Hortus | Ballsuche auf Keltisch

  • Das Kies auf den Wegen, welche im garten herumführten, vibrierte leicht, als Artomaglos kräftig auf den Boden auftrat, dem Kleinen hatte er im Schlepptau, die Augen hatte er auf die Mauer geheftet, die den garten umgab. „Also...“, meinte er zum Kleinen und wandte sich zu ihm hin. Es war selbstredend, dass er seine Hand nicht von ihm losgelassen hatte. Er wollte unter Garantie keinen Ärger kriegen.
    „War es dort drüben?“, meinte er und deutete auf einen Abschnitt von der Mauer. Er wusste, dass hinter jenem Abschnitt eine Mauer war, und dass regelmäßig Spielzeug rüberflog. Hie und da schmissen es die Sklaven wieder über die mauer zurück. Und bisher hatte allerdings keiner den Chuzpe gehabt, direkt an der Porta zur Villa anzuklopfen. Eigentlich konnte sich Artomaglos nur dazu beglückwünschen, dass keiner sie gesehen hatte. War des a Scherarei gwesn, waunn ma uns dawischt het! Na, des war nimma lustig gwesn, bei ollen Gettern wou’s gibt! Unwillkürlich drückte er die Hand des Kleinen fester, ließ aber sofort wieder los, als ihm einfiel, dass dies Diarmuid höllisch wehtun könnte.


    Sim-Off:

    Pssst, was kursiv ist, sind übrigens Gedankengänge. Nicht dran stören lassen. ;)

  • Der Riese mit der komischen Aussprache geht voran, während er mich hinter sich herzieht. Um sicher zu gehen, dass ich keine Dummheiten mache, nimmt er mich beider Hand, so wie Mama das immer tut. Ich finde das ja ganz schön daneben, weil ich mir dann immer wie ein Kind vorkomme. Jetzt geht es mir nichtanders.
    Der Riese aber zerquetscht mir beinahe mein zartes Händchen mit seiner riesen Pranke. Dannfragt er nach dem Ball. Wohet soll ich das denn wissen! Es gibt doch gar keinen Ball. Aber das weiß er ja nicht.
    Ich zucke unschuldig mit den Schultern und schau ihn mit meinem treudoofen Dackelblick an.
    "Weiß nicht, wo er hingefallen ist. Von draußen sah das alles ganz anders aus." Donnerwetter! Ich bin richtig gut im Lügen. Jetzt muss ich mir nur noch etwas einfallen lassen, wie ich den Riesen abschütteln kann.
    "Auaaa! Du tust mir weh!" Meine arme Hand ist fast nur noch Brei! Aber einer wie ich jammert nicht lange.
    "Was meinst du, du schaust da nach und ich gucke da vorne mal."

  • Vielleicht wären die Sprüche des Kleinen Artomaglos ein bisschen seltsam vorgekommen, wenn nicht, ja, wenn Diarmuid nicht einen geradezu genialen Schachzug getätigt hätte – er behauptete, Artomaglos täte ihm weh, was vermutlich auch stimmte, den der Druck von der Hand des Norikers war nicht ganz ohne.
    Er ließ also los, blitzschnell, und blickte schuldbewusste drein. „Esgusodwch fi“, entschuldigte er sich betreten und schimpfte sich innerlich einen Unmenschen. Wieviel Unheil hatte er schon angerichtet! Nun musste er dies nicht noch mit seiner unkontrollierbaren Kraft verstärken.
    Es war nur aus diesem Grund, wegen seines Schuldbewusstseins, dass er nickte. „Gut.“, meinte er also nur, nach einem kurzen, hilflosen Blick nach oben, wo er Isis Noreia* vermutete. Liab’s Mutterl, vazeih ma, i houb’s net wuin!, betete er innerlich zu ihr. Er war doch kein brutaler Kerl... oder doch? Er musste sich an den Gesichtsausdruck des Pannoniers erinnern, den er damals zu Tode geohrfeigt hatte. Die Nagst und der Schrecken war dem Toten ins Gesicht geschrieben. Jawohl, alleine dafür hatte er die Sklaverei verdient.
    „Mach nur...“, murmelte er und drehte sich zu einer anderen Stelle von Zaun hin. „Und du, bleib schön dort!“, meinte er, dann begann er zu rennen und blieb bei der Mauer stehen. Einiges an Gestrüpp war hier, da konnte man sicher lange suchen. Er beugte sich also herunter und begann in den Gebüschen herumzuwühlen. Hier irgendwo musste doch was sein. Hier landeten die meisten Bälle, die den Kindern hinunterflogen.
    Er ging auf die Knie und begann mit seinen Armen sich durch die Pflanzen vorzuarbeiten. Auf etwas vergaß er dabei komplett. Nämlich darauf, dass er auf den Kleinen schauen sollte.


    Sim-Off:

    *In etwa das Äquivalent zur irischen Áine.

  • Kinderjammer schindet bei den Großen doch immer wieder einen gehörigen Eindruck. So auch hier. Der Riese lässt sofort erschrocken von mir ab. Ich habe ihm ein ordentliches schlechtes Gewissen damit eingeflößt, welches sein Misstrauen auf ein Minimum schmelzen lässt. Das ist auch gut so, denn jetzt geht er auch ganz bedenkenlos auf meinen Vorschlag ein. Aber es kommt noch besser! Pflichtbewusst, wie er nun mal ist, stürzt er sich sofort auf die Suche nach meinem Ball und lässt mich alleine sehen. Sein Ermahnen, ich solle mich nicht von der Stelle rühren, kommt nur pro forma und hat keinerlei Bedeutung für mich.
    Er ist bereits außer Sichtweite, hat sich irgendwo an der Mauer in ein Gestrüpp begeben und sucht nun. Nur finden wird er nichts! Armer braver Sklave! Zum Glück weiß Mama von alldem nichts. Sie würde mir gehörig die Leviten lesen und ich bekäme mindestens eine Woche Hausarrest. Aber Mama ist weit weg und ich auch gleich. Bevor der Sklave wieder zurückkommt, bin ich auch schon weg.


    Ich begebe mich in die entgegengesetzte Richtung und durchstöbere den Garten. Unglaublich, wie groß der ist! Mächtige Bäume, die nicht erst seit gestern dort stehen und duftende Blumen in allen möglichen Farben gibt es. Ausgerechnet die Blumen, die am besten duften, haben gefährliche Dornen, an denen man sich ganz leicht stechen kann. Ich würde ja Mama gerne einen Strauß davon mitbringen. Aber ich schätze, das würde auffallen.
    Außerdem stehen da so komische Statuen von Leuten herum. Manche haben überhaupt nichts anzuziehen. Ich habe aber keine Zeit, um rot zu werden. Besser sollte ich mich jetzt nach einem guten Versteck umschauen. Denn eines ist sicher, der Sklave kommt bestimmt zurück und sucht mich. Wenn er erst mal herausgefunden hat, dass ich ihn zum Narren gehalten habe...
    Spontan entschließe ich mich dazu, auf einen Baum zu klettern. Von dort oben habe ich eine gute Sicht auf den Garten und da Haus. Ich kann den Sklaven kommen sehen, aber er nicht mich. Denn das dichte, grüne Blätterwerk schützt mich vor ungebetenen Blicken.
    Und tatsächlich, von oben hat man eine vorzügliche Sicht auf alles. Jetzt sehe ich, wie groß der Garten wirklich ist. Und das Haus erst! Doch eines frage ich mich: Warum bleibt Mama immer vor dem Haus stehen, wenn wir hier vorbei kommen?

  • Artomaglos wühlte, und zwar buchstäblich. Sich nämlich durch die Büsche durch. Dicht standen sie nebeneinander. Und tatsächlich entdeckte Artomaglos nicht nur einen Ball, sondern gleich drei nebeneinander. Kinder hatten sie in der vergangenheit drübergeschossen. Er suchte gar nciht mehr weiter, sondern überprüfte sie nur. Alle hatten sie eine sehr gute Qualität, sie waren aus Leder und löcherfrei. Keine der Wolllumpen, die hie und da geflogen kamen. Und für die kein Kind sich jemals zur Tür der Villa begeben hatte.
    Er richtete sich auf und balanzierte die Bälle in der Hand. Zwei waren braun, einer war schwarz, und was Artomaglos anging, konnte der Kleine alle drei haben, soviel Mut, bei der Villa Flavia anzuklopfen, sollte belohnt werden, dachte er sich.
    Der massive Noriker stand also auf, grunzte unwillig, als er Erdkrümel von seinem gewand abputzte, und blickte nach vorne.
    Eine Statue, eine Blume, eine Bank, ein paar Bäume, ein paar Büsche... kein Junge. Artomaglos blickte um sich und fluchte leise. Der war wohl irgendeinem Schmetterling nachgelaufen oder so. Er seufzte und schritt nach vorne. „Diarmuid!“, kam es aus seinem Mund. „Ich habe da drei Bälle gefunden! Einer von denen ist sicher deiner!“ Nichts. „Wenn du jetzt sofort kommst, kannst du alle drei haben!“ Wieder nichts.
    Und Artomaglos bekam die Panik.
    Immer, wenn Leute etwas suchen, scheint es so, dass sie etwas wichtiges vergaßen – nach oben zu schauen. Und Artomaglos unterließ dies. Stattdessen blickte er wild um sich. „Junge! Komm sofort zu mir! Ich komme in Schwierigkeiten, wenn du verschwindest!“ Das war durchaus so. Es wäre nicht abzusehen, was passieren würde, wenn der Kleine von irgendeinem Flavier gefunden würde... er würde ins Loch kommen! Sch...eibenkleister! Er rannte hilflos im Kries herum. „Diarmuid!“ Doch es regte sich nichts. Der Kleine musste dien einen Weg da entlanggelaufen sein.
    Den schlug Diarmuid ein, dabei vom Baum wegrennend. Und er schwor sich dabei, dass ihm das nie wieder passieren sollte, dass er in Zukunft nein sagen würde, dass er das wirklich lernen sollte...
    Der arme, gutherzige Hüne verschwand, von Diarmuids Position aus gesehen, um eine Ecke, mit einem panischen Gesichtsausdruck.

  • Als eine hünenhafter Sklave den Weg entlanggeeilt kam, auf seinen Lippen einen kuriosen Laut, den der kleine Flavius nicht im Entferntesten als Namen hätte identifizieren können, sprang er vor Schreck beiseite und umklammerte das kleine hölzerne Krokodil, von dem seine Mutter ihm berichtet hatte, dass ein blinder Claudier es ihm zum Geschenk gemacht hatte. Vorsichtig blickte er hinter einem Busch hervor, als Artomaglos ihn passierte, dann setzte er seinen Weg vorsichtig fort. Zu häufig waren ihm bereits furchteinflößende Männer (und Frauen, denn alles Fremde ängstigte ihn) begegnet, als dass er in Tränen ausgebrochen und zu seiner Mutter geeilt wäre.


    Die Ambition, die er verfolgt hatte, als er sich zum Garten aufgemacht hatte, war das Spiel mit eben jenem Holztier, denn obschon er ein Spielzimmer sein Eigen nannte, gefiel ihm auch die Sonne und da sein Vater ihm erzählt hatte, dass Krokodile in einer Form des Grases, das Schilf genannt wurde, lebten, hielt er den Garten auch für seinen Spielgefährten als angemessenen Lebensraum.


    Schließlich glaubte er, einen opportunen Platz für sein Spiel gefunden zu haben, der wohl aufgrund einer Laune der Fortuna just im Schatten jenes Baumes lag, den Flavianus Aquilius wenige Augenblicke zuvor bestiegen hatte. Vorsichtig setzte er das Krokodil auf den Boden und ging neben ihm in die Hocke.
    "Magst du ein bisschen Gras essen?"
    fragte er das Tier, woraufhin er begann, das Krokodil leicht zu bewegen. Bemüht, seine Stimme tief und einem derartigen Reptil angemessen erklingen zu lassen, antwortete er dann stellvertretend für jenes:
    "Nein, ich esse gerne Fleisch! Fang mir etwas!"
    Tatsächlich hatte der kleine Manius Minor auch erfahren, dass Krokodile ausgesprochene Karnivoren waren. Ganz in sein Spiel versenkt nahm er keine Notiz davon, wie sich etwas näherte...

  • Man kann schon sagen, ich habe es gut getroffen, mit meinem Baum. Es ist nämlich ein Kirschbaum, der voll hängt, mit reifen süßen Früchten. Ich muss nur meine Hand danach ausstrecken. Das tue ich auch und nicht zu knapp. Mhhhm, sind die lecker!
    Während ich schmatzend und kauend im Baum sitze, sehe ich auch auf einmal wieder den Sklaven. Von hier oben ist er gar nicht mehr so riesig.
    Er hat doch tatsächlich etwas gefunden! Nicht nur einen Ball, gleich drei auf einmal! Dann brauche ich mir gar keine Gedanken mehr darüber zu machen, wenn er mich hier oben erwischen sollte. Ich könnte mir sogar einen Ball aussuchen und behaupten, es wäre meiner. Natürlich würde ich mir den besten aussuchen. Später! Jetzt nicht. Jetzt klaue ich mir erst noch einige Kirschen. Der Sklave kann mich ruhig noch weiter suchen. Hier oben bin ich ja gut versteckt. Nur dem aufmerksamen Beobachter wird auffallen, wie in regelmäßigen Abständen Kirschkerne zu Boden fallen, die fein säuberlich von ihrem Fruchtfleisch befreit wurden.
    Komisch, gibt es hier denn keine Kinder in diesem Garten? Der ist doch riesengroß! Da könnte locker eine ganze Horde Kinder drin spielen. Meine Freunde würden Augen machen, wenn sie das sehen könnten.


    Plötzlich kommt jemand und setzt sich unter meinen Baum ins Gras. Gerade noch rechtzeitig behalte ich den Kirschkern im Mund, den ich eigentlich ausspucken wollte. Vor Schreck verschlucke ich ihn sogar.
    Das ist ein Junge, der dort unter mir sitzt. Er hat ein Spielzeug dabei, ein Tier aus Holz und er redet mit ihm. Ich würde ja schon gerne fragen, ob ich mitspielen darf. Andererseits ist dann meine Tarnung pfutsch! Was soll ich bloß machen?
    Unterdessen greife ich noch zu einigen Kirschen und lasse sie alle auf einmal in meinem Mund verschwinden. Zurück bleiben nur drei oder vier Kerne, die ich auf einmal ausspucke. Natürlich passe ich auf, dass der Junge nicht getroffen wird. Wenigstens aber könnte er auf mich aufmerksam werden. Aber er ist zu vertieft in sein Spiel.
    Doch dann kommt mir die zündende Idee: Ich spiele einfach mit!
    Aus der dichten Baumkrone ist plötzlich eine tiefe geisterhafte Stimme hören. "Ahhhh! Ich rieche Menschenfleisch!"

  • Soeben war der Knabe im Begriff, sich erneut an sein hölzernes Spielzeug zu wenden, als ein horribler Klang die Luft durschnitt. Vor Schreck öffnete er die Hand, als habe ein Blitz das kleine Krokodil und sei in seine Finger gefahren. Es war evident, dass Manius Minor die Quelle des Geräusches auf falsche Weise interpretierte und, vom Spiel bewegt, dem ehemals in seinen Händen befindlichen Wesen zuzuschreiben. Doch hatte dieses wahrhaftig gesprochen? Im seinem kindlichen Geist schien dies durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen! Rasch sprang er auf und betrachtete die animalische Figur. Das Maul hatte sich nicht bewegt! Oder doch?
    Mit größter Vorsicht beugte er sich hinab und betrachtete die fein geschnittenen Züge: weder die kleinen Äuglein, noch die lange Schnauze machten Anstalten, in Bewegung zu geraten. Ebenso lag auch der schuppige Leib unbewegt im Grase. Manius Minor war alieniert von jener Situation. Einen logischen Ursprung für jenes Geschehen zu suchen lag ihm weiterhin fern.

  • Zweifellos ist das der beste Platz des ganzen Gartens, den ich mir ergattert habe. Von hier aus kann man alles prima überblicken. Ich bin gewarnt, wenn der Sklave mit der komischen Aussprache wieder zurückkommt und ich bin auch über alles im Bilde, was sich sonst noch tut im Garten. Ganz besonders gilt natürlich mein Interesse diesem Knirps unter mir, der auf so rührende Weise mit seinem Holztier spielt und noch gar nicht gemerkt hat, dass er längst nicht mehr alleine ist.
    Ich habe ihm einen Mordsschrecken eingejagt, als ich mich dazu entschlossen habe, mitzuspielen. Er glaubt doch allen Ernstes, es sei sein Tier gewesen, was da gesprochen hat. Aus Furcht wirft er es von sich, überzeugt sich aber nach einer Weile, ob dem tatsächlich so ist, wie er glaubt.
    Ich verfolge alles mit, oben im Baum und ich könnte schreien vor Lachen. Aber soweit lasse ich es natürlich nicht kommen, denn dann könnte ich auch gleich freiwillig zum Ausgang gehen. Ich überlege mir lange, was ich denn machen könnte. Soll ich ihn weiter im Unklaren lassen und ihn glauben lassen, dass es sein Tier aus Holz ist, das zu ihm gesprochen hat oder soll ich mich doch lieber zu erkennen geben?
    Ich entscheide mich für das letztere, denn wenn ich ehrlich bin, würde ich es auch nicht mögen, wenn sich einer auf meine Kosten lustig machen würde.
    "He du da unten! Das war nicht dein komisches Tier. Das war ich! Ich bin hier oben. Im Baum. Siehst du mich?" Vom Zweig neben mir reiße ich einige Blätter ab und lasse sie langsam nach unten segeln. Außerdem zupfe ich noch die Kirschen ab. Die sind besonders rot.
    "Magst du Kirschen?" rufe ich. "Hier oben gibt´s welche. Der ganze Baum ist voll davon!"

  • Als der Knabe soeben das Maul des Krokodils begutachtete, das jedoch ebenfalls nicht den Anschein erweckte, sich jemals geöffnet zu haben, erklang plötzlich erneut eine Stimme, die mit jener des Krokodils nicht inkongruent war. Erneut fuhr Manius Minor vor Furcht zusammen, doch die Worte, die die Stimme formte, schienen die mysteriösen Begebenheiten aufzulösen, denn eindeutig rührten sie nicht von dem Tier im Grase. Doch war dies eine Falle? War möglicherweise nicht sein kleines Krokodil, sondern ein furchteinflößendes Geschöpf auf dem Baum der wahre Feind, der nach seinem jugendlichen Fleisch gierte?


    Nach kurzer Kogitation kam er jedoch zu dem Schluss, dass es ihm in keinem Falle zum Schaden gereichen konnte, einen vorsichtigen Blick zu riskieren. Sowohl die Geräusche, als auch Blätter, die von dem Baum über ihm rieselten, deuteten darauf hin, dass der Auctor jenes Juxes direkt über ihm zu finden war. Doch obschon sein Blick angestrengt auf die Krone gerichtet war, konnte er nur dichtes Laub erblicken.
    "Nein, wo bist du?"
    rief er mit verängstiger Stimme, den Kopf in den Nacken gelegt, während er weiterhin den Baum absuchte, als er plötzlich glaubte, ein Bein zu erkennen. Es entsprach der Erfahrung des Knaben, dass ein solches Körperteil in erster Linie mit einem Knaben zu asoziierten war. Zwar verschaffte dies anfangs Erleichterung, doch kamen unmittelbar erneute Ängste auf: Würde der Junge ihn an schierer Kraft und Körpergröße überragen, wodurch es jenem ein Leichtes wäre, den kleinen Flavius zu attackieren? Würde er ihm sein geliebtes Krokodil rauben? Mit weiterhin hörbar ängstlichem Unterton fragte er daher weiter.
    "Wer bist du?"
    Auf das Angebot der Früchte konnte er jedoch vorerst nicht eingehen, vielmehr verhinderte seine Angst gar, es wahrhaftig zu registrieren.

  • Noch eine ganze Weile sehe ich dem Kleinen dort unten zu, obschon er nur ungleich kleiner ist, als ich selbst. Dabei wächst der Wunsch, mit dem Jungen zu spielen. Auf die Dauer wird es langweilig, nur im Blätterdachherum zu sitzen. Nicht nur wegen dem komischen Holztier zieht es mich hinunter zu ihm, obwohl ich dann meinen Schutz aufgebe. Ich möchte aber auch Klarheit gewinnen, über dieses Haus und die Menschen, die darin wohnen und was Mama hier immer wieder herzieht.
    Er hat sich erschreckt und fragt sich, woher die Stimme stammt, die zu ihm spricht. Endlich riskiert er einen Blick zu mir hinauf. Die Dichte der Blätter verhindert aber, dass er mich sieht. Die letzten Zweifel schwinden. Vorsichtig suche ich mir einen Weg nach unten, nehme mir vorher aber noch einige Kirschen mit, deren doppelte Stiele ich mir hinter meine beiden Ohren klemme. Damit sehe ich bestimmt bezaubernd aus, wie ein Mädchen. So wie Mirjam. Genauso wie ich hinauf gekommen bin, komme ich auch wieder herunter.
    "Hier bin ich!", verkünde ich grinsend. Der Junge steckt in feinen Kleidern. So was Feines gibt es da, wo ich herkomme, gar nicht. Wahrscheinlich ist er nicht viel älter als ich. "Ich bin Diarmuid. Und wer bist du?"
    Dann hole ich die Kirschen hinter meinen Ohren hervor und halte ihm welche hin. "Hier willst du welche? Die schmckn gut!", erkläre ich ihm, während ich eine in meinem Mund verschwinden lasse.

  • Anstatt einer Erwiderung vernahm Manius Minor ein Rascheln der Blätter, ehe ein Knabe in den Ästen des Baumes erschien. Sein Haupthaar besaß jene Farbe, die keiner der Flavier selbst aufwies, woraus der junge Flavius geschlossen hatte, dass Römer diese Haarfärbung nicht besaßen, wenn nicht nur Sklaven derartig beschaffenes Haar hatten. Im Übrigen wirkte er jedoch wie ein gewöhnlicher Knabe, obschon er keinerlei Zurückhaltung besaß, wie es Manius schien, denn er hatte gar von den Kirschen des Gartens genommen und betrachtete ihn auf eine Weise, die in Manius ein Gefühl von Scham hervorrief.
    Seine Vorstellung hingegen erwiderte der Flavier seinerseits mit unverholenem Staunen. Sein Name war geradezu formidabel, die Früchte hinter seinen Ohren verliehen ihm ein ein befremdliches differentes Aussehen, als sei er einer jener Geschichten entstiegen, die ihm die Ammen über die großen Götter Roms vorgetragen hatten.
    "Ich...ich...ich heiße Minimus!"
    stellte er sich endlich stotternd vor. Noch nie in seinem jungen Leben hatte er eine Begegnung mit einem ihm an Jahren Ebenbürtigen Knaben gehabt. Zwar war ihm Flavius Serenus ebenfalls bekannt, doch dieser war trotz seiner noch nicht vollständigen Aduleszens von schier unerreichbarer Größe. Dieser hingegen hatte einen ähnlich großen Körper, obschon er weitaus indipendenter wirkte, als der junge Gracchus sich jemals gefühlt hatte.


    Ohne auf die folgende Frage einzugehen, streckte er endlich sogar seine Hand aus. Zwar hegte auch er eine gewisse Passion für die Früchte im Garten der Villa, doch fürchtete er die Gärtner-Sklaven, die mit Argusaugen über sie zu wachen schienen. Obschon es auch im Bereich des Möglichen lag, dass sie nun auftauchten, wirkte es wundersamerweise sicher auf Manius Minor, sie als Geschenk aus der Hand eines Fremden zu nehmen.

  • Leise schmatzend betrachte ich mir den Knirps und stelle ganz schnell fest, er ist gar keiner. Kein Knirps! Der Junge ist mindestens genauso groß, wie ich, vielleicht sogar ein kleines Stück größer. Sein Haar ist braun, etwas heller wie Mamas Haar und auch seine Augen sind braun, wie meine. Mir kommt es so vor, als fürchtet er sich vor etwas. Oder ist er einfach nur schüchtern?
    Es kostet ihn einiges an Überwindung, mit seinem Namen herauszurücken. Endlich stellt er sich vor. Minimus! Beinahe verschlucke ich mich an der letzten Kirsche, die eben noch in einem Mund war. Lustig, wirklich lustig! "Minimus, aha! Und, gibt´s auch einen Maximus?", frage ich. Dabei schaffe ich es natürlich nicht, nicht frech zu grinsen.
    Minimus streckt seine Hand nach den Kirschen aus. Selbstverständlich gebe ich ihm welche ab. Schließlich ist das ja sein Garten und folglich auch seine Kirschen. "Schmecken echt lecker! Das sind die besten Kirschen, die ich bisher gegessen habe!" Das ist allerdings auch keine große Überraschung, denn Kirschen gibt es ganz selten bei uns zu Hause. Die sind einfach zu teuer.
    "Wirklich toller Garten! Da hast du ganz schön viel Platz zum Spielen, du und deine Freunde." Ich wüsste natürlich genau, was ich mit meinen Freunden hier spielen würde. Lucius würde Augen machen und Mirjam würde ich jeden Tag einen Blumenstrauß pflücken.

  • Mit leichtem Befremden registrierte Manius Minor die prüfende Musterung, die der der Fremde ihn unterzog. Der Umstand, dass ihn der Name ihn amüsierte, rectifizierte seinen Habitus kaum. Was galt es auf eine solche Frage zu antworten? Und schwang in seiner Feststellung nicht der Hauch einer Herabwürdigung mit? Nie war ihm der Gedanke gekommen, dass der Kosename seines geschätzten Vaters in irgendeiner Weise degradierend wirken könnte!


    Doch wie der Spott gekommen war, schien er auch wieder zu verschwinden und der Knabe mit dem unaussprechlichen Namen alternierte das Thema. Rasch gelang es dem jungen Flavier, mit ihm mitzufühlen, denn kaum hatte er die Kirschen erhalten, schob er sie bereits in einer Geschwindigkeit in den Mund, als könnte sein Gegenüber das Präsent noch zurückziehen. Und wahrhaftig waren sie überaus gustös! Die Süße des Fruchtfleisches erfüllte den Mund des Knaben, während seine dentalen Antagonisten auf den harten Stein im Herzen der Frucht stießen. Als der Kern all seiner süßen Annexe entblößt war, was nicht lange dauerte, stieß er ihn wieder aus, wie er es auf Gastmählern in diesem Hause gesehen hatte. Üblicherweise erschienen daraufhin Sklaven, die den Boden rasch wieder reinigten, doch nun geschah nichtsdergleichen. Stattdessen thematisierte der Fremde nun den Garten selbst, der für Manius Minor so selbstverständlich war wie das Haar, das seinen Kopf bedeckte. Unvorstellbar war es für ihn, dass jemand sein Dasein in der Enge einer Mietskaserne fristete! Daher blieb ihm nur Verwunderung für die exzessive Begeisterung des Flavianus übrig. Doch nicht nur dies entsprach nicht seiner Lebenswelt:
    "Freunde?"
    fragte er voller Verwirrung. Dieser Begriff war ihm nur aus jener fernen Erwachsenenwelt bekannt und bezeichnete dort fremde Männer und Frauen, die regelmäßig in der Villa Flavia erschienen, für Manius jedoch eher beängstigend wirkten. Er selbst besaß nichts dergleichen - als Augapfel seiner Mutter war es ihm unmöglich, Kontakt mit Gleichaltrigen zu pflegen. Dennoch überkam ihm ein gewisses Schamgefühl, dass er mit einem derartigen Statussymbol nicht aufwarten konnte, und er ging lediglich auf den zweiten Teil der Aussage ein.
    "Ach, ich spiele lieber drinnen - da gibt es mehr Spielzeug!"
    In der Tat nannte 'Minimus', der Schwarm der gesamten Familie, ein ganzes Zimmer voller Spielutensilien sein Eigen - wozu benötigte er da noch einen Garten, in dem er ohnehin nicht herumtollen konnte, ohne dass man ihn zur Sorge um seine Sauberkeit ermahnte?

  • Den Scherz mit dem Maximus findet er offenbar nicht so toll. Na wenn schon! Besonders originell war ja meine Frage auch nicht gewesen. Wahrscheinlich fragt ihn jeder das gleiche, wenn er sich vorstellt. Mir würde das dann auch ganz schön auf den Keks gehen.
    Aber Mimimus ist auch in anderer Beziehung ganz schön seltsam. Mit dem Begriff Freunde kann er auch nicht besonders viel anfangen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Leute gibt, die gar keine Freunde haben. Irgendeinen muss es doch geben!
    "Na ja, Freunde zum spielen. Du hast doch welche. Oder? Ich habe ganz schön viele und vier davon sind meine besten Freunde: Lucius, Timon, Nico und Mirjam. Die wohnen alle in meiner Straße und wir spielen fast jeden Tag zusammen. Und Lucius ist der allerbeste meiner besten Freunde. Wir sind wie Pech und Schwefel. Schade, dass er nicht mein Bruder ist. Mirjam ist meineallerbeste Freundin. Wenn ich groß bin, werde ich sie irgendwann mal heiraten und dann werden wir zehn Kinder kriegen. Mindestens!" Minimus entgegnet mir mit einem Ablenkungsmanöver, das mein besonderes Interesse weckt. Er spielt viel lieber drinnen weil es da noch mehr Spielzeug gibt.
    "Echt? Du hast noch mehr als dieses Holzding?" Ich erblasse fast vor Bewunderung und auch ein wenig vor Neid. Ich habe nicht besonders viel Spielzeug. Ein Ball, der aber schon so gut wie kaputt ist, ein Holzschwert, das mir Catu geschnitzt hat und eine alte Puppe, die mir Mama gemacht hat, als ich noch klein war. Aber mit der Puppe spiele ich natürlich nicht mehr! Ich bin ja kein Mädchen!
    Mich interessiert natürlich auch noch brennend, wie es in den Zimmern dieses großen Hauses aussieht. So wahnsinnig viel habe ich ja davon noch nicht gesehen.

  • Es war evident, dass sein Gegenüber über zahlreiche Freunde verfügte, denen er gar Prädikate im Superlativ verlieh. Dennoch lag es weitab jeder Imaginationskraft des jungen Flavius, derartige Gefühlsregungen empathisch zu erfassen. Ihm blieb lediglich ein Vergleich mit Gefühlen, die er gegenüber seiner Mutter oder seinem Vater hegte - obschon er dies als selbstverständlich und geradezu natürlich betrachtete (wobei er im Grunde seine Lage hinsichtlich sämtlicher Lebensumstände für allgemein gültig und natürlich hielt).


    Diesem Umstand war es auch zu verdanken, dass er die Bewunderung des Fremden für seine Vielzahl an Spielutensilien schwerlich verstand. Wie füllte man sich etwa den Tag ohne Legionen hölzerner Soldaten, wie bekämpfte man seinen Erzieher ohne ein hölzernes Schwert, einen Harnisch und einen Helm? Oder wie vermochte man sich die endlos lange Badezeit zu vertreiben, wenn nicht mit Hilfe eines hölzernen Schiffes, das man durch das Becken geleiten konnte?
    "Sicher, ich hab' noch vier Puppen, einen Helm, ein Schild, ein Schwert, eine Lanze, einen Brustpanzer, Murmeln, und kleine Holzsoldaten und noch ein paar Tiere."
    erklärte er daher, als sei eine derartige Menge von Spielzeug selbstverständlich. Diese Haltung verlieh ihm endlich ein gewisses Maß an Sicherheit gegenüber dem Jungen, der seinen Namen verhöhnt hatte.

  • Mein lieber Schwan! Genau das denke ich, als er anfaengt, sein ganzes Arsenal an Spielzeugen aufzuzaehlen, die er besitzt.
    "Boa!" kommt es vor lauter Staunen aus meinem Mund und sonst gar nichts. Mein Mund geht gar nicht mehr zu. Ich sehe so bestimmt ganz schoen bescheuert aus. Dabei frage ich mich, natuerlich nur im Stillen und nicht laut, wozu braucht ein einziger Junge allein so viel Spielzeug!
    "Und wer spielt dann mit dir?" frage ich unverbluemt, denn das ist das naheliegenste, was mir dazu einfaellt. Einen Berg Spielzeug zu besitzen macht doch nur Sinn, wenn man auch den oder die passenden Spielgefaehrten vorweisen kann. Ich habe Lucius und wenn der nicht kann, dann frage ich eben Timon oder warte bis Nico raus kommen darf. Aber am allerbesten ist es, wenn wir zusammen spielen.
    "Sag mal, dein Schwert, ist das ein echtes? Oder ist es auch nur aus Holz, so wie meines?" Schade, ich habe mein Schwert zu Hause gelassen. Dann koennte ich es ihm zeigen. Es ist ein echtes Uni aeh dings aehm Unikat, hat Catu gesagt. Sonst hat keiner ein solches Schwert, weil er nur mir eines gemacht hat. Das naechste mal bringe ich es mit, falls es ein naechstes mal gibt.
    Ich haette ja schon grosse Lust, seine Spielsachen einmal zu sehen, alleine schon deshalb, um festzustellen, ob er mir nicht nur einen Baeren aufbindet.
    "Bist du eigentlich immer nur hier in deinem Garten und in deinem Haus oder gehst du auch manchmal raus und spielst auf der Strasse?" Das waere echt toll, denn dann koennte ich auch einmal Lucius mitbringen. Der Garten ist zwar riesengross, aber irgendwann stoesst man auch da an seine Grenzen.

  • Der erstaunte Blick seines Gegenübers verwirrte Manius Minor erneut. Er fühlte sich angestarrt wie jene Gladiatoren, die er bei den Ludi im Amphitheatrum Flavium verfolgt hatte, obschon das Antlitz des Fremden einen weitaus stupideren Charakter besaß als jenes der Zuschauer während der Spiele. Und all das lediglich deshalb, weil er einige seiner Spielsachen aufgezählt hatte!
    "Perictione, Glaphyra, Lakrates oder Artaxias oder einer von den anderen Sklaven natürlich!"
    erwiderte er leicht genervt auf die erste Frage. In jener kleinen, von jeglichen Einflüssen des gewöhnlichen Erdenkreises einfacher Bürger abgeriegelten Welt des jungen Flavius verstand es sich von selbst, dass stets jeder Sklave des Hauses dazu zu zwingen war, ihm die Zeit zu vertreiben.


    "Ein Schwert ist doch nicht aus Holz, sondern aus Eisen! Aber meines ist natürlich stumpf, sonst ist es zu gefährlich, sagt Mama."
    beantwortete er schließlich die sekundäre Rogation, die ihm ebenso stupid wie überflüssig erschien. Ihm war es nicht klar, dass gewöhnlichen Kindern echte Waffen, Rüstungen - schon gar maßgeschneiderte - verwehrt wurden, sondern sie sich mit mehr oder minder gelungenen Holzimmitationen zu begnügen hatten. In der Welt des Überflusses diesseits der Mauern der Villa war derartiges nicht bekannt.


    Die letzte Frage erschreckte den jungen Flavius allerdings. Sowohl seine Eltern, als auch die Ammen hatten ihn stets davor gewarnt, die schützenden Mauern des Hauses zu verlassen und nicht einmal seine sonst besorgte Mutter hatte ihm verschwiegen, dass dort unabschätzbare Gefahren lauerten: Räuber, Mörder, Diebe, gefährliche Kreaturen jeglicher Facon!
    "Draußen ist es natürlich auch zu gefährlich! Woher kommst du eigentlich?"
    gab er daher zurück. Nach seiner Reminiszenz war er dem Baum entstiegen - doch wie war er dorthin gelangt? Zwar kannte Minimus bereits die Mär von Daidalos und Ikaros, doch konnte er im ganzen Garten keinerlei Anzeichen der für einen solchen Flug erforderlichen Plethora von Vogelfedern entdecken. War er etwa gar von dort draußen gekommen? Womöglich war er gar selbst einer jener zwielichten Gestalten, vor denen man ihn gewarnt hatte?

  • Mir scheint, Minimus schmeckt meine viele Fragerei nicht. Er zaehlt einige Namen auf, die in meinen Ohren irgendwie exotisch klingen. Es sind die Namen von Sklaven. Aber gut, niemand kann etwas fuer seinen Namen und Sklaven schon gar nicht! "Aha", meine ich nur ganz kurz gehalten. Ich verstehe schon, das ist eine Sache, ueber die er nicht gern reden mag, obschon ich gerne wuesste, ob das Sklavenkinder sind oder Erwachsene. Nico ist ja auch ein Sklavenkind. Ausser ihm kenne ich keine Sklaven. Wir haben auch keine. Mama sagt immer, es sei Unrecht, Sklaven zu haben und wenn sie irgendwann einmal einen bekaeme, wolle sie ihn oder sie sofort freilassen. Ich faende es ja schon schick, einen Sklaven zu haben. Einer, der alles machen muss, was ich will.
    Minimus wirft mir einen vernichtenden Blick zu, nachdem ich ihn nach seinem Schwert Frage. Logisch, Schwerter sind nicht aus Holz. Sie sind aus Eisen! Jedenfalls die der Erwachsenen. Aber die Schwerter zum Spielen? Diesmal gebe ich mir nicht die Bloesse und reisse vor lauter staunen den Mund auf. Ich gebe mich weltgewannt, so als kenne ich es nicht anders. "Ja sicher!" Zu dumm, ich habe ihm bereits verraten, dass mein Schwert aus Holz ist. Zunehmend fuehle ich mich unwohl. Ich merke schon, Minimus kommt aus einer anderen Welt, die mit meiner recht wenig gemein hat. Ich ueberlege schon, ob ich nicht weglaufen soll, auch wenn ich dann dem Sklaven ueber den Weg laufe, den ich uebers Ohr gehauen habe.
    Aber meine Ueberlegungen schiebe ich vorerst wieder zur Seite, denn meine harmlose Frage hat ihn scheinbar sehr mitgenommen, was ich gar nicht nachvollziehen kann. Was ist denn schon dabei, draussen auf der Strasse zu spielen? Seine Antwort kommt prompt, aber ich verstehe sie nicht! "Gefaehrlich? Hae?" Ich brauche erst etwas Zeit, um mich von dieser Erkenntnis zu erholen. Mir kommt allmaehlich der Gedanke, Minimus verbringt seine Tage nur hinter diesen Mauern, beschuetzt von allem, was Spass macht und ruhig gestellt mit seiner Unzahl von Spielzeugen und den Sklaven, die sich mit ihm abgeben muessen. Im Grunde ist das ein ganz schoen trauriges Leben, denke ich. Wie gut ich es da habe, auch wenn ich nicht im Reichtum schwimme, wie Minimus.
    "Ich komme von draussen und wollte nur mal wissen, was sich hinter der grossen Mauer befindet. Wenn ich mit Mama spazieren gehe, bleibt sie immer eine Weile vor eurem Haus stehen. Deswegen war ich neugierig. Eigentlich wohne ich gar nicht weit weg von hier." So, jetzt habe ich mich offenbart. Er ruft jetzt bestimmt einen seiner Sklaven und laesst mich wieder nach draussen befoerdern.

  • Mit leichtem Erstaunen musste der junge Flavius erneut erkennen, dass jene Axiome, die bisher seine beschauliche Welt bestimmt hatten, für sein Gegenüber ebenso wundersam waren, wie dessen Axiome in ihm selbst Konfusion hervorriefen. All jene Expressionen erzeugten in dem Knaben ein aufwallendes Gefühl der Xenophobie - doch darüber hinaus erstand noch eine weitere Gefühlsregung, die ihn in gewisser Weise erstaunte: Neugier! Die Dinge, von denen dieser Fremde zu erzählen vermochte, versprachen kuriose Novitäten, wie sie weder ein Sklave, noch seine Eltern zu vermitteln vermochten.
    "Und da wohnst du mit deiner Mama? Und wo ist deine Villa? Beim Amphitheater?"
    Selbstredend hatte auch Manius Minor bereits sein Domizil verlassen - obschon dies recht selten geschah. Dennoch waren ihm singuläre Punkte in der Erinnerung haften geblieben - wie etwa jenes gigantische Amphitheatrum Flavium, das Massen an Menschen beherbergte, deren Anzahl jegliche Zählfähigkeiten des Knaben überschritt. Und obschon auch sein Zeitgefühl bisweilen noch eher unausgereift war, war es ihm noch bewusst, dass es eine ganze Weile gedauert hatte, ehe die flavische Sänfte es erreicht hatte. Zwar hätte dies als Indiz dafür dienen können, dass es in weiterer Entfernung lag, doch auf der anderen Seite wusste jeder junge Flavius ebensowenig, wie weit sich die Stadt Rom erstreckte, da er sie niemals in seinem Leben verlassen hatte.

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