Axilla lag die ganze Nacht einfach nur in ihrem Bett. Wirklich denken oder fühlen konnte sie nicht, auch schlafen konnte sie nicht. Sie fühlte sich wie eine leere Hülle, die nur da war und atmete. Ihr Herz pumpte zwar, aber es war kein Leben in ihr. Sie fühlte sich so unendlich tot, so leer und allein. In diesem Moment tat es ihr leid. Alles. Dass sie Timos so hatte gehen lassen tat ihr leid. Dass sie Silanus nach Rom so hatte gehen lassen tat ihr leid. Dass sie jetzt hier lag tat ihr leid. Aber auch, dass sie nicht die Kraft hatte, es ehrenvoll zu beenden und sich zu töten, tat ihr leid. Dass sie überhaupt sich mit Timos eingelassen hatte. Dass sie Silanus verführt hatte. Dass sie nicht stärker war.
Axilla machte sich Vorwürfe. Sie hätte nach Vaters Tod stärker sein müssen. Sie hätte sich noch mehr um Mutter kümmern müssen, und auch auf Iason hören müssen. Ihr guter Lehrer, wie oft hatte er versucht, ihr dennoch alles beizubringen, wozu die kranke Mutter nicht mehr in der Lage war. Er hatte es wirklich gut gemacht, er hatte es wirklich versucht. Sie hätte nur auf ihn hören müssen. Aber sie hatte keinen Kopf gehabt für Philosophie und die schönen Dinge. Sie hatte sich so sehr um Mutter gekümmert, was ja auch richtig war. Aber sie hätte nicht versuchen sollen, das Haus allein zu verwalten, wie es Vater getan hatte. Vielleicht hätte sie einen Nachbarn um Hilfe bitten sollen, oder schon früher mit ihrer Familie Kontakt aufnehmen sollen. Und sie hätte nicht so oft weglaufen sollen in den nahen Wald. Wie oft war sie einfach dorthin gelaufen, gelaufen und immer weiter gelaufen, bis ihr Kopf ganz leer war und ihre Muskeln gebrannt hatten wie Feuer. Bis sie keine Luft mehr bekommen hatte und einfach auf den nächsten Baum geklettert war, ganz wie ein Eichhörnchen. Manchmal war sie einen ganzen Tag auf einem Baum gewesen, kurz nach Morgengrauen von zuhause losgelaufen, dann dort gesessen und erst mit dem Einbrechen der Dämmerung heimgekehrt. Und doch hatte es sich damals richtig angefühlt, weil sie auch damals schon diese Leere gefühlt hatte. Und durch das Laufen, durch das brennen der Muskeln, war es einfacher gewesen, es zu ertragen.
Aber hier ging das nicht so einfach. Es gab hier keinen Wald in den sie gehen konnte, keinen Ort, an den sie sich zurückziehen konnte. Sie konnte sich nur in sich selbst zurückziehen. Und dann war sie allein. Allein mit ihren Gedanken, allein mit den Erinnerungen, allein mit der Schuld. Allein mit sich. Und im Moment konnte Axilla sich selbst nicht besonders gut leiden.
Irgendwann ging die Sonne auf. Axilla merkte es eigentlich nur dadurch, dass es heller wurde an dem Fleck, auf den sie wie in Trance starrte. Ob sie geschlafen hatte oder nicht, wusste sie nicht. Sie fühlte sich krank und elend, unendlich schwach. Sie setzte sich auf, und ihr war schwindelig. Vielleicht war sie ja wirklich ein bisschen krank?
Noch bevor eine Sklavin in das Zimmer kam, um sie zu wecken, hatte Axilla aufgeräumt. Das Schwert ihres Vaters war wieder behutsam in die scheide und dann in die Truhe gewandert. Ihr Kleid und den Umhang hatte sie zusammengefaltet in einer anderen Truhe verschwinden lassen. Sie selbst hatte sich eine ganz einfache Tunika angezogen.
Die Sklavin musterte Axilla zwar ein wenig komisch und machte sich wohl auch sorgen, ob sie krank sei, aber Axilla winkte ab. Sie wollte nicht von einem Arzt angeschaut werden. Gegen die Leere in ihr gab es ohnehin kein Mittel, das wusste sie. Zu lange schon trug sie dieses Gefühl mit sich herum.
Axilla wusste noch nicht, was sie machen wollte. Sie wusste noch nicht einmal, ob sie irgend etwas machen wollte. Sie folgte einfach der Sklavin hinunter, wo sie einen weiteren Tag als Geist verbringen würde, so tun würde, als sei sie fröhlich und als würde sie nichts bekümmern. Eines Tages würde sie sich auch selbst belügen können, wenn sie nur jeden Tag durchstand. Vielleicht.