Hütte verlassen, einsam, tot. Inmitten der Lichtung, wenige Schritte vor dem Haus, lag der Körper einer alten Frau, mit halbgeschlossenen Augen, und einem seligen Lächeln auf den Lippen.

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