Hortus | Epistola non erubescit

  • Der kleine Reigen, den die kindlichen Emotionen ihres Sohnes tanzten, blieb selbstverständlich von der sonst so aufmerksamen Mutter weiterhin unbemerkt. Hätte er nur kurz die Nase gerümpft, sie hätte eine herannahende Erkältung vermutet und sofort einen Medicus herbeibeordert. Jedes kleine Zucken ratterte durch den mütterlichen Observationsapparat, erkannte jedes eingebildete Wehwechen. Allein die wirklichen Sorgen Minors vermochten sie nicht zu Tage zu fördern.
    "Nun, den Hinweis auf die Iuppiterstatue solltest du schon direkt im Anschluss an den Tempelbau geben, ja. Ob du allerdings zuerst von deinem Pferd berichtest, oder zuerst vom Tempel, das ist natürlich dir selbst überlassen."
    Still den Sohn betrachtend, während jener sich den Kopf über Formulierungen, Buchstaben und Worte zerbrach, kam ihr der Gedanke, wie schade es doch war, dass Gracchus seinen Sohn nicht so sehen konnte. Überhaupt hatte der Junge sich, in der Zeit seiner Absenz, doch deutlich verändert. "Weißt du, was deinen Vater noch interessieren könnte?", fragte sie, mehr um der Konversation willen, als dass sie eine wirkliche Antwort erwartet hätte. So gab sie umgehend selbst die Erwiderung. "Wie groß du schon geworden bist, seit er dich zum letzten Mal gesehen hat. Bestimmt ein oder zwei digiti bist du seither gewachsen. Nicht mehr lange und du wirst deine arme Mutter überragen."
    Was natürlich maßlos übertrieben war, war doch Antonia zum einen nicht außergewöhnlich klein und Minor nicht außergewöhnlich groß. Was sie an die Idee einer der Ammen erinnerte, sich im Garten einen Baum auszusuchen, um dort jährlich an Minors Geburtstag sein Wachstum zu markieren. Eine schöne Idee, wie sie fand. Allerdings hatte sie bislang noch keinen Baum gefunden, der ihren Ansprüchen genügte. Vermutlich würde letztlich der perfekte Baum aus einem Land importiert werden müssen, dessen Namen kein vernünftiger Römer aussprechen konnte.
    Minors Vorschlag bezüglich der Formulierung eines Dankes segnete Antonia mit einem Nicken ab. Sie vermutete, dass einer der Sklaven ihm bereits einige Auszüge aus der argonautica vorgelesen hatte und er offenbar Gefallen daran fand.Nicht verwunderlich, denn wie konnte er ein Geschenk von Gracchus nicht mögen?

  • Die Ausführungen seiner Mutter erschienen auch dem kindlichen Gemüt des Knaben plausibel. Erst, wenn der Leser von der Konstruktion des Tempels wusste, vermochte er die Bedeutung des Mangels an einer adäquaten Figur zur Darstellung des notorisch untreuen Göttervaters. So bewegte er sein Haupt unmerklich, lediglich ein knappes Nicken, verbunden mit der unschuldigen Miene eines Kindes.


    Verbunden mit den neueren Adnotationen bezüglich seiner Körpergroße wurde sich Manius Minor jedoch einer neuen Problematik bewusst: Aufgrund der Vielzahl von Information vermochte er diese, sowie ihre korrekte Anordnung, kaum mehr zu memorieren. Sein kleiner Körper straffte sich leicht, während er erneut begann, sämtliche Bemerkungen zu überdenken.
    "Also nochmal: 'Rate, was ich kann!', dann 'Ich habe schon viel gelernt.', dann das mit Ulixes und dem Zyklopen, dann der Tempel und die Figur, dann, dass ich schon ein bisschen gewachsen bin - nein, zuerst noch das Holzpferd! Und dann noch das 'Danke'."
    Nun war auch in seinen Augen ein gewisses Maß an Konfusion zu identifizieren. All jene Informationen übertrafen die Kapazitäten des Knaben um Längen, zumal er sich langsam bewusst wurde, dass die Schwierigkeit der Aufgabe, all jene Formulierungen in das köstliche Wachs der Bienen zu bannen, die bisherige Reflexion in hohem Maße übertreffen würde.
    "Muss ich noch mehr schreiben?"
    fragte er daher mit flehendem Blick seine Mutter. Obschon er die Grenzen seiner Fähigkeiten verspürte, traf ihn zugleich auch ein gewisser Scham aufgrund der Tatsache, dass es ihm nicht möglich war für seinen Vater eine adäquate Epistel zu verfassen.

  • Jeden einzelnen Punkt Minors Aufzählung mit einem Nicken bestätigend, blickte Antonia nachdem dieser geendet hatte schon wieder auf das feste Wachs, erwartend, dass er nun seine Gedanken niederschreiben würde, ehe er wieder alles vergaß. Seine Frage jedoch ließ sie wieder aufsehen, in das so verzweifelt wirkende Gesicht des Sohnes. Verdutzt studierte sie seine Miene, sich halb in Vorwürfen ergehend, den armen Jungen überfordert zu haben und halb ein Lachen unterdrückend ob des Weltenschmerzes in seinen Augen. Eines schnellen Grinsens jedoch konnte sie sich nicht erwehren, zu herrlich war das Bild, das sich ihr bot.
    "Nur deinen Namen am Ende, Minimus.", antwortete die Claudia und stuppste mit ihrem schmalen Zeigefinger auf die Nasenspitze des Sohnes. "Aber beginnen wir erst einmal damit, alles andere niederzuschreiben, ehe wir am Ende noch etwas vergessen."
    Langsam jedoch machte sich das schlechte Gewissen breit. Natürlich, gleich einen Brief an seinen Vater zu schreiben war sicher zu viel für ihren Sohn, in einigen Wochen frühestens hätte sie ihm eine derartige Aufgabe zuweisen sollen. Ihn nun jedoch davon zu befreien war aber ebenso undenkbar, würde er sich durch eine solche Bevormundung doch sicherlich zurückgesetzt und unzulänglich fühlen.
    "Soll ich es dir diktieren?", schlug sie schließlich vor, ausnahmsweise die Schwierigkeiten Minors wenigstens zum Teil richtig deutend. Dass die Worte auch noch aus den korrekten Lettern gebildet werden wollten, dies war eine andere Sache.

  • Selbstverständlich betrachtete der Knabe es nicht als große Forderung, seinen Namen als Schlussakt des Briefes in das Wachs zu bannen. Aufgrund der Geste seiner Mutter, die ohne jegliches, vorwarndendes Indiz über ihn kam, zuckte der Kopf des Knaben zurück, obschon er diese nicht als offensiven Akt wahrnahm, sondern sein Gebärden zugleich eine gewisse Satisfaktion bekundete ob der Tatsache, dass ihm fortan weitere Reflexion erlassen war.
    "Ja, bitte!"
    replizierte er hingegen und ergriff den Stylus, der ob all jener langwierigen Dispute bereits in gewissem Maße erkaltet war. Obschon man ihm bereits wiederholt angeleitet worden war, wie dieses Schreibinstrument zu ergreifen war, fiel er jedoch aufgrund seiner Unachtsamkeit in die alte Eigenart zurück, ihn mit drei anstelle von zwei Fingern zu umgreifen, was seine Lettern in der Regel noch ungelenker wirken ließ, als sie es ohnehin bereits waren.

  • "Gut.. bist du bereit?", erkundigte Antonia sich zu Beginn, um sogleich mit dem ersten Satz fortzufahren. " - 'Rate, was ich kann!' -", repetierte sie die Worte Minors, zugleich darauf achtend, dass er die Lettern in richtiger Schreibweise niederschrieb. So entging ihr nicht, dass die Striche und Bögen ein wenig eigensinnige Richtungen zu suchen schienen.
    "Minimus.. wie halten wir den Stylus?", wies die Mutter den Sohn sanft aber bestimmt zurecht, um zugleich auf seine Schreibhand zu weisen. "Nach 'kann' machst du am Besten einen Absatz, dann lässt sich das Geschriebene später besser lesen."
    In der Annahme es wäre nun am Besten, Minor Satz für Satz anzuleiten, anstatt immer wieder das gesamte Konzept zu wiederholen, wartete sie geduldig, bis der Prozess des Ritzens abgeschlossen und der Junge wieder aufnahmefähig war. " - 'Ich habe schon viel gelernt.' -"
    Während Minor schrieb, ging Antonia indes in Gedanken erneut die Informationen durch, welche wasserfallartig aus Minor herausgesprudelt waren. Ulixes, Tempel, Pferd, Gewachsen, Danke.

  • Mit einer kurzen und knappen Neigung seines Hauptes deutete der Knabe seine Bereitschaft zum Beginn an, was Claudia jedoch nicht erst erwartete, sondern unverzüglich mit dem Diktat bekannt. Manius Minor setzte den Stylus auf das Wachs, das ob der Wärme bereits eine gewisse Viskosität entwickelt hatte, und begann in geschwungenen Kursiven die erste Sentenz einzuritzen.


    Als seine Mutter jedoch kurz darauf seine Griffelhaltung monierte, erkannte er rasch seinen Fehler und korrigierte ihn, indem er den Mittelfinger unter den Stylus verbannte. Dann führte er das Diktat fort, wobei ihn die Konzentration in einem derartig hohen Maße ergriff, dass sich die Spitze seiner Zunge langsam zwischen seinen leicht geöffneten Lippen hervorschob, während sie stets den Kontakt sowohl zur obigen, als auch zur unteren Lippe wahrte.


    Und wahrhaftig wirkte das Ergebnis seiner Bemühungen passabel: Obschon er notorisch dazu neigte, dem 'T' einen tendenziell zu kurzen vertikalen Strich zuzuweisen und sein 'A' eine Disposition zu übermäßiger Breite besaß, vermochte auch einer Person, der der Stil des Knaben nicht familiar war, die vollendeten Sätze zu entziffern.

  • " - .. lernt -", wiederholte Antonia die letzte Silbe. Noch einmal überflog sie die beiden vollendeten Sätze, fand keinerlei Fehl daran und rief sich daher die weitere Abfolge ins Gedächtnis. Einmal mehr in ihrem Leben bedauerte sie, dass sie nicht mit dem Gedächtnis ihres Sklaven gesegnet war, der nie auch nur das kleinste Detail zu vergessen schien. Sie selbst entsann sich schon nicht mehr der genauen Formulierungen ihres Sohnes, dabei hatte er sie vor wenigen Minuten doch noch einmal wiederholt gehabt. Doch wenn sie selbst es schon nicht mehr wusste, würde Minor sich gewiss nicht an ein oder zwei geänderten Worten stören.
    " - Glaphyra hat mir die Geschichte von Ulixes erzählt. - " Gab es hierzu noch eine weitere Information? Grübelnd hob sie den Blick, studierte die Mienen der geduldig auf Anweisungen wartenden Sklaven. " - Aber ich habe auch Zeit zum Spielen. -", fuhr sie fort, ohne sich des Hinweises auf die similäre Intelligenz von Ulixes und Minor zu entsinnen, dem jedoch auch der Sohn bereits in der Wiederholung seiner Überlegungen verlustig gegangen war.
    " - Ich habe nämlich den Tempel von Iuppiter auf dem Kapitol gebaut. - "
    Endlich den Blick wieder auf den in höchstem Maße konzentrierten Minor lenkend, schlich sich ein Schmunzeln in ihr Gesicht. Derart angestrengt bearbeitete er das Wachs, dass gar seine Zunge wie ein Zaungast das Ergebnis jener Bemühungen zu observieren schien.
    " - Nur die Statue habe ich nicht richtig abbilden können.. - weil ich keine sitzende Figur habe.. - die aussieht wie Iuppiter. - "
    Darauf wartend, dass erneut der Stylus zur Ruhe kam, wagte die Claudia die Spannung des Sohnes kurz zu stören. "Siehst du, gleich haben wir es geschafft. Noch drei Sätze und die Verabschiedung."
    In der Hoffnung, die Aussicht auf die Zielgerade würde erneut dem Willen Minors dienlich sein, diktierte sie schließlich die letzten Sentenzen.
    " - Ich habe außerdem ein Holzpferd bekommen. - Jetzt kannst du wieder einen Absatz machen.. - Danke auch für dein Geschenk!.. Es.. gefällt mir.. sehr. -"

  • Schweigend verfolgte der Knabe, wie seine Mutter zum Zwecke der Korrektur das zwischenzeitliche Produkt seiner Bemühungen kontrollierte. Auch er selbst hielt seinen Blick auf die Tafel gebannt in der Hoffnung, Fehltritte vor seiner Mutter zu entdecken und selbstständig verbessern zu können. Doch offenbar lag nichts Derartiges vor, denn schon fuhr Claudia mit dem Diktat fort.


    So ergriff er erneut den Stylus und beeilte sich, die Worte seiner Mutter in die Gestalt von Strichen und Bögen zu bringen, wobei er eines weiteren Problems seines Alphabetisierungsgrades gewahr wurde: Wie nur mochte der Name jenes hellenischen Helden aussehen, schrieb man ihn aus? Für einen Augenblick stockte sein Stylus, dann beschloss er, das Wagnis einzugehen und ihn in der Weise zu buchstabieren, wie es seine Phonetik vorgab, was letztendlich in einen adventuröse Verstoß gegen jegliche Orthographie mündete, denn anstatt das Wort 'Ulixes' zu schreiben, erschien es ihm angemessen, ein derartig exotisches Wort mit den Lettern 'U', 'L', 'Y' (wobei ihn ein gewisser Stolz durchströmte, dass er einen derartigen Vokal bereits beherrschte), 'C', 'S', 'E' und erneut ein 'S', bei dem er erneut stockte und sich dann nach einem kurzen, kontrollierenden Blick auf das bisher Geschriebene entschloss, ihm die richtige Schlangenform zu geben. Den übrigen Text hingegen vollendete er fehlerlos, sah man erneut von gewissen Varianzen in Breite und Höhe einzelner Lettern ab und brachte man ausreichend Geduld auf, um die häufigen Unterbrechungen für kurze Reflexionen über Orthographie oder Buchstabenformen zu erwarten.


    Als er schließlich geendet hatte, legte er den Stylus beiseite und blickte seine Mutter voller Stolz an. Er vermochte sich nicht zu erinnern, jemals einen derartig langen Text geschrieben zu haben!

  • Als Minor letztlich den Stylus niederlegte, fragend und auffordernd zugleich seine Mutter ansah, nickte diese zufrieden, um ein letztes Mal die kindliche Schrift zu kontrollieren und eventuelle Fehler auszumerzen. "Oh.", hauchte sie halblaut, als sie zu jenem Heroen kam, dessen Schläue ihr Sohn sich wünschte. Zweimal musste sie das Wort lesen, ehe sie verstand, was er eigentlich geschrieben hatte. "Ulixes.. verzeih, den Namen hatten wir bislang noch nicht durchgenommen. Ich hätte ihn dir wohl buchstabieren müssen.. "
    Ob jener Unachtsamkeit über sich selbst den Kopf schüttelnd, nahm sie selbst das Schreibgerät in die Hand, um am Rande U-L-I-X-E-S ins Wachs zu ritzen. Weder schwungvoll noch verschnörkelt, wie es sonst oftmals ihr Stil zu sein schien, sondern vielmehr klar und nüchtern, sodass es gut lesbar war. "Siehst du? Es war fast richtig, nur in der Mitte.. nunja, es ist nicht schlimm. Bessere es schnell aus, dann machen wir uns Gedanken über die abschließenden Worte."
    Der Stylus wurde abermals auf dem Tisch abgelegt, darauf wartend vom jungen Flavius wieder aufgenommen zu werden.

  • In diesem Fall verzichtete Manius Minor darauf, selbst eventuelle Fehltritte auszumerzen, sondern richtete seine Aufmerksamkeit lediglich auf das Antlitz seiner Mutter, sodass er deren Überraschung sofort identifizierte und sich nun doch seiner Schrift zuwandte, ohne einen Stein des Anstoßes zu finden, was ihm jedoch kurz darauf eröffnet wurde.
    "Achso!"
    kommentierte er daher die Korrektur und schenkte seiner Mutter ein leicht verschämtes Lächeln. Dann ergriff er rasch den Stylus und begann, das fehlerhafte Wort zu eradieren, nur um im Anschluss die korrekte Form seiner Mutter an selbigen Ort zu kopieren. In diesem Fall beschloss er, dass sein Fehler ihm nicht zur Schande gereichen konnte, zumal seine Mutter eingeräumt hatte, dass der Fehler auf ihrer Seite gelegen hatte.


    Während seine Mutter bereits darüber nachdachte, wie die Epistel nun zu beenden war, betrachtete der Knabe noch einmal sein Werk und versuchte es zu dechiffrieren, wobei er die Worte mit leiser Stimme vor sich hersagte.

  • Minors unsicheres Lächeln fehldeutend, glaubte Antonia dieses Mal nun jegliches Selbstbewusstsein ihm genommen zu haben, die kindliche Freude am Schreiben durch jenes Versäumnis ihm aus dem Leib gerissen zu haben. Welch Überwindung würde es ihn von nun an kosten noch einmal zum Stylus greifen zu müssen. Unverzeihlich. Wie hatte sie dies nur vergessen können? Natürlich konnte er nicht wissen, wie man Ulixes schrieb, sie wusste das, doch er machte sich wohl unsägliche Vorwürfe. Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne und schalt sich selbst einen Dummkopf. Offenbar war sie doch zu geizig mit dem Lob gewesen und hatte zu oft ihn ermahnt. Doch geschehen war geschehen, es galt nun lediglich noch den Schaden zu begrenzen. Erneut entschuldigen konnte sie sich nicht, war es doch unmöglich den Status den Sohnes einerseits zu erhöhen ohne sich selbst andererseits zu erniedrigen, was sicherlich der Sache auch nicht dienlich war. Es galt also, vom beschämenden Thema abzulenken und jenen Brief zu einem Ende zu bringen.
    "Wie verabschiedest du dich denn für gewöhnlich von deinem Vater?", fragte sie, die Lippe wieder in die Freiheit entlassend und zugleich Minors Gemurmel unterbrechend. Möglichst wenig wollte sie nun noch vorgeben, glaubte sie doch ohnehin den Sohn bereits zu sehr bevormundet und andererseits zu wenig angeleitet zu haben.

  • Auch diesmal entging dem Knaben nicht die Konfusion, die seine Mutter drückte, doch wie so oft schlussfolgerte er daraus falsch, denn er interpretierte dieses negative Gefühl als Tadel gegen seine Fähigkeit, was ihm jedoch in gewisser weise als Ungerechtigkeit erschien, obschon zugleich leise Zweifel aufkamen, ob er nicht doch den gewöhnlichen Ansprüchen seiner edlen Familie in zu geringem Maße nachkam. Doch er verschwieg jegliche Äußerungen dies betreffend, sondern blickte seine Mutter unschuldig an, wobei jedoch er jedoch ein kleines Maß an Enttäuschung nicht verbergen konnte. Dann jedoch replizierte er rasch.
    "Hm, normalerweise einfach mit 'Vale, Papa'"
    Jener Gruß entsprach in seiner strikten Schlichtheit auch seiner Anrede, doch wäre vermutlich jegliche weitere Ausschmückung im phonetischen Nutzen dispensabel und gänzlich unpraktikabel. Ob dieser Gruß jedoch auch für einen Brief adäquat war, wusste der Knabe selbstverständlich ebensowenig wie er wusste, welche Alternative sich bot.


    Bei seiner Lektüre war ihm jedoch noch eine weitere Problematik aufgefallen, der seine Mutter offenbar keine Beachtung geschenkt hatte - oder die vielmehr ihr lediglich entfallen sein musste.
    "Aber wir müssen erst noch schreiben, dass ich schreiben kann, Mama!"
    warf er daher in unbeherrschter, dennoch besorgt ermahnender Weise ein.

  • Obgleich Minors Standardanrede für seinen Vater einem Brief angemessen war, wie Antonia fand, glaubte sie doch, zur Verabschiedung müsse etwas bedeutsameres her, als 'Vale, Papa', trotz des anfänglichen Hinweises, die Anrede sei stets das Wichtigste in einem Brief. Nachdenklich wog sie den Kopf hin und her, auf der Suche nach einem Ersatz, als der Junge sie aus eben diesen Gedankengängen riss und sich schließlich einer leicht verdutzten Mutter gegenüber sah, die den Sohn anblickteh, als habe er soeben eröffnet, er wolle von nun an Gaukler werden.
    So selbstverständlich, so offensichtlich war sein Einwand, dass sie langsam an ihrem eigenen Gedächtnis zu zweifeln begann. Die Konfusion wich schließlich dem Amüsement, die gerunzelte Stirn verschwand zugunsten eines gelösten Lachens. "Oh Iuno, Minimus, du hast Recht. Für mich ist es bereits so selbstverständlich, dass du schreibst, dass ich es gänzlich vergaß. Du siehst also, man muss dieser Tätigkeit stets seine gesamte Aufmerksamkeit widmen, sonst schleichen sich Fehler ein. Sogar bei jemandem, der oft Briefe schreibt."
    Was ihr erneut die eigene Unzulänglichkeit vor Augen führte. Sicher, sie hatte verlernt selbst dergleichen Dinge im Kopf zu behalten, hatte sie doch stets ihr wandelndes Lexikon um sich, das sie an alles erinnerte und ihr somit die Übung im Erinnern nahm.
    "Hm, gut. Wie schreiben wir also, dass du schreiben kannst? Vielleicht - 'Hast du es nun erraten? Ich habe Schreiben gelernt und diese Zeilen selbst verfasst.'. Oder hast du eine Idee?"
    Wieder hatte sie es getan. Wieder hatte sie ihm die Lösung praktisch vorgegeben. Eine fürchterliche Angewohnheit, wie sie feststellte. Auch daran würde sie wohl baldigst arbeiten müssen.

  • Ein wenig erstaunt ob der Tatsache, dass selbst seine Mutter Fehler zu machen pflegte, beschloss er sich ihren Rat ins Herz zu schreiben und für kommende Zeiten stets seine gesamte Konzentration auf diese Form der Arbeit zu bannen, zumindest während ihrer Ausführung. Doch trotz dieser kleinen kleinen Unzulänglichkeit konnte er selbstverständlich keine adäquatere oder suffizientere Auflösung seines Spannungsbogens erdenken, zumal seine Motivation betreffs des Verfassens von Briefen mit der Zeit merklich sank, sodass er schlicht erwiderte
    "Nein, nehmen wir das!"
    und ehe seine Mutter ihren Vorschlag erneut überdenken konnte, den Stylus wieder ins Wachs drückte und das ersten beiden der Worte darin auf vergängliche Weise verewigte. Dann jedoch blickte er auf, um das Diktat seiner Mutter zu erwarten, da es bereits seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, die gehörten Worte in Buchstaben zu transferieren.

  • Offenbar schien er nach wie vor ihren Worten blind zu vertrauen, sodass Antonia zumindest diesbezüglich keine Schmälerung ihrer Autorität oder ihres Ansehens beim Sohne fürchten musste. Wieder erkannte sie eindeutig seinen Vater in ihm, der selbst so oft ihr die kleinen und größeren Unzulänglichkeiten hatte nachgesehen. Dass es nun jedoch schon Minor tun musste, rief eine ungeheure Scham in der Claudia wach. Glücklicherweise war der Sohn mit Schreiben beschäftigt, sodass sie selbst kurz den Blick gen Himmel wenden konnte, um den Kloß im Hals herunterzuschlucken.
    Seine Kopfbewegung wahrnehmend richtete sich ihre Aufmerksamkeit wieder auf das wächserne Werk Minors, an welchem es erneut nichts zu beanstanden gab, außer der Tatsache, dass sie zu deutlich die Vorgaben ihrerseits zu erkennen glaubte. "Hast du sonst noch etwas, das du deinem Vater mitteilen möchtest?", fragte sie, um sich nicht erneut die Blöße geben zu müssen, etwas vergessen zu haben.
    "Wenn nicht", fuhr sie unumwunden fort, "würde ich eine kleine Änderung der Verabschiedung vorschlagen. - Gute.. "
    Sie hielt abrupt inne. Um ein Haar hätte sie vergessen, dass Minor nichts von Gracchus' Krankheit wusste, hätte beinahe vorgeschlagen, ihm zum Abschied eine gute Besserung zu wünschen. Verlegen lächelnd sah sie ihren Sohn an, schnell eine Alternative suchend.
    ".. Mögen die Götter immer über dich wachen.", kam schließlich mit kurzer Verzögerung der ebenso wohlgemeinte Wunsch.

  • Ein weiteres Diktat blieb aus, doch dank einer glücklichen Fügung, die zweifelsohne einzig der wankelmütigen Fortuna zu danken war, gelang es dem Knaben in der Tat, beide Sätze vollständig zu memorieren und dem Wachs zu übereignen. Nur am Rande notierte er unterdessen das Schlucken seiner Mutter, das jedoch nicht als Äußerung der Befangenheit, sondern als banale Körperreaktion auf übermäßige Speichelbildung betrachtet wurde, wobei Manius Minor nicht weiter nach der Ursache für diese Erscheinung forschte. Als er geendet hatte, entdeckte er selbstständig erneut einen verdrehten Buchstaben, den er aber rasch auslöschte und auf korrekte Art und Weise ersetzte, was ihm dank eines kontrollierenden Blickes auf die bisherigen Worte gelang.


    Als seine Mutter weiteren Ambitionen zu eruieren gedachte, schüttelte der Knabe rasch sein Haupt, sodass sein Haar, das entsprechend dem Gustus Claudias stets nur wenig gekürzt wurde, aber dennoch in höchstem Maße gepflegt wirkte, durch die Zentrifugalkräfte herumgeschleudert wurde. Dies währte jedoch nur für einen kurzen Moment, als Manius Minor feststellte, dass diese Frage rein rhetorischer Natur gewesen war und offenbar niemals eine Antwort erwartet hatte. Stattdessen offerierte sie vielmehr sogar eine weitaus wohlklingendere Alternative zu seinem schlichten Gruß, den der junge Flavius vermutlich niemals hätte ersinnen können, ihm aber dennoch sofort als absolut opportun erschien. So vermied er erneut eine weitere Debatte betreffs dieser Frage, sondern fuhr mit seinen Mühen fort, die zwar erneut keinerlei kalligraphische Qualitäten besaßen, dennoch aber zumindest den Regeln der Orthographie gehorchten und durchaus legibel waren.
    "Fertig!"
    rief er schließlich aus, als er den Satz vollendet hatte und den Stylus beiseite legte. Ihn überkam eine große Satisfaktion ob seiner großen Leistung, aber es erschien ihm auch gleich einem immerströmenden Labsal, endlich diese schwere Aufgabe beendet zu haben, sodass er voller Erleichterung aufatmete und die Tabula mit einer vorsichtigen Geste gen Claudia schob, während sein Antlitz gleich einem Spiegel beide Emotionen offenbarte.


    [FONT=john handy LET,Staccato222 BT,comic sans ms]SALVE PAPA,
    WIE GEHT ES DIR? STREITEN SICH DIE LEUTE BEI DIR NOCH? RATE WAS ICH SCHON KANN!
    ICH HABE SCHON VIEL GELERNT. GLAPHYRA HAT MIR DIE GESCHICHTE VON UL I X ES ERZÄHLT. ABER ICH HABE AUCH ZEIT ZUM SPIELEN. ICH HABE NÄMLICH DEN TEMPEL VON IUPPITER AUF DEM KAPITOL GEBAUT. NUR DIE STATUE HABE ICH NICHT RICHTIG ABBILDEN KÖNNEN WEIL ICH KEINE SITZENDE FIGUR HABE DIE AUSSIEHT WIE IUPPITER. ICH HABE AUSSERDEM EIN HOLZPFERD BEKOMMEN.
    DANKE AUF FÜR DEIN GESCHENK. ES GEFÄLLT MIR SEHR. HAST DU ES NUN ERRATEN? ICH HABE SCHREIBEN GELERNT UND DIESE ZEILEN SELBST VERFASST.
    MÖGEN DIE GÖTTER IMMER ÜBER DICH WACHEN.



    [/FONT]

  • Wie vermutet benötigte der Knabe keineswegs die stete Iteration der zu schreibenden Worte. Sogar beide Sätze vermochte er dieses Mal aus dem Kopf niederzuschreiben, sodass Antonia sich für die nächste Übung vornahm, den Sohn erneut mehr zu fordern und weniger zu bevormunden, um seinen Geist entsprechend zu schulen. Was passierte, wenn man dies nicht tat, hatte sie nun ja bemerkt. Gerade den Mund geöffnet, um Minor noch auf die fehlerhafte Anordnung eines Buchstabens hinzuweisen, entdeckte dieser bereits selbst den Lapsus und tilgte ihn. Erneut wallte der Stolz in ihr auf, in der stillen Gewissheit, kein Kind habe bisher derartig großes Talent in so kurzer Zeit entwickelt.
    Schließlich verkündete der Junge, er habe sein Werk vollendet und schob ihr die Wachstafel entgegen. Unwillkürlich erschien ein zufriedenes Lächeln, das das Mienenspiel des Sohnes zu spiegeln schien. In der Tat glaubte Antonia dieses Mal eine Beglückung im Gesicht des Kindes zu erkennen und ausnahmsweise interpretierte sie sogar richtig.
    Als berühre sie ein heiliges Relikt, zog die Claudia andächtig die Wachstafel zu sich, um eine letzte Revision des Geschriebenen vorzunehmen. Mittlerweile an die Schrift ihres Sohnes gewohnt, hatte sie die wenigen Zeilen schnell überflogen.
    "Ausgezeichnet.", konstatierte sie feierlich. "Nun fehlt nur noch eines, um deinen Brief perfekt zu machen."
    Mit einer schnellen Handbewegung schob sie die Wachstafel zu ihrem neuen Herrn zurück.
    "Und was ist das?"

  • Als seine Mutter die Tabula mit ihren sanften Händen, die ihm von zahlreichen Liebkosungen bekannt waren, ergriff, hob er seinen Blick erneut auf ihr Antlitz. Ihre Satisfaktion bot ihm eine Konfirmation seiner eigenen Gefühlsregungen, dennoch verspürte er erneut eine gewisse Unrast, als sein Blick ihre Augen fixierte, die die Zeilen überflogen, doch offenbare keine weitere orthographischen Fehltritte zu entdecken vermochten.


    Dennoch schien die Epistel noch immer einen Makel zu besitzen, den sie ihm jedoch nicht enthüllte, sondern erneut seine eigenen Geisteskräfte zu beanspruchen gedachte, sodass der Knabe sich erneut aufzuschwingen hatte und noch einmal sein Scriptum inspizierte, ohne jedoch einen Fehler zu erkennen. Voller Verwirrung blickte er von seinem Werk auf und zu seiner Mutter, dann wandte er sich wieder der Tabula zu, erneut jedoch ohne einen Lapsus zu entdecken, sodass er ein weiteres Mal aufblickte und seine Mutter bar jeden Verständnisses anblickte und mit höchst insekurem Timbre fragte
    "Das...ist doch alles richtig! Oder nicht?"

  • Geduldig darauf wartend, dass dem Sohne letztlich die Erleuchtung würde kommen, beobachtete Antonia schweigend sein Dilemma. Schnell flog sein Blick zwischen Wachstafel und ihr selbst hin und her, um letztlich hilfesuchend auf der Mutter zu verharren. Gutmütig lächelte sie, als er ängstlich nach einer Bestätigung der Richtigkeit fragte.
    "Es ist alles richtig, ja.", versuchte sie die offenbar aufkommende Unruhe zu beschwichtigen. Augenscheinlich vermutete er vielmehr einen Fehler seiner Tätigkeit als einen abgängigen Teil des Briefes, so dass sich die Claudia gezwungen sah, des Rätsels Lösung zu offenbaren, indem sie auf den freien Bereich unterhalb des Fließtextes wies.
    "Zwar hat dein Vater nur einen Sohn und dass jener ihm schreibt weiß er durch die Anrede, doch wird ein Brief immer womit abgeschlossen?"
    Soweit sollte es genug Schubbs in die richtige Richtung gewesen sein, allfällig gar ein zu Großer. Doch länger wollte sie Minor nicht mit verdrehten Hinweisen quälen - welche er ohne Zweifel dennoch entschlüsselt hätte, dessen war sie sich sicher.

  • Eine gewisse Mäßigung seiner deplorablen Lage trat auf das wärmende Lächeln der Mutter ein, die sich steigerte, als sie die Diagnose des Knaben auch explizit bestätigte. Dennoch erschien ihm der folgende Hinweis geradezu pythisch. Was mochte die Anzahl seines Vaters an Söhnen mit seinem Schreiben verbinden? Für einen Augenblick richtete er seinen Blick auf die Tabula zurück, dann jedoch fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
    "Ah, mein Name, Mama!"
    Beseelt durch seinen Erfolg bei der Lösung dieses Rätsels ergriff er, ohne eine Bestätigung seiner Mutter zu erwarten, den Stylus und begann, seinen Namen - oder vielmehr den Kosenamen, mit dem sein Vater ihn stets zu titulieren pflegte, an das Ende des Briefes zu setzen, zumal er ohnehin in der Schreibung dieses Namens besonders firm war und keinerlei Hilfe dafür bedurfte.

    [FONT=john handy LET,Staccato222 BT,comic sans ms]SALVE PAPA,
    WIE GEHT ES DIR? STREITEN SICH DIE LEUTE BEI DIR NOCH? RATE WAS ICH SCHON KANN!
    ICH HABE SCHON VIEL GELERNT. GLAPHYRA HAT MIR DIE GESCHICHTE VON UL I X ES ERZÄHLT. ABER ICH HABE AUCH ZEIT ZUM SPIELEN. ICH HABE NÄMLICH DEN TEMPEL VON IUPPITER AUF DEM KAPITOL GEBAUT. NUR DIE STATUE HABE ICH NICHT RICHTIG ABBILDEN KÖNNEN WEIL ICH KEINE SITZENDE FIGUR HABE DIE AUSSIEHT WIE IUPPITER. ICH HABE AUSSERDEM EIN HOLZPFERD BEKOMMEN.
    DANKE AUF FÜR DEIN GESCHENK. ES GEFÄLLT MIR SEHR. HAST DU ES NUN ERRATEN? ICH HABE SCHREIBEN GELERNT UND DIESE ZEILEN SELBST VERFASST.
    MÖGEN DIE GÖTTER IMMER ÜBER DICH WACHEN.


    MINIMUS
    [/FONT]


    Kaum hatte er das abschließende Wort im Wachs gebannt, betrachtete er erneut mit leuchtenden Augen seine Mutter, bereit, durch eine Belobigung seine Schreibfähigkeit und Gelehrsamkeit attestiert zu bekommen.
    "So, ist es jetzt gut?"
    fragte er, wobei der Stolz, der ihn durchfuhr, auch in seiner Stimme mitschwang und von der endgültigen Satisfaktion des Knaben zeugte.

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