[Tempel] Apollonis Granni Mogounis

  • Aufmerksam lauschte sie den Anweisungen, die Curio ihr bezüglich des blutigen Opfers gab. Sie schritt an seiner Seite den Weg zum Opferaltar. Der Lammbock stand bereit. Einer der Discipuli hielt ihn am Strick. Das Wissen darum, dass er für ihren Dank und die Bitte an Apollo Grannus Mogon sein Leben lassen musste, schnürte Alpinas Kehle zu. Doch es musste sein. Sie ahnte, dass es ohnehin nicht das letzte Opfer sein würde, das sie darbringen musste. Schließlich würde sie ihre Tat irgendwie sühnen müssen.


    Als sie nun vor dem Altar in Stellung ging, erinnerte sie sich an Curios Einführungsopfer. Dabei hatte sie den Ablauf eines blutigen Opfers gesehen. Langsam näherte sie sich dem Lammbock. Ungeschickt nestelte sie den Schmuck des Opfertieres fort. Natürlich wurde das Tier unruhig. Alpina bemühte sich, den Bock durch leises Zureden zu beruhigen. Mit zitternden Fingern nahm sie das Opfermesser aus Curios Hand entgegen. Sie beugte sich über den Lammbock, besprengte ihn mit dem Mola Salsa, das man ihr reichte und strich beherzt über den Rücken des Tieres. Ruckartig hob der Bock den Kopf. Alpina erschrak. Ängstlich sah sie den Opferschlächter an und streckte ihm das Messer entgegen. War jetzt nicht der Zeitpunkt für ihr zweites Gebet? Durfte sie beten, obwohl das Tier sich so heftig bewegte? Was hatte das zu bedeuten?

  • Es war offensichtlich, dass Alpina nervös war, doch hatte Curio keine Ahnung, wie er sie beruhigen konnte. Der Opferschlächter war dabei keine Hilfe, denn als Alpina ihm das Opfermesser reichte - blickte er sie nur fragend an, schließlich hat er sein eigenes, deutlich schärferes Messer, mit dem er gleich die Kehle des Tieres durchtrennen würde. Als Alpinas Unruhe auch auf das Opfertier überzuspringen drohte, gab Curio dem Discipulus ein Zeichen, der straffte den Strick des Tieres etwas, damit es nicht aufspringen konnte, und hielt ihm dann etwas Gras zum Fressen hin. Schnell verlor der Lammbock das Interesse an den Opferhelfern und fing an zu kauen.


    Sprich jetzt dein Gebet, Alpina, du kannst das. Gebetshaltung einnehmen und los gehts.


    flüsterte Curio der jungen Frau mit ruhiger Stimme von hinten zu, darauf vorbereitet, ihr die ersten Worte des Gebets bei Bedarf ebenfalls einzuflüstern.

  • Als Alpina sah, dass sich der Lammbock mit ein wenig Gras beruhigen ließ, wurde auch sie wieder ruhiger. Sie nahm die Gebetshaltung an und konzentrierte sich auf ihren Text. Jetzt bloß keinen Fehler machen!


    "Großer Apollo Grannus Mogon, Heiler und Helfer in der Not,
    großer Apollo Grannus Mogon, Kenner des Zukünftigen und des Schicksals der Menschen!
    Noch einmal danke ich Dir aus tiefstem Herzen für meine Errettung und Genesung, ich danke Dir für Deine Gnade."


    Alpina atmete tief durch, warf einen Blick auf den friedlich kauenden Bock und vollendete das Gebet.


    "Nimm diesen weißen Lammbock als Opfer von mir an und gewähre mir in Deiner unendlichen Güte Antwort auf eine Frage, die mir auf der Seele brennt. Vielleicht magst Du, großer Kenner der Zukunft und des Schicksals mir die Frage beantworten, ob mir die Larven oder die Eumeniden die schrecklichen Traumgesichte schicken, die mich verfolgen, und wie ich sie besänftigen kann? Ich versichere Dir, dass ich Dir ein weiteres Opfer darbringen werde, wenn Du mir in deiner göttlichen Weisheit Rat geben kannst und mich so von dieser Sorge befreist."


    Tränen standen in Alpinas Augen und mit den letzten Worten erstarb auch ihre Stimme. Sie wandte den Kopf nach rechts. Vorsichtig sah sie von unten her zu Curio auf. War alles richtig gewesen? Konnte das Opfer vollzogen werden?

  • Der Discipulus hatte interessanterweise gar nicht richtig zugehört und war mehr mit dem Lammbock beschäftigt, während der Opferschlächter nach der Erwähnung der Eumeniden kurz die Stirn kräuselte. Curio mahnte ihn mit einem Blick zur Disziplin, was dieser nur mit einem Schulterzucken quittierte. Nach dem Gebet nickte Curio bestätigend, auch wenn mehr als deutlich war, dass Alpina so ziemlich runter war mit ihren Nerven. Allerdings musste sie jetzt nur noch zwei Worte sagen, um das Opferitual zu beenden.


    Die Hälfte davon folgte sogar sofort, denn schon hatte der Opferschlächter sich das Tier gegriffen und blickte nun zu der jungen Frau. Mit rauchiger Stimme sprach er


    Agone?


    und blickte dann fragend die Opferherrin an, das Schlachtermesser fest in der rechten Hand haltend.

  • Wie immer passierte jetzt alles sehr schnell. Die Abläufe waren eingeübt. Der Opferschlächter schnitt dem Tier den Hals durch, das Blut floss, der Discipulus fing ein bisschem mit einer Patera ein, während der Opferschlächter die Vitalia des Tier mit souveränen Handgriffen entfernte und in eine weitere Patera legte. Curio wiederum legte Alpina beruhigend eine Hand auf die Schulter, während dies alles geschah und ließ sich dann vom Opferschlächter die Patera mit den Vitalia reichen. Er hatte nach seinem Einführungspfer einige Sonderlektionen mit einem Haruspex absolviert, sodass er nun deutlich sicherer mit den Organen und insbesondere der Leber umging. Er war gespannt, welche Zeichen er dort finden würde.

  • Der Geruch des frischen Blutes stieg Alpina in die Nase. Ihr wurde übel. Sicherlich einmal weil sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte, aber auch weil sie solche Angst vor einem bösen Omen hatte. Curios beruhigende Hand auf ihrer Schulter veranlasste sie jedoch, sich wieder auf das Geschehen zu konzentrieren. Mit angstvoller Miene verfolgte sie, wie er die Patera mit den Organen entgegennahm und vor allem die Leber des Lammbocks nach auffälligen Zeichen untersuchte.

  • Der Herr der schönen Künste widmete sich heute wie so oft lieber den Künsten, als sich mit den Niederungen der Sterblichen abzugeben. Allerdings wurde er dann doch schon wieder in Mogontiacum angerufen... SCHON wieder! Als er sich das Opfergebet durch den Kopf gehen ließ, lächelte er mitleidig. Ein ganzer, teurer Schafbock für eine solche Frage! Was interessierten ihn die Toten oder die Träume der Sterblichen? Gab es dafür nicht Pluto, Mania, Proserpina, Orcus und wie sie alle hießen? Zwar hatte er auch schon einmal die Erinnyen losgehetzt (damals auf den armen Orestes), aber letztlich musste er eindeutig feststellen, dass dieser Fall nicht in seine Zuständigeit fiel. Denn an einer Seuche war das Kind nicht gestorben, der Tod war seine Sache nicht und ein Orakel benötigte man auch nicht gerade, wenn es um die Identifikation von Geistern ging.


    Somit zuckte er nur hilflos mit den Schultern und blickte wieder auf seine geliebte Leier. Das einzige Mal, als er Pluto beneidet hatte, war der Tag gewesen, als Orpheus ihn besucht hatte... aber wegen dieser seltenen Freude würde er bestimmt nicht die Aufgaben der Totengötter übernehmen!


    Die Leber des Lammbocks war dunkel gefärbt, fast ein bisschen ins Gräuliche gehend. Und ganz hinten links gab es eine kleine Verhärtung.

  • Curio fehlte sicherlich Übung, doch konnte er an der dunklen Färbung des Organs schnell erkennen, dass Apollo das Opfer nicht annahm. Daher runzelte der junge Helvetier die Stirn, hatte es einen Fehler gegeben? Schrittweise ging er den Opferablauf durch, konnte aber nicht erkennen, dass irgendwo etwas wider der üblichen Rituale stattgefunden hatte. Das bisschen Unruhe des Tieres konnte ja wohl kaum der Auslöser gewesen sein. Vorsichtig und bedächtig nahm er sich nun zuerst die rechte Seite der Leber vor, konnte dort aber keinen der negativen Marker nennen, die ihm der Haruspex erklärt hatte, nun wechselte er die Seite, drehte die Leber, wie es ihm der duccische Pontifex gesagt hatte, und betastete nun die linke Seite. Immer wieder drückte er seine Finger leicht zusammen, bis er einen Widerstand spürte. Der junge Helvetier konzentrierte sich nun auf den Widerstand, der sich mehr und mehr als Verhärtung bestätigte.


    Eine insgesamt dunkle Färbung und ein negativer Marker auf der negativen Seite, ganz links außen. Diese Widersprüche verwirrten den ungeübten Eingeweideschauer. Hätte er doch mal einen Haruspex hinzugezogen, jetzt jedoch war er auf sich selber gestellt. Negativer Ausgang, positive Nachricht... Warum gibt jemand ein positives Zeichen, wenn er eine Gabe ablehnt. Desinteresse? Eher nicht. Böser Scherz? Vielleicht, bei Apollo wusste man ja nie.


    Vielleicht...


    war das erste Wort, das Curio von sich gab, als ihm noch etwas anderes in den Sinn kam. Zeichen auf der linken Seite, so hatte ihm der Haruspex erläutert, werden auch auf fremde Verhältnisse bezogen. Wollte Apollo etwa sagen, dass er zwar bereit war zu helfen - das würde das negative Zeichen auf der negativen Seite erklären -, es allerdings nicht konnte, da das Anliegen nicht in seinen Aufgabenbereich fiel? Curio ließ die Leber zurück in die Patera gleiten und ließ sich diesen Gedanken durch den Kopf. Der Gedanke verfestigte sich immer stärker, und kurz wollte sich Curio mit der Hand vor die Stirn schlagen, weil er offensichtlich einen Denkfehler begangen hatte. Doch unterließ er es, weil er sich sonst das klebrige Blut auf seiner Stirn verteilt hätte. Stattdessen ließ er nun einen resignierten Seufzer von sich, mehr über seine eigene Unbedachtheit, als über den Ausgang des Opfers, der vollkommen nachvollziehbar war.


    Dann ließ er sich eine Reinigungsschüssel reichen, mit der er seine Hände wusch und blickte dann zum Opferschlächter.


    Bring die essbaren Teile schon in den Tempel und verpack sie ordentlich.


    Ebenso gab er dem Opferhelfer zu verstehen, dass er dem Opferschlächter helfen sollte, sodass nun beide mit den Resten des Opfertiers im Tempelinnern verschwanden. Dann wandte er sich mit einem bedauernden Blick Alpina zu und bugsierte sie vorsichtig an eine Säule.


    Alpina, ich muss dir leider mitteilen, dass Apollo dein Opfer abgelehnt hat. Allerdings kann ich dir versichern, dass er geholfen hätte, wenn es in seiner Macht gestanden hätte.


    erklärte er zuerst, wobei er immer zerknierschter wurde.


    Dabei lag der Fehler nicht bei dir, sondern bei mir. Ich muss mich bei dir entschuldigen, denn ich hätte wissen müssen, dass Apollo hier nicht tätig werden kann. Wahrscheinlich sollten wir uns besser an einem anderen Gott wenden, wobei ich nochmal nachlesen muss, wer jetzt der beste Ansprechpartner ist.


    Dann ging er selbst zur Patera mit den Eingeweiden, nahm sie auf und gab Alpina zu verstehen, dass er selber die Innereien in den Tempel bringen und sie einpacken würde. Dann bat er Alpina noch, einige Augenblicke zu warten, damit sie zusammen mit den Fleischpäckchen zurück in die Casa Atia gehen konnten.

  • In Curios Miene spiegelte sich Unsicherheit, als er die Leber des Lammbocks begutachtete. Alpinas Angst wuchs. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Organ. Sie spürte wie ihre Knie weich wurden. Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte er endlich etwas: "Vielleicht..."
    Sein Tonfall verrstärkte die Vermutung, dass die Leber ein negatives Zeichen offerierte. Ein stechender Schmerz fuhr in ihre Magengrube. Nein, nein, bitte nicht...


    Curio gab dem Opferhelfer die Patera mit den Organen. Mit sichtlichem Bedauern wandte er sich an Alpina.
    "Alpina, ich muss dir leider mitteilen, dass Apollo dein Opfer abgelehnt hat."


    Den Rest hörte Alpina kaum mehr. In ihren Ohren hallte dieser Satz nach, wieder und wieder...
    Nur wie durch einen Nebel nahm sie noch wahr, dass er sich bei ihr entschuldigte. Wofür? Er vermutete, Apollo sei nicht zuständig gewesen. Sie nickte mechanisch und sah ihm zu wie er im Tempel verschwand.


    Während sie auf Curio wartete, schossen ihr ganz viele Gedanken durch den Kopf. Apollo hatte ihr Opfer abgelehnt. Bedeutete das, dass er nur ihre Frage nach der Ursache ihrer Alpträume unbeantwortet ließ oder hatte er auch ihr Dankopfer für ihre Errettung durch Curio zurückgewiesen? Ihr kam ein schlimmer Verdacht... wenn er ihre Heilung und Rettung vor dem Tod mit einem negativen Zeichen belegte, dann bedeutete es womöglich auch, dass der junge Aedituus sie gegen seinen Wunsch gerettet hatte... Dann hatte womöglich er ihr die Rachegöttinnen gesandt, damit sie Alpina Nacht für Nacht daran erinnerten, dass sie für ihre Abtreibung eigentlich mit dem Tod hätte büßen müssen. War es so, dass Curio den Willen der Götter mißachtete, als er sie rettete?

  • Es dauerte einige Minuten, bis Curio aus dem Tempel heraus und auf Alpina zutrat. In der einen Hand hielt er den Korb mit dem abgekochten Fleisch, in der anderen zwei Schriftrollen aus der Sammlung des Tempels. Sie befassten sich mit Totengeistern und den Furien beschäftigten. Nach dem gescheiterten Opfer musste sich der Helvetier erstmal einlesen, wie sie jetzt weiterverfahren konnten. Als er Alpina anblickte, sah er, dass sie blass geworden war. Er legte die Stirn in Falten und stellte den Korb ab.


    Ist alles in Ordnung?

  • Als Curio zurückkam warf Alpina nur einen kurzen Blick in den Korb, den er trug. Seine Frage, ob alles in Ordnung sei, beantwortete sie mit einem Schulterzucken. Er konnte sich denken, dass nach dem gescheiterten Opfer nichts in ihrer Welt mehr in Ordnung war. Doch sie wollte ihn nicht beunruhigen. Es war ja nicht seine Schuld. Er hatte alles für sie getan.


    "Lass uns gehen...", sagte sie leise und schlug den Rückweg zur Casa Atia ein. "Mir ist kalt."

  • Irgendwas stimmte nicht. Aber hier war sicherlich nicht der richtige Ort, um darüber zu sprechen. Daher nahm Curio den Korb wieder auf und folgte Alpina auf dem Weg in die Casa Atia. Da die Straßen nicht mehr so voll waren, würde der Weg wohl auch nicht lange dauern, sodass sie zu Hause das Fleisch noch gut zubereiten und essen könnten.

  • Immer noch fühlte sich Curio zwar wohl in der Casa Atia, konnte aber das Gefühl nicht abschütteln, dass er dort nicht wirklich zu Hause war. Zudem bestand jederzeit die Möglichkeit, dass der eigentliche Hausherr der Casa Atia nach Mogontiacum zurückkehrte und Curio dann umziehen musste. Zwar wäre das einerseits kein Problem, da er und sein Sklave bislang noch keinen großen Hausstand angehäuft hatten, andererseits müsste sich Curio dann aber eine neue Unterkunft suchen, was bei den jetzigen Planung nicht unbedingt einfach sein würde. Hinzukam die Überlegung, dass eine neue Unterkunft auch einiger repräsentativ sein musste, falls er tatsächlich zum Magister Vici gewählt werden würde.


    Daher ging er nach seiner Schicht im Tempel zum Aedituus Magister Livianus Pythermon, um mit ihm die Möglichkeiten für einen Umzug in das Gebäude hinter dem Tempel zu ziehen, in dem einerseits die Kultgegenstände gelagert wurden und sich die Ausbildungskammern für die Discipuli befanden, im ersten Stock aber auch mehrere Habitationes für jene Aeditui befanden, die nahe des Tempels wohnen wollten, oder für Gäste des Apollotempels. Der alte Pythermon wohnte zum Beispiel mit seiner Frau dort. Als Curio ihm seine Situation schilderte, nickte der Alte verstehend. Er hatte Curio selbst ausgebildet und kannte den jungen Mann daher sehr gut. Im Geiste ging Pythermon daher die möglichen Wohnungen durch (was ein wenig dauerte, da sein Gedächtnis nicht mehr das beste war) und zeigte Curio schließlich eine komplett Wohnung mit drei großen Zimmern, einem großen Triclinium, einem Cubiculum und einem mittelgroßen Raum, den Curio als Officium nutzen könnte, und zwei kleinen Kammern, von denen eine als Sklavenkammer genutzt werden konnte. Curio schaute sich die Wohnung an, sie war ausreichend für seine Bedürfnisse und bot zwei einigermaßen repräsentative Räume. Daher bat er den Aedituus Magister, die Wohnung bis auf weiteres freizuhalten und versprach, sich zu melden, sobald er dort tatsächlich einziehen würde. Der alte Pythermon nickte daraufhin milde, machte sich eine entsprechende Notiz und ging dann wieder an die Arbeit, während Curio den Tempel in Richtung Forum verließ.

  • Der Tempel des Schutzgottes der Stadt bot zudem einen kleinen Seitenalter für die Verehrung der Laren des Vicus. An diesem führten Curio und sein Mitmagister


    | Numerius Carsuleius Merula


    am heutigen Festtag der Lares Publici ein Opfer durch. Dafür hatten sie ein mittleres Voropfer mit Opferkuchen und Wein und ein blutiges Opfer mit einem weißen Ebe vorbereitet. Natürlich hatte es zu diesem Opfer auch eine Einladung an die Einwohner des Vicus gegeben, die nach dem Opfer Spotulae erhalten sollten.

  • Gemeinsam mit Merula startete Curio die Opferprozession vor dem Südtor der Stadt. Angeführt durch die Musiker zogen sie durch die Straßen und erreichten den Apollo-Tempel um die Mittagszeit. Vor dem Tempel hatten sich bereits einige Vicani, und wie bei jedem Opfer natürlich auch einige Leute, die sich darunter gemischt hatten, eingefunden, um dem Opfer beizuwohnen. Daher war der Vorplatz gut gefüllt. Als die Musik erklang, bildeten die Anwesenden ein Spalier, manchmal mussten Ministri nachhelfen, doch klappte dies, wie üblich bei öffentlichen Opfern, recht problemlos, und so erreichten die Magistri Vici des Apollonensis, beide in ihre beste Toga gekleidet, gemeinsam mit dem reich geschmückten Opferter, einem weißgetünchten Eber, den Tempelvorplatz und schließlich auch die Stufen zum Tempel. Das Opfertier wurde einem Opferhelfer gegeben und die Curio und Merula schritten die Tempelstufen hinauf zum Eingang, wo bereits durch einen weiteren Opferhelfer das Handwaschbecken bereit gehalten wurde. Beide Magistri wuschen sich die Hände, Curio allerdings besonders intensiv, aus Angst, dass eine einfache Waschung aufgrund seiner jüngsten Verfehlungen nicht ausreichen würde, und zogen sich dann ihre Togen über den Kopf.


    Als erstes folgte nun das Weihrauchopfer. Curio übernahm dieses ob seiner Erfahrung und überließ dann für das restliche unblutige Opfer Merula das Feld. Bei Bedarf würde Curio ihm nur von hinten das Opfergebet einflüstern, das der Carsuleier eigentlich hatte auswendig lernen sollen, worauf sich Curio aber wegen der sonst so konsequenten Weigerung des Carsuleius zur Übernahme kultischer Aufgaben nicht verlassen hatte. So traten sie nun an den Seitenaltar, wo bereits die Opfergaben von zwei Opferhelfern bereitgehalten wurde. Merula nahm die Gebetshaltung ein und begann zu sprechen.


    Oh Lares Vicani! Ihr Geister des Ortes und Beschützer des Vicus Apollonensis, in dem wir wohnen und den wir beide, Iullus Helvetius Curio und Numerius Carsuleius Merula, als Magister Vici vertreten dürfen. Ihr beschützt diesen Vicus vor Unheil und sorgt für die...


    Sicherheit seiner Einwohner.


    ... Sicherheit seiner Einwohner. Seit jeher bringen euch die Vertreter der Vicani dafür gerechte Opfer dar, um euch zu danken und euch zu ehren.
    Daher bitten wir euch: Nehmt diese Opfergaben an, die wir euch übergeben. Nehmt diesen Wein, gewachsen in den Weinbergen der Region und gekeltert von den Weinbauern der Stadt. Nehmt diesen Opferkuchen...


    Curio verdrehte die Augen. Hätte Merula mitgedacht, während er sprach, hätte er sich denken können, wie es weiterging.


    Hergestellt aus dem Getreide der Region und gebacken durch die Bäcker unseres Vicus.


    ... hergestellt aus dem Getreide der Region und gebacken durch die Bäcker unseres Vicus. Und sorgt so weiterhin dafür, dass unser Vicus blühe und gedeihe.


    Merula legte die Opfergaben auf den Altar und schüttete den Wein mit der Patera in die dafür vorgesehene Öffnung und wandte sich dann nach rechts ab. Curio nickte ihm zu. Wenigstens das hatte er sich gemerkt und wäre der Carsuleius nicht so ein talentierter Einkäufer gewesen, wodurch die Opfergaben samt und sonders von bester Qualität waren, wäre Curio wirklich angenervt gewesen.

  • Viel Zeit hatten sie nicht gehabt nach ihrem klärenden Gespräch und schon mussten sie sich ihren Rollen in der Öffentlichkeit stellen. Zum Glück waren diesem öffentlichen Opfer ein paar Unterrichtsstunden vorausgegangen in denen sie sich wenigstens etwas an die veränderte Situation gewöhnen konnten. Aber Runa tat es immer noch weh und es versetzte ihr jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn er sie so förmlich wie eh und je behandelte. So manches Mal wünschte sie sich, dass sie die zeit einfach zurückdrehen hätte können. Aber dann auch wieder nicht. Sie wusste ja, dass sie ihre Rollen spielen mussten um überhaupt eine Chance zu haben.
    Sie fügte sie sich also in ihr Schicksal und sah es als Prüfung der Götter an, was blieb ihr auch anders übrig? Sie wurde von Tag zu Tag besser und es gelang ihr tatsächlich ihre Gefühle hinter einer Maske zu verstecken. So war sie nun also heute hier und verfolgte das Opfer genau, denn schließlich wollte sie ihr Einführungsopfer so bald wie möglich hinter sich bringen. Damit dies auch fehlerfrei geschah, nutzt sie jede Gelegenheit um Wissen in sich aufzusaugen um zu lernen.
    Sie hielt sich also im Hintergrund beobachtete und lernte.

  • Das Voropfer war beendet und Merula schritt nun voran nach draußen, um mit dem blutigen Opfer fortzufahren. Curio blieb noch einen Augenblick stehen. Er hätte Silvana gerne einen lieben Blick oder ein Augenzwinkern zugeworfen, doch da hier überall Discipuli standen und ihre Blicke auf ihn gerichtet hatten, um mögliche Anweisungen entgegenzunehmen, wäre sogar schon solch eine kleine Geste direkt aufgefallen. Davon, dass er ihr mehr, als den gesellschaftlich angebrachten Körperkontakt widmete, war schon gar nicht mehr die Rede. Kurz ruhte sein Blick auf ihr und sie wäre wohl die einzige, die wusste, was derweil durch seinen Kopf ging. Dann trat er einen Schritt auf sie zu.


    Sprich du bitte das "Favete Linguis", Duccia.


    sagte er, gab ihr und den übrigen Discipuli ein Zeichen, sich draußen für das blutige Opfer aufzustellen und nickte Silvana daraufhin ein zweites Mal zu, wobei sie vielleicht einen kleinen Schimmer in seinen Augen erkennen konnte. Die Entscheidung war nichts besonderes. Tempelschülern, die kurz vor ihrem Einführungsopfer standen, wurde häufig das "Favete Linguis" übertragen, damit sie bereits ihre laute Opferstimme einüben konnten. Dann ging er vor, um neben seinen Kollegen zu treten, der bereits wartete. Die Opferdiener brachten das Schwein zu seinem Platz und banden es fest, sodass das Hauptopfer nun beginnen konnte. Bei diesem Teil war es Curio, der das Gebet sprechen würde, also trat er noch einen Schritt nach vorne und blickte, wieder ganz in der Rolle des Opferherrn, zu Silvana, die nun für Ruhe auf dem Platz sorgen sollte.

  • Runa hatte sich damit abgefunden und konnte inzwischen auch gut damit umgehen, dass er ihr nicht mehr Aufmerksamkeit schenkte als dem anderen. Aber sie wusste an zwei Abenden hatte sie ihn für sich und daran konnte sie sich festhalten. Als ihr Blick den seinen traf , der einen Moment länger auf ihr ruhte, nickte sie kaum merklich. Ja sie hatte diese kleine Geste sehr wohl verstanden.


    „Natürlich gern Magister Vici Helvetius Curio.“ Antwortete sie äußerlich ruhig. Innerlich jubilierte sie, denn sie wusste diese kleine Geste zu schätzen und sah auch den Schimmer in seinen Augen. Oh sie musste sich wirklich zusammenreißen um nicht versonnen zu lächeln. Ihr Gesicht bewegt sich nicht, doch in ihren Augen konnte man diese Freude lesen. Sie schlug also schnell die Lider nieder und schaute zu Boden.


    Sie trat also einige Schritte nach vor, hob die Hände gen Himmel und zog so die Aufmerksamkeit. Noch einmal holte sie tief Luft, dann schallte ihre Stimme über den Platz.


    "Favete Linguis"
    Nach nur kurzer Zeit trat Ruhe ein. Sie drehte sich um, nickte Curio kurz zu und ging wieder an ihren Platz zurück.

  • Auch Curio hatte noch einen kurzen Blick auf Silvana werfen können, die seine winzig kleine Geste offenbar verstanden. Auch er freute sich sehr darüber, musste sich aber nun wieder auf das Opfer konzentrieren. Der Ausruf der jungen Duccia sorgte für die gebotene Ruhe und die rituellen Handlungen konnten beginnen. Curio ließ sich erneut die Hände waschen und begann nun damit, dem Opfertier den Schmuck abzunehmen, es mit Mola salsa zu bestreichen und es mit einem Kultmesser rituell zu entkleiden, indem er seinen Rücken hinabfuhr. Das Schwein wirkte dabei recht unbeteiligt und gab nur dann und wann einen kleinen Grunzer von sich. Schließlich nahm er die Gebetshaltung ein und sprach mit lauter Stimme.


    Oh Lares Vicani! Ihr Geister des Ortes und Beschützer des Vicus Apollonensis, in dem wir wohnen und den wir beide, Numerius Carsuleius Merula und Iullus Helvetius Curio, als Magistri Vici vertreten dürfen.
    Die Menschen des Vicus Apollinensis vertrauen auf eure Hilfe und auf euren Schutz, die ihr ihnen nie verweigert. Dafür bringen euch die Vertreter des Vicus und auch jeder einzelne Vicanus regelmäßig gerechte Opfer dar.
    Nehmt daher diesen weißen Eber, aufgewachsen auf einem Hof unserer Stadt und mit genauem Blick ausgesucht, sodass ihr an ihm keinen Makel finden werdet.
    Steht dafür auch weiterhin den Einwohnern des Vicus bei und haltet eure schützende Hände über ihren Häusern und Straßen. Dafür werden wir euch auch weiterhin Opfer darbringen, um euch zu danken und zu ehren.


    erneut wurde das Opfergebet durch eine Wendung nach rechts beendet. Und der Opferschlächter, ein kleiner, gedrungener Mann, der wohl neu im Tempel sein musste, da er ihn noch nicht kannte. Er zückte sein Messer und offenbar wurde dem Schwein nun klar, was ihm blühte, denn erneut entwich ein Grunzen seinem Maul.


    Der Opferschlächter reagierte sofort, nahm seine Position ein und strich dem Schwein zweimal sanft über die Schnauze, was offenbar beruhigend wirkte. Curio merkte sich das für seine eigenen späteren Opfer, doch waren das alles nur kleine Verzögerungen, die das Unvermeidliche nicht abwenden konnten.


    Agone?


    folgte daher nun die Frage des Opferschlächters und da Curio keine weiteren Verzögerungen wollte nickte er und sprach mit lauter und deutlich Stimme


    Age!


    Curio wusste, dass jeder Opferschlächter sein Handwerk beherrschte und auch dieser, den er bislang noch nicht kannte, war dabei keine Ausnahmen. Ein schneller Schnitt und das kurze Pfft, das Curio trotz seiner Routine immer noch bei jedem blutigen Opfer kurz erschauern ließ, waren ein untrügliches Zeichen, dass alles geklappt hatte. Wie immer wurde das Blut von einem Opferdiener in einer Paterae aufgefangen, der Schlächter entfernte die Vitalia und legte sie auf eine weitere Patera und brachte sie Curio, der sein Ärmel hochschob, kurz durchatmete und dann seine Hände in die blutige Schale tauchte, um die Leber zu untersuchen.

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