• Die Hallen der Basilica Ulpia waren gut geeignet, einem Respekt einzuflössen. Von der Front blickten majestätisch die Triumphatoren, und unter dem bronzegedeckten Dach ersteckten sich endlos die Reihen schlanker Säulen, wie ein Wald, in den von oben her schräge Lichtstrahlen einfielen. Es war so riesig, man hätte hier drinnen problemlos Militärwettkämpfe abhalten können.
    Vom Eingang der Basilica aus ließ ich meinen Blick schweifen. Durch die Hallen und über das Trajansforum, beides war an diesem Morgen von regem Leben erfüllt. Da ich auf keinen Fall zu spät hatte sein wollen, war ich zu früh, und wartete nun auf das Erscheinen der anderen. Lediglich ein paar eifrige Klienten von Livianus waren schon eingetroffen, und standen würdevoll in ihren Togen herum.
    Ich trug heute meine Paradeuniform, die Lorica strahlte mit der Morgensonne um die Wette, die Eques-Tunika war blütenweiß, mit einem satt purpurnen angustus clavus. An meiner linken hing in reichverzierter Scheide mein Gladius und das Sagum um meine Schultern war sorgsam in Falten gelegt. Die Haare ganz kurzgeschnitten, das Kinn glattrasiert, bot ich eine äusserst akkurat-militärische Erscheinung, die durch die Armillae an meinen Handgelenken vervollständigt wurde. Ich war sehr aufgeregt... euphorisch, erfüllt von freudiger Erwartung. Heute würde ein Traum wahr werden.

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    Klient - Decima Lucilla

  • Natürlich durfte Tante Venusia nicht fehlen. Auch sie war mit weiteren Familienmitgliedern und den beiden Zwillingen hier vertreten. An das Tante sein, hatte sie sich gewöhnen müssen und es auch endlich geschafft. Auch sie musste sich wohl damit abfinden älter zu werden. Sie fühlte sich zwar nicht so, aber ihre schon sehr erwachsenen Neffen und Nichten taten alles dafür um es ihr zu zeigen. Dennoch versuchte sie nach einer anderen Weise zu leben. Man ist so alt wie man sich fühlt. Dies gefiel ihr gut.
    Die Zwillinge waren gerecht aufgeteilt und jedes Elternteil hielt ein Kind. Hier die beiden Kleinen frei herumlaufen zu lassen, wäre fatal gewesen. So mussten sie auf den Armen bleiben und durften ihrem Freiheits- und Erkundungsdrang nicht fröhnen. Es war ein großer Tag für Serapio. Das hatte sie in einem Gespräch mit ihm herausgehört. Sie zumindest waren hier.
    Wie diese Adoption letzt endlich aussehen würde, wusste sie nicht. Bei einer solchen Feier war sie noch nicht anwesend gewesen und der Ablauf würde ihr also ganz neu erscheinen. Gespannt würde sie den Dingen folgen, die da kamen.

  • Verus hatte sich weit hinten eingereiht. Seine Gedanken flogen bereits wieder in seine Amtsstube. Er hatte noch viel zu tun und hatte sich nur kurz freigenommen, um seinem Verwandten zu beglückwünschen und dann wieder zu verschwinden. Er empfand es auch als recht langweilig aber seine Höflichkeit gebot ihm hier zu sein. So wartete er.

  • Die Halle der Basilica hatte sich nach und nach mit Verwandten und Anhängern der Gens Decima gefüllt. Der einzige, der sich Zeit gelassen hatte, war Livianus. In aller Ruhe hatte er sich in seinem Officium vorbereitet und die Begrüßung der Gäste seinem zukünftigen Sohn überlassen. Es war Serapios Tag und so war es mehr als gerecht, dass auch dieser im Mittelpunkt des Geschehens stand. Als der Decimer schließlich durch einen seiner Scriba informiert wurde, dass die Basilica bereits gut gefüllt war, nahm er einige Schriften und richtete noch einmal seine Toga Praetexta zurecht, ehe er sich nach draußen begab.


    Mit würdevollem Blick und gemäßigten Schrittes trat Livianus auf die Erhöhung zu, wo man bereits seinen kurulischen Stuhl aufstellte. Serapio bedachte er mit einem aufmunternden Kopfnicken und einem kurzen Lächeln, ehe er sich den Gästen zuwandte.


    "Liebe Verwandte, liebe Freunde des Hauses Decima!


    Ich danke euch, dass ihr heute, an diesem denkwürdigen Tag im Leben eines jungen Mannes und auch in meinem eigenen, so zahlreich erschienen seid. Es ist mir eine große Freude und es erfüllt mich mit Stolz, dieses von mir bereits seit langem angedachte Vorhaben, mit heutigem Tag endlich in die Tat umsetzen zu können.


    Als ich den Entschluss faste Serapio zu adoptieren, wusste ich noch nicht, dass mich hier in Rom die Nachricht über zwei leibliche Kinder erwarten würde. Doch trotz dieser wunderbaren Fügung der Götter, hat sich dadurch nichts an meinem Wunsch geändert und so möchte ich Decimus Serapio heute als meinen Sohn annehmen. Ich weiß, dass sein Vater es so gewollt hätte und vermutlich habe ich mir bereits jetzt seinen Unmut zugezogen, da ich mir so lange damit Zeit gelassen habe."


    Livianus schmunzelte und sah in Richtung Serapio.


    "Faustus Decimus Serapio! Tritt vor!"

  • Das Erscheinen meiner Verwandten ließ die Aufregung dann etwas abflauen. Tante Venusia hatte sogar ihre Zwillinge mitgebracht, und selbst mein etwas entfernterer Vetter Verus hatte sich die Zeit genommen. Ich begrüßte sie freudig, zum einen war ich wirklich dankbar für die moralische Unterstützung, zum anderen, dass sie als wohlangesehene Zeugen der Adoption Gewicht verleihen würden. Da mein Onkel noch etwas auf sich warten ließ, machte ich mich auch mit einigen seiner Anhänger bekannt, die ich bisher nur flüchtig, bei dem Aufmarsch an der Rostra, wahrgenommen hatte.


    Livianus hatte Sinn für einen großen Auftritt. Ich fand ihn, als Praetor, wie verwandelt, so wie damals als Legat, er verkörperte diese Würden einfach voll und ganz. Ich war sehr stolz auf meinen Onkel, und noch stolzer als er mir zunickte, und so etwas von seinem Glanz auch auf mich fiel.
    Der Rede lauschte ich ergriffen. Ich wusste wenig über meinen Vater, der viel zu früh sein Leben für Kaiser und Patria gegeben hatte, und, auch wenn es eher ein Scherz war – mir gefiel die Vorstellung dass seine Manen noch immer auf mein Wohlergehen bedacht waren. Überhaupt, dass dies alles hier seine Zustimmung fände. Die meiner Mutter hatte es ganz gewiss.
    Auf die Aufforderung hin, trat ich, mit leuchtenden Augen, zackig vor - meine genagelten Sohlen klackten auf dem Marmorboden – und nahm vor meinem Onkel dem Praetor kerzengerade Haltung an.

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  • Mattiacus war ebenso gekommen. Er stand bei den Klienten von Livianus.


    Entsprechend des festlichen Anlasses trug er eine blütenweise Toga mit dem großen breiten Senatorenstreifen und seine Schuhe, die er nur für "gut" anzog.


    Er war stolz, an diesem Tag ein Mitglied der Gens Decima zu sein, und das konnte man auch an seinem Gesicht ablesen.

  • Als Serapio schließlich neben ihm stand, wandte sich Livianus erneut an die Anwesenden. Damit begann nun der eigentliche Vorgang der Adoption. Die Stimme des Praetors hallte feierlich durch die Halle der Basilica, während seine Blicke zwischen Serapio und den Zuschauern wechselten.


    "So frage ich dich, Faustus Decimus Serapio, ist es wirklich dein Wunsch, mich als deinen Vater anzuerkennen? Willst du mich ehren wie deinen leiblichen Vater, so wie es Sitte und Recht ist?"

  • Da vorne, beim curulischen Stuhl, stand man wie auf einer Bühne. Und was für eine phantastische Akustik hier herrschte! Das Herz schlug mir bis zum Hals. Zum Glück hatte ich die angemessene Antwort in diesem Wortwechsel zu Hause vor dem Spiegel geübt. (Und dabei lange an der Intonation gefeilt.) Voll Entschlossenheit, voll Klang, und voll ehrlich empfundenem Pathos, sprach ich also die Worte:
    “Ich will Dich als meinen Vater anerkennen, Marcus Decimus Livianus. Unsere Verwandten und Freunde, die hier um uns stehen, sollen meine Worte bezeugen: Ich will Dir ein guter Sohn sein. Ich will Dich ehren wie meinen leiblichen Vater, so wie es Sitte und Recht ist, und, per Iovem lapidem, ich will es nie an der gebotenen Pflicht und Schuldigkeit fehlen lassen!“

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  • Livianus nickte zufrieden. Sein neuer Adoptivsohn hatte sich wirklich viel Mühe gegeben und war ordentlich vorbereitet zu dieser Adoption erschienen. Der Praetor breitete seine Hände aus und wandte sich wieder an die Anwesenden.


    "So ist es auch mein Wunsch, Faustus Decimus Serapio an Kindes Statt anzunehmen."


    Lächelnd sah er zu Serapio und breitete seine Arme aus.


    "Sohn!"

  • "Herzlichen Glückwunsch," rief Verus und applaudierte nach alter Sitte lautstark. Die Götter sollten ja hören, dass Livianus nun einen neuen Sohn hatte.


    "Alles Gute! Mögen die Götter hinter euch stehen!"

  • Welch illustres Schauspiel sich dem Zuseher hier bot. Nahe beim Eingang, abseits der Familie und der Klientenschaft, stand Marcus an eine Säule gelehnt und beobachtete das Spektakel aus sicherer Entfernung. Der Alte verstand es hier in seinem derzeitigen Reich groß aufzutrumpfen und auch Serapio spielte brav mit. Warum er diesen Möchtegernhelden zu seinem Sohn gemacht hatte, obwohl er bereits Vater zweier leiblicher Kinder war, konnte der junge Decimer immer noch nicht nachvollziehen. Vor allem hatte er nichts gesagt, nichts abgesprochen sondern Marcus einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Ihm kam das Kotzen, wenn er daran dachte, dass dieser obergescheite und selbstherrliche Serapio nun sein Bruder war – auch wenn nur adoptiert.


    Doch es war die Entscheidung des Alten und Marcus hatte zu seinem Bedauern keinerlei Einfluss darauf. Ach was – sollten die beiden doch machen was sie wollten. Er ging ohnehin seinen Weg und es war ihm im Grund genommen egal ob der Senator Serapio nun adoptieren oder heiraten wollte. Abfällig schüttelte er den Kopf und beobachtete weiter, wie die beiden Hauptprotagonisten dieser Aufführung um die Wette strahlten, während die Anwesenden bereits damit begannen in Freudentaumel auszubrechen.

  • “Vater!“ Bis über beide Ohren strahlend begab ich mich in Livianus‘ Arme, und umarmte ihn meinerseits einen Augenblick lang fest – aber nicht zu stürmisch, denn die Zeremonie war ja für die Öffentlichkeit bestimmt, und da wollte ich nicht allzu sentimental erscheinen, oder gar den eleganten Schwung seiner Togafalten gefährden.
    Verus war der erste, der seine Glückwünsche rief, dann erhoben sich andere Stimmen, und der Jubel hallte durch die Basilica. Ich war so unbeschreiblich glücklich! Prompt trat ein feuchtes Glänzen in meine Augen. So vor aller Augen anerkannt, ja geehrt zu werden, das ließ Zweifel dahinschmelzen, das war nun wirklich und wahrhaftig der Schlusstrich unter meine Fehltritte als missratener Neffe. Fortan würde ich ein guter Sohn sein, und meinem... Vater!... nichts als Ehre machen. Ja, ich würde so ein guter Sohn sein, wie es der leidige Flavus im Leben nicht schaffen würde. War der überhaupt hier? Ja, da hinten, da konnte ich ihn erspähen - ganz am Rand, genau da wo er hingehörte.

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  • Als sich die Blicke der beiden jungen Männer für einen kurzen Augenblick trafen, funkelte Marcus seinen neuen Adoptivbruder verbittert an. Die Jubelrufe, die nun durch die Basilica halten, taten ihren Rest, um den Sohn des Senators zur Gänze zu verärgern. Wie er diesen Serapio hasste. Er hätte es sein müssen, der im Mittelpunkt der Familie stehen sollte. Er war der leibliche Sohn des Alten. Ihn allein sollte man fördern und nur er sollte von der gesellschaftlichen Stellung des Senators profitieren können. Irgendwann würde der Tag kommen, wo er sich für alles revanchieren konnte. Das schwor er sich, während Serapio den Alten umarmte. Marcus wollte von all dem nichts mehr sehen und verließ ebenso unauffällig wie er gekommen war die Halle der Basilica.

  • Livianus erwiderte die Umarmung seines Adoptivsohns und hob dann gewinnend die Hand, als die Familie das Ende der Zeremonie mit Jubelrufen feierte. Von der Anwesenheit seines Sohnes Flavus, bekam er hingegen nichts mit. Auch nicht, von den Blicken, die sich Serapio und Flavus zuwarfen. Er konzentrierte sich ganz auf die direkt vor ihm stehende Menschengruppe und freute sich, über ihre Anteilnahme. Es bestärkte ihm noch mehr in seiner Entscheidung.


    "Ich danke euch! Vielen Dank! Lasst uns nun zurück in die Casa gehen und dieses freudige Ereignis mit einem Becher Wein begießen."

  • Wenn Blicke töten könnten, würde ich jetzt in meinem Blute liegen, und qualvoll mein Leben aushauchen. So groß meine Freude war, hier im Mittelpunkt zu stehen, so schön die Genugtuung, den arroganten Flavus an solch marginaler Stelle zu sehen – ich hatte doch Bedenken wie wir in Zukunft miteinander auskommen sollten. Und irgendwie muss man das ja, in einer Familie.
    Diese Sorge wog allerdings nicht sonderlich schwer, an diesem wunderbaren Tag. Zu meiner Erleichterung hatte Flavus sich davongemacht, und zusammen mit meinem neuen Vater - Vater! - und all den Verwandten, Freunden und Klienten, verließ ich überglücklich die Basilica Ulpia. In einem fröhlichen Zug begaben wir uns zur Casa Decima und liessen die trockene Zeremonie mit einem guten hispanischen Tropfen ausklingen.

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