Wir zogen durch die endlose Einöde. Immer weiter, immer tiefer in das fremde Land hinein. Auf der einen Seite sah man immer mal wieder die Mäanderschlingen des Flusses, 'Parthias grosser Strom' mit seinen fruchtbaren Ufern, auf der anderen war nur Weite. Endlos, unbegrenzt, trocken erstreckte sich die Wüste, eine windgepeitschte Ebene bedeckt mit Stein, Fels und Geröll, hin und wieder einem verdorrten Gewächs... Bis zum Horizont schweift das Augen sucht nach einem Punkt an dem es sich festhalten kann, vergeblich. Für einen wie mich, aufgewachsen in Tarraco nahe der Berge, war das beunruhigend, schwindelerregend. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass dieses Land uns einfach aufsog. Es zog einem den Boden unter den Füssen weg, machte einen klein, machte einen bedeutungslos. Wir würden immer weiter marschieren, immer weiter, und in dieser Steinwüste einfach verschwinden, vergehen wie eine dieser Luftspiegelungen wenn man sie aus der Nähe betrachten will. Nur ein paar Schritt musste man sich vom Lager entfernen, schon war man wie losgelöst, stand inmitten der Leere, hatte eine Ahnung von der Unermesslichkeit.
Und dann das Licht! Die Sonnenuntergänge, die den Himmel in ein Meer von Feuer tauchten. Das blaue Licht am Morgen, wenn du die Zeltplane aufschlägst, das Leder knarren hörst, siehst wie jedes Steinchen einen langen Schatten wirft und die Kälte sich erst mal an dir festkrallt. Dann der goldene Schimmer wenn die Sonne höher wandert. Schnell überflutet sie alles mit ihrem Licht, es wird immer klarer, dann immer greller, hat zu Mittag eine schneidende Stärke, ein weisses Flirren darin, ein Strahlen das alles zu durchdringen scheint. Es war gar nicht mehr so heiss wie zu Beginn des Feldzuges. Aber das Licht, das Licht der Wüste... Wieder einmal wünschte ich mir, dies alles malen zu können, um es denen die in Rom geblieben waren zeigen zu können. Mit Worten kann man das nicht wiedergeben. Aber mit Malfarben wahrscheinlich genausowenig.
Die Wüste zog mich an. Ich stellte mir vor wie ich mich verlöre, in dieser archaischen Landschaft, wie ich verschwinden würde, in ihr aufgehen, nicht einsam sondern als ein Teil der Einsamkeit selbst... es war ein träumerisches Spiel von dem ich niemandem erzählte. Nachts träumte ich andere Sachen. Von dem Feuer am Chaboras, von den toten Kameraden. Auch von meinem eigenen Sterben träumte ich ein paar Mal, es war immer der selbe Panzerreiter der mich verfolgte, mich niederritt, mich mit der Lanze tötete. Ein wirklich mieser Traum. Ich versuchte nicht zu viel drüber nachzudenken.
Der Feldzug hatte uns alle verändert. Manchmal kam ich mir selbst fremd vor. Ich schmetterte beim Marschieren mit den anderen die Lieder, war durch meine neue Aufgabe sowieso ganz ausgelastet. Ich nahm das sehr erst, Tesserarius zu sein, und machte akribisch ausgetüftelte Wachpläne, an denen ich lange herumfeilte. Nur merkte ich schnell, dass ich es leider trotzdem niemals allen recht machen konnte.
Eines Abends, ich war für heute fertig mit der Arbeit, nahm ich wieder mal die Flöte zur Hand, die ich einem der Maultiertreiber abgeluchst hatte. Im Schneidersitz hockte ich mich neben unser Lagerfeuer. Es war die Dämmerstunde, ein mildes Zwielicht herrschte in den Lagergassen. Ich dachte an meine Familie, an zu Hause, und spielte leise eine kleine Hirtenweise. Musca hörte mir angetan zu, er flickte gerade gewissenhaft und in aller Ruhe sein Subarmalium, mit einer Ahle, einem Stück Leder und festem Zwirn.
Ich spielte so vor mich hin, Melodien aus meiner Heimat, und dachte dabei seit langer Zeit einmal wieder an Tarraco, früher, und auch an meine Schwester, meine liebe Seiana. Ob ich ihr vielleicht mal einen Brief schreiben sollte? Es einfach wagen? Aber was sollte ich ihr schon sagen, wahrscheinlich wollte sie nach allem was passiert war sowieso nichts mehr von mir wissen. Der Gedanke tat richtig weh. Früher waren wir meistens ein Herz und eine Seele gewesen, meine grosse Schwester und ich. Sie hat mich immer beschützt. Wenn ich allein dran denke wie sie die Fischerjungs verprügelt hat, als die mir meine neue Mütze geklaut hatten, damals, da war ich glaub ich sieben oder acht... Ich hatte sehr lange versucht jeden Gedanken an Seiana zu vermeiden, einfach auszublenden, weil es mir jedesmal so die Kehle zuschnürte, wenn ich daran dachte wie wir im übelsten Zank auseinander gegangen waren. Oder bessergesagt - wie ich einfach weggegangen war, abgehauen weil Mutter mir nicht erlauben wollte Poet zu werden. Tja, jetzt war ich doch Soldat, wie sie's immer gewollt hatte. Ob Mutter wohl stolz auf mich wäre, wenn sie noch leben würde und von unserem Bravourstück in Circesium erführe? Wahrscheinlich schon.
Ich merkte, dass ich inzwischen, ganz ohne es zu merken, von der Melodie her auf das Lied "Von den Küsten von Britannia" umgeschwenkt war, dass wir ja so ziemlich den ganzen Tag gesungen hatten. Und weils so schön war, sangen Musca und Dasius gleich mit, und dann stimmten auch noch ein paar andere ein.
"...und wir tragen stolz den Namen einer römischen Legion - einer römischen Legion!", erklang es vielstimmig zu meinem Flötenspiel, und dann noch die vielen anderen Strophen, eine patriotischer als die andere. Ich mochte das Lied.