Hortus | Epistola non erubescit

  • Nur einen Atemzug lang dachte der Knabe nach, bis ihm schließlich die unausweichliche Eingebung der Antwort kam. Schon dergestalt von seinem Talent überzeugt, dass er nicht einmal mehr die Bestätigung der Richtigkeit seiner Antwort abwartete, ritzte Minor seinen Rufnamen ins Wachs, was Antonia ebenso interessiert verfolgte, wie die Gestaltung des restlichen Briefes. Ein unverdrehtes 'S' legte somit das Ende jener Arbeit fest, die auch ein Ovid nicht besser hätte meistern können. Zugleich hoffte die Claudia natürlich, dass ihr Sohn keinesfalls den Weg jenes Dichters würde einschlagen, hatte sie doch eine weitaus bedeutsamere Zukunft für ihn vorgesehen.
    Darob mit sich selbst und dem Sohne höchst zufrieden, ging ihr allein beim Anblick seiner strahlenden Augen das Herz auf, ließ es vor mütterlichem Stolz beinahe bersten. So dauerte es nicht lange, bis die erwartete Belobigung über ihre Lippen kam.
    "Jetzt ist es sogar so gut, dass dein Vater in ungläubiges Staunen verfallen wird, sobald er deinen Brief in Händen hält.", versicherte sie in der Annahme, es gebe für einen Jungen kein größeres Lob als die Anerkennung des Vaters. "Ich bin sehr stolz auf dich, Minimus. Wir werden so schnell wie möglich den besten Boten der Flavier losschicken, um dein Schreiben zu überbringen."
    'So schnell wie möglich' beinhaltete allerdings noch ein Zeitfenster, in welchem sie selbst eine kurze Erläuterung verfassen musste. Und eben diese würde das Absenden des Briefes noch bis zum nächsten Tage verzögern.

  • Wie er es erwartet hatte, sprach seine Mutter ihm erneut ein Lob aus, das nicht nur eine intrinistische Belohnung in seinem Innern bedeutete, sondern zugleich auch ein visibles Anzeichen dessen in Form eines Leuchtens in seine Augen hervorrief, wie es wohl kaum durch jenes zu übertreffen sein würde, das seinem Vater vor Staunen und Freude geschehen würde, wenn er jenen Brief in Händen halten würde, denn in der Tat erfreute ihn ein Lob aus dem Munde seines Vaters, mit dem er weitaus weniger Kontakt pflegte als mit seiner Mutter, selbst wenn er in Rom weilte, weitaus stärker, was wohl an dessen Seltenheitswert lag, der jedoch lediglich von der seltenen Möglichkeit seines Vaters zum Lob abhing.
    "Toll, dann bekommt er ihn ja bald!"
    Da es dem Knaben inzwischen wieder entfallen war, wohin sein Vater aufgebrochen war, besaß jedoch nicht im Entferntesten die Möglichkeit, diese Dauer abzuschätzen, wobei er sie wohl selbst mit jener dies nicht vermocht hätte, da er selbst zu keinem Zeitpunkt auch nur eine vergleichbare Strecke zurückgelegt hatte, beziehungsweise durch sein infantiles Verständnis der Zeit auch der entwicklungszyklischen Voraussetzungen entbehrte.


    Dies jedoch vermochte ihn nicht zu inkommodieren, zumal sein Interesse bereits wieder von dem Brief auf das Spiel abgeglitten war, was er auch nun nach einer derartigen Leistung als adäquat und legitim betrachtete, sodass er mit erstaunlicher Geschwindigkeit von seinem Hocker sprang und mit der größten Geschwindigkeit, die ihm mit seiner kindlichen Anatomie möglich war, auf das Haus zustürmte, wo er sein Spielmaterial vermutete, das er zu verwenden gedachte.
    Unterdessen beschloss er jedoch zugleich, seine Mutter über sein Vorhaben zu unterrichten, sodass er zurückrief
    "Ich geh' Spielen! Bis später!"

  • Wie der Sohn sich über die Belobigung freute, so rief die mehr als offensichtliche Freude im Mienenspiel des Jungen ein euphorisches Gefühl bei der Mutter hervor, vermochte das Strahlen der großen Augen sie für einen Moment die Umgebung vergessen zu lassen und ein zufriedenes Lächeln zu Tage zu fördern. Hätte Antonia es gekonnt, sie wäre wohl selbst in Windeseile aufgebrochen, allein um jenen Brief zu überbringen, welcher dem Sohne so wichtig schien. Zweifellos war jedoch ein Bote schneller, wie sie sich ins Gedächtnis rief.
    Der plötzliche Interessenswechsel des Sohnes, welcher sich durch ein Davonstürmen manifestierte, vermochte die Claudia für einen Moment in erschrecktes Staunen zu versetzen, in welchem sie Minor verdattert hinterhersah. Als dieser schließlich nochmals innehielt, um jenes Verhalten zu erklären, löste sich die Verwunderung in Belustigung, so dass sie ihm lachend "Viel Vergnügen!" hinterherrief und sich selbst ungleich langsamer aufmachte, um umgehend sich an ihren eigenen Brief zu setzen.
    Die Rückverwandlung des improvisierten tablinums würde zweifellos den verbliebenen Sklaven obliegen.


    ~ finis ~

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