Cubiculum - Iunia Axilla

  • Axilla lag die ganze Nacht einfach nur in ihrem Bett. Wirklich denken oder fühlen konnte sie nicht, auch schlafen konnte sie nicht. Sie fühlte sich wie eine leere Hülle, die nur da war und atmete. Ihr Herz pumpte zwar, aber es war kein Leben in ihr. Sie fühlte sich so unendlich tot, so leer und allein. In diesem Moment tat es ihr leid. Alles. Dass sie Timos so hatte gehen lassen tat ihr leid. Dass sie Silanus nach Rom so hatte gehen lassen tat ihr leid. Dass sie jetzt hier lag tat ihr leid. Aber auch, dass sie nicht die Kraft hatte, es ehrenvoll zu beenden und sich zu töten, tat ihr leid. Dass sie überhaupt sich mit Timos eingelassen hatte. Dass sie Silanus verführt hatte. Dass sie nicht stärker war.
    Axilla machte sich Vorwürfe. Sie hätte nach Vaters Tod stärker sein müssen. Sie hätte sich noch mehr um Mutter kümmern müssen, und auch auf Iason hören müssen. Ihr guter Lehrer, wie oft hatte er versucht, ihr dennoch alles beizubringen, wozu die kranke Mutter nicht mehr in der Lage war. Er hatte es wirklich gut gemacht, er hatte es wirklich versucht. Sie hätte nur auf ihn hören müssen. Aber sie hatte keinen Kopf gehabt für Philosophie und die schönen Dinge. Sie hatte sich so sehr um Mutter gekümmert, was ja auch richtig war. Aber sie hätte nicht versuchen sollen, das Haus allein zu verwalten, wie es Vater getan hatte. Vielleicht hätte sie einen Nachbarn um Hilfe bitten sollen, oder schon früher mit ihrer Familie Kontakt aufnehmen sollen. Und sie hätte nicht so oft weglaufen sollen in den nahen Wald. Wie oft war sie einfach dorthin gelaufen, gelaufen und immer weiter gelaufen, bis ihr Kopf ganz leer war und ihre Muskeln gebrannt hatten wie Feuer. Bis sie keine Luft mehr bekommen hatte und einfach auf den nächsten Baum geklettert war, ganz wie ein Eichhörnchen. Manchmal war sie einen ganzen Tag auf einem Baum gewesen, kurz nach Morgengrauen von zuhause losgelaufen, dann dort gesessen und erst mit dem Einbrechen der Dämmerung heimgekehrt. Und doch hatte es sich damals richtig angefühlt, weil sie auch damals schon diese Leere gefühlt hatte. Und durch das Laufen, durch das brennen der Muskeln, war es einfacher gewesen, es zu ertragen.
    Aber hier ging das nicht so einfach. Es gab hier keinen Wald in den sie gehen konnte, keinen Ort, an den sie sich zurückziehen konnte. Sie konnte sich nur in sich selbst zurückziehen. Und dann war sie allein. Allein mit ihren Gedanken, allein mit den Erinnerungen, allein mit der Schuld. Allein mit sich. Und im Moment konnte Axilla sich selbst nicht besonders gut leiden.


    Irgendwann ging die Sonne auf. Axilla merkte es eigentlich nur dadurch, dass es heller wurde an dem Fleck, auf den sie wie in Trance starrte. Ob sie geschlafen hatte oder nicht, wusste sie nicht. Sie fühlte sich krank und elend, unendlich schwach. Sie setzte sich auf, und ihr war schwindelig. Vielleicht war sie ja wirklich ein bisschen krank?
    Noch bevor eine Sklavin in das Zimmer kam, um sie zu wecken, hatte Axilla aufgeräumt. Das Schwert ihres Vaters war wieder behutsam in die scheide und dann in die Truhe gewandert. Ihr Kleid und den Umhang hatte sie zusammengefaltet in einer anderen Truhe verschwinden lassen. Sie selbst hatte sich eine ganz einfache Tunika angezogen.
    Die Sklavin musterte Axilla zwar ein wenig komisch und machte sich wohl auch sorgen, ob sie krank sei, aber Axilla winkte ab. Sie wollte nicht von einem Arzt angeschaut werden. Gegen die Leere in ihr gab es ohnehin kein Mittel, das wusste sie. Zu lange schon trug sie dieses Gefühl mit sich herum.
    Axilla wusste noch nicht, was sie machen wollte. Sie wusste noch nicht einmal, ob sie irgend etwas machen wollte. Sie folgte einfach der Sklavin hinunter, wo sie einen weiteren Tag als Geist verbringen würde, so tun würde, als sei sie fröhlich und als würde sie nichts bekümmern. Eines Tages würde sie sich auch selbst belügen können, wenn sie nur jeden Tag durchstand. Vielleicht.

  • Seit seiner Rückkehr aus Rom war ihm Axilla noch nicht über den Weg gelaufen. Das Verhältnis der beiden war vor seiner Abreise nicht besonders gut gewesen, doch ihm war klar, dass die beiden sich nicht ewig aus dem Weg gehen konnten. Als er an diesem Abend Heim kam, ließ er sich von einem der Haussklaven informieren, dass Axilla in ihrem Zimmer war und stapfte sofort und ohne vorher seine Rüstung abzulegen zu ihr. Zaghaft klopfte er an ihrer Zimmertüre.

  • Seit ihrer Trennung von Timos und vor allem dem Gespräch mit Ánthimos hatte sich Axilla hauptsächlich in ihrem Zimmer eingesperrt. Sie wollte nachdenken. Sie hatte so vieles falsch gemacht, eigentlich alles, was sie nur hatte falsch machen können. Bei Iuno hatte sie sich dafür schon entschuldigt, auch wenn Axilla nicht glaubte, dass das der Göttin auch nur im Mindesten etwas bedeutete. Aber der ganze andere Rest war weitaus schwieriger.
    Inzwischen war Axilla bei der Überzeugung angelangt, dass sie verflucht war und das alles damit ihre Schuld war. Ihre ganz alleine. Und damit galt es nun fertig zu werden. Daher hatte sie nicht das Bedürfnis nach Gesellschaft, einzig Leander duldete sie überhaupt um sich herum. Das aber auch eher, weil der ältere Sklave nicht lange fragte, sondern einfach auch immer zu ihr ins Zimmer geschneit kam und ihr mal was zu Essen brachte oder ein wenig aufräumte. Da kannte er seine Herrin schon gut genug, um zu wissen, dass sie ihm deswegen nie einen Vorwurf machen würde.


    Daher war Axilla auch sehr überrascht, als es so leise und zaghaft an ihre Türe klopfte. Sie saß gerade an ihrem Fenster und schaute von dort hinunter in den kleinen Garten, ohne wirklich etwas zu tun oder zu denken, als das Geräusch sie aus ihrer Starre riss. Sie überlegte, wer das wohl sein mochte und warum. Die meisten Sklaven gingen den Umweg über Leander, wenn es etwas auszurichten gab. Aber das Klopfen war eigentlich zu zaghaft für ihre Verwandten.
    Die Tür ist offen“, sagte sie halblaut, aber sicher laut genug für die Person hinter der Tür. Wirklich enthusiastisch neugierig war Axilla nicht, wer das wohl sein mochte. Aber es war seltsam genug, dass sie demjenigen zumindest die Chance lassen wollte, sich zu erklären.

  • Seine Caligulae klackten langsam über den Marmorboden, als Silanus das Zimmer seines Mündels betrat. Er trat ein und schloss die Türe hinter sich. Mit gemischten Gefühlen betrachtete er Axilla. Sie hatte sich während seiner Abwesenheit irgendwie verändert. Bildete er sich zumindest ein. Nicht äußerlich, aber ihre Ausstrahlung wirkte anders auf ihn. Sie wirkte irgendwie erwachsener, vielleicht auch etwas traurig. Er blieb gleich nach der Türe im Raum stehen.


    "Salve Axilla. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich wieder zurück aus Rom bin und fragen wie es dir geht."

  • Urgulania wäre ihr lieber gewesen. Axilla schaute zu Silanus herüber und brauchte ein paar Herzschläge länger, um sich zu fangen. Warum musste er immer die Rüstung anhaben, wenn er ihr Schlafzimmer betrat? Axillas Blick wanderte zu der Truhe, in der Rüstung und Schwert ihres Vaters lagen. Wie so oft spürte sie diesen kleinen Stich in ihrem Herzen, wenn ihr klar wurde, dass er nie wieder kommen und diese Rüstung tragen würde. Dass sie nie wieder ihm in die Arme fallen würde, während er das dumme Ding noch trug, wenn er nach Hause kam, weil sie es nicht erwarten konnte, ihn zu umarmen.
    Ich weiß. Leander hält mich auf dem Laufenden.“
    Viel verließ sie ihr Zimmer ja nicht mehr in letzter Zeit. Da bedurfte es schon so eines treuen Sklaven wie ihren Leander, der ihr immer wieder den neuesten tratsch aus der Stadt erzählte, um sie damit ein wenig aufzumuntern und aus ihren trüben Gedanken zu reißen.
    Axilla atmete einmal tief durch und seufzte, dann wandte sie sich Silanus zu. Sie konnte ihn nicht bis in alle Ewigkeit ignorieren. Und sie wusste, dass es besser war, dass es aufgehört hatte, bevor es wirklich begonnen hatte. Was immer sie beide auch genau gehabt hatten, denn auch darüber war sich Axilla nicht ganz sicher.
    Mir geht es gut. Ich muss nur über ein paar Dinge nachdenken.
    Der erste Teil war eine glatte Lüge, ihr ging es ganz und gar nicht gut, aber das wollte sie mit Silanus jetzt nicht erörtern. Das würde nur zu sehr unangenehmen Themen führen, zu denen Axilla keine Möglichkeit finden würde, auszuweichen oder einfach auf etwas anderes zu sprechen zu kommen, wie sie es sonst immer tat.
    Sie drehte sich wieder ein wenig und schaute ein wenig geistesabwesend nach unten aus dem Fenster. Sie mochte den Ausblick, den sie hatte, eigentlich sehr gerne.
    Und deine Reise nach Rom war erfolgreich?

  • Auch wenn Axilla meinte das es ihr gut ging, vermittelte sie doch einen anderen Eindruck auf Silanus. Er ging einen weiteren Schritt auf sie zu und lächelte sanftmütig, als sie ihn auf die Romreise ansprach und sich nach seinem Examen erkundigte.


    "Ja, das war sie durchaus. Ich habe das Examen an der Academia Militaris bestanden."


    Auch wenn es den Anschein machte, als wolle sich sein Mündel nicht wirklich mit ihm unterhalten, ließ Silanus sich nicht abschrecken, sondern ging zu Axillas Bett und nahm unaufgefordert Platz, da der einzige Sessel im Raum von ihr besetzt war, und das Bett ihr am nächsten war. Er wollte Axilla damit zeigen, dass er nicht vorhatte, sofort wieder zu gehen und sie in diesem trübsinnigen Zustand allein zurück zu lassen. Und er wollte vorallem versuchen wieder irgendwie zu ihr durchzudringen und an ihr gutes Verhältnis anzuknüpfen, dass sie bei ihrer Ankunft hatten. Vieles hatte sich in den letzten Monaten verändert. Vieles das Silanus nicht sehr froh stimmte und über das er sich während seiner Reise nach Rom sehr viele Gedanken machen konnte.


    "Und hier in Alexandria? Habe ich irgendetwas Erwähnenswertes verpasst?"

  • Glückwunsch.
    Allerdings klang Axillas Stimme nicht außerordentlich erfreut und ihr kleines Lächeln konnte ihre Augen nicht erreichen. Ihr wäre lieber gewesen, Silanus wäre gleich wieder gegangen, aber er machte es sich erst einmal auf ihrer Bettkante bequem. Es sah nicht danach aus, als wolle er gleich wieder gehen und würde sie einfach in Ruhe lassen. Und dabei hatte Axilla es sonst sehr erfolgreich die letzten Tage geschafft, in Ruhe gelassen zu werden.
    Sie nahm ihre Füße hoch mit auf den Sessel und umarmte leicht ihre Knie, während sie wieder aus dem Fenster schaute. Sie wollte nicht darüber nachdenken, warum Silanus nun hier war, und warum er ausgerechnet in seiner Rüstung hier herein gekommen war oder warum er sich aufs Bett gesetzt hatte. So hatte sie ihre kleine sichere Zone, ihren persönlichen Bereich, und so fiel es ihr leichter, mit ihm zu sprechen. Auch, wenn sie vorhatte, ihm tunlichst nicht die Wahrheit zu sagen. Für die hatte er wohl weder Verständnis – was Axilla nachvollziehen könnte – noch war er die richtige Ansprechperson.
    Hier? Nein, du hast glaub ich nicht viel verpasst. Wir hatten einmal Besuch von Marcus Archilleos. Du erinnerst dich, der Lehrer, von dem ich dir vor deiner Abreise kurz erzählt hatte? Ich glaube, Urgulania und er mögen sich recht gern. Er hat noch mal einen Brief geschrieben, ob ich diese Philosophie nun lernen möchte, aber ich hab ihm noch nicht geantwortet. Ich glaube irgendwie, das ich dafür nicht diszipliniert genug bin.
    Axilla zuckte leicht mit den Schultern. Nach dem Gespräch mit Ánthimos im Gymnasion – oder besser seinem Monolog und ihren Ausweichversuchen auf diverse Kommentare – war sie sich ziemlich sicher, dass das nichts für sie war. Keine Gefühle haben zu dürfen war ganz eindeutig zu weit von allem, was sie konnte, entfernt. Denn sie war nur Gefühl, und das in Reinform.

  • "Urgulania und ein griechischer Philosoph. Soso."


    Er machte eine kurze Gedankenpause. Also gab es ja doch Neuigkeiten! Auch wenn nicht immer alles von größter Wichtigkeit war, so konnte es dennoch ausgesprochen Informativ sein. Wie in diesem Fall, wo Silanus so nebenbei erfuhr, dass sich Urgulania mit einem Griechen traf. Er wusste, er konnte ihr nichts vorschreiben, aber dennoch hieß er es nicht für gut.


    "Nunja. Ich hoffe für Urgulania sie kommt rechtzeitig zur Besinnung. Es gibt kein gutes Bild ab, wenn sich eine römische Frau, noch dazu in ihrem Rang, mit einem griechischen Philosophen einlässt. Durch ihren Einsatz in der alexandrinischen Stadtverwaltung, hat sie sich unter den Römern leider nicht nur im positiven Sinn einen Namen gemacht. Aber wir werden sehen."


    Silanus sagte diese Bemerkungen mehr zu sich selbst als zu Axilla. Normalerweise hätte er solche Gedanken eher für sich behalten, doch Axilla war alt genug um zu lernen, dass es viele fast fanatisch traditionsbewusste Römer gab, die solche Verbindungen zwischen Römern und Peregrini nicht akzeptieren wollten. Oft hatte dies verheerende Folgen für alle Beteiligten. Als er merkte, dass er seine Gedanken auch ausgesprochen hatte, wechselte er wieder rasch das Thema.


    "Nun ich denke es wäre nicht das Schlechteste, wenn man dir eine Ausbildung zu Teil werden lässt. Ob das nun griechische Philosophie ist, oder in eine andere Richtung geht, dass möchte ich dir überlassen. Dennoch sitzt du hier in Alexandria an der Quelle des Wissens. Das solltest du zu nutzen wissen. Was hast du die letzten Wochen so getan?"

  • Oh, ich wollte nicht andeuten, dass die beiden… also… sie unterhalten sich nur gerne miteinander. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Urgulania irgendwas tun könnte, was nicht ehrenvoll ist.
    Ihre Cousine war die integerste und intelligenteste und überhaupt vorbildhafteste Person, die sie kannte. Axilla hatte gewaltigen Respekt vor ihrer Cousine, da diese in ihrem Leben alles so ziemlich alleine geschafft hatte. Sogar ein öffentliches Amt bekleidete sie, und das ohne nennenswerte Unterstützung von ihren männlichen Verwandten oder gar einem Ehemann. Sie war ja noch nicht einmal verheiratet, und hatte dennoch alles geschafft. Im Großen und Ganzen war Urgulania für Axilla der Inbegriff einer erfolgreichen Frau.


    Aber der Themenwechsel kam Axilla nicht so ganz gelegen. Ja, was hatte sie die letzten Wochen gemacht, außer einer wahnwitzigen Liebschaft mit einem Peregrinus, wie Silanus es so schön grade als unehrenhaft beschrieben hatte? Und einem Selbstmordversuch und einem etwas verstörenden Gespräch im Gymnasion? Oh, da fiel ihr ein, sie hatte die gute Tunika verloren. Vielleicht sollte sie doch noch mal schauen, ob die im Gymnasion nicht irgendwo abgegeben worden war. Das war zwar unwahrscheinlich, aber man konnte ja nie wissen.
    Ich? Öhm, nicht viel. Ich hab mir die Stadt angesehen, war ein wenig auf den Märkten unterwegs, hab mein Griechisch verbessert. Wobei mein Akzent wohl immer noch grauslig sein muss. Hier spricht man ja doch eher mehr attisch und weniger ionisch…
    Zumindest glaubte Axilla, dass es attisch sein könnte. Mit den griechischen Dialekten kannte sie sich nicht wirklich aus, und das allgemein verbreitete Koine war ohnehin ihrer Erkenntnis nach ein wilder Mix der verschiedenen Dialekte. Aber bisher hatte sie sich immer verständlich ausdrücken können, ein paar Schmunzler von Händlern außen vorgelassen.
    Nichts aufregendes also.

  • Axillas Beschreibungen ihrer Griechischkenntnisse entlockte Silanus nun doch ein kleines Schmunzeln, als er sich dabei bildlich vorstellte, wie sie mit ihrem Kauderwelsch die Straßen und Märkte unsicher gemacht hatte. In diesem Moment sehnte er sich ein wenig nach den alten Zeiten, die eigentlich noch gar nicht so lange her waren, um sie wirklich als Alt bezeichnen zu können. An den Beginn ihrer Bekanntschaft, als Axilla eines Tages hier im Haus aufgetaucht war und sein ganzes Leben völlig durcheinander gebracht hatte. Eigentlich war es eine schöne Zeit gewesen, die aber nun von den Ereignissen und vom Alltag recht rasch eingeholt worden war. Das Lächeln verschwand wieder aus seinem Gesicht und er macht nun eher einen traurigen, fast verlorenen Eindruck.


    "Ich weiß nicht ob es dir klar ist Axilla, aber durch das bestandene Examen eröffnen sich mir neue Möglichkeiten was meine Karriere beim Exercitus betrifft. Ich….. Also ich spiele mit dem Gedanken zurück nach Rom zu gehen. Ich hoffe der Statthalter wird in den kommenden Wochen meinen Namen in einen seiner Berichte lobend erwähnen und mich für eine Versetzung nach Rom vorschlagen."


    Er senkte seinen Kopf und versuchte nach den passenden Wörtern zu suchen. Doch im Moment viel ihm nichts ein das er sagen konnte. Eigentlich hatte er vielmehr Angst Axilla zu fragen ob sie ihn begleiten würde. Er hatte Angst davor ein Nein zu hören und sie hier zurücklassen zu müssen. Die Wochen in Rom waren schnell vergangen, aber dennoch hatte er gemerkt wie sehr er sie vermisst hatte. Er hatte duzende Briefe an sie begonnen, doch keinen einzigen beendet geschweige den abgeschickt. So wie nun, fehlten ihm auch dabei die passenden Worte. Sein Kopf blieb daher gesenkt.

  • Oh…“ und kurze Zeit darauf mit ein wenig mehr Erkenntnis „Oh!
    Jetzt drehte sich Axilla doch ein wenig mehr zu Silanus. Sie brauchte einen Moment, um ihre doch recht wirren Gedanken zu ordnen und das, was sie sagen wollte, auch in Worte zu kleiden, die sie aussprechen durfte und die für alle, die außerhalb ihres Kopfes lebten, einen Sinn ergeben würden. Und das war in diesem Fall alles andere als einfach.
    Und was wird dann mit diesem Haus hier? Und Urgulania, sie wird doch sicher hierbleiben wollen, sie ist doch gewählt und hat hier auch ein Geschäft?
    Axilla erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit Ánthimos Bantotakis, als dieser ein Schreiben zur bestandenen Betriebsprüfung vorbeigebracht hatte. Da fiel ihr auch wieder ein, dass sie Urgulania eigentlich mal fragen wollte, was dieses „Heptai Hetairai“ denn war, denn es klang schon sehr interessant. Doch irgendwie hatte sie es vergessen, als sie Timos kennen gelernt hatte.
    Auf der einen Seite wollte Axilla gerne nach Rom, in die Ewige Stadt und alles erkunden und ansehen. Aber auf der anderen Seite wollte sie nicht allein mit Silanus dorthin. Erst recht nicht allein. Sie sagte sich immer, dass sie seine Ablehnung inzwischen verwunden hatte, aber sie kannte sich mittlerweile besser. Wenn sie beide wirklich ganz allein in einem Haus sein sollten, ohne dass irgendjemand irgendetwas sagen könnte… nein, das wäre nicht gut, das wäre ganz und gar nicht gut. Axilla war dafür sicher nicht charakterfest genug, und sie hatte sich doch so sehr vorgenommen, das ab jetzt zu sein. Es wäre besser, sie würde in Urgulanias Nähe bleiben, denn bei ihrem Vorbild fühlte sich Axilla da ein wenig sicherer. Unter Urgulanias strengen Augen würde sie sich sicher besser zu benehmen wissen.

  • "Das Wohnrecht ist an einzelne Personen gebunden, ich werde jedoch beim Statthalter erwirken, dass auch Urgulania ein solches Wohnrecht erhält und hier in diesem Haus bleiben kann. Ihr Engagement in der alexandrinischen Stadtverwaltung wird mir dabei bestimmt hilfreich sein. Um sie solltest du dir also keine Sorgen machen. Es geht nun eher um dich….. um uns."


    Nun musste er es aussprechen. Am liebsten hätte Silanus Axilla gar keine andere Wahl gelassen und sie einfach mitgenommen. Er hätte ihr in diesem Moment so gerne von Rom vorgeschwärmt, ihr Vorgeschlagen dort in vielerlei Hinsicht einen neuen Anfang zu wagen und Alexandria und alles Geschehene hinter sich zu lassen. Vielleicht auch einen gemeinsamen Neubeginn, der die beiden wieder Näher brachte, so dass sie zumindest wieder normal miteinander reden und umgehen konnte. So wie es noch vor wenigen Monaten der Fall war. Doch er hatte Angst vor ihrer Reaktion und vor allem vor einem klaren und deutlichen Nein. Dennoch musste die Frage gestellt werden. Zaghaft begann er einen Satz zu formulieren.


    "Ich hatte gehofft, dass du mich nach Rom begleiten würdest Axilla."

  • Axilla hatte gehofft, dass sie beide dieses Thema einfach totschweigen hätten können. Irgendwann, so in zehn Jahren oder so, wäre es kein Thema mehr zwischen ihnen beiden gewesen. So lange einfach nicht darüber zu reden konnte ja nicht so schwer sein, oder?
    Ein wenig unwohl begann Axilla auf ihrem Sessel ihre Position zu verändern, so dass sie ihre Knie besser umfassen konnte und so ein wenig mehr Sicherheitsabstand hatte, wenn auch nur gefühlsmäßig. Dass Silanus ausgerechnet auf ihrem Bett sitzen musste, machte das ganze nicht leichter, und dass er dabei auch noch seine Rüstung trug, war zusätzlich kompliziert. Axilla konnte da einfach nicht so hart und kalt sein, wie sie gerne wollte.
    Nun… ähm… ich glaube…*räusper*… das wäre vielleicht keine so gute Idee. Ich meine, ganz allein… wir beide… ich meine, was meinst du, wird passieren, in Rom?
    Axilla schaute nun doch wieder zu ihm herüber, fragend. Was erwartete er denn von ihr, was wollte er jetzt überhaupt von ihr? Sie hatte sein „nein“ in seinem Officium damals sehr wohl verstanden, also was genau wollte er nun, dass sie tat? Wie stellte er sich das vor, wenn sie beide in Rom wären? Wieder in einem neuen Haus, wieder völlig ohne Freunde, und diesmal wirklich mit ihm ganz allein. Das konnte doch gar nicht gut gehen.

  • Langsam hob Silanus wieder seinen Kopf und sah Axilla sanftmütig an.


    "Ich weiß es nicht Axilla. Ich…. Ich hatte gehofft wir könnten einen Neubeginn versuchen und….."


    Nun war es also ausgesprochen. Er hatte ihr tatsächlich gesagt, dass er das Wagnis eingehen und einen neuen Anfang wagen wollte, einen gemeinsamen neuen Anfang. Silanus spürte wie sein Herz schneller zu schlagen begann und das Blut so stark durch seinen Adern pumpte, dass er seinen Herzschlag im ganzen Körper fühlen konnte. Er wusste, das alles von diesem Moment und von Axillas Antwort abhing. Konnte sie ihm verzeihen? Er hatte den Mut aufgebracht sie zu fragen, nun hoffte er auf ihren Mut, sich darauf einzulassen und ihm zu folgen.


    "… und dann sehen was daraus wird."


    Über dieses Ende wunderte sich Silanus nun selbst. Hatte er es wirklich laut ausgesprochen? Ja, er hatte. Damit war nun klar, dass er sich selbst nicht sicher war, ob er nicht doch mehr für Axilla empfand und ihre gemeinsame Zukunft, sofern es eine geben sollte, offen lassen wollte. Auch wenn es ihm nicht leicht viel, versuchte er seinen Blick weiterhin fest auf sein Mündel zu richten. Sie war wunderschön, wirkte stark, und doch so verletzlich. Ihre Stimme klang erwachsen und vernünftig, aber anhand ihrer Sitzposition konnte man die kindliche Unsicherheit erkennen, die letztlich doch ihr junges Alter verriet.


    Über alle anderen Vorteile, wie eine Ausbildung und sonstige Möglichkeiten die Rom bot, wollte Silanus gar nicht erst anfangen. Er wusste, dass diese Punkte nicht das Problem darstellten. Es war einzig und allein die Sache, die zwischen den beiden stand. Konnte Axilla über diese hinwegsehen, so würde sie ihn begleiten. Konnte sie es nicht, so würde sie trotz des Wunsches und der vielen Möglichkeiten hier in Alexandria bleiben. Er spürte wie die Angst in ihm hoch kroch. Die Angst vor ihrer Antwort. Er hoffte so sehr, dass sie sich nicht gegen ihn entschied.

  • Das hatte er jetzt nicht gesagt, oder doch? Axilla schaute einen Moment lang zu ihm herüber, dann fing sie an, zu weinen. Das war so unfair! Iuno musste sie wirklich, wirklich hassen, viel mehr noch, als sie geglaubt hatte. Sie hatte in den letzten Wochen alles getan, um über Silanus hinweg zu kommen, um ihn zu vergessen, und jetzt saß er hier und alles begann wieder von vorne. Als wäre er nie weg gewesen und hätte ihr nie klar gesagt, dass das, was sie sich wünschte nicht sein konnte. Das war so unfair!
    Neuanfang? Lucius, ich… ich kann noch nichtmal jetzt hier mit dir sitzen und reden, ohne mir vorzustellen, zu dir rüberzugehen und dich aufs Bett zu drücken. Ich hab wirklich versucht, es zu vergessen, aber… das kann ich nicht. Und wenn ich mit dir nach Rom gehe, allein, in einem neuen Haus, wieder ohne Freunde… ich kann das nicht. Ich bin nicht so stark.
    Jetzt vergrub sie ihr Gesicht in dem Loch zwischen Körper und Knien und fing an, zu schluchzen. Warum nur musste er sowas sagen? Sie hatte es doch schon so gut geschafft, von ihm loszukommen, warum nur musste er ihr immer wieder Hoffnung machen, wo es keine gab? Warum konnte er sie nicht einfach loslassen?
    Ich will doch nur, dass Vater stolz auf mich ist. Ich will es doch alles richtig nun machen.“ Ob er die letzten Sätze verstand oder sie im Schluchzen hinter ihren Knien untergingen, wusste Axilla nicht. Es war auch nicht so wichtig, die Worte sprudelten einfach von selbst aus ihr heraus.

  • Es zerriss Silanus fast das Herz, als Axilla in dieser ohnehin schon so angespannten Atmosphere zu weinen begann. Zuerst wusste er nicht was er tun sollte und sah entsetzt und ratlos in ihre Richtung, doch dann konnte er einfach nicht anders, als nach ihrer Nähe zu suchen. Sie konnte es nicht mehr sehen, da sie ihren Kopf bereits in ihrer Tunika vergraben hatte, doch er erhob sich aus dem Bett und kam auf sie zu. Vermutlich hörte sie die klappernden Schritte seine genagelten Militärstiefel. Langsam ließ er sich neben Axillas Stuhl auf seine Knie sinken und legte seine Arme schützen um sie, um ihre angewinkelten Beine und um ihren Rücken. Sein scharlachroter Offiziersumhang, den er um seine Rüstung trug, wickelte sich dabei wie ein schützender Kokon um das wunderbare aber zerbrechliche Wesen, dass er nun in seinen Armen hielt. An seiner Stimme konnte man erkennen, dass es auch ihm schwer viel seinen Gefühlen in diesem Moment nicht freien lauf zu lassen. Diese Situation und vor allem Axillas Reaktion nahm ihn sichtlich mit. Langsam und traurig ließ er sein Gesicht auf ihren Hinterkopf sinken. Seine Stimme hatte sich in ein flüstern verwandelt.


    "Es tut mir so Leid Axilla. Alles tut mir so unendlich Leid. Ich wollte nie dass es dir schlecht geht, dass du meinetwegen traurig bist. Bitte verzeih mir."

  • Sie hörte die Stiefel, es war ein so vertrautes Geräusch. Als Silanus sie umarmte, spürte sie in ihrem Rücken seine Rüstung, den gehärteten Panzer, die aufgesetzten Schulterstücke, die Gemme, wo der Umhang festgemacht wurde. Sie ließ sich von ihm umarmen, fühlte seine Nähe, hörte seine Worte. Aber in ihrem Herzen war es in diesem Moment nicht ihr Cousin, der diese Worte sprach. Es war nicht der Umhang ihres Vetters, der sie so sanft einhüllte, und auch nicht seine Rüstung in ihrem Rücken. Sie ließ sich auch nicht in seine Arme mit geschlossenen Augen zurücksinken.
    Nein, in ihrem Herzen war das Atticus Iunius Cassiodor, ihr Vater. Und er sprach die Worte, die sie so gerne hören wollte. Dass er nicht wollte, dass sie traurig war. Dass es ihm leid täte, alles, was sie durchgemacht hatte. Der sie deshalb sogar um Verzeihung bat. Es hatte eine Zeit gegeben, zwischen dem Vermissen und dem Schmerz, in der sie ihren Vater dafür gehasst hatte, dass er gegangen war. Dass er gestorben war und sie mit Mutter ganz alleine gelassen hatte. Aber das schien ihr schon wie aus einem anderen Leben. Auch wenn es höchstens drei Jahre gewesen sein konnten.
    Ich hab dir schon lange verziehen.
    Axilla schmiegte sich noch weiter nach hinten in seine Umarmung, noch immer mit geschlossenen Augen. Wenn sie die Augen öffnete, wäre er wieder weg, und Axilla wollte ihn so unbedingt bei sich behalten. Sie hatte ihn doch so unendlich vermisst. Sie wollte ihm doch so vieles noch sagen, ihm alles erzählen, was in ihrem Herzen wohnte. Aber sie brachte kein Wort heraus, sie konnte nur glücklich weinen und sich in seine Umarmung und den Umhang kuscheln. Denn zum ersten Mal seit seinem Tod war es in diesem Moment einfach alles gut. Er war hier bei ihr und alles war gut.

  • Als Silanus dieses Satz aus dem Mund seines Mündels hörte atmete erleichtert auf. Es tat unbeschreiblich gut dies zu hören und er drückte sie voller Freude noch etwas fester an sich heran, jedoch immer noch sachte genug, um ihr dabei mit seiner Rüstung nicht Weh zu tun. In dieser Position verharrten die beiden eine Weile. Axilla brauchte seine Nähe und er brauchte die ihre. Es war ein wunderbares Gefühl sie nach so langer Zeit wieder in den Armen zu halten, auch wenn er ihr dieses Mal Trost dabei spenden musste. Als er merkte, dass ihre Tränen nachließen und sie sich langsam wieder beruhigte, lockerte er seine Umarmung, ließ seine Arme jedoch weiter um ihren Körper geschlungen. Hoffnungsvoll sah er ihr in ihre glasigen und verweinten Augen und lächelte zuversichtlich.


    "Bitte komm mit mir nach Rom. Ich wünsche mir nichts sehnlicher."

  • Silanus sagte etwas, und der schöne Moment endete. Axilla öffnete die Augen und sah traurig in seine. Er war nicht ihr Vater. Ihr Vater war tot und würde nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie wieder kommen. Egal, wie sehr sie es sich auch wünschte. Egal, wie oft sie auch die Augen schloss und sich vorstellte, dass er es wäre, der sie hier im Arm hielt. Er war es nicht, es war Silanus. Und dem schuldete sie eine Antwort. Eine wirkliche, echte Antwort, keine aus ihrer Traumwelt. Eine richtige.
    Ich kann nicht.
    Axilla machte sich aus seiner Umarmung frei und stand auf. Sie ging zwei Schritte, um ein wenig räumliche Distanz zwischen sie beide zu bringen. Wo er sie eben noch berührt hatte, fühlte sich ihre Haut jetzt kalt an und sehnte sich zurück in seine Umarmung. Und ihr Innerstes fühlte sich so leer an. Sie erwischte sich bei der Frage, wieso sie nicht einfach mit ihm gehen konnte. Wenn sie ihn verführte, würde er sie sicher auch heiraten. Er mochte sie. War ihr das denn nicht genug?
    Geknickt und traurig schaute Axilla zu Boden, als sie versuchte, jetzt das richtige zu tun. Sie hatte so oft nun das falsche gemacht und nur darauf geachtet, was sie gerne tun wollte. Jetzt war es verdammt schwer, aber sie musste auch auf sein Wohl achten und das tun, was vernünftig und gut war. Sie hatte es sich doch so fest vorgenommen!
    Ich darf nicht, Lucius. Wenn ich mit dir mitgehen würde, wissen wir beide, wo das enden würde. Und was wäre dann mit deiner Karriere? Mit deinen Plänen? Mit denen jedes anderen unserer Gens? Es wäre selbstsüchtig von mir, Lucius. Und ich bin nicht stark genug, mit dir mitzugehen, ohne dass es so enden würde. Das kann ich nicht.
    Warum nur mussten die richtigen Entscheidungen immer so verdammt weh tun? Warum fühlte sich das falsche immer so verdammt richtig an, während sich das richtige immer so anfühlte, als reiße jemand einem das schlagende Herz aus der Brust und verfüttere es an ein Wesen mit tausend scharfen Zähnen?
    Du wirst nach Rom gehen, und ich werde hier bleiben. Das ist das beste für alle. Das ist richtig, Lucius.

  • In Silanus Gesicht spiegelte sich die pure Enttäuschung wieder, als er ihre Antwort auf seine Frage hörte. Plötzlich stand sie auf, stahl sich aus seiner Umarmung und entfernte sich. Er merkte sofort, dass diese Entfernung nicht nur Räumlich war, sondern dass sie auch versuchte sich mit ihrem ganzen Wesen von ihm zu entfernen, von ihm zu fliehen. Er sah ihr nach und konnte nicht verstehen was sie da sagte und vor allem, warum sie es sagte. Sie selbst hatte doch herausgefunden, dass eine Liebe der beiden, ja sogar eine Heirat nichts im Wege stand. Das ihr Verwandtheitsgrad alles zulassen würde, was sie sich gegenseitig geben und bieten wollten und konnten. Warum hatte sie ihre Meinung plötzlich geändert? Er versuchte seine völlig wirren Gedanken in Worte zu fassen, blieb dabei jedoch wie angewurzelt an Ort und Stelle stehen.


    "Aber Axilla. Ich…… Meine Karriere ist mir doch nicht wichtiger als du!"


    Er machte eine kurze Pause und sammelte seine Gedanken.


    "Ich habe dich so sehr vermisst. Ich kann nicht wieder getrennt von dir sein. Axilla! Ich will nicht mehr getrennt von dir sein. Ich mache mir keine Gedanken mehr darüber wie es endet. Ich……. Ich liebe dich."


    Ja so war es. Und nun hatte er es gesagt. Der Abstand, die Zeit in Rom ohne sie. Diese Zeit hatte ihm gezeigt was er für sie empfand, wie sehr er sich nach ihr sehnte und wie er ihre bloße Anwesenheit vermisste. Verzweifelt sah er sie an.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!